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1. Der Antrag wird abgelehnt.Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 1.250,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der zulässige Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage – 23 K 176/23 – gegen den Auflagenbescheid der Antragsgegnerin vom 3. Januar 2023 wiederherzustellen,
4hat keinen Erfolg.
5Das Gericht stellt im Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO die aufschiebende Wirkung der Klage wieder her, wenn das Aussetzungsinteresse des Antragstellers gegenüber dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit des Bescheides überwiegt. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sich der angefochtene Verwaltungsakt bei der im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzverfahrens alleine gebotenen und möglichen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage als offensichtlich rechtswidrig erweist. Denn an der sofortigen Vollziehung offensichtlich rechtswidriger Verwaltungsakte besteht erkennbar kein öffentliches Interesse.
6Ausgehend hiervon ist der Antrag nicht begründet, weil sich der Auflagenbescheid der Antragsgegnerin vom 3. Januar 2023 im Hauptsacheverfahren voraussichtlich als rechtmäßig erweisen wird.
7Der Bescheid ist nicht schon deshalb rechtswidrig, weil ihm die Bestandskraft des Bescheides vom 7. Oktober 2022 entgegensteht. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt für die Anfechtungsklage gegen die Auflagenanordnungen ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung. Die angeordneten Auflagen verlängern sich fortwährend, sodass von einem Dauerverwaltungsakt auszugehen ist. Ein formalisiertes Verfahren, wie es etwa bei der Neuerteilung der Fahrerlaubnis nach vorheriger Entziehung in § 20 Abs. 1 FeV vorgesehen ist, sieht das materielle Recht für die Aufhebung von Auflagen nach § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV nicht vor. Dieser Umstand wird nicht dadurch ausgeglichen, dass der von den Auflagen Betroffene - wie der von einem sonstigen belastenden Verwaltungsakt Betroffene - eine Änderung der Sach- oder Rechtslage gegebenenfalls in einem Verfahren auf Aufhebung der ihm gegenüber erlassenen Auflagen geltend machen kann (vgl. §§ 49, 51 VwVfG NRW).
8Vgl. VG München, Urteil vom 29. November 2022 – M 19 K 19.1306 –, Rn. 31, juris und zu den ähnlichen Erwägungen bei der Untersagung des Führens fahrerlaubnisfreier Fahrzeuge BVerwG, Urteil vom 4. Dezember 2020 – 3 C 5.20 –, BVerwGE 171, 1-17, Rn. 10-14.
9Indem es auf die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten gerichtlichen Tatsachenentscheidung ankommt, kann dahinstehen, ob es sich bei dem hier streitgegenständlichen Bescheid vom 3. Januar 2023 um einen die Erstentscheidung vom 7. Oktober 2022 stillschweigend aufhebenden „Zweitbescheid“ handelt. Der Bescheid vom 7. Oktober 2022 wurde von der Antragsgegnerin spätestens mit Schriftsatz vom 1. März 2023 aufgehoben. Der Bescheid vom 7. Oktober 2022 war für den Antragsteller rein belastend, die Aufhebung mithin ausschließlich begünstigend. Der Umstand, dass der „ersetzende“ Bescheid vom 3. Januar 2023 „stärker“ belastend ist, als es der Bescheid vom 7. Oktober 2022 war, macht letzteren weder begünstigend i.S.d. § 48 ff. VwVfG, noch macht es die Aufhebungsentscheidung belastend. Eines darüber hinausgehenden „formellen Aufhebungs- bzw. Änderungsbescheids“ bedarf es entgegen der Ansicht des Antragstellers nicht.
10Rechtsgrundlage für den streitgegenständlichen Auflagenbescheid vom 3. Januar 2023 ist § 46 Abs. 2 Satz 1 FeV. Nach dieser Bestimmung schränkt die Fahrerlaubnisbehörde die Fahrerlaubnis so weit wie notwendig ein oder ordnet erforderliche Auflagen an, wenn sich der Inhaber einer Fahrerlaubnis noch als bedingt geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen erweist.
11Die Regelung des § 46 Abs. 2 FeV zur bedingten Geeignetheit steht im Zusammenhang mit der vollständigen Ungeeignetheit nach § 46 Abs. 1 FeV. Letztere zieht den Entzug der Fahrerlaubnis nach sich. Ein Entzug der Fahrerlaubnis im Falle einer noch bedingten Eignung wäre unverhältnismäßig, weil er nicht das mildeste Mittel darstellte. Vorrangig ist in einem solchen Fall die Beschränkung der Fahrerlaubnis oder die Anordnung von Auflagen, wenn die Mängel hierdurch kompensierbar sind. Bestehen bloße Bedenken in Bezug auf die Eignung, bedarf es zunächst gemäß § 46 Abs. 3 FeV weiterer Ermittlungen. Die Anordnung von Auflagen hat damit zur Voraussetzung, dass eine bedingte Eignung besteht und durch diese die Eignung - weitgehend - wiederhergestellt werden kann. Geeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist gemäß § 2 Abs. 4 Satz 1 StVG, wer die notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt und nicht erheblich oder nicht wiederholt gegen verkehrsrechtliche Vorschriften oder gegen Strafgesetze verstoßen hat. Nach Satz 2 wird die Fahrerlaubnis mit Beschränkungen oder unter Auflagen erteilt, wenn der Bewerber aufgrund körperlicher oder geistiger Mängel nur bedingt zum Führen von Kraftfahrzeugen geeignet ist. Nach § 46 Abs. 1 Satz 2 FeV ist dies insbesondere bei Erkrankungen oder Mängeln nach Anlage 4 (Eignung und bedingte Eignung zum Führen von Kraftfahrzeugen) der Fall. Anlage 4 enthält gemäß Vorbemerkung Nr. 1 eine Aufstellung häufig vorkommender Erkrankungen oder Mängel, die die Eignung längere Zeit beeinträchtigen oder aufheben können.
12Neben den dort aufgeführten körperlichen und geistigen Mängeln können Krankheiten generell eine Nichteignung/bedingte Eignung bewirken, wenn sie die Fahrtüchtigkeit entweder ständig unter das erforderliche Maß herabsetzen oder die erhebliche Gefahr einer plötzlich und überraschend eintretenden Fahruntüchtigkeit bilden.
13Vgl. Bayerischer VGH, Beschluss vom 25. März 2020 – 11 CS 20.203 –, Rn. 14, juris; Dauer in: Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, § 11 FeV, Rn. 19 und Siegmund in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 11 FeV (Stand: 20.12.2022), Rn. 19.
14Ausgehend hiervon bestehen keine Bedenken an der Anordnung von jährlichen verkehrsmedizinischen Nachuntersuchungen nach positiver Ablegung einer Fahrverhaltensbeobachtungsfahrt und der Anordnung für die Dauer von 24 Monaten alle 6 Monate psychiatrische Bescheinigungen des den Antragsteller behandelnden Psychiaters unaufgefordert bei der Fahrerlaubnisbehörde postalisch einzureichen.
15Der Antragsteller ist bei Zugrundelegung des fachärztlichen psychiatrischen Gutachtens des Dr. med. O. und der Priv. Doz. Dr. med. habil. H. vom 11. August 2021 nur bedingt fahrgeeignet.
16Nach dem nachvollziehbaren und schlüssigen fachärztlichen psychiatrischen Gutachten des Dr. med. O. und der Priv. Doz. Dr. med. habil. H. vom 11. August 2021 liegen auf nervenärztlichem Fachgebiet beim Antragsteller eine zu dem Zeitpunkt stabile bipolare affektive Störung und eine beginnende dementielle Störung vor. Im November 2020 sei eine manische Phase der bipolaren affektiven Störung behandelt und so die Stabilisierung hergestellt worden.
17Die beim Antragsteller diagnostizierten Erkrankungen haben nicht nur abstrakt Auswirkungen auf seine Fahreignung, sondern beeinträchtigen die Fähigkeit des Antragstellers zum Führen von Kraftfahrzeugen konkret. Dies steht nach den von den Gutachtern durchgeführten Tests nach dem „Wiener Testsystem“ fest.
18Das Ergebnis dieser neurokognitiven Leistungstestung mit Defiziten insbesondere in der Aufmerksamkeit (Prozentrang: 11) und Belastbarkeit (Prozentrang: 1) zeige eine relevante Leistungsbeeinträchtigung. Diese neurokognitive Leistungsbeeinträchtigung habe mutmaßlich eine dementielle Ursache. Die Anforderungen an die Fahrer der Gruppe 1 (Führerscheinklassen A, A1, A2, B, BE, AM, L, T) erfülle der Antragsteller bezogen auf Belastbarkeit und Aufmerksamkeit nicht. Ausreichend wären die Ergebnisse erst ab einem Prozentrang von 16. Diesen hat der Antragsteller in den Bereichen „Orientierung“ (29), „Konzentration“ (21), „Reaktionsgeschwindigkeit“ (19) und „motorische Reaktionsgeschwindigkeit“ (32) erreicht.
19Ziff. 7.5.2 der Anlage 4 zur FeV sieht als Auflage bei bedingter Eignung nach Abklingen der manischen Phase einer affektiven Psychose, wozu die bipolare affektive Störung gehört, ausdrücklich die Anordnung von Nachuntersuchungen vor.
20Aus medizinisch-sachverständiger Sicht haben die Gutachter für den Fall der positiven Ablegung einer Fahrverhaltensbeobachtungsfahrt ausdrücklich jährliche Nachuntersuchungen und die Vorlage psychiatrischer Bescheinigung alle 6 Monate für die Dauer von mindestens 24 Monaten angeregt.
21Die am 14. Januar 2022 durchgeführte Fahrverhaltensbeobachtungsfahrt kam zu dem Ergebnis, dass die hinsichtlich der psychisch-funktionalen Leistungsfähigkeit aufgekommenen Bedenken als ausgeräumt angesehen werden könnten. Gleichzeitig verwies der Prüfer auf die Einhaltung der für diesen Fall angeregten Auflagen.
22Die Auffassung des Antragstellers, eine jährliche Nachuntersuchung sei nicht erforderlich, ist durch nichts belegt. Insbesondere erübrigt sich die Anordnung von Nachuntersuchungen nicht aufgrund des von ihm vorgelegten Attestes des behandelnden Allgemeinmediziners C. vom 16. September 2021. Ungeachtet der Umstände, dass er der behandelnde Arzt des Antragstellers ist und nicht die notwendige verkehrsmedizinische Qualifikation besitzt, ist dieses Attest schon deshalb nicht relevant, weil es sich nicht mit der durch den Wiener Test belegten mangelnden Leistungsfähigkeit des Antragstellers auseinandersetzt.
23Gegen die Einschränkung der Fahrerlaubnis gem. § 46 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 FeV auf die Fahrerlaubnisklassen AM+A1+A*+B+BE+L, weil die Voraussetzungen zum Führen von Fahrzeugen der Fahrerlaubnisklasse C1+C1E nicht mehr gegeben seien, bestehen angesichts des Gutachtens vom 11. August 2021 ebenfalls keine Bedenken. Danach seien für Fahrer der Gruppe 2 (Klassen C, C1, CE, C1E, D, D1, DE, D1E, FzF) bei der durchgeführten Leistungsuntersuchung in allen Tests mindestens ein Prozentrang von 16 und in der Mehrzahl der Tests mindestens ein Prozentrang von 33 zu erreichen. Der Antragsteller erfüllt letztere Anforderung in keinem der durchgeführten Tests und erstere Anforderung in zwei der sechs durchgeführten Tests nicht.
24Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf §§ 52 Abs. 1, 53 Abs. 2 GKG. Dabei ist nach der obergerichtlichen Streitwertpraxis in Verfahren, die Auflagen zur Fahrerlaubnis zum Gegenstand haben, die Hälfte des Streitwertes für Verfahren wegen Entziehung oder Erteilung einer Fahrerlaubnis (5.000,00 EUR) zu berücksichtigen.
25Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. November 2012 – 16 A 2172/12 –, juris.
26Vor dem Hintergrund der vorläufigen Entscheidung war der sich daraus ergebende Betrag von 2.500,00 EUR für das vorliegende Verfahren zu halbieren.
27Rechtsmittelbelehrung
28Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
29Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
30Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
31Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
32Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
33Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
34Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
35Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
36Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.