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1. Die aufschiebende Wirkung der Klage 7 K 1179/21 gegen den Bescheid der Bezirksregierung L.°°° von 03.02.2021 wird angeordnet. Die Kosten des Verfahrens trägt das Land Nordrhein-Westfalen.
2. Der Streitwert wird auf 204.550,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2I.
3Der Antragsteller ist der alleinige Geschäftsführer und alleinige Inhaber einer im Jahr 2011 gegründeten GmbH, die sich seit 2016 in Liquidation befindet. Das Liquidationsverfahren wird derzeit offenbar nicht fortgesetzt. Die GmbH befasste sich ursprünglich mit Bürodienstleistungen aller Art. Die GmbH ist die Antragstellerin des Verfahrens 7 L 403/21, im Folgenden „Antragstellerin“.
4Im Oktober 2020 versandte die Antragstellerin ein Werbeschreiben an zahlreiche Unternehmen aus dem „Medizinbereich“. Darin bot sie unter dem Produktnamen „CAREMEDICAL“ Corona-Schnelltests und Atemschutzmasken an. In dem Bestellformular hieß es: „Mit unserem Corona-Schnelltest schützen Sie sich, Ihre Lieben, Ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und damit auch Ihr Unternehmen.“ In dem Formular wurde unter anderem darauf hingewiesen, dass es sich um Tests „nur für professionelle Anwendung“ handele und der Verkauf nur an Gewerbetreibende erfolge. Gleichzeitig betrieb die Antragstellerin einen Online-Handel mit Corona-Schnelltests von zwei verschiedenen Herstellern.
5Die Bezirksregierung Köln wies die Antragstellerin mit einer E-Mail vom 30.10.2020 darauf hin, dass die angebotenen Schnelltests ausschließlich an professionelle Anwender verkauft werden dürften, die im Medizinbereich tätig seien, jedoch nicht an Endverbraucher. Das Faxangebot enthalte missverständliche Formulierungen. Gleichzeitig wurde um eine Liste der Empfänger des Faxschreibens sowie um eine Liste der bereits belieferten Kunden bis zum 04.11.2020 gebeten. Die Antragstellerin bestätigte mit Schreiben vom 30.10.2020, dass die Tests ausschließlich zur professionellen Anwendung verkauft würden, zum Beispiel an Kliniken, Ärzte oder zur Durchführung durch einen Betriebsarzt. Der Verkauf an Endverbraucher sei ausgeschlossen.
6Am 09.11.2020 übersandte die Antragstellerin nach mehrfacher Erinnerung eine Liste der Empfänger des Faxschreibens. Die Bezirksregierung teilte der Antragstellerin mit E-Mail vom 10.11.2020 mit, dass unter den ersten 50 Werbekunden bereits 10 Adressaten gewesen sein, die nicht zu den in § 3 Abs. 4 der Medizinprodukteabgabeverordnung genannten berechtigten Empfängern gehörten, an die derartige IVD (In-vitro-Diagnostika) abgegeben werden dürften. Insbesondere habe es sich um Wirtschaftsprüfungsgesellschaften, Ingenieurbüros, Apothekenmarketing-Unternehmen, Versicherungsmakler, Hauswartservices, Immobilienmakler und Softwarehersteller gehandelt. Die Antragstellerin müsse künftig selbst sicherstellen, dass es sich bei den Adressaten um geeignete Institutionen handele.
7Am 13.11.2020 übersandte die Antragstellerin eine aktualisierte Liste der Kunden, die bereits mit Corona-Schnelltests beliefert worden waren (618 Adressaten). Die Bezirksregierung teilte der Antragstellerin am gleichen Tag mit, dass die Liste zu einem geringen Prozentsatz (5 – 7 %) Kunden enthalte, die nicht zu dem berechtigten Empfängerkreis gemäß § 3 Abs. 4 MPAV gehörten. Die Antragstellerin wurde aufgefordert, bis zum 16.11.2020 zu bestätigen, dass sie künftig nur berechtigte Empfänger beliefern werde.
8Im Zeitraum von Ende November bis Anfang Dezember 2020 wurde die Bezirksregierung darüber informiert, dass die Antragstellerin Corona-Schnelltests im Oktober und November an verschiedene Tankstellen im Bundesgebiet geliefert habe.
9Nachdem die Antragstellerin mehrfach erfolglos an die Übersendung des angeforderten Bestätigungsschreibens erinnert worden war, erließ die Bezirksregierung mit Ordnungsverfügung vom 08.12.2020 gegenüber der Antragstellerin ein Abgabeverbot der vertriebenen Schnelltests an unberechtigte Empfänger.
10Die Ordnungsverfügung vom 08.12.2020 lautete:
111. Die Abgabe von In-vitro-Diagnostika für die Erkennung einer Infektion mit ... (SARS-CoV-2) an Personen und Einrichtungen außerhalb des in § 3 Abs. 4 bis 5 MPAV genannten Kreises von Personen und Einrichtungen durch Sie wird untersagt.
122. Der Rückruf der im Namen der U. P. -N. -GmbH ausgelieferten In-vitro-Diagnostika für die Erkennung mit ... (SARS-CoV-2) an Personen und Einrichtungen außerhalb des in § 3 Abs. 4 bis 5 MPAV genannten Kreises von Personen und Einrichtungen durch Sie wird angeordnet. Die Durchführung des Rückrufs ist der Bezirksregierung Köln innerhalb einer Woche nach Zustellung dieser Ordnungsverfügung in geeigneter Weise nachzuweisen.
133. Für die in Ziff. 1 und 2 getroffenen Verfügungen wird die sofortige Vollziehung angeordnet.
144. Für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Untersagung in Ziffer 1 dieser Ordnungsverfügung wird Ihnen ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 Euro angedroht.
155. Für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung in Ziff. 2 dieser Ordnungsverfügung wird Ihnen die Ersatzvornahme angedroht.
16In der Begründung wurde als Rechtsgrundlage für den Erlass der Ordnungsverfügung § 26 Abs. 2 Satz 4 MPG angegeben. Danach ergreife die zuständige Behörde die notwendigen Maßnahmen, um festgestellte Verstöße gegen die Vorschriften über Medizinprodukte zu beseitigen und künftigen Verstößen vorzubeugen. Die Antragstellerin habe gegen § 3 Abs. 4 und Abs. 4a MPAV verstoßen. Danach dürften In-vitro-Diagnostika, die für den Nachweis von SARS-CoV-2-Erregern bestimmt seien, nur an Ärzte, ambulante und stationäre Einrichtungen im Gesundheitswesen, Großhandel und Apotheken, Gesundheitsbehörden, Blutspendedienste, pharmazeutische Unternehmen, Beratungs- und Testeinrichtungen für besonders gefährdete Personengruppen abgegeben werden. Nach Abs. 4a könnten bei einer pandemischen Lage von nationaler Tragweite, die seit dem 25.03.2020 festgestellt worden sei, weitere Einrichtungen beliefert werden. Eine Ausnahmegenehmigung des RKI gemäß § 3 Abs. 5 MPAV decke nicht alle belieferten Kunden ab. In der Kundenliste der Antragstellerin seien zahlreiche Käufer wie Tierarztpraxen, eine Brauerei, ein Stahlwerk, ein Kalkwerk, Heilpraktiker, Naturheilpraxen und mehrere Unternehmen ohne medizinischen Bezug aufgeführt. Weiterhin lägen mehrere Rechnungen über die Lieferung an Tankstellen vor, die nicht in der Kundenliste aufgeführt seien.
17Zahnärzte und Tierärzte seien von der Berufsbezeichnung „Arzt“ in der MPAV nicht erfasst. Auch Physiotherapiepraxen und außerhalb des Gesundheitswesens privatwirtschaftliche Unternehmen fielen nicht unter den berechtigten Personenkreis.
18Die Untersagung der Abgabe sei erforderlich und verhältnismäßig, um die Abgabe der Schnelltests an unkundige Anwender zu verhindern, um eine Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus auf Grund falsch negativer Befunde zu unterbinden und für die Zukunft auszuschließen. Schnelltests dürften nur durch Personal mit grundlegenden medizinischen oder pflegerischen Kenntnissen nach vorheriger Schulung durch einen Arzt oder das Gesundheitsamt durchgeführt werden. Bei einer nicht fachgerechten Durchführung durch Laien könnten falsch negative Befunde auftreten, die dazu führten, dass diese Personen trotz einer Infektion nicht in Quarantäne gingen, andere Schutzmaßnahmen vernachlässigten und dadurch weitere zahlreiche Neuinfektionen verursachen könnten. Der mit der Abgabebeschränkung bezweckte Gesundheitsschutz der Bevölkerung überwiege auch das wirtschaftliche Interesse der Antragstellerin an dem Verkauf der Schnelltests.
19Die von der Verfügung erfassten „Schnelltests“ seien durch den Hersteller auf eine professionelle Anwendung ausgerichtet und geprüft. Sie seien von den für die Laienanwendung vorgesehenen „Selbsttests“ zu unterscheiden. Diese unterlägen höheren Anforderungen an die Fehlertoleranz und die integrierte Sicherheit.
20Hinsichtlich der Unterlassungsanordnung unter Ziff. 1 komme als Zwangsmittel nur ein Zwangsgeld in Betracht, da es sich um eine unvertretbare Handlung handele, die nur durch den Geschäftsführer der GmbH durchgeführt werden könne.
21Hinsichtlich der Rückrufverpflichtung unter Ziff. 2 werde die Ersatzvornahme angedroht, weil es sich um eine vertretbare Handlung handele, die durch den Geschäftsführer oder eine andere Person durchgeführt werden könne.
22Die Ordnungsverfügung wurde am 10.12.2020 zugestellt.
23Gleichzeitig erhielt der Antragsteller des vorliegenden Verfahrens eine an ihn als natürliche Person gerichtete Ordnungsverfügung, die ebenfalls am 10.12.2020 zugestellt wurde.
24Diese Ordnungsverfügung enthielt gleichlautende Anordnungen. Abweichend wurde nur in Ziff. 5 für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Anordnung in Ziff. 2 (Rückrufverpflichtung) ein Zwangsgeld in Höhe von 25.000 Euro gegenüber dem Geschäftsführer anstelle der Ersatzvornahme angedroht. In der Begründung hieß es, der Antragsteller sei als alleiniger Gesellschafter und Geschäftsführer die allein verantwortliche natürliche Person hinter dem Handeln der GmbH. Die Gesellschaft sei in ihrem Handeln allein von dessen Willen und Entscheidungen abhängig. Daher sei der Geschäftsführer und alleinige Inhaber neben der Gesellschaft auch als Adressat einer Ordnungsverfügung heranzuziehen. Der Rückruf der ausgelieferten Schnelltests könne nur durch den alleinigen Geschäftsführer initiiert werden und sei daher eine unvertretbare Handlung. Daher komme als Zwangsmittel nicht die Ersatzvornahme, sondern ein Zwangsgeld in Betracht, das zunächst nur angedroht werde. Es werde davon ausgegangen, dass dieses geeignet sei, die Durchführung des Rückrufs zu veranlassen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein behördlicher Rückruf das Image des Unternehmens mehr beeinträchtigen würde.
25Auf Antrag der Bezirksregierung erließ das Amtsgericht Köln am 17.12.2020 einen Durchsuchungsbeschluss für die Geschäftsräume der Antragstellerin und die Privaträume des Antragstellers. Die Durchsuchung fand am 21.12.2020 statt. Hierbei wurde eine Kundenliste der Antragstellerin beschlagnahmt. Auf deren Grundlage veranlasste die Bezirksregierung einen Rückruf der ausgelieferten Schnelltests in 3353 Fällen im Wege der Ersatzvornahme mit einem Musterschreiben vom 21.12.2020.
26Mit Schreiben vom 22.12.2020 bestellte sich der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin gegenüber der Bezirksregierung und beantragte Akteneinsicht. Er übersandte ein Musterschreiben der Antragstellerin vom 23.12.2020, in dem diese ihre Kunden auf die Notwendigkeit der Anwendung der gelieferten Tests durch medizinisches Fachpersonal hinwies und um Rücksendung der Tests bat, falls dies nicht möglich sei. Rechtsmittel gegen die Ordnungsverfügung vom 08.12.2020 wurden nicht eingelegt.
27Mit Bescheid vom 03.02.2021 setzte die Bezirksregierung gegenüber der Antragstellerin gemäß § 64 VwVG NW ein Zwangsgeld in Höhe von 793.200,00 Euro fest und gab eine Zahlungsfrist bis zum 03.03.2021 an.
28In der Begründung wurde ausgeführt, die Antragstellerin habe gegen die Anordnung der Untersagung der Abgabe von In-vitro-Diagnostika zur Erkennung einer COVID-Infektion an einen nicht berechtigten Personenkreis unter Ziff. 1 der Ordnungsverfügung verstoßen. Die Ordnungsverfügung sei bestandskräftig. Aus der sichergestellten Kundenliste gehe hervor, dass die Antragstellerin vom 11.12.2020 bis zum 20.12.2020 die genannten Tests in 1322 Fällen an Personen und Einrichtungen abgegeben habe, die nicht in den in § 3 Abs. 4 bis 5 MPAV genannten Kreis der berechtigten Empfänger fielen. Die Behörde sei daher berechtigt, das angedrohte Zwangsgeld festzusetzen.
29In Berücksichtigung des rechtsstaatlichen Übermaßverbotes werde – abweichend von der Androhung – lediglich ein Zwangsgeld in Höhe von 600 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung festgesetzt. Hierbei würden das wirtschaftliche Interesse an der Zuwiderhandlung, die beabsichtigte Motivationswirkung sowie die besondere Gefährlichkeit des potentiellen Einflusses der Zuwiderhandlung auf das pandemische Geschehen jeweils mit 200 Euro bewertet.
30Gegen dem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens wurde mit gesonderten Ordnungsverfügung vom 03.02.2021 ebenfalls ein Zwangsgeld in Höhe von insgesamt 818.200 Euro festgesetzt. Dieses setzte sich zusammen aus einem Zwangsgeld wegen Zuwiderhandlung gegen Ziff. 1 der Ordnungsverfügung in Höhe von 793.200 Euro sowie einem Zwangsgeld wegen Zuwiderhandlung gegen Ziff. 2 der Ordnungsverfügung in Höhe von 25.000 Euro. In der Begründung wurde ausgeführt, dass der Antragsteller den in Ziff. 2 angeordneten Rückruf nicht durchgeführt habe, sodass das angedrohte Zwangsgeld nunmehr festzusetzen sei.
31Die Zwangsgeldfestsetzung gegenüber der Antragstellerin wurde dem Prozessbevollmächtigten durch Empfangsbekenntnis zugestellt, welches am 09.02.2021 von diesem unterzeichnet wurde. Die Zwangsgeldfestsetzung gegenüber dem Geschäftsführer wurde diesem persönlich am 04.02.2021 durch Postzustellungsurkunde zugestellt.
32Am 04.03.2021 stellte der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gleichzeitig erhobenen Klage 7 K 1180/21 gegen die Zwangsgeldfestsetzung vom 03.02.2021, der Gegenstand des Verfahrens 7 L 403/21 ist.
33Am selben Tag stellte er einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gleichzeitig erhobenen Klage 7 K 1179/21 gegen die Zwangsgeldfestsetzung vom 03.02.2021 gegenüber dem Antragsteller des vorliegenden Verfahrens 7 L 404/21.
34Zur Begründung beider Anträge wurde vorgetragen, die Zwangsgeldfestsetzung sei nicht offensichtlich rechtmäßig. Daher überwiege das private Interesse der Antragsteller, von einer Vollziehung vorerst verschont zu bleiben.
35Bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldfestsetzung sei zu berücksichtigen, dass zwischenzeitlich seitens des Gesetz- und Verordnungsgebers ein Paradigmenwechsel im Hinblick auf die Teststrategie stattgefunden habe. Es treffe nicht mehr zu, dass die Verbreitung des Corona-Virus infolge einer fehlerhaften Testdurchführung durch ungeschulte Laien gefördert werde. Vielmehr könne die Pandemie gerade durch eine Erweiterung der Kreise, an die Coronatests abgegeben werden dürften, eingedämmt werden. Insoweit werde auf die Änderung von § 3 Abs. 4 und Abs. 4a MPAV durch die 3. Änderungsverordnung vom 01.02.2021, in Kraft getreten am 03.02.2021, auf die Änderung von § 6 der Coronavirustestverordnung in der Fassung vom 08.03.2021 und auf die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 14.04.2021 hingewiesen. Inzwischen bestehe sogar teilweise eine Verpflichtung von Schulen, Corona-Selbsttests durch Schüler in Eigenanwendung durchführen zu lassen.
36Wenn aber heute durch die Eigenanwendung von ungeschulten Laien, sogar von minderjährigen Kindern, keine Gefahr mehr für die Eindämmung der Pandemie gesehen werde, fehle die Grundlage für die Ordnungsverfügung vom 08.12.2020, insbesondere im Hinblick auf die Wiederholungsgefahr. Dies gelte ebenso für die Androhung des Zwangsgeldes und dessen Höhe sowie für die Anordnung des Sofortvollzuges.
37Auch die Zwangsgeldfestsetzung sei nicht rechtmäßig gewesen. Sie sei ohne die nach § 28 Abs. 1 VwVfG gebotene Anhörung erfolgt. Zudem sei die Prüfung der Einzelfälle der Zuwiderhandlungen allein auf der Grundlage der Kundenliste geschehen und habe daher zu einer falschen Ermittlung der Fallzahlen geführt.
38Eine unzulässige Abgabe liege in einer Vielzahl von Fällen gar nicht vor. So sei es in 221 der in der Liste enthaltenen Fälle gar nicht zu einer Auslieferung gekommen. In 69 Fällen habe ein ärztlicher Hintergrund bestanden (Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte, etc.). In 50 Fällen seien Ärzte, Pflegeheime oder Betriebsärzte unmittelbar betroffen gewesen, in 5 Fällen habe es sich um Schulen/Kitas gehandelt und in 499 Fällen habe eine betriebsärztliche Versorgung bestanden. In 25 Fällen sei eine doppelte Berechnung aus buchhalterischen Gründen vorgenommen worden.
39Der Geschäftsführer der Antragstellerin habe frühzeitig alle Maßnahmen unternommen, um eine unzulässige Abgabe zu unterbinden. So seien die Kunden nach Erlass der Ordnungsverfügung durch ein Schreiben aus Dezember 2020 aufgefordert worden, die Schnelltests nur durch medizinisches Fachpersonal durchführen zu lassen oder sie zurückzusenden. Dies sei durch ein Schreiben vom 15.02.2021 noch einmal bestätigt worden. Zur Bestätigung dieses Vortrags wurden wörtlich übereinstimmende eidesstattliche Versicherungen des Geschäftsführers sowie einiger Mitarbeiter vom 22.04.2021 vorgelegt.
40Die Bemessung des Zwangsgeldes sei ermessensfehlerhaft erfolgt und verstoße gegen das Übermaßverbot. Es sei nicht berücksichtigt worden, dass die Verbreitung der Schnelltests zur Eindämmung der Pandemie beigetragen habe. Auch sei das Zwangsgeld sowohl gegenüber dem Antragsteller als auch gegenüber der GmbH, und damit doppelt, festgesetzt worden. Das sei unverhältnismäßig, weil auch eine Zwangsgeldfestsetzung gegenüber dem Unternehmen zur Zielerreichung genügt hätte.
41Auch könne es geboten sein, wegen der Vielzahl der Einzelfälle die Grundsätze des Fortsetzungszusammenhangs und der natürlichen Handlungseinheit aus dem Strafrecht und dem Recht der zivilen Zwangsvollstreckung heranzuziehen. Nach der Rechtsprechung des BGH könne es angemessen sein, bei wiederholten Verstößen nicht das Vielfache der für die einzelne Zuwiderhandlung als angemessen angesehenen Sanktion zu verhängen (BGH, Beschluss vom 17.12.2020 – 1 ZB 99/19 –). Es werde darauf hingewiesen, dass die Beitreibung von bereits festgesetztem Zwangsgeld nach Erfüllung einer Unterlassungspflicht nicht mehr zulässig sei (VG Gelsenkirchen, Urteil vom 13.08.2015 – 5 K 4117/14 –).
42Die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 818.200 Euro stelle außerdem eine besondere Härte für den Geschäftsführer der Antragstellerin als Privatperson dar. Bei einem Stammkapital der GmbH in Höhe von 25.000 Euro werde dieser durch die Höhe des Zwangsgeldes unweigerlich in die Privatinsolvenz geführt.
43Die Antragsgegnerin beantragt die Ablehnung des Eilantrages.
44Sie ist der Auffassung, die Anträge seien unzulässig, weil den Antragstellern bereits das notwendige Rechtsschutzinteresse fehle. Denn das Zwangsgeld sei nur festgesetzt worden, weil die Antragsteller sich durch die Maßnahmen der Bezirksregierung nicht zu rechtskonformem Handeln hätten bewegen lassen.
45Die Anträge seien auch unbegründet. Die privaten Interessen der Antragsteller träten hinter dem öffentlichen Interesse an der Verwaltungsvollstreckung zurück. Insbesondere liege keine unbillige Härte vor. Eine wirtschaftliche Existenz, die ganz oder teilweise auf der Missachtung der Rechtsordnung aufbaue, sei rechtlich nicht schützenswert.
46Die Zwangsgeldfestsetzungen seien auch offensichtlich rechtmäßig. Sie seien auf der Grundlage der sichergestellten Kundenliste erfolgt. Aus dieser ergebe sich, dass im Zeitraum vom 11.12.2020 bis zum 20.12.2020 in 1322 Fällen Schnelltests an einen nicht berechtigten Empfängerkreis abgegeben worden seien. Bei der Festsetzung des Zwangsgeldes habe die Bezirksregierung von den ihr bekannten Informationen ausgehen dürfen. Eine weitere Ermittlung, ob die Eintragungen in der Kundenliste zutreffend gewesen seien, sei nicht geboten gewesen. Die Antragsteller hätten genügend Zeit gehabt, die erforderlichen Informationen zuvor zu übermitteln. Die nun vorgelegten Listen mit ergänzten Informationen seien präkludiert.
47Eine Anhörung vor Erlass der Zwangsgeldfestsetzung sei nicht erforderlich gewesen. Die wirtschaftlichen Interessen der Antragsteller hätten wegen des Vorrangs des Gesundheitsschutzes als höchstrangiges Rechtsgut keiner Erwähnung bedurft.
48Die nun vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen, die Maßnahmen des Geschäftsführers zur Sicherstellung einer rechtmäßigen Abgabe belegen sollten, seien zu unkonkret bzw. seien erst nach der Zwangsgeldfestsetzung erfolgt. Die Fälle, in denen keine Zuwiderhandlungen erfolgt sein sollten, seien nicht nachvollziehbar und nicht belegt. Insbesondere sei es nicht ausreichend, wenn die Tests durch einen Betriebsarzt durchgeführt würden. Auf den Anwender komme es nicht an, da schon die Abgabe unzulässig sei.
49Schließlich habe ein Paradigmenwechsel nicht stattgefunden. Bei den Corona-Schnelltests handele es sich um ein Medizinprodukt nach § 3 Nr. 4 MPG. Dieses sei von einem In-vitro-Diagnostikum zur Anwendung durch Laien in häuslicher Umgebung zu unterscheiden, § 3 Nr. 5 MPG. Die streitgegenständlichen Tests seien zur professionellen Anwendung vorgesehen, und nicht zur Anwendung durch ungeschulte Laien. Auch der Verordnungsgeber unterscheide zwischen beiden Testkategorien, da beispielsweise Selbsttests nicht zum Zutritt zu Altenpflegeeinrichtungen berechtigten. Ungeachtet politischer Strategien bleibe es dabei, dass falsch negative Testergebnisse die Ausbreitung der Pandemie begünstigten.
50Auch die Höhe des Zwangsgeldes sei korrekt bemessen. Die aus der Strafzumessung bekannten Begriffe des Fortsetzungszusammenhangs und der natürlichen Handlungseinheit seien in der Verwaltungsvollstreckung nicht anwendbar, weil es sich nicht um eine Sanktion, sondern um ein Mittel zur Motivation handele.
51Der Antragsteller könne sich auch nicht darauf berufen, er habe nicht zusätzlich zur GmbH herangezogen werden dürfen. Mit diesem Einwand sei er präkludiert, da er diesen nicht gegen die an ihn gerichtete Ordnungsverfügung vom 08.12.2020 vorgebracht habe. Es handele sich nicht um eine doppelte Inanspruchnahme seiner Person und stelle auch keine unverhältnismäßige Belastung dar, dass er wirtschaftlich für beide Zwangsgelder einstehen müsse. Dies sei vielmehr die Folge davon, dass er nicht als Einzelkaufmann, sondern als GmbH am Markt auftrete.
52II.
53Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 7 K 1179/21 des Antragstellers ist zulässig und begründet.
54Der Antrag ist statthaft, weil die Klage gegen die Zwangsgeldfestsetzung vom 03.02.2021 gemäß § 112 JustizG NRW keine aufschiebende Wirkung hat, § 80 Abs. 5 Satz 1 i.V.m. § 80 Abs. 2 Nr. 3 VwGO. Denn die Zwangsgeldfestsetzung ist eine Maßnahme der Vollzugsbehörden in der Verwaltungsvollstreckung gemäß §§ 60 und 64 VwVG NRW.
55Dem Antrag fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis, da die Klage fristgemäß am 04.03.2021 innerhalb der einmonatigen Klagefrist des § 74 Abs. 1 VwGO erhoben worden ist. Der gegenüber dem Antragsteller erlassene Bescheid vom 03.02.2021 wurde dem Antragsteller durch Postzustellungsurkunde am 04.02.2021 zugestellt.
56Für den Antrag fehlt auch nicht das Rechtsschutzbedürfnis aus anderen Gründen. Zwar hat der Antragsteller als Geschäftsführer der GmbH ausweislich der von der Bezirksregierung vorgelegten Kundenliste im Zeitraum ab der Zustellung der Ordnungsverfügung am 10.12.2020 bis zur Sicherstellung der Kundenliste am 21.12.2020 in einer Vielzahl von Fällen gegen das Verbot der Abgabe der streitgegenständlichen Tests verstoßen und damit illegal gehandelt. Dies lässt aber das Recht des Antragstellers nicht entfallen, die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldfestsetzung und des Sofortvollzuges gerichtlich prüfen zu lassen. Vielmehr liegt bei allen Zwangsgeldfestsetzungen ein von der Behörde angenommener Gesetzesverstoß vor. Die Auffassung der Bezirksregierung würde dazu führen, dass ein Eilantrag gegen derartige Bescheide nie zulässig wäre und damit ein Rechtschutz von vornherein ausgeschlossen wäre. Diese Annahme verstößt gegen die Rechtsschutzgarantie in Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes.
57Der Antrag ist auch begründet.
58Die im Rahmen eines Antrages nach § 80 Abs. 5 VwGO anzustellende Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Interesse am sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes und dem privaten Interesse des Antragstellers an der Aussetzung des Vollzuges fällt hier zugunsten des privaten Interesses des Antragstellers aus.
59Bei dieser Interessenabwägung sind zunächst die Erfolgsaussichten der Klage zu berücksichtigen. Ist der angegriffene Bescheid offensichtlich rechtmäßig und die Klage daher voraussichtlich abzuweisen, überwiegt das öffentliche Interesse am sofortigen Vollzug des Bescheides. Ist der Bescheid dagegen offensichtlich rechtswidrig, muss das öffentliche Vollzugsinteresse zurücktreten, da am Vollzug eines voraussichtlich rechtswidrigen Bescheides kein öffentliches Interesse bestehen kann. Ist der Ausgang des Rechtstreites offen, sind die jeweiligen Interessen gegeneinander abzuwägen, wobei auch der gesetzliche Ausschluss der aufschiebenden Wirkung einer Klage zu berücksichtigen ist. In diesen Fällen kommt die Aussetzung des Vollzuges durch das Gericht nur in Betracht, wenn zumindest ernstliche Bedenken gegen die Rechtmäßigkeit des angegriffenen Bescheides bestehen, analog § 80 Abs. 4 VwGO.
60Dies ist hier der Fall. Gegen die Rechtmäßigkeit der angefochtenen Zwangsgeldfestsetzung vom 03.02.2021 bestehen ernsthafte Bedenken. Unter Berücksichtigung der erheblichen Höhe des festgesetzten und sofort zu zahlenden Zwangsgeldes, die zu einer wirtschaftlichen Existenzgefährdung des Antragstellers führen könnte, ist es angemessen, die sofortige Vollziehung bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren auszusetzen.
61Zwar bestehen keine Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides. Die Behörde konnte nach § 28 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG von einer Anhörung im Hinblick auf die Schnelligkeit und Effektivität der Verwaltungsvollstreckung absehen,
62vgl. OVG NRW, Beschluss vom 06.08.2021 – 2 B 973/21 – juris, Rn. 6.
63Die Zwangsgeldfestsetzung gegenüber dem Antragsteller ist jedoch nach der im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gebotenen summarischen Prüfung voraussichtlich aus Gründen des materiellen Rechts rechtswidrig.
64Hierbei ist der für die Rechtmäßigkeitsprüfung maßgebliche Zeitpunkt der Erlass des Zwangsgeldbescheides,
65vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.03.2013 – 2 B 219/13 – juris, Rn. 13.
66Die Kammer hat bereits durch Beschluss vom 08.11.2022 im Verfahren der GmbH (7 L 403/21) entschieden, dass die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 793.200 Euro wegen des Verstoßes gegen das Abgabeverbot von In-vitro-Diagnostika an einen unberechtigten Empfängerkreis in Ziff. 1 der Ordnungsverfügung vom 08.12.2020 voraussichtlich ermessensfehlerhaft und daher rechtswidrig ist.
67Hierzu hat die Kammer im Beschluss vom 08.11.2022 – 7 L 403/21 – das Folgende ausgeführt:
68„Rechtsgrundlage für den Erlass eines Zwangsgeldbescheides sind die §§ 55 ff. VwVG NRW. Hiernach lagen die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Zwangsgeldes vor. Der Verwaltungszwang war nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW grundsätzlich zulässig. Danach kann ein Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung oder auf Duldung oder Unterlassung gerichtet und unanfechtbar ist, mit Zwangsmitteln durchgesetzt werden. Ziff. 1 der Ordnungsverfügung vom 08.12.2020 untersagte der Antragstellerin die weitere Abgabe von In-vitro-Diagnostika zur Erkennung des Corona-Virus an Personen außerhalb des in § 3 Abs. 4 – 5 MPAV genannten Personenkreises und war damit ein Verwaltungsakt, der auf eine Unterlassung gerichtet war. Dieser Verwaltungsakt war unanfechtbar, weil innerhalb der Klagefrist keine Klage gegen den Bescheid eingelegt worden war.
69Auf die Rechtmäßigkeit der bestandskräftigen Ordnungsverfügung kommt es jedoch entgegen der Ansicht des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin nicht an. Bedingung für die Rechtmäßigkeit folgende Vollstreckungsakte ist nur die Wirksamkeit, und nicht die Rechtmäßigkeit der vorausgegangenen Verfügung,
70vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.03.2013 – 2 B 219/13 – juris, Rn. 8 und 9; BVerwG, Urteil vom 16.12.2004 – 1 C 30/03 – juris, Rn. 15.
71Für eine Nichtigkeit der Verbotsverfügung gibt es keine Anhaltspunkte.
72Die Kammer lässt offen, ob die weiter erforderliche Androhung des Zwangsgeldes nach § 57 Abs. 3 i.V.m. § 63 VwVG NRW wirksam erfolgt ist. Zwar ist die in der Ordnungsverfügung vom 08.12.2020 unter Ziff. 4 enthaltene Androhung eines Zwangsgeldes in Höhe von 5.000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung ebenfalls unanfechtbar, sodass ihre Rechtmäßigkeit nicht mehr angegriffen werden kann. Sie könnte aber möglicherweise nichtig sein, weil die Zwangsgeldandrohung nicht hinreichend bestimmt war, § 63 Abs. 5 VwVG NRW. Denn die Bezirksregierung hat die Fälle der Zuwiderhandlung nicht konkret bezeichnet, sondern lediglich ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Untersagung in Ziff. 1 angedroht. Demnach war nicht klar, ob ein Fall der Zuwiderhandlung bei jeder Lieferung der streitgegenständlichen Antigentests an einen unberechtigten Empfänger vorliegen sollte, und zwar ungeachtet der Zahl der gelieferten Tests. Möglich ist nämlich auch die Auslegung, dass eine Zuwiderhandlung die Fortsetzung der beanstandeten Geschäftspraxis ohne vorherige Überprüfung des Empfängers an einem Geschäftstag sein sollte. Unklar ist die Androhung auch insofern, als der Umfang des berechtigten Empfängerkreises in § 3 Abs. 4 und 4a MPAV auslegungsbedürftig, und damit das Vorliegen eines Verstoßes nicht ohne weiteres für den Adressaten erkennbar war. Dies betrifft beispielsweise die Zahnärzte, die nach Auffassung der Bezirksregierung in der Ordnungsverfügung nicht zum berechtigten Empfängerkreis gehörten, weil es sich nicht um „Ärzte“ im Sinne der Vorschrift handelte. Bei Zahnarztpraxen handelt es sich aber zweifellos um ambulante Einrichtungen des Gesundheitswesens, die nach § 3 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 MPAV zum berechtigten Empfängerkreis zählten. Diese wurden dann später bei der Zwangsgeldfestsetzung – ebenso wie Heilpraktiker und Physiotherapeuten – auch nicht als unberechtigte Empfänger gewertet.
73Die Voraussetzungen für die Festsetzung eines Zwangsmittels nach § 64 VwVG lagen hingegen vor. Danach setzt die Vollzugsbehörde das Zwangsmittel fest, wenn die Verpflichtung innerhalb der in der Androhung bestimmten Frist nicht erfüllt wird. In der Androhung war für die Erfüllung der Ziff. 1 der Ordnungsverfügung keine Frist bestimmt. Demnach war das Abgabeverbot sofort ab dem Zugang der Ordnungsverfügung am 10.12.2020 zu erfüllen. Aus der von der Bezirksregierung übermittelten Liste der Kunden ergibt sich aber eindeutig, dass in der Zeit vom 11.12.2020 bis zum 20.12.2020 die Schnelltests an eine Vielzahl von Kunden ausgeliefert wurden, die offenkundig keinerlei Bezug zum Gesundheitssystem, und damit zu dem in § 3 Abs. 4 und 4a MPAV in der seinerzeit gültigen Fassung vom 02.12.2020 (gültig bis zum 19.01.2021) bestimmten Empfängerkreis hatten. Beispielsweise wurden die Tests an Tierärzte, einen Containerdienst, einen Optiker, ein Vermessungsbüro und einen Backwarenbetrieb ausgeliefert (vgl. Rückrufliste der Bezirksregierung vom 03.02.2021, Bl. 355, Beiakte 4).
74Diese gehörten weder zu den in § 3 Abs. 4 noch zu den in § 3 Abs. 4a MPAV in der Fassung vom 02.12.2020 erfassten Personen und Einrichtungen. Nach § 3 Abs. 4 MPAV durften Corona-Schnelltests (In-vitro-Diagnostika zur Erkennung von COVID-19 iSd § 24 Satz 1 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 1 lit. t und § 7 Abs. 1 Nr. 44a IfSG) nur von Ärzten, ambulanten und stationären Einrichtungen des Gesundheitswesens, Großhandel und Apotheken, Gesundheitsbehörden, Blutspendediensten, pharmazeutischen Unternehmen, Beratungs- und Testeinrichtungen für besonders gefährdete Personengruppen abgegeben werden.
75Nach § 3 Abs. 4a MPAV vom 02.12.2020 durften Corona-Schnelltests im Fall einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite (festgestellt am 25.03.2020) abweichend von Abs. 4 auch an bestimmte im IfSG genannte Einrichtungen abgegeben werden, nämlich an stationäre und ambulante Einrichtungen zur Pflege oder Betreuung älterer, behinderter oder pflegebedürftiger Menschen (Abs. 4a Nr. 1) , ambulante Dienste der Eingliederungshilfe (Abs. 4a Nr. 2) und Einrichtungen zur Betreuung von Kindern einschließlich Schulen (Abs. 4a Nr. 3).
76Demnach kann die Antragstellerin allenfalls geltend machen, zu den herangezogenen Fällen hätten auch Kitas/Schulen, und damit berechtigte Empfänger im Sinne des Abs. 4a Nr. 3 MPAV gehört. Ferner könnte sie sich darauf berufen, dass sie in 221 Fällen die bestellten Tests nicht ausgeliefert habe, denn dann läge keine unzulässige Abgabe vor. Dieser Vortrag betrifft jedoch nur einen kleinen Teil der insgesamt 1322 Fälle und damit lediglich die Höhe der Zwangsgeldfestsetzung. Im Übrigen hat die Antragstellerin ihren Vortrag weder substantiiert noch glaubhaft gemacht. Denn die vorgelegte Liste mit den Eintragungen „nicht beliefert“ oder „Kita/Schule“ lässt sich der Liste der Bezirksregierung nicht zuordnen und die vorgelegten eidesstattlichen Versicherungen enthalten ebenfalls keine konkreten Angaben.
77Die weitere Behauptung, die Antragstellerin habe durch ihren Geschäftsführer alle Angestellten nach Erhalt der Ordnungsverfügung dazu angewiesen, die Tests nicht mehr an unberechtigte Adressaten zu verkaufen bzw. auszuliefern, ist nicht glaubhaft gemacht. Insbesondere fehlt es schon an der Angabe eines konkreten Datums, wann diese Maßnahme erfolgt sein soll. Auch gibt es keine entsprechenden Schreiben, E-Mails oder Telefonvermerke aus der Zeit nach Erhalt der Ordnungsverfügung. Die Lieferscheinliste aus der Zeit vom 10.12.2020 bis zum 20.12.2020 zeigt jedenfalls, dass es eine derartige Anweisung vor diesem Zeitraum nicht gab, da flächendeckend unzulässige Adressaten beliefert wurden, und nicht nur in Einzelfällen. Das erste Schreiben der Antragstellerin, das nach Erhalt der Ordnungsverfügung vorgelegt wurde, war ein Musterschreiben vom 23.12.2020, datiert also nach dem Zeitraum, der Gegenstand der Zwangsgeldfestsetzung ist. Dieses Schreiben richtete sich auch nicht an die Mitarbeiter, sondern an die Kunden und wies diese auf die Notwendigkeit der Durchführung der Tests durch Fachpersonal hin. Nur für den Fall, dass dies nicht möglich sei, wurde um Rücksendung gebeten. Das Schreiben zeigt, dass es vor dem 23.12.2020 eben keine Anweisung gab, nicht an unberechtigte Empfänger auszuliefern; sonst wäre diese Aufforderung ja nicht nötig gewesen.
78Damit liegt ein Verstoß gegen die Untersagung in Ziff. 1 der Ordnungsverfügung in einer Vielzahl von Fällen vor. Unerheblich ist, ob im Zeitpunkt der Zwangsgeldfestsetzung oder später überhaupt noch eine Wiederholung der untersagten Tätigkeit möglich war. Insofern ist zutreffend, dass ab dem 03.02.2021 eine Abgabe von sog. Selbsttests an Laien zulässig war, vgl. § 3 Abs. 4 Satz 2 i.V.m. Anlage 3 der MPAV in der Fassung vom 01.02.2021, gültig ab dem 03.02.2021. Außerdem wurde der Kreis der zulässigen Empfänger von Schnelltests zur professionellen Anwendung sukzessive erweitert und umfasste im Zeitpunkt des Erlasses der Zwangsgeldfestsetzung bereits Einrichtungen der kritischen Infrastruktur, vgl. § 3 Abs. 4a Nr. 4 MPAV in der Fassung vom 01.02.2021. Später wurden sogar alle Arbeitgeber einbezogen, vgl. § 3 Abs. 4a Nr. 4 MPAV in der Fassung vom 12.03.2021, gültig ab dem 16.03.2021. Demnach war ein Verstoß gegen die Regelungen des § 3 Abs. 4 und 4a MPAV durch die Lieferung an Unternehmen außerhalb des Gesundheitsbereiches ab diesem Zeitpunkt wohl nicht mehr möglich, sodass keine Wiederholungsgefahr mehr vorlag.
79Dies ist jedoch für die Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldfestsetzung unerheblich, § 60 Abs. 3 Satz 2, 2. HS VwVG NRW. Nach der ständigen Rechtsprechung des OVG NRW kann ein Zwangsgeld auch dann festgestellt und beigetrieben werden, wenn ein weiterer Verstoß gegen die zu vollstreckende Ordnungsverfügung im Fall einer Unterlassungspflicht nicht mehr möglich ist. Entscheidend ist allein, dass der Verstoß nach der Androhung und während der Zeit erfolgt ist, in der die Ordnungsverfügung galt,
80vgl. OVG NRW, Beschluss vom 21.07.2022 – 7 A 1159/21 – , Beschluss vom 02.06.2010 – 13 B 191/10 – , juris, Rn. 10, Beschluss vom 21.01.2020 – 4 B 1602/19 – , juris Rn. 4.
81Im Zeitraum vom 10.12.2020 bis zum 20.12.2020 galt die Ordnungsverfügung, die am 10.12.2021 zugestellt wurde. Diese wurde auch in der Folgezeit nicht rechtswidrig, weil sie sich dynamisch immer auf die geltenden Regelungen in § 3 MPAV bezog. Gegen diese hat die Antragstellerin aber in der Zeit im Dezember 2020 verstoßen, da zu diesem Zeitpunkt der Empfängerkreis noch eng begrenzt war. Der Umstand, dass ab dem 16.03.2021 praktisch alle Arbeitgeber, und damit der größte Teil der Gewerbebetriebe zum zulässigen Empfängerkreis gehörten, ist damit für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Zwangsgeldfestsetzung unerheblich.
82Jedoch spricht nach Auffassung der Kammer sehr viel dafür, dass die Bezirksregierung bei der Festsetzung der Höhe des Zwangsgeldes ermessensfehlerhaft gehandelt hat.
83Dem steht zunächst nicht entgegen, dass es sich bei der Festsetzung des angedrohten Zwangsgeldes um einen Fall des intendierten Ermessens handelt, der eine erneute Ermessensentscheidung über die Höhe des Zwangsgeldes in der Regel nicht erfordert,
84vgl. OVG NRW, Beschluss vom 25.01.2010 – 15 B 1766/09 – juris, Rn. 9, Beschluss vom 14.03.2013 – 2 B 219/13 – juris, Rn. 22.
85Dies gilt insbesondere, wenn bereits eine bestandskräftige Androhung des Zwangsgeldes vorliegt,
86vgl. OVG NRW, Beschluss vom 14.03.2013 – 2 B 219/13 – juris, Rn. 25.
87Die Bezirksregierung hat hier jedoch in Kenntnis dieser Rechtslage bewusst eine neue Ermessensentscheidung über die Höhe des Zwangsgeldes getroffen, die von der ursprünglichen Androhung in erheblichem Umfang abwich. Während in der Ordnungsverfügung noch ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung angedroht worden war, wurde nun im Hinblick auf den errechneten Gesamtbetrag bei 1322 Fällen in Höhe von 6,6 Millionen Euro eine Verletzung des Übermaßgebotes befürchtet. Aus diesem Grund wurde das Zwangsgeld nun in Höhe von 600 Euro für jeden Fall der Zuwiderhandlung festgelegt und hierbei erneut Ermessen ausgeübt.
88In diesem Fall unterliegt aber die neue Entscheidung einer vollen gerichtlichen Überprüfung nach Maßgabe des § 114 VwGO, ob die Behörde die Grenzen des Ermessens eingehalten hat. Dies ist nach Auffassung der Kammer nicht der Fall.
89Zum einen liegt eine Ermessensüberschreitung vor, weil die Bezirksregierung die in § 60 Abs. 1 VwVG NRW geregelte Höchstgrenze für die Festsetzung eines Zwangsgeldes überschritten hat. Nach § 60 Abs. 1 VwVG NRW wird das Zwangsgeld auf höchstens 100.000 Euro schriftlich festgesetzt. Nach § 60 Abs. 3 VwVG NRW kann das Zwangsmittel beliebig oft wiederholt werden.
90Der festgesetzte Betrag in Höhe von 793.200 Euro überschreitet diese Höchstgrenze in erheblichem Umfang. Der Auffassung der Bezirksregierung, dass diese Höchstgrenze nur für das einzelne Zwangsgeld für den einzelnen Fall einer Zuwiderhandlung gelte, nicht aber für eine Zusammenfassung von Zwangsgeldern aus mehreren Fällen von Zuwiderhandlungen in einer Festsetzung, folgt die Kammer nicht.
91In der Rechtsprechung des OVG NRW ist anerkannt, dass der Höchstbetrag nur für das einzelne Zwangsgeld gilt. Wenn wegen mehrerer Verstöße mehrere Zwangsgelder festgesetzt würden, sei eine Höchstgrenze nicht vorgesehen. Das ergebe sich aus der Möglichkeit der beliebigen Wiederholung von Zwangsgeldern in § 60 Abs. 1 Satz 3 VwVG NRW,
92vgl. OVG NRW, Urteil vom 30.09.1992 – 4 A 3840/92 – juris, Rn. 13.
93Im vorliegenden Verfahren liegt der Fall jedoch anders. Es sind nicht wegen mehrerer Verstöße nacheinander mehrere Zwangsgelder festgesetzt worden. Vielmehr ist wegen mehrerer Verstöße ein einziges Zwangsgeld festgesetzt worden. Wenn die Vollzugsbehörde diesen Weg wählt, muss sie sich an den Wortlaut der Bestimmung in § 60 Abs. 1 VwVG NRW halten, wonach „das Zwangsgeld“ höchstens auf 100.000 Euro festgesetzt wird. Andernfalls hätte sie die Möglichkeit, durch eine Zusammenfassung zahlreicher Verstöße den Höchstbetrag von 100.000 Euro in unbegrenzter Höhe zu überschreiten. Dies wäre aber mit dem Übermaßverbot, das auf jeder Ebene der Verwaltungsvollstreckung zu beachten ist, § 58 Abs. 1 und 2 VwVG NRW, nicht vereinbar.
94Auch in der Literatur zu § 890 ZPO, der die Festlegung eines Ordnungsgeldes bei Zuwiderhandlungen gegen einen zivilrechtlichen Unterlassungstitel regelt, wird die Meinung vertreten, die darin vorgesehene Höchstgrenze von 250.000 Euro gelte auch für eine Zusammenfassung mehrerer Ordnungsgelder für eine Vielzahl von Zuwiderhandlungen, da die Vorschrift eine Ausprägung des Übermaßverbotes sei,
95vgl. Hofmann, Ordnungsmittel bei Mehrfachverstößen gegen Unterlassungstitel, NJW 2019, 2126.
96Die Festsetzung des Zwangsgeldes ist darüber hinaus auch deshalb ermessensfehlerhaft, weil sie wirtschaftlich zu einer Verdoppelung des Zwangsgeldes für einen fortgesetzten Verstoß gegen die Unterlassungspflicht in Ziff. 1 der Ordnungsverfügung führt. Dies verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Nach § 58 Abs. 1 Satz 2 VwVG NRW ist das Zwangsmittel möglichst so zu bestimmen, dass der Einzelne und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt werden.
97Dies hat die Bezirksregierung hier nicht beachtet, weil sie die Zwangsgeldfestsetzungen gegen die Antragstellerin des vorliegenden Verfahrens, die GmbH, und den Geschäftsführer und alleinigen Inhaber der GmbH, den Antragsteller des Parallelverfahrens 7 L 404/21 unabhängig voneinander bewertet hat. Sie hat bei der Ermessensentscheidung nicht erwogen, dass die wirtschaftliche Belastung durch zwei sehr hohe Zwangsgelder in der Person des alleinigen Inhabers und Geschäftsführers der GmbH zusammenfallen, weil er beide Zwangsgelder aus seinem Vermögen aufbringen muss. Die Zwangsgeldfestsetzung kann zur Insolvenz der Antragstellerin führen, wenn der Antragsteller den Verlust nicht aus seinem privaten Vermögen ausgleichen kann, da auch dieses herangezogen wird. Wenn die Bezirksregierung nunmehr im Verfahren vorträgt, die doppelte Inanspruchnahme sei die Folge davon, dass der Antragsteller nicht als Einzelkaufmann, sondern als GmbH am Markt auftrete, und deshalb unerheblich, bestätigt sie damit, dass die wirtschaftlichen Folgen der doppelten Festsetzung beim Erlass der Zwangsgeldbescheide keine Rolle gespielt haben. Denn die Bezirksregierung hätte den Antragsteller durch eine Zwangsgeldfestsetzung gegen ihn als Geschäftsführer der GmbH und natürliche Person wie einen Einzelkaufmann heranziehen können, ohne die GmbH zusätzlich zu belasten.
98Die Antragstellerin ist mit diesem Vortrag auch nicht präkludiert, weil sie die gleichzeitige Inanspruchnahme der GmbH und ihres Geschäftsführers durch die Ordnungsverfügungen von 08.12.2020 und die Androhung der Zwangsgelder noch nicht angefochten hat. Mit der Androhung der Zwangsgelder war noch keine Entscheidung über ihre Festsetzung verbunden. Auch wenn in der Regel ein angedrohtes Zwangsgeld bei einem festgestellten Gesetzesverstoß in der Regel ohne weitere Ermessenserwägungen festgesetzt werden darf, war hier jedoch die besondere Situation zu berücksichtigen, dass die wirtschaftliche Belastung aus den beiden Zwangsgeldern ein und dieselbe Person traf und damit zu einer Verdoppelung des Zwangsgeldes führte.
99Diese doppelte Belastung trat aber erst durch die Festsetzung der Zwangsgelder ein. Durch die Androhung eines Zwangsgeldes für den Fall der Nichtbefolgung in beiden Verfügungen waren die Antragsteller noch nicht doppelt beschwert. Damit war nämlich eine doppelte Festsetzung des Zwangsgeldes sowohl gegen die GmbH als auch gegen den Geschäftsführer noch nicht angedroht. Vielmehr hätte das Zwangsgeld im Rahmen des Ermessens der Vollzugsbehörde auch alternativ entweder gegenüber der GmbH oder gegenüber dem Geschäftsführer festgesetzt werden können; auch eine Reduzierung der beiden Zwangsgelder in der Höhe wäre in Betracht gekommen. Die Antragstellerin hätte den Einwand der doppelten Zwangsgeldfestsetzung bei Erlass der Zwangsgeldandrohung also noch gar nicht erheben können und ist damit auch nicht präkludiert.
100Weiterhin ist zweifelhaft, ob die Bezirksregierung bei der Berechnung des Zwangsgeldes tatsächlich 1322 Fälle der Zuwiderhandlung zugrunde legen durfte. Abgesehen von den Fällen der Belieferung von Kitas/Schulen und den Fällen der unterbliebenen Belieferung, deren Berücksichtigung noch offen ist, ist fraglich, ob es sich bei jedem Verkauf und jeder Auslieferung an einen unzulässigen Kunden um einen Fall der Zuwiderhandlung handelt. Bei diesem Verständnis wird nicht berücksichtigt, dass es sich bei der geschäftlichen Tätigkeit der Antragstellerin um ein fortlaufendes Geschäft handelt und der Vertrieb an Kunden aus einer ungeprüften Faxliste oder aufgrund von Online-Bestellungen möglicherweise einen Fall einer natürlichen Handlungseinheit in dem Zeitraum zwischen dem 11.12. und dem 20.12.2020 betreffen, ohne dass in jedem Einzelfall eine erneute Entscheidung zum Verstoß gegen die MPAV erfolgt ist.
101Nach BGH, Urteil vom 17.12.2020 – I ZB 99/19 – juris Rn. 21 können im Bereich der Zwangsvollstreckung von Unterlassungstiteln mehrere Verhaltensweisen, die aufgrund ihres räumlich-zeitlichen Zusammenhangs so eng miteinander verbunden sind, dass sie bei natürlicher Betrachtungsweise als ein einheitliches, zusammengehörendes Tun erscheinen, unter dem Gesichtspunkt einer natürlichen Handlungseinheit als eine Tat angesehen werden. Kann angenommen werden, dass der Schuldner jeweils einen neuen Entschluss zum Verstoß gegen eine titulierte Unterlassungsverpflichtung gefasst oder einen bereits gefassten Entschluss bekräftigt hat, spricht dies gegen das Vorliegen einer natürlichen Handlungseinheit. Hier könnte in Betracht kommen, dass die Antragsteller beider Verfahren jeweils mit Beginn eines jeden Geschäftstages ihren Entschluss bekräftigt haben, die Ordnungsverfügung noch nicht zu befolgen. Dann hätte das Zwangsgeld nur für jeden Tag der Nichtbefolgung in dem untersuchten Zeitraum festgelegt werden können.
102Der Einwand der Bezirksregierung in ihrer Antragserwiderung, die Vorstellung einer natürlichen Handlungseinheit stamme aus dem Strafrecht und könne daher auf die Verwaltungsvollstreckung nicht übertragen werden, überzeugt nicht. Denn die Vollstreckung von zivilrechtlichen Unterlassungstiteln nach § 890 ZPO weist deutliche Ähnlichkeiten mit der Festsetzung von Zwangsgeldern für den Fall einer Nichtbefolgung einer Unterlassungspflicht auf, was sich bereits aus der Verwendung der Formulierung „für jeden Fall der Zuwiderhandlung“ ergibt, die wohl aus der ZPO abgeleitet ist. Die Problematik, dass sich bei einer Vielzahl von kleinen Verstößen im Rahmen eines fortgesetzten Geschäftsbetriebes durch eine schlichte Addition eine unangemessen hohe Sanktion ergeben kann, betrifft aber beide Rechtsbereiche. Dieser Gesichtspunkt hätte im Rahmen der neuen Ermessensentscheidung über die Höhe des Zwangsgeldes erwogen werden müssen, nachdem der Bezirksregierung klar geworden war, dass die Vielzahl der Verstöße bei einer Addition und Multiplikation mit dem zunächst angedrohten Zwangsgeld von 5.000 Euro zu einer exorbitanten Gesamtsumme von mehr als 6 Millionen Euro geführt hätte.
103Im Rahmen der Ermessensausübung hat außerdem die weitere Entwicklung der Rechtslage im Verlauf der Coronapandemie, insbesondere die Zulassung von Selbsttests zur Anwendung durch Laien im häuslichen Bereich seit dem 03.02.2021 und die Ausweitung des Kreises der berechtigten Empfänger von Antigenschnelltests zur professionellen Anwendung auf Schulen/Kitas und Unternehmen der kritischen Infrastruktur seit dem 03.02.2021 keine Berücksichtigung gefunden. Es liegt auf der Hand, dass durch diese Ausweitung der Abgabe auf nicht-medizinische Lebensbereiche und die Vornahme von Selbsttest durch ungeschulte Laien oder sogar Schulkinder, die Zahl von falschen negativen Tests mit großer Wahrscheinlichkeit gestiegen sein dürfte. Die Entstehung eines solchen Testergebnisses ist auch bei der professionellen Anwendung in einem frühen Infektionsstadium nicht ausgeschlossen, da die Antigentests auf eine geringe Virenlast noch nicht reagieren. Diesem Effekt wurde aber im Verlauf der Pandemie eine geringere Bedeutung beigemessen als der flächendeckenden Testung der Bevölkerung, um auf diese Weise möglichst viele infizierte Personen frühzeitig, z.B. schon vor dem Vorliegen eines PCR-Testergebnisses, zu entdecken und aus dem Pandemiegeschehen zu entfernen,
104vgl. Heike Le Ker, „Neue Verordnung. Jetzt kommen die Corona-Selbsttests für zu Hause“, vom 04.02.2021, Anlage A 10, vorgelegt durch den Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin.
105Zwar führt diese Änderung der Rechtslage – wie ausgeführt – nicht zur Rechtswidrigkeit der Zwangsgeldfestsetzung. Es erscheint aber nicht sachgerecht, weiterhin undifferenziert eine besondere Gefährlichkeit der Abgabe und Anwendung der Schnelltests durch ungeschultes Personal wegen der Möglichkeit falsch negativer Tests anzunehmen und mit einem Betrag von 200 Euro in die Berechnung des einzelnen Zwangsgeldes einzubeziehen. Studien zeigten, dass die Fehlerquote bei der Durchführung durch Laien im Vergleich zu geschultem Personal keine großen Unterschiede aufwies (vgl. Heike le Ker, a.a.O.).
106Schließlich fehlt bei der erneuten Ermessensausübung die Einbeziehung der wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin in die Abwägung zur Höhe des Zwangsgeldes. Diese finden in der Zwangsgeldfestsetzung keine Erwähnung. Die Auffassung der Bezirksregierung, die wirtschaftlichen Interessen der Antragstellerin hätten wegen des Vorranges des Gesundheitsschutzes als höchstrangiges Rechtsgut keiner Erwähnung bedurft, ist nicht haltbar. Ebenso wenig kann ihrem Vortrag gefolgt werden, eine wirtschaftliche Existenz, die ganz oder teilweise auf der Missachtung der Rechtsordnung beruhe, sei rechtlich nicht schützenswert. Diese Ausführungen bestätigen, dass die wirtschaftlichen Interessen von der Bezirksregierung schlicht nicht berücksichtigt worden sind. Dies steht in Widerspruch zu § 58 Abs. 1 und 2 VwVG NRW, der den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit normiert. Vielmehr sind bei der Festsetzung der Höhe des Zwangsgeldes die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Ordnungspflichtigen zu beachten und Gefahren für die wirtschaftliche Existenz eines Betriebes möglichst zu vermeiden. Dies kann allenfalls anders gesehen werden, wenn ein Unternehmen ausschließlich durch strafbares Verhalten Geld verdient, wie zum Beispiel beim Rauschgifthandel. Die Antragstellerin hat aber neben der unzulässigen Abgabe von Schnelltests zahlreiche berechtigte Empfänger beliefert und weiterhin einen legalen Handel mit Schutzmasken, Schutzausrüstung und anderen Gegenständen betrieben. Es kann also keine Rede davon sein, dass ihre wirtschaftliche Existenz nicht schutzwürdig sei. In diesem Fall sind die wirtschaftlichen Interessen an der Fortführung des Betriebes in die Ermessensausübung einzustellen, auch wenn sie letztlich gegenüber dem Gesundheitsschutz zurücktreten müssen.“
107An diesen Erwägungen hält die Kammer auch bezüglich der Festsetzung des Zwangsgeldes in Höhe von 793.200 Euro im an den Antragsteller gerichteten Bescheid vom 03.02.2021 fest.
108Der Bescheid vom 03.02.2021 gegenüber dem Antragsteller enthält darüber hinaus eine weitere Zwangsgeldfestsetzung in Höhe von 25.000 Euro wegen des Verstoßes gegen die Rückrufverpflichtung in Ziff. 2 der Ordnungsverfügung vom 08.12.2020.
109Auch gegen die Rechtmäßigkeit dieser Festsetzung bestehen erhebliche rechtliche Bedenken. Zwar lagen die allgemeinen Voraussetzungen für die Anwendung eines Verwaltungszwangs nach § 55 Abs. 1 VwVG NRW vor. Ziff. 2 der Ordnungsverfügung vom 08.12.2020 enthielt einen Verwaltungsakt, der auf die Vornahme einer Handlung gerichtet war, nämlich auf den Rückruf der bereits ausgelieferten Tests, soweit diese an unberechtigte Empfänger abgegeben worden waren. Der Verwaltungsakt war unanfechtbar, weil innerhalb der Klagefrist keine Rechtsmittel gegen den Bescheid eingelegt worden waren. Auch hat der Antragsteller gegen die Rückrufverpflichtung verstoßen, weil er im Zeitraum vom 11.12.2020 bis zum 20.12.2020 keinen Rückruf der Corona-Tests gegenüber den nicht berechtigten Empfängern veranlasst hat.
110Es bestehen jedoch ernsthafte Zweifel daran, dass die erforderliche Androhung des Zwangsgeldes nach § 57 Abs. 3 i.V.m. § 63 VwVG NRW wirksam erfolgt ist. Denn die Androhung könnte wegen eines offensichtlichen Verstoßes gegen § 63 Abs. 3 VwVG nichtig sein. Nach dieser Vorschrift muss sich die Androhung auf bestimmte Zwangsmittel beziehen. Werden mehrere Zwangsmittel angedroht, ist anzugeben, in welcher Reihenfolge sie angewendet werden sollen.
111Hier hatte die Bezirksregierung in der Ordnungsverfügung vom 08.12.2020 gegenüber der GmbH für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Rückrufpflicht eine Ersatzvornahme angedroht. In der Ordnungsverfügung vom 08.12.2020 gegenüber dem Antragsteller hatte sie jedoch bei Nichterfüllung der Rückrufpflicht das hier streitgegenständliche Zwangsgeld in Höhe von 25.000 Euro angedroht. Da die Rückrufverpflichtung nur durch den Antragsteller in seiner Eigenschaft als Geschäftsführer der GmbH erfüllt werden konnte, war somit unklar, welches Zwangsmittel im Fall eines Verstoßes angedroht war und angewendet werden würde. Eine Reihenfolge war nicht angegeben. Dies verstößt gegen das Bestimmtheitsgebot in § 63 Abs. 3 VwVG NW.
112Jedenfalls erweist sich aber die Festsetzung eines Zwangsgeldes, nachdem die Behörde bereits einen Rückruf im Wege der Ersatzvornahme durchgeführt hat, als offensichtlich rechtswidrig. Diese Kumulation von Zwangsmitteln verstößt gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, § 58 VwVG, und den Zweck des Verwaltungszwanges als Beugemittel, § 65 Abs. 3 VwVG.
113§ 57 Abs. 3 Satz 1 VwVG lässt eine gleichzeitige Anwendung von verschiedenen Zwangsmitteln nicht zu. Dort heißt es, die Zwangsmittel können solange wiederholt und gewechselt werden, bis der Verwaltungsakt befolgt worden ist oder sich auf andere Weise erledigt hat. Daraus ergibt sich, dass die Zwangsmittel nacheinander angewendet werden, bis ihr Zweck erfüllt ist.
114Hier war der Zweck der Rückrufverpflichtung bereits mit der Ersatzvornahme, die von der Bezirksregierung mit dem Musterschreiben vom 21.12.2020 eingeleitet worden ist, erfüllt. Dies gilt auch im Hinblick auf den Umstand, dass im Zeitpunkt der Festsetzung des Zwangsgeldes am 03.02.2021 noch nicht alle Empfänger die erhaltene Ware zurückgesandt hatten (vgl. Bl. 355 - 359 Beiakte 4). Denn dies hing nicht mehr von einer Handlung des Antragstellers ab, sondern von der Reaktion der Kunden.
115Der Vollzug einer Handlungsverpflichtung ist aber einzustellen, sobald sein Zweck erfüllt ist oder dem Betroffenen die Erfüllung der zu erzwingenden Handlung unmöglich geworden ist, § 65 Abs. 3 Buchstabe a) und b) VwVG NW. Nach der Durchführung des Rückrufes durch die Bezirksregierung hatte diese die Handlungspflicht im Wege der Ersatzvornahme erfüllt, sodass nunmehr eine Erfüllung durch den Antragsteller nicht mehr möglich war. Eine zusätzliche Aufforderung durch den Antragsteller, die Ware zurückzusenden, hätte nach dem Rückruf durch die Behörde keinen zusätzlichen Effekt erzielen können. Mit dem Rückruf durch die Behörde war der Zweck erfüllt, sodass die Festsetzung eines Zwangsgeldes nicht mehr nötig war, um eine Handlung des Antragstellers zu erzwingen. Das festgesetzte Zwangsgeld hatte daher nur noch die Funktion einer Bestrafung für die Nichterfüllung der Rückverpflichtung, was mit dem Zweck eines Zwangsmittels als Beugemittel nicht vereinbar ist.
116Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 VwGO.
117Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG. Hierbei orientiert sich die Kammer am Streitwertkatalog des Bundesverwaltungsgerichts, der in Ziff. 1.5 in Verbindung mit 1.7.1 ein Viertel des festgesetzten Zwangsgeldes als Streitwert im vorläufigen Rechtsschutzverfahren vorsieht
118Rechtsmittelbelehrung
119Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
120Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
121Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
122Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
123Im Beschwerdeverfahren müssen sich die Beteiligten durch Prozessbevollmächtigte vertreten lassen; dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde und für die Begründung. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
124Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
125Die Beschwerde ist schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
126Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
127Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.