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1.
Die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage der Antragstellerin (22 K 1261/21) gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 5. März 2021 wird wiederhergestellt.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen, der diese selbst trägt.
2.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 2.500,00 Euro festgesetzt.
Gründe
2Der am 9. März 2021 gestellte Antrag der Antragstellerin,
3die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Ordnungsverfügung vom 5. März 2021 wiederherzustellen,
4hat Erfolg.
5Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung im Falle des Absatzes 2 Nr. 4 wiederherstellen. Die für die gerichtliche Entscheidung insoweit maßgebliche Interessenabwägung fällt zulasten der Antragsgegnerin aus, weil sich die angegriffene Ordnungsverfügung bei summarischer Prüfung mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig erweist. Das private Interesse der Antragstellerin überwiegt demzufolge das öffentliche Vollziehungsinteresse.
6Die Antragsgegnerin hat mit Ordnungsverfügung vom 5. März 2021 eine im Eigentum der Antragstellerin stehende Wohnung im Haus F.----------straße. 00, 00000 M. , beschlagnahmt, um den Beigeladenen als Bewohner dieser Wohnung zur Vermeidung von Obdachlosigkeit befristet bis zum 4. Juni 2021 wieder einzuweisen.
7Dieser Beschlagnahme- und Wiedereinweisungsverfügung ist Folgendes voraus-gegangen:
8Der Beigeladene mietete für sich die im Haus der Antragstellerin gelegene vorgenannte Wohnung, die er seit dem 1. Mai 2017 bewohnte.
9Die Antragstellerin kündigte das Mietverhältnis mit dem beigeladenen Mieter am 13. Juli 2019 wegen bestehender Mietrückstände fristlos und führte nach der Kündigung des Mietverhältnisses ein zivilrechtliches Räumungsverfahren gegen den Beigeladenen. Dieses endete am 20. Juli 2020 mit einem Versäumnisurteil des Amtsgerichts Köln (000 X 000/00), durch das der Beigeladene verurteilt wurde, die im Haus F.---------straße 00 in 00000 M. gelegene Wohnung, bestehend aus zwei Zimmern, Küche, Flur, Bad mit WC sowie einem Balkon, geräumt an die Antragstellerin herauszugeben.
10Da der Beigeladene die Wohnung nicht räumte, beantragte die Antragstellerin die Räumung. Durch die zuständige Obergerichtsvollzieherin wurde ein erster Termin für die Zwangsräumung auf den 2. Dezember 2020 bestimmt. In der Folgezeit wurde die im Eigentum der Antragstellerin stehende Wohnung - nach Anhörung - durch die Antragsgegnerin am 2. Dezember 2020 beschlagnahmt und der Beigeladene zur Vermeidung von Obdachlosigkeit befristet bis zum 1. März 2021 in die von ihm bewohnte Wohnung wieder eingewiesen.
11Es wurde sodann ein neuer Räumungstermin durch die Obergerichtsvollzieherin bestimmt auf den 5. März 2021. Da die Antragsgegnerin den Beigeladenen nicht erreichen konnte, erließ sie am 5. März 2021 die streitgegenständliche Beschlagnahme- und Wiedereinweisungsverfügung befristet bis zum 4. Juni 2021 und wies den Beigeladenen wiederum in die Wohnung ein.
12Die Antragstellerin macht im vorliegenden Verfahren geltend, Kündigungsgrund seien Mietrückstände gewesen. Hinzu kämen Ruhestörungen, die Vernachlässigung der Mietsache und dass der Beigeladene ständig fremde Personen ins Haus lasse. Sie habe die in der Obdachlosigkeit des Beigeladenen liegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit nicht verursacht, sondern werde als Nichtstörer in Anspruch genommen. Dies sei nur dann zulässig, wenn die Gefahr von der Ordnungsbehörde (mit eigenen Mitteln) oder durch Beauftragte nicht abgewehrt werden könne. Dabei habe die Ordnungsbehörde im Rahmen ihrer eigenen Bemühungen nicht für eine wohnungsmäßige Voll- und Dauerversorgung, sondern lediglich für eine obdachmäßige Unterbringung zu sorgen. Dass die Antragsgegnerin nach dieser Maßgabe alle Möglichkeiten ausgeschöpft habe, um dem Beigeladenen eine Unterkunft zu vermitteln, sei nicht erkennbar. Des Weiteren bestreitet die Antragstellerin, dass sämtliche Kapazitäten ausgeschöpft seien.
13Die Antragsgegnerin führt in Erwiderung dazu aus, dass eine anderweitige Unterbringung des Beigeladenen in einer Wohnung oder Obdachlosenunterkunft trotz intensiver Bemühungen der Fachstelle Wohnen bislang nicht möglich gewesen sei. Vor dem Hintergrund der Gefährdungslage aufgrund der Corona-Pandemie und der damit verbundenen Einschränkungen sowie fehlender Unterbringungsressourcen habe man sich daher gezwungen gesehen, die streitbefangene Ordnungsverfügung zu erlassen. Die Fachstelle Wohnen sei weiterhin intensiv um eine obdachmäßige Versorgung des Beigeladenen bemüht. Allerdings könne auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt eine andere Unterbringungsmöglichkeit auch nach Ende des jetzigen Beschlagnahmezeitraumes nicht zugesichert werden.
14Der Beigeladene hat sich im vorliegenden Verfahren zur Sache nicht geäußert.
15Die Würdigung des sich aus dem wechselseitigen Vorbringen der Beteiligten ergebenden Sachverhalts führt dazu, dass die angefochtene Beschlagnahme- und Wiedereinweisungsverfügung vom 5. März 2021 mit überwiegender Wahrscheinlichkeit als rechtswidrig anzusehen ist.
16Da die Antragstellerin die in einer – hier jedenfalls nicht auszuschließenden – Obdachlosigkeit des Beigeladenen liegende Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung nicht verursacht hat, handelt es sich bei der Beschlagnahme der in ihrem Eigentum stehenden Wohnung um die Inanspruchnahme eines Nichtstörers. Eine solche ist gemäß § 19 Abs. 1 Nr. 3 OBG NRW nur zulässig, wenn die Gefahr von der Ordnungsbehörde (mit eigenen Mitteln) oder durch Beauftragte nicht abgewehrt werden kann.
17Hierzu hat das beschließende Gericht in ständiger Rechtsprechung (u.a.) in dem der Antragsgegnerin bekannten Beschluss vom 29. Mai 2008 – 20 L 595/08 – und u.a. in den Beschlüssen der erkennenden Kammer vom 17. Juli 2020 – 22 L 1168/20 – und vom 30. Juli 2020 – 22 L 1105/20 – Folgendes ausgeführt:
18„Nach der Rechtsprechung des OVG NRW, der das erkennende Gericht folgt, lassen sich aus der gesetzlichen Regelung folgende Maßstäbe ableiten:
19Die Inanspruchnahme eines Nichtstörers darf nicht erfolgen, wenn die Ordnungsbehörde eine obdachlosenrechtlichen Maßstäben genügende Unterkunft beschaffen und dem Räumungsschuldner zuweisen könnte. Dabei hat die Ordnungsbehörde im Rahmen ihrer eigenen Bemühungen nicht für eine wohnungsmäßige Voll- und Dauerversorgung, sondern lediglich für eine obdachmäßige Unterbringung zu sorgen. Von daher ist es ausreichend, wenn eine Unterkunft bereitgestellt wird, die vorübergehend Schutz vor den Unbilden des Wetters bietet und Raum für die notwendigsten Lebensbedürfnisse lässt.
20Demgemäß erweist sich die Verwaltungspraxis einer Stadt, bei bevorstehender Zwangsräumung und drohender Obdachlosigkeit lediglich eine wohnungsmäßige Unterbringung des Räumungsschuldners zu prüfen und ihn bei fehlender Verfügbarkeit städtischer oder städtischem Einfluss zugänglicher Wohnungen in die bisherige wieder einzuweisen, als rechtswidrig.
21Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 05.02.1999 – 9 B 3847/89 – und Beschluss vom 26.06.1999 – 9 B 1707/90 –, beide veröffentlicht in Juris.
22Aus diesen Grundsätzen ergibt sich des Weiteren, dass der Antragsgegner bei seiner Sach- und Rechtsprüfung nicht in die Bewertung einzustellen hat, inwieweit die Räumung der bisherigen Wohnung dem Räumungsschuldner zumutbar ist. Die Frage der Zumutbarkeit einer Räumung ist Gegenstand des zivilrechtlichen Verfahrens, wobei gerade das Räumungsschutzverfahren gemäß § 765 a ZPO Raum für die Prüfung von besonderen Härten – etwa aufgrund der gesundheitlichen Situation des Räumungsschuldners – bietet. Für eine über diese gesetzliche Zuweisung zu den Zivilgerichten hinausgehende Prüfung der Zumutbarkeit einer Räumung durch die Ordnungsbehörde ist kein Raum.
23Ferner ergibt sich aus den oben aufgeführten Maßstäben, dass die Ordnungsbehörde sich bei ihren Bemühungen um Beschaffung einer neuen Unterkunft nicht auf ihr zur Verfügung stehende Räumlichkeiten oder ihrem Einfluss zugänglicher Wohnungen beschränken darf. Sie ist vielmehr gehalten, gegebenenfalls Räumlichkeiten anzumieten.“
24In Anwendung dieser Grundsätze sind im vorliegenden Fall die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme und die damit verbundene Inanspruchnahme eines Nichtstörers nach der sich derzeit bietenden Aktenlage und insbesondere in Ansehung der pauschal gehaltenen und – wie dem Gericht aus zahlreichen anderen Verfahren bekannt ist – auf Textbausteinen beruhenden Begründung der angefochtenen Verfügung nicht erfüllt. Insbesondere ist nicht zu erkennen, dass sich die Antragsgegnerin – wie in der angefochtenen Ordnungsverfügung ausgeführt – „intensiv“ um die Beschaffung einer (Obdachlosen-)Unterkunft bemüht hätte und eine solche letztlich bis heute nicht verfügbar (gewesen) ist. Dass die Antragsgegnerin sich alternativ – die fehlende Verfügbarkeit eigener Unterbringungsmöglichkeiten unterstellt – um eine anderweitige Anmietung für den Beigeladenen bemüht hätte, ist ebenfalls nicht feststellbar. Die Antragsgegnerin hat für den Beigeladenen Anfang März 2021 lediglich einen Wohnberechtigungsschein ausgestellt, der mangels Gebührenzahlung aber nicht an ihn versandt wurde. Für den Zeitraum ab dem 19. Januar 2021 enthält der Verwaltungsvorgang keinerlei Eintragungen. Auf ihre Anfrage vom 2. März 2021, ob sich der Beigeladene am 5. März 2021 selbst unterbringen könne, hat er nicht reagiert. Aus diesem Grund vermerkte die Antragsgegnerin, dass sie wegen mangelnder Mitwirkung nicht weiter beschlagnahmen wolle. Da sie den Beigeladenen aber nicht erreichen konnte, beschlagnahmte sie die Wohnung unter Verweis auf mangelnde Kapazitäten erneut.
25Auch eine Interessenabwägung im Übrigen fällt zuungunsten der Antragsgegnerin aus. Selbst die Corona-Pandemie führt insoweit zu keiner anderen Beurteilung. Es ist schon nichts dafür ersichtlich, dass der Beigeladene zu einer Risikogruppe gehört. Aber selbst wenn dies der Fall wäre, so hätte die Antragsgegnerin auch diesem Umstand bei der Auswahl bzw. Beschaffung einer Obdachlosenunterkunft Rechnung zu tragen. Es ist weder ersichtlich noch substantiiert vorgetragen, dass ihr das nicht möglich wäre.
26Auch darüber hinaus sind keine Aspekte ersichtlich, die geeignet sind, eine andere Entscheidung zu begründen.
27Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 und 3, 162 Abs. 3 VwGO. Der Beigeladene hat im vorliegenden Verfahren keinen Antrag gestellt, so dass er sich keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt hat.
28Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 und 2 GKG.
29Rechtsmittelbelehrung
30Gegen Ziffer 1 dieses Beschlusses kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
31Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
32Die Beschwerdefrist wird auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, eingeht.
33Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
34Die Beteiligten müssen sich bei der Einlegung und der Begründung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
35Gegen Ziffer 2 dieses Beschlusses kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde eingelegt werden. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
36Die Beschwerde ist schriftlich, zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen.
37Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
38Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.