Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 13.10.2023 wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, dass die Bescheide des Antragsgegners vom 11.10.2023 sowie vom 12.10.2023 in Kraft bleiben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Antragsgegner.
2. Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der Antrag des Antragstellers,
3die aufschiebende Wirkung der Klage gegen Bescheid vom 13.10.2023 wiederherzustellen,
4ist dahingehend auszulegen, dass der Antragsteller die Auflagen in den Bescheiden des Antragsgegners vom 11.10.2023 sowie vom 12.10.2023 nicht angreift, sondern vielmehr mit deren Geltung einverstanden ist. Denn der Antragsteller beantragt in seiner Klage die Aufhebung des (gesamten) Bescheides vom 13.10.2023, der neben dem Verbot der Versammlung (Ziffer 2) auch die Aufhebung der Auflagenbescheide vom 11.10.2023 und 12.10.2023 (Ziffer 1) beinhaltet. Auch in der Antragsbegründung wendet er sich nicht gegen die zuvor verfügten Auflagen, sondern begehrt die Durchführung der Versammlung unter deren Geltung.
5Der so verstandene Antrag, über den nach § 80 Abs. 8 VwGO der Vertreter des Vorsitzenden der Bereitschaftskammer des Verwaltungsgerichts Köln entscheidet, ist zulässig und begründet.
6Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1, 2. Alt. VwGO kann das Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen einen Verwaltungsakt wiederherstellen, dessen sofortige Vollziehung die Behörde – wie hier das Polizeipräsidium Köln – gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Die Entscheidung des Gerichts hängt von einer Abwägung des öffentlichen Interesses an der sofortigen Vollziehbarkeit mit dem privaten Interesse des Antragstellers an einem vorläufigen Aufschub der Vollziehung ab. Für die Interessenabwägung fallen die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs, dessen aufschiebende Wirkung wiederhergestellt werden soll, wesentlich ins Gewicht. Ist der Verwaltungsakt bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung offensichtlich rechtswidrig, so hat der Antrag Erfolg, da in diesem Fall kein öffentliches Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit bestehen kann. Stellt sich der Verwaltungsakt als offensichtlich rechtmäßig dar, überwiegt in der Regel das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung der Maßnahme. Zusätzlich muss ein besonderes Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts bestehen, da § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO gegenüber dem Regelfall des § 80 Abs. 1 VwGO eine zusätzliche Hürde in Form des überwiegenden Vollzugsinteresses aufstellt. Erweisen sich die Erfolgsaussichten in der Hauptsache dagegen bei summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage als offen, findet eine Abwägung der für und gegen die sofortige Vollziehung sprechenden Interessen statt.
7Unter Anwendung dieser Maßstäbe überwiegt vorliegend das private Interesse des Antragstellers an einem Aufschub der Vollziehung. Denn bei summarischer Prüfung erweist sich der Bescheid des Antragsgegners vom 13.10.2023, mit welchem dieser dem Antragsteller die für den 14.10.2023 angezeigte Versammlung zu dem Thema „Palästina unter Besatzung“ verboten hat, als offensichtlich rechtswidrig.
8Gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 VersG NRW kann die zuständige Behörde eine Versammlung verbieten, wenn ihre Durchführung die öffentliche Sicherheit unmittelbar gefährdet und die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann.
9Ist eine versammlungsbehördliche Verfügung auf eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit gestützt, erfordert die von der Behörde und den befassten Gerichten angestellte Gefahrenprognose tatsächliche Anhaltspunkte, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben. Bloße Verdachtsmomente oder Vermutungen reichen nicht aus. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für eine Auflage oder ein Verbot liegt grundsätzlich bei der Behörde.
10Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 17.05.2023 - 15 B 504/23 -, juris, Rn. 6 f., und vom 24.05.2020 - 15 B 755/20 -, juris, Rn. 9 ff., jeweils m.w.N.
11Gemessen an diesen Maßstäben ist nicht von einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit auszugehen. Ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte hierfür hat der Antragsgegner nicht dargelegt.
12Im Rahmen der Gefahrenprognose ist zu beachten, dass sich der Antragsteller in der Vergangenheit bereits als zuverlässiger Versammlungsleiter erwiesen hat, er auch in Bezug auf die streitgegenständliche Versammlung durchgehend kooperationsbereit war und der Antragsgegner (in Absprache mit dem Antragsteller) bereits Auflagen für die Versammlung verfügt hat. Der Antragsgegner selbst führt in dem Bescheid vom 13.10.2023 aus, der Antragsteller (der in der Vergangenheit bereits mehrere pro-palästinensische Versammlungen in Köln angemeldet hat) habe in der Vergangenheit einen störungsfreien Verlauf der jeweils angezeigten Versammlungen sichergestellt. In einem Kooperationsgespräch am 10.10.2023 hat sich der Antragsteller mit dem Erlass der – sodann mit Bescheiden vom 11.10.2023 und 12.10.2023 vom Antragsgegner verfügten – Auflagen (u. a. das Verbot des Aufrufs zu Gewalt oder Hass im Allgemeinen oder gegen die israelische Bevölkerung oder jüdische Menschen, das Verbot der Leugnung oder des Infragestellens des Existenzrechts des Staates Israels sowie das Verbot der Leugnung, Befürwortung, Rechtfertigung oder Verherrlichung der Angriffe der Hamas auf Israel) sofort und ausdrücklich einverstanden erklärt und klargestellt, dass solche Äußerungen oder Verhaltensweisen weder geplant noch erwünscht seien. In der Anhörung vom 13.10.2023 hat der Antragsteller zudem unter anderem mitgeteilt, er dulde weder radikale noch religiöse Meinungen. Teilnehmer mit entsprechenden Äußerungen werde er von der Versammlung ausschließen. Zudem kündigte er an, die Versammlung mit Hilfe der Polizei aufzulösen, sobald er das Gefühl habe, keine Kontrolle mehr über das Verhalten der Teilnehmenden zu haben.
13Soweit der Antragsgegner vor diesem Hintergrund zur Begründung der unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit in dem Bescheid vom 13.10.2023 auf Ausschreitungen bei pro-palästinensischen Versammlungen in Berlin und V. verweist, ist dies nicht geeignet, das hiesige Versammlungsverbot zu begründen, da insofern konkrete Angaben fehlen, inwieweit die auf die dortigen Versammlungen bezogenen Erkenntnisse auf den – zuverlässigen – Antragsteller und die von ihm angemeldete Versammlung in Köln übertragbar sein sollen. Der Antragsgegner hat insbesondere nicht geltend gemacht, dass der Antragsteller mit den (Anmeldenden der) genannten Versammlungen in Verbindung steht.
14Auch der Verweis des Antragsgegners auf das durch die aktuellen Ereignisse in Israel und dem Gazastreifen hervorgerufene erhöhte Emotionalisierungs- und Mobilisierungspotenzial in Deutschland und die Feststellung, es sei eine verschärfte Rhetorik bei den Verantwortlichen der streitgegenständlichen Versammlung zu erkennen, da diese neben dem angemeldeten Titel „Palästina unter Besatzung“ auch unter dem Titel „Stoppt das Massaker gegen die Zivilisten“ in den sozialen Medien (ohne feststellbare Resonanz) beworben worden sei, reichen für sich genommen nicht aus, um die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Gefahreneintritts zu begründen. Dass der Antragsteller – wie vom Antragsgegner angenommen – aufgrund einer erhöhten Emotionalisierung angesichts der aktuellen politischen Lage anders als in der Vergangenheit die Versammlung nicht konstruktiv begleiten und die Beachtung der bereits geltenden Auflagen sicherstellen werde, ist angesichts der konkreten Zusagen und Aussagen des Antragstellers im Vorfeld der Versammlung ebenfalls eine bloße Vermutung.
15Eine abweichende Gefahrenprognose folgt – auch im Rahmen einer Gesamtbetrachtung – zudem nicht aus der Annahme des Antragsgegners, dass der bundesweit bekannte Redner und Deutschlandkoordinator der Organisation „SL.“, C., an der Versammlung des Antragstellers teilnehmen werde (und in diesem Fall nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Veranstaltung einen unfriedlichen Verlauf nehmen könne). Denn abgesehen davon, dass sich der Antragsteller in der Anhörung ausdrücklich von der Organisation „E.“ distanziert hat und der Antragsgegner auch keine Verbindungen des Antragstellers geltend macht, sodass entsprechende Maßnahmen dann gegen diesen Personenkreis zu richten wären, der mit der beabsichtigten Friedlichkeit der Versammlung nicht einhergeht, ist die Annahme des Antragsgegner bereits mangels hinreichender tatsächlicher Anhaltspunkte für eine Teilnahme der genannten Person nicht nachvollziehbar.
16Der Antragsgegner stützt die Prognose lediglich auf die Tatsache, dass Herr U. am 00.00.0000 zu einer von der Organisation „SL.“ initiierten pro-palästinensischen Veranstaltung in Köln angekündigt worden sei und dass er am 00.00.0000 überdies eine (im Vorfeld angekündigte) Rede auf einer von der Organisation „A.“ angemeldeten, pro-palästinensischen Versammlung in V. gehalten habe. Auf der Abschlusskundgebung der Versammlung seien verschiedene ggfs. strafrechtlich relevante Sprechchöre angestimmt worden und problematische historische Anspielungen erfolgt. Es ist nicht ersichtlich, warum aus diesen Geschehnissen geschlossen werden sollte, dass Herr U. auch der Veranstaltung des Antragstellers beiwohnen wird. Weder hat der Antragsgegner eine Verbindung des Antragstellers zu einer der beiden Organisationen geltend gemacht noch wurde Herr U. – anders als bei den genannten Veranstaltungen – als Redner angekündigt.
17Soweit der Antragsgegner in dem Bescheid vom 13.10.2023 in diesem Zusammenhang pauschal angibt, die Organisation „E.“ habe auch selbst zu der Versammlung des Antragstellers in sozialen Netzwerken aufgerufen, finden sich hierfür (auch in den Verwaltungsvorgängen) keinerlei Nachweise oder konkrete Ausführungen. Vielmehr ist diese Information in dem der Verbotsverfügung zugrundeliegenden Vermerk nicht enthalten.
18Abschließend kann auch das vom Antragsgegner erstmals in der Antragserwiderung in Bezug genommene und dem Gericht nicht zur Verfügung gestellte Dokument der Z.. („75 Jahre israelische Unterwerfung, 65 Jahre israelische Besatzung, 17 Jahre Belagerung vom Gazastreifen“) zu keiner anderen Gefahrenprognose führen. Soweit es das Gericht bei summarischer Prüfung feststellen kann, handelt es sich hierbei entgegen der Aussage des Antragsgegners nicht um eine Bewerbung der streitgegenständlichen Versammlung, sondern ein Positionspapier eines Vereins, der mit der Veranstalterin der streitgegenständlichen Versammlung wohl nicht identisch ist und dessen Relevanz für die Gefahrenprognose im Übrigen auf Grundlage der zwei vom Antragsgegner zitierten Satzteile bei summarischer Prüfung nicht ersichtlich ist.
19Ein Verbot nach § 13 Abs. 2 Satz 2 VersG NRW würde – selbst bei unterstelltem Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit – überdies voraussetzen, dass die Gefahr nicht anders abgewehrt werden kann. Auch dies hat der Antragsgegner nicht hinreichend dargelegt.
20So fehlt es etwa an einer konkreten Begründung, warum mit einer erhöhten Anzahl von Ordnern oder anderen Maßnahmen gegen etwaige Störer, welche die Versammlung des Antragstellers unterwandern, nicht gezielt vorgegangen werden könnte. Der bloße Verweis auf Erfahrungen aus vergleichbaren Versammlungslagen in jüngster Zeit lässt erneut außer Betracht, dass der – zuverlässige – Antragsteller im Vorfeld seine Kooperation mit der Polizei auch hinsichtlich des Ausschlusses einzelner Störer aus der Versammlung zugesichert hat.
21Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
22Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 2 GKG und trägt der Tatsache Rechnung, dass die Entscheidung in der Hauptsache vorweggenommen wird.
23Rechtsmittelbelehrung
24Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
25Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
26Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
27Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
28Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
29Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
30Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
31Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
32Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.