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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
2Die Klägerin ist Halterin des Fahrzeugs mit dem amtlichen Kennzeichen 00-00 0000.
3Mit diesem Fahrzeug wurde am 25. Dezember 2021 um 2.15 Uhr die zulässige Höchstgeschwindigkeit innerhalb geschlossener Ortschaften um 26 km/h überschritten. Auf dem Beweisfoto war ein junger Mann als Fahrzeugführer zu erkennen.
4Unter dem 5. Januar 2022 wurde die Klägerin hierzu im Rahmen des eingeleiteten Bußgeldverfahrens als Zeugin angehört. Den Anhörungsbogen schickte sie mit der Bemerkung
5„Ich berufe mich auf mein Zeugnisverweigerungsrecht.“
6zurück.
7Unter dem 14. Januar 2022 wiederholte die Bußgeldbehörde gegenüber der Klägerin ihre Bitte um Mitteilung der Personalien des Fahrzeugführers. Sollte sie, die Behörde, innerhalb von zwei Wochen keine entsprechende Nachricht erhalten, werde sie prüfen, ob die Führung eines Fahrtenbuchs auferlegt werden könne. Unter dem 19. Januar 2022 reagierte die Klägerin wie folgt:
8„Wie schon im Zeugenanhörungsbogen aufgeführt beanspruche ich mein Recht auf Zeugnisverweigerung.“
9Mit Schreiben vom 25. März 2022 richtete die Bußgeldbehörde unter Rückgriff auf das bei dem Verkehrsverstoß gefertigte Lichtbild ein Ermittlungsersuchen an den Beklagten, das jedoch nicht zur Identifizierung des Fahrzeugführers führte. Ausweislich des Ermittlungsberichts hatte man dies sowohl bei der Klägerin persönlich als auch in der Nachbarschaft versucht.
10Nach Einstellung des Ordnungswidrigkeitenverfahrens hörte der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 21. April 2022 zur beabsichtigten Auferlegung einer Fahrtenbuchauflage an. Hierauf erklärte die Klägerin, dies halte sie nach einem „ersten Vergehen“ für nicht verhältnismäßig.
11Mit Verfügung vom 8. Juni 2022 verpflichtete der Beklagte die Klägerin, für das auf sie zugelassene Fahrzeug mit dem amtlichen Kennzeichen 00-00 0000 für die Dauer von zwölf Monaten ein Fahrtenbuch zu führen, erstreckte diese Ordnungsverfügung auch auf ein etwaiges Ersatzfahrzeug und ordnete die sofortige Vollziehbarkeit an. Zudem wurde „eine Verwaltungsgebühr in Höhe von 106,24 Euro“ festgesetzt. Zur Begründung der Ordnungsverfügung verwies der Beklagte im Kern auf den nicht aufgeklärten Verkehrsverstoß vom 25. Dezember 2021, die Schwere dieses Verstoßes, das erfolglose Ermittlungsersuchen der Bußgeldstelle und die fehlende Mitwirkung der Klägerin.
12Hiergegen hat die Klägerin am 14. Juni 2022 Klage erhoben und einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (18 L 1084/22) gestellt.
13Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, der Beklagte unterstelle zu Unrecht, dass der zuständigen Bußgeldbehörde eine Feststellung des Fahrzeugführers unmöglich im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO gewesen sei. Die Behörde habe „auf der Hand liegende“ angemessene und zumutbare Ermittlungsmaßnahmen nicht ergriffen, die hier sogar mit absoluter Sicherheit zur Feststellung des Fahrzeugführers geführt hätten. Indem sie, die Klägerin, sich auf ihr Zeugnisverweigerungsrecht berufen habe, habe sie den Kreis der in Betracht kommenden Personen erheblich eingeschränkt; insoweit werde auf die Aufzählung in § 52 Abs. 1 StPO Bezug genommen. Auf dem Beweisfoto sei ein junger Mann von knapp 20 Jahren gut zu erkennen; die Fotografie sei von einer guten Bildqualität. Es habe sich förmlich aufgedrängt, dass es sich dabei um einen ihrer Söhne handele. Entsprechend habe sich die Einholung einer Auskunft beim Melderegister aufgedrängt. Die Bußgeldbehörde hätte nur nach einem im Haushalt mit ihr, der Klägerin, lebenden jungen Mann suchen müssen. Über die bei den Behörden abrufbaren Lichtbilder wäre sodann die Identifizierung des Fahrzeugführers möglich gewesen. Über all dies hinaus leide die angegriffene Ordnungsverfügung an Ermessensfehlern; namentlich sei die Dauer der Fahrtenbuchauflage mit Blick darauf unverhältnismäßig, dass es sich um einen erstmaligen Verstoß handele. Schließlich lasse der Beklagte unberücksichtigt, dass der Verkehrsverstoß in der Nacht vom 24. auf den 25. Dezember und damit zu einer Zeit passiert sei, in der die Straßen regelmäßig „menschenleer“ seien. Eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer erfolge in solchen Fällen regelmäßig nicht.
14Die Klägerin beantragt,
15die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 8. Juni 2022 aufzuheben.
16Der Beklagte beantragt,
17die Klage abzuweisen.
18Zur Begründung führt er an, die Ermittlung des Fahrzeugführers sei sehr wohl unmöglich gewesen. Ein für das negative Ermittlungsergebnis ursächliches Ermittlungsdefizit der Bußgeldbehörde sei angesichts der fehlenden Mitwirkung der Klägerin auszuschließen. Es habe keinerlei Anhaltspunkte gegeben, die über die ergriffenen Maßnahmen hinausgehende Ermittlungen erforderlich gemacht hätten. Ermessensfehler lägen auch nicht vor. Nach der einschlägigen Rechtsprechung sei bereits bei erstmaliger Begehung einer mit einem oder zwei Punkten zu erfassenden Verkehrsordnungswidrigkeit die Anordnung, ein Fahrtenbuch zu führen, erforderlich und angemessen, ohne dass es des Hinzutretens etwa einer unklaren Verkehrslage oder konkreter Gefährdungen bedürfe.
19Mit Beschluss vom 1. August 2022 hat das Gericht den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes (18 L 1084/22) abgelehnt. Im Zuge des sich anschließenden Beschwerdeverfahrens (8 B 957/22) hat der Beklagte die Anordnung der sofortigen Vollziehung auf einen Hinweis des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen hin aufgehoben.
20Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens, des Verfahrens 18 L 1084/22, des Verfahrens 8 B 957/22 sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe
22Die nach § 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Anfechtungsklage hat keinen Erfolg; sie ist unbegründet.
23Die Ordnungsverfügung vom 8. Juni 2022 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
24Dies gilt zunächst mit Blick auf die angeordnete Fahrtenbuchauflage. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO sind erfüllt. Der Beklagte hat zudem das ihm zustehende Ermessen frei von Rechtsfehlern ausgeübt. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird vollumfänglich auf die Ausführungen im Eilbeschluss des Gerichts vom 1. August 2022 im Verfahren 18 L 1084/22 Bezug genommen.
25Hieran hält das Gericht auch unter Berücksichtigung des vom Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen im Verfahren 8 B 957/22 erteilten Hinweises fest. In jenem Verfahren hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt, dass die Bedenken der Klägerin, ob die Ermittlung des verantwortlichen Fahrzeugführers im Sinne von § 31a Abs. 1 Satz 1 StVZO unmöglich gewesen sei, nicht gänzlich unbegründet erschienen. Namentlich komme in Betracht, dass das vorliegende, im Vergleich zu anderen Fällen durchaus als überdurchschnittlich scharf zu bewertende Tatfoto einen Lichtbildabgleich mit den Personalausweisfotos jedenfalls von unter derselben Meldeanschrift wohnhaften Familienangehörigen nahegelegt haben könnte. Die Qualität des Fotos könne dafür sprechen, dass dieses einen konkreten Ermittlungsansatz geboten habe, zumal sich der Kreis der möglichen Verdächtigen vor dem Hintergrund des von der Antragstellerin geltend gemachten Zeugnisverweigerungsrechts auf enge (männliche) Familienangehörige beschränkt habe.
26S. Bl. 10 der Gerichtsakte im Verfahren 8 B 957/22.
27Das erkennende Gericht geht nach wie vor davon aus, den vorliegenden Fall bereits im Eilverfahren in Übereinstimmung mit der dort zitierten höchstrichterlichen und obergerichtlichen Rechtsprechung entschieden zu haben. Aus den zitierten Entscheidungen wird deutlich, dass ein Berufen auf das Zeugnisverweigerungsrecht herkömmlich als fehlende Mitwirkung bei der Aufklärung und gerade nicht als entscheidende Eingrenzung des in Frage kommenden Personenkreises aufgefasst wird. Dies ist zum einen deshalb nachvollziehbar, weil das bloße Berufen auf ein Zeugnisverweigerungsrecht noch keine Aussage darüber trifft, ob es tatsächlich besteht. Zum anderen reicht der Kreis der zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten gemäß § 52 Abs. 1 StPO doch recht weit und entspricht im Ausgangspunkt nicht dem Kreis der normalerweise an einer Adresse gemeldeten Personen. Ergänzend sei zudem angemerkt, dass aus § 31a StVZO nicht geschlossen werden kann, die zuständige Behörde sei verpflichtet, b e s t i m m t e Ermittlungsmethoden anzuwenden (Hervorhebung durch das Bundesverwaltungsgericht). Es gilt vielmehr der – im Eilbeschluss bereits zitierte – allgemeine Grundsatz, dass sie in sachgerechtem und rationellem Einsatz der ihr zur Verfügung stehenden Mittel nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen zu treffen hat, die in gleichliegenden Fällen erfahrungsgemäß zum Erfolg führen.
28Vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Dezember 1993 – 11 B 113.93 – juris Rn. 4; VGH München, Beschluss vom 7. Januar 2019 – 11 CS 18.1373 – juris Rn. 13; VGH Kassel, Urteil vom 28. Juli 2021 – 2 A 1463/20 – juris Rn. 26.
29In diesem Zusammenhang geht das erkennende Gericht im Übrigen davon aus, dass hoch aufgelöste Beweisfotos – das hat auch der Vertreter des Beklagten in der mündlichen Verhandlung bestätigt – keine Ausnahme, sondern den Regelfall darstellen; freilich finden sie in dieser Form selten Eingang in die vorgelegten Verwaltungsvorgänge.
30Im Ergebnis nicht zu beanstanden ist schließlich die Festsetzung der Verwaltungsgebühren, die gemäß § 22 VerwKostG in der bis zum 14. August 2013 geltenden Fassung i.V.m. § 6a Abs. 3 StVG Gegenstand der erhobenen Anfechtungsklage ist.
31Vgl. OVG Münster, Beschluss vom 21. Dezember 2010 – 8 B 1626/10 – juris Rn. 8.
32Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
33Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.
34Rechtsmittelbelehrung
35Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
361. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
43Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
44Beschluss
45Der Wert des Streitgegenstands wird auf
464.906,24 €
47festgesetzt.
48Gründe
49Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für die Klägerin ist es angemessen, den Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG).
50Nach Nr. 46.11 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit waren für jeden Monat, in dem das Fahrtenbuch zu führen ist, 400,00 Euro, bei 12 Monaten also 4.800,00 Euro anzusetzen. Streitwerterhöhend zu berücksichtigen war die ebenfalls angegriffene Verwaltungsgebühr in Höhe von 106,24 Euro (§ 39 Abs. 1 GKG).
51Rechtsmittelbelehrung
52Gegen diesen Beschluss kann Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
53Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
54Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.