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Sachgebiet:Ausländer- und Auslieferungsrecht
Leitsatz:
Die auf Ebene der EU zum Schutz vor den Gesundheitsgefahren der weltweiten Corona-Pandemie beschlossenen vorübergehenden Beschränkungen nicht unbedingt notwendiger Reisen von Drittstaatsangehörigen in die EU stehen der Einreise eines Drittstaatsangehörigen gemäß Art. 6 Abs. 1 Buchst. e Schengener Grenzkodex entgegen. Dies gilt auch dann, wenn eine Infektion mit SARS-CoV-2 durch die Vorlage eines negativen PCR-Testes nahezu ausgeschlossen erscheint.
Verwaltungsgericht Köln, Beschluss vom 23.03.2021, 5 L 519/21
1.
Der Antrag wird abgelehnt.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragstellerin.
2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
3.
Der Tenor des Beschlusses wird den Beteiligten vorab telefonisch mitgeteilt.
Gründe
2Der gestern um 16:28 Uhr bei Gericht eingegangene Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage (Az.: 5 K 1552/21) gegen die Einreiseverweigerung der Antragsgegnerin gemäß § 80 Abs. 5 VwGO anzuordnen,
4hilfsweise,
5die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung gemäß § 123 VwGO zu verpflichten, die Antragstellerin einstweilen nicht (über Frankfurt nach Chicago) zurückzuschieben,
6hat keinen Erfolg.
7Es kann dahinstehen, ob der in der Hauptsache gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage vom 22.03.2021 -, die mangels Durchführung des nach § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO erforderlichen Vorverfahrens unzulässig sein dürfte, gemäß § 122, § 88 VwGO dahingehend auszulegen ist, dass er auf die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des - noch zulässig einlegbaren - Widerspruchs gerichtet ist. Ebenso kann dahinstehen, ob hilfsweise ein Antrag auf Zurückschiebungsschutz statthaft sein könnte.
8Denn in der Sache ist weder ein Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO noch ein Antrag nach § 123 VwGO begründet.
9Nach dem gegenwärtigen Sach- und Streitstand spricht alles dafür, dass die mit dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 21.03.2021 verfügte Einreiseverweigerung rechtmäßig ist und die Antragstellerin daher keinen sicherungsfähigen Anspruch auf Einreise in die Bundesrepublik Deutschland hat.
10Die Antragstellerin ist US-amerikanische Staatsangehörige und im Besitz eines gültigen biometrischen Reisepasses. Sie landete am 21.03.2021, (...) Uhr, mit einem Flug aus Chicago über London am Flughafen Düsseldorf. Die Antragsgegnerin verweigerte ihr nach vorheriger Anhörung am Flughafen Düsseldorf gemäß § 15 AufenthG, Art. 14 der Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 09.03.2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) die Einreise.
11Die Voraussetzungen für eine Verweigerung der Einreise nach Art. 14 Abs. 1 Satz 1 Schengener Grenzkodex liegen vor, da die Antragstellerin nicht die – zwischen den Beteiligten allein streitige – Einreisevoraussetzung des Art. 6 Abs. 1 Buchst. e Schengener Grenzkodex erfüllt.
12Artikel 6 Abs. 1 Schengener Grenzkodex regelt die Einreisevoraussetzungen für einen Drittstaatsangehörigen für einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen. Nach Art. 6 Abs. 1 Buchst. e Schengener Grenzkodex darf der Drittstaatsangehörige keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellen und darf insbesondere nicht in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden sein.
13Bei den in Art. 6 Abs. 1 Buchst. e Schengener Grenzkodex genannten Tatbeständen handelt es sich um europarechtliche Rechtsbegriffe, bei deren Auslegung die Grundsätze und Belange der Europäischen Union zu berücksichtigen sind.
14Gemäß Art. 2 Nr. 21 Schengener Grenzkodex bezeichnet der Ausdruck „Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ eine Krankheit mit epidemischem Potenzial im Sinne der Internationalen Gesundheitsvorschriften der Internationalen Gesundheitsorganisation (WHO) und sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten, sofern gegen diese Krankheiten Maßnahmen zum Schutz der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten getroffen werden.
15Die weltweite pandemische Ausbreitung von SARS-CoV-2 stellt eine „Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ im o.g. Sinne dar. Die WHO hat das Vorliegen einer Pandemie festgestellt. Demnach sind die auf Ebene der Europäischen Union beschlossenen Empfehlungen für Reisebeschränkungen für Drittstaatsangehörige, auch unabhängig vom Vorliegen einer Infektion des Betroffenen, durch Gründe der öffentlichen Gesundheitsvorsorge gerechtfertigt.
16Vgl. mit näherer Begründung VG Berlin, Beschluss vom 23.09.2020 – 6 L 194/20 –, juris Rn. 26 ff.
17Diese Reisebeschränkungen wurden national umgesetzt. Sie gelten auch im Fall der Antragstellerin, selbst wenn diese, was anzunehmen ist, nicht mit SARS CoV II infiziert sein sollte.
18Nicht unbedingt notwendige Reisen in die EU sind vorübergehend beschränkt. Ausnahmen gelten zum einen für bestimmte Drittländer je nach ihrer epidemiologischen Lage und zum anderen für Reisende, die u.a. eine wichtige Funktion ausüben oder deren Reise zwingend notwendig ist.
19Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat, COVID-19: Vorübergehende Beschränkung von nicht unbedingt notwendigen Reisen in die EU, COM(2020) 115 final vom 16.03.2020 sowie Empfehlung (EU) 2020/912 des Rates vom 30.06.2020 zur vorübergehenden Beschränkung nicht unbedingt notwendiger Reisen in die EU und die mögliche Aufhebung dieser Beschränkung in der Fassung der Empfehlung (EU) 2021/132 des Rates vom 02.02.2021 zur Änderung der Empfehlung (EU) 2020/912 des Rates zur vorübergehenden Beschränkung nicht unbedingt notwendiger Reisen in die EU und die mögliche Aufhebung dieser Beschränkung.
20Die Vereinten Staaten wurden nicht in die Liste der Staaten aufgenommen, deren Anwohner von den Reisebeschränkungen freigestellt sind.
21Vgl. Anhang I der o.g. Empfehlung des Rates.
22Der von der Antragstellerin angegebene Reisegrund begründet ebenfalls keine Ausnahme von den Reisebeschränkungen. Soweit sie gegenüber der Antragsgegnerin angegeben hatte, ihren Verlobten besuchen zu wollen, hat sie diesen Reisegrund im gerichtlichen Verfahren nicht weiter verfolgt. Stattdessen stützt sie sich maßgeblich auf den Besuch ihrer an Krebs erkrankten Schwester. Nach Anhang II Ziffer VII der o.g. Empfehlung sollen „Passagiere, die aus zwingenden familiären Gründen reisen“ privilegiert werden. Hierunter können z.B. Reisen im Zusammen mit der Nothilfe für Familienangehörige oder der Bestattung eines Familienangehörigen fallen.
23Vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat, COVID-19: Hinweise zu Personen, die im Hinblick auf die Umsetzung der Empfehlung 2020/912 des Rates vom 30. Juni 2020 von der vorübergehenden Beschränkung nicht unbedingt notwendiger Reisen in die EU ausgenommen sind, COM(2020) 686 final vom 28.10.2020, S. 9.
24Dass die Schwester der Antragstellerin auf deren Lebenshilfe oder Pflege angewiesen wäre, ist weder geltend gemacht noch sonst ersichtlich. Dagegen spricht auch, dass nach den Angaben der Antragstellerin zwei weitere Schwestern sowie eine Nichte in Deutschland leben. Dass die Antragstellerin ihre schwerkranke Schwester besuchen möchte, ist menschlich nachvollziehbar, begründet rechtlich aber ebenfalls keinen zwingenden familiären Grund. Es ist nicht glaubhaft gemacht, dass sich ihre Schwester in der präfinalen Phase der Erkrankung befindet. In der ärztlichen Bescheinigung des Hausarztes der Schwester vom 22.03.2021 heißt es lediglich, dass ein Treffen aufgrund schwerwiegender Vorerkrankungen aus psychosomatischer Sicht befürwortet werde. Die Antragstellerin hat in ihrer Anhörung angegeben, ihre Schwestern das letzte Mal vor neun Jahren gesehen zu haben. Sie wisse nicht, wie lange sie noch leben werde und wolle sie vorher noch einmal sehen. Eigentlich habe sie erst nächste Jahr kommen wollen, ihre andere Schwester habe aber geraten, dieses Jahr zu kommen.
25Etwas anderes folgt schließlich nicht aus dem Umstand, dass die Antragstellerin zwei negative PCR-Tests vom 17.03.2021 und 21. oder 22.03.2021 vorweisen kann. Es liegt damit zwar nahe, dass von ihr derzeit keine individuelle Gesundheitsgefahr ausgeht. Im Vordergrund der Reisebeschränkungen stehen jedoch generalpräventive und nicht spezialpräventive Zwecke. So sollen durch die Reisebeschränkungen nicht nur Einreisen infizierter Personen in den Schengen-Raum verhindert werden, sondern auch die Ausbreitung des Virus von der EU auf andere Länder durch dorthin zurückkehrende Reisende,
26vgl. Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Europäischen Rat und den Rat, COVID-19: Vorübergehende Beschränkung von nicht unbedingt notwendigen Reisen in die EU, COM(2020) 115 final vom 16.03.2020, S. 1.
27Vor diesem Hintergrund begegnet es keinen Bedenken, dass die Europäische Union als „Herrin ihrer Außengrenze“ Empfehlungen zum internationalen Personenverkehr trifft, um die Ausbreitung von SARS-CoV-2 unabhängig vom Vorliegen einer Infektion des Reisenden zu begrenzen. Dieser umfassende Schutz vor den Gesundheitsgefahren der weltweiten Corona-Pandemie kann damit nicht allein durch das Vorliegen negativer Testergebnisse im Einzelfall unterlaufen werden, da die Gesundheitsgefahr nicht allein von den einzelnen Personen, sondern auch von der Tätigkeit des Reisens mit den damit notwendig einhergehenden Kontakten ausgeht.
28Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
29Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 bzw. 2, § 52 Abs. 2 GKG. Bei einem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO wäre der gesetzliche Auffangstreitwert wegen des nur vorläufigen Charakters der Eilentscheidung zu halbieren (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit). Ein Antrag nach § 123 VwGO würde inhaltlich auf eine Vorwegnahme der Hauptsache zielen, sodass der volle für die Hauptsache anzunehmende Streitwert festzusetzen wäre. Dieser wäre mit der Hälfte des Auffangstreitwerts des § 52 Abs. 2 GKG zu bewerten, da die Antragstellerin lediglich um Schutz vor einer Zurückschiebung nachgesucht hat, was mit dem Begehren um Abschiebungsschutz gleichgestellt werden kann.
30Rechtsmittelbelehrung
31Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
32Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
33Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
34Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
35Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
36Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
37Die Beschwerde ist schriftlich, zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
38Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
39Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.