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1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes wird abgelehnt.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der Antrag auf Gewährung von Prozesskostenhilfe ist abzulehnen, weil die Rechtsverfolgung aus den nachfolgend ausgeführten Gründen keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet, § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO.
3Der sinngemäße Antrag,
4die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, dem Antragsteller die beantragte Erlaubnis zum Erwerb von Natriumpentobarbital zu erteilen,
5bleibt ohne Erfolg.
6Der begehrten Anordnung stehen das allgemeine Verbot der Vorwegnahme der Hauptsache durch eine Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutz sowie ein fehlender Anordnungsanspruch entgegen.
7Die Kammer hat zuletzt im Beschluss vom 20.01.2023 - 7 L 1410/22 -, bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 08.08.2023 - 9 B 194/23 - (beide juris), für die Erlaubnis zur Einfuhr, zum Erwerb und zur Abgabe von Natriumpentobarbital durch einen Arzt ausgeführt:
8„Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn der Antragsteller glaubhaft macht, dass eine Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint.
9Im vorliegenden Verfahren begehrt der Antragsteller nicht nur eine vorläufige Regelung im Hinblick auf die bisher versagte betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis im Rahmen einer ärztlichen Suizidbeihilfe. Vielmehr hat er die Erteilung der Genehmigung selbst beantragt und damit eine Vorwegnahme der Hauptsache, die mit dem Charakter der einstweiligen Anordnung als vorläufiger Rechtsschutz nicht vereinbar und deshalb unzulässig ist,
10vgl. OVG Münster, Beschluss vom 24.03.2021 - 9 B 50/21 -, juris, Rn. 16; VG Köln, Beschluss vom 11.12.2020 - 7 L 1054/20 -.
11Dem Einwand des Antragstellers, die Erlaubnis solle nur befristet, nämlich bis zur Entscheidung in der Hauptsache und damit vorläufig erteilt werden, kann nicht gefolgt werden. Auch in den aus der Rechtsprechung zitierten Fällen einer beantragten vorläufigen Erteilung einer Berufserlaubnis sind die Gerichte von einer Vorwegnahme der Hauptsache ausgegangen,
12vgl. OVG Münster, Beschluss vom 13.12.1994 - 5 B 39/94 -, juris, Rn. 3 und VG J., Beschluss vom 25.03.1999 - 15 VG 901/99 -, juris, Rn. 2.
13Diese liegt jedenfalls dann vor, wenn die Entscheidung und ihre Folgen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen auch nach der Hauptsacheentscheidung nicht mehr rückgängig gemacht werden können,
14vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 123 Rn. 14.
15Dies ist hier der Fall. Der Antragsteller begehrt eine zeitlich befristete Erlaubnis zum Erwerb von Natriumpentobarbital (im Folgenden: NPB) mit dem Ziel, dieses den im Laufe eines Jahres erwarteten ca. 40 suizidwilligen Patienten zum Zweck der unmittelbaren Durchführung der Selbsttötung abgeben zu können. Die geltend gemachte Dringlichkeit der einstweiligen Anordnung wird gerade damit begründet, dass die Suizidhilfe wegen des Leidenszustandes der Patienten nicht aufgeschoben werden könne. Im Fall eines Suizides nach Abgabe der Betäubungsmittel sind aber die tatsächlichen Folgen der Erlaubniserteilung auch nach der Hauptsacheentscheidung nicht mehr reversibel. Dass der Antrag nur das „Wie“ des Suizides, und nicht das „Ob“ des Suizides betreffe, ist daher nicht relevant. Auch der Umstand, dass der Antragsteller die Entscheidung über die Abgabe an Patienten nach sorgfältiger Prüfung des Suizidwunsches treffen will, ändert nichts an der Tatsache, dass mit der Erlaubniserteilung voraussichtlich vollendete Tatsachen geschaffen werden. Dies könnte auch durch eine gerichtliche Befristung nicht verhindert werden.
16Im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG gilt das grundsätzliche Verbot einer Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung jedoch nicht, wenn eine bestimmte Regelung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes schlechterdings notwendig ist. Das ist der Fall, wenn die sonst zu erwartenden Nachteile für den Antragsteller unzumutbar und in einem Hauptsacheverfahren nicht mehr zu beseitigen wären und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg auch in der Hauptsache spricht,
17vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 123 Rn. 14.
18Diese Voraussetzungen sind hier nicht glaubhaft gemacht. Es kann im vorliegenden Verfahren nicht festgestellt werden, dass der geltend gemachte Anspruch auf Erteilung einer Erwerbs- und Einfuhrerlaubnis eines letal wirkenden Betäubungsmittels zum Zweck der Abgabe an suizidwillige Patienten mit hoher Wahrscheinlichkeit besteht. Es ist in der Rechtsprechung bisher ungeklärt, ob ein Anspruch auf Zugang zu einem tödlich wirkenden Betäubungsmittel aus den derzeit gültigen Normen des Betäubungsmittelrechts in Verbindung mit dem Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben hergeleitet werden kann. Ebenso ungeklärt ist, ob ein derartiger Anspruch aus dem Grundrecht der Berufsfreiheit des Arztes folgt, der Suizidhilfe leisten will.
19Nach der Rechtsprechung der Kammer besteht ein Anspruch eines Suizidwilligen auf Zugang zu einem tödlich wirkenden Betäubungsmittel derzeit nicht, weil der Erlaubniserteilung der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegensteht. Danach kann die Erlaubnis nicht zu Suizidzwecken erteilt werden, weil dieser Zweck nicht der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung dient. Durch die Versagung greift der Gesetzgeber nicht in unverhältnismäßiger und damit verfassungswidriger Weise in das Grundrecht des Einzelnen auf ein selbstbestimmtes Sterben aus Art. 1 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG ein. Denn die freiverantwortliche Selbsttötung kann auch ohne den Einsatz von NPB mit Hilfe von Sterbehilfeorganisationen oder von hierzu bereiten Ärzten und der Verwendung von verschiedenen verschreibungspflichtigen Arzneimitteln in einer zumutbaren Weise verwirklicht werden,
20vgl. VG Köln, Urteile vom 14.11.2020 - 7 K 8560/18 u.a. -, juris.
21Das OVG Münster hat diese Entscheidungen durch die nicht rechtskräftigen Urteile vom 02.02.2022 - 9 A 148/21 u.a. - mit ausführlicher eigener Begründung bestätigt. Hierbei hat es die maßgebliche Frage nach zumutbaren Alternativen zur Erteilung einer betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis uneingeschränkt bejaht, d.h. in Abweichung von der Vorinstanz nicht nur für eine Übergangszeit bis zur Neuregelung der Sterbehilfe durch den Gesetzgeber, und die Versagung der Erlaubnis für verfassungsrechtlich zulässig gehalten.
22Die Ablehnung eines Anspruchs auf die betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis zu NPB wird durch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 26.02.2020, durch die das strafrechtliche Verbot der geschäftsmäßigen Suizidbeihilfe in § 217 StGB für verfassungswidrig erklärt wurde, nicht durchgreifend in Frage gestellt. Das Bundesverfassungsgericht hat sich in dieser Entscheidung zur Frage eines Anspruchs auf Zugang zu letal wirkenden Betäubungsmitteln nicht eindeutig geäußert. Es hat vielmehr darauf hingewiesen, dass die Obliegenheit zur konsistenten Ausgestaltung der Rechtsordnung im Hinblick auf das Recht des Einzelnen zur freiverantwortlichen Selbsttötung nicht ausschließe, die im Bereich des Arzneimittel- und Betäubungsmittelrechts bestehenden Elemente des Verbraucher- und Missbrauchsschutzes aufrechtzuerhalten und in ein Schutzkonzept im Bereich der Suizidhilfe einzubinden,
23vgl. BVerfG, Urteil vom 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15 u.a. -, juris, Rn. 342.
24Der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG ist ein derartiges Element des Verbraucher- und Missbrauchsschutzes, das aus der grundrechtlichen Schutzpflicht des Staates für Leben und Gesundheit der Bevölkerung abzuleiten ist.
25Auch in den Beschlüssen vom 20.05.2020 - 1 BvL 2/20 u.a. - und vom 10.12.2020 - 1 BvR 1837/19 - hat das Bundesverfassungsgericht die Versagung der betäubungsmittelrechtlichen Erlaubnis nicht beanstandet. Es hat vielmehr die Antragsteller des letzten Verfahrens darauf verwiesen, ihre Grundrechte durch aktive Suche nach suizidhilfebereiten Personen, durch Bemühungen um eine ärztliche Verschreibung des gewünschten Wirkstoffs oder auf anderem geeignetem Weg konkret zu verfolgen. Damit hat es die Erlaubnis zum Erwerb von NPB nicht als alleinigen Weg zur Verwirklichung des Grundrechts auf selbstbestimmtes Sterben angesehen. Maßgeblich ist danach allein, ob ausreichende praktische und zumutbare Möglichkeiten bestehen, einen Suizidwunsch zu realisieren,
26vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.12.2020 - 1 BvR 1837/19 -, juris, Rn. 8.
27Einen Anspruch auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von NPB zur Selbsttötung hat bisher lediglich das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 02.03.2017 - 3 C 19/15 - für den Fall bejaht, dass aufgrund einer schweren unheilbaren Krankheit eine unerträgliche Notlage vorliegt. Diese Entscheidung beruhte jedoch auf der Annahme, dass in diesem Fall eine Versagung der Erlaubnis in das Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben in verfassungswidriger Weise eingreife, weil unter der Geltung des § 217 StGB ein Zugang zu einer anderen zumutbaren Sterbehilfe praktisch ausgeschlossen war. Das Bundesverwaltungsgericht hielt vor diesem Hintergrund eine verfassungskonforme Auslegung des Versagungsgrundes des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG für geboten und zulässig, um für den Ausnahmefall einer unerträglichen Leidenssituation eine zumutbare Möglichkeit der Selbsttötung zu eröffnen. Dieser Rechtsprechung ist aber nunmehr durch den Wegfall des § 217 StGB und die hierdurch wieder eröffneten Möglichkeiten des assistierten Suizides die Grundlage entzogen. Es ist deshalb offen, ob das Bundesverwaltungsgericht in den anhängigen Revisionsverfahren (3 C 8.22 u.a.) an seiner früheren Rechtsprechung festhält.
28Im Übrigen kann der Antragsteller die von ihm geltend gemachte verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG nicht auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts stützen, da er den Einsatz von NPB in allen Fällen eines freiverantwortlichen Suizidentschlusses, also nicht nur in einer krankheitsbedingten Notlage, befürwortet und durchführen will.
29Die Rechtsprechung, die einen Anspruch auf die Erlaubnis auf Zugang zu NPB zu Suizidzwecken derzeit ausschließt, ist auf die Erteilung einer Erlaubnis im Rahmen einer ärztlichen Suizidassistenz übertragbar. Die Antragsgegnerin hat zu Recht darauf hingewiesen, dass der Anspruch des Antragstellers aus Art. 12 GG auf selbstbestimmte Durchführung einer Suizidassistenz nicht über das Recht der Patienten oder Klienten auf eine selbstbestimmte Durchführung der Selbsttötung hinausgehen kann. Denn, wie der Prozessbevollmächtigte des Antragstellers selbst ausführt, besteht eine funktionelle Verschränkung der Grundrechte des Suizidhelfers und der suizidwilligen Person, die dazu führt, dass „der Gewährleistung des Rechts auf Selbsttötung ... daher auch ein entsprechend weitgehender grundrechtlicher Schutz des Handelns des Suizidassistenten“ korrespondiert,
30vgl. BVerfG, Urteil vom 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15 u.a. -, juris, Rn. 331.
31Dem Anspruch des Antragstellers auf Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von NBP zum Zweck der Suizidassistenz kann daher in gleichem Umfang der Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegengehalten werden wie den Ansprüchen von suizidwilligen Personen, zumal das betroffene Grundrecht auf freie Berufsausübung im Rang nicht höher steht als das Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben.
32Dem Antragsteller ist auch nicht insoweit zu folgen, als er die Erforderlichkeit der Erlaubnisversagung mit der Erwägung bestreitet, bei den von ihm betreuten Personen liege eine freiverantwortliche Entscheidung zur Selbsttötung vor, sodass der Schutzzweck ins Leere gehe.
33Denn gerade im Hinblick auf die Frage, ob diese Personen tatsächlich einen freiverantwortlichen Entschluss zur Selbsttötung mit der erforderlichen Festigkeit und Dauer und ohne Einfluss von anderen Personen oder gesellschaftlichen Erwartungen oder einer psychischen Erkrankung getroffen haben, darf der Gesetzgeber ein Schutzkonzept zur Sicherung der Autonomie der Betroffenen verfolgen. Insbesondere darf er verfahrensmäßige Sicherungsmechanismen wie Aufklärungs- und Wartepflichten und Erlaubnisvorbehalte unter Einschluss der bestehenden arzneimittelrechtlichen und betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften einführen,
34vgl. BVerfG, Urteil vom 26.02.2020 - 2 BvR 2347/15 u.a. -, juris, Rn. 339, 342.
35Konkrete Sicherungsmechanismen in Bezug auf die Sterbehilfe existieren derzeit noch nicht, sind aber Gegenstand von drei Gesetzesentwürfen, die im Juni 2022 bereits in Erster Lesung im Bundestag beraten wurden und sich noch im Gesetzgebungsverfahren befinden (vgl. BT Drs. 20/904, 20/2293 und 20/2332). Die drei Entwürfe enthalten jeweils unterschiedlich weitgehende Einschränkungen der Suizidassistenz sowie des damit zusammenhängenden Zugangs zu einem tödlich wirkenden Betäubungsmittel durch ärztliche Verschreibung gemäß § 13 BtMG. Insoweit hat der Gesetzgeber wegen der Abwägung konkurrierender Grundrechte von hohem Verfassungsrang einen sehr weitgehenden Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum und es ist keineswegs klar, dass das schließlich verabschiedete Schutzkonzept mit den Vorstellungen des Antragstellers übereinstimmt.
36In diesen Gestaltungsspielraum würde das Gericht eingreifen, wenn es im Vorgriff auf die zu erwartende Regelung die Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Erteilung einer Erlaubnis zum Erwerb von NPB nach Maßgabe eigener Vorstellungen zu den Sicherungsmaßnahmen im Wege der einstweiligen Anordnung aussprechen würde. Es kann daher auch nicht geprüft werden, ob die vom Antragsteller durchgeführte Prüfung zur Feststellung des freien Suizidentschlusses ausreichend ist, zumal er diese kaum konkretisiert hat,
37vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.12.2020 - 1 BvR 1837/19 -, juris, Rn. 9.
38Die Versagung der Erlaubnis wird daher nach wie vor als erforderlich angesehen, die Autonomie von Menschen in vulnerabler Lage zu schützen, solange – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert – für suizidwillige Personen „nunmehr ausreichende praktische und zumutbare Möglichkeiten bestehen, einen Suizidwunsch zu realisieren“,
39vgl. BVerfG, Beschluss vom 10.12.2020 - 1 BvR 1837/19 -, juris, Rn. 8.
40Dies ist nach den Feststellungen der Kammer in den Urteilen vom 24.11.2020 und des Oberverwaltungsgerichts Münster in den Urteilen vom 02.02.2022 der Fall. Danach bestehen faktisch ausreichende und zumutbare alternative Möglichkeiten, den Suizid mit Hilfe von Sterbehilfeorganisationen oder Ärzten und verschreibungspflichtigen Arzneimitteln zu verwirklichen.
41Diese Feststellungen hat der Antragsteller mit dem vorliegenden Antrag nicht durchgreifend entkräftet. Insbesondere sind die Auskünfte der schweizerischen Sterbehilfeorganisation „EXIT“ von Juli 2020 (Anlage K12) und von Dezember 2021 (Anlage K13) nicht zum Nachweis der Behauptung geeignet, dass Natriumpentobarbital das sicherste und damit einzig zumutbare Mittel zur Selbsttötung sei. Die Auskunft von „EXIT“, dass in 100 % der Fälle die tödliche Wirkung mit 15 g NPB erreicht worden sei, sagt nichts darüber aus, in welcher Weise und nach welcher Zeit die tödliche Wirkung eingetreten ist. Die weitere Darstellung von „EXIT“, dass „kaum Komplikationen“ aufgetreten seien, sich lediglich „in seltenen Einzelfällen“ die Dauer bis zum Eintritt des Todes etwas verlängert habe, ist sehr vage und gibt weder zur Art der Komplikationen noch zur Zahl der Fälle eine Auskunft. In der Auskunft von Dezember 2021 wird im Gegensatz dazu angegeben, in 95 % der Fälle sei der Tod innerhalb von 30 Minuten eingetreten. Daraus lässt sich schließen, dass jedenfalls in 5 % der Fälle der Todeseintritt nicht regelhaft erfolgt ist.
42Zwar mögen die von der Antragsgegnerin beigebrachten Fallstudien aus den 90er Jahren zu Komplikationen mit Barbituraten in den Niederlanden bei der Durchführung des assistierten Suizides methodische Unzulänglichkeiten aufweisen und deshalb als Grundlage für die Feststellung einer konkreten Häufigkeit nur bedingt geeignet sein,
43vgl. Groenewood et al., „Clinical problems with the performance of euthanasia and physician-assisted suicide in the netherlands“, The New England Journal of Medicine, 2000, S. 551 ff.
44Dies ändert jedoch nichts an der vielfach beobachteten Tatsache, dass auch bei der oralen Einnahme von NPB Komplikationen auftreten können, die denen gleichen, die der Antragsteller bei der Anwendung von alternativen Arzneimitteln beklagt, nämlich Erbrechen, Nichteintritt der Bewusstlosigkeit, Aufwachen nach Eintritt der Bewusstlosigkeit, lange Zeitdauer bis zum Eintritt der Bewusstlosigkeit oder des Todes,
45vgl. VG Köln, Urteile vom 24.11.2020 - 7 K13803/17 u.a. -, juris, Rn. 80 ff. und Stellungnahme der Arbeitsgemeinschaft Deutscher Apothekerkammern, Stellungnahme vom 01.07.2020 für das Bundesministerium für Gesundheit.
46Die Behauptung des Antragstellers, Natriumpentobarbital sei das sicherste und daher das einzige geeignete Mittel zur Selbsttötung, könnte letztlich nur durch eine retrospektive wissenschaftliche Vergleichsstudie glaubhaft gemacht werden, die aber nicht existiert.
47Umgekehrt konnte der Antragsteller auch durch die vorgelegten Zahlen und die Fallsammlung des Vereins Sterbehilfe J. zu den Komplikationen mit der dort eingesetzten alternativen Arzneimittelkombination in den Jahren 2021 und 2022 (Anlage Ast 6) nicht darlegen, dass diese Art und Weise der Herbeiführung des Todes für die suizidwilligen Personen und die sie begleitenden Ärzte unzumutbar sei.
48Allein der Umstand, dass der Tod bei der vom Sterbehilfeverein J. eingesetzten Arzneimittelkombination in der Regel erst nach 2 Stunden, mit NPB aber in der Regel nach 30 Minuten eintreten soll, begründet nicht die Unzumutbarkeit. Denn die suizidwillige Person befindet sich im Tiefschlaf bzw. im Zustand der Bewusstlosigkeit, sodass die Zeitdauer bis zum Todeseintritt für sie keine Verlängerung des Leidens darstellen dürfte. Auch für den ärztlichen Sterbehelfer erscheint es nicht unzumutbar, den Patienten über mehrere Stunden bis zum Todeseintritt zu begleiten, da der Zeitpunkt des Todeseintritts individuell unterschiedlich ist und – auch bei der Verwendung von NPB – nicht zuverlässig vorhergesagt werden kann,
49vgl. „Guidelines for the Practice of Euthanasia and Physician-Assisted Suicide“ der niederländischen Ärzte- und Apothekerverbände, August 2012, S. 17, 18.
50Die vom Antragsteller berichteten Fehlschläge und Komplikationen bei der Sterbehilfe J. (Schriftsatz vom 18.01.2022 im Klageverfahren: 3 Fehlschläge und 17 Komplikationen bei 432 Suizidbegleitungen zwischen 2010 und 2021 und Schriftsatz vom 15.11.2022 im Eilverfahren: 11 Fälle von Komplikationen einschl. Fehlschläge bei 217 Suizidbegleitungen zwischen 2021 und 2022 sowie Anlage Ast. 6) betreffen nur eine sehr geringe Anzahl von Fällen, nämlich zwischen 2 und 2,5 %. Hierbei soll der Leidensdruck, der durch Komplikationen bei der Durchführung eines Suizides entstehen kann, keinesfalls verharmlost werden. Es lässt sich nur nicht beweisen, dass in den geschilderten Fällen beim Einsatz von NPB ein günstigerer Verlauf erzielt worden wäre.
51Denn möglicherweise wurden die Komplikationen nicht durch den Wirkstoff, sondern durch die Vorerkrankungen des Betroffenen oder andere Umstände, wie zum Beispiel die gleichzeitige Zufuhr von Cannabis in Fall 4 der Anlage Ast 6, verursacht. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass die von dem betroffenen Verein eingesetzte Kombination (Resochin + Diazepam) oder die Dosierung der Wirkstoffe möglicherweise optimiert werden könnte. In den bereits genannten niederländischen Richtlinien von 2012 zur Suizidassistenz wird beispielsweise vom Einsatz von Benzodiazepinen abgeraten (S. 35). Die nun vorgetragene Häufung von Komplikationen weicht jedenfalls auffällig von der Stellungnahme des Vereins Sterbehilfe J. vom 12.10.2020 ab, die von der Kammer im Verfahren 7 K 583/19 eingeholt wurde. Darin wurde für den Zeitraum von 2010 bis Oktober 2020 lediglich in einem von ca. 300 Fällen von einer Komplikation in Form von Erbrechen berichtet und die Zufuhr mittels eines Injektionsapparates als bisher komplikationslos geschildert.
52Jedenfalls steht mit dem Wirkstoff Thiopental zur intravenösen Anwendung, der inzwischen von der Gesellschaft für humanes Sterben ausschließlich eingesetzt wird, ein verschreibungsfähiges adäquates Mittel zur ärztlichen Suizidbegleitung zur Verfügung, da hierbei die Komplikationen bei oraler Einnahme vermieden werden können,
53vgl. Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben - DGHS: „In der Regelungslücke bilden sich Suizidhilfe-Strukturen aus“, vom 30.10.2021, /Nachrichten/Anno-Fricke-au40.html.; vgl. insoweit auch OVG Münster, Urteile vom 22.02.2022 - 9 A 148/21 u.a. -, juris, Rn. 118 ff.
54Die hiergegen erhobenen Einwände des Antragstellers, die Patienten lehnten dieses Mittel wegen der intravenösen Verabreichung und der fehlenden Anwendungserfahrung ab, ändern nichts an der Einschätzung, dass ein Ausweichen auf diesen Wirkstoff zumutbar erscheint. Auch die beanstandete kurze Wirkdauer von wenigen Minuten hindert die DGHS offenbar nicht an der erfolgreichen Verwendung zur Suizidhilfe in bisher 120 Fällen im Jahr 2021. Es ist anzunehmen, dass der Wirkstoff bei entsprechend hoher Dosierung die erforderliche Wirkdauer erreicht.
55Im Übrigen liegt ein unzumutbarer Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht von Patienten und Ärzten nicht schon deshalb vor, weil der Staat ihnen ein bestimmtes, erwünschtes Mittel zur Selbsttötung bzw. zur Suizidassistenz verwehrt. Denn das Grundrecht verbietet staatliche Eingriffe, die eine humane Durchführung der Selbsttötung praktisch ausschließen; es verpflichtet den Staat aber nicht, die von dem Sterbewilligen gewählte Art der Selbsttötung durch eine Erlaubnisgewährung zu unterstützen. Vielmehr obliegt dem Gesetzgeber innerhalb seines Gestaltungsspielraums die Entscheidung, ob und wie der Zugang zu einer letalen Dosis eines Betäubungsmittels eröffnet wird,
56vgl. OVG Münster, Urteil vom 22.02.2022 - 9 A 148/21 -, juris, Rn. 126 ff.
57Da die Versagung der Erlaubnis zum Erwerb eines letal wirkenden Betäubungsmittels somit nicht verfassungswidrig ist, kommt eine verfassungskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG nicht in Betracht. Eine hohe Wahrscheinlichkeit für ein Bestehen des geltend gemachten Anspruchs besteht somit nicht.
58Dem Antragsteller steht auch kein hinreichender Anordnungsgrund zur Seite. Er kann sich nicht darauf berufen, dass ihm bei einem Abwarten der Hauptsacheentscheidung unzumutbare Nachteile drohen. Denn er kann seinen notleidenden Patienten bereits jetzt zu einem Suizid mit den verfügbaren alternativen Arzneimitteln verhelfen. Im Übrigen kann ihm auch zugemutet werden, wegen des Zugangs zu Natriumpentobarbital auf eine Entscheidung des Gesetzgebers zu warten, da das Gesetzgebungsverfahren bereits eingeleitet wurde.“
59Obgleich im angesprochenen Gesetzgebungsprozess weiterhin keine abschließende Lösung erzielt werden konnte, werden die vorstehenden Überlegungen, die für den Erwerb durch nicht-ärztliche Personen erst recht gelten, durch das aktuelle Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.11.2023 bestätigt. Hiernach ist der Erwerb von NPB zur Selbsttötung grundsätzlich nicht mit dem Zweck des Gesetzes vereinbar, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen. Medizinische Versorgung im Sinne der Vorschrift meint hiernach die Anwendung eines Betäubungsmittels zur Heilung oder Linderung von Krankheiten oder krankhaften Beschwerden. Eine solche therapeutische Zielrichtung kommt der Beendigung des eigenen Lebens nicht zu. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in dem gesetzlichen Erlaubnisvorbehalt einen Eingriff in das vom Bundesverfassungsgericht statuierte Grundrecht auf ein selbstbestimmtes Sterben gesehen, diesen jedoch mit Blick auf die von einem Fehlgebrauch ausgehenden Gefahren und realistische arzneiliche Alternativen für gerechtfertigt erachtet.
60BVerwG, Urteil vom 07.11.2023 - 3 C 8.22 -, Pressemitteilung BVerwG 81/2023, www.bverwg.de.
61Dem schließt sich das erkennende Gericht aus eigener Überzeugung an. Eine vorläufige Regelung zum Erwerb von NPB ist damit nach jeder denkbaren Betrachtungsweise ausgeschlossen.
62Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
63Der Streitwertbeschluss hat seine Rechtsgrundlage in § 53 Abs. 2 Nr. 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG. Eine Reduzierung des Streitwerts im Hinblick auf die Inanspruchnahme von Eilrechtsschutz kommt im vorliegenden Verfahren nicht in Betracht, da der Antrag auf die Erteilung der Genehmigung und damit auf die Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet war.
64Rechtsmittelbelehrung
65Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen entscheidet, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
66Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
67Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
68Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
69Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
70Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
71Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen.
72Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
73Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
74Gegen Ziffer 3 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
75Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
76Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
77Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.