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1. Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der Antrag der Antragstellerin,
3die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung zu verpflichten, es zu unterlassen, in Bezug auf die Antragstellerin im „Wahl-O-Mat“ zur bayerischen Landtagswahl sowie unter https://www.bpb.de/themen/parteien/wer-steht-zur-wahl/bayern-2023/ und https://www.bpb.de/themen/parteien/wer-steht-zur-wahl/bayern-2023/539284/die-linke/ wörtlich oder sinngemäß zu schreiben:
4„Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet offen extremistische Strukturen in der Partei.“,
5hat keinen Erfolg.
6Der Antrag nach § 123 VwGO auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist zulässig, aber nicht begründet.
7Die Voraussetzungen des § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind nicht erfüllt. Danach kann das Verwaltungsgericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn diese Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile oder zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Dies setzt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2 ZPO voraus, dass der Antragsteller einen Anordnungsanspruch (ein subjektiv öffentliches Recht auf das begehrte Verwaltungshandeln) und einen Anordnungsgrund (die besondere Eilbedürftigkeit) glaubhaft macht. Ist der Antrag auf eine (teilweise) Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG allerdings in Betracht, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden könnten.
8Vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 13.08.1999 – 2 VR 1.99 –, juris, Rn. 24, und vom 14.12.1989 – 2 ER 301.89 –, juris, Rn. 3; OVG NRW, Beschluss vom 21.04.2017 – 5 B 467/17 –, juris, Rn. 4 ff.
9Vorliegend ist der Antrag zulässigerweise auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet. Denn der behaupteten Verletzung der Chancengleichheit der Antragstellerin könnte mit einer Hauptsacheentscheidung nach dem Wahltag am 08.10.2023 nicht mehr wirksam begegnet werden. Dies wäre mit Art. 19 Abs. 4 GG unvereinbar.
10Gemessen hieran kommt der Erlass einer einstweiligen Anordnung allerdings nicht in Betracht. Die Antragstellerin hat einen Anordnungsanspruch auf Unterlassung der beanstandeten Äußerung im „Wahl-O-Mat“ zur bayerischen Landtagswahl 2023 sowie auf der Internetseite der Antragsgegnerin nicht glaubhaft gemacht. Eine Verletzung des verfassungsrechtlich gewährleisteten Rechts auf Chancengleichheit bei der Teilnahme an einer Wahl (Art. 20 Abs. 2 Satz 2, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 i. V. m Art. 3 Abs. 1 GG) liegt nicht vor. Entgegen der Auffassung der Antragstellerin greift die Antragsgegnerin bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht unzulässig in den Wahlvorgang ein.
11Dabei ist im Ausgangspunkt zu beachten, dass die Antragsgegnerin durch die Bundeszentrale für politische Bildung (im Folgenden: Bundeszentrale) mit dem „Wahl-O-Mat“ ihren verfassungsrechtlichen Informationsauftrag erfüllt. Hierfür kann sie sich auf die kompetenzielle Rechtsgrundlage in Art. 65 GG berufen. Dabei handelt es sich um die der Bundesregierung zukommende Aufgabe der Staatsleitung, die, ohne dass es darüber hinaus einer besonderen gesetzlichen Eingriffsermächtigung bedürfte, staatliches Informationshandeln legitimieren kann. Namentlich gestattet sie es der Bundesregierung, die Bürger mit solchen Informationen zu versorgen, deren diese zur Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung bedürfen. Angesichts dessen ist es verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden, dass die Bundesregierung eine Bundeszentrale für politische Bildung unterhält, die ihrerseits ein Internetangebot zur politischen Bildung betreibt. Eingebunden in einen Bildungsauftrag ist diese auch nicht von vornherein darauf verwiesen, alle von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungen und alle über Art. 21 Abs. 1 GG geschützten Parteien formal gleich zu behandeln; vielmehr kann sie insoweit auch wertende Unterscheidungen treffen, hat dabei aber Ausgewogenheit und rechtsstaatliche Distanz zu wahren. Hierbei können insbesondere Kriterien wie Qualität und Repräsentativität eine maßgebliche Rolle spielen; insofern ist es der Bundeszentrale für politische Bildung nicht grundsätzlich verwehrt, Extremmeinungen am Rande des politischen Spektrums und solche, die von der Wissenschaft nicht ernst genommen werden, nicht zu berücksichtigen, sie als solche zu bezeichnen und sich demgegenüber auf die Präsentation von Hauptströmungen zu konzentrieren.
12Vgl. BVerfG, Beschluss vom 17.08.2010 – 1 BvR 2585/06 –, NJW 2011, 511 ff = juris, m. w. N.; VG Köln, Beschlüsse vom 20.05.2019 – 6 L 1056/19 –, juris, Rn. 12, und vom 31.08.2021 – 6 L 1538/21 –, juris, Rn. 11.
13Vor Wahlen hat die Bundeszentrale jedoch das Recht der Bewerber auf gleiche Chancen im Wettbewerb um die Wählerstimmen in besonderer Weise zu beachten. Sie ist verpflichtet, jeder Partei grundsätzlich die gleichen Möglichkeiten im Wahlkampf und im Wahlverfahren offen zu halten. Aus der besonderen verfassungsrechtlichen Bedeutung der Parteien, die sie von anderen Institutionen wesentlich unterscheidet, folgt der Anspruch auf Beachtung des Grundsatzes der Chancengleichheit ohne Weiteres als ein Bestandteil der demokratischen Grundordnung mit Verfassungsrang. Die politischen Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes in einer herausgehobenen und von der Verfassung anerkannten Funktion mit. „Kernstück“ dieser Mitwirkung ist die Teilnahme an Parlamentswahlen mit dem Ziel, durch die Entsendung von Abgeordneten an der Bildung funktionsfähiger Verfassungsorgane mitzuwirken.
14Vgl. BVerfG, Urteil vom 02.03.1977 – 2 BvE 1/76 –, BVerfGE 44, 125, 145.
15Die chancengleiche Beteiligung an der politischen Willensbildung des Volkes macht es erforderlich, dass Staatsorgane im politischen Wettbewerb der Parteien Neutralität wahren. Demgemäß wird das Recht, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung teilzunehmen, regelmäßig verletzt, wenn Staatsorgane als solche zugunsten oder zulasten einer politischen Partei oder von Wahlbewerbern auf den Wahlkampf einwirken.
16Vgl. BVerfG, Urteil vom 15.06.2022 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 –, NVwZ 2022, 1113, 1114 (Rn. 73).
17Wird die unverzichtbare Funktion der Parteien dadurch berührt, dass die Chancengleichheit auf Grund von redaktionsähnlichen Maßnahmen der Bundeszentrale verletzt wird, haben die Parteien eine durchsetzbare Rechtsposition zur Wahrung ihrer zentralen Aufgaben jedenfalls im unmittelbaren zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit einer Wahl.
18Vgl. VG Köln, Beschluss vom 18.03.2011 – 6 L 372/11 –, NWVBl. 2011, 325; OVG NRW, Beschluss vom 15.08.2002 – 8 B 1444/02 –, juris, m. w. N.; BayVGH, Beschluss vom 08.10.1990 – 5 CE 90.2929 –, NVwZ 1991, 581. Zur Ausprägung des Neutralitätsgebotes außerhalb von Wahlkampfzeiten vgl. BVerfG, Urteil vom 15.06.2022 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 –, NVwZ 2022, 1113, 1114 (Rn. 74).
19Hiervon ausgehend kann die Antragstellerin einen beachtlichen Verstoß gegen das verfassungsrechtliche Erfordernis der Chancengleichheit in Wahlzeiten nicht geltend machen.
20Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist die Bundeszentrale im Rahmen ihres Informationsauftrages befugt, über die Beobachtung durch den bayerischen Landesverfassungsschutz zu informieren. Der von der Bundeszentrale – im konkreten Fall der bayerischen Landtagswahl als Gemeinschaftsprodukt zusammen mit der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit und dem Bayerischen Jugendring – zur Verfügung gestellte „Wahl-O-Mat“ soll dem Nutzer zu einer Auseinandersetzung mit den Inhalten der zur Wahl stehenden Parteien und damit zu einer bewussten Entscheidung bei der Wahl verhelfen. Das eigentliche „Wahl-O-Mat“-Angebot, bei dem die Nutzer ihre eigene Meinung zu bestimmten Thesen mit den Standpunkten der Parteien vergleichen können, wird ergänzt durch das Informationsangebot „Wer steht zur Wahl?“. Dort werden in komprimierter Form die Parteiprofile aller Parteien vorgestellt, die zur Landtagswahl in Bayern antreten. Auf einer Übersichtsseite findet sich zu jeder Partei deren Logo sowie eine maximal drei kurze Sätze umfassende Kurzbeschreibung. Durch einen Klick auf die Partei gelangen die Nutzer zu einer ausführlicheren Darstellung der jeweiligen Partei. Im Falle der Antragstellerin enthält die Kurzbeschreibung den Satz:
21„Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet offen extremistische Strukturen in der Partei.“
22In den ausführlicheren Informationen findet heißt es:
23„Das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die ,offen extremistischen Strukturen‘ in der Partei: den Landesverband der T.] sowie der Landesverband des ,I..“
24Die Kurzbeschreibung ist auch direkt im „Wahl-O-Mat“ nach Beantwortung der Thesen bei der Auswahl der Parteien verfügbar, die in den Vergleich aufgenommen werden sollen. Mit der von der Antragstellerin beanstandeten Äußerung bewegt sich die Bundeszentrale im Rahmen ihrer Informationskompetenz. Es handelt sich um einen Hinweis mit Informationswert in Bezug auf die Antragstellerin. Er gibt dem Bürger die Möglichkeit zur eigenverantwortlichen Mitwirkung an der politischen Willensbildung. Der Hinweis bezieht sich auf Kapitel 7 des Verfassungsschutzberichts des Bayerischen Landesamtes für Verfassungsschutz aus dem Jahr 2022. Dort heißt es unter der Überschrift „7.1 Offen extremistische Strukturen in der Partei DIE LINKE“:
25„Innerhalb der Partei ,DIE LINKE.‘ gibt es mehrere offen extremistische Strukturen, die auf eine Überwindung der freiheitlichen Staats- und Gesellschaftsordnung abzielen. Sie stellen teilweise die parlamentarische Demokratie infrage, sprechen der rechtsstaatlichen Ordnung die Legitimation ab oder unterhalten Kontakte zu gewaltorientierten Autonomen. Diese offen extremistischen Untergliederungen versuchen, auf die Partei ,DIE LINKE.‘ Einfluss zu nehmen.“
26Im Anschluss befasst sich der Verfassungsschutzbericht eingehend mit den „Strukturen“ X. Landesverband Bayern (7.1.1) und DIE.LINKE. V. – Landesverband Bayern (7.1.2).
27Soweit die Antragstellerin den Bezug der Aussage zur Antragstellerin und damit den Wahrheitsgehalt der Äußerung in Abrede stellt, da nicht die Antragstellerin selbst durch das Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet werde, dringt sie damit nicht durch. Denn die fragliche Äußerung in der Kurzbeschreibung bezieht sich auf „Strukturen in der Partei“, während das ausführlichere Parteiprofil mitteilt, welche beiden Beobachtungsobjekte damit gemeint sind. Eine Beobachtung der Antragstellerin als politische Partei selbst wird nicht behauptet. Zudem handelt es sich bei den beobachteten Landesverbänden um Gruppierungen, die zu der Antragstellerin als zugehörig gezählt werden können. Nach § 11 Abs. 1 der Bundessatzung der Antragstellerin, zuletzt geändert durch Beschlüsse des Parteitages am 24. bis 26.06.2022 in Erfurt – Bundessatzung –, ist die Vereinigung T.] als parteinaher Jugendverband die Jugendorganisation der Partei. DIE LINKE. W. ist der parteinahe Hochschulverband. Gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 Bundessatzung sind alle Mitglieder der Partei bis zur Altersgrenze des Jugendverbandes passive Mitglieder des Jugendverbandes, sofern sie dem nicht widersprechen. In § 11 Abs. 7 Bundessatzung sind aktive Mitwirkungs-, Stimm- und Wahlrechte für bestimmte Mitglieder des Jugendverbandes vorgesehen. Die vorstehenden Regelungen gelten für A. entsprechend; dieser ist Bestandteil des Jugendverbandes (§ 11 Abs. 8 Sätze 1 und 2 Bundessatzung). Die Antragstellerin selbst spricht in Bezug auf die vorgenannten Vereinigungen von ihren Jugendverbänden,
28vgl. die Übersicht auf der Webseite der Antragsgegnerin unter https://www.die-linke.de/partei/parteidemokratie/.
29Vor diesem Hintergrund und unter Berücksichtigung der engen auch personellen Verflechtung ist die Formulierung „in der Partei“ mit Bezug auf die Antragstellerin als Gesamtpartei nicht zu beanstanden.
30Soweit die Antragstellerin die Informationstätigkeit der Bundeszentrale im Hinblick auf Landtagswahlen als Überschreitung ihrer Zuständigkeit betrachtet, kann dem nicht gefolgt werden. Der Informations- und Bildungsauftrag der Bundeszentrale verfolgt mit dem Ziel, bei den Bürgern Verständnis für politische Sachverhalte zu fördern, das demokratische Bewusstsein zu festigen und die Bereitschaft zur politischen Mitarbeit zu stärken,
31vgl. § 2 des Erlasses über die Bundeszentrale für politische Bildung vom 24.01.2001,
32eine gesamtstaatliche Aufgabe, die sich insbesondere im Zusammenhang mit Parlamentswahlen stellt. Der erforderliche Landesbezug wird – wie auch hier – durch das Zusammenwirken mit den jeweiligen Landeszentralen gewährleistet.
33Vgl. VG Köln, Beschluss vom 18.03.2011 – 6 L 372/11 –, NWVBl. 2011, 325
34Für den Hinweis auf die Beobachtung durch den Verfassungsschutz muss sich die Bundeszentrale entgegen der Auffassung der Antragstellerin nicht auf eine verfassungsschutzrechtliche Ermächtigungsgrundlage stützen können. Die Bundeszentrale nimmt bei der hier streitigen Informationstätigkeit zur Förderung der Mitwirkung an der demokratischen Willensbildung keine spezifischen Kompetenzen der Verfassungsschützer wahr, sondern beschreibt (lediglich) die Tatsache, dass das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz Strukturen innerhalb der Antragstellerin im Verfassungsschutzbericht erwähnt, mithin diese aus den dort genannten Gründen beobachtet. Insoweit nimmt die Bundeszentrale die bereits dargestellte verfassungsrechtliche Befugnis aus Art. 65 GG in Anspruch.
35Die beanstandete Äußerung der Bundeszentrale wahrt auch die Grenzen öffentlicher Informationstätigkeit. Insbesondere stellt sie keinen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot dar. Die Zulässigkeit der Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung endet dort, wo Werbung für oder Einflussnahme gegen einzelne im politischen Wettbewerb stehende Personen oder Parteien beginnt.
36Vgl. BVerfG, Urteil vom 15.06.2022 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 –, NVwZ 2022, 1113, 1119 (Rn. 115).
37Einseitige Parteinahmen während des Wahlkampfs verstoßen gegen die Neutralität des Staates gegenüber politischen Parteien und verletzen die Integrität der Willensbildung des Volkes durch Wahlen und Abstimmungen.
38Vgl. BVerfG, Urteil vom 15.06.2022 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 –, NVwZ 2022, 1113, 1114 (Rn. 73).
39Davon kann hier keine Rede sein. Die Bundeszentrale enthält sich bei der bloßen Mitteilung der Tatsache, wonach Beobachtungen offen extremistischer Strukturen innerhalb der Antragstellerin durch den Verfassungsschutz stattfinden, jeglicher Wertung. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass sie selbst eine Einordnung dieser Beobachtungsobjekte als offen extremistisch vornimmt. Vielmehr macht sie in der Darstellung des Parteiprofils durch die Verwendung von Anführungszeichen („“) deutlich, dass es sich bei dieser Beschreibung um ein Zitat und damit eine Einstufung durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz handelt. Dass diese Anführungszeichen in der Kurzbeschreibung fehlen, ist nach Auffassung der Kammer unschädlich. Denn die erkennbar stark komprimierten Angaben in der Kurzbeschreibung werden durch das dazugehörige ausführlichere Parteiprofil konkretisiert und ergänzt.
40Vor dem Hintergrund der Wertungsfreiheit der beanstandeten Mitteilung greift die Bundeszentrale nicht zulasten der Antragstellerin in den politischen Wettbewerb ein. Eine verfassungsrechtlich relevante Ungleichbehandlung gegenüber politischen Mitbewerbern liegt nicht vor. Im Gegenteil hat die Bundeszentrale durch verbindliche Vorgaben gegenüber den Autoren der Parteiprofile dafür Sorge getragen, dass nicht in gleichheitswidriger Weise über die zur Wahl stehen Parteien informiert wird. Die jeweiligen Autoren müssen sich bei der Erstellung der Texte an den „Leitfaden für die Erstellung von Parteiprofilen für das Angebot „Wer steht zur Wahl?“ der Bundeszentrale für politische Bildung (Bl. 22 ff. der Beiakte) halten. Für die hier streitgegenständliche Äußerung findet sich folgende Vorgabe in Bezug auf den Textteil, der sich der Beschreibung von Geschichte und Entwicklung sowie der generellen programmatischen Ausrichtung der Partei widmet:
41„Bei aktueller Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden: Erwähnung der Beobachtung durch Bundes-VS und Landes-VS, ggf. Art der Beobachtung und Art und Umfang der verfassungsfeindlichen Bestrebungen in der Partei“.
42Über den Umstand einer aktuellen Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden des Bundes oder der Länder werden die Nutzer damit ausnahmslos bei allen Parteien informiert, sofern dies zutrifft. Dadurch ist gewährleistet, dass über im Wesentlichen gleichgelagerte Sachverhalte in gleicher Weise berichtet wird. In diesem Zusammenhang ist auch nicht zu beanstanden, dass die Bundeszentrale der Tatsache einer Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden eine mitteilungswerte Relevanz beimisst. Es liegt aus Sicht der Kammer auf der Hand, dass der Umstand, dass eine politische Partei oder Strukturen innerhalb einer politischen Partei aktuell im Visier der Verfassungsschutzbehörden steht bzw. stehen, gegenüber den informationssuchenden Bürgern nicht verschwiegen werden kann. Um den Wählern die Möglichkeit zu geben, ihre Wahlentscheidung auf einer fundierten Grundlage treffen zu können, dürfen auch für die betroffene Partei unliebsame Informationen nicht vorenthalten werden, insbesondere wenn es um Gefahren für die freiheitlich demokratische Grundordnung geht.
43Selbst wenn – entgegen der hier vertretenen Auffassung – die streitgegenständliche Information durch die Bundeszentrale geeignet wäre, zum Nachteil der Antragstellerin in den politischen Wettbewerb einzugreifen und sie dadurch in ihrem Recht auf Chancengleichheit beeinträchtigt wäre, müsste die Äußerung als gerechtfertigt angesehen werden. Wie bereits dargestellt, handelt die Bundeszentrale bei der Bereitstellung der Angebote „Wahl-O-Mat“ und „Wer steht zur Wahl?“ in Erfüllung ihres Informations- und Bildungsauftrags. Die streitige Äußerung beachtet mangels Werturteils das Neutralitätsgebot. Zudem ist sie weder polemisch noch unsachlich und stellt somit keinen Verstoß gegen das für staatliches Informationshandeln geltende Sachlichkeitsgebot dar.
44Vgl. zur Rechtfertigungsrelevanz des Sachlichkeitsgebots BVerfG, Urteil vom 15.06.2022 – 2 BvE 4/20, 2 BvE 5/20 –, NVwZ 2022, 1113, 1122 (Rn. 152) m. w. N.
45Die Antragstellerin kann sich auch nicht mit Erfolg auf eine Ungleichbehandlung mit der ebenfalls zur Wahl stehenden E. (J.) berufen. Denn auch bei dieser Partei informiert die Bundeszentrale über eine aktuelle Beobachtung durch Verfassungsschutzbehörden. So heißt es in deren Kurzbeschreibung:
46„Sie wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall für rechtsextremistische Bestrebungen geführt.“
47Im ausführlicheren Parteiprofil der J. führt die Bundeszentrale zu diesem Punkt näher aus:
48„Sowohl die J. als auch ihre Nachwuchsorganisation ,R.‘ werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfälle für rechtsextremistische Bestrebungen geführt. Um diese und zum Teil weiterführende Einstufungen befindet sich die Partei in einem Rechtsstreit mit dem Bundesamt. Auch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet die ,R.‘ in Bayern und führt sie im aktuellen Verfassungsschutzbericht 2022 unter ,Rechtsextremistische Parteien und parteinahe Strukturen‘ auf.“
49Worin bei dieser Art und Weise der Information eine Benachteiligung der Antragstellerin liegen soll, erschließt sich der Kammer nicht. Soweit die Antragstellerin die fehlende Erwähnung der Beobachtung der Jugendorganisation der J. durch den Verfassungsschutz in der Kurzbeschreibung beanstandet, dringt sie damit nicht durch. Denn in der Kurzbeschreibung können ersichtlich nicht sämtliche relevanten Informationen untergebracht werden, weshalb gegen die alleinige Erwähnung der bei verständlicher Sicht erheblich schwerer wiegenden Tatsache einer Einstufung der Gesamtpartei durch das Bundesamt für Verfassungsschutz als Verdachtsfall für rechtsextremistische Bestrebungen keine rechtlichen Bedenken bestehen. Wie dargestellt wird die Beobachtung der „N.“ nicht etwa verschwiegen, sondern in dem hinter der Kurzbeschreibung verlinkten ausführlicheren Parteiprofil ausdrücklich angesprochen.
50Ferner kann die Antragstellerin im vorliegenden Verfahren mit der angeblichen Rechtswidrigkeit der Beobachtung ihrer Jugendverbände durch das Bayerische Landesamt für Verfassungsschutz nicht gehört werden. Die Bundeszentrale informiert in neutraler und sachlicher Weise über die vorgenannte Tatsache, ohne sich zu deren Rechtmäßigkeit zu äußern oder diese bei ihrer Mitteilung zu implizieren. Sie muss ihrem Hinweis auf den Inhalt des Verfassungsschutzberichtes des Jahres 2022 für Bayern keine Prüfung voranstellen, ob die jeweiligen Einschätzungen und Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörden ihrerseits rechtmäßig sind. Dementsprechend findet auch eine Inzidentkontrolle der verfassungsschutzrechtlichen Maßnahmen im Rahmen des vorliegenden gerichtlichen Verfahrens nicht statt. Dass sich die Bundeszentrale einer wertenden Beurteilung im Sinne eines Rechtmäßigkeits- bzw. Rechtswidrigkeitsurteils enthält, lässt sich auch der Darstellung des Parteiprofils der J. entnehmen. Dort informiert die Bundeszentrale über die Einstufungen der Partei und ihrer Nachwuchsorganisation durch das Bundesamt für Verfassungsschutz einerseits und über die Tatsache, dass insoweit ein Rechtsstreit geführt wird. Die Antragstellerin ihrerseits muss sich darauf verweisen lassen, gegen für rechtswidrig erachtete Maßnahmen der Verfassungsschützer den dafür vorgesehenen Rechtsschutz zu suchen, worüber die Bundeszentrale im Folgenden berichten könnte.
51Soweit sich die Antragstellerin schließlich durch die Formulierungen in der Überschrift des Kapitels 6.1 im Vergleich zu derjenigen des Kapitels 7.1 im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2022 für Bayern benachteiligt sieht, gilt das oben Gesagte entsprechend. Auch insoweit muss sich die Antragstellerin auf den Rechtsschutz gegen die eigentlich als rechtswidrig empfundene Maßnahme verweisen lassen.
52Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
53Die Streitwertentscheidung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. In Anlehnung an Ziffer 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit wird von einer Reduktion des Auffangstreitwerts für das vorliegende Eilverfahren abgesehen, weil die Antragstellerin eine Vorwegnahme der Hauptsache begehrt.
54Rechtsmittelbelehrung
55Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
56Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
57Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
58Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
59Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
60Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
61Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
62Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
63Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.