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1. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wird abgelehnt, weil der Antragsteller keine Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt hat, § 166 VwGO i. V. m. § 117 Abs. 2 ZPO.
2. Es wird festgestellt, dass die Klage 12 K 6997/22 gegen Ziffer 1 der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22.11.2022 aufschiebende Wirkung hat. Die aufschiebende Wirkung der Klage 12 K 6997/22 gegen Ziffer 2 und 3 der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22.11.2022 wird angeordnet. Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens zu 3/4 und der Antragsteller zu 1/4.
3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
G r ü n d e
2Der Antrag,
31. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, die Abschiebung bis zur unanfechtbaren Entscheidung im Feststellungsverfahren auszusetzen,
42. die aufschiebende Wirkung der gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2 der Ordnungsverfügung vom 22.11.2022 gerichteten Klage anzuordnen,
53. die aufschiebende Wirkung der gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 3 der Ordnungsverfügung vom 22.11.2022 gerichteten Klage anzuordnen und
64. die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, die Abschiebung bis zur unanfechtbaren Entscheidung auch im Feststellungsverfahren bezüglich der Flüchtlingseigenschaft auszusetzen,
7hat überwiegend – mit Ausnahme des Antrags zu 4 – Erfolg.
81. Der Antrag zu 1 ist bei verständiger Würdigung des Antragsbegehrens (§§ 122 Abs. 1, 88 VwGO) dahingehend auszulegen, dass der Antragssteller beantragt
9festzustellen, dass die Klage 12 K 6997/22 gegen die Ziffer 1 der Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 22.11.2022 aufschiebende Wirkung hat.
10Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO, der gemäß § 123 Abs. 5 VwGO dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung vorgeht, ist (auch) gegen die in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung enthaltene Feststellung, dass die Niederlassungserlaubnis des Antragstellers gemäß § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG erloschen ist, statthaft. Denn im Hauptsacheverfahren ist hiergegen die Anfechtungsklage statthaft.
11Obschon die Rechtsfolgen der Erlöschenstatbestände in § 51 Abs. 1 Nr. 6 und 7 AufenthG kraft Gesetzes – ohne Erlass eines Verwaltungsaktes – eintreten, hat die Antragsgegnerin hier mit der angefochtenen Ordnungsverfügung einen feststellenden Verwaltungsakt in Bescheidform erlassen. Neben der äußeren Form des Verwaltungshandels streiten für diese Annahme sowohl der Wortlaut des Bescheidtenors zu Ziffer 1 („Ich stelle fest, dass Ihre Niederlassungserlaubnis […] erloschen ist […]“) als auch die Begründung (ab Seite 3 unten), in der die Antragsgegnerin wiederum explizit ausführt, dass das Erlöschen festgestellt wird.
12Handelt es sich sonach um einen feststellenden Verwaltungsakt, ist in der Hauptsache die Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1, 1. Alt. VwGO statthaft und einstweiliger Rechtsschutz grundsätzlich im Wege eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO nachzusuchen.
13Vgl. Dittrich/Breckwoldt, HTK-AuslR,Stand 14.02.2019, Rechtsschutz / 2.2.9, Rn. 19 und 22.
14Mangels Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit der Ziffer 1 der Ordnungsverfügung vom 22.11.2022 im Sinne von § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO entfaltet die Hauptsacheklage nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO aufschiebende Wirkung. Da sich hier die Antragsgegnerin allerdings ausweislich der Begründung der Ordnungsverfügung, insbesondere in Anbetracht der Ausreiseaufforderung unter Fristsetzung bis zum 27.12.2022, offenbar einer sofortigen Vollziehbarkeit geriert, ist analog § 80 Abs. 5 VwGO die Feststellung der aufschiebenden Wirkung der Klage auszusprechen.
152. Der nach § 80 Abs. 2 S. 2 VwGO i.V.m. § 112 JustG NRW statthafte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung in Ziffer 2 der Ordnungsverfügung vom 22.11.2022 ist begründet.
16Im Rahmen der nach § 80 Abs. 5 VwGO gebotenen Interessenabwägung überwiegt das Aussetzungsinteresse des Antragsstellers das öffentliche Vollzugsinteresse, denn es bestehen erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Abschiebungsandrohung und das Vollzugsinteresse überwiegt auch nicht aus sonstigen Gründen. Die Annahme der Antragsgegnerin, der Antragsteller sei infolge des Erlöschens seiner Niederlassungserlaubnis – wie für die Androhung der Abschiebung gemäß § 58 Abs. 1 Satz 1 AufenthG vorausgesetzt – ausreisepflichtig, begegnet ernst zu nehmenden Bedenken.
17Voraussetzung für ein Erlöschen der Niederlassungserlaubnis des Antragstellers nach § 51 Abs. 1 Nr. 6 oder 7 AufenthG ist, dass nicht zu seinen Gunsten die Regelung in § 51 Abs. 7 AufenthG greift. Ob dies der Fall ist, bedarf weiterer Aufklärung zum Sachverhalt und einer umfassenden rechtlichen Würdigung, die dem Hauptsacheverfahren vorbehalten sind. Entgegen der Annahme der Antragsgegnerin in der Ordnungsverfügung ist die Flüchtlingseigenschaft des Antragstellers nicht kraft Gesetzes gemäß § 72 Abs. 1 AsylG erloschen. Nach Neufassung dieser Norm mit Wirkung vom 01.01.2023, die für das Asylklageverfahren (s.u.) gemäß § 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG zu berücksichtigen ist, stellt die Rückkehr in den Heimat- bzw. Verfolgerstaat keinen Erlöschenstatbestand mehr da, sondern einen Widerrufstatbestand nach § 73 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 AsylG. Ob der Widerrufsbescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 12.10.2020 bestandskräftig oder zumindest vollziehbar ist, muss im Hauptsacheverfahren geklärt werden. Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 21.11.2022 vor der 3. Kammer des Gerichts Klage erhoben (3 K 6320/22.A), die grundsätzlich aufschiebende Wirkung nach § 80 Abs. 1 VwGO entfaltet. Diese Asylklage ist nicht wegen Verfristung offensichtlich unzulässig, da es – dem Hauptsacheverfahren vorbehaltener – näherer Aufklärung und Prüfung bedarf, ob die Vorgaben für die vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge vorgenommene öffentliche Zustellung des Bescheids und/oder Wiedereinsetzungsgründe vorlagen.
183. Der nach § 80 Abs. 2 S. Nr. 3 VwGO i.V.m. § 84 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 AufenthG statthafte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen das Einreise- und Aufenthaltsverbot nebst Befristung in Ziffer 3 der Ordnungsverfügung ist begründet, da nach den vorangehenden Ausführungen Zweifel an der Rechtmäßigkeit der dem Einreise- und Aufenthaltsverbots zugrundeliegenden Regelungen in Ziffer 1 und 2 der Ordnungsverfügung bestehen.
194. Unterstellt, abweichend von den obigen Erwägungen zur Statthaftigkeit eines Antrags entsprechend § 80 Abs. 5 VwGO In Bezug auf die in Ziffer 1 der Ordnungsverfügung vorgenommene Feststellung des Erlöschens der Niederlassungserlaubnis wäre ein Antrag nach § 123 Abs. 1 VwGO auf vorläufiges Unterlassen einer Abschiebung die statthafte Antragsart, hätte dieser Antrag ebenfalls Erfolg. Im Rahmen einer Interessenabwägung hätte das Interesse des Antragstellers, von einer Abschiebung einstweilen verschont zu bleiben und das Hauptsacheverfahren vom Inland aus zu betreiben, Vorrang gegenüber dem Vollzugsinteresse. Denn nach den obigen Ausführungen bestehen ernstliche Bedenken, ob die Voraussetzungen für ein Erlöschen der Niederlassungserlaubnis des Antragstellers und damit für eine bestehende Ausreisepflicht vorliegen.
205. Dem mit Schriftsatz vom 09.02.2023 unbedingt gestellten Antrag zu 4, die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 VwGO zu verpflichten, die Abschiebung des Antragstellers bis zur unanfechtbaren Entscheidung auch im Feststellungsverfahren bezüglich der Flüchtlingseigenschaft auszusetzen, bleibt der Erfolg versagt. Ein Rechtsschutzinteresse für dieses im vorliegenden ausländerrechtlichen Verfahren geltend gemachte Begehren ist mit Blick auf den Erfolg der Anträge zu 1 bis 3 nicht glaubhaft gemacht oder sonst ersichtlich.
21Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 52 Abs. 2, § 53 Abs. 2 Nr. 2 GKG.
22Rechtsmittelbelehrung
23Dieser Beschluss ist zu Ziffer 1 unanfechtbar, § 146 Abs. 2 VwGO.
24Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
25Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
26Die Beschwerde gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
27Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
28Gegen Ziffer 3 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
29Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
30Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
31Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.