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1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt.
2. Dem Antragsgegner wird die Abschiebung ohne vorherige Organisation einer sicheren Übergabe im Zielstaat Bangladesch vorläufig untersagt. Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.250 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird gemäß § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO abgelehnt, weil der Kläger schon nicht dargelegt hat, die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen hierfür zu erfüllen, weil er bis heute weder das nach § 166 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 3 und 4 ZPO zu verwendende Formblatt noch Nachweise zu seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen vorgelegt hat. Der Hinweis, er sei derzeit mittellos, weil er in der UfA E. lediglich ein Taschengeld nach dem AsylbLG, vermag die Ausfüllung des vorgesehenen Formblatts, mit welcher der Antragsteller seine Mittellosigkeit auch selbst versichert, nicht zu ersetzen. Eines weiteren Hinweises durch das Gericht, wie von der Verfahrensbevollmächtigten erbeten, bedurfte es insoweit nicht. Es war ausgehend von der Mandatsübernahme am 16.12.2022 auch in Anbetracht der geltend gemachten Erkrankung der Verfahrensbevollmächtigten und der Feiertage über Weihnachten und den Jahreswechsel, die lediglich einen Arbeitstag in Anspruch nahmen, hinreichend Zeit, ein solches Formular vorsorglich auszufüllen und dem Gericht zu übermitteln.
3Der wörtlich gestellte Antrag,
4dem Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, den Antragsteller im Hinblick auf seine aktuelle Reisefähigkeit ärztlich untersuchen zu lassen und zu untersagen, ihn für die am 02.01.2023 geplante Abschiebung ohne vorherige Organisation einer sicheren Übergabe im Zielstaat Bangladesch abzuschieben sowie ggf, die bereits laufende Maßnahme abzubrechen, hat Erfolg.
5Nach § 123 Abs. 1 Satz 1 VwGO kann eine einstweilige Anordnung getroffen werden, wenn die Gefahr besteht, dass durch die Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Dies setzt gemäß § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 ZPO voraus, dass das Bestehen eines zu sichernden Rechts (Anordnungsanspruch) und die besondere Eilbedürftigkeit (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht werden.
6Ein Anordnungsgrund besteht hinsichtlich der noch für den heutigen Abend geplanten Abschiebung des Antragstellers ohne jeden Zweifel.
7Auch ein Anordnungsanspruch ist zur Überzeugung des Gerichts gegeben.
8Der Antragsteller hat einen Anspruch auf Abschiebungsschutz aus § 60a AufenthG glaubhaft gemacht. In seinem Fall ist derzeit vom Vorliegen eines inlandsbezogenen Abschiebungshindernisses aufgrund einer Reiseunfähigkeit auszugehen. Ein solches inlandsbezogenes Vollstreckungshindernis infolge Erkrankung kann gegeben sein, wenn und solange der Ausländer wegen einer Erkrankung transportunfähig ist, d.h. sich sein Gesundheitszustand durch und während des eigentlichen Vorgangs des "Reisens" wesentlich verschlechtert oder eine Lebens- oder Gesundheitsgefahr transportbedingt erstmals entsteht und die Gefahr nicht durch bestimmte Vorkehrungen ausgeschlossen oder gemindert werden kann (Reiseunfähigkeit im engeren Sinn). Eine Abschiebung muss aber auch dann unterbleiben, wenn sie – außerhalb des eigentlichen Transportvorgangs – eine erhebliche konkrete Gesundheitsgefahr für den Ausländer bedeutet; dies ist der Fall, wenn das ernsthafte Risiko besteht, dass unmittelbar durch die Abschiebung als solche (unabhängig vom Zielstaat) sich der Gesundheitszustand des Ausländers wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtert (Reiseunfähigkeit im weiteren Sinne).
9Von einer Reiseunfähigkeit in diesem Sinne kann bei psychischen Erkrankungen insbesondere dann ausgegangen werden, wenn im Rahmen der Abschiebung die ernsthafte Gefahr einer Selbsttötung droht, der darüber hinaus auch nicht durch ärztliche Hilfen oder in sonstiger Weise – etwa durch vorbeugende Maßnahmen nach dem Gesetz über die Hilfe und Schutzmaßnahmen bei psychisch Kranken (PsychKG NRW) – begegnet werden kann,
10vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 29. November 2010 – 18 B 910/10 –, vom 27. Juli 2006 – 18 B 586/06 –, und vom 24. Februar .2006 – 18 A 916/05 –, sämtlich juris; OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 21. Juni 2016 – 2 M 16/16 –, juris,
11oder wenn dem Ausländer unmittelbar durch die Abschiebung oder als unmittelbare Folge davon sonst konkret eine im Sinne des § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG erhebliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes droht, die allerdings – in Abgrenzung zu zielstaatsbezogenen Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 7 S. 1 AufenthG – nicht wesentlich (erst) durch die Konfrontation des Betroffenen mit den spezifischen Verhältnissen im Zielstaat bewirkt werden darf.
12Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 30. Januar 2009 – 18 B 126/09 –, n.v., und vom 15. August 2008 – 18 B 538/08 –, juris.
13Nach § 60a Abs. 2c S. 1 AufenthG wird vermutet, dass der Abschiebung gesundheitliche Gründe nicht entgegenstehen, der Ausländer also reisefähig ist. Diese gesetzliche Vermutung kann der Ausländer jedoch durch Vorlage einer qualifizierten ärztlichen Bescheinigung widerlegen (§ 60a Abs. 2c S. 2 AufenthG). Diese ärztliche Bescheinigung soll nach S. 3 der Vorschrift insbesondere die tatsächlichen Umstände, auf deren Grundlage eine fachliche Beurteilung erfolgt ist, die Methode der Tatsachenerhebung, die fachlich-medizinische Beurteilung des Krankheitsbildes (Diagnose), den Schweregrad der Erkrankung sowie die Folgen, die sich nach ärztlicher Beurteilung aus der krankheitsbedingten Situation voraussichtlich ergeben, enthalten.
14Ausgehend von diesen Grundsätzen kann vorliegend nicht mit der gesetzlichen Vermutung von der Reisefähigkeit des Antragstellers ohne eine gesicherte In-Empfangnahme im Heimatland ausgegangen werden. Der Antragsteller leidet nach Angaben sämtlicher bekannter ärztlicher Befunde unter depressiven Episoden. Der Arzt Prof. (BG) Dr. V. hat in seinen Gutachten vom 19.10.2021 und 23.11.2022 ausgeführt, dass der Antragstellerin trotz dieser Erkrankungen reisefähig ist, sofern eine medizinische Aufsicht während des Transports vorhanden und eine gesicherte Übergabe im Rückführungsland Bangladesch gewährleistet ist.
15Eine solche gesicherte Übernahme in Bangladesch ist vorliegend unstreitig nicht organisiert worden. Das Gericht ist anhand des Inhalts der Akten nicht davon überzeugt, dass eine solche nicht nach wie vor notwendig wäre. Die Stellungnahmen des Herrn W. vom 26.12.2022 und vom heutigen Tage überzeugen insoweit nicht. Am 26.12.2022 ging Herr W. bzw. der von ihm mit der Begutachtung des Antragstellers beauftragte Arzt selbst davon aus, dass eine latente Suizidalität möglich sei und bezog sich insoweit auf eine Fachärztin für Psychiatrie Dr. M., nach deren psych. Konsil vom 22.12.2022 sich der Antragsteller zu diesem Zeitpunkt von einer Suizidalität distanziert habe. Dennoch ordnete der eine ärztliche Begleitung vor und während dem Flug nach Bangladesch an. Soweit Herr W. die Richtigkeit dieser Einschätzung am heutigen Tage noch einmal mit einer Stellungnahme unterstützt, wonach sich der Antragsteller seit dem 22.12.2022 nur noch einmal wegen einer Verdauungssache in der Ambulanz vorgestellt hat, die Unterbringung in der Beobachtungsabteilung nach dem 22.12.2022 lediglich der Einfachheit halber aufrechterhalten blieb und ein Anlass zur Beobachtung oder zur Befürchtung eines Risikos auch nach dem Ambulanzarzt nicht mehr bestünde, was dieser aber zuständigkeitshalber noch dem Psychologen und der Abteilungssicherheit mitteilen wollte, vermag das Gericht daraus eine gesicherte Diagnose einer nicht mehr bestehenden Suizidalität nicht herzuleiten.
16Denn angesichts des Umstands, dass Herr Prof. (BG) Dr. V. auch nach über einem Jahr seit seiner ersten Begutachtung im Oktober 2021 bei der weiteren Begutachtung im November 2022 noch immer von einer Notwendigkeit der gesicherten Inempfangnahme ausging, erscheint ein problemlos in der UfA E. verbrachter Zeitraum seit dem 22.12.2022 zu kurz, um hier eine grundlegend abweichende Diagnose zu begründen. Dies umso mehr, als trotz der angeblichen Distanzierung des Antragstellers von einer Suizidalität (welche allerdings auch seiner Äußerung entnommen werden könnte, wonach er in Bangladsch seine Kinder wiedersehen wolle) eine ärztliche Begleitung während des Fluges nach wie vor für erforderlich gehalten wird. Für eine zu kurze Zeit der Distanzierung von der Suizidaliät spricht schließlich auch, dass der Antragsteller in der UfA E. seit seiner Aufnahme am 23.11.2022 dort jedenfalls noch bis zum 19.12.2022 unter engmaschiger Beobachtung (mindestens alle 15 Minuten) stand. Dieser erhebliche Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Antragstellers bedarf einer entsprechend hohen Gefährdung, die auch von der UfA E. in einer möglichen Suizidalität gesehen worden war. Warum die im Attest des Herrn W. vom 26.12.2022 gesehene latente Suizidalität gerade nach der Entlassung des Antragstellers aus der Betreuung während des Fluges in Bangladesch nicht wieder aufleben sollte, nachdem sich den Unterlagen der UfA weiterhin entnehmen lässt, dass der Antragsteller große Schwierigkeiten mit der Abschiebung in seine Heimat hat, erschließt sich dem Gericht aufgrund der Äußerungen des Herrn W. nicht. Mangels einer näheren Darlegung der medizinischen und/oder psychiatrischen Grundlagen, die auf ein Ablassen von der Suizidalität nach Ankunft in Bangladesch schließen lassen würden, vermag auch der Hinweis nicht vom Gegenteil zu überzeugen, wonach es sich bei Herrn Dr. O. M., der den Antragsteller am 26.12.2022 untersucht hat, um einen äußerst erfahrenen ärztlichen Vertreter handeln soll. Zwar mag es sein, dass der Antragsteller, der – wie bereits ausgeführt – in der UfA E. auch erwähnt hat, sich nicht umbringen zu wollen, weil er in Bangladesch seine Kinder wiedersehen wolle – tatsächlich insoweit keine Suizidabsichten mehr hegen wird. Angesichts des hohen Schutzgutes des Lebens und der Vorsichtsmaßnahmen, die auch in der UfA E. noch getroffen worden sind, bis sich der Antragsteller dort am 20.12.2022 für die Zeit seiner Unterbringung von Suizidabsichten distanziert hat, ist im Rahmen der Risikenabwägung dem Schutz des Lebens des Antragstellers Vorrang einzuräumen.
17Schließlich vermag die gesicherte Übergabe auch nicht durch den Hinweis auf die zwingenden IATA-Regeln an internationalen Flughäfen ersetzt werden zu können. Denn entweder müsste sich der Antragsteller von sich aus an diese Hilfsdienste wenden, was bei einer bestehenden Suizidgefahr gerade nicht zu erwarten ist, oder diese müssten von anderen Personen erst gerufen werden, was unter Umständen zu einer verspäteten Hilfebereitschaft führen würde. Gerade wegen dieser Unwägbarkeiten wird die gesicherte Inempfangnahme regelmäßig organisiert.
18Ob der Antragsteller, wie im Antrag eingefordert, vor einem weiteren Abschiebungsversuch erneut ärztlich zu untersuchen ist, bedarf demnach vorliegend keiner Entscheidung.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
20Die Festsetzung des Streitwerts ist nach §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 AufenthG erfolgt und berücksichtigt ein Viertel des Auffangstreitwerts.
21Rechtsmittelbelehrung
22Ziffer 1 dieses Beschlusses ist unanfechtbar (§ 146 Abs. 2 a.E. VwGO).
23Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
24Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
25Die Beschwerde gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
26Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
27Gegen Ziffer 3 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
28Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
29Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
30Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.