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Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch den Beklagten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Der Kläger wendet sich gegen den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnis zum Besitz und Erwerb von Waffen und Munition.
3Dem Kläger wurde am 10.08.1983 zum Zwecke der Vorbereitung auf die Jagdprüfung die (Ersatz-)Waffenbesitzkarte mit der Nummer 000/00 ausgestellt. Auf dieser Waffenbesitzkarte sind eine Bockdoppelflinte, Kaliber 12/70, Hersteller: Pioneer, Herstellernummer: E 0000, sowie eine Pistole, Kaliber 7, 65 mm, Hersteller: Hege, Herstellernummer: BB 00000, eingetragen.
4Im Mai 2013 trat der Kläger der Partei „Alternative für Deutschland“ (im Folgenden: AfD) bei. In der Zeit von 2014 bis 2020 war er Einzelratsmitglied der AfD im Rat der Stadt U. .
5Am 14.03.2015 gründeten der Vorsitzende des Landesverbandes Thüringen der AfD, Björn Höcke, und der damalige Vorsitzende des Landesverbandes Sachsen der AfD, André Poggenburg, die Sammlungsbewegung „Der Flügel“ innerhalb der AfD (im Folgenden: Flügel). Sie unterzeichneten gemeinsam mit 21 weiteren Amts- und Funktionsträgern der AfD die sog. „Erfurter Resolution“. Gemäß der Resolution sehen die Erstunterzeichner „im vollen Einsatz der AfD für eine grundsätzliche politische Wende in Deutschland die eigentliche Daseinsberechtigung der Partei“. Dieser Einsatz werde zu „echten Auseinandersetzungen mit den Altparteien, den Medien und den Trägern der verheerenden Gesellschaftsexperimente führen“. Von den Funktionsträgern der Partei werde verlangt, diese Auseinandersetzung mutig und wahrhaftig zu führen. In der Erklärung wird die Sorge geäußert, dass sich die AfD ohne Not mehr und mehr dem etablierten Politikbetrieb anpasse: „dem Technokratentum, der Feigheit und dem Verrat an den Interessen unseres Landes.“ Die Erstunterzeichner forderten jedes AfD-Mitglied, „das diese Resolution unterstützt, zur Unterschrift auf.“ Ziel sei die „Sammlung aller auf eine echte Alternative zu den bestehenden Parteien ausgerichteten Kräfte innerhalb der AfD.“
6Der Kläger unterzeichnete im März 2015 die „Erfurter Resolution“.
7Ende 2018 verfassten Mitglieder unterschiedlicher Gruppen im Landesverband der AfD Baden-Württemberg den sog. „Stuttgarter Aufruf“. Mit dem Aufruf sollte „ein deutliches Signal an die AfD-Vorstände aller Ebenen zur Einigkeit und die Sammlung aller auf eine echte Alternative zu den bestehenden Parteien ausgerichteten Kräfte innerhalb der AfD“ erfolgen. In dem Aufruf heißt es unter anderem: „Waren nach dem reinigenden Gewitter von Essen die Ausschlussverfahren, die unter dem System Lucke stark zugenommen hatten, ins Stocken geraten und viele auch eingestellt worden, so müssen wir heute beobachten, dass in vielen Landesverbänden und durch den Bundesvorstand öffentlich, manchmal aber auch still und heimlich, wieder zahlreiche Ordnungs- und Ausschlussverfahren eingeleitet wurden oder in Vorbereitung sind. Das führt im Ergebnis zu einer massiven Verunsicherung der Mitglieder und einer Einstellung ihres dringend notwendigen Engagements. So begründet dies in wenigen Fällen sein mag, werden diese Verfahren sehr häufig zum eigenen Machterhalt missbraucht. Oft genug haben sich Vorstände dabei selbst der uns feindlich gesonnenen Presse bedient, nur um ihre inneren Widersacher zu diskreditieren. Wir wollen und müssen diese parteischädlichen Mechanismen ein für alle Mal beenden.“
8Im Oktober 2018 unterzeichnete der Kläger den „Stuttgarter Aufruf“.
9Der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz (im Folgenden: Bundesamt) gab im Rahmen einer Pressekonferenz am 15.01.2019 bekannt, dass der Flügel als Verdachtsfall eingestuft werde. Es lägen stark verdichtete Anhaltspunkte dafür vor, dass es sich beim Flügel um eine extremistische Bestrebung handele. Das durch den Flügel propagierte Politikkonzept sei auf die Ausgrenzung, Verächtlichmachung und weitgehende Rechtlosstellung von Ausländern, Migranten, insbesondere Muslimen, und politisch Andersdenkenden gerichtet. Es verletze die Menschenwürdegarantie sowie das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip. Die Relativierung des historischen Nationalsozialismus ziehe sich zudem wie ein roter Faden durch die Aussagen der Flügel-Vertreter. Der Fortbestand eines organisch-einheitlichen Volkes werde vom Flügel als höchster Wert angesehen. Der einzelne Deutsche werde als Träger des Deutschtums wertgeschätzt. „Kulturfremde“ Nicht-Deutsche würden als nicht integrierbar gelten. Ihnen solle eine Bleibeperspektive konsequent verwehrt werden. Ziel des Flügels sei ein ethnisch homogenes Volk, welches keiner „Vermischung“ ausgesetzt sein solle. Dies werde durch flüchtlings- und muslimkritische Positionen untermauert. Die Staatsbürgerschaft von muslimischen Deutschen werde infrage gestellt. Ihnen drohten bei konsequenter Umsetzung der Positionen des Flügels Massenabschiebungen. Mittels einer aggressiven Wortwahl werde die von Migranten ausgehende Kriminalität krass überzeichnet. Befürworter einer liberalen Migrationspolitik würden zudem massiv entwürdigend beschimpft. Ihre politische Haltung werde etwa mit einer Geisteskrankheit gleichgesetzt. Vertreter des Flügels wendeten sich auch gegen das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip. Demokratische Entscheidungen würden nur akzeptiert, wenn diese zu einer Regierungsübernahme durch die AfD führten. Im Falle des Scheiterns der AfD gelte: „Danach kommt nur noch: Helm auf.“ Einzelne Mitglieder des Flügels wiesen zudem Bezüge zu bereits als extremistisch eingestuften Organisationen auf.
10Am 16.12.2019 gab das Bundesamt bekannt, dass es alle „Mitglieder“ des Flügels (ca. 7.000 Personen) in die Kategorie „Rechtsextremismus“ einordne.
11Am 12.03.2020 erstellte das Bundesamt ein weiteres Gutachten „zur Einstufung des Flügels als erwiesen extremistische Bestrebung“. Die bisherigen verfassungsfeindlichen Anhaltspunkte hätten sich zur Gewissheit verdichtet. Das Verdachtsfallstadium sei hin zu einer gesichert rechtsextremistischen Bestrebung überschritten worden. Dies gründe sich im Wesentlichen auf den signifikanten Bedeutungszuwachs der maßgeblichen Träger extremistischer Bestrebungen im Flügel, namentlich der zentralen Exponenten Björn Höcke und Andreas Kalbitz, und der von ihnen demzufolge noch stärker ausgehenden Prägekraft für den Personenzusammenschluss. Eine Verdichtung ergebe sich zudem aus der quantitativen Verfestigung der bereits im Verfassungsschutzbericht aus dem Jahr 2019 herangezogenen Belege, von denen sich der Flügel nicht nur nicht distanziert habe, sondern die er vielmehr reproduziert und mit beachtlicher Reichweite weiter verbreitet habe. Die aggressive und kompromisslose Zurückweisung jeder parteiinternen Kritik an Positionen des Flügels stellten ebenfalls einen Verdichtungsfaktor dar. Es sei eine organisatorische Weiterentwicklung festzustellen, worauf offizielle Kontaktstellen – wie der eigenen Webseite, einem YouTube-Kanal, einer Facebook-Seite und einem Onlineshop –, die Etablierung regionaler Ansprechpartner (sog. „Obleute“) und die abgestufte Verleihung von Auszeichnungen für besondere Verdienste um den Flügel hindeuteten.
12Am 20.03.2020 beschloss der Vorstand der AfD mehrheitlich: „Der Bundesvorstand erwartet als Ergebnis des morgigen Flügel-Treffens eine Erklärung darüber, dass sich der informelle Zusammenschluss Flügel bis zum 30.04.2020 auflöst.“
13Zur Umsetzung dieser Forderung fasste der Vorstand der AfD am 06.04.2020 einen weiteren Beschluss, in dem der Flügel zu konkreten Schritten aufgefordert wurde: 1) zu erklären, dass alle Obleute (Landesbeauftragten) abberufen und diese Strukturen aufgelöst sind; 2) die Logonutzung „Der Flügel“ zu beenden und alle eingetragenen und/oder beantragten Wort- und/oder Bildmarken an eine vom Bundesvorstand beauftragte Markenrechts-Kanzlei zu übertragen; 3) die Webseite(n) des Flügels abzuschalten; 4) den Flügel-Onlineshop zu schließen sowie 5) die Flügel-Facebookseite(n) sowie – falls vorhanden, ebenso Instagram und/oder Twitter-Accounts – zu beenden und die Administrator-Rechte soweit möglich an die Bundesgeschäftsstelle zu übertragen.
14In einem Schreiben wandten sich Björn Höcke und Andreas Kalbitz bei Facebook an die „Freunde des Flügels“: „Wir fordern alle, die sich der Interessensgemeinschaft angehörig fühlen, auf, bis zum 30. April ihre Aktivitäten im Rahmen des Flügels einzustellen. […] Grundsätzlich kann nicht aufgelöst werden, was formal nicht existiert. Um die Einheit der Partei zu wahren und das Projekt einer politischen Alternative für Deutschland nicht zu gefährden, haben Björn Höcke und Andreas Kalbitz jedoch entschieden, diesem Wunsch nachzukommen.“
15Zum 30.04.2020 wurde der Flügel formal durch Löschung des bestehenden Internetauftritts und aller Profile und Accounts in den sozialen Medien aufgelöst.
16Im Rahmen der turnusmäßig durchzuführenden Überprüfung der waffenrechtlichen Erlaubnis teilte das Ministerium des Innern des Landes Nordrhein-Westfalen auf Anfrage der Kreispolizeibehörde des S. -T. -Kreises mit Schreiben vom 22.09.2020 im Wesentlichen mit, dass der Kläger Anhänger des Flügels sei, weil er die „Erfurter Resolution“ und den „Stuttgarter Aufruf“ unterzeichnet habe.
17Unter dem 14.04.2021 hörte der Beklagte den Kläger zum beabsichtigten Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnis an. Zur Begründung führte der Beklagte im Wesentlichen aus: Die waffenrechtliche Erlaubnis des Klägers sei nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG zu widerrufen, weil nachträglich Tatsachen eingetreten seien, die zur Versagung der waffenrechtlichen Erlaubnis hätten führen müssen. Als Anhänger bzw. Mitglied des Flügels sei er sowohl gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 a) aa) WaffG als auch gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) WaffG waffenrechtlich unzuverlässig. Der Flügel werde vom Landesamt für Verfassungsschutz Nordrhein-Westfalen (im Folgenden: Landesamt) sowie vom Bundesamt beobachtet. Indem der Kläger die „Erfurter Resolution“ sowie den „Stuttgarter Aufruf“ unterzeichnet habe, habe er nicht nur zur Etablierung des Flügels beigetragen, sondern sich darüber hinaus dafür eingesetzt, Parteiausschlussverfahren in der AfD zu verhindern, die sich gegen Personen richteten, die zu den Mitgliedern des Flügels zählten. Dadurch habe der Kläger dessen gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichteten Aktivitäten Vorschub geleistet. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass er den Flügel in seiner Eigenschaft als gewähltes Mitglied eines Kreistages unterstützt habe, was den Bestrebungen des Flügels zusätzliches Gewicht und einen verfassungsmäßigen Anstrich verliehen habe. Es seien auch keine Gründe ersichtlich, die ausnahmsweise für die waffenrechtliche Zuverlässigkeit des Klägers sprechen könnten.
18Mit Schreiben vom 19.04.2021 bezog der Kläger hierzu Stellung und führte im Wesentlichen aus, dass der Flügel zu keinem Zeitpunkt eine Organisationsform gehabt habe, geschweige denn eine juristische Person gewesen sei. Ein Beitritt zum Flügel bzw. der Erwerb einer Mitgliedschaft im Flügel, wie es ihm der Beklagte vorhalte, sei nicht möglich gewesen. Unter dem Flügel seien lediglich politische Überzeugungen zusammengetragen worden, die öffentlich nicht mehr vertreten werden dürften.
19Mit Bescheid vom 11.05.2021 – dem Kläger zugestellt am 18.05.2021 – widerrief der Beklagte unter Ziffer 1 die in Form der Waffenbesitzkarte mit der Nummer 000/00 erteilte waffenrechtliche Erlaubnis des Klägers und ordnete unter Ziffer 2 an, die Schusswaffen bis spätestens zum 31.05.2021 dauerhaft unbrauchbar zu machen, sie zur Vernichtung bei der Kreispolizeibehörde T. abzugeben oder einem Berechtigten zu überlassen sowie hierüber bis zum 14.06.2021 Nachweis zu führen. Unter Ziffer 3 ordnete der Beklagte die sofortige Vollziehung der Ziffer 2 an. Unter Ziffer 4 wurden Verwaltungsgebühren in Höhe von 205,- Euro erhoben. Zur Begründung wiederholte der Beklagte seine Ausführungen aus dem Anhörungsschreiben vom 14.04.2021 und führte lediglich ergänzend hierzu im Wesentlichen aus, dass sich die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers auch aus § 5 Abs. 2 Nr. 3 c) WaffG ergebe. Darüber hinaus setze der Vereinigungsbegriff im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG nicht das Vorliegen einer juristischen Person voraus. Unabhängig davon ergebe sich aus den Feststellungen der Verfassungsschutzämter, dass der Flügel eine hinreichende Organisationsstruktur gehabt habe und keinesfalls, wie vom Kläger behauptet, „imaginär“ gewesen sei. Dies werde auch durch entsprechende Bekundungen der Führung des Flügels im Zuge seiner Auflösung belegt, wonach der Flügel als „Wertegemeinschaft“ organisiert gewesen sei.
20Am 11.06.2021 hat der Kläger Klage erhoben.
21Zur Begründung wiederholt er im Wesentlichen seine Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren und bekräftigt seine Rechtsauffassung, dass weder die Mitgliedschaft in der AfD noch der Umstand, die „Erfurter Resolution“ und/oder den „Stuttgarter Aufruf“ unterzeichnet zu haben, den Widerruf seiner waffenrechtlichen Erlaubnis rechtfertige.
22Der Kläger beantragt,
23den Bescheid des Beklagten vom 11.05.2021 mit Ausnahme von Ziffer 3 aufzuheben.
24Der Beklagte beantragt,
25die Klage abzuweisen.
26Zur Begründung beruft er sich im Wesentlichen auf seine Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid.
27Soweit sich das Verfahren auf die Verpflichtung des Beklagten, vertreten durch die untere Jagdbehörde des S. -T. -Kreises, zur Verlängerung des Jagdscheins des Klägers bezogen hat, ist es mit Beschluss vom 22.06.2021 abgetrennt und an die 8. Kammer des Gerichts abgegeben worden.
28Mit Urteil vom 08.03.2022 – 13 K 207/20 – hat die 13. Kammer des Verwaltungsgerichts Köln entschieden, dass das Bundesamt den Flügel bis zum Zeitpunkt seiner formalen Auflösung am 30.04.2020 als Verdachtsfall einordnen sowie als gesichert rechtsextremistische Bestrebung einstufen durfte.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der beigezogenen Verwaltungsvorgänge sowie der Sitzungsniederschrift vom 08.09.2022 ergänzend Bezug genommen.
30Entscheidungsgründe
31Die zulässige Klage ist unbegründet.
32Der Bescheid des Beklagten vom 11.05.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
33Der in Ziffer 1 des streitbefangenen Bescheids erfolgte Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis des Klägers ist rechtmäßig. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 WaffG war die waffenrechtliche Erlaubnis des Klägers zu widerrufen, weil nachträglich Tatsachen eingetreten sind, die zur Versagung hätten führen müssen. Eine Erlaubnis zum Erwerb und Besitz von Waffen setzt gemäß § 4 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 WaffG voraus, dass der Antragsteller die erforderliche Zuverlässigkeit im Sinne von § 5 WaffG besitzt.
34Gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG besitzen die erforderliche Zuverlässigkeit in der Regel Personen nicht, bei denen Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie in den letzten fünf Jahren Bestrebungen einzeln verfolgt haben (a), die unter anderem gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind (aa), Mitglied in einer Vereinigung waren, die solche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt haben (b), oder eine solche Vereinigung unterstützt haben (c).
35Zur Beurteilung der Frage, ob Unzuverlässigkeitsgründe im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG vorliegen, ist auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen eine Prognose zu erstellen und der allgemeine Zweck des Gesetzes zu berücksichtigen, beim Umgang mit Waffen und Munition die Belange der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu wahren (§ 1 Abs. 1 WaffG). Die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, sind nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen. Dabei ist in Anbetracht des vorbeugenden Charakters der gesetzlichen Regelungen und der erheblichen Gefahren, die von Waffen oder Munition für hochrangige Rechtsgüter ausgehen, für die gerichtlich uneingeschränkt nachprüfbare Prognose nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit erforderlich, sondern es genügt vielmehr eine hinreichende, auf der Lebenserfahrung beruhende Wahrscheinlichkeit, wobei ein Restrisiko nicht hingenommen werden muss.
36Vgl. BVerwG, Urteil vom 12.10.1998 – 1 B 245.97 –, juris, Rn. 5, sowie Beschlüsse vom 31.01.2008 – 6 B 4.08 –, juris, und vom 02.11.1994 – 1 B 215/93 –, juris.
37Gemessen an diesen Maßstäben kann hier dahinstehen, ob der Kläger – wie vom Beklagten angeführt – auch die Voraussetzungen der Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 a) WaffG erfüllt. Denn die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit des Klägers ergibt sich zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses am 11.05.2021,
38vgl. dazu VGH Bayern, Beschluss vom 05.10.2020 – 24 BV 19.510 –, juris, Rn. 14 m.w.N.,
39jedenfalls aus § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) und c) WaffG, weil der Kläger innerhalb des 5-Jahreszeitraums des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG Mitglied des Flügels war und durch seine Mitgliedschaft den Flügel unterstützt hat.
40Der Flügel war zum maßgeblichen Zeitpunkt in den letzten fünf Jahren vor Bescheiderlass am 11.05.2021 eine Vereinigung im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) und c) WaffG.
41Der Begriff der Vereinigung im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) und c) WaffG erfasst als Oberbegriff sowohl Vereine im Sinne des Vereinsgesetzes als auch Parteien im Sinne des Parteiengesetzes.
42Vgl. BT-Drs. 19/15875, S. 36.
43Offen bleiben kann hier, ob der Flügel als nicht satzungsgemäße, aber nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse als eingegliederte Teilorganisation der AfD erscheinend dem Parteienbegriff des § 2 Abs. 1 Parteiengesetz unterfällt. Denn der Flügel erfüllt jedenfalls alle Merkmale des Vereinsbegriffs im Sinne des Vereinsgesetztes (VereinsG).
44Gemäß § 2 Abs. 1 VereinsG ist ein Verein ohne Rücksicht auf die Rechtsform jede Vereinigung, zu der sich eine Mehrheit natürlicher oder juristischer Personen für längere Zeit zu einem gemeinsamen Zweck freiwillig zusammengeschlossen und einer organisierten Willensbildung unterworfen hat.
45Die Begriffsmerkmale des § 2 Abs. 1 VereinsG sind entsprechend der gefahrenabwehrrechtlichen Zwecksetzung des Vereinsgesetzes und im Einklang mit dem Schutz der Vereinigungsfreiheit weit auszulegen. Denn einerseits entspricht ein solcher, weit gefasster Anwendungsbereich des Vereinsgesetzes der gefahrenabwehrrechtlichen Intention des Vereinsgesetzes und seinem Charakter als ein Instrument des „präventiven Verfassungsschutzes“. Art. 9 Abs. 2 GG ist insoweit – neben Art. 21 Abs. 2 und Art. 18 GG – Ausdruck des Bekenntnisses des Grundgesetzes zu einer „streitbaren Demokratie“.
46Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.07.2018 – 1 BvR 1474/12, 1 BvR 670/13, 1 BvR 57/14 –, BVerfGE 149, 160, Rn. 101.
47Andererseits dient ein weites Verständnis des Anwendungsbereichs des Vereinsgesetzes zugleich auch dem Schutz der Vereinigung.
48Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 – 6 A 5.19 –, BeckRS 2020, 8416, Rn. 36, 39 m.w.N. auf die ständige Rechtsprechung des BVerwG.
49Vor dem Hintergrund der mit dem Vereinsgesetz verbundenen Zielsetzung ist es für die Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes daher maßgeblich, dass die Organisation und die Zweckverfolgung in der Vereinigung auf Dauerhaftigkeit angelegt sind und sich die Beteiligten durch ein verfestigtes Band der Zusammengehörigkeit verbunden haben. Das Merkmal einer organisierten Willensbildung ist auch dann erfüllt, wenn verbindliche Entscheidungen nur unter Beteiligung sämtlicher Mitglieder nach dem Konsensprinzip getroffen werden können. Maßgeblich ist insoweit, dass die Mitglieder den auf dieser Grundlage gebildeten Gesamtwillen als grundsätzlich verbindlich erachten.
50Vgl. BVerwG, Urteil vom 29.01.2020 – 6 A 5.19 –, BeckRS 2020, 8416, Rn. 41.
51Ein Zusammenschluss setzt schon nach seinem Wortlaut ein bewusstes und gewolltes Handeln voraus. Auch bei einer extensiven Interpretation des Vereinsbegriffs kann ein Zusammenschluss von Personen nur angenommen werden, wenn sich diese durch einen konstitutiven Akt verbunden haben. Dabei dürfen an die Qualität dieses Aktes keine hohen Anforderungen gestellt werden; eine stillschweigende Übereinkunft reicht aus. Auch hinsichtlich des gemeinsamen Zwecks genügt eine faktische Übereinstimmung über die wesentlichen Ziele des Zusammenschlusses. Die von dem Willen der einzelnen Mitglieder losgelöste und organisierte Gesamtwillensbildung, der sich die Mitglieder kraft der Verbandsdisziplin prinzipiell unterordnen müssen beziehungsweise die sie kraft eigenen Entschlusses als prinzipiell beachtlich werten, erfordert weder eine Satzung noch spezifische Vereinsorgane. Ausreichend ist eine Organisationsstruktur, die faktisch auf eine organisierte Willensbildung schließen lässt.
52Vgl. BVerwG, Urteil vom 13.12.2018 – 1 A 14.16 –, NVwZ-RR 2019, 512, Rn. 22 m.w.N.
53Für das Bestehen einer organisierten Gesamtwillensbildung spricht insbesondere, wenn die Vereinigung zur Verfolgung des gemeinsamen Zwecks Zuständigkeiten verteilt und ein arbeitsteiliges Zusammenwirken von Personen regelt.
54Vgl. BVerwG, Urteil vom 14.05.2014 – 6 A 3.13 – Buchholz 402.45 VereinsG Nr. 62 Rn. 28.
55Es genügt, dass eine nicht formal geregelte, sondern auf faktischer Unterwerfung beruhende autoritäre Organisationsstruktur für eine vom Willen des einzelnen Mitglieds losgelöste, organisierte Gesamtwillensbildung vorliegt. Schon zugunsten der Freiheit, sich in unterschiedlicher Form zusammenzuschließen, dürfen keine überzogenen Anforderungen an die organisierte Willensbildung gestellt werden. Auch insoweit stellt die weite Auslegung des Vereinsbegriffs sicher, dass einschränkende Maßnahmen bis hin zum Verbot an Art. 9 GG und damit an den engen Voraussetzungen von Art. 9 Abs. 2 GG zu messen sind.
56Vgl. BVerfG, Beschluss vom 02.07.2019 – 1 BvR 1099/16 –, juris, Rn. 17.
57Gemessen an diesen Maßstäben war der Flügel bis zu dem Zeitpunkt seiner formalen Auflösung am 30.04.2020 ein Verein im Sinne des Vereinsgesetzes und damit eine Vereinigung im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) und c) WaffG, auch wenn der Flügel keine satzungsgemäße offizielle Teilorganisation der AfD war und über keinerlei Rechtsform verfügte.
58Vorliegend hat sich der Flügel auf Grundlage der „Erfurter Resolution“ vom 14.03.2015 auf Initiative der beiden (damaligen) Mitglieder der AfD Björn Höcke und André Poggenburg gegründet. Die von den beiden zusammen mit 21 weiteren Amts- und Funktionsträgern der AfD unterzeichnete Erklärung bringt gemeinsame Ziele zum Ausdruck. Denn dort kritisieren die Erstunterzeichner „die vermeintliche Anpassung der Gesamtpartei an den etablierten Politikbetrieb“. Die Partei müsse als „grundsätzliche, patriotische und demokratische Alternative zu den etablierten Parteien“, „als Bewegung unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte“, „als Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität“ sowie als Partei, „die den Mut zur Wahrheit und zum wirklich freien Wort besitzt“, verstanden werden. Der Flügel wollte folglich in der Gesamtpartei seinen politischen Kurs durchsetzen und mittels der AfD Veränderungen in den Parlamenten herbeiführen.
59Vgl. VG Köln, Urteil vom 08.03.2022 – 13 K 207/20 –, juris, Rn. 154.
60Zudem verfügte der Flügel im maßgeblichen Zeitpunkt über eine Organisationsstruktur. Er definierte sich in einer Erklärung vom 24.06.2016 selbst als „zentral organisierter, loser Verbund von Mitgliedern der Alternative für Deutschland im gesamten Bundesgebiet“. Die organisatorische Arbeit des Flügels sollte demgemäß maßgeblich vom Kreisverband Nordhausen-Eichsfeld-Mühlhausen der AfD, dessen Kreis- und Landesvorsitzender Björn Höcke ist, getragen und dort konzentriert werden. Auch ist in dieser Erklärung von einem „Flügel-Team“ die Rede, mit dem regionale Veranstaltungen zu koordinieren seien.
61Vgl. VG Köln, Urteil vom 08.03.2022 – 13 K 207/20 –, juris, Rn. 155.
62Der Flügel entwickelte sich nach seiner Gründung organisatorisch weiter, worauf offizielle Kontaktstellen – wie die eigene Webseite, ein YouTube-Kanal, eine Facebook-Seite und ein Onlineshop –, die Etablierung regionaler Ansprechpartner (sog. „Obleute“) und die abgestufte Verleihung von Auszeichnungen für besondere Verdienste um den Flügel hindeuteten. Seit dem Jahr 2015 fanden überdies jährliche Veranstaltungen des Flügels unter dem Namen „Kyffhäusertreffen“ mit stetig steigenden Besucherzahlen statt (350 im Jahr 2015, 1.000 im Jahr 2018).
63Vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundes, 2019, S. 84 f.
64Auch die AfD sah den Flügel im hier maßgeblichen Zeitpunkt als Zusammenschluss mit eigener Organisationsstruktur an, worauf die Beschlüsse vom 20.03.2020 und 06.04.2020 hindeuten. Darin forderte die AfD den Flügel auf, sich als „informellen Zusammenschluss“ aufzulösen und die vorhandenen Strukturen aufzugeben. Der Flügel wurde konkret dazu aufgefordert, 1) zu erklären, dass alle Obleute (Landesbeauftragten) abberufen und diese Strukturen aufgelöst sind; 2) die Logonutzung „Der Flügel“ zu beenden und alle eingetragenen und/oder beantragten Wort- und/oder Bildmarken an eine vom Bundesvorstand beauftragte Markenrechts-Kanzlei zu übertragen; 3) die Webseite(n) des Flügels abzuschalten; 4) den Flügel-Onlineshop zu schließen sowie 5) die Flügel-Facebookseite(n) sowie – falls vorhanden, ebenso Instagram und/oder Twitter-Accounts – zu beenden und die Administrator-Rechte soweit möglich an die Bundesgeschäftsstelle zu übertragen.
65In einem Schreiben wandten sich sodann Björn Höcke und Andreas Kalbitz bei Facebook an die „Freunde des Flügels“: „Wir fordern alle, die sich der Interessensgemeinschaft angehörig fühlen, auf, bis zum 30. April ihre Aktivitäten im Rahmen des Flügels einzustellen.“ Neben der ausdrücklichen Bezeichnung als „Interessengemeinschaft“ ist dieser Aufruf zur Auflösung des Flügels Ausdruck einer organisierten Gesamtwillensbildung im Flügel.
66An dieser Stelle kann auch dahinstehen, ob die formale Auflösung des Flügels Einfluss darauf hat, ob der Flügel weiterhin als Verein im Sinne des Vereinsgesetzes angesehen werden kann. Denn im vorliegend maßgeblichen Zeitpunkt der letzten fünf Jahre vor Bescheiderlass am 11.05.2021 war der Flügel (noch) nicht aufgelöst. Dies geschah erst zum 30.04.2020 und damit mehr als vier Jahre nach dem hier maßgeblichen Zeitpunkt (11.05.2016).
67Es ist auch rechtlich unbeachtlich, dass der Flügel nach dem Vereinsgesetz weder verboten noch mit einem Betätigungsverbot belegt wurde. Anders als in § 5 Abs. 2 Nr. 2 WaffG werden von § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) und c) WaffG auch solche Vereinigungen erfasst, die (noch) nicht verboten sind. Hierunter fallen nach dem Willen des Gesetzgebers sämtliche Parteien und Vereine, die nicht verboten sind, also auch solche, bei denen das Bundesverfassungsgericht im Parteiverbotsverfahren nach Art. 21 Abs. 2 GG festgestellt hat, dass sie auf die Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung abzielende Bestrebungen verfolgen, deren Verbot mangels Anhaltspunkten, die die Zielerreichung zumindest möglich erscheinen lassen, jedoch nicht ausgesprochen wurde.
68Vgl. BT-Drs. 19/15875, S. 36.
69Die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit im Zusammenhang mit einer vereins- bzw. parteiverbundenen Tätigkeit ist insoweit nicht ausschließlich und abschließend nach § 5 Abs. 2 Nr. 2 WaffG zu beurteilen. Dies hat sich auch mit der Umstrukturierung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG nicht geändert. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seiner Grundsatzentscheidung zur Auslegung von § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG (a.F.) maßgeblich zugrunde gelegt, dass insbesondere der Normzweck der Annahme einer Ausschlusswirkung des § 5 Abs. 2 Nr. 2 WaffG im Verhältnis zu § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG entgegensteht. Das zentrale Anliegen des Waffengesetzes ist es, den Schutz der Allgemeinheit vor unzuverlässigen Waffenbesitzern zu verstärken, d.h. das mit jedem Waffenbesitz verbundene Risiko zu minimieren und nur bei Personen hinzunehmen, die das Vertrauen verdienen, in jeder Hinsicht ordnungsgemäß und verantwortungsbewusst mit der Waffe umzugehen. Mit dem Schutzzweck der Norm ist es daher nicht vereinbar, wenn das Verfolgen von Bestrebungen der in § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG genannten Art, obwohl es nach der Wertung des Gesetzes regelmäßig die Unzuverlässigkeit begründet, im Schatten der Mitgliedschaft in einer nicht verbotenen Vereinigung zum Nachteil der Allgemeinheit folgenlos bliebe.
70Vgl. BVerwG, Urteil vom 30.09.2009 – 6 C 29.08 – NVwZ-RR 2010, 225 (226); ähnlich mit Urteil vom 28.01.2015 – 6 C 1.14 –, NJW 2015 3594, (3595).
71Es liegen auch hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des Flügels vor.
72Ob verfassungsfeindliche Bestrebungen vorliegen, unterliegt in vollem Umfang der gerichtlichen Kontrolle. Ungeachtet der Frage, ob sich der Flügel – wie oben dargelegt – als nicht satzungsgemäße Teilorganisation einer Partei überhaupt auf das Parteienprivileg nach Art. 21 Abs. 4 GG berufen kann, ist die Entscheidungskompetenz der Verwaltungsgerichte dadurch eingeschränkt, dass die Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei nach Art. 21 Abs. 2 GG, § 46 BVerfGG dem Bundesverfassungsgericht vorbehalten ist. Die waffenrechtliche Einordnung einer Vereinigung, die verfassungsfeindliche Bestrebungen verfolgt oder verfolgt hat, stellt kein Parteienverbot und keine dem Parteienverbot vergleichbare Maßnahme dar, die nach dem Maßstab des Art. 21 GG zu beurteilen wäre.
73Vgl. dazu grundlegend BVerwG, Urteil vom 30.09.2009 – 6 C 29.08 –, NVwZ-RR 2010, 225, 227.
74Zur Auslegung des Begriffs der Verfassungsfeindlichkeit kann auf die Rechtsprechung zu Art. 9 Abs. 2 GG zurückgegriffen werden.
75Vgl. VG München, Beschluss vom 11.05.2020 – M 7 S. 20.87 –, juris, Rn. 26; VG Bayreuth, Urteil vom 15.12.2020 – B 1 K 19.277 –, juris; eine gleichlautende Auslegung des Begriffs ergibt sich auch unter Zugrundelegung der Begriffsbestimmungen des § 4 BVerfSchG und § 92 Abs. 2 StGB, vgl. VG München, Beschluss vom 31.05.2017 – M 7 S. 16.987 –, BeckRS 2017, 113685, Rn. 20 m.w.N.
76Nach der zweiten Tatbestandsvariante des Art. 9 Abs. 2 GG sind solche Vereinigungen verboten, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten. Das Schutzgut der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 GG umfasst nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts die elementaren Grundsätze der Verfassung, namentlich die Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG, das Demokratieprinzip und den Grundsatz der Rechtsstaatlichkeit.
77Vgl. BVerfG, Beschluss vom 13.07.2018 – 1 BvR 1474/12, 670/13, 57/14 –, NVwZ 2018, 1788, Rn. 107; vgl. auch Urteil vom 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, Rn. 529 ff.
78Das Bundesverwaltungsgericht führt zur Frage, wann sich eine Vereinigung gegen diese elementaren Grundsätze „richtet“, Folgendes aus: „Hierfür reicht es nicht aus, dass sie sich kritisch oder ablehnend gegen diese Grundsätze wendet oder für eine andere Ordnung eintritt. Anders als bei Art. 21 Abs. 2 GG, der fordert, dass eine Partei darauf ausgeht, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, muss jedoch nicht bereits eine konkrete Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung eingetreten sein. Entscheidend ist, ob die Vereinigung als solche nach außen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber den elementaren Grundsätzen der Verfassung einnimmt (vgl. BVerfG, Urteil vom 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, Rn. 529 ff., 594 f.; Beschluss vom 13.07.2018 – 1 BvR 1474/12, 670/13, 57/14 –, NVwZ 2018, 1788, Rn. 108 f.) Dazu genügt aber, dass sie die verfassungsmäßige Ordnung fortlaufend untergraben will, wie dies für eine mit dem Nationalsozialismus wesensverwandte Vereinigung kennzeichnend ist. Sie muss ihre Ziele hingegen nicht durch Gewaltanwendung oder sonstige Rechtsverletzungen zu verwirklichen suchen.“
79Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.06.2019 – 6 C 9.18 –, juris, Rn. 23.
80Weiter heißt es: „Wer das Ziel verfolgt, die Geltung des Grundsatzes der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 GG für Teile der Bevölkerung außer Kraft zu setzen sowie elementare Bestandteile des Demokratieprinzips zu beseitigen, und zur Erreichung dieses Ziels auf unterschiedlichen Ebenen Aktivitäten entfaltet, die neben der Teilnahme am regulären politischen Meinungskampf auch Diffamierungen und Agitation umfassen, nimmt nach außen eine kämpferisch-aggressive Haltung gegenüber den elementaren Grundsätzen der Verfassung ein.“
81Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.06.2019 – 6 C 9.18 –, juris, Rn. 26.
82Bestrebungen im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) WaffG gehen folglich über bloße politische Meinungen hinaus. Sie erfordern ein aktives, aber nicht notwendigerweise kämpferisch aggressives Vorgehen zur Realisierung eines bestimmten Ziels. Es bedarf Aktivitäten, die über eine bloße Missbilligung oder Kritik an einem Verfassungsgrundsatz hinausgehen. Kritik an der Verfassung und ihren wesentlichen Elementen ist insoweit zwar erlaubt, ebenso wie die Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlich-demokratischen Grundordnung zu ändern. Es ist jedoch staatlichen Behörden nicht verwehrt, aus Meinungsäußerungen, die den Schutz des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG genießen, Schlüsse zu ziehen und gegebenenfalls Maßnahmen zum Rechtsgüterschutz zu ergreifen. Wenn Äußerungen Bestrebungen zur Beseitigung der freiheitlich-demokratischen Grundordnung erkennen lassen, darf die Waffenbehörde das zum Anlass nehmen, Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
83Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24.5.2005 – 1 BvR 1072/01 –, BVerfGE 113, 6; BVerwG, Urteil vom 21.07.2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275; OVG NRW, Urteil vom 13.02.2009 – 16 A 845/08 –, juris, Rn. 42.
84Dabei kann dahinstehen, ob ein planvolles Vorgehen zu erkennen ist, das kontinuierlich auf die Verwirklichung eines der freiheitlich-demokratischen Grundordnung widersprechenden politischen Konzepts hinarbeitet. Denn ein solches Vorgehen ist im Rahmen des waffenrechtlichen Widerrufsverfahrens nicht erforderlich. Ein solches Vorgehen muss vielmehr erst im Rahmen eines Parteiverbotsverfahrens nach Art. 21 Abs. 1 GG vorliegen.
85Vgl. dazu BVerfG, Urteil vom 17.01.2017 – 2 BvB 1/13 –, BVerfGE 144, 20, Rn. 575 f.
86Liegen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung vor, besteht ein Verdacht solcher Bestrebungen. Die Kammer kann sich insoweit auf die Feststellungen der 13. Kammer des Gerichts stützen, da für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Rahmen des Beobachtungsauftrages der Verfassungsschutzbehörden das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte (vgl. § 3 Abs. 1 und Abs. 3 des Verfassungsschutzgesetzes Nordrhein-Westfalen bzw. § 3 Abs. 1 Nr. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz) Voraussetzung ist. Verlangt werden demnach sowohl für eine Berichterstattung durch die Verfassungsschutzämter als auch für die Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG mehr als bloße Vermutungen, Spekulationen, Mutmaßungen oder Hypothesen, die sich nicht auf beobachtbare Fakten stützen können. Andererseits ist keine Gewissheit hinsichtlich des Vorliegens verfassungsfeindlicher Bestrebungen erforderlich. Es müssen vielmehr konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als Tatsachenbasis vorliegen, die bei vernünftiger Betrachtung auf das Vorliegen verfassungsfeindlicher Bestrebungen hindeuten.
87Vgl. BVerwG, Urteil vom 21.07.2010 – 6 C 22.09 –, BVerwGE 137, 275, Rn. 28, 30; OVG NRW, Urteil vom 12.02.2008 – 5 A 130/05 –, juris, Rn. 270.
88Zur Annahme eines solchen Verdachts können auch die Gesamtschau aller vorhandenen tatsächlichen Anhaltspunkte führen, wenn jeder für sich genommen einen solchen Verdacht noch nicht zu begründen vermag. Eine solche Verdachtslage besteht zudem bereits dann, wenn ein die Schutzgüter objektiv beeinträchtigendes Verhalten festgestellt werden kann, ohne dass es auf das subjektive Merkmal des Beeinträchtigenwollens ankommt. Solche tatsächlichen Anhaltspunkte können sich z. B. aus offiziellen Programmen, Satzungen oder sonstigen Veröffentlichungen, aus Verlautbarungen bzw. Aktivitäten von Funktionären oder Anhängern sowie aus Verbindungen zu bereits als extremistisch erkannten Gruppen oder Einzelpersonen ergeben. Die Anhaltspunkte müssen entsprechend gewichtig sein, um die jeweilige staatliche Reaktion zu rechtfertigen. Die Abstufung der Reaktion auf mögliche verfassungsfeindliche Bestrebungen von der bloßen Beobachtung über die Warnung der Öffentlichkeit durch entsprechende Berichterstattung im Verfassungsschutzbericht bis hin zum Verbot einer Organisation schließt es aus, jeweils das gleiche Gewicht für tatsächliche Anhaltspunkte für solche Bestrebungen zu verlangen. Für die Beobachtung aus offenen Quellen ist von einer relativ niedrigen Eingriffsschwelle auszugehen. Es genügt, wenn Umstände gegeben sind, die bei vernünftiger Betrachtungsweise auf solche Bestrebungen hindeuteten und daher eine weitere Abklärung erforderlich erscheint.
89Im Einzelnen: VG Ansbach, Urteil vom 25.04.2019 – AN 16 K 17.01038 –, juris, Rn. 30, sowie VG München, Beschlüsse vom 11.05.2020 – M 7 S. 20.87 –, juris, Rn. 28, sowie vom 27.07.2017 – M 22 E 17.1861 –, juris Rn. 60 ff., jeweils unter Hinweis auf BVerfG, Urteil vom 14.07.1999 – 1 BvR 2226/94 –, BVerfGE 100, 313, 395; BVerwG, Urteile vom 17.10.1990 – 1 C 12.88 –, BVerwGE 87, 28; und vom 21.07.2010 – 6 C 22.09 –, juris.
90Nach diesen Maßstäben liegen tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungsfeindliche Bestrebung des Flügels vor. Beim Flügel bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass seine zentrale politische Vorstellung der Erhalt des deutschen Volkes in seinem ethnischen Bestand ist und ethnisch „Fremde“ nach Möglichkeit ausgeschlossen bleiben sollen. Diese mit dem Volksbegriff des Grundgesetzes unvereinbare Auffassung des Flügels ergibt sich aus den Verlautbarungen des Flügels selbst und seiner Repräsentanten. Dies zeigt sich insbesondere durch die Verwendung bestimmter – in rechtsextremen Kreisen gängiger – Begrifflichkeiten. Hierzu zählen Begriffe wie der der „Umvolkung“ und des „(Großen) Austauschs“. Von den Vertretern des Flügels wird auch der Terminus des „Volkstodes“ gebraucht. Dieser Vorwurf, wonach die Regierenden und „die Ausländer“ den „Tod des deutschen Volkes“ herbeiführen, beruht auf der Vorstellung einer ethnisch homogenen „Volksgemeinschaft“ und ist der Ideologie des Nationalsozialismus entnommen. Das Schlagwort wurde vom Nationalsozialismus aufgegriffen und in die Propaganda übernommen. Dahinter verbirgt sich eine rassistische Weltanschauung, die Menschen nichtdeutscher Herkunft als Bedrohung für das eigene Volk betrachtet. Das gilt ebenso für den Vorwurf eines „Völkermordes“ am deutschen Volk durch Vermischung mit anderen Ethnien, der auf der pauschalen Darstellung von Ausländern als tödlicher Gefahr für das kollektive Überleben des deutschen Volkes beruht.
91Vgl. VG Köln, Urteile vom 08.03.2022 – 13 K 207/20 –, juris, Rn. 219 ff., sowie – 13 K 326/16 –, juris, Rn. 546 f. m.w.N.
92Diese Vokabeln finden sich von Vertretern des Flügels wiederholt und über einen langen Zeitraum und in offenkundiger Kenntnis des damit verbundenen Verständnisses und Kontexts. Unter Wiedergabe einer Vielzahl von Zitaten und Äußerungen von führenden Repräsentanten des Flügels führte die 13. Kammer des Gerichts insoweit bereits aus:
93„Am 14. Oktober 2016 stellte der Flügel auf seine Homepage einen Beitrag des Kolumnisten Herbert Gassen:
94‚Die Kanzlerin hat mit ihrem Umfeld das Endspiel Deutschlands eingeläutet. Sie startete mit ihrem Willkommensgruß an Millionen fremder Menschen die Umvolkung der Bundesrepublik […] Das demokratische System der Bundesrepublik Deutschland ist von dieser politischen Kaste ad absurdum geführt worden. Deswegen sollten wir den heutigen Tag trotz aller Bedenken noch einmal fröhlich feiern. Genießen wir den Untergang, denn das Ende wird furchtbar. Alles unter Deutschland in Gemeinschaft mit den Völkern Europas und der Welt.‘
95Der Flügel veröffentlichte überdies am 9. März 2018 auf seiner Facebook-Seite einen Beitrag unter dem Titel ‚Merkel und der Volkstod‘. Der Kanzlerin wurde dort vorgeworfen, sie unterstütze die ‚endgültige Auflösung der deutschen Identität‘.
96Björn Höcke, Mitbegründer des Flügels, spricht an einigen Stellen von der ‚Auflösung‘ Deutschlands, dem ‚Volkstod‘ und dem ‚Verschwinden‘ und ‚Austausch‘ des deutschen Volkes.
97‚Es kann kein Zweifel sein, die Altparteien, die lösen unser Deutschland auf, ob sie das willentlich machen oder weil sie einfach zu blöd sind, um Politik zu betreiben. Sie lösen unser Deutschland auf wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl‘.
98‚Ich sage es in aller Deutlichkeit: Diese Regierung ist keine Regierung mehr, diese Regierung ist zu einem Regime mutiert! […] Diese alten Kräfte, die ich gerade genannt habe, sie lösen unser liebes deutsches Vaterland auf wie ein Stück Seife unter einem lauwarmen Wasserstrahl. Aber wir, liebe Freunde, wir Patrioten werden diesen Wasserstrahl jetzt zu drehen, wir werden uns unser Deutschland Stück für Stück zurückholen!‘.
99‚Diese auf Verantwortungsethik beruhende Einsicht existiert leider bei den Altparteienvertretern im Altparteienkartell nicht, dort will man, dass die Deutschen verschwinden, sie und ihre Kultur, denn das kann nicht anders erkannt werden.‘
100‚Wir stehen vor einem Kultur- und Zivilisationsbruch historischen Ausmaßes, liebe Freunde, und es ist ein Faktum und es ist ein trauriger Befund. Deutschland, liebe Freunde, unser Deutschland, das wir lieben und das wir verteidigen wollen und das wir unseren Kindern als Erben hinterlassen wollen, dieses Deutschland verflüchtigt sich jeden Tag ein wenig mehr.‘
101‚[…] die jubeln regelrecht über unseren bevorstehenden Volkstod durch den Bevölkerungsaustausch. Die Flüchtlinge sind ihnen nur Mittel zum Zweck, damit das verhasste eigene Volk endlich von der Weltbühne verschwindet.‘
102Andreas Kalbitz, bis Mai 2020 brandenburgischer Landesvorsitzender der AfD und Beisitzer im Bundesvorstand der AfD, war neben Höcke einer der führenden Köpfe des Flügels und Erstunterzeichner der Erfurter Resolution. Auch Kalbitz hat zum Teil die o.g. Begriffe in eindeutigem Kontext verwendet:
103‚Was ist aus unserem Land geworden, wenn die pseudochristliche, linksfaschistische Deutschlandhasserin Margot Käßmann [Buhrufe] alle Ethnodeutschen, also alle Menschen, deren familiäre und traditionelle Wurzeln in unserem Land liegen, man könnte auch sagen die indigene Bevölkerung, das seid Ihr, wenn diese Menschen pauschal als Nazis beschimpft werden. Wir sind nicht bereit, dabei zuzusehen, wie sich unser Land auflöst. Es löst sich auf in den Köpfen und Seelen unserer Menschen, die durch die Multikultipropaganda der Deutschlandhasser bis hin zu Selbstvernichtung verblendet und verbündet sind.‘
104Dr. Hans-Thomas Tillschneider, ebenfalls Erstunterzeichner der Erfurter Resolution und Vertreter des Flügels, verwendete im streitgegenständlichen Zeitraum die genannten Begriffe ebenfalls:
105‚Gemeinsam gegen die Umvolkung! ‚Umvolkung‘ ist kein ‚Nazi-Sprech‘, sondern ein treffender und sachangemessener Begriff für das, was gerade in unserem Land geschieht.‘
106‚Wenn wir wollen, dass Deutschland Deutsch bleibt, wenn wir nicht wollen, dass unser Volk und unsere Kultur sich auflösen wie Brausetabletten im Wasserglas, müssen wir uns für diesen Willen nicht rechtfertigen, denn [er] ist das natürlichste der Welt.‘
107Dr. Christina Braun, eine weitere Erstunterzeichnerin der Erfurter Resolution, erhob am 12. Mai 2016 den ‚Volkstod‘-Vorwurf im Zusammenhang mit der Wahl der türkisch-stämmigen muslimischen Politikerin Aras zur Landtagspräsidentin in Baden-Württemberg:
108‚Ich stehe weiterhin zu dem Begriff des schleichenden Genozids an der deutschen Bevölkerung durch die falsche Flüchtlingspolitik der Grünen. Der Genozid bezeichnet nach einer UN-Resolution die Absicht, eine nationale, ethnische, religiöse Gruppe teilweise oder ganz zu zerstören. Und diese Absicht unterstelle ich den Grünen.‘
109Jörg Urban, Vorsitzender des sächsischen Landesverbandes der AfD, vom Flügel als ‚unser Spitzenkandidat für Sachsen‘ bezeichnet, sprach ebenfalls in einem Facebook-Beitrag vom 29. April 2018 von der Auflösung Deutschlands:
110‚Wie ihrem Vortänzer Joschka Fischer geht es den Grünen um die Auflösung Deutschlands. Unsere Kultur und unsere Lebensweise sollen verwässert und aufgelöst werden.‘
111Prof. Dr. Ralph Weber, führender Repräsentant des Flügels in Mecklenburg-Vorpommern, verwendete den Begriff des „Großen Austauschs“:
112‚Dies bedeutet […] eine ebenso deutliche Absage an alle Versuche, unser Volk durch Überfremdung mittels Zuwanderung auszutauschen. […] Denn dann findet dieser ‚Große Austausch‘ nicht statt.‘
113In der ursprünglichen Fassung des Beitrages verwendete Weber die nationalsozialistische Arier-Definition und die Kampfparole der NPD ‚Deutschland den Deutschen‘:
114‚Wir ‚Biodeutsche‘ mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern müssen hierfür sorgen. […] Und wir wissen, […] dass aus der von uns hervorgerufenen Welle eine mächtige Flut werden wird, wie all diese linksgrünen Ideologen, die nichts anderes im Sinne haben als Deutschland als Nation und die Deutschen als Volk endgültig auszulöschen, hinwegfegen und unseren Zielen zum Sieg verhelfen wird. Dafür arbeiten wir, dafür kämpfen wir, dafür führen wir unseren Wahlkampf. Deutschland den Deutschen und alles für unser geliebtes Deutschland.‘
115Diese Äußerungen führten zu einer Rüge Webers durch die AfD, nicht jedoch durch den Flügel. Weber selbst hat nach öffentlicher Kritik die betreffenden Passagen aus dem Facebook-Beitrag gestrichen.
116Die Parole ‚Deutschland den Deutschen‘ verwendete auch Benjamin Nolte am 22. Juni 2017.
117Thorsten Weiß, Koordinator des Flügels in Berlin, griff ebenfalls den ‚Volkstod‘-Vorwurf auf:
118‚2050 soll es kein erkennbares deutsches Volk mehr geben. Regierung plant den Volkstod!‘.
119Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen ergeben sich darüber hinaus insbesondere aus Äußerungen von Björn Höcke, der Mitbegründer des Flügels und Fraktionsvorsitzender und (einer der) Sprecher des thüringischen Landesverbandes der AfD ist. […]
120Aus zahlreichen Äußerungen Höckes folgen Anhaltspunkte für ein völkisch-abstammungsmäßiges Volksverständnis.
121In dem Gesprächsband ‚Nie zweimal in denselben Fluss‘ aus dem Juni 2018 führt Höcke die USA als abschreckendes Beispiel einer misslungenen Politik an. Dort hätten sich die ‚Weißen‘ und die ‚Schwarzen‘ vor ihrer Amerikanisierung aus mehreren hochdifferenzierten Völkern mit eigenen Identitäten zusammengesetzt. Jetzt seien sie in einer Masse aufgegangen. Für Höcke stellt dies einen ‚Abstieg‘ dar, der durch Bewahrung der Völker vermieden werden solle. Dies kann bei verständiger Würdigung nur so verstanden werden, dass Menschen allein bezogen auf ihre Ethnie betrachtet werden, sie also nicht die Möglichkeit erhalten sollen, Teil eines (Staats-)Volkes mit eigener Kultur und Identität zu werden.
122‚Es gibt wohl keinen Artikel oder Bericht über mich, in dem nicht zwei bis dreimal das Attribut ‚völkisch‘ auftaucht, meist mit der Verbindung ‚rassistisch‘. Schon diese Wortkombination ist Unfug, denn Völker sind keine Rassen, sondern bestenfalls Legierungen selbiger. Wer den Völkern an den Kragen will, fördert im Grunde den ‚Rassismus‘, denn er verzwergt den Menschen auf sein biologisches Sein. Wir sehen das in den USA: Die ‚Weißen‘ und die ‚Schwarzen‘ setzten sich vor ihrer Amerikanisierung aus mehreren hochdifferenzierten Völkern mit eigenen Identitäten zusammen. Jetzt sind sie in einer Masse aufgegangen. Diesen Abstieg sollten wir vermeiden und die Völker bewahren. [...] Unabhängig davon halte ich die Bezeichnung ‚volksverbunden‘ oder ‚volksfreundlich‘ für besser.‘
123Nach der Vorstellung Höckes ist die Vermischung verschiedener Völker ein ‚Abstieg‘, den es zu vermeiden gelte. Seine Vorstellung geht folglich dahin, das deutsche Volk in seiner ‚Reinheit‘ zu erhalten, wie es auch an anderer Stelle im Gesprächsband deutlich zum Tragen kommt.
124‚Völker und Kulturen sind in den Augen der Globalisten wertlos und als mögliche mächtige Gegenspieler lästige Störenfriede ihrer bizarren Agenda. Das farbenprächtige Pluriversum ethnischkultureller Eigenständigkeiten mit Heimatrecht und Ansiedlungsmonopolen soll abgelöst werden durch eine neuartige Kosmospolis muiltitribaler Gesellschaften mit internationaler Niederlassungsfreiheit. Dieser Prozeß ist schon seit vielen Jahren im Gange, angetrieben von einem antinationalen Netzwerk aus privaten Stiftungen, NGOs und supranationalen Institutionen wie der EU. Das läuft auf eine Art globale Freihandelszone mit entorteten und zersplitterten Menschengruppen hinaus, die dann umso leichter beherrschbar sind.‘
125Höcke schlägt als letzten Ausweg, wenn die Erhaltung eines nach seinen Vorstellungen ethnisch homogenen deutschen Volkes nicht gelingen sollte, den Rückzug autochthoner Deutscher in ‚ländliche Refugien‘ vor, um dort als neue Keimzelle des deutschen Volkes zu überdauern, bis eine ‚Rückeroberung‘ des Landes möglich sei:
126‚Dann haben wir immer noch die strategische Option der ‚gallischen Dörfer‘. Wenn alle Stricke reißen, ziehen wir uns wie einst die tapferfröhlichen Gallier in unsere ländlichen Refugien zurück und die neuen Römer, die in den verwahrlosten Städten residieren, können sich an den teutonischen Asterixen und Obelixen die Zähne ausbeißen! Die Re-Tribalisierung im Zuge des multikulturellen Umbaus wird aber so zu einer Auffangstellung und neuen Keimzelle des Volkes werden. Und eines Tages kann aus dieser Auffangstellung einer Ausfallstellung werden, von der eine Rückrückeroberung ihren Ausgang nimmt.‘
127Volksteile, die nicht im beschriebenen Sinne ethnisch rein geblieben seien, weil sie sich als zu schwach oder unwillens gezeigt hätten, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen, sind für ihn ‚verloren‘.
128‚Hierin liegt auch meine grundsätzliche Zuversicht und Gelassenheit, die über alle Schreckensszenarien hinausreichen. Ich bin sicher, daß – egal wie schlimm die Verhältnisse sich auch entwickeln mögen – am Ende noch genug Angehörige unseres Volkes vorhanden sein werden, mit denen wir ein neues Kapitel unserer Geschichte aufschlagen können. Auch wenn wir leider ein paar Volksteile verlieren werden, die zu schwach oder nicht willens sind, sich der fortschreitenden Afrikanisierung, Orientalisierung und Islamisierung zu widersetzen. Aber abgesehen von diesem möglichen Aderlaß haben wir Deutschen in der Geschichte nach dramatischen Niedergängen eine außergewöhnliche Renovationskraft gezeigt. Denken sie an den 30-jährigen Krieg oder den Zusammenbruch 1945. Ob wir es noch einmal schaffen werden, ist nicht sicher, aber es gibt berechtigte Hoffnung auf eine Erneuerung.‘
129Damit bringt Höcke ersichtlich zum Ausdruck, dass er afrikanische, (nah-)östliche oder muslimische Zuwanderer ungeachtet ihrer Staatsangehörigkeit nicht als Deutsche ansieht, und auch nur die nicht ‚afrikanisierten, orientalisierten und islamisierten‘ Volksteile als wirkliche Angehörige des deutschen Volkes begreift.
130In seiner Kyffhäuserrede 2018 plädierte er für eine Aufklärungskampagne im „arabischafrikanischen“ Raum, um dort jungen Männern unmissverständlich die Botschaft zu vermitteln:
131‚No way! Selbst wenn wir es wollten, es kann und wird für euch keine Heimat in Deutschland und Europa geben können!‘
132Darin kommt ein grundsätzlicher, naturgegebener Ausschluss, Menschen aus dem ‚arabischafrikanischen‘ Raum aufzunehmen, zum Ausdruck.
133Die von Höcke im Verfahren vorgetragene ‚Klarstellung‘ ändert hieran nichts. Dass Höcke damit gemeint haben will, dass ein dauerhafter Aufenthalt in Deutschland an die Integration in die deutsche und europäische Kultur gekoppelt sein sollte, verkehrt den Aussagegehalt ins Gegenteil. Dort ist gerade von einer ausnahmslosen Ablehnung des Aufenthalts die Rede.
134Höcke sieht die von ihm ersehnte ‚neue politische Führung‘ ausschließlich den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und demnach nicht den deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund.
135‚Vor allem eine neue politische Führung wird dann schwere moralische Spannungen auszuhalten haben: Sie ist den Interessen der autochthonen Bevölkerung verpflichtet und muss aller Voraussicht nach Maßnahmen ergreifen, die ihrem eigentlichen moralischen Empfinden zuwiderlaufen.‘
136Höcke lehnt auch die Möglichkeit der Integration ab. Er fordert vielmehr eine Assimilation oder ‚Akkulturation‘.
137‚Also, eine dauerhafte Integration oder besser Assimilation – wir sollten auch von Assimilation, nicht von Integration sprechen, denn der Integrationsbegriff, den wir aus der Mathematik kennen, bedeutet eben, dass durch den Integrationsprozess von zwei Größen etwas Neues entsteht. Die Deutschen sind aber niemals gefragt worden, ob sie sich im eigenen Lande integrieren wollen. Deswegen favorisiere ich – und das sollten Sie auch tun – den Assimilationsbegriff.‘
138‚Denn Integrieren bedeutet ein gegenseitiges Verändern und ich will mich überhaupt gar nicht verändern. Diese Menschen, die Deutschen werden wollen, von denen verlangen wir nicht, dass sie sich integrieren, natürlich verlangen wir von diesen Menschen, dass sie sich hier assimilieren.‘
139‚Ich kann Integration nicht mehr hören, liebe Freunde. Wir können Integration nicht mehr hören. Wir wollen keine Integration. Wir wollen uns nicht im eigenen Land an fremde Kulturen anpassen. Wir wollen mit denen zusammenleben, mit denen wir bisher auch schon gelebt haben. Und zwar jetzt und in Zukunft, liebe Freunde.‘
140Hier wird erkennbar, dass es Höcke nicht um den Erhalt der deutschen Kultur geht, sondern um einen kategorischen Ausschluss von Zuwanderung. Soweit Zuwanderung überhaupt akzeptiert wird, reiche eine Integration nicht aus, sondern soll eine vollständige Assimilierung erforderlich sein.
141Die Forderung der Assimilation steht der Zielsetzung des ethnischen Erhalts des deutschen Volkes nicht entgegen. Denn wie die Beklagte zutreffend darlegt, ist in den Augen des Flügels Vergleichsmaßstab für die geforderte Assimilation nicht das deutsche Volk als die Gesamtheit der Staatsangehörigen, sondern der autochthone Deutsche. Dieser Begriff meint im völkerkundlichen Sinne eingeboren, einheimisch oder indigen. Indigen meint die erste, ursprüngliche Bevölkerung eines Gebiets betreffend oder diesem zugehörig, sodass ihrerseits eingewanderte oder einen Migrationshintergrund aufweisende deutsche Staatsangehörige in der Vorstellung des Flügels keine adäquate Vergleichsgruppe sind. Es existieren nach der Vorstellung des Flügels demnach deutsche Staatsangehörige erster und zweiter Klasse. Idealbild ist der autochthone Deutsche. Mit dem genannten Maßstab werden alle Deutschen ausgegrenzt, die nicht zu den autochthonen Deutschen zählen, da sie eingewandert sind oder einen Migrationshintergrund aufweisen. Diese Klassifizierung ist auch für den Einzelnen unveränderlich, da er auf einem ethnischen – und nicht auf einem kulturellen – Kriterium beruht.
142Darüber hinaus ist die Forderung nach vollständiger Assimilation kaum oder jedenfalls nur bei einer vollständigen Aufgabe der kulturellen Wurzeln denkbar.
143Auch Aussagen anderer Flügel-Repräsentanten enthalten – neben der oben zitierten Verwendung überkommener Kampfbegriffe – Anhaltspunkte für ein völkisch-abstammungsmäßiges Vorstellungsbild.
144Ein völkisches Verständnis kommt etwa in der Kyffhäuserrede Tillschneiders im Jahr 2018 zum Ausdruck:
145‚Liebe Kameraden, als wir zusammensaßen, um das heutige Flügeltreffen vorzubereiten, kam die Idee auf, man müsse für die Fußballfans unter uns eine Leinwand besorgen. Ich hatte dafür kein Verständnis und war strikt dagegen. Wer unter uns will sich denn dieses Mannschaft-gewordene Elend der Merkel-Republik anschauen? [...] Eine Mannschaft, zu der Türken mit deutschem Pass gehören, die Erdogan huldigen, die nach Mekka pilgerten und die sich weigern, auch nur die dritte Strophe unserer Nationalhymne zu singen – von der ersten rede ich gar nicht – eine solche Mannschaft, liebe Freunde, ist keine Nationalmannschaft, sondern ein gescheitertes Integrationsprojekt.
146Und deshalb... und deshalb sage ich ganz ehrlich: Ich habe mehr Respekt vor der russischen Nationalmannschaft, die noch eine echte Nationalmannschaft ist. Mehr Respekt als vor dieser bunt zusammengewürfelten Söldnertruppe der Deutschland-AG.
147[...] Es ist mittlerweile so weit gekommen, dass auch der Fußball zu einem abgehobenen Stelldichein internationaler Vagabunden verkommen ist.‘
148Er schloss sich zudem in einem Facebook-Eintrag vom 21. September 2018 ausdrücklich dem ethnokulturellen Konzept der ‚Identitären Bewegung Deutschlands‘ an und bekundete, die AfD setze sich dafür ein, das deutsche Volk als ‚ethnokulturelle Einheit‘ zu erhalten.
149‚Immer wieder taucht in Erklärungen der Verfassungsschutzämter zur Identitären Bewegung der Begriff ‚Ethnopluralismus‘ auf. ‚Ethnopluralismus‘ bezeichnet den Umstand, daß die Menschheit in Völker gegliedert ist, und verbindet damit die Wertung, daß diese Völker mit ihrer je eigenen Kultur erhaltenswert sind – eine in höchsten Maß vernünftige, wirklichkeitsbezogene Ansicht. Nichts anderes ist auch das Leitmotiv des AfD-Programms. [...] [W]ir setzen wir uns auf allen Gebieten dafür ein, die ethnokulturelle Einheit, die sich deutsches Volk nennt, zu erhalten.‘
150‚Wenn wir angesichts dieses Szenarios von einer Zusammenarbeit mit der IB vorerst Abstand nehmen, erfüllen wir damit nicht das Kalkül des Verfassungsschutzes, wir durchkreuzen es. ‚Projekthygiene‘ hat Götz Kubitschek es einmal genannt. Wir lösen eine Verbindung, die der IB nichts nützt, uns aber schadet. Trotz einer strukturellen Entflechtung halten wir aber selbstverständlich an allem fest, wofür wir stehen und wofür auch die IB steht.‘
151[…] Dr. Christina Baum forderte in einem Facebook-Beitrag vom 13. Juni 2017, das ‚Wahlrecht nach Abstammung‘ wieder einzuführen:
152‚Wir brauchen wieder das Wahlrecht nach Abstammung, wie es vor 2000 war. Ansonsten werden in Zukunft Özdemirs und Özuguzes die politischen Entscheidungen in Deutschland herbeiführen – aller Voraussicht nach gegen den Willen der ethnischen deutschen Bevölkerung.‘
153Die Forderung nach einer Veränderung des Wahlrechts, das nicht mehr an die Staatsangehörigkeit, sondern die Abstammung anknüpft, wäre aber ersichtlich eine unzulässige Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund.
154Auch Jens Maier äußerte auf einer Veranstaltung der Jungen Alternative am 17. Januar 2017 ein völkisches Verständnis:
155‚Diese ganze Entwicklung, die jetzt gerade stattfindet, die Herstellung von Mischvölkern, um die nationalen Identitäten auszulöschen und damit die Abgabe der Souveränität an die EU – das ist einfach nicht zu ertragen.‘
156Dass die genannten Verlautbarungen und Äußerungen nach den oben genannten Maßstäben dem Flügel zugerechnet werden können, ist […] augenscheinlich.
157Es handelt sich vorliegend ganz überwiegend um Zitate von Erstunterzeichnern der Erfurter Resolution und damit führender Repräsentanten des Flügels. Bei Björn Höcke und Andreas Kalbitz handelt es sich um die führenden Köpfe des Flügels, die beide regelmäßig Reden auf den Kyffhäusertreffen gehalten haben. Dies ergibt sich auch eindrücklich daraus, dass beide in einer gemeinsamen Erklärung die formale Auflösung des Flügels kundgetan haben. Auch die anderen Personen werden zum Teil selbst vom Flügel als deren Spitzenkandidaten bezeichnet oder waren als Landesobleute eingesetzt. Überdies ist eine Distanzierung von Seiten des Flügels in keinem Fall erfolgt.
158[…] Abgesehen davon, dass es einige Anhaltspunkte dafür gibt, dass diese Erklärungen taktisch motiviert sind, ist die politische Forderung nach dem Erhalt der ethnischen Identität des Deutschen Volkes aber ohnehin nicht erst dann verfassungswidrig, wenn sie die rechtliche Ausgrenzung und Diskriminierung deutscher Staatsangehöriger anderer ethnischer Zugehörigkeit bedeutet und mit der Forderung der Ausbürgerung deutscher Staatsangehöriger wegen ihrer ethnischen oder kulturellen Zugehörigkeit verbunden wird.
159Völkisch-abstammungsmäßige und rassistische Kriterien verstoßen auch dann gegen Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 3 Abs. 3 Satz 1 GG, wenn sie nicht absolut gelten und es Ausnahmen geben soll. Entscheidend ist die insgesamt verfolgte, objektiv erkennbare Zielrichtung des Personenzusammenschlusses, wie sie sich in der Zusammenschau der vorgelegten Belege ergibt.
160Aus den oben genannten zahlreichen Belegen geht aber hervor, dass der Flügel – zum Teil unter Verwendung rassistischer und martialischer Rhetorik – den Erhalt der deutschen Ethnie verfolgt und ethnische Kriterien damit den Ausschlag für weitere Einbürgerungen geben sollen. Aus den Verlautbarungen des Flügels ergibt sich zudem, dass sehr hohe bzw. nahezu unerreichbare Hürden für eine Einbürgerung aufgestellt werden und als Maßstab der autochthone Deutsche dient, sodass die Vorstellungen des Flügels primär an ethnische Vorstellungen anknüpfen und das kulturelle Element allenfalls untergeordnete Bedeutung hat.“
161Vgl. ausführlich VG Köln, Urteil vom 08.03.2022 – 13 K 207/20 –, juris, Rn. 233-317 m.w.N.
162Das in den Äußerungen zutage geförderte Volksverständnis widerspricht dem im Grundgesetz zum Ausdruck kommenden Verständnis und ist geeignet, Zugehörige einer anderen Ethnie auszugrenzen und als Menschen zweiter Klasse zu behandeln. Es tritt das Ziel zutage, Migranten – insbesondere Muslime – auszugrenzen und verächtlich zu machen. Es handelt sich bei der Vielzahl der Äußerungen erkennbar nicht (mehr) um bloße Entgleisungen einzelner Funktionsträger, Mitglieder oder Anhänger des Personenzusammenschlusses, die sich von der Linie des Flügels abheben würden. Aus dem Grundtenor der zitierten Aussagen lässt sich ableiten, dass das Volksverständnis und die ausländerfeindliche Agitation Ausdruck eines generellen Bestrebens des Flügels sind.
163Vgl. VG Köln, Urteil vom 08.03.2022 – 13 K 207/20 –, juris, Rn. 401 f.
164Für die Beurteilung der Frage, ob verfassungsfeindliche Bestrebungen im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG vorliegen, kann auch auf die Einschätzung der Verfassungsschutzämter abgestellt werden.
165Vgl. ausdrücklich BT-Drs. 19/15875, S. 36.
166Wie bereits oben dargelegt folgt dies daraus, dass die rechtlichen Voraussetzungen für die Sammlung und Auswertung von Informationen im Rahmen des Beobachtungsauftrages der Verfassungsschutzbehörden weitestgehend identisch mit denen für die Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG sind. Zur Bewertung der Verfassungsschutzberichte bedarf es insbesondere auch keiner Offenlegung deren Quellen. Die Ämter für Verfassungsschutz könnten ihre Aufgabe nicht wirkungsvoll wahrnehmen, wenn ihr Vorgehen weitgehend offenzulegen wäre. Die verwaltungsgerichtliche Überprüfung hat dem sowohl bei der Tatsachenermittlung – etwa in Bezug auf das Beweismaß – als auch beim Nachvollzug der behördlichen Abwägungen Rechnung zu tragen.
167Vgl. BVerwG, Urteil vom 07.12.1999 – 1 C 30.97 –, NVwZ 2000, 4339.
168Im Verfassungsschutzbericht des Bundes aus dem Jahr 2019 heißt es zum Flügel: „Das durch den Flügel propagierte Politikkonzept ist auf Ausgrenzung, Verächtlichmachung und letztlich weitgehende Rechtlosstellung von Migranten, Muslimen und politisch Andersdenkenden gerichtet. […] Das Politikkonzept steht im Widerspruch zur Menschenwürdegarantie sowie zum Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip. Der Flügel sieht die AfD – so der mehrfach geäußerte apodiktische Anspruch – als die ‚letzte evolutionäre Chance für dieses Land‘. Ein ethnisch-homogenes Staatsvolksverständnis bildet den Dreh- und Angelpunkt im politischen Denken des Flügels. […] Nach Auffassung von Flügel-Funktionären ist das Überleben des – biologistisch definierten – Volkes durch die gegenwärtige Regierung bedroht. Wie ein roter Faden durchzieht deren Reden deshalb die Warnung vor einer vermeintlich bevorstehenden ‚Abschaffung‘ und ‚Auflösung‘ Deutschlands. ‚Kulturfremde‘ Migranten gelten durchweg als nicht integrierbar, weswegen ihnen eine Bleibeperspektive konsequent zu verwehren sei. Diese Annahme wird durch pauschal flüchtlings- und muslimfeindliche Äußerungen verstärkt, indem Migration in ihren Auswirkungen als ‚Zivilisationsbruch‘ verunglimpft und bezogen auf ihre finanziellen, ökonomischen und sozialen Folgen für die einheimische Bevölkerung mit einem Krieg gleichgesetzt wird. Darüber hinaus ist die Haltung des Flügels zum ‚Dritten Reich‘ von einem geschichtsrevisionistischen, die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen relativierenden beziehungsweise ausblendenden Ansatz geprägt. Ziel dabei ist es, mittels einer ‚erinnerungspolitischen Wende um 180 Grad‘ ein unbelastetes und vermeintlich identitätsstiftendes Geschichtsbild zu vermitteln. Damit leistet der Flügel dem sekundären Antisemitismus Vorschub, denn dessen geschichtsrevisionistische Positionen implizieren den Vorwurf, dass die Erinnerung an den vom NS-Regime verübten Genozid an der jüdischen Bevölkerung deutschen Interessen schadet. Auch vermeintlich globalisierungskritische Äußerungen von Akteuren des Flügels enthalten in moderner Ausprägung einen antisemitischen Kern. So werden komplexe gesellschaftliche Umbrüche unter Rekurs auf antisemitische Chiffren verschwörungstheoretisch auf das verdeckte Handeln finanzkapitalistischer Eliten zurückgeführt.“
169Vgl. Verfassungsschutzbericht des Bundes, 2019, S. 84 ff.
170Zusammenfassend lässt sich somit im Wege der Gesamtschau feststellen, dass sich im maßgeblichen Zeitpunkt hinreichend gewichtige Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen des Flügels insbesondere aus der fachlichen Einschätzung des Bundesverfassungsschutzamtes sowie aus den Verlautbarungen des Flügels und der Erstunterzeichner der „Erfurter Resolution“ und damit der führenden Repräsentanten des Flügels entnehmen lassen.
171Der Kläger war im Sinne des § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) WaffG auch Mitglied des Flügels.
172Nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) WaffG in der Fassung vom 20.02.2020 begründet bereits die bloße Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit. Anders als nach der Vorgängerregelung bedarf es nach der aktuellen Gesetzeslage über die Mitgliedschaft hinaus keiner nachweislichen Erkenntnisse mehr über eine darüberhinausgehende individuelle verfassungsfeindliche Betätigung der Betroffenen. Ein aktiver Förderungsbeitrag in der Vereinigung ist nicht mehr nötig; es genügt bereits die (passive) Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung, da sie eine persönliche Bindung und Identifizierung des Mitglieds mit der Vereinigung ausdrückt.
173Vgl. Papsthart, in: Steindorf, Waffenrecht, 11. Aufl. 2022, Rn. 54; Heller/Soschinka/Rabe, in: dieselben, Waffenrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 770a; Gade, in: derselbe, Waffengesetz, 3. Aufl. 2022, Rn. 29a ff.; Pießkalla, NJOZ 2020, 993 (994).
174Dies ist auch sachgerecht, weil die Mitgliedschaft in einer solchen Vereinigung typischerweise einschließt, dass diese Person nachhaltig die verfassungsfeindlichen Ziele der Vereinigung teilt, also die Ablehnung der Grundsätze der Verfassungsordnung zum Ausdruck bringt. Die mitgliedschaftliche Einbindung in die Vereinigung ist dazu sogar eher gewichtiger aussagekräftig als eine bloße Unterstützung von außen und daher zumindest ebenso geeignet, Zweifel daran zu begründen, dass eine Person mit Waffen verantwortungsvoll umgeht.
175Vgl. BT-Drs. 19/15875, S. 36.
176Diese Verschärfung des Waffenrechts ist getragen von dem gesetzgeberischen Willen, extremistische Umtriebe frühzeitig zu erkennen und entsprechende Verfahren einzuleiten. Der Mord an Walter Lübcke zeigt, dass Personen mit extremistischer Gesinnung nicht erst dann einer waffenrechtlichen Überprüfung unterzogen werden dürfen, wenn sie ihre Gesinnung umsetzen, sondern schon wegen dieser Gesinnung selbst. Das gilt in besonderem Maße für den Bereich des Rechtsextremismus. Menschenverachtung, ein hohes Aggressionspotential und die Ablehnung des demokratischen Rechtsstaates und seiner Repräsentanten sind definitorische Merkmale des Rechtsextremismus. Rechtsextremistisches Gedankengut ist bereits als solches gefährlich und muss deswegen zu einer Infragestellung der Zuverlässigkeit eines Erlaubnisträgers führen.
177Vgl. BT-Drs. 19/30234, S. 5.
178Dabei leitet sich der Begriff der Mitgliedschaft im waffenrechtlichen Sinne nicht von einer zivilrechtlichen Mitgliedschaft im Sinne des § 38 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ab, zumal viele verfassungsfeindliche Vereinigungen nicht als juristische Person (insbesondere als eingetragener Verein, „e.V.“) oder als nichteingetragener Verein konstituiert sind bzw. sein werden. Es genügt vielmehr ein Bekenntnis der Zugehörigkeit und eine Zweckförderung durch aktives Sich-Einbringen oder Zuwendung von Geldmitteln vergleichbar einer aktiven oder fördernden Mitgliedschaft.
179Vgl. Papsthart, in: Steindorf, Waffenrecht, 11. Aufl. 2022, Rn. 54.
180Gemessen an diesen Maßstäben war der Kläger im hier maßgeblichen Zeitpunkt Mitglied des Flügels. Indem der Kläger jedenfalls – unstrittig – die „Erfurter Resolution“ – mit der Unterüberschrift „derfluegel.de“ – unterzeichnete, bekannte er sich zum Flügel über die Zeit seiner Gründung hinaus nach außen hin erkennbar als zugehörig. Die Unterzeichnenden wollten die AfD als „Bewegung unseres Volkes“ gegen „Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit usf.“ verstanden wissen. Sie sahen in der AfD eine „Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“. Jedes AfD-Mitglied, „das diese Resolution unterstützt“, wurde zur Unterschrift aufgefordert. Ziel war „die Sammlung aller auf eine echte Alternative zu den bestehenden Parteien ausgerichteten Kräfte innerhalb der AfD.“ Hierzu wurden Mitglieder der AfD aufgefordert, ihre Zustimmung zur Resolution unter anderem per Post an Björn Höcke, Landessprecher AfD Thüringen, M. straße 00, 00000 N. , oder per Mail an: „Bezugsquelle wurde entfernt“ zu versenden. Dem Unterschriftsfeld wurde vorangestellt: „Hiermit unterzeichne ich die Erfurter Resolution der AfD, deren Geist und Wortlaut ich zustimme.“ Auf seiner – mittlerweile gelöschten – Homepage veröffentlichte der Flügel Unterzeichnerlisten der einzelnen Bundesländer. Für das Land Nordrhein-Westfalen wurde neben 58 weiteren Unterzeichnern auch der Kläger öffentlich angeführt.
181Dabei kann dahinstehen, aus welchen Motiven der Kläger die „Erfurter Resolution“ unterzeichnete. Mit der Erweiterung der Vorschrift auf die bloße Mitgliedschaft genügt die mitgliedschaftliche Einbindung in eine verfassungsfeindliche Vereinigung als hinreichender Beleg dafür, dass das Mitglied seinerseits die verfassungsfeindlichen Ziele der Vereinigung teilt. Auf eine individuelle verfassungsfeindliche Bestrebung des Einzelnen kommt es im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) WaffG – im Gegensatz zu § 5 Abs. 2 Nr. 3 a) WaffG – nicht (mehr) an. Mit dieser Rechtsänderung hat der Gesetzgeber bewusst eine Reflexwirkung in Kauf genommen, wonach aus der bloßen passiven Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung unmittelbar die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit folgen soll, ohne dass es für die individuelle Zurechenbarkeit auf subjektive Elemente ankäme. Es soll ausreichend sein, dass Tatsachen die entsprechende Annahme rechtfertigen, d.h. schon der tatsachengegründete Verdacht ist versagungsbegründend (sog. „risikovermeidender Ansatz“).
182Vgl. BT-Drs. 19/15875, S. 36.
183Es sind vorliegend auch keine atypischen Umstände ersichtlich, die geeignet sein könnten, die Regelvermutung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 b) WaffG zu widerlegen. Strafrechtlich und waffenrechtlich beanstandungsfreies Verhalten in der Vergangenheit genügt zur Widerlegung der Vermutung der Unzuverlässigkeit allein nicht.
184Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.06.2019 – 6 C 9.18 –, juris, Rn. 34.
185Aber auch im Rahmen der vom Bundesverwaltungsgericht geforderten Einzelfallentscheidung, ob die Regelvermutung der waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit widerlegt ist, weil der vom Gesetzgeber typisierend vorausgesetzte Zusammenhang zwischen der relevanten Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen und dem Schutzzweck des Waffengesetzes ausnahmsweise fehlt,
186vgl. BVerwG, Urteil vom 19.06.2019 – 6 C 9.18 –, juris, Rn. 34,
187ergeben sich keine Umstände, die zugunsten des Klägers die Regelvermutung widerlegen. Dies wäre nur bei einer unmissverständlichen Distanzierung des Klägers von dem rechtsextremistischen Gedankengut des Flügels der Fall.
188Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.06.2019 – 6 C 9.18 –, juris, Rn. 36.
189Insoweit ist für eine glaubhafte Distanzierung zu verlangen, dass äußerlich feststellbare Umstände vorliegen, die es wahrscheinlich erscheinen lassen, dass der Betroffene seine innere Einstellung verändert hat. Das Erfordernis der Veränderung der inneren Einstellung bedingt es, dass der Betroffene in jedem Fall einräumen muss oder zumindest nicht bestreiten darf, in der Vergangenheit den einschlägigen sicherheitsrechtlichen Tatbestand erfüllt zu haben. Ohne Einsicht des Betroffenen in die Unrichtigkeit des ihm vorgeworfenen Handelns hat die Ankündigung einer Verhaltensänderung keine glaubwürdige Grundlage
190Vgl. VG München, Urteil vom 21.05.2019 – M 7 K 17.2172 –, juris, Rn. 40; VG Greifswald, Urteil vom 27.01.2020 – 6 A 1935/18 –, juris, Rn. 29.
191Eine solche Distanzierung ist weder vom Kläger vorgetragen worden noch kann sie durch das Gericht erkannt werden. Im Gegenteil, der Kläger unterzeichnete – unstrittig – im Oktober 2018 den „Stuttgarter Aufruf“. Der Kammer erscheint es insoweit zwar nicht unplausibel, dass der Kläger mit seiner Unterzeichnung des „Stuttgarter Aufrufs“ in erster Linie ein Zeichen gegen die Einleitung von Ordnungs- und Ausschlussverfahren in der AfD setzen wollte, wie er durch seinen Prozessbevollmächtigten in der mündlichen Verhandlung vortragen ließ. Gleichwohl werden in dem „Stuttgarter Aufruf“ die Forderungen des Flügels aus der „Erfurter Resolution“ im Wesentlichen wiederholt. Auch die Unterzeichner des „Stuttgarter Aufrufs“ verstehen sich als „demokratischer Widerstand unseres Volkes gegen die Gesellschaftsexperimente der letzten Jahrzehnte (Gender Mainstreaming, Multikulturalismus, Erziehungsbeliebigkeit)“. Die AfD wird als Widerstandsbewegung „gegen die weitere Aushöhlung der Souveränität und der Identität Deutschlands“ gesehen. Die Mitglieder der AfD, „die diese Erklärung unterstütz[en]“, werden zur Unterschrift aufgefordert. Ziel ist abermals „die Sammlung aller auf eine echte Alternative zu den bestehenden Parteien ausgerichteten Kräfte innerhalb der AfD“. 9 von 18 Erstunterzeichnern des „Stuttgarter Aufrufs“ unterzeichneten bereits die „Erfurter Resolution“ (Dr. D. C. , T. S. , D1. X. , S1. L. , Dr. C1. H. , U1. B. Q. , U2. H1. , E. N1. , C2. O. , D2. I. ). Von daher teilt die Kammer die Einschätzung des Innenministeriums des Landes Nordrhein-Westfalen, dass die Unterzeichner des „Stuttgarter Aufrufs“ jedenfalls zu weiten Teilen dem Flügel angehören (Bl. 51 des Verwaltungsvorgangs).
192Aus den vorgenannten Gründen sind die Unterzeichnungen der „Erfurter Resolution“ und des „Stuttgarter Aufrufs“ durch den Kläger auch geeignet, eine waffenrechtlich relevante Unterstützung des Flügels als verfassungsfeindliche Vereinigung nach § 5 Abs. 2 Nr. 3 c) WaffG zu begründen.
193Es führen nicht nur solche Aktivitäten zur Regelunzuverlässigkeit gemäß § 5 Abs. 2 Nr. 3 c) WaffG, die die Bereitschaft erkennen lassen, die Waffe zukünftig zum Kampf gegen die verfassungsmäßige Ordnung einzusetzen. Der Regelung liegt die Annahme des Gesetzgebers zugrunde, dass die aktive Unterstützung verfassungsfeindlicher Bestrebungen die – im Einzelfall widerlegbare – Prognose eines waffenrechtlich relevanten Sicherheitsrisikos rechtfertigt, ohne dass darüber hinaus noch ein konkreter Bezug zum Einsatz von Waffen erforderlich ist.
194Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.06.2019 – 6 C 9.18 –, juris, Rn. 28.
195Ob ein Mitglied verfassungswidrige Bestrebungen einer Vereinigung im Sinne von § 5 Abs. 2 Nr. 3 c) WaffG unterstützt (hat), ist danach zu beurteilen, ob die Unterstützung zur bewussten Förderung der Vereinigung in Kenntnis und einer gewissen Billigung ihrer Ziele und Zwecke stattfindet.
196Vgl. Papsthart, in: Steindorf, Waffenrecht, 11. Aufl. 2022, Rn. 54.
197Nicht ausreichend ist lediglich das schlichte Sympathisieren mit einer Vereinigung.
198Vgl. Heller/Soschinka/Rabe, in: dieselben, Waffenrecht, 4. Aufl. 2020, Rn. 771a; Gade, in: derselbe, Waffengesetz, 3. Aufl. 2022, Rn. 29 f.
199Maßgeblich für die Abgrenzung zwischen relevanten Unterstützungshandlungen und lediglich untergeordneten Aktivitäten ist auch nach der Umstrukturierung des § 5 Abs. 2 Nr. 3 WaffG das Kriterium der Außenwirkung der konkreten Betätigung. Dazu zählen jedenfalls konkrete Betätigungen, durch die die Existenz der Vereinigung gesichert wird. Von einer Betätigung in Form des Unterstützens ist somit jedenfalls dann auszugehen, wenn jemand innerhalb der Vereinigung oder für die Vereinigung nach außen erkennbar Funktionen wahrnimmt und dadurch in der Öffentlichkeit zu erkennen gibt, dass er hinter den verfassungsfeindlichen Bestrebungen der Vereinigung steht und diese mit tragen will. Dies ist beispielsweise bei Personen der Fall, die für die Vereinigung bei deren Veranstaltungen Aufgaben wahrnehmen, sei es als Veranstaltungsleiter oder als Redner. Aber auch innerorganisatorische Betätigungen kommen in Betracht, etwa wenn das Mitglied Technik zur Verfügung stellt, sich um die Finanzen kümmert, Plakate oder Flugblätter gestaltet, Werbekampagnen organisiert usw. Bei niederschwelligen Aktivitäten spielt auch die Nachhaltigkeit eine Rolle. Wer beispielsweise nicht nur einmalig, sondern des Öfteren wiederholt an Veranstaltungen der Vereinigung teilnimmt, gibt ebenfalls nach außen zu erkennen, dass er hinter den Zielen der Vereinigung steht. Auch damit unterstützt er die Vereinigung, denn je mehr Mitglieder und sonstige Interessenten an einer Veranstaltung der Vereinigung teilnehmen, desto mehr Gewicht kommt ihr in der Wahrnehmung der Öffentlichkeit im Rahmen der politischen Willensbildung zu.
200Vgl. OVG Sachsen, Urteil vom 16.03.2018 – 3 A 556/17 –, juris, Rn. 52; vgl. zur Stellung in einer Partei BVerwG, Urteil vom 19.06.2019 – 6 C 9.18 – juris, Rn. 29 ff.
201Handelt es sich bei der Vereinigung – wie dem Flügel – um eine Teilorganisation einer Partei, die in erster Linie dazu aufruft, durch Unterzeichnung einer Resolution ihre Forderungen aktiv zu „unterstützen“ (s.o.), liegt folgerichtig ein Unterstützen bereits dann vor, wenn ein Mitglied der Partei dem Aufruf folgt und die Forderungen durch seine Unterschrift – vergleichbar mit der Unterzeichnung einer Petition – unterstützt. Dies wird umso deutlicher, als der Flügel – wie oben dargelegt – zur Unterstützung der „Erfurter Resolution“ bei den Mitgliedern der AfD offen um ihre „Zustimmung“ und „Unterstützung“ warb.
202Darüber hinaus kann dahinstehen, inwieweit die Anordnung in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheids aufgrund Zeitablaufs gegenstandslos geworden ist, denn jedenfalls ist die Anordnung in rechtmäßiger Weise ergangen: Die Aufforderung, die in den Waffenbesitzkarten eingetragenen Waffen bis zum 31.05.2021 unbrauchbar zu machen, zur Vernichtung bei der Kreispolizeibehörde T. abzugeben oder einem Berechtigten zu überlassen und hierüber Nachweis zu führen, beruht auf § 46 Abs. 2 S. 1 WaffG.
203Die Erhebung einer Gebühr in Höhe von insgesamt 205,- Euro (Ziffer 3 des Bescheids) ist nicht zu beanstanden. Gemäß § 50 Abs. 1 WaffG werden für Amtshandlungen nach diesem Gesetz Kosten (Gebühren und Auslagen) erhoben. Nach § 2 Abs. 1 Gebührengesetz für das Land Nordrhein-Westfalen (GebG NRW) bestimmen sich die Gebühren für diese Amtshandlung nach der Allgemeinen Verwaltungsgebührenordnung (AVerwGebO). Bedenken gegen die Richtigkeit der Festsetzung sind nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.
204Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
205Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. den §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung.
206Rechtsmittelbelehrung
207Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
2081. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
215Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
216Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
217Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
218Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
219Beschluss
220Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
2215.955,00 Euro
222festgesetzt.
223Gründe
224Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für den Kläger ist es angemessen, den Streitwert unter Berücksichtigung von Ziffer 50.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der aktuellen Fassung auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Für die Waffenbesitzkarte ist insoweit der Auffangwert in Höhe von 5.000,- Euro (inklusive einer Waffe) zuzüglich 750,- Euro je weitere Waffe anzusetzen. Hinzu kommt die erhobene Verwaltungsgebühr in Höhe von 205,- Euro.
225Rechtsmittelbelehrung
226Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
227Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
228Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) wird hingewiesen.
229Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
230Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.