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1. Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung aufgegeben, der Antragstellerin in schriftlicher Form darüber Auskunft zu erteilen, wie viele Menschen in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2010, 2015, 2020 und 2022 Diamorphin als Substitutionsmittel erhalten haben.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
3der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, ihr in schriftlicher Form über die Frage Auskunft zu erteilen, wie viele Menschen in Nordrhein-Westfalen in den Jahren 2010, 2015, 2020 und 2022 Diamorphin als Substitutionsmittel erhalten haben,
4hat Erfolg.
5Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn diese Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 ZPO). Ist der Antrag – wie vorliegend – auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet, so sind an die Glaubhaftmachung von Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch erhöhte Anforderungen zu stellen. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung kommt nur dann in Betracht, wenn ein Obsiegen des Antragstellers in der Hauptsache bei summarischer Prüfung mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist und dem Antragsteller ohne den Erlass einer einstweiligen Anordnung schwere und unzumutbare Nachteile entstünden, die auch bei einem späteren Erfolg in der Hauptsache nicht mehr beseitigt werden können.
6Vgl. VG Köln, Beschlüsse vom 25.04.2018 – 6 L 4777/17 –, juris, Rn. 12 m. w. N., vom 09.02.2017 – 6 L 2426/16 –, juris, Rn. 5 m. w. N., und vom 28.08.2009 – 6 L 918/09 –, juris, Rn. 9; VG Berlin, Beschluss vom 23.10.2019 – 27 L 98.19 –, juris, Rn. 69.
7Die Antragstellerin hat sowohl einen Anordnungsgrund (I.) als auch einen Anordnungsanspruch (II.) glaubhaft gemacht.
8I. Ein Anordnungsgrund ist hinreichend glaubhaft gemacht.
9Mangels einer einfachgesetzlichen Regelung des Bundesgesetzgebers verleiht das Grundrecht der Pressefreiheit (Art. 19 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG) Presseangehörigen, zu denen die Antragstellerin gehört, einen verfassungsunmittelbaren Anspruch auf Auskunft gegenüber Bundesbehörden, soweit die Landespressegesetze wegen einer entgegenstehenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes auf sie nicht anwendbar sind. Das Grundrecht der Pressfreiheit ist nach seinem Wesen auch auf die Antragstellerin als inländische juristische Person anwendbar, vgl. Art. 19 Abs. 3 GG.
10BVerfG, Beschluss vom 08.10.1996 – 1 BvR 1183/90 –, juris, Rn. 25.
11Die vorbezeichneten Voraussetzungen treffen auf die gegenüber der Antragsgegnerin geltend gemachten Auskunftsansprüche zu, da die Anspruchsgrundlage des § 4 Abs. 1 LPresseG NRW gegenüber dem Bundesministerium für Gesundheit nicht zur Anwendung gelangt; der Behördenbegriff des § 4 Abs. 1 LPresseG NRW erfasst nur Behörden im Sinne des Landesrechts. Der Inhalt des presserechtlichen Auskunftsanspruchs wird maßgeblich durch die Funktionen bestimmt, die die Presse in der freiheitlichen Demokratie erfüllt. Ihr kommt neben einer Informations- insbesondere eine Kontrollfunktion zu. Eine effektive, funktionsgemäße Pressetätigkeit setzt voraus, dass Journalisten in hinreichendem Maß von staatlichen Stellen Auskunft über Angelegenheiten erhalten, die nach ihrem Dafürhalten von öffentlichem Interesse sind. Aufgrund des in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Auskunftsanspruchs können Pressevertreter behördliche Auskünfte verlangen, soweit berechtigte schutzwürdige Interessen Privater oder öffentlicher Stellen an der Vertraulichkeit nicht entgegenstehen. Der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch fordert eine einzelfallbezogene Abwägung des Informationsinteresses der Presse mit gegenläufigen schutzwürdigen Interessen, wobei allerdings eine Bewertung und Gewichtung des Informationsinteresses der Presse grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Entscheidend ist vielmehr, ob dem Informationsinteresse der Presse schutzwürdige Interessen von solchem Gewicht entgegenstehen, die den presserechtlichen Auskunftsanspruch ausschließen; aus Art. 10 EMRK ergibt sich insoweit nichts anderes.
12Vgl. BVerwG, Urteile vom 16.03.2016 – 6 C 65.14 –, juris, Rn. 17 ff., und vom 30.01.2020 – 10 C 18.19 –, juris, Rn. 27 ff., sowie Beschlüsse vom 23.03.2021 – 6 VR 1.21 –, juris, Rn. 17, und vom 20.03.2018 – 6 VR 3.17 –, juris, Rn. 15 f. jeweils m. w. N.
13Die Berechtigung von Vertraulichkeitsinteressen, die dem verfassungsunmittelbaren Auskunftsanspruch entgegenstehen können, bestimmt sich in Abhängigkeit von dem Regelungsspielraum, über den der Gesetzgeber bei der Ausgestaltung behördlicher Auskunftspflichten verfügt. Der Auskunftsanspruch ist demnach durch Vertraulichkeitsinteressen ausgeschlossen, die der Gesetzgeber für die gegebene Sachkonstellation als Ausschlussgrund normieren dürfte. Entscheidend ist, ob der Gesetzgeber berechtigt wäre, dem betroffenen Vertraulichkeitsinteresse für die gegebene Sachkonstellation Vorrang vor dem Informationsinteresse der Presse einzuräumen.
14OVG NRW, Beschluss vom 05.03.2021 – 15 B 1107/20 –, juris, Rn. 9 ff. m. w. N.
15Zur Bestimmung des Stellenwerts von Vertraulichkeitsinteressen können als Orientierungshilfe die gesetzlich geregelten allgemeinen und bereichsspezifischen Ausschlussgründe der Informationsfreiheitsgesetze herangezogen werden. Diese Gesetze begründen Informationszugangsansprüche, die nicht grundrechtlich fundiert sind. Die Entscheidung des Gesetzgebers, zugunsten bestimmter Vertraulichkeitsinteressen den informationsfreiheitsrechtlichen Informationszugang nach dem Informationsfreiheitsgesetz oder nach bereichsspezifischen Gesetzen auszuschließen, besagt allerdings noch nicht, dass es verfassungskonform wäre, diesen Interessen auch Vorrang vor dem Informationsinteresse der Presse einzuräumen. Ob ein solcher Vorrang zulässig wäre, bedarf der eigenständigen Prüfung anhand der Maßgabe der Sicherung einer effektiven funktionsgemäßen Betätigung der Presse.
16OVG NRW, Beschluss vom 05.03.2021 – 15 B 1107/20 –, juris, Rn. 15.
17Der im vorstehend beschriebenen Umfang durch Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistete Informationszugang beschränkt sich allerdings auf die bei der informationspflichtigen Stelle tatsächlich vorhandenen Informationen. Das sind diejenigen Informationen, die zum Zeitpunkt des begehrten Informationszugangs tatsächlich vorliegen.
18Vgl. BVerwG, Urteil vom 20.02.2013 – 6 A 2.12 –, juris, Rn. 30.
19Unter die vorhandenen Informationen fallen solche, die elektronisch gespeichert oder verschriftlicht in Akten oder Vorgängen vorhanden sind.
20Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 08.06.2022 – 6 B 1/21 –, juris, Rn. 47. Ferner OVG Bremen, Urteil vom 30.10.2019 – 1 LB 118/19 –, juris, Rn. 90, nachfolgend BVerwG, Urteil vom 26.04.2021 – 10 C 1.20 –, juris, Rn. 25.
21So liegen die Dinge hier. Aus der Mitteilungspflicht nach § 13 Abs. 3 Betäubungsmittelgesetz (nachfolgend: BtMG) i. V. m. Anlage III zu § 1 Abs. 1 BtMG i. V. m. § 5b Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Betäubungsmittelverschreibungsverordnung (nachfolgend: BtMVV) folgt, dass die entsprechenden Daten für das jeweilige Bundesland über die Anzahl der mit Diamorphin substituierten Personen – ggfs. aufgeschlüsselt nach Überwachungsbereichen – vorhanden sind.
22Die im hiesigen Fall in Streit stehenden Interessen – schutzwürdige private Interessen der Patienten (hierzu unter 1.), Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der Ambulanzen (hierzu unter 2.) und Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs (hierzu unter 3.) – laufen dem Auskunftsanspruch nicht zuwider.
231. Schutzwürdige private Interessen, denen bei der durchzuführenden Abwägung Vorrang vor dem in Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG verankerten Informationsinteresse der Presse zuzubilligen sein kann, können sich insbesondere aus den Grundrechten Dritter ergeben. Die praktische Konkordanz zwischen den konfligierenden Grundrechtspositionen der Presse und des privaten Dritten, die im Anwendungsbereich der Landespressegesetze auf einfachgesetzlicher Grundlage hergestellt werden kann, muss bei Auskunftsbegehren der Presse gegenüber Bundesbehörden mangels einer Regelung des Bundesgesetzgebers im einfachen Recht im Rahmen der Auslegung und Anwendung des Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG hergestellt werden. Setzt sich der verfassungsunmittelbare Auskunftsanspruch im Rahmen der durchzuführenden Abwägung durch, ist verfassungsrechtlich determiniert, dass die Belange der Presse überwiegen. In diesem Fall erweist sich Art. 5 Abs. 1 Satz 2 GG zugleich als hinreichende Ermächtigung für die mit der Auskunftserteilung verbundenen Eingriffe in die Grundrechte Dritter.
24Vgl. BVerwG, Urteil vom 18.09.2019 – 6 A 7.18 –, juris, Rn. 21 f. m. w. N.
25Ein presserechtlicher Auskunftsanspruch ist nicht bereits wegen § 5b BtMVV generell ausgeschlossen. Es besteht entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin keine abwägungsfeste Bereichsausnahme, die einer vollen gerichtlichen Überprüfbarkeit des streitgegenständlichen Sachverhalts entgegenstünde.
26Vgl. zu einer solchen OVG NRW, Urteil vom 10.09.2019 – 15 A 2751/15 –, juris, Rn. 91 ff.; BVerwG, Urteil vom 18.09.2019 – 6 A 7.18 –, juris, Rn. 15; VG Köln, Beschlüsse vom 30.12.2022 – 6 L 903/19 –, juris, n. v., und vom 05.08.2021 – 6 L 575/19 –, juris, Rn. 44.
27Nach § 5b Abs. 1 Satz 1 BtMVV führt das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (Bundesinstitut) für die Länder als vom Bund entliehenes Organ ein Register mit Daten über das Verschreiben von Substitutionsmitteln (Substitutionsregister). Die Daten des Substitutionsregisters dürfen nur verwendet werden, um das Verschreiben eines Substitutionsmittels durch mehrere Ärzte für denselben Patienten und denselben Zeitraum frühestmöglich zu unterbinden (Nr.1), zu überprüfen, ob die ein Substitutionsmittel verschreibenden Ärzte die Mindestanforderungen nach § 5 Absatz 3 Satz 1 oder die Anforderungen nach § 5 Absatz 4 Satz 1 erfüllen (Nr. 2) sowie das Verschreiben von Substitutionsmitteln entsprechend den Vorgaben nach § 13 Abs. 3 Nr. 3 Buchstabe e des Betäubungsmittelgesetzes statistisch auszuwerten (Nr. 3).
28Aus dem Regelungsgehalt dieser Norm kann jedoch entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin nicht abgeleitet werden, ein presserechtlicher Auskunftsanspruch scheide von vornherein aus.
29Denn der Schutzzweck des § 5b Abs. 1 BtMVV zielt erkennbar auf den Schutz persönlicher Daten der betroffenen Patienten und den Schutz des Lebens und der Gesundheit von potenziell zu Substituierenden. Zudem dient die Norm dem Schutz der Volksgesundheit mit Blick auf die Gefahren einer Doppelsubstitution. Im Fall einer Mehrfachsubstitution besteht die Gefahr, dass die auf diese Weise erworbenen Suchtstoffe nicht nur für den Eigenbedarf verwendet, sondern auch in der Szene gehandelt werden.
30Vgl. Weber, in: Weber/Kornprobst/Maier, 6. Aufl. 2021, Betäubungsmittelgesetz, § 13 BtMG Rn. 149 f.
31Insoweit trifft die Norm in ihrem Anwendungsbereich – anders als etwa Ausschlusstatbestände für die Erteilung von Informationen durch staatlichen Stellen, die sich in ihrem Anwendungsbereich unmittelbar auf die Informationsgewinnung als solche beziehen – keine Regelung für die Preisgabe von Auskünften durch staatliche Stellen. Insbesondere kann auch aus der Verwendung des Wortes „nur“ nicht der Umkehrschluss gezogen werden, presserechtliche Auskünfte schieden von vornherein aus. Vielmehr ist in keiner Weise erkennbar, dass der Verordnungsgeber – unabhängig davon, ob eine entsprechende Beschränkung im Lichte des Art. 5 GG überhaupt verfassungsgemäß wäre – eine beschränkende Regelung mit Blick auf etwaige presserechtliche Auskunftsansprüche schaffen wollte.
32Gleiches gilt für den Einwand, die Auskunftserteilung sei wegen § 13 Abs. 3 Satz 5 BtMG ausgeschlossen. Nach § 13 Abs. 3 Satz 2 Nr. 3 BtMG dürfen die Empfänger die übermittelten Daten nicht für einen anderen als den in § 13 Abs. 3 Satz 1 BtMG genannten Zweck verwenden. Dass es sich hierbei um eine Bereichsausnahme für presserechtliche Auskunftsansprüche handelt, die eine Abwägung der widerstreitenden Adressen ohne Weiteres ausschließt, ist angesichts des Schutzzwecks der Norm, der demjenigen des § 5b BtMVV entspricht (s.o.), nicht ersichtlich.
33Die hier begehrte Auskunft betrifft zudem ohnehin schon keine privaten Interessen. Insbesondere ist bei summarischer Prüfung nicht von einem Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung der mit Diamorphin substituierten Patienten auszugehen. Denn der Auskunftsanspruch beschränkt sich auf die Benennung der bloßen Anzahl der Menschen, die in den entsprechenden Jahren in Nordrhein-Westfalen mit Diamorphin substituiert wurden. Es ist nicht ersichtlich und von der Antragsgegnerin auch nicht vorgetragen, dass allein aus der Benennung der abstrakten Anzahl der Menschen, die in den Jahren 2010, 2015, 2020 und 2022 in Nordrhein-Westfalen mit Diamorphin substituiert wurden, Rückschlüsse auf konkrete Patientendaten möglich sind. Insbesondere bezieht sich die Auskunft auf das ganze Land Nordrhein-Westfalen. Ihre Vermutung, bei Beantwortung des Auskunftsanspruchs würden Patientendaten offengelegt, hat die Antragsgegnerin in keiner Weise substantiiert.
342. Der begehrten Auskunft stehen auch keine Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse im Sinne von § 6 Satz 2 IFG der betreffenden mit Diamorphin substituierenden Arztpraxen entgegen.
35Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse umfassen alle auf ein Unternehmen bezogenen Tatsachen, Umstände und Vorgänge, die nicht offenkundig, sondern nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind und an deren Nichtverbreitung der Rechtsträger ein berechtigtes Interesse hat. Betriebsgeheimnisse betreffen dabei im Wesentliches technisches, Geschäftsheimnisse vornehmlich kaufmännisches Wissen. Ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse ist anzuerkennen, wenn die Offenlegung der Information geeignet ist, den Konkurrenten exklusives technisches oder kaufmännisches Wissen zugänglich zu machen und so die Wettbewerbsposition des Unternehmens nachhaltig zu beeinflussen (Wettbewerbsrelevanz). Der erforderliche Wettbewerbsbezug kann fehlen, wenn die Informationen abgeschlossene Vorgänge ohne Bezug zum heutigen Geschäftsbetrieb betreffen.
36Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 29. Juli 2022 – 15 B 1177/21 –, juris, Rn. 35
37Geschäftsgeheimnisse zielen auf den Schutz kaufmännischen Wissens. Zu den Geschäftsgeheimnissen zählen unter anderem Umsätze, Ertragslagen, Geschäftsbücher, Kundenlisten, Bezugsquellen, Konditionen, Marktstrategien, Informationen zur Kreditwürdigkeit und Kalkulationsunterlagen. Auch konkrete Vertragsgestaltungen, das heißt ein bestimmtes Vertragswerk, können als Geschäftsgeheimnis geschützt sein.
38Vgl. BVerwG, Urteil vom 24.11.2015 – 20 F 4.14 –, juris, Rn. 20; OVG NRW, Beschluss vom 13.11.2023 – 15 B 1053/22 –, UA S. 12 n. v.
39Die Schutzwürdigkeit nach § 6 Satz 2 IFG vertraulicher Informationen wird dabei in der Regel mit der Zeit abnehmen. So hängt es vom jeweils aktuellen geschäftlichen Umfeld ab, ob der Informationszugang mit wirtschaftlichen Nachteilen für das Unternehmen verbunden ist. Folglich können Angaben, wenn sie als veraltet anzusehen sind, ihre Bedeutung verlieren. Daran anschließend wird sich eine widerlegliche Vermutung dahingehend aufstellen lassen, dass Angaben, die geheim oder vertraulich waren, aber mindestens fünf Jahre alt sind, aufgrund des Zeitablaufs grundsätzlich als nicht mehr aktuell und deshalb als nicht mehr vertraulich anzusehen sind, wenn nicht ausnahmsweise die Partei, die sich auf die Vertraulichkeit beruft, nachweist, dass sie trotz ihres Alters immer noch wesentlicher Bestandteil ihrer eigenen oder der wirtschaftlichen Stellung eines betroffenen Dritten sind.
40Vgl. BVerwG, Vorlagebeschluss vom 04.11.2015 – 7 C 4.14 –, juris, Rn. 31; OVG NRW, Urteile vom 22.05.2019 – 15 A 873/18 –, juris, Rn. 150 ff., und vom 21.11.2018 – 15 A 861/17 –, juris, Rn. 123 ff., sowie Beschluss vom 13.11.2023 – 15 B 1053/22 –, UA S. 13 n. v.
41Gemessen hieran ist für die Offenlegung der abstrakten Zahl der in Nordrhein-Westfalen mit Diamorphin Substituierten für die Jahre 2010 und 2015 nicht anzunehmen, dass Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse der in diesem Jahr bereits existierenden Ambulanzen dem presserechtlichen Auskunftsersuchen entgegenstehen. Von dem Auskunftsersuchen in diesem Zeitraum sind jedenfalls das Universitätsklinikum Bonn., das seit 2002 Menschen mit Diamorphin behandelt,
42vgl. https://www.dw.com/de/zehn-jahre-bonner-suchtambulanz/a-15769461, zuletzt abgerufen am 06.11.2023,
43und die mindestens seit 2009 existierende Substitutionsambulanz in Köln,
44vgl. BT-Drs. 19/9569, S. 4,
45betroffen. Für die Widerlegung der Vermutung ist hier im Lichte des Beteiligtenvortrags nichts ersichtlich. Unabhängig davon ist hinsichtlich dieser beiden von der öffentlichen Hand betriebenen Abgabestellen ohnehin nicht davon auszugehen, dass von dem etwaigen Bekanntwerden genauer Patientenzahlen unternehmerische Belange berührt würden.
46Aber auch für die übrigen Jahre (2020, 2022) ist insoweit weder hinreichend substantiiert worden noch sonst ersichtlich, dass durch die bloße Benennung der Anzahl der landesweiten Substitutionspatienten in den jeweiligen Jahren Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse der entsprechenden Ambulanzen betroffen sind. Dabei mag hier dahinstehen, inwieweit es sich bei den aus einer konkreten Patientenzahl möglicherweise ermittelbaren Umsätzen für Diamorphinbehandlungen überhaupt um schützenswerte Unternehmenszahlen handelt, nachdem ein Wettbewerb unter den Diamorphinambulanzen um Patienten eher fernliegt und ein solcher auch kaum mit den in § 5a BtMVV niedergelegten strengen Voraussetzungen für den Betrieb einer Diamorphinsubstitutionseinrichtung und die Abgabe von Diamorphin zur Behandlung einer schweren Opioidabhängigkeit in Einklang zu bringen sein dürfte.
47Die Antragsgegnerin beruft sich für ihre Auskunftsverweigerung darauf, dass Information zu Daten, wie viele Patienten jeweils in den letzten Jahren zu einem Stichtag Diamorphin in einem Bundesland erhalten, sehr konkret den Rückschluss auf einzelne Einrichtungen zulasse, die Diamorphin abgeben. Neben den sechs Ambulanzen in Nordrhein-Westfalen (Bonn, Dortmund/Unna, Düsseldorf, Iserlohn, Köln, Wuppertal) existierten bundesweit in Deutschland nur acht weitere Einrichtungen, so dass es neben Berlin und Baden-Württemberg, wo jeweils zwei entsprechende Einrichtungen existierten, nur noch in vier weiteren Bundesländern Einrichtungen gebe, welche das Substitutionsmittel Diamorphin abgäben. Eine Veröffentlichung der Anzahl von Patienten, welche speziell Diamorphin als Substitutionsmittel erhielten, auf einzelne Bundesländer bezogen, würde in den meisten Fällen die direkte Zuordnung der Anzahl der Patienten zu einer Praxis ermöglichen.
48Dem vermag sich die Kammer für das hier in Rede stehende Auskunftsersuchen nicht anzuschließen. Der Antragsgegnerin ist zuzugeben, dass länderbezogene Zahlen dort unmittelbare Auskunft über die in einer konkreten Einrichtung behandelten Patienten geben, wo landesweit nur eine Einrichtung existiert (Bayern, Hessen, Hamburg und Niedersachsen). Dies ist – wie die Antragsgegnerin selbst unter Hinweis auf eine Übersicht über alle in Deutschland vorhandenen Einrichtungen der Diamorphinsubstitution vorträgt – in Nordrhein-Westfalen mit seinen sechs Diamorphinambulanzen nicht der Fall. Soweit vorliegend nur eine auf Nordrhein-Westfalen bezogene Auskunft verfahrensgegenständlich ist, kommt es auf etwaige Begebenheiten in anderen Bundesländern nicht an. Eine generelle Auskunftspflicht zu länderbezogenen Patientenzahlen ist gerade nicht Gegenstand des hier zu entscheidenden Rechtsstreits.
49Inwieweit die Veröffentlichung von Patientenzahlen in Bezug auf Nordrhein-Westfalen zu den hier interessierenden Zeitpunkten konkrete Rückschlüsse auf die in der einzelnen Einrichtung behandelten Patienten ermöglicht, legt die Antragsgegnerin nicht plausibel dar.
50Nach Auffassung der Kammer kann allein aus der Anzahl der landesweit mit Diamorphin behandelten Patienten auch unter Berücksichtigung der bereits bekannten Daten kein Rückschluss auf einzelne Behandlungseinrichtungen gezogen werden.
51Im Einzelnen: Die Gesamtzahl der bundesweit mit Diamorphin Substituierten ist nicht derart gering, dass bereits die bloße Zahl Rückschlüsse auf die Verteilung auf die einzelnen Behandlungseinrichtungen erlauben würde. Zum Stichtag 01.07.2022 lag sie bei 1.447 Patienten, was einem Anteil von 1,8 % aller Substitutionspatienten entspricht.
52Vgl. Bericht zum Substitutionsregister 2023, abrufbar unter https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bundesopiumstelle/SubstitReg/Subst_Bericht2023.html, S. 5.
53Da allein in Nordrhein-Westfalen 25.210 der bundesweit rund 81.200 Substitutionspatienten zu verzeichnen sind,
54vgl. Bericht zum Substitutionsregister 2023, abrufbar unter https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bundesopiumstelle/SubstitReg/Subst_Bericht2023.html, S. 2 und 6,
55ist statistisch bereits bei Anlegung des bundesweiten Anteils von über 450 Patienten zum Stichtag 01.07.2022 in Nordrhein-Westfalen auszugehen. Die tatsächliche Zahl dürfte indes deutlich höher liegen, da in den bundesweiten Zahlen auch Substitutionspatienten aus Bundesländern enthalten sind, in denen keine Diamorphinbehandlung angeboten wird. Die um diese Bundesländer bereinigte Quote dürfte bei ungefähr 2,1 % liegen (1.447 Diamorphinpatienten von 70.612 Substitutionspatienten aus den Bundesländern Berlin, Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Hamburg, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen). Entsprechende Berechnungen lassen sich mit den Daten aus den früheren Berichten der Antragsgegnerin zum Substitutionsregister auch für frühere Jahre anstellen. Insoweit ist zwar zu berücksichtigen, dass der Anteil der Substitutionsbehandlungen mit Diamorphin seit In-Kraft-Treten des Diamorphingesetzes in 2009 kontinuierlich von damals 0,3 % auf inzwischen 1,8 % angestiegen ist.
56Vgl. Bericht zum Substitutionsregister 2023, abrufbar unter https://www.bfarm.de/SharedDocs/Downloads/DE/Bundesopiumstelle/SubstitReg/Subst_Bericht2023.html, S. 5.
57Gleichwohl lassen sich auch die für frühere Jahre ermittelbaren Patientenzahlen nicht aus sich heraus auf einzelne Diamorphinambulanzen aufschlüsseln.
58Wie sich die auskunftsbegehrten Patientenzahlen für Nordrhein-Westfalen auf die zu den jeweiligen Zeitpunkten existierenden Einrichtungen verteilen, ist der Gesamtzahl nicht zu entnehmen. Wie bereits dargelegt wurden in den Jahren 2010 und 2015 in Nordrhein-Westfalen zwei Diamorphinambulanzen betrieben. Unabhängig davon, dass den Zahlen für diese Zeiträume ohnehin keine wettbewerbliche Bedeutung (mehr) zukommt (s.o.), ist auch insoweit eine Aufteilung der Gesamtzahl der behandelten Patienten auf die damals vorhandenen Einrichtungen nicht möglich. In den von der Auskunft umfassten Jahren 2020 und 2022 existierten neben den Einrichtungen in Bonn und Köln weitere Einrichtungen in Düsseldorf (seit Ende 2016), Wuppertal, Dortmund/Unna (jeweils seit Anfang 2020) und Iserlohn (seit April 2022).
59Vgl. insoweit die Angaben unter https://www.diamorphin.com/standorte, zuletzt abgerufen am 16.11.2023.
60Vor diesem Hintergrund geben die Gesamtzahlen nicht zugleich Auskunft über die Patientenzahlen der jeweiligen Diamorphinambulanzen.
61Die Kammer verkennt nicht, dass sich die vier in Nordrhein-Westfalen zuletzt eröffneten Ambulanzen (Düsseldorf, Wuppertal, Dortmund/Unna und Iserlohn) unter dem Namen Medikus Gruppe zusammengeschlossen haben. Demnach erscheint es möglich, aus den zur Beantwortung der Auskunft vorgelegten Gesamtzahlen Rückschlüsse auf die Zahl derer zu ziehen, die in den Ambulanzen der Medikus Gruppe mit Diamorphin behandelt wurden. Dass dies einen Grund zur Auskunftsverweigerung darstellt, vermag die Antragsgegnerin indes nicht aufzuzeigen. Etwaige Geschäfts- und Betriebsgeheimnisse können insoweit nicht angeführt werden, weil die Medikus Gruppe nach eigenen Angaben ein loser, juristisch nicht bindender Zusammenschluss selbständig agierender Arztpraxen ist. Dies schließt es aus, die zur Medikus Gruppe zusammengeschlossenen Praxen als einzelnen Marktteilnehmer anzusehen, der im Wettbewerb zu anderen Marktteilnehmern um eine Preisgabe seiner Geschäftszahlen fürchten müsste. Bei der somit gebotenen Einzelbetrachtung der jeweiligen Ambulanzen bleibt festzuhalten, dass die landesweite Zahl der Diamorphinpatienten keinen Aufschluss darüber gibt, wie viele dieser Personen jeweils in den verschiedenen Einrichtungen behandelt wurden.
62Dass – und auch dies verkennt die Kammer nicht – die angefragten Zahlen seitens der Antragstellerin womöglich zum Anlass genommen werden, (eingehender) über die zur Medikus Gruppe zählenden Diamorphinambulanzen und deren Geschäftsmodell (ggfls. kritisch) zu berichten, stellt keinen Grund dar, der Antragstellerin die begehrte Auskunft zu verweigern. Ob und welche Schlussfolgerungen die Antragstellerin für ihre Recherche zur Drogensubstitutionspolitik der Bundesregierung aus den angefragten Zahlen anstellt, unterfällt dem von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Selbstbestimmungsrecht der Presse. Gleiches gilt für die Frage, wie die zu erteilende Auskunft argumentativ für ein etwaiges Meinungsbild der Journalisten genutzt wird. Es versteht sich von selbst, dass allein die Sorge vor einer womöglich unliebsamen Berichterstattung dem Auskunftsanspruch der Presse mit Blick auf deren Informations- und Kontrollfunktion nicht entgegengehalten werden kann. Dem von einer Berichterstattung Betroffenen stehen etwa mit dem Recht auf Gegendarstellung oder Unterlassung seinerseits rechtliche Instrumente zur Verfügung, sich gegen für rechtswidrig erachtete Veröffentlichungen zur Wehr zu setzen.
63Im Lichte des Vorstehenden steht einem presserechtlichen Auskunftsanspruch auch nicht § 3 Nr. 4 IFG i. V. m. § 203 Abs. 2 StGB entgegen. Von der Offenbarung eines Betriebs- oder Geschäftsgeheimnisses kann durch die reine Nennung der Anzahl der Diamorphinpatienten in Nordrhein-Westfalen in den entsprechenden Jahren keine Rede sein.
643. Ein dem presserechtlichen Auskunftsbegehren entgegenstehendes Interesse ist bei summarischer Prüfung ferner nicht die Sicherheit und Kontrolle des Überwachungsverkehrs.
65Sicherheit und Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs sind gefährdet, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Betäubungsmittel dem illegalen Betäubungsmittelverkehr zugeführt oder anderweitig missbraucht werden.
66Vgl. Weber, in: Weber/Kornprobst/Maier, 6. Aufl. 2021, Betäubungsmittelgesetz, § 5 BtMG Rn. 29 ff.
67Soweit es um die Kontrolle geht, steht die Vermeidung von Mehrfachsubstitutionen im Vordergrund.
68Vgl. Weber, in: Weber/Kornprobst/Maier, 6. Aufl. 2021, Betäubungsmittelgesetz, § 13 BtMG Rn. 154.
69Die Antragsgegnerin behauptet, dass auch durch die bloße Benennung der Personenanzahl der mit Diamorphin Substituierten die Kontrolle und die Sicherheit des Betäubungsmittelverkehrs tangiert wird. Sie führt insoweit aus, dass sich die von ihr veröffentlichten statistischen Daten absichtlich entweder auf das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland bezögen oder allgemein nur Substitutionspatienten – gemeint ist wohl die Anzahl der Substitutionspatienten – oder substituierende Ärzte ohne Unterscheidung nach dem Substitutionsmittel benannt würden. Eine weitergehende statistische Auswertung würde unter Umständen Rückschlüsse auf einzelne Arztpraxen ermöglichen und dem Zweck der Sicherheit und der Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs widersprechen. Es ist jedoch auch insoweit weder erkennbar noch substantiiert vorgetragen, inwieweit der Zweck der Sicherheit und der Kontrolle des Betäubungsmittelverkehrs bei der bloßen Mitteilung der Anzahl der mit Diamorphin Substituierten konterkariert werden könnte.
70II. Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
71Bei einer Eilentscheidung über einen presserechtlichen Auskunftsanspruch ist jedenfalls die grundrechtliche Dimension der Pressefreiheit zu beachten. Dies gilt auch in Bezug auf die Auskunftspflichten der öffentlichen Behörden. Erst der prinzipiell ungehinderte Zugang zu Informationen versetzt die Presse in den Stand, die ihr in der freiheitlichen Demokratie zukommende Funktion wirksam wahrzunehmen. Soweit die Vorwegnahme der Hauptsache nur bei Vorliegen eines schweren Nachteils zulässig ist, muss dabei auch die Bedeutung der Auskunftsansprüche für eine effektive Presseberichterstattung durch die Antragstellerin hinreichend beachtet werden.
72Vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.09.2014 – 1 BvR 23/14 –, juris, Rn. 26 m. w. N.; VG Köln, Beschluss vom 25.04.2018 – 6 L 4777/17 –, juris, Rn. 15 m. w. N.
73Die Aufgabe der Presse ist vornehmlich die Information der Bevölkerung als Grundlage der öffentlichen Meinungsbildung. Grundsätzlich entscheidet die Presse in den Grenzen dieses Rechts selbst, ob und wie sie über ein bestimmtes Thema berichtet. Das „Ob“ und „Wie“ der Berichterstattung ist Teil des Selbstbestimmungsrechts der Presse, das auch die Art und Weise ihrer hierauf gerichteten Informationsbeschaffungen grundrechtlich schützt. Unter das Selbstbestimmungsrecht in zeitlicher Hinsicht fällt auch die Freiheit der Presse zu entscheiden, ob eine Berichterstattung zeitnah erfolgen soll.
74Vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.09.2014 – 1 BvR 23/14 –, juris, Rn. 29 m. w. N.; VG Köln, Beschlüsse vom 25.04.2018 – 6 L 4777/17 –, juris, Rn. 17 m. w. N., und vom 09.02.2017 – 6 L 2426/16 –, juris, Rn. 74 f. m. w. N.
75Aber auch unter Berücksichtigung der Pressefreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG und der Bedeutung der genauen und gründlichen Berichterstattung durch die Presse für die freiheitlich-demokratische Grundordnung liegt eine Unzumutbarkeit des Abwartens der Entscheidung in der Hauptsache nicht schon immer dann vor, wenn die Presse einen Informationsanspruch geltend macht. Auch in diesen Fällen müssen besonders schwerwiegende Nachteile im Falle eines Abwartens der Hauptsacheentscheidung glaubhaft gemacht werden.
76Vgl. VG Köln, Beschlüsse vom 09.02.2017 – 6 L 2426/16 –, juris, Rn. 60 m. w. N., und vom 28.08.2009 – 6 L 918/09 –, juris, Rn. 11 f. m. w. N.
77Ein solch schwerwiegender Nachteil ist in diesen Fällen immer dann anzunehmen, wenn für die begehrte Auskunft ein gesteigertes öffentliches Interesse sowie ein starker Gegenwartsbezug besteht, der dazu führt, dass bei einem Abwarten der Klärung im Hauptsacheverfahren die begehrte Auskunft ihren Nachrichtenwert verliert und allenfalls noch von historischem Interesse ist. Das Vorliegen eines gesteigerten öffentlichen Interesses und eines starken Gegenwartsbezugs der beabsichtigten Berichterstattung bestimmt sich nach objektiven Kriterien.
78Vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.09.2014 – 1 BvR 23/14 –, juris, Rn. 30 m. w. N.; BVerwG, Beschluss vom 26.10.2017 – 6 VR 1.17 –, juris, Rn. 13 m. w. N.; VG Köln, Beschlüsse vom 25.04.2018 – 6 L 4777/17 –, juris, Rn. 15 m. w. N., vom 09.02.2017 – 6 L 2426/16 –, juris, Rn. 61 m. w. N., und vom 28.08.2009 – 6 L 918/09 –, juris, Rn. 11 f. m. w. N.; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 05.02.2020 – OVG 6 S 59.19 –, juris, Rn. 66 m. w. N.; VG Berlin, Beschluss vom 23.09.2019 – 27 L 98.19 –, juris, Rn. 153 ff.
79Dies kann jedoch nicht deshalb verneint werden, weil die Berichterstattung nicht auf unaufschiebbare Berichte wie die Aufdeckung von schweren Rechtsbrüchen staatlicher Entscheidungen abziele und sie im Übrigen auch später möglich bleibe; denn dies ist angesichts der Fähigkeit der Presse, selbst Themen zu setzen, immer denkbar. Vielmehr kann die Presse ihre Kontroll- und Vermittlungsfunktion nur wahrnehmen, wenn an den Eilrechtsschutz in Auskunftsverfahren auch hinsichtlich der Aktualität einer Berichterstattung keine überhöhten Anforderungen gestellt werden.
80Vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.09.2014 – 1 BvR 23/14 –, juris, Rn. 30 m. w. N.
81Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat die Antragstellerin einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht.
82Die Antragstellerin hat bereits unter dem 15.09.2023 einen Artikel mit dem Titel „Weißes Gold – Profite mit legalem Heroin“ veröffentlicht. In diesem Artikel befasst sich die Antragstellerin mit Diamorphin-Ambulanzen und thematisiert auch die fehlende Auskunftserteilung der Antragsgegnerin sowie das vorliegende gerichtliche Eilverfahren. Nach ihren glaubhaften Bekundungen intendiert die Antragstellerin, auch in Zukunft Berichte über die Diamorphinvergabe zu veröffentlichen. Der Beitrag sei erst der Anfang einer Artikelserie. Die Kammer hat keinen Anhalt, an diesen Angaben zu zweifeln, zumal dies mit den Bekundungen der Antragstellerin übereinstimmt, die unterhalb des oben bezeichneten Artikels veröffentlicht wurden. Dort heißt es nämlich, die Antragstellerin werde in Zukunft mehr über Drogenmissbrauch in Deutschland berichten.
83Vgl. https://correctiv.org/aktuelles/gesundheit/2023/09/15/weisses-gold-profite-mit-legalem-heroin/, zuletzt abgerufen am 17.11.2023.
84III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
85IV. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG. Wegen der Vorwegnahme der Hauptsache hat das Gericht davon abgesehen, den Streitwert zu reduzieren.
86Rechtsmittelbelehrung
87Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
88Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
89Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
90Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
91Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
92Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
93Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
94Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
95Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.