Seite drucken
Entscheidung als PDF runterladen
1. Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind erstattungsfähig.
2. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der Antrag der Antragstellerin,
3die aufschiebende Wirkung der Klage vom 11. Mai 2022 (Az.: 8 K 2910/22) gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung zur Errichtung von Garagen und Wohngebäuden vom 10. Dezember 2021 (Az.: 00/000/0000-/0000) auf dem Grundstück X. -S. -Str. 00, 00000 L. -S1. , im Hinblick auf die Bebauung mit einem rückwärtigen Wohngebäude (Haus 0) anzuordnen,
4hat keinen Erfolg.
5Er ist unbegründet.
6Die im Verfahren nach §§ 80a Abs. 3 Satz 2, 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO vorzunehmende Abwägung zwischen dem Interesse der Beigeladenen an der Umsetzung der ihr erteilten Baugenehmigung, öffentlichen Interessen und dem Interesse der Antragstellerin, deren Vollziehung vorerst zu verhindern, fällt zugunsten der Beigeladenen aus. Denn die der Beigeladenen am 10. Dezember 2021 erteilte Baugenehmigung ist nach der gebotenen summarischen Prüfung unter Beachtung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache mit hoher Wahrscheinlichkeit rechtmäßig und verletzt die Antragstellerin nicht in ihren Rechten.
7Bei einer Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung kann offenbleiben, ob diese in jeder Hinsicht mit dem materiellen Recht in Einklang steht. Ein Rechtsanspruch des Nachbarn auf Aufhebung besteht nämlich nicht schon dann, wenn eine Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist. Hinzukommen muss, dass der Nachbar durch die rechtswidrige Baugenehmigung zugleich in eigenen Rechten verletzt wird. Dies setzt voraus, dass die Baugenehmigung gegen Rechtsnormen verstößt, die nachbarschützenden Charakter haben, und der jeweilige Nachbar auch im Hinblick auf seine Nähe zu dem Vorhaben tatsächlich in seinen eigenen Rechten, deren Schutz die Vorschriften zu dienen bestimmt sind, verletzt wird.
8Vgl. zu diesem Maßstab OVG NRW, Urteil vom 30. Mai 2017 – 2 A 130/16 –, juris, Rn. 26, m. w. N.
9Hiervon ausgehend steht die angegriffene Baugenehmigung mit den die Antragstellerin schützenden Vorschriften voraussichtlich in Einklang.
10Eine von der Antragstellerin gerügte Überschreitung der – nach ihrer Darstellung – durch eine faktische hintere Baugrenze beschränkten überbaubaren Grundstücksfläche auf dem Vorhabengrundstück betrifft – selbst das Zutreffen der Annahme unterstellt – für sich genommen voraussichtlich keine Nachbarrechte. Denn das in § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB genannte Merkmal „Grundstücksfläche, die überbaut werden soll“ vermittelt für sich genommen keinen Nachbarschutz.
11Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. September 2015 – 7 B 310/15 –, juris, Rn. 11.
12Die Baugenehmigung verstößt voraussichtlich auch nicht zu Lasten der Antragstellerin gegen das Gebot der Rücksichtnahme.
13Dies ergibt sich zunächst nicht aus einer gerügten erdrückenden Wirkung des Vorhabens auf das Nachbargrundstück.
14Eine bauliche Anlage kann erdrückende Wirkung haben, wenn sie wegen ihrer Ausmaße, ihrer Baumasse oder ihrer massiven Gestaltung ein benachbartes Grundstück unangemessen benachteiligt, indem sie diesem förmlich „die Luft nimmt“, wenn für den Nachbarn das Gefühl des „Eingemauertseins“ entsteht oder wenn die Größe der „erdrückenden“ baulichen Anlage auf Grund der Besonderheiten des Einzelfalls – und gegebenenfalls trotz Freihaltung der erforderlichen Abstandsflächen – derartig übermächtig ist, dass das „erdrückte“ Grundstück oder dessen Bebauung nur noch oder überwiegend wie eine von einer „herrschenden“ baulichen Anlage dominierte Fläche ohne eigene bauliche Charakteristik wahrgenommen wird. Ob eine solche Wirkung zu erwarten ist oder nicht, kann nur unter Berücksichtigung aller konkreten Umstände des Einzelfalls entschieden werden. Neben den Ausmaßen beider Baukörper in ihrem Verhältnis zueinander – zum Beispiel Bauhöhe, Ausdehnung und Gestaltung der Fassaden und Baumasse – kann die Lage der Bauwerke zueinander eine Rolle spielen. Von besonderer Bedeutung im Rahmen dieser Bewertung wird regelmäßig die Entfernung zwischen den Baukörpern beziehungsweise Grundstücksgrenzen sein.
15Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 10 A 179/20 –, juris, Rn. 7 ff., m. w. N.
16Hiervon ausgehend ist mit Blick auf die von der Antragstellerin in erster Linie angegriffene Baugenehmigung betreffend das geplante Haus 2 auf dem Vorhabengrundstück in Anbetracht einer vergleichbaren Dimensionierung zu anderen Gebäuden in der Umgebung – nicht zuletzt zu dem auf dem Nachbargrundstück selbst – und der seitens des Vorhabens eingehaltenen Abstandsflächen für eine „erdrückende Wirkung“ des Vorhabens voraussichtlich nichts ersichtlich. Besondere Gegebenheiten, die eine erdrückende Wirkung des Vorhabens trotz Einhaltung der Abstandsflächen nahelegen könnten, insbesondere eine unzumutbare Verschattung des Nachbargrundstücks, sind weder substantiiert vorgetragen noch sonst ersichtlich.
17Ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme zu Lasten der Antragstellerin folgt auch nicht aus etwaig geschaffenen Einsichtnahmemöglichkeiten vom Vorhaben auf das Grundstück der Antragstellerin.
18Gewähren Fenster, Balkone oder Terrassen eines neuen Gebäudes beziehungsweise Gebäudeteils den Blick auf ein Nachbargrundstück, ist deren Ausrichtung, auch wenn der Blick von dort in einen Ruhebereich des Nachbargrundstücks fällt, nicht aus sich heraus rücksichtslos. Es ist in bebauten Gebieten üblich, dass infolge einer solchen Bebauung erstmals oder zusätzlich Einsichtsmöglichkeiten entstehen. Dies ist regelmäßig hinzunehmen. Der Eigentümer oder Nutzer eines Grundstücks kann nicht beanspruchen, dass ihm auf den Freiflächen seines Grundstücks ein den Blicken Dritter entzogener Bereich verbleibt. Eine auf fehlende Rückzugsmöglichkeiten auf dem betroffenen Grundstück bezogene Bewertung von Einsichtsmöglichkeiten als rücksichtslos ließe sich in dieser Allgemeinheit nicht praktikabel handhaben. Wäre jeder Bauherr unter dem Gesichtspunkt der Rücksichtnahme verpflichtet, dafür Sorge zu tragen, dass die Öffnungen, Balkone und Freisitze des geplanten Gebäudes keine Blicke auf die umliegenden bebauten Grundstücke eröffnen, die die dort möglicherweise gegebenen „Rückzugsmöglichkeiten“ zunichtemachen, würde dies die Bautätigkeit in nicht wenigen Fällen erheblich erschweren, wenn nicht gar zum Erliegen bringen. Ein im Bauplanungsrecht wurzelnder Anspruch, zumindest auf einem Teil der Freiflächen des eigenen Grundstücks vor fremden Blicken geschützt zu sein, lässt sich auch nicht aus einem Recht auf Privatsphäre herleiten. Dass derjenige, der die eigenen vier Wände verlässt, dabei gesehen und sogar beobachtet werden kann, liegt in der Natur der Sache. Auf die Frage, inwieweit durch Anpflanzungen oder sonstige Sichtschutzmaßnahmen Einsichtnahmen verhindert werden könnten, kommt es danach nicht entscheidend an.
19Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 7. Dezember 2020 – 10 A 179/20 –, juris, Rn. 14 ff.
20Ausgehend von diesen Grundsätzen ist ein Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme aufgrund etwaig geschaffener Einsichtnahmemöglichkeiten auf das Grundstück der Antragstellerin voraussichtlich nicht gegeben. Hierbei mag auf sich beruhen, ob die Antragstellerin, die gemäß § 9a Abs. 2 Alt. 1 WEG allein die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte ausüben kann, überhaupt die mehr auf das Sondereigentum bezogenen Einsichtnahmemöglichkeiten in die einzelnen Wohnräume der Wohnungseigentümer als nachbarverletzend rügen kann. Denn jedenfalls genügt generell allein die Möglichkeit, vom Vorhaben auf außerhäusige Ruhebereiche der Antragstellerin blicken zu können, sei es auch durch eine Vielzahl bodentiefer Fenster, nicht für die Annahme eines Verstoßes gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Die Schaffung allein der Aussicht auf das Grundstück der Antragstellerin dienender „Aussichtsplattformen“ ist nicht ersichtlich. Dass die Wohnungseigentümer der Antragstellerin den Blicken vom Vorhabengrundstück innerhalb des Hauses in unangemessener Weise ausgesetzt sein könnten, ist ebenfalls nicht ersichtlich. Hierbei ist wiederum der Umstand zu berücksichtigen, dass die Abstandsflächen durch das Vorhaben eingehalten werden.
21Letztlich führt auch die Verbauung einer zuvor bestehenden Aussicht – von der Antragstellerin durch einen „Vorher-Nachher-Vergleich“ visualisiert – voraussichtlich nicht zu einem Verstoß gegen das Gebot der Rücksichtnahme. Denn die Aufrechterhaltung einer ungeschmälerten Aussicht ist regelmäßig nur eine „Chance“.
22Vgl. BVerwG, Beschluss vom 19. September 1983 – 4 B 164.83 –, juris, Rn. 2.
23Ein Anspruch auf Aufrechterhaltung einer Aussicht besteht – insbesondere im innerstädtischen Bereich – in der Regel und voraussichtlich auch hier nicht.
24Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen für ersatzfähig zu erklären, nachdem die Beigeladene einen Sachantrag gestellt und sich damit auch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
25Bei der Festsetzung des Streitwerts, der gemäß § 53 Abs. 2 Nr. 2 i. V. m. § 52 Abs. 1 GKG nach der sich aus dem Antrag der Antragstellerin für diese ergebenden Bedeutung der Sache zu bestimmen ist, hat sich das Gericht an Ziff. 7 Buchst. a und Ziff. 14 Buchst. a des Streitwertkatalogs der Bausenate des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. Januar 2019 orientiert.
26Rechtsmittelbelehrung
27Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
28Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
29Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
30Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
31Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
32Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
33Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
34Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
35Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.