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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
2Die Klägerin produziert nichtselbsttätige Waagen und vertreibt diese unter anderem in Nordrhein-Westfalen.
3Im Rahmen einer amtlichen Kontrolle bei einer von der Klägerin produzierten nichtselbsttätigen Waage (Handelswaage Nr.: X000000000, Aufstellungsort: T. O. , C. str. 0, 00000 X. -Y. ) stellte der Beklagte unter anderem fest, dass die Anbringung der Aufschriften von Höchstlast (Max), Mindestlast (Min) und Eichwert (e =) ausschließlich digital in der Anzeigeeinrichtung der Waage erfolgt ist und an keiner weiteren Stelle an der Waage wiederholt angebracht wurde.
4Mit Anhörungsschreiben vom 26. Februar 2020 teilte der Beklagte der Klägerin mit, er beabsichtige aufgrund dieser Feststellung den Erlass einer Ordnungsverfügung gegen die Klägerin. Es widerspreche der Richtlinie 2014/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Bereitstellung nichtselbsttätiger Waagen auf dem Markt (Waagen-RL), wenn die Angaben Max, Min und e = ausschließlich digital erfolgten. Der Klägerin wurde Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 27. März 2020 gegeben.
5Die Klägerin teilte dem Beklagten unter dem 31. März 2020 sowie dem 17. April 2020 mit, dass ein rechtskonformer Zustand bestehe. Sinn und Zweck der Regelungen der Richtlinie sei die Manipulationssicherheit der Angaben auf der Waage. Diese sollten während der gesamten Lebensdauer der Waage dort vorhanden sein und dem Verwender zuverlässig Auskunft geben über den „Anwendungsbereich“ der Waage in Form von Minimal- und Maximallast, sowie darüber, für welche Genauigkeit der Anzeige (Teilungswert e) die Waage konzipiert und im eichpflichtigen Bereich zugelassen sei. Dies sei durch eine Displayanzeige gewährleistet. Von der Vereinbarkeit einer solchen digitalen Anzeige der Angaben mit den Anforderungen der Waagen-RL gehe nicht nur der Berufsverband VDMA Mess- und Prüftechnik, sondern gingen auch verschiedene nach Art. 19 Waagen-RL Benannte Stellen einschließlich der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) aus, was durch verschiedene Baumusterprüfbescheinigungen und Bauartzulassungen verbindlich zum Ausdruck gebracht worden sei.
6Unter dem 29. April 2020 erließ der Beklagte gegenüber der Klägerin eine Ordnungsverfügung und untersagte der Klägerin, ab dem 1. Juni 2020 nichtselbsttätige Waagen in Nordrhein-Westfalen in Verkehr zu bringen, die die Aufschriften von Max, Min und e = nur digital in der Anzeigeeinrichtung der Waage darstellen und an denen diese Aufschriften an keiner anderen Stelle (z.B. Kennzeichnungsschild) dauerhaft aufgebracht sind (Ziffer 1.). Darüber hinaus drohte er der Klägerin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen Ziffer 1. die Festsetzung eines Zwangsgeldes in Höhe von 1.000,00 Euro an (Ziffer 2.). Die Ordnungsverfügung wurde dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 6. Mai 2020 zugestellt.
7Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass ein begründeter Verdacht bestehe, dass die unter Ziffer 1 der Verfügung genannten Waagen nicht die Anforderungen gem. § 6 MessEG erfüllten, wozu nach § 6 Abs. 5 MessEG die in einer Rechtsverordnung festgelegte Bezeichnung des Messgeräts durch Aufschriften gehöre. § 30 Nr. 4 MessEG i. V. m. § 15 Abs. 3 MessEV regele, mit welchen Aufschriften eine nichtselbsttätige Waage zusätzlich zu versehen sei. Diese Vorschriften setzten die Waagen-RL um. Ziffer 1.1. Anhang III Waagen-RL fordere unter anderem, dass diese Geräte gut sichtbar, leserlich und dauerhaft die Aufschriften Höchstlast in der Form Max…, Mindestlast in der Form Min… und Eichwert in der Form e = … tragen müssten. Hierzu müsse eine geeignete Einrichtung entsprechend Ziffer 1.2. Anhang III Waagen-RL, z.B. ein Kennzeichnungsschild, an der Waage angebracht werden. Dies ergebe sich auch aus Art. 6 Abs. 5 UAbs. 2 Waagen-RL, wonach die Hersteller bei Waagen, die zu den in Art. 1 Abs. 2 lit. a) bis f) Waagen-RL genannten Zwecken verwendet werden sollen, die in Ziffer 1. Anhang III Waagen-RL vorgeschriebenen Aufschriften anbringen. Es bedürfe deswegen eines gedruckten Textes. Verdeutlicht werde dies durch Ziffer 1.2 Anhang III WaagenRL, der dem Waagenhersteller die Option gebe, geeignete Einrichtungen zur Kenntlichmachung der Aufschriften zu wählen. Unter Ziffer 1.3 Anhang III Waagen-RL werde als Möglichkeit ein Kennzeichnungsschild beschrieben, auf dem alle Kennzeichen und Aufschriften aufgebracht werden müssten. Das Kennzeichnungsschild müsse an der Waage gesichert werden oder bei Entfernung selbstzerstörend wirken. Hierdurch würden die Sichtbarkeit, Lesbarkeit und Dauerhaftigkeit der Aufschriften gewährleistet. Ziffer 1.4 Anhang III Waagen-RL gebe weiter zwingend vor, dass die Angaben von Max, Min, e und d zusätzlich in der Nähe der Anzeigeneinrichtung angebracht werden müssten, soweit sie sich nicht ohnehin dort befänden. Ferner hätten Aussagen zur technischen Umsetzung der Kennzeichnung in der Europäischen Norm (EN) 45501 keine rechtliche Bedeutung, da diese nicht im Anhang I der Richtlinie beschrieben würden. Die Ordnungsverfügung sei auch verhältnismäßig. Insbesondere sei sie angemessen, da sie ausschließlich in die Zukunft gerichtet sei. Eine Konformität der Messgeräte könne mit geringem finanziellem Aufwand hergestellt werden.
8Die Klägerin hat am 29. Mai 2020 Klage erhoben.
9Zur Begründung führt sie aus, dass für den streitgegenständlichen Waagentyp eine Baumusterprüfbescheinigung durch die niederländische Bewertungsstelle NMi erteilt worden sei, sodass eine Vermutung für die Erfüllung der einschlägigen Anforderungen aus der Richtlinie bestehe. Die Baumusterprüfbescheinigung bilde die Grundlage für die vom Hersteller abzugebende Konformitätserklärung und sei wesentlicher Bestandteil des Konformitätsbewertungsverfahrens. Auf diese müsse sich der Hersteller wie zuvor auf die Bauartzulassungen verlassen können. Da die Baumusterprüfbescheinigung funktional an die Stelle der Bauartzulassung getreten sei, handle es sich hierbei nicht bloß um eine Privatmeinung. Die Displaylösung werde von anderen Marktaufsichtsbehörden im In- und Ausland, sowie verschiedenen, akkreditierten Konformitätsbewertungsstellen wie der PTB akzeptiert. Die Angaben über die Maximal- und Minimallast sowie den Teilungswert müssten sich nach der Richtlinie im Sichtbereich der Ergebnisanzeige einer jeden Waage befinden, was durch die Anzeige im Display zusammen mit dem Wägeergebnis optimal geleistet werde. Die Aufschrift sei insoweit sichtbar, leserlich und dauerhaft. Der englische Wortlaut der Richtlinie verdeutliche dies mit „indelibly“, also „unauslöschlich“. Wenn die Angaben beim Abschalten der Waage oder durch Defekt nicht mehr sichtbar und somit „gelöscht“ seien, könne die Waage ohnehin nicht mehr verwendet werden, sodass es auch keinen Bedarf für eine Sichtbarkeit der Pflichtangaben gebe. Dafür spreche auch Ziffer 1.2 S. 2 Anhang III Waagen-RL, wonach die Aufschriften bei normaler Gebrauchslage des Geräts sichtbar sein müssten. Dies meine die normale Verwendung des Geräts in eingeschaltetem Zustand. Auch für eine behördliche Kontrolle dürfe nichts Weitergehendes gefordert werden. Es sei der Marktaufsicht zuzumuten, die Waage kurz einzuschalten, um sich von deren ordnungsgemäßer Beschaffenheit und Funktion zu überzeugen.
10Die Klägerin beantragt,
11die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 29. April 2020 aufzuheben.
12Der Beklagte beantragt,
13die Klage abzuweisen.
14Er führt unter Vertiefung seines Vorbringens im Verwaltungsverfahren aus, die Klägerin sei als Herstellerin für die Einhaltung der Konformitätsvorschriften verantwortlich. Sie verstoße gegen Ziffer 1.1. Anhang III Waagen-RL. Schon der Wortlaut, der vom „Anbringen“ der Aufschriften spreche, zeige, dass etwas physisch mit der Waage verbunden werden müsse. Die auf privatrechtlichem Wege entstandene Baumusterprüfbescheinigung entfalte keine Vermutungswirkung im Hinblick auf die Einhaltung von Produktanforderungen. Dies folge auch daraus, dass auch bei Vorliegen einer Baumusterprüfbescheinigung gem. § 50 Abs. 1 MessEG Stichproben über die Einhaltung der gesetzlichen Anforderungen möglich seien. Auch die PTB habe darauf hingewiesen, dass die Eichbehörden von ihrer Einschätzung abweichen könnten. Eine Bindungswirkung könne nur aus der DIN EN 45501 folgen, die sich aber gem. Art. 12 Waagen-RL nur auf die grundlegenden Anforderungen des Anhangs I und damit nicht auf die Kennzeichnung und Aufschriften, die vom Hersteller anzubringen seien, beziehe. Ferner sei nach der Norm die elektronische Anzeige im Display nur ergänzend möglich. Ziffer 1.2 S. 2 Anhang III Waagen-RL verlange, dass die Waagen so beschaffen sein müssten, dass sich die Konformitätskennzeichnung und die Aufschriften nicht entfernen ließen. Bei einer lediglich elektronischen Anzeige im Display entfernten sich diese aber automatisch, sobald die Waage ausgeschaltet sei. Im Hintergrund könnten zudem Programmierungen stattfinden, die die Angaben verfälschten. Auch ohne Anschluss an den Stromkreislauf müsse den Marktaufsichtsbehörden eine Kontrolle möglich sein. Hierbei sei etwa an die Überprüfung von Containerladungen an importierten Waagen in Häfen und an Zollstationen zu denken. Die Angaben müssten physisch und analog an der Waage „angebracht“ sein. Der Ausdruck „normale Gebrauchslage“ i. S. d. Ziffer 1.2 Anhang III Waagen-RL meine nicht die eingeschaltete Waage, sondern beziehe sich auf die Positionierung der Waage im Raum, um korrekt zu wägen. Es fehle an einer expliziten Zulassung der elektronischen Angabe, was sich auch daran zeige, dass eine mit Ziffer 1.2 S. 1 Anhang III Waagen-RL vergleichbare Regelung zur Displayanzeige fehle. Diese Einschätzung werde auch von den Eichdirektionen Nord und Hessen geteilt.
15Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakten des vorliegenden Verfahrens sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe
17Die zulässige Klage ist unbegründet.
18Die angefochtene Ordnungsverfügung des Beklagten vom 29. April 2020 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
19Die Ordnungsverfügung ist formell rechtmäßig. Der Beklagte ist als Marktüberwachungsbehörde gemäß § 48 Abs. 1 MessEG i. V. m. § 1 der Verordnung über Zuständigkeiten im Mess- und Eichwesen vom 28. April 2015 für Maßnahmen nach § 50 MessEG sachlich und örtlich zuständig. Die nach § 51 Abs. 2 S. 1 MessEG i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erforderliche Anhörung hat mit der gesetzlich geforderten Anhörungsfrist von mindestens 10 Tagen stattgefunden.
20Die Ordnungsverfügung ist auch materiell rechtmäßig. Der Beklagte konnte Ziffer 1. des Bescheids auf § 50 Abs. 1, Abs. 2 MessEG stützen. Danach treffen die Marktüberwachungsbehörden die erforderlichen Maßnahmen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass Messgeräte die Anforderungen nach Abschnitt 2 des MessEG nicht erfüllen. Die Marktüberwachungsbehörden sind insbesondere befugt, zu verbieten, dass ein Produkt auf dem Markt bereitgestellt wird, § 50 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 MessEG. Entsprechende Maßnahmen sind gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 MessEG gegen den betroffenen Wirtschaftsakteur zu richten. Diese Voraussetzungen lagen für ein marktaufsichtsrechtliches Einschreiten gegenüber der Klägerin vor.
21Die verfahrensgegenständlichen nichtselbsttätigen Waagen stellen Messgeräte im Sinne des § 3 Nr. 13 MessEG dar und werden von der Klägerin im Sinne des § 2 Nr. 6 und Nr. 7 MessEG hergestellt und in den Verkehr gebracht.
22Die Messgeräte der Klägerin verstoßen gegen die Anforderungen nach Abschnitt 2 des MessEG, § 50 Abs. 1 MessEG. Zu den nach Abschnitt 2 des MessEG einzuhaltenden wesentlichen Anforderungen gehört insbesondere auch, dass Messgeräte mit den in einer Rechtsverordnung nach § 30 Nummer 4 MessEG bezeichneten Aufschriften zur näheren Bestimmung des Geräts und des Herstellers oder Einführers zu versehen sind. Für nichtselbsttätige Waagen bestimmt § 15 Abs. 3 Nr. 2-4 MessEV, dass diese unter anderem mit Aufschriften zur Höchstlast, zur Mindestlast und dem Wert in Masseeinheiten zur Einstufung und zur Eichung einer Waage, dem sogenannten Eichwert, zu versehen sind. Alle auf Messgeräten vorgesehenen Aufschriften müssen gut sichtbar, lesbar und dauerhaft angebracht werden; sie müssen klar, unauslöschlich, eindeutig und nicht übertragbar sein, § 13 Abs. 1 S. 1 MessEV. Diese Anforderungen sind nicht gewahrt, wenn die Pflichtangaben wie bei den nichtselbsttätigen Waagen der Klägerin lediglich in der digitalen Anzeigeeinrichtung der Waage und nicht zumindest auch in Form einer physisch-analogen Aufschrift, z.B. durch ein Kennzeichnungsschild, dargestellt werden. Eine Auslegung der einschlägigen nationalen sowie der diese determinierenden europäischen Vorschriften ergibt, dass der Gesetzgeber von der Notwendigkeit einer physisch-analogen Aufschrift ausgegangen ist. (I.). Die der Klägerin erteilte Baumusterprüfbescheinigung führt nicht zu einer Legalisierung der Kennzeichnungspraxis der Klägerin (II.).
23I.
24Bereits die Auslegung der nationalen Vorschriften hinsichtlich Wortlaut und Systematik zeigt, dass der Gesetzgeber von einer physisch-analogen Aufschrift ausgegangen ist.
25Dafür spricht zunächst die Wortlautauslegung der durchgängig vom Gesetzgeber verwendeten Terminologie. § 15 Abs. 3 MessEV spricht davon, dass nichtselbsttätige Waagen mit „Aufschriften“ zu versehen sind. Im Wortsinne legt der Begriff „Aufschrift“, der sich aus der Präposition „auf“ und dem Substantiv „Schrift“ zusammensetzt, nahe, dass eine Schrift auf etwas aufgesetzt wird. Dementsprechend lässt sich der Begriff auch definieren als ein kurzer Text, der auf etwas zur Bezeichnung, als Hinweis o. Ä. geschrieben ist.
26Vgl. die Definition des Duden, abrufbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/Aufschrift (zuletzt abgerufen: 21. April 2021).
27Bei der Anzeige in einem Display kann nicht mehr davon gesprochen werden, dass es sich um eine „Aufschrift“ handelt, denn die digitale Wiedergabe von Schriftzeichen ist nicht gleichzusetzen mit Schriftzeichen, die auf etwas geschrieben wurden. Dies zeigt auch die Verwendung der einschlägigen Begriffe für die von der Klägerin gewählte Darstellungsform. Eine „Anzeige“ ist eine Anlage, die etwas anzeigt,
28vgl. die Definition des Duden, abrufbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/Anzeige (zuletzt abgerufen: 21 April 2021),
29also kein Text, der auf etwas geschrieben wurde. Im herkömmlichen Sprachgebrauch würde die Darstellung in einem Display dementsprechend auch nicht als „Aufschrift“ bezeichnet werden.
30Für das Erfordernis einer tatsächlich-physischen Aufschrift sprechen weiterhin die Vorgaben des § 13 Abs. 1 S. 1 MessEV, wonach Kennzeichnungen und Aufschriften gut sichtbar, lesbar und dauerhaft auf dem Messgerät oder dem sonstigen Messgerät angebracht sein müssen. Der Begriff „anbringen“ legt eine physische Verbindung der Aufschrift mit dem Messgerät nahe, denn er lässt sich mit „an einer bestimmten Stelle festmachen, befestigen“ umschreiben,
31vgl. die Definition des Duden, abrufbar unter: https://www.duden.de/rechtschreibung/anbringen (zuletzt abgerufen am 21. April 2021)
32was über ein bloßes „Anzeigen“ im Wege einer digitalen Darstellung hinausgeht.
33Auch die in § 13 Abs. 1 S. 1 MessEV formulierten Anforderungen an Aufschriften sprechen dafür, dass der Verordnungsgeber von einer physisch-analogen Aufschrift ausgegangen ist. Zwar schränkt die Regelung die Art der technischen Realisierung von Kennzeichnungen und Aufschriften nicht grundsätzlich auf bestimmte Technologien ein. Wesentlich ist allerdings, dass die genannten Anforderungen dabei jeweils beachtet werden.
34Vgl. BR-Drucks. 493/14, S. 143.
35Zu den wesentlichen Anforderungen gehört insbesondere, dass eine Aufschrift dauerhaft ist, also für die gesamte Lebensdauer des Messgeräts erkennbar bleibt.
36Vgl. Kieninger/Schade, in: Hollinger/Schade, MessEG/ MessEV, 1. Aufl. 2015, MessEV § 13 Rn. 3.
37Nimmt man hinzu, dass eine Aufschrift zugleich lesbar sein muss, ist davon auszugehen, dass mit der Zusammenstellung der Anforderungen eine ununterbrochene Lesbarkeit der Aufschrift beabsichtigt ist. Dies kann eine digitale Anzeige nicht gewährleisten, weil sie erlischt, wenn das Messgerät ausgeschaltet oder sonst von der Stromversorgung getrennt ist. Es kann bereits nach herkömmlichem Sprachgebrauch nicht davon ausgegangen werden, dass eine „Aufschrift“ dauerhaft ist, wenn deren Darstellung vom Funktionieren einer digitalen Anzeige abhängt. Dies wird nochmal bestätigt, wenn der nationale Verordnungsgeber in § 13 Abs. 1 S. 1 Halbs. 2 MessEV zusätzlich formuliert, dass Aufschriften „unauslöschlich“ sein müssen. Dadurch wird nochmal betont, dass eine Aufschrift unter keinen Umständen entfernt oder unkenntlich gemacht werden können darf. Wenn bereits das Abschalten des Messgeräts dazu führt, dass eine Aufschrift nicht mehr erkennbar ist, kann von einer unauslöschlichen Aufschrift nicht die Rede sein.
38Die Vorgaben der MessEV hinsichtlich der anzubringenden Aufschriften dienen der Umsetzung der Vorgaben der europäischen Waagen-RL.
39Vgl. BR-Drucks. 493/14, S. 146.
40Eine Auslegung der Waagen-RL hinsichtlich Wortlaut und Systematik bestätigt die Auslegung des nationalen Eichrechts.
41Gemäß Artikel 6 Abs. 5 UAbs. 2 Waagen-RL bringen die Hersteller die in Ziffer 1 Anhang III Waagen-RL vorgeschriebenen Aufschriften an. Nach Ziffer 1.1 Anhang III der Waagen-RL tragen Geräte gut sichtbar, leserlich und dauerhaft unter anderem die Aufschriften zur Höchstlast, Mindestlast und den Eichwert. Ziffer 1.2 S. 1 Anhang III Waagen-RL verpflichtet, an den Geräten geeignete Einrichtungen zum Anbringen der Aufschriften vorzusehen. Ziffer 1.2 S. 2 Anhang III Waagen-RL verlangt, dass diese Einrichtungen so beschaffen sind, dass sich die Aufschriften nicht entfernen lassen, ohne beschädigt zu werden, und dass die Aufschriften bei normaler Gebrauchslage sichtbar sind.
42Auch die Waagen-RL verwendet in ihrer deutschen Fassung insofern den Begriff der „Aufschrift“. Für das Verständnis einer Aufschrift im Sinne einer physisch analogen Aufschrift spricht auch die Verwendung des Verbs tragen. „Eine Aufschrift zu tragen“ impliziert einen physischen Aufdruck, eine Gravur oder die Anbringung eines Kennzeichnungsschilds, dem Wortlaut nach nicht aber die Wiedergabe der vorgeschriebenen Angaben in einer digitalen Anzeige. Zieht man andere Sprachfassungen der Waagen-RL heran,
43vgl. zum Gebot, eine europäische Norm im Lichte der Fassung aller amtlichen Sprachen auszulegen, EuGH, Urteil vom 3. April 2014 – C-515/12 –, juris Rn. 19 m.w.N.,
44so spricht die englische Fassung von „bear“, die französische Fassung von „porter“ oder die spanische Fassung von „llevarán“, also Begriffen, die sich ebenfalls mit „tragen“ übersetzen lassen.
45Für diese Auslegung spricht auch auf der Ebene des europäischen Rechts die Anforderung, dass diese Aufschriften „dauerhaft“ getragen werden müssen. Soweit die Waagen-RL in anderen Sprachen teilweise andere Begriffe verwendet – z. B. im Englischen den Begriff „indelibly“ und im Französischen den Begriff „indélébile“, die sich beide mit „unauslöschlich“ übersetzen lassen –, so entsprechen diese der zusätzlichen Vorgabe des § 13 Abs. 1 S. 1 2. Hs MessEV, nach der ebenfalls Aufschriften unauslöschlich sein müssen. Aus den dargelegten Gründen ist nicht davon auszugehen, dass eine von der Stromversorgung abhängige Wiedergabe der notwendigen Angaben als unauslöschlich im Sinne dieser Vorschrift anzusehen ist.
46Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus Ziffer 1.2 S. 2 Anhang III Waagen-RL, nach der die Aufschriften bei „normaler Gebrauchslage des Geräts“ sichtbar sein müssen. Anders als die Klägerin meint, ist unter normaler Gebrauchslage nicht die normale Verwendung im Sinne eines angeschalteten Geräts zu verstehen. Vielmehr meint Gebrauchslage die Aufstellung der Waage im Raum, also die Positionierung des Messgeräts. Die Aufschriften sollen danach in der üblichen Aufstellungsweise des Geräts sichtbar sein, worauf die Verwendung des Begriffs „Lage“ als Bezeichnung einer Position im Raum deutet. Hätte der europäische Gesetzgeber hiermit, wie die Klägerin meint, regeln wollen, dass die Aufschriften bei eingeschaltetem Gerät erkennbar sein müssen, hätte es näher gelegen, abstrakter beispielsweise „im normalen Betriebszustand“ oder „bei üblicher Verwendung“ zu formulieren. Die hier vorgenommene Auslegung wird jedenfalls deutlich durch die übrigen gleichermaßen verbindlichen Sprachfassungen der Waagen-RL bestätigt: So sprechen die englische Fassung von „regular operating position“, die französische Fassung von „position de fonctionnement normal“ und die spanische Fassung von „posición normal de funcionamiento“. Hier werden Formulierungen verwendet, die sich mit „normaler Betriebsposition“ ins Deutsche übersetzen lassen. In diesen Sprachfassungen ist der Bezug zur räumlichen Aufstellung des Geräts klar erkennbar.
47Dieses Ergebnis wird systematisch weiterhin dadurch bestätigt, dass Ziffer 1.2 Anhang III Waagen-RL auch vorschreibt, dass an den bezeichneten Messgeräten geeignete Einrichtungen zum Anbringen der Konformitätskennzeichnung und der Aufschriften vorzusehen sind. Sie müssen so beschaffen sein, dass sich die Konformitätskennzeichnung und die Aufschriften nicht entfernen lassen, ohne beschädigt zu werden. Ein „Entfernen ohne Beschädigung“ von Aufschriften legt wiederum nahe, dass es sich um eine tatsächlich-physische Aufschrift handelt, denn bei einer Anzeige auf einem Display kann es mangels physischer Wiedergabe nicht zu einer Beschädigung kommen. Dem steht auch nicht entgegen, dass die Bestimmung von „geeigneten Einrichtungen“ spricht, worunter auch ein Display zur Anzeige der Pflichtangaben zu verstehen sein könnte. Denn es geht um geeignete Einrichtungen „zum Anbringen der Aufschriften“, wodurch wie dargelegt eine bloße digitale Anzeige ausgeschlossen ist. Hierdurch wird vielmehr klargestellt, dass das Messgerät gleichsam einen geeigneten „Platz“ zur tatsächlich-physischen Darstellung der Pflichtangaben aufweisen muss.
48Schließlich wird die Annahme, dass der europäische Gesetzgeber für die notwendigen Angaben eine physisch-analoge Aufschrift und nicht eine digitale Anzeige vorgesehen hat, systematisch auch dadurch bestätigt, dass er für solche Aufschriften diverse Schutzvorschriften vorgesehen hat, derartige Vorschriften aber für eine digitale Wiedergabe der Angaben nicht existieren. So schreibt Ziffer 1.3 Anhang III Waagen-RL bei der Verwendung eines Kennzeichnungsschildes vor, dass dieses gesichert werden können muss, es sei denn, dass es sich nicht entfernen lässt, ohne zerstört zu werden. Kann das Kennzeichnungsschild gesichert werden, muss ein Sicherungsstempel angebracht werden können. Mit dieser Regelung ist ein besonderer Fälschungsschutz beschrieben, der bei der Verwendung von Kennzeichnungsschildern gewährleistet werden muss. Für eine digitale Darstellung der Pflichtangaben hat der europäische Gesetzgeber hingegen keine besonderen Regelungen zum Schutz vor Manipulationen vorgesehen. Hätte der europäische Gesetzgeber hier als Alternative eine digitale Anzeige zulassen wollen, hätte es nahegelegen, beispielsweise eine Sicherung des Zugangs zur Software sowie möglicherweise auch eine Zertifizierung der Software selbst vorzusehen. Dass es sich bei dem Schutz vor Softwaremanipulationen nicht nur um ein theoretisches Problem handelt, ist spätestens seit dem „Dieselskandal“ auch als allgemein bekannt vorauszusetzen.
49Etwas anderes folgt auch nicht aus Ziffer 1.4 Anhang III Waagen-RL. Danach müssen die Angaben Max, Min, e und d auch in der Nähe der Gewichtsanzeige angebracht sein, soweit sie sich nicht ohnehin dort befinden. Hiermit wird nicht die erstmalige Wiedergabe im Sinne der nach Ziffer 1.1 Anhang III Waagen-RL zwingend vorgeschriebenen Aufschrift dieser Angaben in einer digitalen Anzeige geregelt. Der europäische Gesetzgeber regelt damit vielmehr den Fall, dass eine physisch-analoge Aufschrift zwar vorhanden ist, sich jedoch nicht in der Nähe der Gewichtsanzeige befinden. Für diesen Fall müssen diese Angaben in der Nähe der Gewichtsanzeige wiederholt werden, was durch das Wort „auch“ klargestellt wird. Ob diese wiederholende Angabe auch in Form einer digitalen Anzeige erfolgen kann, bedarf hier keiner Erörterung, weil jedenfalls vorausgesetzt wird, dass eine den Anforderungen des Anhangs III Waagen-RL genügende physisch-analoge Aufschrift vorhanden ist.
50Der Sinn und Zweck der vorgeschriebenen Aufschriften zwingt zu keiner abweichenden Beurteilung. Die Vorschriften über das Mess- und Eichwesen bezwecken grundsätzlich, den am Wirtschaftsverkehr Beteiligten die Sicherheit zu geben, dass Handelsgüter je nach Art nach ihrem Umfang, Volumen, Maß und/oder Masse sicher bestimmt werden können.
51Vgl. Hoffmann/Hollinger/Schade, in: Hollinger/Schade, MessEG/MessEV, 1. Aufl. 2015, Einführung Rn. 2 m. N. aus der Gesetzgebungshistorie.
52Die vorgeschriebenen Aufschriften dienen einerseits dazu, dem Verwender Informationen insbesondere zum Wägebereich (Minimal- und Maximallast) und zum Eichwert der Waage, d.h. dem Maß der Eichtoleranz der Waage, zur Verfügung zu stellen, andererseits den Marktüberwachungsbehörden dazu, sich mithilfe dieser Aufschriften vom ordnungsgemäßen Inverkehrbringen eines Messgeräts überzeugen zu können.
53Vgl. Kieninger/Schade, in: Hollinger/Schade, MessEG/ MessEV, 1. Aufl. 2015, § 6 MessEG Rn. 14.
54Zwar ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass diesen Zwecken auch durch eine digitale Anzeige bei entsprechender Gestaltung in ausreichendem Maße Genüge getan werden könnte. Zumindest hinsichtlich des Schutzes der Verwender dürfte es in den meisten Fällen tatsächlich genügen, wenn die Angaben jedenfalls dann sichtbar sind, wenn die Waage verwendet werden soll und betriebsbereit ist, weil andernfalls seitens des Verwenders an diesen Angaben zumindest in der Regel kein Interesse bestehen dürfte. Das bedarf hier ebenso wie die Frage, ob eine physisch-analoge Aufschrift für die Funktionsfähigkeit der Marktüberwachung erforderlich ist, jedoch keiner weiteren Vertiefung. Ob der europäische Gesetzgeber auch eine digitale Anzeige hätte zulassen können, ist letztlich eine rechtspolitische Frage. Ausgehend von dem eindeutigen Wortlaut sowie der Regelungssystematik ist davon auszugehen, dass er nur eine physisch-analoge Aufschrift zulassen wollte. Insbesondere kann entgegen dem Vortrag der Klägerin nicht davon ausgegangen werden, dass der Gesetzgeber die Möglichkeit einer digitalen Anzeige nicht erkannt hat. Diese Möglichkeit war dem europäischen Gesetzgeber zum Erlasszeitpunkt der Waagen-RL im Jahr 2014 sicherlich bekannt.
55Es ist jedenfalls nicht ersichtlich, dass eine bloße digitale Anzeige der Pflichtangaben geeignet wäre, die Schutzzwecke der Aufschriften besser zu erreichen als eine physisch-analoge Aufschrift, sodass kein Grund besteht, eine digitale Anzeige entgegen des Wortlauts aus teleologischen Gründen zuzulassen. Dass die Entscheidung des europäischen Gesetzgebers, bloß eine physisch-analoge Anzeige zuzulassen, die vom europäischen Primärrecht – insbesondere den EU-Grundrechten – gezogenen Grenzen der gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit verletzt, ist nicht ersichtlich.
56II.
57Der Verstoß der Klägerin gegen §§ 15 Abs. 3 Nr. 2-4 i. V. m. 13 Abs. 1 S. 1 MessEV wird auch nicht durch die der Klägerin erteilte Baumusterprüfbescheinigung legalisiert. Ihr kommt weder eine die Marktüberwachungsbehörden bindende Wirkung hinsichtlich der Konformität des bescheinigten Gerätemodells zu, noch begründet sie eine Vermutungswirkung hinsichtlich der Einhaltung der wesentlichen Anforderungen nach § 6 MessEG oder ein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin auf das Ausbleiben von Marktüberwachungsmaßnahmen.
58Eine Baumusterprüfung ist gemäß Ziffer 1 Teil B Anlage 4 MessEV Teil eines Konformitätsbewertungsverfahrens, bei der eine Konformitätsbewertungsstelle den technischen Entwurf eines Messgeräts zu untersuchen und zu prüfen hat und bescheinigt, dass der Entwurf die für das Messgerät geltenden Anforderungen des MessEG und der MessEV erfüllt. Eine entsprechende Regelung enthält Ziffer 1.1 Anhang II Waagen-RL. Die Baumusterprüfung stellt jedoch keine hoheitliche Tätigkeit dar, sondern ist privatrechtlich ausgestaltet, was daraus folgt, dass es der Hersteller ist, der in Übereinstimmung mit den ihn treffenden Pflichten nach § 23 MessEG gem. § 6 Abs. 3 MessEG das Konformitätsbewertungsverfahren initiiert und eine Konformitätserklärung beibringen muss, will er Messgeräte in Verkehr bringen. Die Konformitätsbewertungsstellen werden dementsprechend privatrechtlich tätig.
59Vgl. BT-Drs. 17/12727, S. 38.
60Diese gesetzliche Systematik ist allgemein im Lichte des europäischen „neuen Ansatzes“ („New Approach“) zu verstehen, der zugunsten einer Harmonisierung des Binnenmarktes und zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse einen Verzicht auf staatliche Ex-ante-Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen von Produkten vorsieht.
61Vgl. hierzu BT-Drs. 17/12727 S. 31; Hoffmann/Hollinger/Schade, in: Hollinger/Schade, MessEG/ MessEV, 1. Aufl. 2015, Einführung Rn. 7.
62Die Übertragung von Rechten und Pflichten auf die Wirtschaftsakteure korreliert dabei mit den gesetzlichen Regelungen zur Marktüberwachung, welche die zuständige Behörde in die Lage versetzen zu überprüfen, ob die gesetzlich festgelegten Anforderungen tatsächlich erfüllt werden. Sie prüft dabei nicht lediglich, ob eine EU-Baumusterprüfbescheinigung bzw. eine Konformitätserklärung vorliegt, sondern ob das Messgerät die Anforderungen nach Abschnitt 2 des MessEG insgesamt erfüllt, d.h. insbesondere, ob die erforderlichen Aufschriften an dem Messgerät angebracht sind. Dies ergibt sich unmittelbar aus § 50 Abs. 1 MessEG, wonach die Marktüberwachungsbehörden u. a. anhand angemessener Stichproben kontrollieren, ob Messgeräte den Anforderungen nach Abschnitt 2 des MessEG genügen. Sowohl aus der Befugnis, Stichproben zu nehmen, als auch aus der Bezugnahme auf den Abschnitt 2 des MessEG – und nicht etwa bloß auf eine vorgeschriebene Baumusterprüfbescheinigung – folgt, dass der Gesetzgeber die Marktüberwachungsbehörden grundsätzlich berechtigen wollte, konkrete Geräte auf die Einhaltung der materiellen Anforderungen des Mess- und Eichrechts zu überprüfen.
63Vor diesem Hintergrund ist es nicht zutreffend, wenn die Klägerin vorträgt, die Baumusterprüfbescheinigung sei funktional an die Stelle einer Bauartzulassung getreten und daher wie diese zu behandeln. Es bedarf hier keiner Vertiefung, ob einer Bauartzulassung eine legalisierende Wirkung zukäme. Denn unabhängig davon ist die Baumusterprüfbescheinigung wie bereits dargelegt abweichend von der Bauartzulassung privatrechtlich ausgestaltet und hat daher jedenfalls keine legalisierende Wirkung hinsichtlich der Verstöße gegen die wesentlichen Anforderungen an Messgeräte. Mit der vom Gesetzgeber beabsichtigten Zurückdrängung von ex-ante-Genehmigungsverfahren geht einher, dass auch die für die Hersteller grundsätzlich günstige Legalisierungswirkung solcher staatlicher ex-ante-Genehmigungen den im „neuen Ansatz“ vorgesehenen privatrechtlichen Baumusterprüfbescheinigungen nicht zukommen kann. Insofern kann sich ein Hersteller, der nunmehr die alleinige Verantwortung für die Konformität der von ihm in Verkehr gebrachten Messgeräte trägt, auf die Baumusterprüfbescheinigung nicht verlassen.
64So auch Burrer, GewArch 2015, 481, 484.
65Die Erteilung einer Baumusterprüfbescheinigung begründet auch keine Vermutungswirkung dahin, dass das bescheinigte Baumuster mit den materiellen Anforderungen des Mess- und Eichrechts übereinstimmt. Dies folgt bereits daraus, dass das Gesetz eine Vermutungswirkung im Hinblick auf die Erfüllung der wesentlichen Anforderungen nach § 6 Abs. 2 MessEG gem. § 7 Abs. 1 MessEG nur in den dort genannten Fällen vorsieht. Insbesondere besteht eine Vermutungswirkung, wenn ein Messgerät gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 MessEG einer harmonisierten Norm entspricht. Das Vorliegen einer Baumusterprüfbescheinigung ist hingegen kein gesetzlich vorgesehener Fall. Ferner erstreckt sich die Vermutungswirkung des § 7 Abs. 1 MessEG nur auf die „wesentlichen Anforderungen“ des § 6 Abs. 2 MessEG. Hierzu zählen nicht die hier streitgegenständlichen Aufschriften, denn diese sind nicht in § 6 Abs. 2 MessEG i. V. m. Unterabschnitt 1 des Abschnitts 2 der MessEV, der „Wesentliche Anforderungen an Messgeräte“ betrifft, sondern in § 6 Abs. 5 MessEG sowie im Unterabschnitt 3 „Kennzeichnung, Aufschriften und beizufügende Informationen“ des Abschnitts 2 der MessEV geregelt.
66Dementsprechend begründet die Erteilung der Baumusterprüfbescheinigung auch kein schutzwürdiges Vertrauen der Klägerin darauf, dass die von ihr hergestellten Produkte den wesentlichen Anforderungen entsprechen und ihr keine Maßnahmen der Marktaufsicht drohen. Selbst wenn es zutrifft, dass die Kennzeichnungspraxis sowohl von der PTB als auch von einer Vielzahl von anderen europäischen Konformitätsbewertungsstellen akzeptiert ist, so begründet diese Akzeptanz jedenfalls keine Pflicht der Beklagten, die den nationalen und europäischen Vorgaben widersprechende Kennzeichnungspraxis der Klägerin zu dulden. Eine entsprechende Akzeptanz der Konformitätsbewertungsstellen müssen sich die Marktaufsichtsbehörden nicht zurechnen lassen. Darüber hinaus stünde einem schutzwürdigen Vertrauen der Klägerin auf die Duldung ihrer Kennzeichnungspraxis konkret auch entgegen, dass die PTB sie auf ihre Anfrage hin explizit darauf hingewiesen hat, dass die Zulässigkeit der digitalen Darstellung der Pflichtangaben von den Marktaufsichtsbehörden möglicherweise nicht geteilt werde und die PTB „keine Gewähr für die Akzeptanz der Lösung“ übernehme (Bl. 67 ff. d. A.).
67Ein rechtlich relevanter Vertrauensschutz der Klägerin ergibt sich schließlich auch nicht aus der Übereinstimmung der Waagen mit harmonisierten Normen im Sinne des § 7 Abs. 1 i. V. m. § 2 Nr. 5 MessEG und Art. 2 Nr. 1 c) VO (EU) Nr. 1025/2012. Da sich die Vermutungswirkung des § 7 Abs. 1 MessEG wie dargelegt nicht auf Kennzeichnungen und Aufschriften erstreckt, führt es auch nicht zu einer Legalisierung oder einem schutzwürdigen Vertrauen der Klägerin, wenn, wie diese es vorträgt, die bloße digitale Anzeige in einer harmonisierten Norm i. S. d. vorgenannten Vorschriften zugelassen sein sollte.
68Die Maßnahme ist auch ermessensfehlerfrei, § 114 S. 1 VwGO.
69Der Beklagte hat sich zu Recht dafür entschieden, die Anordnung gegen die Klägerin zu richten, weil diese als Herstellerin betroffener Wirtschaftsakteur im Sinne des § 51 Abs. 1 S. 1 MessEG und insofern zutreffender Adressat der Marktüberwachungsmaßnahme ist.
70Die Anordnung ist auch nicht unverhältnismäßig. Sie ist insbesondere nicht unangemessen, weil die mit der Anordnung verbundenen Nachteile nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Beklagten stehen, die Durchsetzung des nationalen und europäischen Kennzeichnungsrechts zu erreichen. Der Klägerin wird nicht das Inverkehrbringen eines bestimmen Waagentyps oder Produkts untersagt, sondern nur derjenigen Waagen, die die Pflichtangaben nur digital anzeigen. Diesem Zustand kann die Klägerin auch in Ansehung der Vielzahl der von ihr in Verkehr gebrachter Waagen mit vertretbarem Aufwand abhelfen, zum Beispiel indem sie das bereits auf den Messgeräten vorhandene Kennzeichnungsschild modifiziert. Die Untersagung bezieht sich ferner nur auf solche Waagen, die ab dem 1. Juni 2020 in Verkehr gebracht werden, sodass bereits in den Verkehr gebrachte Waagen von der Maßnahme nicht betroffen sind.
71Die Zwangsgeldandrohung in Ziffer 2. der Ordnungsverfügung vom 29. April 2020 ist ebenfalls rechtmäßig. Sie beruht auf den §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, 60, 63 VwVG NRW und begegnet weder in formeller noch in materieller Hinsicht rechtlichen Bedenken.
72Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
73Die Berufung war zuzulassen, weil der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung hat, §§ 124 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 S. 1 VwGO. Dies folgt daraus, dass die mit dem Verfahren verbundenen Rechtsfragen eine Auslegung des europäischen Sekundärrechts erfordern und diese Auslegung auch über die Beteiligten des konkreten Verfahrens hinaus für andere Marktüberwachungsbehörden und Hersteller nichtselbsttätiger Waagen im Bundesgebiet und gegebenenfalls auch für die Anwendung der Waagen-RL in anderen Mitgliedsstaaten der Europäischen Union von Bedeutung ist.
74Rechtsmittelbelehrung
75Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
76Statt in Schriftform kann die Einlegung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
77Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt; sie muss einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.
78Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
79Die Berufungsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
80Beschluss
81Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
8250.000,00 Euro
83festgesetzt.
84Gründe
85Der festgesetzte Streitwert entspricht der Bedeutung der Streitsache für die Klägerin, § 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass die Umsetzung der sich aus der verfahrensgegenständlichen Ordnungsverfügung ergebenden Verpflichtung aufgrund der Vielzahl der von der Klägerin vertriebenen Waagen mit einigem wirtschaftlichen Aufwand verbunden ist. Die Beteiligten haben auf Rückfrage in der mündlichen Verhandlung nicht in Frage gestellt, dass der vom Gericht herangezogene Wert (mindestens) dem Wert des geltend gemachten prozessualen Anspruchs entspricht.
86Rechtsmittelbelehrung
87Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, Beschwerde eingelegt werden.
88Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
89Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
90Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
91Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.