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1.Der Antrag wird abgelehnt.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 10.000 Euro festgesetzt.
Gründe
2I.
3Die 1973 in der Türkei geborene Antragstellerin erwarb mit ihrer Geburt die türkische Staatsangehörigkeit. Im Jahr 1980 zog sie mit ihrer Familie von der Türkei nach Hannover.
4Am 00. 00. 1999 erwarb die Antragstellerin die deutsche Staatsangehörigkeit durch Einbürgerung. Am selben Tag wurden ihr ein Personalausweis und ein Reisepass ausgestellt. Am 8. Juni 1999 schied die Antragstellerin aus der türkischen Staatsangehörigkeit aus.
5Am 00. 00. 2003 wurde dem Sohn der Antragstellerin zu seiner Geburt ein Kinderausweis von der Landeshauptstadt Hannover ausgestellt, in welchem dieser mit deutscher Staatsangehörigkeit geführt wurde. Im Jahr 2004 zog die Antragstellerin von Hannover nach Antakya, Provinz O., Türkei, wohin sie sich im Jahr 2008 melderechtlich bei der Stadt Hannover abmeldete. Auf der Abmeldebestätigung wurde als Staatsangehörigkeit der Antragstellerin „deutsch“ vermerkt.
6Am 9. Juli 2019 sprach die Antragstellerin bei der deutschen Botschaft in Ankara vor, um neue deutsche Ausweispapiere zu beantragen. Im Zuge dessen legte sie einen Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister, ausgestellt am 5. Juli 2019, vor, in welchem der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit auf Samstag, den 7. August 1999 datiert ist, wobei als Eintragungsdatum der 12. Dezember 2003 vermerkt ist. Die deutsche Botschaft in Ankara lehnte die Ausstellung neuer Ausweisdokumente mit der Begründung ab, die Antragstellerin habe ihre deutsche Staatsangehörigkeit verloren, da sie entgegen den vorgelegten Unterlagen erst nach dem 1. Januar 2000 ihre türkische Staatsbürgerschaft wiedererlangt und damit die deutsche Staatsangehörigkeit nach § 25 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) verloren habe. Der vorgelegte Auszug aus dem türkischen Personenstandsregister, der die Wiedererlangung der türkischen Staatsbürgerschaft durch die Antragstellerin am 7. August 1999 ausweise, sei unrichtig, da dieser keine Nummer des Ministerratsbeschlusses enthalte.
7Daraufhin beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin unter dem 18. Juli 2019 die Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit und die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises. Sie gab an, bereits am 7. August 1999 die türkische Staatsangehörigkeit wieder erworben zu haben. Zum Nachweis legte sie einen am 11. Juli 2019 ausgestellten türkischen Personenstandsregisterauszug vor, der im Übrigen mit dem bei der Deutschen Botschaft Ankara vorgelegten Registerauszug übereinstimmte.
8Mit Bescheid vom 14. März 2022 lehnte die Antragsgegnerin den Antrag ab. Zur Begründung führte sie aus, dass die Antragstellerin die deutsche Staatsangehörigkeit durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nach dem 1. Januar 2000 gemäß § 25 StAG in der seitdem geltenden Fassung verloren habe. Ihre Angabe, die türkische Staatsangehörigkeit bereits seit dem 7. August 1999 wieder zu besitzen, sei durch die vorgelegten Unterlagen nicht nachgewiesen. In dem türkischen Personenstandsregisterauszug, welcher als Wiedereinbürgerungsdatum den 7. August 1999 ausweise, sei eine Nummer des Ministerratsbeschlusses gerade bei diesem Eintrag zur Wiedereinbürgerung nicht angegeben. Die fehlende Angabe der Beschlussnummer sowie der Antragsgegnerin bekannte Fälle von Umdatierungen von türkischen Registerauszügen auf ein Datum vor dem 1. Januar 2000 begründeten generelle Zweifel an der inhaltlichen Richtigkeit des Registerauszuges. Zweifel ergäben sich auch daraus, dass zwischen dem vermeintlichen Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit am 7. August 1999 und der Eintragung in das Personenstandsregister am 12. Dezember 2003 mehr als vier Jahre vergangen seien. Dies sei ein deutlich längerer zeitlicher Abstand als üblich. Im Übrigen handle es sich bei dem 7. August 1999 um einen Samstag, an dem nach Erkenntnissen der Auslandsvertretungen grundsätzlich keine derartigen Beschlüsse des Ministerrats getätigt würden. Die Antragstellerin habe die Staatsangehörigkeit auch nicht durch Ersitzung erworben. Der Antragstellerin sei nach ihrer Wiedereinbürgerung in der Türkei und dem Ablauf ihrer deutschen Ausweispapiere am 6. Juni 2009 kein weiteres Ausweispapier durch eine deutsche Behörde ausgestellt worden.
9Am 14. April 2022 legte die Antragstellerin Widerspruch gegen die Ablehnung ein. Zur Begründung nahm sie Bezug auf den vorgelegten türkischen Personenstandsregisterauszug und wies Zweifel an der Richtigkeit der Eintragung zurück. In der Türkei sei der Samstag kein arbeitsfreier Tag, sondern nur der Sonntag. Dass die Eintragung erst am 12. Dezember 2003 erfolgt sei, lasse sich mit Zeitverzögerungen bei der Registrierung in Anbetracht zahlreicher Wiedereinbürgerungen zum Stichtag erklären. Zudem betreffe die im Bescheid angeführte Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen zu Zweifeln an der Richtigkeit von türkischen Personenstandsregisterauszügen nur den Fall, dass mehrere sich widersprechende Personenstandsregisterauszüge vorgelegt würden. Die von ihr vorgelegten Personenstandsregisterauszüge seien aber gerade inhaltsgleich.
10Den Widerspruch wies die Antragsgegnerin mit Bescheid vom 22. Februar 2023, zugestellt am 6. März 2023, im Wesentlichen unter Verweis auf den Ablehnungsbescheid zurück.
11Am 9. März 2023 reiste die Antragstellerin im Wege des vereinfachten Visumverfahrens für Betroffene des Erdbebens in der Türkei in die Bundesrepublik Deutschland ein.
12Die Antragstellerin hat am 5. April 2023 Klage erhoben und am 17. Mai 2023 den vorliegenden Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz gestellt.
13Zur Begründung trägt sie unter Wiederholung ihr Vorbringens aus dem Verwaltungsverfahren ergänzend vor, die Eilbedürftigkeit sei durch das Erdbeben in der Türkei im Februar 2023 entstanden. Angesichts drohender aufenthaltsbeendender Maßnahmen bestehe ein besonders dringliches Interesse am Verbleib im Bundesgebiet bis zur Klärung der Rechtslage im Hauptsacheverfahren. Sie halte sich derzeit in Deutschland nur aufgrund der Visaregelungen im Zuge des Erdbebens in der Türkei auf. Müsste sie nach Ablauf der Visa-Sonderregelungen zum 6. August 2023 in die Provinz O. zurückkehren, entstünden ihr erhebliche und schwere Nachteile. Diese Provinz gehöre zu den am stärksten betroffenen Gebieten des Erdbebens, die Infrastruktur sei noch immer schwer beschädigt und die öffentliche Daseinsvorsorge einschließlich der Trinkwasserversorgung stark eingeschränkt. Für die Sommermonate bestehe akute Seuchengefahr. Sie habe vor Ort keine Unterkunft mehr und müsste in eine Notunterkunft ziehen. Demgegenüber könne sie in Deutschland in geordneten Verhältnissen in der Nähe ihrer Familie leben. Sie sei deutsche Staatsangehörige. Die Antragsgegnerin, die die Beweislast für den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit trage, habe nicht bewiesen, dass sie die türkische Staatsangehörigkeit erst nach dem 1. Januar 2000 wiedererlangt habe. Insbesondere habe die Antragsgegnerin nicht die Beweiskraft der vorgelegten Registerauszüge erschüttert. Es sei nicht ausreichend, dies auf Anhaltspunkte im Einzelfall auf bekannte Fälle von Rückdatierungen der Wiedereinbürgerung durch die türkischen Behörden zu stützen. Diese beträfen nur einen Bruchteil der Einbürgerungen. Es verstoße gegen die Selbstbindung der Verwaltung, wenn die Antragsgegnerin abweichend von den Angaben auf ihrer Internetseite einen Personenstandsregisterauszug mit der Nummer des Ministerratsbeschlusses verlange. Die Staatsangehörigkeit der Antragstellerin werde zudem schon in den eingezogenen Passdokumenten dargelegt. Jedenfalls seien aber die Voraussetzungen für die Ersitzung der deutschen Staatsangehörigkeit erfüllt, da sie, die Antragstellerin, in den Jahren 1999, 2003 und 2008 als deutsche Staatsangehörige behandelt worden sei, ohne dass sie dies zu vertreten gehabt habe.
14Durch die begehrte Anordnung werde die Hauptsache nicht in unzulässiger Weise vorweggenommen, da kein irreversibler Zustand geschaffen werde. Die deutsche Staatsangehörigkeit könne ihr wieder aberkannt und der Nachweis der deutschen Staatsangehörigkeit wieder eingezogen werde. Überdies lägen auch die Voraussetzungen für eine Vorwegnahme der Hauptsache nach dem Gebot des effektiven Rechtschutzes vor.
15Die Antragstellerin beantragt,
16der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung aufzugeben, das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit der Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache festzustellen und der Antragstellerin vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache einen Staatsangehörigkeitsausweis auszustellen.
17Die Antragsgegnerin beantragt,
18den Antrag abzulehnen.
19Zur Begründung verweist sie auf den Inhalt der ergangenen Bescheide. Ergänzend trägt sie vor, das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit könne grundsätzlich nicht vorläufig festgestellt werden.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
21II.
22Der Antrag hat keinen Erfolg.
23Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Notwendigkeit der vorläufigen Regelung (Anordnungsgrund) und der geltend gemachte Anspruch (Anordnungsanspruch) sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO, § 920 Abs. 2, § 294 ZPO).
24Dabei ist allerdings eine Vorwegnahme der Hauptsache im Verfahren nach § 123 VwGO grundsätzlich ausgeschlossen. Eine solche liegt hier trotz der wörtlichen Beschränkung des Antrags auf eine vorläufige Feststellung und eine vorläufige Ausstellung vor. Mit dem Antrag wird nämlich inhaltlich eine Vorwegnahme der Hauptsache angestrebt.
25Durch die begehrte Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit der Antragstellerin würde ein Recht nicht nur vorläufig gesichert oder ein vorläufiger Zustand geregelt und damit die Entscheidbarkeit in der Hauptsache offengehalten, sondern bereits die Entscheidung in der Hauptsache in unzulässiger Weise vorweggenommen und ein irreparabler Zustand herbeigeführt. Aus Gründen der Rechtssicherheit kommt eine nur vorläufige Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit nicht in Betracht. Das materielle Staatsangehörigkeitsrecht sieht vorläufige Zustände nicht vor. Diese stehen vielmehr gerade im Widerspruch zum materiellen Staatsangehörigkeitsrecht, welches in besonderem Maße auf Rechtssicherheit und Verlässlichkeit angelegt ist. Dies ergibt sich schon daraus, dass das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit zahlreiche Rechte und Pflichten bedingt, insbesondere das Wahlrecht und die Ausstellung von Personaldokumenten.
26Vgl. Verwaltungsgericht (VG) Köln, Beschluss vom 19. Mai 2017 – 10 L 1661/17 – juris, Rn. 7; VG Ansbach, Beschluss vom 7. September 2005 – AN 15 E 05.02075 – juris, Rn. 11.
27Das Verfahren zur Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit dient überdies gerade der verbindlichen Feststellung der Rechtslage. Die behördliche Entscheidung ist als rechtsgestaltender Verwaltungsakt ausgestaltet, um die deutsche Staatsangehörigkeit verbindlich in allen Angelegenheiten, für die das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit rechtserheblich ist, festzustellen (§ 30 Abs. 1 Satz 2 StAG).
28Vgl. auch BT-Drs. 16/5065 S. 230 f.
29Mit diesem Ziel einer endgültigen Klärung zur Herstellung von Rechtssicherheit ist eine vorläufige Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit unvereinbar.
30Die Annahme der Antragstellerin, die (vorläufige) Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit könne im Hauptsacheverfahren rückgängig gemacht werden, ist schon mit Blick auf Art. 16 Abs. 1 GG zweifelhaft.
31Eine vorläufige Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises unabhängig von einer Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit kommt aus Rechtsgründen nicht in Betracht. Dieser stellt lediglich die Form der Bescheinigung der Feststellung zum verbindlichen Nachweis dar und ist daher akzessorisch zur Feststellungsentscheidung.
32Ungeachtet des Ausschlusses der hier begehrten Vorwegnahme der Hauptsache ist nicht glaubhaft gemacht und auch nicht ersichtlich, dass die Vorwegnahme der Hauptsache im Hinblick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) im vorliegenden Einzelfall ausnahmsweise notwendig wäre.
33Wird mit der begehrten Regelung die Hauptsache vorweggenommen, gelten gesteigerte Anforderungen an das Vorliegen sowohl eines Anordnungsanspruchs als auch eines Anordnungsgrundes. Es muss ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür sprechen, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (Anordnungsanspruch). Überdies kommt eine Vorwegnahme der Hauptsache nur in Betracht, wenn ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund).
34Vgl. Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschlüsse vom 29. Juli 2022 – 12 B 878/22 – juris, Rn. 4, und vom 12. März 2015 – 12 B 136/15 – juris, Rn. 3 mit weiteren Nachweisen.
35Gemessen daran hat die Antragstellerin bereits das Vorliegen eines Anordnungsgrundes nicht glaubhaft gemacht, nämlich dass ohne die begehrte Anordnung schwere und unzumutbare, später nicht wieder gut zu machende Nachteile entstünden, zu deren Beseitigung eine nachfolgende Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre. Ihr Vorbringen verhält sich nicht dazu, dass der Antragstellerin durch eine (vorübergehende) Rückkehr nicht in die Provinz O., sondern in einen anderen Landesteil der Türkei und ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens dort schwere und unzumutbare Nachteile entstünden. Die Antragstellerin verfügt auch nicht über eine berufliche oder soziale Verwurzelung in der Bundesrepublik Deutschland, die durch eine Ausreise unumkehrbar beeinträchtigt würde. Sie hat ab dem Jahr 2004 bis März 2023 in der Türkei gelebt. Dass ein Abwarten des Hauptsacheverfahrens in Deutschland wegen (groß-)familiärer Verbindungen für die Antragstellerin vorteilhaft wäre, genügt nicht für einen Anordnungsgrund.
36Davon abgesehen besteht auch nicht die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit für die Begründetheit des mit der Hauptsache verfolgten Anspruches.
37Rechtsgrundlage für die begehrte Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit ist § 30 Abs. 1 Satz 1 StAG. Danach wird das Bestehen oder Nichtbestehen der deutschen Staatsangehörigkeit bei Glaubhaftmachung eines berechtigten Interesses auf Antrag von der Staatsangehörigkeitsbehörde festgestellt. Nach § 30 Abs. 2 StAG ist es für die Feststellung des Bestehens der deutschen Staatsangehörigkeit erforderlich, aber auch ausreichend, wenn durch Urkunden, Auszüge aus den Melderegistern oder andere schriftliche Beweismittel mit hinreichender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen ist, dass die deutsche Staatsangehörigkeit erworben worden und danach nicht wieder verloren gegangen ist.
38Die Antragstellerin hat zwar die deutsche Staatsangehörigkeit am 7. Juni 1999 durch Einbürgerung erworben. Sie hat aber weder nachgewiesen noch glaubhaft gemacht, dass sie diese durch den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nicht verloren (dazu a)) oder im Anschluss an den Verlust durch Ersitzung erneut erworben hat (dazu b)).
39a) Die Antragstellerin hat nicht glaubhaft gemacht, dass der Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nicht zum Verlust ihrer deutschen Staatsangehörigkeit führte.
40Nach § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG in der bis 31. Dezember 1999 gültigen Fassung verlor ein Deutscher, der im Inland weder seinen Wohnsitz noch seinen dauernden Aufenthalt hatte, seine Staatsangehörigkeit mit dem auf seinen Antrag erfolgten Erwerb einer ausländischen Staatsangehörigkeit. Die sogenannte Inlandsklausel wurde mit Wirkung ab dem 1. Januar 2000 gestrichen.
41Der Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit am 7. August 1999, also zu einem Zeitpunkt, als die Inlandsklausel noch galt und sie auf die Antragstellerin wegen ihres seinerzeitigen inländischen Wohnsitzes anwendbar gewesen wäre, ist nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit nachgewiesen.
42Zwar handelt es sich bei den von der Antragstellerin vorgelegten türkischen Personenstandsregisterauszügen vom 5. und 11. Juli 2019 um ausländische öffentliche Urkunden im Sinne von §§ 415, 438 ZPO, mit denen grundsätzlich der Nachweis über die Wiedererlangung der türkischen Staatsbürgerschaft geführt werden kann, wobei nach § 415 Abs. 2 ZPO der Gegenbeweis, dass ein Vorgang unrichtig beurkundet wurde, zulässig ist. Vorgelegte Urkunden sind dann nicht beweisgeeignet, wenn konkrete Anhaltspunkte gegen die Echtheit oder inhaltliche Richtigkeit sprechen.
43Vgl. OVG NRW, Urteil vom 3. Juli 2014 – 11 A 166/13 – juris, Rn. 35, und Beschluss vom 22. Juli 2010 – 12 A 2971/08 – juris, Rn. 8.
44Das ist vorliegend der Fall. Den vorgelegten Personenstandsregisterauszügen kommt kein über den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit hinausgehender Beweiswert zu, also insbesondere kein Beweiswert in Bezug auf den Zeitpunkt dieses Wiedererwerbs. Insoweit bestehen konkrete Anhaltspunkte für deren inhaltliche Unrichtigkeit:
45Die Personenstandsregisterauszüge enthalten beim Eintrag zur Wiedereinbürgerung keine Nummer des Ministerratsbeschlusses. Diese ist aber wesentlich, da sie den Nachweis des Beschlusses anhand einer fortlaufenden Nummer ermöglicht.
46Vgl. VG Köln, Urteil vom 10. Juli 2019 – 10 K 8913/17 –, juris, Rn. 40.
47Zudem liegt zwischen dem behaupteten Einbürgerungsdatum, dem 7. August 1999, und dem Eintragungsdatum im Register, dem 12. Dezember 2003, ein Zeitraum von mehr als vier Jahren. Einen derart erheblichen zeitlichen Abstand vermag auch die von der Antragstellerin vorgetragene Überlastung der Behörden nicht nachvollziehbar zu erklären. Überdies werden die Zweifel an der Richtigkeit des Eintragungsdatums durch die Datierung auf einen Samstag verstärkt.
48Darüber hinaus liegen konkrete Anhaltspunkte und Erkenntnisse dafür vor, dass die türkischen Behörden den Anfang der 2000-er Jahre eingebürgerten ehemaligen türkischen Staatsangehörigen seit etwa 2012 vermehrt Urkunden über ihren Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit mit einem widersprüchlichen, auf ein Datum vor dem 1. Januar 2000 vordatierten Zeitpunkt ausstellen. Es muss davon ausgegangen werden, dass es sich hierbei um eine koordinierte und zielgerichtete Vorgehensweise der türkischen Behörden handelt, die das Ziel hat, einen rechtlichen Nachteil für die Betroffenen (Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit) durch Manipulation der entsprechenden Daten abzuwenden. Nach Erkenntnissen deutscher Bundestagsabgeordneter hat die türkische Regierung durch Runderlass vom 10. September 2001 alle Gouverneursämter angewiesen, die in Deutschland verlangten Registerauszüge zu manipulieren und so den Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit gegenüber deutschen Behörden zu vertuschen.
49Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 8. August 2018 – 19 A 1539/17 – juris, Rn. 8 ff., und vom 31. Juli 2018 – 19 A 166/17 – juris, Rn. 9 ff.
50Demgegenüber vermag der Umstand, dass die Antragstellerin – anders als in vielen anderen Fällen – keine weiteren Beurkundungen vorgelegt hat, die ein abweichendes Einbürgerungsdatum ausweisen, entgegen ihrer Ansicht nicht die Beweiseignung der vorgelegten Registerauszüge zu begründen. Das Fehlen der Beweiseignung eines Registerauszugs hängt insoweit nicht davon ab, ob zunächst eine widersprechende Beurkundung des Wiedererwerbs der türkischen Staatsbürgerschaft mit Datum nach dem 31. Dezember 1999 vorgelegt worden ist. Dieser Umstand stellt lediglich einen zusätzlichen Anhaltspunkt für die Unrichtigkeit dar, ist aber nicht Voraussetzung für das Fehlen der Beweiseignung.
51Nachweise mit einem Beweiswert in Bezug auf den Zeitpunkt des Wiedererwerbs der türkischen Staatsangehörigkeit hat die Antragstellerin, die insoweit eine Mitwirkungspflicht gemäß § 37 Abs. 1 Satz 2 StAG in Verbindung mit § 82 Abs. 1 Satz 1 Aufenthaltsgesetz hat, nicht vorgelegt. Insbesondere ist es nicht zu beanstanden, dass die Antragsgegnerin von der Antragstellerin die Vorlage eines Registerauszuges mit Angabe der Nummer des Ministerratsbeschlusses verlangt. Dem steht auch nicht entgegen, dass weder auf der Seite des Auswärtigen Amtes noch des Bundesverwaltungsamtes ausdrücklich auf die Notwendigkeit dieser Angabe hingewiesen wird. Dass Urkunden mit Beweiswert vorzulegen sind, kann als stillschweigend vorausgesetzt angesehen werden.
52Anders als die Antragstellerin meint, begründen ihre eingezogenen Ausweisdokumente weder einen Nachweis noch eine Vermutung für das Bestehen ihrer deutschen Staatsangehörigkeit. Zwar wird das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit in der Regel mit einem gültigen Pass oder Personalausweis der Bundesrepublik Deutschland hinreichend glaubhaft gemacht, da die Erteilung dieser Ausweisdokumente voraussetzt, dass das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit nachgewiesen ist (vgl. § 6 Abs. 2 des Passgesetzes, § 9 Abs. 3 des Personalausweisgesetzes). Hier fehlt es allerdings bereits an der Gültigkeit der eingezogenen Passdokumente. Außerdem bestehen Zweifel am Fortbestehen bzw. gegenwärtigen Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit, für deren Klärung gerade das Verfahren nach § 30 Abs. 1 StAG vorgesehen ist, sodass nicht ohne Weiteres auf die Ausweispapiere zurückgegriffen werden.
53Nach alldem ist ein Erwerb der türkischen Staatsangehörigkeit nach dem 1. Januar 2000 zu Grunde zu legen ist. Dabei ist davon auszugehen, dass § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG in der seit 1. Januar 2000 gültigen Fassung, d.h. ohne Inlandsklausel, vorliegend Anwendung auf die Antragstellerin findet mit der Folge eines Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit. Denn es steht nicht mit der hier erforderlichen hohen Wahrscheinlichkeit bereits fest, dass die Rechtsvorschrift des § 25 Abs. 1 Satz 1 StAG in Fällen, in denen – wie vorliegend – mit dem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit zugleich der Verlust der Unionsbürgerschaft verbunden ist, nicht mit Art. 20 AEUV vereinbar wäre und daher aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts nicht angewendet werden könne.
54So VG Düsseldorf, Beschluss vom 22. Februar 2022 – 8 L 679/21 – und Vorlagebeschluss vom 3. November 2022 – 8 K 2100/21; anderer Ansicht: OVG NRW, Beschluss vom 12. April 2022 – 19 B 329/22 – alle juris.
55b) Die Antragstellerin hat auch nicht glaubhaft gemacht, dass sie die deutsche Staatsangehörigkeit durch Ersitzung erneut erworben hätte.
56Nach § 3 Abs. 2 StAG erwirbt die Staatsangehörigkeit, wer seit zwölf Jahren von deutschen Stellen als deutscher Staatsangehöriger behandelt worden ist und dies nicht zu vertreten hat; als deutscher Staatsangehöriger wird insbesondere behandelt, wem ein Staatsangehörigkeitsausweis, Reisepass oder Personalausweis ausgestellt wurde.
57Dabei unterfällt dem Anwendungsbereich nur der Zeitraum, in dem eine Person als deutsche Staatsangehörige behandelt worden ist, aber objektiv Ausländer im Sinne des § 2 Abs. 1 AufenthG war. Ehemalige deutsche Staatsangehörige fallen daher erst ab dem Zeitpunkt in den Anwendungsbereich, von dem ab sie die deutsche Staatsangehörigkeit verloren haben.
58Vgl. Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 30. März 2021 – 1 C 28.20 – juris, Rn. 23; OVG NRW, Beschluss vom 24. März 2020 – 19 A 169/19 – juris, Rn. 35 mit weiteren Nachweisen.
59Dementsprechend scheidet die Ausstellung des Personalausweises und des Reisepasses am 7. Juni 1999 als Anknüpfungspunkt aus. Denn zu diesem Zeitpunkt war die Antragstellerin unstreitig noch deutsche Staatsangehörige.
60Ob die Antragstellerin selbst im Zuge der Ausstellung eines Kinderausweises für ihren Sohn im März 2003 sowie bei der melderechtlichen Abmeldung im Jahr 2008 als deutsche Staatsangehörige im Sinne des § 3 Abs. 2 StAG behandelt wurde, ist zweifelhaft, kann aber letztlich offenbleiben. Denn jedenfalls hat die Antragstellerin dies zu vertreten.
61Ein Vertretenmüssen liegt vor, wenn der Betroffene den Schein schuldhaft, also vorsätzlich oder fahrlässig veranlasst hat. Dies ist jedenfalls dann der Fall, wenn der Betroffene nicht angibt, dass er inzwischen eine weitere Staatsangehörigkeit angenommen hat. Denn in diesem Fall muss es sich einem Betroffenen aufdrängen, dass der Erwerb möglicherweise Auswirkungen auf das Bestehen der deutschen Staatsangehörigkeit haben könnte.
62Vgl. VG Köln, Urteil vom 10. Juli 2019 – 10 K 8913/17 – juris Rn. 53 mit weiteren Nachweisen.
63Dies musste sich der Antragstellerin allein deshalb aufdrängen, weil sie schon im Zusammenhang mit ihrer Einbürgerung damit konfrontiert wurde, dass sie ihre türkische Staatsangehörigkeit beim Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit aufgeben musste. Die Antragstellerin hätte daher erkennen müssen, dass es möglicherweise Probleme mit ihrer deutschen Staatsangehörigkeit nach einem Wiedererwerb der türkischen Staatsangehörigkeit geben könnte, ohne dass dies vertiefte Kenntnisse des deutschen Staatsangehörigkeitsrechts erfordert.
64Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
65Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG. In Anlehnung an Ziffer 42.2 des Streitwertkatalogs 2013 wird der doppelte Auffangwert in Höhe von 10.000 Euro zugrunde gelegt. Eine Herabsetzung des Streitwertes kommt aufgrund des Umstandes, dass das Antragsbegehren inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache gerichtet ist, nicht in Betracht.
66Rechtsmittelbelehrung
67Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
68Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
69Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
70Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
71Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
72Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
73Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
74Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
75Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.