Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
T a t b e s t a n d
2Die am 00. 00. 1967 in Almaty, Kasachstan geborene Klägerin begehrt die Erteilung eines Aufnahmebescheids nach dem Bundesvertriebenengesetz (BVFG).
3Die Klägerin stellte im Dezember 2020 einen Aufnahmeantrag. Ihre deutsche Volkszugehörigkeit leitete sie von ihrem 1944 im Kreis Kansk geborenen Vater N. P. und dessen Eltern, ihren Großeltern, dem 1909 geborenen B. P. und der 1909 geborenen C. W. geborene V., ab. Die Klägerin gab an, ihre Großeltern seien von Zwangsumsiedlung betroffen gewesen und hätten unter Kommandanturbewachung gestanden. Ihr Großvater sei zur Trudarmee eingezogen worden. Sie selbst sei nicht mit deutschem Nationalitätseintrag in behördlichen Ausweisen oder Registern erfasst. Die Klägerin legte Geburtsurkunden ihrer Söhne vor, die in den Geburtsjahren 2003 und 2005 ausgestellt wurden und in denen die Klägerin mit russischer Nationalität eingetragen ist. Weiter legte sie u.a. folgende Unterlagen in Kopie vor:
4- die Zweitausfertigung der Geburtsurkunde ihres Vaters, ausgestellt am 16. Mai 1960, in der dieser mit Nachnamen P. (R.) und als seine Eltern B. U. P., deutscher Nationalität, und C. L. W., deutscher Nationalität, eingetragen sind;
5- die am 30. August 1958 ausgestellte Heiratsurkunde über die am selben Tag erfolgte Heirat von B. P. und C. W. und die Beibehaltung der bisherigen Namen nach der Eheschließung;
6- eine Archivauskunft des Staatsarchivs des Gebietes Saratow vom 3. Dezember 2018 über die Einträge der Geburten von D., Sohn von Y. S., am 00. 00. 1907, sowie von C., Tochter von T. V. und G., geb. K., am 00. 00. 1909, im Taufbuch der evangelisch-lutherischen Kirche in Boaro;
7- 1994 ausgestellte Bescheinigungen über die Rehabilitierung von B. P. und C. W.;
8- 1999 und 2000 ausgestellte Bescheinigungen über die Deportation von B. P. und C. W.;
9- die Urkunde über die Eheschließung ihrer Eltern am 00. 00. 1967.
10Mit Bescheid vom 17. Mai 2022 lehnte das Bundesverwaltungsamt den Aufnahmeantrag ab. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen von einem deutschen Volkszugehörigen abzustammen. Die Geburtsurkunde ihres Vaters sei 1960 neu ausgestellt worden und deshalb nicht geeignet, die Abstammung der Klägerin insbesondere von Q. R. zu belegen. 1960 sei auch der Familienname des Vaters der Klägerin geändert worden. Ob es sich bei seinem ursprünglichen Familiennamen S. um den Geburtsnamen seines leiblichen Vaters oder seiner Mutter gehandelt habe, sei nicht nachvollziehbar. Entsprechend sei fraglich, ob es sich bei C. S. um eine deutsche Volkszugehörige gehandelt habe, schon ihre Abstammung sei nicht hinreichend belegt. Nachweise über deren Bekenntnis zum deutschen Volkstum am 22. Juni 1941 lägen auch nicht vor. Die Deutschkenntnisse der Klägerin könnten zunächst dahinstehen. Ein Bekenntnis der Klägerin zum deutschen Volkstum könne nicht festgestellt werden. Sie besitze keine amtlichen Dokumente, in denen sie mit deutscher Nationalität aufgeführt sei. In den Geburtsurkunden ihrer Söhne werde sie vielmehr mit russischer Nationalität geführt.
11Mit ihrem hiergegen erhobenen Widerspruch machte die Klägerin geltend, ihre Großmutter C. S. sei deutsche Volkszugehörige und habe sich zum deutschen Volkstum bekannt. Sie sei nach Sibirien zwangsumgesiedelt worden, wo sie N. zur Welt gebracht habe. C. habe ihre erste Ehe am 00. 00. 1929 im Gebiet Saratov mit dem deutschen Volkszugehörigen D. W. geschlossen und ihren Namen von V. auf W. geändert. Mit B. P. habe sie die zweite Ehe gehabt. Die Klägerin legte eine Bescheinigung des Standesamtes vom 9. November 2018 vor und eine Übersetzung einer ersten Ausfertigung über den Eintrag Nr. 00 über die Geburt ihres Vaters N.. Diese enthält den Zusatz: „Die handschriftliche Eintragung über die Angaben zum Vater erfolgte in der Geburtsurkunde, welche im Jahr 1960 ausgestellt wurde. Die Eintragung über den Vater wurde bei der Registrierung gemacht am 27. Mai 1944.
12Mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2022 wies das Bundesverwaltungsamt den Widerspruch der Klägerin im Wesentlichen aus den Gründen des Ausgangsbescheids zurück.
13Die Klägerin hat am 24. Juni 2022 Klage erhoben. Sie trägt vor, dass die Familie keine weiteren Informationen über das Schicksal des ersten Mannes von C. W. geborene V., D. W., habe. 1929 habe C. ihre Tochter M. geboren. Ab Mitte 1930 habe C. W. mit B. P. zusammengelebt. Sie hätten vier Kinder gehabt, den 1937 geborenen X., den 1939 geborenen Z., den 1944 geborenen N., den 1950 geborenen O.. 1941 sei C. W. mit B. P. und ihren drei Kindern einschließlich M. in den Kreis Kansk deportiert worden. Während der Deportation seien viele Dokumente der Familie verloren gegangen. Die Kinder N. und O. seien dann in Sibirien geboren worden. Zum Zeitpunkt der Geburt von N. sei die Heiratsurkunde seiner Eltern nicht verfügbar gewesen, weshalb er zunächst den Familiennamen seiner Mutter W. erhalten habe. Als seine Eltern dann nach dem Ende der Kommandanturbewachung eine Heiratsurkunde erhalten hätten, seien die Geburtsurkunden ihrer Kinder N. und O. vor dem 16. Lebensjahr auf den Familiennamen des Vaters P. geändert worden. Daher sei die Geburtsurkunde ihres Vaters N. 0000 neu ausgestellt worden. Ihr Vater habe als Filmvorführer, technischer Kinoleiter und als Verantwortlicher für den technischen Bereich der Militärbasis in Almaty gearbeitet, die die zentrale Versandstelle für Kinoausrüstungen für alle Militärbasen in der Region gewesen sei. Ergänzend nimmt die Klägerin Bezug auf das Verfahren ihres Vaters (10 K 3218/22). – Diesem hatte das Bundesverwaltungsamt auf seinen Antrag vom Dezember 2020 unter dem 18. Oktober 2021 einen Aufnahmebescheid erteilt, den es mit Bescheid vom 6. April 2022 zurücknahm. Der hiergegen erhobenen Klage des Vaters der Klägerin (10 K 3218/22) hat das Verwaltungsgericht Köln mit rechtskräftigem Urteil vom 19. Juni 2024 stattgegeben. – Die Klägerin trägt unter Vorlage der am 31. Mai bzw. 1. Juni 2022 ausgestellten Zweitausfertigungen der Geburtsurkunden ihrer Kinder weiter vor, sie selbst habe sich zum deutschen Volkstum bekannt, denn mittlerweile sei ihre deutsche Nationalität in den Geburtsurkunden ihrer Kinder eingetragen. Soweit die Beklagte ein Gegenbekenntnis darin gesehen habe, dass sie, die Klägerin, sich bei der erstmaligen Ausstellung der Geburtsurkunden mit russischer Nationalität habe eintragen lassen, sei dieser Ablehnungsgrund nach der aktuellen Gesetzesfassung entfallen. Danach gingen vor Verlassen des Aussiedlungsgebietes geänderte Nationalitätenerklärungen nur zum deutschen Volkstum früheren Bekenntnissen zu einem nichtdeutschen Volkstum vor. Die Beklagte müsse sie nun noch zu einem Sprachtest einladen, in dem sie ihre Deutschkenntnisse nachweisen werde.
14Die Klägerin beantragt,
15die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids des Bundesverwaltungsamts vom 17. Mai 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Juni 2022 zu verpflichten, das Aufnahmeverfahren fortzusetzen und nach Prüfung aller Voraussetzungen erneut in der Sache zu entscheiden.
16Die Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid.
19Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 24. April 2024 auf die Einzelrichterin übertragen. Vor dieser haben die Beteiligten am 19. Juni 2024 mündlich verhandelt und nach Anhörung zu einer Rückübertragung des Rechtsstreits auf die Kammer auf weitere mündliche Verhandlung verzichtet. Mit Beschluss vom 2. Juli 2024 ist der Rechtsstreit auf die Kammer zurückübertragen worden. Wegen der Einzelheiten wird auf diesen Beschluss und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens und des Verfahrens des Vaters der Klägerin 10 K 3218/22 und der in beiden Verfahren beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen.
21Entscheidungsgründe
22Das Gericht kann gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne (weitere) mündliche Verhandlung entscheiden, weil sich die Beteiligten hiermit einverstanden erklärt haben.
23Die zulässige Klage ist unbegründet.
24Der Bescheid des Bundesverwaltungsamts vom 17. Mai 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. Juni 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
25Der Klägerin steht – ungeachtet eines ausstehenden Nachweises ihrer Deutschkenntnisse – kein Anspruch auf Erteilung eines Aufnahmebescheids nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Bundesvertriebenengesetz in der am 23. Dezember 2023 in Kraft getretenen Fassung des Änderungsgesetzes vom 20. Dezember 2023, BGBl. I Nr. 390 (BVFG) zu. Nach dieser Norm wird der Aufnahmebescheid auf Antrag Personen mit Wohnsitz in den Aussiedlungsgebieten erteilt, die nach Begründung des ständigen Aufenthalts im Geltungsbereich des Gesetzes die Voraussetzungen als Spätaussiedler erfüllen.
26Die Rechtsstellung der Klägerin als Spätaussiedlerin ist zwar nicht bereits nach § 5 Nr. 2 c) BVFG ausgeschlossen (1.). Die Klägerin erfüllt aber nicht die Voraussetzungen als Spätaussiedlerin nach § 4 Abs. 1 BVFG, weil sie keine deutsche Volkszugehörige ist (2.).
271. Der Ausschlusstatbestand des § 5 Nr. 2 c) BVFG liegt nicht vor. Nach dieser Vorschrift erwirbt die Rechtsstellung nach § 4 Abs. 1 BVFG nicht, wer für mindestens drei Jahre mit dem Inhaber einer Funktion im Sinne von § 5 Nr. 2 d) BVFG in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat. Eine Funktion in den Aussiedlungsgebieten in diesem Sinne ist eine, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt oder auf Grund der Umstände des Einzelfalles war.
28Der Vater der Klägerin, mit dem die Klägerin mehr als drei Jahre in häuslicher Gemeinschaft gelebt hat, hat zur Überzeugung des Gerichts eine solche Funktion während seiner Tätigkeit beim Militär nicht ausgeübt.
29Eine Funktion im Sinne von § 5 Nr. 2 b) BVFG ist nicht an dem Erreichen einer bestimmten beruflichen Stellung und der hiermit verbundenen wirtschaftlichen Privilegierung in der Gesellschaft des Herkunftslandes festzumachen. Das Gesetz billigt auch einem deutschen Volkszugehörigen zu, nach seinen Kräften und Fähigkeiten eine herausgehobene berufliche Stellung zu erreichen, und zwar auch innerhalb der Staatsverwaltung, der Armee und der staatlich gelenkten Wirtschaftsverwaltung in der früheren Sowjetunion. Deshalb können grundsätzlich alle diejenigen Funktionen, die auch in anderen, nicht kommunistischen Staats- und Gesellschaftsordnungen erforderlich sind und ausgeübt werden, nicht als für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich bedeutsam angesehen werden. Die Frage, welche Funktionen gewöhnlich als bedeutsam galten, beantwortet sich nach den zur Zeit des kommunistischen Herrschaftssystems herrschenden politischen und rechtlichen Auffassungen im Aussiedlungsgebiet, im Einzelfall ist eine Würdigung der konkret ausgeübten Funktion geboten.
30Vgl. grundlegend Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 29. März 2001 – 5 C 15.00 –; BVerwG, Beschluss vom 10. Januar 2019 – 1 B 88.18 – beide juris.
31Dementsprechend ist nicht allein auf den vom Vater der Klägerin erreichten Rang eines Oberstleutnants abzustellen,
32vgl. BVerwG, Urteil vom 18. März 1999 – 5 C 5.99 –, juris, zu § 5 Nr. 1 d BVFG in der bis zum 31. Dezember 1999 gültigen Fassung, Ausschluss verneinend für Flugzeugingenieur im Rang eines Majors und Oberstleutnant im Zivil- und Katastrophenschutz.
33Aus dem Wehrpass des Vaters der Klägerin ergibt sich, dass er 1969 am (Kino-) Technikum in Almaty eine Ausbildung in der Fachrichtung Ausrüstung der Filmvorführungsanlagen absolviert hat, eine militärische Ausbildung hingegen ist danach nicht vorhanden. Die Klägerin hat angegeben, dass ihr Vater als Verantwortlicher für den technischen Bereich der Militärbasis in Almaty, die auch die zentrale Versandstelle für Kinoausrüstungen für alle Militärbasen in der Region gewesen sei, gearbeitet habe. Aus diesen Angaben, denen die Beklagte nicht entgegengetreten ist, ergibt sich nicht, dass der Vater der Klägerin eine Funktion ausgeübt hat, die für die Aufrechterhaltung des kommunistischen Herrschaftssystems gewöhnlich als bedeutsam galt.
342. Die Klägerin erfüllt nicht die Voraussetzungen als Spätaussiedlerin nach § 4 Abs. 1 BVFG, weil sie nicht deutsche Volkszugehörige ist, §§ 4 Abs. 1, 6 Abs. 2 BVFG.
35Deutscher Volkszugehöriger ist nach § 6 Abs. 2 BVFG in der Fassung vom 23. Dezember 2023, wer von einem deutschen Staatsangehörigen oder deutschen Volkszugehörigen abstammt und sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört hat. Vor Verlassen des Aussiedlungsgebietes geänderte Nationalitätserklärungen nur zum deutschen Volkstum gehen früheren Bekenntnissen zu einem nichtdeutschen Volkstum vor; dabei können ernsthafte Bemühungen zur Änderung einer Nationalitätenerklärung genügen. Das Bekenntnis auf andere Weise kann auch durch einen Nachweis deutscher Sprachkenntnisse auf dem Niveau B1 oder durch familiär vermittelte Sprachkenntnisse erbracht werden. Es muss bestätigt werden durch den Nachweis der Fähigkeit, zum Zeitpunkt der verwaltungsbehördlichen Entscheidung über den Antrag zumindest ein einfaches Gespräch auf Deutsch führen zu können, es sei denn, der Aufnahmebewerber kann diese Fähigkeit wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung nicht besitzen.
36Diese Voraussetzungen liegen bei der Klägerin nicht vollständig vor. Sie stammt zwar von einem deutschen Volkszugehörigen ab (a.), es liegt aber kein Bekenntnis der Klägerin zum deutschen Volkstum vor (b.).
37a.) Die Klägerin stammt von einer deutschen Volkszugehörigen ab. Das Gericht ist in der Gesamtschau der vorgelegten Unterlagen und Erläuterungen zu den Lebensumständen der Familie davon überzeugt, dass die Klägerin von C. W., die zur sog. Erlebnisgeneration gehört, abstammt (aa), diese sich vor Vertreibungsbeginn als deutsche Volkszugehörige zu erkennen gegeben und damit ein Bekenntnis im Sinne des § 6 BVFG in der diesbezüglich maßgebenden Fassung abgelegt hat (bb).
38aa) Zur Überzeugung des Gerichts ist zunächst die biologische Abstammung der Klägerin bzw. ihres Vaters von C. W. hinreichend belegt. Allein aufgrund des Umstands, dass die Geburtsurkunde am 16. Mai 1960 als Zweitausfertigung ausgestellt wurde und die Klägerin keine Geburtsurkunde aus dem Ereignisjahr vorgelegt hat, worauf die Beklagte ihre Zweifel stützt, ist nicht von der Unrichtigkeit des Inhalts auszugehen. Aufgrund des Ausstellungszeitpunktes der Geburtsurkunde im Jahr 1960 kann schon nicht die Annahme für postsowjetische Urkunden zugrunde gelegt werden, dass in den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion die Beschaffung gefälschter oder inhaltlich unrichtiger Urkunden ohne weiteres möglich und häufig ist – was aber auch bei solchen Urkunden nicht zum Grundsatz führt, ihnen komme von vornherein kein Beweiswert zu,
39vgl. hierzu Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 23. September 2021 – 11 A 3811/19 –, juris.
40Angesichts des nachvollziehbaren und plausiblen Vortrags zu den Umständen der Zweitausstellung und den weiter vorgelegten Unterlagen ist vielmehr von der Richtigkeit des Inhalts auszugehen. Aus dem auch im Verfahren des Vaters vorgelegten Geburtseintrag Nr. 00 mit Datum 00. 00. 1944 geht hervor, dass C. W. (geborene) V. seit diesem Datum als Mutter von N., dem Vater der Klägerin, erfasst ist (Bl. 376 f. Beiakte 2). Die Klägerin hat ausgeführt, dass viele Dokumente der Familie während der Deportierung verloren gegangen seien. Zum Zeitpunkt der Geburt ihres Vaters sei die Heiratsurkunde seiner Eltern nicht verfügbar und wegen der Kommandanturbewachung sei auch eine Neuausstellung nicht möglich gewesen. Ihr Vater habe daher zunächst den Familiennamen seiner Mutter W. erhalten. Nach dem Ende der Kommandanturbewachung hätten seine Eltern die Ausstellung einer Heiratsurkunde beantragt bzw. am 00. 00. 1958 geheiratet, wozu eine Kopie der Heiratsurkunde vorlegt wird. Vor Vollendung seines 16. Lebensjahres am 00. 00. 1960 habe dem Vater der Klägerin eine auf seinen Familiennamen P. geänderte Geburtsurkunde ausgestellt werden sollen. Gleiches habe für seinen 1950 auch im Sowchos Krasny Majak geborenen Bruder O. gegolten, dessen ebenfalls am 00. 00. 1960 ausgestellte Geburtsurkunde der Vater der Klägerin in seinem Klageverfahren in Kopie vorgelegt hat (s. Bl. 77 der als Beiakte 001 geführten Gerichtsakte 10 K 3218/22). Die im Mai 1960 erfolgte Änderung des Familiennamens von N. von W. (S.) auf P. und die entsprechende Zweitausfertigung der Geburtsurkunde mit der Eintragung des Vaters B. P. geht auch aus der Geburtseintragung Nr. 00 mit Datum 00. 00. 1944 hervor. Die im Verwaltungsverfahren vom Vater der Klägerin vorgelegte Bescheinigung der territorialen Standesamtsabteilungsbehörde der Stadt Kansk vom 18. Januar 2021 enthält eine Anmerkung über Änderung des Familiennamens des Klägers und die Zweitausfertigung der Geburtsurkunde am 00. 00. 1960 (s. Bl. 246 f. Beiakte 2). Entgegen der Ansicht der Beklagten ist auch nicht zweifelhaft, dass es sich bei dem ursprünglichen Familiennamen des Vaters der Klägerin S. bzw. W. um den Familiennamen seiner Mutter C. gehandelt hat. Nach dem detaillierten Vortrag der Klägerin ist ihre Großmutter väterlicherseits, C., am 00. 00. 1909 als Tochter von T. V. und G. V. geborene K. im Dorf Boaro geboren worden, was die Klägerin mit der Archivauskunft des Staatsarchivs des Gebiets Saratow vom 3. Dezember 2018 belegt (Bl. 75 Beiakte 1). C. habe am 00. 00. 1929 D. W. J. geheiratet und dessen Familiennamen angenommen. Hierzu werden eine Bescheinigung des Leiters des Standesamtes, Bezirksverwaltung Borodaevka vom 9. November 2018 über die Eheschließung (Bl. 122 Beiakte 1, Bl. 378 f. Beiakte 2) und die Ablichtung eines Heiratseintrags Nr. 00 vom 00. Januar 1929 beim Dorfrat des Dorfes Boaro (Bl. 72 Beiakte 001) vorgelegt. Aus der Ehe sei 1929 die Tochter M. W. A. hervorgegangen. Deren am 28. Juni 1983 ausgestellte Geburtsurkunde legte der Vater der Klägerin in Kopie vor (Bl. 73 Beiakte 001). Über das weitere Schicksal von D. W. sei nichts bekannt. C. W. habe dann ab Mitte der 1930er Jahre mit B. P. zusammengelebt und mit ihm vier Söhne gehabt, namentlich X., I., N. und O.. Für den 1937 geborenen X. und den 1939 geborenen Z. (F.) legte der Vater der Klägerin in seinem Klageverfahren Ablichtungen von den Geburtseinträgen der Abteilung des Standesamtes der Stadt Engels, ASSR der Wolgadeutschen vor, wonach beide den Familiennamen P. führen.
41bb) Auch hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass die Großmutter der Klägerin C. W. deutsche Volkszugehörige war.
42Die Frage, ob die Bezugsperson als deutscher Volkszugehöriger anzusehen ist, richtet sich nach der Rechtslage im Zeitpunkt der Geburt des Aufnahmebewerbers,
43vgl. BVerwG, Urteil vom 29. Oktober 2019 − 1 C 43.18 −, juris, Ls. 3, Rn. 25,
44hier also nach dem BVFG in der vor dem 1. Januar 1993 geltenden Fassung (a.F.).
45Gemäß § 6 BVFG a.F. ist deutscher Volkszugehöriger, wer sich in seiner Heimat zum deutschen Volkstum bekannt hat, sofern dieses Bekenntnis durch bestimmte Merkmale wie Abstammung, Sprache, Erziehung, Kultur bestätigt wird. Das Bekenntnis muss im Zeitraum unmittelbar vor Beginn der gegen die deutsche Bevölkerungsgruppe gerichteten Verfolgungs- und Vertreibungsmaßnahmen abgelegt worden sein. Diese Maßnahmen begannen in der ehemaligen Sowjetunion nach Beginn des deutsch-sowjetischen Krieges am 22. Juni 1941.
46Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1995 - 9 C 392.94 -, juris, Rn. 21 f.
47Ein Bekenntnis der C. W. zum deutschen Volkstum ist zur Überzeugung des Gerichts in der Gesamtschau belegt. Ausweislich der vorgelegten Rehabilitierungsbescheinigung vom 4. März 1994 und der Archivauskunft vom 23. November 2000 hat C. W. zusammen mit ihrer Familie das typische Vertreibungsschicksal der Volksdeutschen in der UdSSR erlitten, die nach Kriegsbeginn aus ihren angestammten Gebieten u.a. nach Sibirien deportiert wurden. C. W. wurde danach aus der Stadt Engels in der ASSR der Wolgadeutschen in die Region Krasnojarsk deportiert und unter Kommandanturbewachung gestellt. Ausweislich ihres Arbeitsbuches war sie als Arbeiterin in der Sowchose Krasny Majak tätig, wo auch der Vater der Klägerin geboren wurde. In seinem Klageverfahren hat der Vater der Klägerin eine Ablichtung der Kartei vom 30. August 1941 über die Deportation vorgelegt. Danach wurde C. W. zusammen mit B. P. und den gemeinsamen Söhnen X. und E. sowie ihrer Tochter M. mit dem Transportzug am 2. September 1941 nach Krasnojarsk befördert. Weiter hat der Vater der Klägerin einen Auszug aus Listen der evakuierten Bürger deutscher Nationalität, die u.a. im Kreis Kanskij stationiert waren, in Kopie vorgelegt. Hier werden C. W. und die vorgenannten Familienmitglieder mit deutscher Nationalität erfasst. Dieses Schicksal belegt, dass C. W. von den sowjetischen Behörden zu Beginn der Vertreibungsmaßnahmen als Angehörige der deutschen Bevölkerungsgruppe angesehen worden war. Denn die nahezu vollständige Deportation der deutschen Bevölkerung in der Sowjetunion war durch ihre vorherige staatliche Erfassung ermöglicht worden. Da C. W. von Vertreibungsmaßnahmen betroffen war, gehört sie unmittelbar zu der Personengruppe, auf die der eigentliche Schutzzweck des BVFG abzielte. Die deportierten Volksdeutschen waren in Sondersiedlungen interniert. Sie durften ihren Wohnort nicht verlassen und mussten sich regelmäßig bei den Behörden melden. Ihr rechtloser Zustand und das Verbot einer Rückkehr in die Heimatgebiete wurden durch das Dekret des Präsidiums des Obersten Sowjets vom 26. November 1948 „auf ewige Zeiten“ festgeschrieben. Der Rehabilitierungsbescheinigung aus dem Jahr 1994 ist zu entnehmen, dass auch C. W. in Anwendung dieses Dekrets Maßregeln unterworfen worden war, was allein dadurch eine Erklärung findet, dass sie als Volksdeutsche betrachtet wurde.
48Das danach vorliegende Bekenntnis von C. W. zum deutschen Volkstum wurde durch Merkmale i.S.d. § 6 BVFG a.F. bestätigt. Auf die deutsche Herkunft C. W. weisen hin ihr Vorname und ihr Vatersname, die Vornamen und Familiennamen ihrer Eltern und deren Eltern (PR. Y., Sohn von RX. V., G., Tochter von LX. K.), die Vornamen und Familiennamen ihrer Taufpaten (SX. ID., VI. FA., FQ. KA., geborene V., FB. QB.) sowie die in Deutsch verfassten Einträge in den Kirchenbüchern der evangelisch-lutherischen Kirche in Boaro. Die Kirchenbücher sind hier maßgeblich, weil es zum Zeitpunkt der Geburt von C. W. geborene V. im Jahr 1909 kein staatliches Personenstandswesen gab und die Personenstandsverhältnisse allein in Kirchenbüchern erfasst waren. Die Kirchen hatten das Recht, Personenstandsbücher zu führen und Geburten, Heiraten und Sterbefälle zu beurkunden, bis zur Verabschiedung des Dekrets „Über die Zivilehe, Kinder und die Einführung von Personenstandbüchern“ vom 18. Dezember 1917, infolge dessen staatliche Standesämter eingeführt wurden. Außerdem wuchs C. W. im Wolgagebiet auf, einem Gebiet mit einer sehr hohen deutschen Bevölkerungsdichte, das zur Autonomen Sozialistischen Sowjetrepublik (ASSR) der Wolgadeutschen wurde. In der ASSR der Wolgadeutschen, die mehrheitlich von deutscher Bevölkerung besiedelt war und deutsche Infrastruktur wie u.a. Deutsch als eine Amtssprache aufwies, lebte C. W. bis zu ihrer Deportation. Weiter kann davon ausgegangen werden, dass C. W. in ihrer Herkunftsfamilie und in ihrer eigenen Familie Deutsch gesprochen hat. Denn in den vorgelegten Unterlagen ist B. P. ebenfalls mit deutscher Nationalität ausgewiesen und der Vater der Klägerin hat angegeben, von seinen Eltern Deutsch gelernt zu haben; diese hätten auch unter der Kommandanturbewachung zu Hause Deutsch miteinander gesprochen.
49b.) Die Klägerin hat sich aber nicht zum deutschen Volkstum bekannt.
50Nach der für das eigene Bekenntnis der Klägerin zum deutschen Volkstum zum maßgeblichen Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung geltenden Fassung vom 20. Dezember 2023 des § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG muss die Klägerin sich bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung oder auf andere Weise zum deutschen Volkstum bekannt oder nach dem Recht des Herkunftsstaates zur deutschen Nationalität gehört haben. Nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG gehen vor Verlassen des Aussiedlungsgebietes geänderte Nationalitätenerklärungen nur zum deutschen Volkstum früheren Bekenntnissen zu einem nichtdeutschen Volkstum vor. Ernsthafte Bemühungen zur Änderung einer Nationalitätenerklärung können im Sinne von Satz 2 genügen, § 6 Abs. 2 Satz 3 BVFG. Das Bekenntnis auf andere Weise kann insbesondere durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse erbracht werden, § 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG.
51Die Klägerin erfüllt diese Voraussetzungen für ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum durch eine entsprechende Nationalitätenerklärung (bb) oder auf andere Weise (aa) nicht.
52aa) Einem Bekenntnis auf andere Weise durch den Nachweis ausreichender deutscher Sprachkenntnisse entsprechend dem Niveau B 1 oder familiär vermittelter Deutschkenntnisse steht vorliegend bereits entgegen, dass die Klägerin sich gegenüber den staatlichen Behörden zunächst zu einem nichtdeutschen Volkstum bekannt, indem sie sich im Geburtenzivilstandsregister bei der Registrierung der Geburt ihres Sohnes IN. am 00. 00. 2003 mit russischer Nationalität hat erfassen lassen. Ebenso ist die Klägerin bei der Registrierung der Geburt ihres Sohnes MS. am 00. 00. 2005 verfahren. Damit hat die Klägerin ein Gegenbekenntnis abgegeben mit der Folge, dass sie ein Bekenntnis auf andere Weise nach § 6 Abs. 2 Satz 4 BVFG aktueller Fassung nicht erbringen kann,
53vgl. BVerwG, Urteil vom 26. Januar 2021 − 1 C 5.20 −, Ls., juris.
54Zwar ist Ziel der Neuregelung durch Einfügen von § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG eine Änderung im Bereich Gegenbekenntnis, in welchem die vorgenannte Entscheidung die Anforderungen an das Bekenntnis angehoben und die diesem Urteil angepasste Verwaltungspraxis zu deutlich mehr Ablehnungen geführt hat. Die Neuregelung soll eine Rückkehr zu der früheren Verwaltungspraxis ermöglichen, die eine Änderung des Bekenntnisses durch bloße Änderung der Volkszugehörigkeit in allen amtlichen Dokumenten (Nationalitätenerklärungen) erlaubte.
55Vgl. BT-Drs. 20/8537 vom 26. September 2023, Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge, S. 1, 7; und BT-Drs. 20/9347 vom 15. November 2023, Beschlussempfehlung des Ausschusses für Inneres und Heimat, S. 1 f.
56Aber dieses Ziel ist nur darauf gerichtet, ein Bekenntnis durch Nationalitätserklärung zu erleichtern und insoweit zu der früheren Verwaltungspraxis zurückzukehren. Dies umfasst aber nicht im Fall eines Gegenbekenntnisses ein Bekenntnis auf andere Weise zu erleichtern. Denn in der Begründung des Gesetzesentwurfs der Bundestagsfraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zu Artikel 1, BT-Drs. 20/8537, ist ausgeführt:
57„I. Zielsetzung und Notwendigkeit der Reglungen
58...Durch eine Änderung des § 6 des Bundesvertriebenengesetzes (BVFG) sollen Antragsteller wieder alleine durch Änderung ihrer amtlichen Dokumente bis zum Verlassen der Aussiedlungsgebiete ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum wirksam abgeben können.“ (S. 7)
59„VI. 1. Rechts- und Verwaltungsvereinfachung
60Im Bereich der geplanten Änderung in § 6 Absatz 2 Satz 2 BVFG n. F. wird die Prüfung der Anträge mit Gegenbekenntnis vereinfacht, weil anstatt einer aufwendigen inhaltlichen Prüfung des ernsthaften Abrückens nach den Anforderungen der Rechtsprechung zukünftig (jedenfalls bei Änderung des Gegenbekenntnisses) eine rein chronologische Prüfung der Nationalitäteneintragungen vorgenommen werden kann.“ (S. 8)
61Im Besonderen Teil der Begründung, S. 15, heißt es:
62„Sofern es bei der aktuellen Verwaltungspraxis bliebe, würde die Spätaussiedleraufnahme mittelfristig deutlich zurückgehen. Es ist indes beabsichtigt, den Spätaussiedlerzuzug nach Deutschland weiterhin zu ermöglichen. Zu diesem Zweck ist gesetzlich ausdrücklich zu regeln, dass bei Eintrag einer deutschen Volkszugehörigkeit in einer Nationalitätenerklärung das frühere Gegenbekenntnis nicht mehr beachtlich im Sinne des Gesetzes ist. Durch den Einschub des Wortes „nur“ wird klargestellt, dass alle nichtdeutschen Nationalitätenerklärungen geändert werden müssen. Durch § 6 Absatz 2 Satz 3 BVFG n. F. wird klargestellt, dass ernsthafte Änderungsbemühungen in ihrer Wirkung einer erfolgreichen Änderung gleichgestellt werden können. Hiermit werden die Anforderungen an das Abrücken vereinfacht und die Verwaltung kann zu ihrer vormaligen Praxis zurückkehren.“
63Dass eine Änderung bzw. Vereinfachung im Hinblick auf ein Bekenntnis auf andere Weise im Sinne des § 6 Absatz 2 Satz 2 BVFG a. F. (nunmehr § 6 Absatz 2 Satz 4 BVFG n. F.) im Falle eines Gegenbekenntnisses ausdrücklich nicht beabsichtigt ist, zeigt sich schließlich auch am Verlauf des Gesetzgebungsverfahrens. In „Beschlussempfehlung und Bericht“ (BT-Drs. 20/9347) hält der Ausschuss für Inneres und Heimat an der geplanten Änderung in § 6 BVFG, in deren Folge zukünftig bei der Änderung des Gegenbekenntnisses eine rein chronologische Prüfung der Nationalitätseintragungen ausreichend sein soll (s. S. 7 a.a.O.), fest. Der Änderungsantrag der Fraktion der CDU/CSU wurde abgelehnt. Nach diesem Änderungsantrag sollte der neu in § 6 Abs. 2 BVFG einzufügende Satz 2 lauten:
64„Vor Verlassen des Aussiedlungsgebietes geänderte Nationalitätenerklärungen nur zum deutschen Volkstum oder das Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf andere Weise gehen früheren Bekenntnissen zu einem nichtdeutschen Volkstum vor.“
65Zur Begründung wurde ausgeführt: „Das Bundesvertriebenengesetz sieht in § 6 Abs. 2 unterschiedliche Arten des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum vor. Nationalitätenerklärung, Bekenntnis auf andere Weise oder die Zuordnung zur deutschen Nationalität nach dem Recht des Herkunftsstaates gehörten als gleichwertige Bekenntnisformen nebeneinander. Deshalb ist es nur folgerichtig, dass von einer formalrechtlich dokumentierten abweichenden Nationalitäteneintragung (Gegenbekenntnis) – meist durch Behörden des sowjetischen Unrechtsstaates – auch durch ein aktuelles Bekenntnis auf sonstige Weise oder durch die Zuordnung zur deutschen Nationalität nach dem Recht des Herkunftsstaates abgerückt werden kann. Insbesondere dort, wo formalrechtlich keine Korrekturen möglich sind oder Korrekturbemühungen aufgrund der politischen Situation unzumutbar sind, muss es zulässig sein, das aktuelle Bekenntnis auf andere Weise z.B. durch den Nachweis von Kenntnissen der deutschen Sprache auf B1 Niveau oder durch den Nachweis familiär vermittelter Deutschkenntnisse dem früheren Gegenbekenntnis zu priorisieren. Die antragstellen Personen müssen insoweit auch von der Beweislast für die Unmöglichkeit oder das Unvermögen bei der Nationalitätenänderung entlastet werden, weil sie damit bereits in eine Konfliktsituation geraten können.“
66BT-Drs. 20/9347, S. 3, 10 f.
67Der Zusatz „oder das Bekenntnis zum deutschen Volkstum auf andere Weise“ ist gerade nicht Gesetz geworden. Dementsprechend verbleibt es für die Klägerin dabei, dass sie wegen ihres abgegebenen Gegenbekenntnisses nicht allein durch den Nachweis von Deutschkenntnissen ein Bekenntnis auf andere Weise erbringen kann.
68bb) Die Klägerin hat aber auch kein Bekenntnis zum deutschen Volkstum durch Nationalitätenerklärung abgegeben. Zwar hat sie mit ihrer am 24. Juni 2022 erhobenen Klage die kurz zuvor, nämlich am 31. Mai 2022 und am 1. Juni 2022, neu ausgestellten Geburtsurkunden ihrer Söhne vorgelegt, in denen die Klägerin nunmehr mit deutscher Nationalität eingetragen ist. Hierbei handelt es sich aber nicht um ein Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Sinne von § 6 Abs. 2 Satz 1 BVFG, das nach § 6 Abs. 2 Satz 2 BVFG dem früheren Bekenntnis der Klägerin zum russischen Volkstum vorgeht.
69Im Sinne von § 6 Abs. 2 BVFG zu seinem Volkstum bekannt hat sich derjenige, der durch sein Verhalten das Bewusstsein und den Willen, einem bestimmten Volkstum und keinem anderen anzugehören, für Dritte wahrnehmbar verbindlich kundgetan hat.
70Vgl. BVerwG, Urteil vom 26. April 1967 – VIII C 30.64 –, BVerwGE 26, 344-352, juris.
71Zwar stellt die Eintragung der deutschen Nationalität z.B. im Inlandspass nach außen hin eine Erklärung zur deutschen Nationalität dar. Im Allgemeinen kann auch ohne weitere Prüfung davon ausgegangen werden, dass hinter einem solchen äußeren Erklärungsinhalt auch subjektiv der Wille und das Bewusstsein stehen, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören. Das gilt jedoch nicht schlechthin, sondern nur dann, wenn sich keine Anhaltspunkte für andere Beweggründe aufdrängen. Solche Anhaltspunkte sind gegeben, wenn die Nationalität im Inlandspass erst während des Aufnahmeverfahrens geändert worden ist. Unter diesen Umständen kann die Erklärung, der deutschen Nationalität zuzugehören, ohne weiteres ein bloßes Lippenbekenntnis sein, das nur zu dem Zwecke abgelegt wurde, um in Deutschland ein Aufenthaltsrecht zu erhalten, während das Bekenntnis zum deutschen Volkstum im Aussiedlungsgebiet gerade mit dem Ziel abgelegt worden sein muss, dort als Deutscher angesehen und behandelt zu werden. Das schließt indessen die Annahme der deutschen Volkszugehörigkeit nicht schlechthin aus, sondern bewirkt lediglich, dass nunmehr auch die Ernsthaftigkeit der sich nach außen hin als Bekenntnis zum deutschen Volkstum darstellenden Erklärung besonders nachzuweisen ist. Der Nachweis der subjektiven Seite dieser Erklärung, d.h. dass dieser Erklärung auch das Bewusstsein zugrunde liege, ausschließlich dem deutschen Volk als nationalgeprägter Kulturgemeinschaft anzugehören, hat nicht nur zu erfolgen, wenn zuvor ein Gegenbekenntnis abgelegt worden ist, sondern in allen Fällen, in denen Anhaltspunkte für andere Beweggründe, d.h. für ein Lippenbekenntnis vorliegen.
72Vgl. BVerwG, Urteil vom 29. August 1995 – 9 C 391/94 –, BVerwGE 99, 133-149, juris, Rn. 29, und Beschluss vom 30. August 1996 – 9 B 379/96 –, juris, Rn. 4.
73Von diesem grundlegenden Verständnis des Bekenntnisses zum deutschen Volkstum ist auch mit der Einfügung von § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG mit Artikel 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über die Angelegenheiten der Vertriebenen und Flüchtlinge vom 20. Dezember 2023 nicht abgewichen worden. Dies zeigen Wortlaut und Systematik, aber auch die Ausführungen in der Begründung des Gesetzesentwurfs zu dieser Änderung. In der BT-Drs. 20/8537 heißt es:
74„Unter einem Bekenntnis im Sinne des § 6 Absatz 1 BVFG ist der persönliche Wille und das Bewusstsein zu subsumieren, ausschließlich dem deutschen Volk als national geprägter Kulturgemeinschaft anzugehören. Der rein innere Wille, der nicht nach außen in Erscheinung tritt, reicht dafür nicht aus. Vielmehr muss sich der jeweilige Antragsteller bereits im Aussiedlungsgebiet so verhalten, dass er von Außenstehenden eindeutig als deutscher Volkszugehöriger identifiziert wird. Dieses Bekennen darf nicht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit einem Ausreisewunsch stehen. Voraussetzung eines wirksamen Bekenntnisses ist es vielmehr, dass der Betreffende bereits in den Aussiedlungsgebieten als Deutscher lebt (und nicht erst für seine Ausreise erkennbar als Deutscher in Erscheinung tritt).“
75Nach den Maßgaben für ein wirksames Bekenntnis bestehen im Falle der Klägerin starke Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei dem Eintrag ihrer deutschen Nationalität in den Geburtsurkunden ihrer Kinder um ein sog. bloßes Lippenbekenntnis handelt. Denn die Klägerin hat die Nationalitätseinträge in den Urkunden erst während des Aufnahmeverfahrens ändern lassen. Die Zweitausfertigungen der Geburtsurkunden sind erst nach Erlass des Ablehnungsbescheides ausgestellt worden. Die Ernsthaftigkeit der Erklärung, der deutschen Nationalität zuzugehören, hat die Klägerin nicht nachgewiesen. Sie verweist für ihr Bekenntnis lediglich auf diese Geburtsurkunden.
76Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
77Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
78Die Berufung ist zuzulassen, weil die entscheidungserhebliche Frage der Auslegung von § 6 Abs. 2 Satz 2 und 3 BVFG grundsätzliche Bedeutung hat, § 124a Abs. 1 Satz 1 i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Denn die Auslegung dieser erst zum 23. Dezember 2023 in Kraft getretenen Vorschriften stellt eine in der obergerichtlichen Rechtsprechung bislang noch nicht geklärte Rechtsfrage dar, die angesichts der zahlreichen noch zu erwartenden, der bereits bei der Beklagten eingegangenen und der bei Gericht anhängigen Spätaussiedleraufnahmeverfahren eine fallübergreifende und verallgemeinerungsfähige Bedeutung erlangt.
79Rechtsmittelbelehrung
80Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
81Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt; sie muss einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.
82Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
83Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
84Die Berufungsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
85Beschluss
86Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
875.000,00 €
88festgesetzt.
89Gründe
90Der festgesetzte Streitwert entspricht dem gesetzlichen Auffangstreitwert im Zeitpunkt der Klageerhebung (§ 52 Abs. 2 GKG).
91Rechtsmittelbelehrung
92Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
93Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
94Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
95Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
96Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.