Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
Die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers (Az. 23 K 2382/23.A) gegen die Abschiebungsanordnung in Ziff. 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 18. April 2023 wird angeordnet.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Gründe
2Der sinngemäß gestellte Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage (Az. 23 K 2382/23.A) gegen die Abschiebungsanordnung in Ziff. 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 18. April 2023 anzuordnen,
4hat Erfolg.
5Der nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO statthafte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die in Ziffer 3 des Bescheids der Antragsgegnerin vom 18. April 2023 enthaltene Abschiebungsanordnung nach Italien ist zulässig und begründet.
6Die von dem Antragsteller erhobene Klage gegen diesen Bescheid entfaltet von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, § 75 Abs. 1 AsylG). Das Gericht der Hauptsache kann aber nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO auf Antrag die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen. Grundlage dieser Entscheidung ist eine eigene Interessenabwägung zwischen dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers und dem Vollzugsinteresse der Antragsgegnerin. Wesentliches Element dieser Interessenabwägung ist die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache, die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechend nur aufgrund einer summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage erfolgen kann.
7Nach diesen Grundsätzen überwiegt vorliegend das Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung, weil die Klage mit für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung hinreichender Wahrscheinlichkeit Erfolg haben wird. Die in Ziffer 3 des Bescheides der Antragsgegnerin vom 18. April 2023 getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich nach summarischer Prüfung im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG) als rechtswidrig und verletzt den Antragsteller in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
8Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG. Soll der Ausländer in einen sicheren Drittstaat oder in einen für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat abgeschoben werden, ordnet das Bundesamt hiernach die Abschiebung in diesen Staat an, sobald feststeht, dass sie durchgeführt werden kann. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.
9Zwar ist Italien grundsätzlich nach der Verordnung 604/2013/EU (Dublin-III-VO) für die Durchführung des Asylverfahrens des Antragstellers zuständig gewesen.
10Auf Grundlage von Beweismitteln gemäß den in Art. 22 Abs. 3 der Dublin III-VO genannten Verzeichnissen, einschließlich der Daten nach der Verordnung (EU) Nr. 603/2013, kann vorliegend festgestellt werden, dass der Antragsteller aus einem Drittstaat kommend die Land-, See- oder Luftgrenze Italiens illegal überschritten hat. Dies folgt aus dem Eurodac-Treffer der Kategorie 2 (hier: XX0XX00XXX). Gemäß Art. 24 Abs. 4 VO (EU) Nr. 603/2013 betrifft dies Personen nach Art. 14 Abs. 1 VO (EU) Nr. 603/2013. Danach nimmt jeder Mitgliedstaat jedem mindestens 14 Jahre alten Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen, der - aus einem Drittstaat kommend - beim illegalen Überschreiten der Grenze dieses Mitgliedstaats auf dem Land-, See- oder Luftweg von den zuständigen Kontrollbehörden aufgegriffen und nicht zurückgewiesen wird oder der sich weiterhin im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhält und dessen Bewegungsfreiheit während des Zeitraums zwischen dem Aufgreifen und der Abschiebung auf der Grundlage eines Rückführungsbeschlusses nicht durch Haft, Gewahrsam oder Festnahme beschränkt wurde, unverzüglich den Abdruck aller Finger ab. Ein solches positives Eurodac-Ergebnis stellt nach dem Anhang II, Verzeichnis A, Nr. I.7. der DVO (EU) Nr. 118/2014 ein Beweismittel für die illegale Einreise in das Hoheitsgebiet über eine Außengrenze dar, für deren Richtigkeit Italien gemäß Art. 23 Abs. 1 lit. c) VO (EU) Nr. 603/2013 verantwortlich ist. Dieses Beweismittel ist im vorliegenden Fall auch nicht durch einen Gegenbeweis gemäß Art. 22 Abs. 3 lit. a) ii) Dublin III-VO widerlegt worden. Im Gegenteil, der Antragsteller hat ausdrücklich eingeräumt, dass er am 27. Dezember 2022 über Italien in die Europäische Union eingereist ist (Bl. 73 des Verwaltungsvorgangs). Sonstige - dieser Darstellung entgegenstehende - Beweismittel liegen nicht vor, so dass hier auf das Eurodac-Ergebnis als Beweismittel abzustellen ist. Infolgedessen richtete das Bundesamt am 15. Februar 2023 hinsichtlich des Antragstellers - der am 2. Januar 2023 in Deutschland einen Asylantrag stellte – innerhalb der Frist des Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 2 Dublin III-VO ein Aufnahmegesuch an Italien (Bl. 48 ff. des Verwaltungsvorgangs). Da die italienischen Behörden nicht innerhalb einer Frist von 2 Monaten eine Antwort auf das Aufnahmegesuch erteilt haben, war nach Maßgabe des Art. 22 Abs. 7 Dublin III-VO davon auszugehen, dass sie dem Aufnahmegesuch stattgeben, was die Verpflichtung nach sich zieht, die Person aufzunehmen und angemessene Vorkehrungen für die Ankunft zu treffen.
11Eine Überstellung des Antragstellers an Italien als den grundsätzlich nach der Verordnung 604/2013/EU (Dublin-III-VO) zuständigen Mitgliedsstaat ist zur Überzeugung des Gerichts aber im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung gem. Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO wegen systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen nicht möglich.
12Nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO setzt der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat die Prüfung der in Kapitel III der Dublin III-Verordnung vorgesehenen Kriterien fort, um festzustellen, ob ein anderer Mitgliedstaat als zuständig bestimmt werden kann, wenn es sich als unmöglich erweist, einen Antragsteller an den zunächst als zuständig bestimmten Mitgliedstaat zu überstellen, da es wesentliche Gründe für die Annahme gibt, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in diesem Mitgliedstaat systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta (EUGRCh) mit sich bringen. Kann keine Überstellung gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 1 Dublin III-VO an einen aufgrund der Kriterien des Kapitels III der Verordnung bestimmten Mitgliedstaat oder an den ersten Mitgliedstaat, in dem der Antrag gestellt wurde, vorgenommen werden, so wird gemäß Art. 3 Abs. 2 UAbs. 2 Dublin III-VO der die Zuständigkeit prüfende Mitgliedstaat zuständiger Mitgliedstaat.
13Das gemeinsame Europäische Asylsystem gründet sich auf das Prinzip gegenseitigen Vertrauens, dass alle daran beteiligten Staaten die Grundrechte sowie die Rechte beachten, die ihre Grundlage in der Genfer Flüchtlingskonvention und dem Protokoll von 1967 sowie in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) finden.
14Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris.
15Daraus ist die Vermutung abzuleiten, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem Mitgliedstaat in Einklang mit den Erfordernissen der EUGRCh sowie mit der Genfer Flüchtlingskonvention und der EMRK steht.
16Die diesem "Prinzip des gegenseitigen Vertrauens" bzw. dem "Konzept der normativen Vergewisserung",
17vgl. BVerfG, Urteil vom 14. Mai 1996 - 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 -, BVerfGE 94, 49,
18zugrundeliegende Vermutung ist jedoch nicht unwiderleglich. Vielmehr obliegt den nationalen Gerichten die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Schwachstellen des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh ausgesetzt zu werden.
19Vgl. EuGH, Urteil vom 21. Dezember 2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris.
20Systemische Schwachstellen in diesem Sinne erfordern eine zum Ausdruck kommende "reelle Unfähigkeit des Verwaltungsapparates zur Beachtung des Art. 4 EUGRCh". Sie liegen bei "strukturellen Störungen" vor, "die ihre Ursache im Gesamtsystem des nationalen Asylverfahrens" haben, ohne dass es auf eine hierauf bezogene Zielsetzung des betreffenden Mitgliedstaates ankommt. Dies setzt zwar nicht voraus, dass in jedem Fall das gesamte Asylsystem einschließlich der Aufnahmebedingungen und der zugehörigen Verfahren schlechthin als gescheitert einzustufen ist, jedoch müssen die in jenem System festzustellenden Mängel so gravierend sein, dass sie nicht lediglich singulär oder zufällig, sondern "in einer Vielzahl von Fällen zu der Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung führen". Das kann darauf beruhen, dass die Fehler bereits im System selbst angelegt sind und deswegen Asylbewerber oder bestimmte Gruppen von Asylbewerbern nicht zufällig und im Einzelfall, sondern (objektiv) vorhersehbar von ihnen betroffen sind. Ein systemischer Mangel kann daneben aber auch daraus folgen, dass ein in der Theorie nicht zu beanstandendes Aufnahmesystem - mit Blick auf seine empirisch feststellbare Umsetzung in der Praxis - faktisch in weiten Teilen funktionslos wird. Erfasst werden dabei (in der Regel) aber nur solche Verhältnisse, in denen es in dem Zielstaat der Überstellung aufgrund entsprechender, hinreichend gesicherter Erkenntnisse nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder zu einer Verletzung der Grundrechtsgewährleistung kommen kann. Das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen müssen im zuständigen Mitgliedstaat regelhaft so defizitär sein, dass anzunehmen ist, dass dort auch dem Asylbewerber im konkret zu entscheidenden Einzelfall mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung droht.
21Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris; EGMR, Urteil vom 28. Februar 2008 - 37201/06 -, NVwZ 2008, 1330; BVerwG, Beschlüsse vom 19. März 2014 - 10 B 6.14 -, juris, und vom 6. Juni 2014 - 10 B 35.14 -, juris.
22Zur Auslegung der Tatbestandsmerkmale von Art. 4 EUGRCh ist wegen der korrespondierenden Gewährleistungsgehalte auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu Art. 3 EMRK zurückzugreifen. Danach liegt eine systemisch begründete ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung i.S.v. Art. 4 EUGRCh bzw. Art. 3 EMRK (insbesondere) dann vor, wenn mit Blick auf das Gewicht und Ausmaß einer drohenden Beeinträchtigung dieses Grundrechts mit einem beachtlichen Grad an Wahrscheinlichkeit die reale, nämlich durch eine hinreichend gesicherte Tatsachengrundlage begründete Gefahr besteht, dass dem Betroffenen in dem Mitgliedstaat, in den er als nach der Dublin-Verordnung "zuständigen" Staat überstellt werden soll, entweder schon der Zugang zu einem Asylverfahren, welches nicht mit grundlegenden Mängeln behaftet ist, verwehrt oder massiv erschwert wird, das Asylverfahren an grundlegenden Mängeln leidet oder dass er während der Dauer des Asylverfahrens wegen einer grundlegend defizitären Ausstattung mit den notwendigen Mitteln elementare Grundbedürfnisse des Menschen (wie z.B. Unterkunft, Nahrungsaufnahme und Hygienebedürfnisse) nicht in einer noch zumutbaren Weise befriedigen kann. Sind in diesem Zusammenhang bestimmte Anforderungen in EU-Richtlinien festgelegt worden, kann sich (konkretisierend) auch daraus der im Sinne der angesprochenen Artikel für ein menschenwürdiges Dasein einzuhaltende Maßstab ergeben, soweit es sich dabei erkennbar um Mindestanforderungen handelt. Das betrifft insbesondere die materiellen Aufnahmebedingungen, wie sie in Art. 17 und 18 der Richtlinie 2013/33/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zur Festlegung von Normen für die Aufnahme von Personen, die internationalen Schutz beantragen (Aufnahme-Richtlinie - AufnahmeRL) für bedürftige Personen unter den Antragstellern prinzipiell festgelegt sind.
23Vgl. OVG NRW, Urteil vom 7. März 2014 – 1 A 21/12.A –, juris.
24Die Eingriffsschwelle von Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 EUGRCh wird durch Missstände im sozialen Bereich jedoch nur unter strengen Voraussetzungen überschritten. Im Bereich von medizinischer und sozialer Fürsorge kann es unter dem Gesichtspunkt eines Verbotes, jemanden einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung zu unterwerfen, von vornherein nur um die Gewährleistung einer unabdingbaren Grundversorgung gehen. Dagegen würde etwa verstoßen, wenn der Antragsteller monatelang obdachlos und ohne Zugang zu jeder Versorgung wäre.
25Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 13. Mai 2015 - 14 B 525/15.A -, juris.
26Die Annahme einer drohenden Verletzung des Grundrechts aus Art. 4 EUGRCh muss durch wesentliche Gründe gestützt werden. Das bedeutet, dass die festgestellten Tatsachen hinreichend verlässlich und aussagekräftig sein müssen. Sie müssen ferner verallgemeinerungsfähig sein, um die Schlussfolgerung zu rechtfertigen, dass es nicht nur vereinzelt, sondern immer wieder und regelhaft zu Grundrechtsverletzungen nach Art. 4 EUGRCh kommt.
27Vgl. VGH Bad.-Württ., Urteil vom 1. April 2015 - A 11 S 106/15 -, juris.
28In Anwendung dieser Grundsätze bestehen zur Überzeugung des Gerichts im maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 AsylG) im Hinblick auf das Asylverfahren in Italien nunmehr durchgreifende systemische Mängel.
29Die italienischen Behörden lehnen seit dem 6. Dezember 2022 eine (Wieder-) Aufnahme von Schutzsuchenden nach Maßgabe der Dublin III-VO unter Berufung auf "technische Gründe" und "fehlende Aufnahmekapazitäten" - "zeitlich befristet" -, aber ohne Nennung eines konkreten Enddatums, ab.
30Vgl. Informationsschreiben des italienischen Innenministeriums vom 5. und 7. Dezember 2022.
31Mit Blick auf die Formulierung "temporary suspends" (= temporäres unterbrechen, aussetzen) ist auch nicht von einer bloßen "vorübergehenden" Aussetzung der Aufnahmebereitschaft der Italienischen Republik auszugehen.
32So auch VG Arnsberg, Urteil vom 24. Januar 2023 - 2 K 2991/22.A -, juris, Rn. 45 ff. mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung, insbesondere auch zu der in der Rechtsprechung vertretenen gegenteiligen Ansicht.
33Es handelt sich bei realitätsnaher Bewertung schlichtweg um eine diplomatisch verklausulierte Weigerung der Aufnahme von Dublin Rückkehrern auf "unbestimmte Zeit". Dies zeigt sich letztlich auch daran, dass diese Haltung Italiens im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung seit nunmehr über fünf Monaten andauert und nicht absehbar ist, ob überhaupt und wenn ja, ab wann Italien seinen Verpflichtungen aus der Dublin III-VO wieder nachkommen wird.
34Hinzu kommt, dass Italien die Aussetzung der Dublin-Überstellungen damit begründet, dass keine Aufnahmeeinrichtungen für Dublin-Rückkehrer zur Verfügung stünden.
35Vgl. Informationsschreiben des italienischen Innenministeriums vom 5. und 7. Dezember 2022.
36Anhaltspunkte dafür, wann das Problem der "Nichtverfügbarkeit von Aufnahmeeinrichtungen" - einem essentiellen Gesichtspunkt für eine humanitäre Überstellung von Asylbewerbern im Dublin-Verfahren - gelöst sein wird, ergibt sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung weder aus entsprechenden Erklärungen der italienischen Behörden noch aus deren Verhalten.
37Damit bestehen durchgreifende und gewichtige Gründe für die Annahme, dass eine zwangsweise Abschiebung des Antragstellers nach Italien im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bereits (faktisch) nicht möglich ist, da die italienischen Behörden dessen Aufnahme verweigern werden. Selbst wenn eine Einreise nach Italien durchgeführt werden könnte, wären dort im Hinblick auf den Antragsteller die elementarsten Bedürfnisse nach "Bett, Brot und Seife",
38vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 - C-163/17 -, juris, Rn. 87 ff.; Beschluss vom 13. November 2019 - C-540/17 und C-541/17 -, juris, Rn. 39; vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschlüsse vom 16. Dezember 2022 - 11 A 1397/21.A -, juris, Rn. 47 f., vom 16. Dezember 2019 - 11 A 228/15.A -, juris, Rn. 34 ff., m. w. N., wonach ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK vorliegt, wenn die elementarsten Bedürfnisse ("Bett, Brot, Seife") nicht befriedigt werden können, ferner Urteile vom 21. Januar 2021 - 11 A 1564/20.A -, juris, Rn. 30 ff., und - 11 A 2982/20.A -, juris, Rn. 32 ff.,
39aufgrund der fehlenden Aufnahmeeinrichtungen nicht gewährleistet, weshalb wesentliche Gründe für die Annahme vorliegen, dass das Asylverfahren und die Aufnahmebedingungen für Antragsteller in Italien systemische Schwachstellen aufweisen, die eine Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta mit sich bringen.
40So auch VG Arnsberg, Urteil vom 24. Januar 2023 – 2 K 2991/22.A –, juris, Rn. 55 ff.; vgl. auch die Entscheidungen der Direktion Verwaltungsrechtsprechung des Staatsrates der Niederlande, Entscheidungen vom 26. April 2023, ECLI:NL:RVS:2023:1654 und ECLI:NL:RVS:2023:1655, Pressemitteilung in Englisch: https://www.raadvanstate.nl/talen/artikel/english-version/state-secretary-blocked-from-returning/, zuletzt abgerufen am 8. Mai 2023.
41Ob und inwieweit Italien aufgrund der Dublin III-VO verpflichtet ist, ausreichende Kapazitäten für Dublin-Rückkehrende vorzuhalten und ob etwa die systemischen Schwachstellen von der italienischen Regierung bewusst herbeigeführt werden um das Dublin-System zu unterlaufen und politischen Druck auf die anderen Mitgliedsstaaten auszuüben, ist für die Beantwortung der Frage, ob dem Antragsteller aufgrund der systemischen Schwachstellen die Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung i.S.d. Art. 4 der EU-Grundrechtecharta droht, unerheblich. Dies gilt unabhängig davon, ob Italien tatsächlich keine ausreichenden Aufnahmekapazitäten für Dublin-Rückkehrende vorhält oder sich bloß weigert Dublin-Rückkehrende aufzunehmen. Nicht zuletzt die von den Mitgliedsstaaten in Art. 3 Abs. 2 UA 2 Dublin III-VO getroffene Regelung macht deutlich, dass die Durchsetzung der Verpflichtungen der Mitgliedsstaaten aus der Dublin III-VO gerade nicht zu Lasten der Asylbewerber durch Rücküberführungen in jedem Fall geschehen soll.
42Mit dieser Entscheidung setzt sich die Kammer auch nicht in Divergenz zu den Entscheidungen des
43OVG NRW, Beschlüsse vom 15. Juli 2022 – 11 A 1138/21.A – und 26. Juli 2022 – 11 A 1497/21.A –, jeweils juris,
44da sich die tatsächlichen Verhältnisse seitdem, wie dargestellt, wesentlich geändert haben. In den genannten Entscheidungen ging das OVG NRW noch davon aus, dass im Rahmen des Dublinverfahrens nach Italien Zurückkehrende, die dort zuvor noch keinen Asylantrag gestellt hätten, eine Unterbringung und Versorgung erreichen könnten. Nimmt Italien aber entsprechend der hiesigen Feststellungen keine Dublin-Rückkehrenden mehr auf, können sie dort denknotwendig auch weder eine Unterbringung noch eine Versorgung erreichen.
45Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 22. März 2023 – 11 A 335/23.A –, juris, Rn. 7-8 und vom 16. März 2023 – 11 A 252/23.A –, juris, Rn. 7-8.
46Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
47Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).