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1.
Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller (23 K 7476/19) gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung vom 24. Oktober 2019 in Gestalt der 1. Nachtragsgenehmigung vom 1. Dezember 2020 zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 7 Wohneinheiten und einer Tiefgarage mit 9 PKW-Stellplätzen auf dem Grundstück Gemarkung XXXXXXXX Flur 0, Flurstück 000 unter der Anschrift XX XXXXXXXXXX 0 in 00000 XXXXXXXX wird angeordnet.Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die Kosten des Verfahrens je zur Hälfte und ihre eigenen außergerichtlichen Kosten jeweils selbst.
2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der Antrag der Antragsteller,
3die aufschiebende Wirkung der Klage vom 20. Dezember 2019 (Az.: 23 K 7476/19) gegen die der Beigeladenen erteilte Baugenehmigung der Stadt XXXXXXXX mit Datum vom 24. Oktober 2019 in Gestalt der 1. Nachtragsgenehmigung vom 1. Dezember 2020 zur Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit sieben Wohneinheiten und einer Tiefgarage mit neun PKW-Stellplätzen auf dem Grundstück Gemarkung XXXXXXXX, Flur 0, Flurstück 000, mit der postalischen Adresse XX XXXXXXXXXX 0, 00000 XXXXXXXX anzuordnen,
4hat Erfolg.
5Das Gericht ordnet gemäß § 80a Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3, § 80 Abs. 5 VwGO die nach § 212a Abs. 1 BauGB entfallende aufschiebende Wirkung der Klage des Nachbarn gegen die Baugenehmigung dann an, wenn dessen Interesse, von der Bauausführung vorerst verschont zu bleiben, schwerer wiegt als das Interesse des Bauherrn, die Baugenehmigung sofort auszunutzen. Diese Entscheidung bestimmt sich nach den Erfolgsaussichten der Klage. Die Klage der Antragsteller wird voraussichtlich Erfolg haben, weil die streitige Baugenehmigung rechtswidrig ist und die Antragsteller in eigenen Rechten verletzt.
6Gegen eine Baugenehmigung kann sich ein Nachbar nur wehren, wenn das genehmigte Vorhaben gegen nachbarschützende Vorschriften des öffentlichen Baurechts verstößt und ein Dispens von diesen Vorschriften nicht erteilt ist bzw. wegen nachbarlicher Belange nicht hätte erteilt werden dürfen. Die verletzten Normen müssen nicht nur die Interessen der Allgemeinheit, sondern zumindest auch Individualinteressen des Nachbarn schützen,
7vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 27. Juni 2019 – 7 B 107/19 –, juris Rn. 5 und vom 9. März 2007 – 10 B 2675/06 – juris Rn 4.
8Nach diesen Maßgaben hat der Antrag Erfolg.
9Die angefochtene Baugenehmigung in Gestalt des 1. Nachtrags ist nach Einschätzung des Gerichts in nachbarrechtsverletzender Weise rechtswidrig. Sie verstößt gegen baurechtliche Regelungen, die (auch) dem Schutz des Nachbarn dienen.
10Genehmigt ist die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 7 Wohneinheiten und einer Tiefgarage mit 9 PKW-Stellplätzen. Die Genehmigung ist unter Befreiung von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. 00 der Antragsgegnerin zu der überbaubaren Grundstücksfläche erteilt. Ferner hat die Antragsgegnerin eine Befreiung hinsichtlich der sich aus der BauNVO (1962) ergebenden Geschossflächenzahl erteilt. Des Weiteren wird eine Abweichung gemäß § 73 BauO NRW erteilt. Schließlich wird mit der Baugenehmigung die Geländehöhe festgesetzt.
11Die Genehmigung setzt zur Hauptstraße „XX XXXXXXXXXX“ hin eine Planungshöhe von 55,58m fest. Dieses Niveau setzt sich bis zu der Nordosten ausgerichteten Terrasse fort. Ausweislich des Lageplans sind im Bereich der Terrasse Geländehöhen von 55,59m und 55,57m (gemittelt 55,58m) festgesetzt. Anschließend verspringt das Gelände zur Kinderspielfläche hin. Dort beträgt die festgesetzte Höhe bei der Stützmauer (Sitzgelegenheit) 54,85m und an der dem Grundstück der Antragsteller zugewandten Seite der Spielfläche 54,81m (gemittelt 54,83m). Von dort aus wird das Gelände zur Grundstücksgrenze der Antragsteller hin abgeböscht. Der Böschungsfuß beginnt in einer Entfernung von 2,70m zur Grundstücksgrenze. An der Grundstücksgrenze liegt die Geländehöhe bei 53,88m.
12Unter der Kinderspielfläche und der Terrasse liegt die Tiefgarage. Deren Decke wird nach der Nachtragsgenehmigung als gefaltete, abgetreppte Konstruktion ausgeführt. Die Tiefgaragenwand endet in einem Abstand von ca. 2,70m vor dem Grundstück der Antragsteller.
13Die genehmigte Geländeanschüttung im rückwärtigen, dem Grundstück der Antragsteller zugewandten Bereich verstößt gegen die bauordnungsrechtliche Abstandflächenvorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 BauO NRW. Danach sind von Anlagen, die höher als 1m über der Geländeoberfläche liegen und die dazu geeignet sind, von Menschen betreten zu werden, Abstandflächen von der Grundstücksgrenze freizuhalten.
14Diesen Anforderungen genügt die Geländeanschüttung im rückwärtigen, dem Grundstück der Antragsteller zugewandten Bereich nicht.
15Ausweislich des Lageplans zur 1. Nachtragsbaugenehmigung liegt die Geländehöhe im Grenzbereich zum Grundstück der Antragsteller an der Stichstraße „XX XXXXXXXXXX“ bei 53,98m. Entlang der gemeinsamen Grundstückgrenze zum Flurstück 0000 (XX XXXXXXXXXX 00) fällt das Gelände in nordwestliche Richtung auf (zumindest) 53,73m ab. Im mittleren Bereich, etwa auf Höhe des westlichen Endes der geplanten Terrasse beläuft sich das Geländeniveau auf 53,88m.
16In der streitgegenständlichen Baugenehmigung in Gestalt der 1. Nachtragsbaugenehmigung ist vorgesehen, dass das Gelände in 2 Stufen angeschüttet wird. Der Böschungsfuß der ersten Anschüttung liegt etwa 2,70m von der Grundstückgrenze entfernt. Auf dem Plateau der ersten Stufe (Kinderspielfläche) ist eine Höhe von gemittelt 54,83m und auf der zweiten Stufe (Terrasse) von gemittelt 55,58m genehmigt.
17Die Höhendifferenz zwischen 53,88m im Grenzbereich und gemittelt 55,58m im Bereich der Terrasse beträgt mehr als einen Meter und ist geeignet von Menschen betreten zu werden. Mithin löst diese Geländeanhebung nach § 6 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BauO NRW eine Abstandfläche aus.
18Bei abgeböschtem Gelände darf der Böschungsfuß nicht innerhalb der Abstandfläche liegen,
19vgl. OVG NRW, Beschluss vom 17. Februar 2011 – 7 B 1803/1009 –, juris Rn. 33 und Beschluss vom 10. Februar 2010 – 7 B 1368/09 –, juris Rn 22 und Beschluss vom 22. Januar 2011 – 7 E 547/99 –, juris Rn. 4.
20Die Kammer folgt nicht der Auffassung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen, wonach die Anschüttung bis zur Kinderspielfläche und die Anschüttung für die Terrasse jeweils eigenständige bauliche Anlagen bilden und demzufolge für die Ermittlung der Abstandflächen jeweils gesondert zu betrachten sind.
21Unter Zugrundelegung dieser Auffassung würde die Anschüttung bis zur Kinderspielfläche von 53,88m bis gemittelt 54,83m knapp unter einem Meter liegen und keine Abstandfläche auslösen. Die weitere Anschüttung bis zur Terrasse läge zwar über einem Meter, sie würde aber die Abstandfläche einhalten.
22Nach der Rechtsprechung des OVG NRW, der die Kammer folgt,
23vgl. OVG NRW, Urteile vom 9. Juni 2011 – 7 A 1494/09 –, juris Rn. 85, vom 30. November 2000 – 7 A 978/96 –, nrwe sowie Beschluss vom 22. Januar 2001 – 7 E 547/99 –, juris - .
24ist eine einheitliche Anschüttung grundsätzlich als eine bauliche Anlage zu betrachten und kann nicht in mehrere, einer unterschiedlichen abstandrechtlichen Bewertung zugängliche Teilanlagen aufgeteilt werden.
25Die Bewertung gestufter Anschüttungen als einheitliche bauliche Anlage ist geboten, denn sonst könnte der Bauherr durch Aufgliederung der Geländeanschüttung in verschiedene Stufen die Abstandflächenvorschriften unterlaufen, indem mit der untersten, grenznahen Stufe unter einem Meter bleibt.
26Zwei gestufte Anschüttungen können nur dann als getrennt zu bewertende bauliche Anlagen angesehen werden, wenn die vorhandene Geländetopographie vor Durchführung der Baumaßnahme dies vorgibt, indem etwa ein Teil der Geländeanhebung die natürliche Geländeoberfläche „aufgreift“. Ein solcher Sachverhalt lag dem vom OVG NRW am 9. Juni 2011 im Verfahren 7 A 1494/09 entschiedenen Fall zugrunde: Dort befand sich der Böschungsfuß der höher gelegen Aufschüttung an der Stelle, an der sie wieder auf die vorhandene natürliche Geländeoberfläche traf.
27Eine vergleichbare Konstellation liegt hier nicht vor: Das Geländeniveau in Höhe der Kinderspielfläche (erste Anschüttung) entsprach zu keinem Zeitpunkt dem nunmehr zur Genehmigung gestellten Niveau von gemittelt 54,83m. So weist die Bauakte zum zuvor auf dem Vorhabengrundstück befindlichen Gebäude hinter dem Gebäude eine Höhe von 53,96m aus. Auch die zugehörige Schnittzeichnung lässt erkennen, dass das Gelände bereits kurz hinter dem Gebäude abfiel.
28Somit gibt es im vorliegenden Fall keinen tragfähigen Anknüpfungspunkt dafür, die genehmigte Geländeveränderung als zwei selbstständige bauliche Anlagen zu bewerten. Namentlich vermag das Gericht nicht dem Vorbringen der Beigeladenen zu folgen, wonach eine „abgetreppte“ Baustruktur auch sonst im Baugebiet (XXXXXstraße) vorkomme. Maßgeblich ist allein, ob eine Abstufung der Anschüttungen auf dem Grundstück selbst angelegt ist, was hier nicht der Fall ist.
29Der aufgezeigte Verstoß gegen die Abstandflächenvorschriften ist auch nachbarrechtsrelevant, da gerade die Abstandflächen dem Schutz der Nachbarn zu dienen bestimmt sind, indem sie die Belange Belichtung, Besonnung und Belüftung sowie ausreichenden Sozialabstand gewährleisten.
30Aufgrund des festgestellten Verstoßes der Baugenehmigung gegen die bauordnungsrechtlichen Abstandflächenvorschriften kommt es auf die weiteren von den Antragsstellern thematisierten Verstöße gegen baurechtliche Vorschriften nicht mehr an.
31Die Kammer hat davon abgesehen, gemäß § 80 a Abs. 1 Nr. 2 VwGO gesonderte Maßnahmen zur Sicherung der Rechte der Antragsteller anzuordnen, da sie davon ausgeht, dass die Beigeladenen die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragsteller gegen die Baugenehmigung respektieren werden. Vorsorglich weist das Gericht darauf hin, dass die Baugenehmigung einheitlich zu betrachten ist und nicht in einen gebäudebezogenen und einen geländebezogenen Teil aufgeteilt werden kann. Der von der Kammer beanstandete Nachbarrechtsverstoß betrifft insbesondere auch die Tiefgargage. Ohne Tiefgargage bzw. Zufahrt hierzu fehlt es zugleich am erforderlichen Stellplatznachweis für das Vorhaben.
32Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, 3 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, die Hälfte der Gerichtskosten sowie die eigenen Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil diese einen Antrag gestellt und sich damit auch einem Kostenrisiko ausgesetzt hat (§ 154 Abs. 3 VwGO).
33Mit Rücksicht auf die Bedeutung der Sache für die Antragsteller ist es angemessen, den Streitwert auf den festgesetzten Betrag zu bestimmen (§ 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG).
34Rechtsmittelbelehrung
35Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
36Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
37Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
38Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
39Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
40Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
41Die Beschwerde ist schriftlich, zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
42Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
43Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.