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Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 31. Januar 2020 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
2Das verfahrensgegenständliche Produkt der Klägerin besteht aus einem Wägemodul und einem PC-basierten Software-Modul, die gemeinsam als Bestandteil des Kassensystems von Einzelhandelsunternehmen fungieren. Dieses Produkt verfügt nicht selbst über eine Lastanzeige, sondern wird nach Abschluss der Produktion im Werk der Klägerin an einen lokalen Einzelhandelsmarkt geliefert und dort von einem Techniker der Klägerin mit einem Kassensystem eines Dritten verbunden, über dessen Anzeige dann das Gewicht abgewogener Waren ermittelt werden kann. Die Klägerin verkauft ihre Module an den Produzenten des Kassensystems, welcher das fertige Kassenprodukt an den Einzelhändler verkauft.
3Die Klägerin bringt nach Abschluss der Produktion und Prüfung des Wägemoduls in ihrem Werk, aber noch vor Auslieferung des Wägemoduls an den Einzelhandelsmarkt, ein CE-Kennzeichen sowie ein Metrologie-Kennzeichen auf dem Lastaufnehmer des Moduls an. In das Metrologie-Kennzeichen wird das Jahr der Prüfung im Werk eingetragen. Während der Prüfung im Werk wird das Produkt der Klägerin in einen Prüfstand eingebaut, der den Einbau in das spätere Kassensystem simuliert und der über eine Anzeige zur Wiedergabe des gemessenen Gewichts verfügt. Nach dieser Prüfung wird das Produkt aus dem Prüfstand ausgebaut und an den Einzelhändler versandt, wo es von einem Techniker der Klägerin an das Kassensystem angeschlossen wird. Nach Einbau des Moduls im Einzelhandelsgeschäft wird eine abschließende Prüfung vorgenommen. Zu den Einzelheiten des Anschlusses des Produkts an das Kassensystem wird auf die Ablaufbeschreibung des Konformitätsbewertungsverfahrens der Klägerin (Bl. 225-231 der Verwaltungsvorgänge) Bezug genommen.
4Für das Produkt der Klägerin besteht eine EU-Baumusterprüfbescheinigung, welche in der hier verfahrensgegenständlichen Ausführung vorsieht, dass das Wägemodul und das Softwaremodul obligatorisch zusammen vertrieben werden. Zu den weiteren Einzelheiten der Bescheinigung wird auf Bl. 158-187 der Gerichtsakte Bezug genommen. Das Herstellungs- und Überprüfungsverfahren wurde vom Regierungspräsidium Tübingen als Benannter Stelle nach Art. 19 der RL 2014/31/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend die Bereitstellung nichtselbsttätiger Waagen auf dem Markt (Waagen-RL) zertifiziert.
5Im Rahmen einer alle zwei Jahre vorgeschriebenen Nacheichung fiel dem Beklagten bei der Kontrolle eines installierten Kassensystems am 18. Februar 2019 auf, dass die Metrologie-Kennzeichnung das Jahr 2016 auswies. Er ging daher zunächst davon aus, dass eine Nacheichungspflicht bereits 2018 bestanden habe, ließ sich aber von dem Einzelhändler versichern, dass das geprüfte Kassensystem erst 2017 in Betrieb genommen worden sei.
6Der Beklagte wandte sich daraufhin zunächst mit E-Mail vom 28. Februar 2019 an den Einzelhändler und bat um Stellungnahme, weil er davon ausging, dass die Metrologie-Kennzeichnung nicht korrekt erfolgt sei. Vom Einzelhändler hierüber informiert, erwiderte die Klägerin mit E-Mail vom 13. März 2019, dass man davon ausgehe, dass das Vorgehen der Klägerin den Vorgaben der EU, dem deutschen Eichrecht und auch den Vorgaben der zum damaligen Zeitpunkt noch gültigen Bauartzulassung entspreche. Dies sei auch mit der Benannten Stelle, dem Regierungspräsidium Tübingen, abgestimmt. Hierauf antwortete der Beklagte mit E-Mail vom 14. März 2019, die vorgenommene Kennzeichnungspraxis sei unzutreffend, weil durch die Metrologie-Kennzeichnung mit 2016 suggeriert werde, dass das Kassensystem als Messgerät bereits seit 2016 allen EU-Vorgaben entspreche. Das sei unzutreffend, wenn das Wägemodul erst 2017 an das Kassensystem angeschlossen und erst damit in den Verkehr gebracht werde. Mit E-Mail vom 23. April 2019 teilte die Klägerin mit, dass sie an ihrer Rechtsauffassung festhalte und die Benannte Stelle ihr darin zustimme. Anhand des Prüfprotokolls, das während des Anschlusses des Wägemoduls an das Kassensystem ausgefüllt werde, sei das Datum des Inverkehrbringens problemlos nachvollziehbar.
7Mit E-Mail vom 28. Mai 2019 wandte sich der Beklagte an das Regierungspräsidium Tübingen als Benannter Stelle und bat um weitere Auskünfte zum Herstellungsprozess und zum Konformitätsbewertungsverfahren. Hierauf führte die Benannte Stelle mit E-Mail vom 18. Juni 2019 aus, die Konformitätsbewertung der Waage erfolge während des gesamten Produktionsprozesses, die Anerkennung erfolge nach Modul D des Anhangs II der Waagen-RL. Die Kennzeichnung werde während des Produktionsprozesses am Lastaufnehmer angebracht. Ein Inverkehrbringen erfolge nach Endabnahme im jeweiligen Einzelhandelsmarkt. Mit E-Mail vom 26. Juni 2019 erwiderte der Beklagte gegenüber der Benannten Stelle, es handle sich bei dem Produkt der Klägerin noch nicht um eine Waage, weil hierfür eine Anzeige zwingend erforderlich sei. Eine CE-Kennzeichnung dürfe erst nach bestandener Konformitätsprüfung angebracht werden. Die Klägerin bringe die Kennzeichnung jedoch schon während des Konformitätsprüfungsverfahrens an. Mit abschließender Stellungnahme vom 5. Juli 2019 legte die Benannte Stelle dar, dass ein fester Zeitpunkt für das Anbringen der Metrologie-Kennzeichnung an einer nichtselbsttätigen Waage nicht vorgeschrieben sei, wenn die Konformitätsprüfung nach Modul D des Anhangs II der Waagen-RL erfolge. Lediglich erforderlich sei, dass die Kennzeichnung vor dem Inverkehrbringen erfolge. Denn bei einer Konformitätsprüfung nach Modul D sei das Konformitätsbewertungsverfahren bereits zu jedem Zeitpunkt der Produktion abgeschlossen, weil das Produkt auf einer Baumusterprüfbescheinigung bzw. einer Bauartzulassung beruhe.
8Mit Schreiben vom 25. Juli 2019 teilte der Beklagte der Klägerin mit, er beabsichtige, eine Ordnungsverfügung gegen sie zu erlassen, und gab dieser Gelegenheit zur Stellungnahme. Mit E-Mail vom 15. August 2019 teilte die Klägerin mit, sie halte ihr Vorgehen nach wie vor für rechtskonform.
9Mit Ordnungsverfügung vom 31. Januar 2020, der Klägerin zugestellt am 4. Februar 2020, untersagte der Beklagte der Klägerin ab dem 1. April 2020, Lastaufnehmer, an denen bereits vor Abschluss einer Konformitätsbewertung die CE-Kennzeichnung oder die zusätzliche Metrologie-Kennzeichnung oder beide Kennzeichnungen zusammen angebracht wurden, in Nordrhein-Westfalen zur Herstellung von Messgeräten zu verwenden (Ziffer 1.). Für jeden Fall der Zuwiderhandlung drohte er der Klägerin die Festsetzung eines Zwangsgelds in Höhe von 1.000,00 Euro an (Ziffer 2.).
10Zur Begründung führte der Beklagte aus, durch die vor einer Konformitätsbewertung angebrachte Kennzeichnung werde in irreführender Weise suggeriert, dass die Kassenwaage mit allen Harmonisierungsvorschriften übereinstimme, obwohl dies noch nicht durch ein Verfahren bestätigt worden sei. Er könne insofern Ziffer 1. auf § 50 Abs. 2 des Mess- und Eichgesetzes (MessEG) stützen. Bei den fertigen Kassensystemen handle es sich um Messgeräte im Sinne von § 3 Nr. 13 MessEG bzw. Produkte im Sinne von § 2 Nr. 10 MessEG. Diese würden durch die erstmalige Bereitstellung auf dem Markt in Verkehr gebracht. Als Herstellerin sei die Klägerin verantwortlich dafür, dass ihre auf dem Markt bereitgestellten Messgeräte die wesentlichen Anforderungen an solche Messgeräte erfüllen. Dazu gehörten auch die erfolgreich durchgeführte Konformitätsbewertung sowie die entsprechende Kennzeichnung. Die Kassenwaagen der Klägerin würden die Metrologie-Kennzeichnung „XXXX. “ tragen, obwohl die Konformitätsbewertung erst im Jahr 2017 abgeschlossen sei. Dies verstoße gegen Nr. 2.5.1 Anhang II der Waagen-RL, weil danach die Kennzeichnung erst erfolgen dürfe, wenn das Gerät die Anforderungen der Richtlinie erfülle, was aber vor Abschluss des Konformitätsbewertungsverfahrens nicht belegt sei. Dies folge auch aus Nr. 7.2. Anhang II der Waagen-RL, welcher für ein Konformitätsbewertungsverfahren in zwei Stufen eine Kennzeichnung nach Beendigung der zweiten Stufe erfordere. Für diese Auffassung spreche auch die Rechtsprechung des EuGH. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig, weil das wirtschaftliche Interesse der Klägerin hinter den Interessen der Verbraucher an einer eindeutigen und nicht irreführenden Kennzeichnung zurückstehen müsse.
11Die Klägerin hat am 3. März 2020 Klage erhoben.
12Zur Begründung der Klage führt sie aus, der Beklagte sei bereits nicht zuständig, weil die Klägerin in Nordrhein-Westfalen nichts herstelle. Auch sei das Vorgehen des Beklagten nicht von der Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Es sei nicht ersichtlich, auf welchen Tatbestand des § 50 Abs. 2 des MessEG der Beklagte sich stütze. Der Beklagte sei Marktaufsichtsbehörde, greife aber in den Herstellungsprozess der Klägerin ein. Er mache keinen Mangel des Produkts geltend, sondern halte allein den Ablauf der Kennzeichnung für fehlerhaft. Dies sei aber nicht von den Befugnissen der Marktaufsicht erfasst. Bereits das von der Klägerin hergestellte Produkt aus Wägemodul und Softwaremodul stelle eine Waage im Rechtssinne dar, das deshalb auch nach Abschluss der Produktion im Werk zu prüfen und zu kennzeichnen sei. Da das Produkt dem Baumuster und den Fertigungsanforderungen der Benannten Stelle entspreche, sei zudem sichergestellt, dass die Anforderungen des EU-Rechts eingehalten seien. Es sei insoweit unschädlich, dass das Produkt keine eigene Anzeige habe, dies sei in der Baumusterprüfbescheinigung auch so vorgesehen. Nur diese sei Gegenstand der Konformitätsprüfung nach Ziffer 2.5.2 Anhang II der Waagen-RL. Die Konformitätsprüfung in Modul D erfolge anhand von mit der Benannten Stelle abgestimmten Qualitätssicherungsmaßnahmen im Herstellungsprozess, die die Übereinstimmung jedes Geräts mit dem Baumuster gewährleisteten. Dagegen sei Ziffer 7.2.4 Anhang II der Waagen-RL hier bereits nicht anwendbar, weil die Klägerin kein zweistufiges Konformitätsbewertungsverfahren im Sinne dieser Regelung praktiziere. Zudem verkaufe die Klägerin das Produkt nur an den Hersteller des Kassensystems, dieser verkaufe dann die fertige Kasse an die Einzelhändler. Die Verfahrensweise der Klägerin sei seit Jahren in Deutschland und Europa unbeanstandet, werde von der Benannten Stelle für rechtmäßig gehalten und auch von den Eichbehörden in Hessen und Rheinland-Pfalz toleriert. Mit den Argumenten der Benannten Stelle setze der Beklagte sich zu keinem Zeitpunkt auseinander.
13Die Klägerin beantragt,
14die Ordnungsverfügung vom 31. Januar 2020 aufzuheben.
15Der Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Er trägt vor: Mit der Ordnungsverfügung werde der Verstoß sanktioniert, dass die Klägerin die CE-Kennzeichnung zu früh anbringe. Dies dürfe erst am Ende des Herstellungsprozesses erfolgen, weil erst nach Abschluss der Herstellung eine Konformität mit den Anforderungen des EU-Rechts bestätigt werden könne. Die technische Richtigkeit des Produkts der Klägerin und des fertigen Kassensystems würden nicht in Zweifel gezogen. Der Herstellungsprozess werde aber erst mit Verbindung des Produkts und des Kassensystems abgeschlossen, weil erst dadurch ein Messgerät im Sinne des MessEG und eine Waage im Sinne der Waagen-RL entstünden. Das Produkt der Klägerin allein könne schon mangels Anzeige des gemessenen Gewichts keine Waage im Rechtssinne sein. Zudem würden Wägemodule nach der DIN EN 45.501:2014 (D) als Bestandteil einer Waage definiert. Den letzten Herstellungsschritt nehme die Klägerin durch die Verbindung beider Komponenten vor, wodurch erst die Waage hergestellt werde, sodass sie auch die Konformitätsbewertung durchzuführen habe. Auf die Verkaufsverhältnisse zwischen Klägerin, Einzelhändler und Hersteller des Kassensystems komme es insofern nicht an. Die Klägerin sei daher Herstellerin und bringe das fertige Kassensystem in den Verkehr, sodass sie die richtige Adressatin sei. Die Stellungnahme des Regierungspräsidiums Tübingen als Benannte Stelle beruhe auf der von der Klägerin genährten Fehlannahme, dass das Wägemodul bereits eine Waage darstelle. Die Baumusterprüfbescheinigung beziehe sich nicht auf das Wägemodul alleine, sondern auf die fertige Waage nach Verbindung des Moduls mit dem Kassensystem. Zudem könne sie jedenfalls nicht von der Notwendigkeit einer Anzeige befreien. Die Prüfung der Klägerin im Werk könne keine Konformitätsbewertung sein, weil dort ein Einbau in eine stationäre Anzeige erfolge, die im Werk verbleibe, sodass noch keine Waage entstehe.
18Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe
20Das Gericht hat das Rubrum von Amts wegen dahin berichtigt, dass Klagegegner das Land Nordrhein-Westfalen als Rechtsträger des Landesbetriebs Mess- und Eichwesen NRW ist. Die klägerische Benennung des Landesbetriebs Mess- und Eichwesen NRW als vorliegend handelnde Behörde ist zur Bezeichnung des Beklagten unschädlich, § 78 Abs. 1 Nr. 1 Halbs. 2 VwGO.
21Die auch im Übrigen zulässige Klage ist begründet.
22Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 31. Januar 2020 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
23Der Bescheid ist zwar formell rechtmäßig. Der Beklagte ist als Marktüberwachungsbehörde gemäß § 48 Abs. 1 MessEG i. V. m. § 1 der Verordnung über Zuständigkeiten im Mess- und Eichwesen vom 28. April 2015 für Maßnahmen nach § 50 MessEG sachlich und örtlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit wird insbesondere nicht dadurch in Frage gestellt, dass die von der Klägerin erzeugten Produkte nicht in NRW gefertigt werden, weil Ziffer 1. des Bescheids darauf gerichtet ist, die Herstellung von Messgeräten in Nordrhein-Westfalen mit diesen nach Auffassung des Beklagten unzulässig gekennzeichneten Produkten zu verhindern. Für solche Maßnahmen ist der Beklagte in Nordrhein-Westfalen örtlich zuständig, unabhängig von der materiell-rechtlich zu beurteilenden Frage, ob die Annahme des Beklagten, die Klägerin stelle in NRW Messgeräte her, zutreffend ist. Die nach § 51 Abs. 2 S. 1 MessEG i. V. m. § 28 Abs. 1 VwVfG NRW erforderliche Anhörung hat mit der gesetzlich geforderten Anhörungsfrist von mindestens 10 Tagen stattgefunden.
24Der Bescheid ist jedoch materiell rechtswidrig. Der Beklagte konnte Ziffer 1. des Bescheids nicht auf § 50 Abs. 1, Abs. 2 MessEG stützen. Danach treffen die Marktüberwachungsbehörden die erforderlichen Maßnahmen, wenn sie den begründeten Verdacht haben, dass Messgeräte die Anforderungen nach Abschnitt 2 des MessEG nicht erfüllen. Entsprechende Maßnahmen sind gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 MessEG gegen den betroffenen Wirtschaftsakteur zu richten. Diese Voraussetzungen lagen für ein marktaufsichtsrechtliches Einschreiten gegenüber der Klägerin nicht vor. Ein Produkt im Sinne dieser Vorschriften liegt bereits in Form der von der Klägerin hergestellten Kombination aus Wäge- und Softwaremodul vor (I.). Diese entspricht jedoch den Anforderungen nach § 50 Abs. 2, Abs. 1 MessEG, auch wenn das eingebaute Wägemodul bereits vor der Verbauung in das Kassensystem mit einem CE-Kennzeichen und einem Metrologie-Kennzeichen versehen wurde (II.)
25I.
26Zum marktaufsichtsrechtlichen Einschreiten ist nach § 50 Abs. 2 MessEG ein begründeter Verdacht hinsichtlich eines Produkts erforderlich. Gemäß § 2 Nr. 10 MessEG ist ein Produkt ein Messgerät, ein sonstiges Messgerät, eine Fertigpackung oder eine andere Verkaufseinheit. Die von der Klägerin produzierten Kombinationen aus Wäge- und Softwaremodulen stellen Messgeräte im Sinne dieser Vorschrift dar, obwohl sie ohne den Anschluss an das Kassensystem eines Dritten für sich über keine technische Möglichkeit verfügen, die ermittelte Masse anzuzeigen.
27Bei einem Messgerät handelt es sich um ein Gerät oder System von Geräten mit einer Messfunktion einschließlich Maßverkörperungen, die jeweils zur Verwendung im geschäftlichen oder amtlichen Verkehr zur Durchführung von Messungen im öffentlichen Interesse bestimmt sind, § 3 Nr. 13 MessEG. Der Legaldefinition lässt sich insoweit kein Anhalt dafür entnehmen, dass der Gesetzgeber davon ausgegangen ist, dass ein Messgerät stets über eine eigene Anzeige verfügen müsse. Soweit ein Messgerät über eine Messfunktion verfügen muss, ist zwar mindestnotwendige Fähigkeit eines Messgeräts, einen konkreten Wert bestimmen zu können. Damit ist jedoch keine unmittelbare Notwendigkeit dafür begründet, dass das Messgerät auch selbst in der Lage sein muss, den ermittelten Wert visuell wahrnehmbar zu reproduzieren. Etwas anderes ergibt sich, anders als der Beklagte vorträgt, auch nicht aus der Formulierung „einschließlich Maßverkörperungen“, weil es sich bei Maßverkörperungen im Sinne des MessEG nicht um eine Anzeige für ermittelte Messergebnisse handelt. Unter Maßverkörperungen versteht das Mess- und Eichrecht gemäß § 3 Nr. 11 MessEG Vorrichtungen, die selbst unter den Begriff des Messgeräts fallen und mit denen während der Benutzung ein oder mehrere bekannte Werte einer gegebenen Größe permanent reproduziert oder bereitgestellt werden. Schon aus der Festlegung, dass Maßverkörperungen selbst Messgeräte sind, wird deutlich, dass damit keine Anzeige als Bestandteil eines Messgeräts gemeint sein kann, weil eine isolierte Anzeige selbst kein Messgerät sein kann. Der Gesetzgeber hat als Maßverkörperungen vielmehr insbesondere Ausschankmaße im Blick gehabt; Beispiele hierfür wären aber auch Maßbänder oder Gewichtsstücke.
28Vgl. Hollinger, in: Hollinger/Schade, MessEG/MessEV, 1. Aufl. 2015, MessEG § 3 Rn. 22.
29Für diese Auslegung spricht systematisch auch die Definition des Begriffs „Zusatzeinrichtung zu einem Messgerät“, § 3 Nr. 24 MessEG. Danach ist eine Zusatzeinrichtung zu einem Messgerät eine mit einem Messgerät verbundene Einrichtung, die für die Funktionsfähigkeit des Messgeräts selbst nicht erforderlich ist und zu einem der in § 3 Nr. 24 lit. a) – d) MessEG bestimmten Zwecke verwendet wird. Zu den danach zulässigen Zwecken einer Zusatzeinrichtung gehört gemäß § 3 Nr. 24 lit. b) MessEG die erstmalige Speicherung oder Darstellung von Messergebnissen zum Zweck des Verwendens von Messwerten oder von Daten über die elektronische Steuerung des Messgeräts. Daraus ergibt sich, dass die Fähigkeit zur Darstellung von Messergebnissen vom Gesetzgeber nicht als mindestnotwendige Fähigkeit eines Messgeräts angesehen wird, weil eine Zusatzeinrichtung gerade dadurch definiert wird, dass diese für die Funktionsfähigkeit des Messgeräts nicht erforderlich ist. Das wird bestätigt durch die Gesetzesbegründung. In der amtlichen Begründung zum Gesetzesentwurf der Bundesregierung heißt es hierzu:
30„Durch Buchstabe b werden Einrichtungen erfasst, die dem Nachweis oder der Sicherung der Messergebnisse dienen, wie etwa Datenspeicher, Anzeigen oder Drucker. […] Soweit es sich dabei jeweils lediglich um wiederholende Maßnahmen handelt, besteht kein Regelungsbedürfnis. Dem wird mit dem Tatbe-standsmerkmal „erstmalig“ Rechnung getragen.“
31BT-Drucks. 17/12727, S. 39.
32Auch dort wird nochmal betont, dass Anzeigen Zusatzeinrichtungen von Messgeräten darstellen können. Insbesondere ergibt sich hieraus, dass mit solchen Anzeigen keine Zweit- oder Zusatzanzeigen gemeint sind, sondern die erstmalige Anzeige eines Messergebnisses, weil der Gesetzgeber klargestellt hat, dass hinsichtlich wiederholender Maßnahmen kein Regelungsbedürfnis gesehen wird.
33Nach den vorgelegten Maßstäben ist das Produkt der Klägerin als Messgerät im Sinne des MessEG anzusehen. Es verfolgt eine Messfunktion, nämlich die Bestimmung der Masse (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 der Verordnung über das Inverkehrbringen und die Bereitstellung von Messgeräten auf dem Markt sowie über ihre Verwendung und Eichung – MessEV), und ist zur Verwendung im geschäftlichen Verkehr, nämlich zum Abwiegen und zur Preisbestimmung von Waren im Rahmen des Einzelhandels bestimmt. Ob dieses Messgerät den an nichtselbsttätige Waagen zu stellenden materiellen Anforderungen genügt und insofern selbst über eine Anzeige verfügen müsste, ist eine von dem bloßen Vorliegen eines Messgeräts im Sinne des Mess-EG zu unterscheidende Frage (dazu sogleich II. 1.).
34II.
35Es ist nicht ersichtlich, dass die Produkte der Klägerin nicht den in Abschnitt 2 des MessEG geregelten Anforderungen entsprechen. Weder liegt ein materieller Verstoß gegen die maßgeblichen Anforderungen an nichtselbsttätige Waagen vor (dazu 1.), noch hat die Klägerin in erheblicher Weise gegen Verfahrensvorschriften hinsichtlich des Konformitätsbewertungsverfahrens verstoßen (dazu 2.).
361.
37Zu den nach Abschnitt 2 des MessEG einzuhaltenden wesentlichen Anforderungen gehören insbesondere die Anforderungen, die in einer Rechtsverordnung nach § 30 Nr. 1 MessEG festgelegt werden, § 6 Abs. 2 Nr. 1 MessEG. Die auf der Grundlage von § 30 Nr. 1 MessEG erlassene MessEV bestimmt hinsichtlich nichtselbsttätiger Waagen, dass diese nicht den allgemeinen Anforderungen des § 7 Abs. 1 MessEV unterworfen werden (§ 7 Abs. 2 MessEV), sondern dass sie gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 11, Abs. 3 MessEV seit dem 19. April 2016 ausschließlich den sich aus Anlage 3 Tabelle 1 Spalte 3 der MessEV ergebenden Anforderungen genügen müssen. Anlage 3 Tabelle 1 Spalte 3 der MessEV bestimmt, dass die wesentlichen Anforderungen sich aus Anhang I der Waagen-RL ergeben. Es handelt sich dabei um eine abschließende Sonderregelung, die darauf beruht, dass in der Waagen-RL Anforderungen an nichtselbsttätige Waagen für den gesamten Binnenmarkt formuliert werden, die nicht durch nationale Regelungen umgangen werden dürfen.
38Vgl. BR-Drucks 493/14, S. 140 f.; Kieninger/Schade, in: Hollinger/Schade, MessEG/MessEV, 1. Aufl. 2015, MessEV § 7 Rn. 2.
39Der Beklagte macht selbst nicht geltend, dass die Produkte der Klägerin in irgendeiner Form nicht den materiellen Anforderungen entsprechen, die sich aus Anhang I der Waagen-RL ergeben.
40Ein Verstoß ergibt sich insbesondere auch nicht daraus, dass die verfahrensgegenständliche Kombination aus Wäge- und Softwaremodul nicht selbst über eine Anzeige verfügt, sondern hierfür den Anschluss einer Zusatzeinrichtung in Form des Kassensystems eines Dritten benötigt. Es bedarf hier auch keiner abschließenden Entscheidung, ob das Produkt der Klägerin für sich alleine bereits begrifflich eine Waage im Sinne der Waagen-RL darstellt oder ob hierfür zwingend der Anschluss einer Anzeige erforderlich ist.
41Zwar spricht einiges dafür, dass die Waagen-RL – anders als das MessEG hinsichtlich Messgeräten – davon ausgeht, dass nichtselbsttätige Waagen – jedenfalls zum Zeitpunkt ihres Inverkehrbringens und ihrer Nutzung zur Bestimmung der Masse – über eine Anzeige verfügen müssen. Dafür sprechen verschiedene Regelungen in Anhang I der Waagen-RL. So ist in der Vorbemerkung zu Anhang I Waagen-RL geregelt, dass bei mehreren Anzeige- oder Druckeinrichtungen unter den dort genannten Voraussetzungen die wesentlichen Anforderungen nicht für diejenigen Einrichtungen gelten, die das Ergebnis nur wiederholen. Ziffer 9. UAbs. 1 Anlage I der Waagen-RL bestimmt, dass die Anzeige der Wägeergebnisse und sonstiger Gewichtswerte richtig und eindeutig sein muss und nicht irreführen darf. Der angezeigte Wert muss unter normalen Verwendungsbedingungen leicht ablesbar sein. All dies setzt denknotwendig voraus, dass eine nichtselbsttätige Waage über eine Anzeige verfügt.
42Allein aus der Tatsache, dass das Produkt der Klägerin nicht über eine eigenständige Anzeige verfügt, folgt jedoch nicht, dass es allein deshalb materiell den Anforderungen der Waagen-RL nicht entspricht. Denn das Produkt der Klägerin ist von vornherein darauf ausgerichtet, später mit der Anzeige des Herstellers des Kassensystems verbunden und nur mit dieser zusammen als Waage in einem Einzelhandelsmarkt eingesetzt zu werden. In dem Zeitpunkt, in dem das Produkt auf dem Markt zur Bestimmung der Masse für Zwecke des geschäftlichen Verkehrs (Art. 1 Abs. 2 lit. b) Waagen-RL) eingesetzt wird, verfügt es durch den Zusammenschluss mit dem Kassensystem auch über eine eigene Anzeige.
432.
44Die Klägerin begeht durch die Kennzeichnung ihrer Wägemodule noch vor der Verbindung mit den Komponenten des Kassensystems auch keinen wesentlichen Fehler hinsichtlich des Konformitätsbewertungsverfahrens.
45Zu den Voraussetzungen des Inverkehrbringens eines Messgeräts gehören nicht nur die Wahrung der wesentlichen Anforderungen nach § 6 Abs. 2 MessEG, sondern auch die erfolgreiche Durchführung eines Konformitätsbewertungsverfahrens und die Bestätigung dieser Konformität durch ein bestimmtes Kennzeichen, § 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 3 und Abs. 4 MessEG. Sinn und Zweck des Konformitätsbewertungsverfahrens ist es, die Übereinstimmung des Messgeräts mit den maßgeblichen Anforderungen im Sinne des § 6 Abs. 2 MessEG zu bestätigen. Die näheren Einzelheiten zum Konformitätsbewertungsverfahren, zu den dabei nach dem Willen des Gesetzgebers zu beachtenden Verfahrensvorschriften,
46vgl. BT-Drucks. 17/12727, S. 41,
47und den anzubringenden Kennzeichen werden durch die MessEV bestimmt. Ein erfolgreiches Konformitätsbewertungsverfahren setzt danach auch voraus, dass die wesentlichen Verfahrensvorschriften zur Durchführung der Konformitätsbewertung gewahrt werden. Denn diese Verfahrensvorschriften dienen der Sicherung der Eignung des Konformitätsbewertungsverfahrens, die Übereinstimmung des Messgeräts mit den wesentlichen materiellen Anforderungen an das jeweilige Messgerät zu prüfen. Ein Verstoß gegen Verfahrensvorschriften hinsichtlich der Konformitätsbewertung ist vor diesem Hintergrund jedenfalls dann als erheblich zu bewerten, wenn durch den Verfahrensverstoß diese Eignung des Konformitätsbewertungsverfahrens nicht gewährleistet ist.
48Ein nach diesem Maßstab als erheblich zu bewertender Verstoß gegen zwingende Vorschriften des Verfahrensrechts hinsichtlich der Konformitätsbewertung und der Kennzeichnung liegt seitens der Klägerin nicht vor. Ein solcher Verstoß ist insbesondere nicht darin zu erblicken, dass die Klägerin noch vor dem Anschluss an das Kassensystem beim Einzelhändler in ihrem Werk auf ihren Wägemodulen die CE-Kennzeichnung und die Metrologie-Kennzeichnung anbringt. Die Klägerin kann ihr Produkt bereits im Werk auf die Übereinstimmung mit den wesentlichen Anforderungen überprüfen, obwohl die Testanzeige im Werk nicht mit der später im Einzelhandelsmarkt verwendeten Anzeige übereinstimmt, weil ihr Konformitätsbewertungsverfahren die Übereinstimmung des Endprodukts mit hinreichender Sicherheit gewährleistet (a). Sinn und Zweck der CE- sowie der Metrologie-Kennzeichnung sind es, als Erklärung des Herstellers die Konformität eines Produkts gegenüber dem Rechtsverkehr zu bestätigen, wofür es ebenfalls nicht erforderlich ist, die Kennzeichnungen erst im Einzelhandelsmarkt anzubringen (b). Die Systematik der Verfahrensvorschriften zum Konformitätsbewertungsverfahren legt nahe, dass zumindest in einem Konformitätsbewertungsverfahren nach Modul D der Waagen-RL diese Kennzeichen gerade nicht immer unmittelbar als letzter Schritt vor dem Inverkehrbringen der Waage angebracht werden müssen (c). Auch aus den Vorgaben zu den verschiedenen Kennzeichen lässt sich vor diesem Hintergrund kein zwingender Schluss darüber ableiten, dass diese stets als letzter Schritt unmittelbar vor dem Inverkehrbringen anzubringen sind (d). Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zur Rechtsprechung des EuGH (e).
49a)
50Das von der Klägerin durchgeführte Konformitätsbewertungsverfahren ist nach der Überzeugung der Kammer geeignet, die Übereinstimmung sowohl ihres Produkts als auch des späteren Kassensystems mit den wesentlichen Anforderungen der Waagen-RL zu gewährleisten. Die Klägerin hat im Einzelnen dargelegt, wie die Überprüfung ihres Produkts im Werk vor der Anbringung der Kennzeichnung erfolgt. Das Wäge- und das Softwaremodul, die in der verfahrensgegenständlichen Ausführung des Produkts obligatorisch zusammengehören (Ausführung 1, vgl. S. 10 der gegenwärtig gültigen Baumusterprüfbescheinigung, Bl. 160 d. A.), werden noch im Werk der Klägerin mit einem Teststand verbunden und dort auf die Einhaltung der nach der Waagen-RL vorgeschriebenen messtechnischen Eigenschaften überprüft. Dieser Teststand verfügt über eine Anzeige zur Wiedergabe der gemessenen Testgewichte. Hierbei wird der Einbauzustand in das spätere Kassensystem simuliert und das Produkt bereits auf den späteren Verwendungsort justiert (vgl. zu den Einzelheiten die von der Klägerin vorgelegte Ablaufbeschreibung, Bl. 220-223 d. A.).
51Schon im Rahmen dieser Prüfung wird das Produkt der Klägerin also mit einer Anzeige verbunden und erfüllt jedenfalls im Zeitpunkt der Prüfung auch nach den Anforderungen des Beklagten alle Voraussetzungen, um als Waage im Sinne der Waagen-RL zu gelten. Es kann daher auch in diesem Zeitpunkt auf seine Konformität als Waage bewertet werden.
52Während dieser Prüfung werden das CE- und das Metrologie-Kennzeichen angebracht. Nach dem Ausbau aus dem Prüfstand wird das Produkt an den Einzelhändler versandt und dort von einem autorisierten Techniker der Klägerin nach einem ebenfalls feststehenden und zertifizierten Verfahren mit dem Kassensystem des Einzelhändlers verbunden und abschließend geprüft (vgl. hierzu die Ablaufbeschreibung Konformitätsbewertungsverfahren Aldi-Süd, Bl. 225-231 der Verwaltungsvorgänge).
53Soweit der Beklagte gegen dieses Verfahren einwendet, die Prüfung im Werk beziehe sich auf eine andere Anzeige als die, die letztlich beim Einzelhändler zur Anzeige des gemessenen Gewichts verwendet werde, weil die geprüfte Anzeige im Teststand verbleibe, begründet dieser Einwand keine Bedenken gegen die Eignung des Konformitätsbewertungsverfahrens.
54Es ist nicht ersichtlich, dass die Anzeige, die mit dem Produkt der Klägerin jedenfalls eine Waage im Sinne der Waagen-RL bildet, den materiellen Anforderungen der Waagen-RL hinsichtlich der Anzeigengenauigkeit und -erkennbarkeit nicht entsprechen würde. Auch der Beklagte bewertet das Gesamtprodukt aus Wäge- und Softwaremodul einerseits und Kassensystem andererseits als materiell ordnungsgemäß. Hinzu kommt, dass nach den unbestrittenen Angaben der Klägerin auch das Kassensystem des dritten Herstellers von der PTB auf Richtlinienkonformität überprüft wurde und dem Hersteller des Kassensystems hierfür ein Prüfschein der PTB erteilt wurde. Unabhängig von der vom Beklagten aufgeworfenen Frage, ob die PTB zur Erteilung solcher Prüfscheine berechtigt ist und unabhängig davon, dass der Erteilung von Prüfscheinen und Baumusterprüfbescheinigungen jedenfalls keine Tatbestandswirkung hinsichtlich der Feststellung der Richtlinienkonformität eines Produkts zukommt,
55vgl. zur rechtlichen Bedeutung einer Baumusterprüfbescheinigung das Urteil der erkennenden Kammer vom gleichen Tag im Verfahren 1 K 2672/20,
56so kann dem Prüfschein jedenfalls die Angabe der PTB als in der Sache sachverständiger Stelle entnommen werden, dass die Anzeige des Kassensystems nach ihrer technischen Bewertung keine materiellen Mängel im Sinne der Waagen-RL aufweist. Da der Beklagte ebenfalls nichts anderes behauptet, ist davon auszugehen, dass das fertige Kassenprodukt den materiellen Anforderungen der Waagen-RL auch hinsichtlich der Vorgaben zur Anzeige einer Waage entspricht.
57Dabei ist auch zu beachten, dass es sich sowohl bei dem Produkt der Klägerin als auch den später mit diesem verbundenen Kassensystemen um industriell gefertigte Serienprodukte handelt. Hinzu kommt, dass die wesentlichen Elemente der späteren Waage ausschließlich im Werk der Klägerin gefertigt werden. Dies betrifft das Wägemodul als eigentliches die Masse bestimmendes Element sowie das Softwaremodul, das die vom Wägemodul ermittelten Daten auswertet, speichert und über eine nach der unbestrittenen Angabe der Klägerin rückwirkungsfreie Schnittstelle auf einen externen Monitor überträgt. Eine rückwirkungsfreie Schnittstelle ist eine solche, über die Messwerte eines Messgeräts nicht verfälscht werden können und über die keine Funktionen ausgelöst werden können, die einen Messwert verfälschen, vgl. § 6 Nr. 13 MessEV. Die wesentlichen Datenverarbeitungsvorgänge laufen also geschlossen im Produkt der Klägerin ab und können durch den Anschluss einer externen Anzeige nicht – jedenfalls nicht ohne weiteres – verfälscht werden.
58Vgl. zur Funktion rückwirkungsfreier Schnittstellen allgemein AG Tübingen, Urteil vom 4. November 2020 – 16 OWi 19 Js 1386/20 –, juris Rn. 24-26; Hollinger, in: Hollinger/Schade, MessEG/MessEV, 1. Aufl. 2015, MessEV § 6 Rn. 26.
59Der „Wechsel“ zwischen der Anzeige im Prüfstand der Klägerin und der Anzeige im – ebenfalls konformitätsüberprüften – Kassensystem eines Dritten stellt danach vereinfacht gesprochen den Austausch eines serienmäßig hergestellten Teils dar, der keine Auswirkungen auf die messtechnischen Eigenschaften des Endprodukts hat, und ist insofern mit dem Einbau eines Ersatzteils zu vergleichen.
60Maßgeblich kommt hinzu, dass auch der Anschluss dieser späteren im Einzelhandelsmarkt verwendeten Anzeige ausschließlich durch einen Techniker der Klägerin erfolgt, der eine abschließende Prüfung des Endprodukts vornimmt. Das Konformitätsbewertungsverfahren der Klägerin sieht dabei explizit vor, dass bei Störungen oder Problemen des Geräts das weitere Verfahren mit konkreten Ansprechpartnern der Klägerin weiter abgestimmt wird. Es sind damit verfahrensmäßige Schritte vorgesehen, die ein Einschreiten der Klägerin gewährleisten, sollten zwischen der Prüfung und Kennzeichnung im Werk und der endgültigen Inbetriebnahme des Gesamtprodukts im Verkehr Fehler auftreten, die eine Übereinstimmung der Waage mit den maßgeblichen Anforderungen im Sinne des § 6 Abs. 2 MessEG in Frage stellen. Bei Einhaltung dieses Verfahrens sieht die Kammer kein rechtlich relevantes Risiko, dass ein von der Klägerin gekennzeichnetes Produkt im Einzelfall materiell fehlerhaft in Verkehr gebracht wird.
61Soweit der Prozessbevollmächtigte des Beklagten hiergegen in der mündlichen Verhandlung eingewandt hat, durch dieses Verständnis werde der Manipulation Tür und Tor geöffnet, weil die Waage nicht mit dem später verwendeten Bildschirm gekennzeichnet worden sei, ist eine solche Gefahr bei Einhaltung des oben beschriebenen Verfahrens nach der Überzeugung der Kammer nicht gegeben. Spätere Manipulationen oder Veränderungen des Kassensystems nach Kennzeichnung, aber vor dem Inverkehrbringen durch die Klägerin oder Dritte würden zunächst einen Verstoß gegen das Konformitätsbewertungsverfahren der Klägerin darstellen. Solche auf bewusstem menschlichem Fehlverhalten oder auf menschlichem Versagen beruhende Verstöße können aber schon dem Grunde nach durch Verfahrensvorschriften nur eingedämmt, nicht aber ausgeschlossen werden. Sie wären vor allem auch dann nicht ausgeschlossen, wenn die Forderung des Beklagten erfüllt würde, dass die Kennzeichnung erst nach der Installation beim Einzelhändler erfolgen würde. Denn bei entsprechendem manipulativem Willen wäre weder die Klägerin noch ein Dritter daran gehindert, nach der dann erfolgten Kennzeichnung noch Manipulationen vorzunehmen. Solchem Fehlverhalten im Einzelfall kann nicht mittels des Konformitätsbewertungsverfahrens, sondern muss mit den Mitteln des Rechts der Marktüberwachung und gegebenenfalls des Ordnungswidrigkeiten- und Strafrechts begegnet werden.
62b)
63Angesichts dessen ist die Vorgehensweise der Klägerin hinsichtlich der Anbringung ihrer Kennzeichen auch mit dem Sinn und Zweck der Kennzeichnungspflichten zu vereinbaren. Sinn und Zweck der CE-Kennzeichnung gebieten es nicht, die Kennzeichnung erst als letzten Schritt des Herstellungsprozesses unmittelbar vor dem Inverkehrbringen des Produkts anzubringen.
64Mit der CE-Kennzeichnung erklärt der Hersteller, dass ein Gerät den anwendbaren Anforderungen genügt, vgl. Art. 2 Nr. 19 Waagen-RL. Die Verantwortung für die Konformität eines Geräts mit den an das jeweilige Gerät zu stellenden Anforderungen trägt der Hersteller, vgl. § 23 Abs. 3 S. 2 MessEG und Art. 30 Abs. 3 VO (EG) 765/2008 (Akkreditierungs-VO).
65Diese gesetzliche Systematik ist allgemein im Lichte des europäischen „neuen Ansatzes“ („New Approach“) zu verstehen, der zugunsten einer Harmonisierung des Binnenmarktes und zur Beseitigung technischer Handelshemmnisse einen Verzicht auf staatliche Ex-ante-Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen von Produkten vorsieht.
66Vgl. hierzu BT-Drs. 17/12727 S. 31; Hoffmann/Hollinger/Schade, in: Hollinger/Schade, MessEG/MessEV, 1. Aufl. 2015, Einführung Rn. 7.
67Hierdurch wird den Herstellern zugleich eine höhere Verantwortung hinsichtlich der Konformität ihrer Produkte eingeräumt. Sie haben im Rahmen ihrer Produktion Verfahren zu entwickeln und zertifizieren zu lassen, die zu einer Übereinstimmung ihrer Produkte mit den wesentlichen Anforderungen an das jeweilige Produkt führen. Mit dieser Stärkung der Herstellerverantwortung und der Zurückdrängung staatlicher Genehmigungsverfahren geht einher, dass grundsätzlich Möglichkeiten der Produktmanipulation erleichtert werden. Da es sich bei der CE-Kennzeichnung um eine Eigenerklärung des Herstellers handelt, liegt es grundsätzlich in der Verantwortung des Herstellers, die Konformität seiner Produkte sicherzustellen. Bringt er die Kennzeichnung bereits vor dem endgültigen Abschluss der Produktion an, so geht er auch das Risiko ein, dass das von ihm bereits gekennzeichnete Produkt im weiteren Herstellungsprozess noch fehlerhaft wird und er für seine dann falsche Erklärung in Anspruch genommen wird. In einem solchen Fall muss das weitere Konformitätsbewertungsverfahren geeignete Schritte vorsehen, um späteren Fehlern vorzubeugen, was hier wie dargelegt der Fall ist.
68Dies führt auch nicht zu einer Umgehung oder unvertretbaren Schwächung der Marktüberwachung. Die Übertragung von Rechten und Pflichten auf die Wirtschaftsakteure im Rahmen des „New Approach“ korreliert mit den gesetzlichen Regelungen zur Marktüberwachung, welche die zuständige Behörde in die Lage versetzen zu überprüfen, ob die gesetzlich festgelegten Anforderungen tatsächlich erfüllt werden. Die Marktüberwachungsbehörde prüft dabei nicht lediglich, ob eine Baumusterprüfbescheinigung bzw. eine Konformitätserklärung vorliegt, sondern ob das Messgerät die Anforderungen nach Abschnitt 2 des MessEG insgesamt erfüllt. Insofern haben weder die Baumusterprüfbescheinigung noch die mit der CE-Kennzeichnung verbundene Erklärung der Richtlinienkonformität des Herstellers die Kontrollbefugnisse der Behörden beschränkende Wirkung.
69Vgl. zur Reichweite einer Baumusterprüfbescheinigung hinsichtlich der Feststellung der Produktkonformität das Urteil der erkennenden Kammer vom gleichen Tag im Verfahren 1 K 2672/20.
70Im konkreten Fall besteht insofern insbesondere hinsichtlich der Feststellung der Eichfristen nach § 34 MessEV kein Risiko einer Irreführung der Marktüberwachungsbehörden. Maßgeblich für den Beginn der Eichfrist ist der Zeitpunkt des Inverkehrbringens, § 37 Abs. 1 S. 2 MessEG. Nach § 34 Abs. 2 S. 2 MessEV wird zwar vermutet, dass das Messgerät in dem Jahr in Verkehr gebracht wurde, in dem es nach § 14 MessEV gekennzeichnet wurde. Es handelt sich jedoch um eine widerlegliche Vermutung.
71Vgl. Schade in: Hollinger/Schade, MessEG/MessEV, 1. Aufl. 2015, MessEV § 34 Rn. 40.
72Bereits daraus folgt, dass der Zeitpunkt der Kennzeichnung nicht unmittelbar vor dem Inverkehrbringen liegen muss. Denn wäre das der Fall, so hätte es keiner Vermutung bedurft, weil feststünde, dass der Zeitpunkt des Inverkehrbringens in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Zeitpunkt der Kennzeichnung stünde. Bereits die Tatsache, dass es sich um eine widerlegliche Vermutung handelt, zeigt also, dass der Verordnungsgeber erkannt hat, dass das Jahr der Kennzeichnung und das Jahr des Inverkehrbringens zwar zusammenfallen können, nicht aber zusammenfallen müssen
73So auch Schade, in: Hollinger/Schade, MessEG/MessEV, 1. Aufl. 2015, MessEV § 34 Rn. 40; Burrer, GewArch 2015, 481, 486.
74Dementsprechend muss auch der Marktaufsichtsbehörde bekannt sein, dass die im Metrologie-Kennzeichen eingetragene Jahreszahl von dem Zeitpunkt des Inverkehrbringens abweichen kann. Dies führt auch nicht zu erheblichen Einschränkungen der praktischen Kontrollmöglichkeiten des Beklagten. Das Jahr des Inverkehrbringens kann hinsichtlich der Produkte der Klägerin aus dem während der Endprüfung im Einzelhandelsmarkt anzubringenden Etikett (vgl. Punkt 11 der Ablaufbeschreibung Konformitätsbewertungsverfahren Aldi-Süd, Bl. 230 der Verwaltungsvorgänge) entnommen werden. Auch die Tatsache, dass die hessischen und rheinland-pfälzischen Eichbehörden in Abstimmung mit der Klägerin einen Weg gefunden haben, das Jahr des Inverkehrbringens in der Vollzugspraxis unabhängig vom Metrologie-Kennzeichen festzustellen, bestätigt diese Annahme (vgl. die E-Mail des rheinland-pfälzischen Landesamts für Mess- und Eichwesen vom 8. November 2018, Bl. 120 d. A.).
75Auch der Verbraucherschutz gebietet keine andere Handhabung hinsichtlich des Zeitpunkts der CE-Kennzeichnung und der Metrologie-Kennzeichnung. Es ist nicht ersichtlich, dass die Praxis der Klägerin, die Kennzeichnung bereits auf den Wägemodulen in ihrem Werk anzubringen, in irgendeiner Form zu einer Irreführung des Geschäftsverkehrs über die Konformität des – materiell unstrittig mängelfreien – Produkts der Klägerin führen könnte. Soweit der Beklagte in der Ordnungsverfügung vom 31. Januar 2020 argumentiert, durch die vorherige Kennzeichnung werde irreführenderweise suggeriert, dass Konformität bestehe, obwohl dies noch nicht durch ein Verfahren bestätigt worden sei (Bl. 4 d. A.) und dass ein Interesse der Verbraucher an einer eindeutigen Kennzeichnung bestehe, ist hier eine Gefährdung von Verbraucherinteressen nicht erkennbar. Selbst wenn man insofern davon ausginge, dass Verbraucher die CE-Kennzeichnung auf einer Kassenwaage bei einem Einzelhändler wahrnehmen, so ist das Konformitätsbewertungsverfahren jedenfalls hinsichtlich der Produkte der Klägerin zum Zeitpunkt der erstmaligen geschäftlichen Verwendung als Waage vollständig abgeschlossen. Die Ablaufbeschreibung des Konformitätsbewertungsverfahrens der Klägerin sieht zwingend vor, dass vor der Übergabe des zusammengebauten Kassensystems an den Einzelhändler das ordnungsgemäße Funktionieren der Waage durch einen Techniker der Klägerin überprüft wird (vgl. Bl. 225 ff. der Verwaltungsvorgänge). Vor dem Inverkehrbringen des Produkts und seiner Verwendung als Waage im Einzelhandelsmarkt kann eine Irreführung der Verbraucher aber nicht erfolgen. Da materielle Mängel hinsichtlich des Produkts der Klägerin nicht erkennbar sind, beruht das von der Beklagten geforderte Anbringen der Kennzeichnungen erst nach dieser letzten Überprüfung auf rein formalistischen Erwägungen und ist zum Schutz der Verbraucher oder allgemein des Geschäftsverkehrs jedenfalls nicht geboten.
76c)
77Hinzu kommt, dass die Systematik der Verfahrensvorschriften zum Konformitätsbewertungsverfahren ebenfalls dafür spricht, dass ein zwingender Kennzeichnungszeitpunkt nicht pauschal vorgeschrieben werden soll.
78Der Beklagte argumentiert, dass durch das CE-Kennzeichen und die Metrologie-Kennzeichnung bestätigt werde, dass das Messgerät den wesentlichen Anforderungen entspreche. Dies könne erst nach Fertigstellung des Geräts geschehen, sodass auch erst dann die Kennzeichnung angebracht werden dürfe. Dahinter steht die Vorstellung, dass erst nach dem Abschluss des Herstellungsprozesses die volle Übereinstimmung des Produkts mit den wesentlichen Anforderungen geprüft werden kann. Dieser im Grundsatz nachvollziehbare Ansatz ist jedoch für die Konformitätsprüfung nichtselbsttätiger Waagen nicht in jedem Fall zutreffend, weil er nicht dem europarechtlich determinierten Konformitätsbewertungssystem entspricht.
79§ 9 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1 MessEV bestimmt, dass die Konformität eines Messgeräts mit den wesentlichen Anforderungen an das Messgerät durch ein Konformitätsbewertungsverfahren gemäß Anlage 4 der MessEV bestätigt wird. Gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 MessEV sind für die in § 8 MessEV genannten Messgeräte diejenigen Konformitätsbewertungsverfahren anzuwenden, die in Anlage 3 Tabelle 1 Spalte 4 der MessEV benannt sind. Für nichtselbsttätige Waagen im Sinne von § 8 Abs. 1 Nr. 11 MessEV wird in Anlage 3 Tabelle 1 Spalte 4 der MessEV bestimmt, dass zulässige Konformitätsbewertungsverfahren die in Anlage 4 der MessEV geregelten Module B und F oder B und D oder G sind. Der Hersteller hat insofern die Wahl, welche der angebotenen drei Kombinationen er als geeignet zur Prüfung der Konformität bewertet.
80Vgl. BR-Drucks. 493/14, S. 142.
81Die Klägerin wendet für das verfahrensgegenständliche Produkt die Module B und D an. Jedenfalls in einem Konformitätsbewertungsverfahren, das aus diesen beiden Modulen zusammengesetzt ist, gibt es keinen tragenden Grund, warum CE-Kennzeichnung und der Metrologie-Kennzeichnung erst unmittelbar vor dem Inverkehrbringen angebracht werden dürften.
82Wählt ein Hersteller zur Konformitätsbewertung einer nichtselbsttätigen Waage die Kombination aus den Modulen B und D, so hat er zunächst (Modul B) einen technischen Entwurf der herzustellenden Waage zu erstellen und einer hierfür notifizierten Stelle vorzulegen. Diese prüft und bescheinigt, dass der Entwurf den für das Gerät geltenden Anforderungen der Waagen-RL entspricht, vgl. Ziffer 1.1 Anhang II der Waagen-RL. Für diesen Entwurf wird sodann eine Baumusterprüfbescheinigung erteilt, vgl. Ziffer 1.6 Anhang II der Waagen-RL.
83Als weiteren Teil der Konformitätsbewertung hat der Hersteller in Zusammenarbeit mit der notifizierenden Stelle ein Qualitätssicherungssystem bezogen auf den Produktionsprozess zu entwickeln. Dieses Qualitätssicherungssystem muss gewährleisten, dass die einzelnen Produkte am Ende des Prozesses mit dem von der notifizierten Stelle bescheinigten Baumuster übereinstimmen. Ziffer 2. (Modul D) Anhang II der Waagen-RL regelt sowohl die Anforderungen an das Qualitätssicherungssystem als auch die Überwachung der Einhaltung des Systems durch die notifizierende Stelle.
84Liegt ein diesen Anforderungen genügendes Qualitätssicherungssystem vor und ist nicht ersichtlich, dass der Hersteller gegen die Anforderungen des eigenen Qualitätssicherungssystems verstößt, besteht kein Grund, warum eine Kennzeichnung des einzelnen Produkts zwingend unmittelbar vor dem Inverkehrbringen erfolgen muss. Insbesondere lässt sich aus den einzelnen Regelungen der Waagen-RL zur Konformitätsbewertung nicht ableiten, dass der europäische Gesetzgeber von der Notwendigkeit einer solchen Regelung ausgegangen ist.
85Dies ergibt sich aus der Regelungssystematik. Bei der Konformitätsbewertung nach Modul D des Anhangs II der Waagen-RL handelt es sich um ein auf den Herstellungsprozess bezogenes Bewertungsverfahren. Dabei steht nicht die konkrete Prüfung jedes einzelnen Produkts im Vordergrund, sondern die Überprüfung der Herstellungsabläufe, die am Ende zu einer Übereinstimmung des einzelnen serienmäßig hergestellten Produkts mit dem Baumuster führen. Vergleicht man diese Regelungen mit dem als Alternative zum Modul D (vgl. Art. 13 Abs. 1 lit. a) UAbs. 1 Waagen-RL) geregelten Modul F des Anhangs II der Waagen-RL, so ist Modul F dagegen auf eine konkrete Prüfung jedes einzelnen Produkts gerichtet, die nach Abschluss des Herstellungsprozesses durch eine notifizierte Stelle erfolgt, vgl. Ziffer 4.4 Anhang II der Waagen-RL.
86Vgl. zur Differenzierung der einzelnen Module auch Burrer, GewArch 2015, 481, 484.
87In einem solchen System nach Modul F ist es geboten, dass eine CE-Kennzeichnung erst nach der zwingend vorgesehenen einzelnen Prüfung des Geräts durch die notifizierte Stelle angebracht werden darf, weil erst durch diese Prüfung feststeht, dass eine Übereinstimmung des konkreten Geräts mit den Anforderungen an nichtselbsttätige Waagen vorliegt. Bei einem auf den Herstellungsprozess bezogenen Qualitätssicherungssystem wie in Modul D Anhang II der Waagen-RL, das die Übereinstimmung jedes einzelnen Produkts mit dem Baumuster mit hinreichender Sicherheit gewährleistet (vgl. Ziffer 3.5.2 Anhang II der Waagen-RL), bedarf es einer solchen finalen Prüfung als Voraussetzung der Kennzeichnung nicht zwingend, sodass die Anbringung der CE-Kennzeichnung ebenfalls nicht zwingend am Ende des Herstellungsprozesses erfolgen muss.
88Etwas anderes ergibt sich entgegen der Argumentation des Beklagten auch nicht aus Ziffer 7.2.4 Anhang II der Waagen-RL, weil das dort geregelte Verfahren nicht das Konformitätsbewertungsverfahren der Klägerin betrifft. Denn das Konformitätsbewertungsverfahren der Klägerin findet, auch wenn ein Teil der Bewertung erst beim Einzelhändler erfolgt, nicht in zwei Stufen im Sinne dieser Regelung statt.
89Nach Ziffer 7.2.4 Anhang II der Waagen-RL ist die CE-Kennzeichnung und die zusätzliche Metrologie-Kennzeichnung nach Beendigung der zweiten Stufe zusammen mit der Kennnummer der notifizierten Stelle an dem Gerät anzubringen. Diese Regelung steht im Zusammenhang mit einer besonderen Form der Konformitätsbewertung, die in Ziffer 7.2 Anhang II der Waagen-RL geregelt ist. Sie beruht darauf, dass nach Ziffer 7.1. Anhang II der Waagen-RL die Konformitätsbewertung grundsätzlich im Betrieb des Herstellers oder an einem beliebigen anderen Ort durchgeführt werden kann, wenn die Beförderung des Geräts zum Verwendungsort nicht die Zerlegung und die Inbetriebnahme am Verwendungsort keinen erneuten Zusammenbau oder sonstige technische Arbeiten erfordert, die die Anzeigegenauigkeit beeinträchtigen kann, und wenn die Fallbeschleunigung am Ort der Inbetriebnahme berücksichtigt wird oder die Anzeigegenauigkeit nicht durch Änderungen der Fallbeschleunigung beeinflusst wird. Vereinfacht formuliert bedeutet diese Grundregel, dass das Konformitätsbewertungsverfahren an jedem beliebigen Ort durchgeführt werden kann, wenn davon auszugehen ist, dass sich bis zur endgültigen Inbetriebnahme am Verwendungsort keine wesentlichen Veränderungen für die Messfähigkeit des Geräts ergeben. Ziffer 7.2 Anhang II der Waagen-RL sieht eine besondere Vorgabe vor, dass ein Verfahren nach Ziffer 7.1 in zwei Stufen durchzuführen ist, wenn die Messgenauigkeit des Geräts durch Änderungen der Fallbeschleunigung beeinflusst wird. Dann müssen nämlich alle von der Fallbeschleunigung abhängigen Untersuchungen und Prüfungen am Verwendungsort durchgeführt werden. Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Es ist bereits im Verwaltungsverfahren zwischen den Beteiligten geklärt worden, dass das Konformitätsbewertungsverfahren der Klägerin nicht dem zweistufigen Verfahren entspricht, wie es Ziffer 7.2 Anhang II der Waagen-RL regelt. Dies hat der Beklagte mit E-Mail vom 15. Mai 2019 anerkannt (Bl. 125 der Verwaltungsvorgänge) und die Klägerin mit E-Mail vom 7. Juni 2019 nochmal ausdrücklich bestätigt (Bl. 212 der Verwaltungsvorgänge).
90Schließlich ist es angesichts dessen auch unzutreffend, wenn der Beklagte argumentiert, aus Ziffer 2.5.1 Anhang II der Waagen-RL müsse abgeleitet werden, dass die Konformitätskennzeichnung erst nach Anschluss an das Kassensystem angebracht werden dürfe. Denn aus dem systematischen Zusammenhang in Modul D, welches wie dargestellt auf die Qualitätssicherung im Herstellungsprozess und gerade nicht auf die Prüfung des Einzelgeräts abzielt, ist zu schließen, dass mit dieser Vorgabe lediglich die Verpflichtung des Herstellers ausgesprochen wird, jedes einzelne nach dem konformitätsbewerteten Fertigungsprozess hergestellte Produkt entsprechend zu kennzeichnen. Ein fester Zeitpunkt der Kennzeichnung kann hieraus jedoch ebenfalls nicht abgeleitet werden.
91In dem Zusammenhang ist zur Klarstellung zu ergänzen, dass zu einem ordnungsgemäßen Konformitätsbewertungsverfahren auch nach Modul D des Anhangs II der Waagen-RL regelmäßig die Prüfung der konkret hergestellten Produkte gehören wird (und die durch die Klägerin auch erfolgt). Es ist jedoch nach der Konzeption des Moduls D nicht ausgeschlossen, dass eine Kennzeichnung schon vor dem endgültigen Zusammenbau und der abschließenden Prüfung des Gesamtprodukts auf einem Modul der späteren Waage angebracht wird, jedenfalls wenn und solange geeignete Verfahrensschritte und Sicherungsmechanismen im weiteren Herstellungsprozess nach dem Konformitätsbewertungsverfahren verbindlich vorgesehen sind und hierdurch sichergestellt ist, dass grundsätzlich keine bereits gekennzeichneten, aber im Ergebnis materiell fehlerhaften Geräte in den Verkehr gebracht werden.
92d)
93Die rechtlichen Vorgaben zur CE-Kennzeichnung und zur Metrologie-Kennzeichnung begründen schließlich ebenfalls keine Pflicht, die Kennzeichnungen erst unmittelbar vor dem Inverkehrbringen des Messgeräts anzubringen. Sie regeln die grundsätzliche Verpflichtung, die Kennzeichen anzubringen, legen aber keinen einheitlichen Kennzeichnungszeitpunkt bereits im Herstellungsprozess fest. Den nationalen Vorschriften zur CE- und Metrologie-Kennzeichnung kann bereits ihrem Wortlaut nach keine Regelung des Kennzeichnungszeitpunkts entnommen werden. Soweit der Wortlaut vereinzelter Vorschriften der Waagen-RL scheinbar eine Regelung trifft, wird dies durch die Systematik der Vorschriften und den Sinn und Zweck der Kennzeichnungspflicht relativiert.
94Aus § 6 Abs. 4 MessEG als Ausgangspunkt im nationalen Recht lässt sich insoweit schon dem Wortlaut nach nur die Pflicht ableiten, dass ein Messgerät vor dem Inverkehrbringen gekennzeichnet sein muss. Die Vorschrift beinhaltet aber keine Aussage, wann diese Kennzeichnung zu erfolgen hat.
95Dasselbe gilt für § 14 MessEV. Gemäß § 14 Abs. 1 MessEV sind die in § 8 Abs. 1 MessEV genannten Messgeräte – also auch nichtselbsttätige Waagen, § 8 Abs. 1 Nr. 11 MessEV – unter anderem mit einer CE Kennzeichnung (Nr. 1) und einer Metrologie-Kennzeichnung (Nr. 2) zu versehen. Weder der Normtext noch die amtliche Überschrift zur Vorschrift, die „Kennzeichnung von Messgeräten beim Inverkehrbringen“ lautet, zwingen zu dem Schluss, dass diese Kennzeichnung erst ab einem bestimmten Zeitpunkt erfolgen darf. Vielmehr kann hieraus nur der Schluss gezogen werden, dass die Kennzeichen zum Zeitpunkt des Inverkehrbringens jedenfalls vorhanden sein müssen. Dies impliziert bereits die Normformulierung „sind vorbehaltlich des Absatzes 2 zu kennzeichnen“ in § 14 Abs. 1 MessEV, mit der lediglich eine objektive Pflicht, aber nicht der Zeitpunkt der Erfüllung dieser Pflicht normiert wird.
96Die Vorschriften dienen unter anderem der Umsetzung der Waagen-RL.
97Vgl. BR-Drucks. 493/14, S. 144.
98Vorgaben zur Gestaltung und zum Verfahren der CE- und Metrologie-Kennzeichnung finden sich in Kapitel 3 „Konformität von Geräten“ der Waagen-RL, insbesondere in den dortigen Artikeln 15 bis 17. Art. 17 Abs. 2 Waagen-RL bestimmt insoweit, dass die CE-Kennzeichnung und die zusätzliche Metrologie-Kennzeichnung vor dem Inverkehrbringen des Geräts angebracht werden. Auch hieraus lässt sich nur der Schluss ziehen, dass jedenfalls vor dem Inverkehrbringen eine Kennzeichnung erfolgen muss. Damit ist jedoch nicht geregelt, dass die Kennzeichnung stets als letzter Schritt vor dem Inverkehrbringen anzubringen ist. Wäre dies die Regelungsabsicht des europäischen Gesetzgebers gewesen, hätte es nahegelegen, stattdessen zum Beispiel „unmittelbar vor dem Inverkehrbringen“ zu formulieren.
99Auch Art. 6 Abs. 2 UAbs. 2. Waagen-RL regelt keine zeitliche Reihenfolge der Kennzeichnung. Zwar impliziert die Formulierung „Wurde mit dem Konformitätsbewertungsverfahren nachgewiesen […] stellen die Hersteller eine EU-Konformitätserklärung aus und bringen die CE-Kennzeichnung und die zusätzliche Metrologie-Kennzeichnung an.“ scheinbar eine zeitliche Reihenfolge. Die systematische Stellung der Vorschrift legt jedoch nahe, dass hiermit keine zwingenden Verfahrensvorschriften hinsichtlich Konformitätsbewertung und Kennzeichnungsverfahren geschaffen werden sollten. Denn Art. 6 Waagen-RL betrifft ausweislich seiner amtlichen Überschrift sowie seiner systematischen Stellung in Kapitel 2 „Verpflichtungen der Wirtschaftsakteure“ der Waagen-RL nicht die auf nichtselbsttätigen Waagen anzubringenden Kennzeichnungen und den Ablauf der Konformitätsbewertung, sondern die grundsätzlichen Verpflichtungen der Hersteller. Hätte der europäische Gesetzgeber einen zwingenden Zeitpunkt für die Kennzeichnung festlegen wollen, wäre dieser systematisch in Art. 17 Waagen-RL oder den Vorgaben zum Konformitätsbewertungsverfahren angelegt worden, denen man eine solche Aussage wie bereits dargelegt gerade nicht entnehmen kann.
100Etwas anderes folgt auch nicht aus ErwGr. 23 S. 1 der Waagen-RL. Dieser lautet:
101„Die CE-Kennzeichnung und die zusätzliche Metrologie- Kennzeichnung bringen die Konformität einer nichtselbsttätigen Waage zum Ausdruck und sind das sichtbare Ergebnis eines ganzen Prozesses, der die Konformitätsbewertung im weiteren Sinne umfasst.“
102Denn auch hiermit ist kein zeitlicher Ablauf des Kennzeichnungsprozesses gemeint. In diesem Erwägungsgrund geht es stattdessen um die Testierfunktion, die diesen Kennzeichnungen als sichtbare Erklärung des Herstellers über die Konformität seiner Produkte gegenüber Dritten nach der Bereitstellung auf dem Markt zukommt. Dies ergibt sich aus der ersten Hälfte des Erwägungsgrunds, der darauf abstellt, dass die Kennzeichnungen die Konformität „zum Ausdruck“ bringen, sowie aus der Betonung, dass es sich um das „sichtbare“ Ergebnis handelt. Da es auf die Sichtbarkeit der Kennzeichnung nicht bereits im Herstellungsprozess, sondern erst im Zeitpunkt des Inverkehrbringens ankommt, kann hiermit keine zeitliche Festlegung eines Kennzeichnungsprozesses gemeint sein.
103Für dieses Verständnis der zitierten Vorschriften spricht insbesondere der bereits dargelegte Sinn und Zweck der Kennzeichnungspflicht. Mit der CE-Kennzeichnung erklärt der Hersteller, dass ein Gerät den anwendbaren Anforderungen genügt, vgl. Art. 2 Nr. 19 Waagen-RL. Hieraus sowie aus dem bereits zitierten ErwGr. 23 S. 1 der Waagen-RL ergibt sich, dass der europäische Gesetzgeber die Kennzeichnung vor allem als eine Erklärung des Herstellers betrachtet, die dieser gegenüber anderen Teilnehmern am Wirtschaftsleben abgibt. Diese Kennzeichnungen sind daher mit anderen Worten aus Sicht des europäischen Gesetzgebers erst dann rechtlich relevant, wenn das Produkt in den Verkehr gebracht wird. Zu diesem Zeitpunkt muss es den wesentlichen Anforderungen entsprechen und dies durch die entsprechenden Kennzeichen erkennbar erklärt werden. In Anbetracht dessen gibt es für den europäischen Gesetzgeber keinen Grund, einen bestimmten Zeitpunkt der Kennzeichnung bereits innerhalb des Herstellungsprozesses vor dem Inverkehrbringen vorzuschreiben, solange der Herstellungsprozess selbst den Konformitätsbewertungsvorschriften entspricht und die Entstehung eines materiell mängelfreien Produkts gewährleistet. Angesichts dessen und der in ErwGr. 33 S. 1 der Waagen-RL zum Ausdruck kommenden Absicht des europäischen Gesetzgebers, die Konformitätsbewertung frei von unnötigem Aufwand für die Hersteller zu gestalten, kann nicht davon ausgegangen werden, dass ein Kennzeichnungszeitpunkt vorgeschrieben werden sollte, da es für einen pauschalen Kennzeichnungszeitpunkt keine pauschale Notwendigkeit gibt.
104e)
105Diese Auslegung ist auch mit der Rechtsprechung des EuGH zu vereinbaren. Soweit der Beklagte argumentiert, dass der EuGH seine Rechtsauffassung bestätige, dass eine CE-Kennzeichnung erst nach dem vollständigen Abschluss des Konformitätsbewertungsverfahrens angebracht werden dürfe,
106vgl. EuGH, Urteil vom 13. März 2014 – C-132/13 –, juris,
107lässt sich eine derartige Aussage aus dieser Entscheidung nicht entnehmen. In diesem Vorabentscheidungsverfahren ging es schwerpunktmäßig um die Frage, ob von der Klägerin des nationalen Verfahrens hergestellte Steckverbindungen als elektrische Betriebsmittel zu bewerten waren und insofern eine grundsätzliche Pflicht zur CE-Kennzeichnung bestand. Der vom EuGH entschiedene Fall ist bereits mit der hiesigen Konstellation nur bedingt vergleichbar. Der Beklagte leitet seine Schlussfolgerung aus einem Nebensatz ab, in dem der EuGH festgehalten hat, dass
108„Gehäuse von mehrpoligen Steckverbindungen für industrielle Anwendung, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen, unter den Begriff „elektrische Betriebsmittel“ im Sinne dieser Bestimmung fallen und daher mit der CE-Kennzeichnung zu versehen sind, sofern ihre Konformität mit den Sicherheitsanforderungen, in Bezug auf die sie kontrolliert worden sind [Hervorhebung nur hier], durch ihren ordnungsgemäßen und ihrer Bestimmung entsprechenden Einbau keinesfalls beeinträchtigt werden kann.“
109Vgl. EuGH, Urteil vom 13. März 2014 – C-132/13 –, juris.
110Daraus lässt sich zunächst nur ableiten, dass der EuGH davon ausgeht, dass jedenfalls eine Kontrolle eines Produkts hinsichtlich der Einhaltung von Sicherheitsanforderungen erfolgen muss. Dies dient primär der Klarstellung, dass ein CE-Kennzeichen nicht pauschal auf jeder Steckverbindung anzubringen ist, sondern dass eine Konformitätsbewertung stattfinden muss und die festgestellte Konformität nicht durch eine spätere Verarbeitung des elektrischen Betriebsmittels beeinträchtigt werden darf. Hierzu hat der EuGH in den Entscheidungsgründen ausgeführt:
111„Daher darf die CE-Kennzeichnung nicht auf einem Bauteil angebracht werden, das ein elektrisches Betriebsmittel darstellt, dessen Sicherheit wesentlich davon abhängt, wie es in ein elektrisches Endprodukt eingebaut wird. Unter solchen Umständen könnte nämlich zum einen die Anbringung der CE-Kennzeichnung auf dem Bauteil den Verwender des entsprechenden Geräts irreführen, weil die Qualität des Bauteils nicht auf die Sicherheit des elektrischen Geräts, in das es eingebaut wurde, schließen lässt. Zum anderen könnten durch diesen Einbau die zuvor festgestellte Konformität des Bauteils mit den Sicherheitsanforderungen und die Konformität des elektrischen Geräts, in das das fragliche Bauteil eingebaut wurde, beeinträchtigt werden.
112EuGH, Urteil vom 13. März 2014 – C-132/13 –, juris Rn. 34.
113Es geht dem EuGH also darum, dass eine CE-Kennzeichnung dann nicht angebracht werden darf, wenn ein Einbau des gekennzeichneten Teils – im zu entscheidenden Fall des EuGH ein elektrisches Betriebsmittel – dazu führt, dass die Einhaltung der Sicherheitsbestimmungen nicht gewährleistet ist und insofern ein Risiko der Irreführung durch das CE-Kennzeichen besteht. Ein derartiges Risiko ist hinsichtlich der verfahrensgegenständlichen Produkte jedenfalls nicht gegeben. Das Produkt der Klägerin wird über eine rückwirkungsfreie Schnittstelle mit dem Kassensystem verbunden, sodass eine Beeinflussung der Messergebnisse regelmäßig nicht droht. Zudem wird die Funktionsfähigkeit des Endprodukts durch einen Techniker der Klägerin abschließend überprüft. Wie bereits mehrfach dargelegt wurde, ist auch nicht ersichtlich, dass das zusammengesetzte System den materiellen Anforderungen an nichtselbsttätige Waagen nicht entspricht und auch eine Gefahr der Irreführung nicht gegeben ist. Die Anbringung der CE-Kennzeichnung bereits im Werk der Klägerin ist daher auch unter Berücksichtigung der EuGH-Rechtsprechung unbedenklich.
114Da die Klägerin nach alledem weder materiell den wesentlichen Anforderungen nicht genügende Produkte vertreibt noch gegen Verfahrensvorschriften hinsichtlich des Konformitätsbewertungsverfahrens verstößt, ist Ziffer 1. der Ordnungsverfügung vom 31. Januar 2020 schon mangels des Vorliegens des Tatbestands des § 50 Abs. 2 MessEG rechtswidrig und aufzuheben.
115Selbst wenn man dies anders sähe und mit dem Beklagten davon ausginge, dass die CE-Kennzeichnung und das Metrologiekennzeichen erst unmittelbar als letzter Schritt vor dem Inverkehrbringen angebracht werden dürften, würde dies im Übrigen nicht zur Rechtmäßigkeit der Ziffer 1. der Ordnungsverfügung vom 31. Januar 2020 führen.
116Bedenken bestünden insoweit zunächst hinsichtlich der Adressierung des Bescheids. Marktüberwachungsmaßnahmen sind gemäß § 51 Abs. 1 MessEG an den betroffenen Wirtschaftsakteur zu richten. Da es sich bei der Kennzeichnung um eine Herstellerpflicht handelt, wäre die Maßnahme grundsätzlich an den Hersteller des Produkts zu richten. Ginge man mit der Beklagten davon aus, dass ein Messgerät erst mit Verbindung der Produkte der Klägerin mit dem Kassensystem eines Dritten vorliegt, weil erst dann eine Anzeige vorhanden ist, so spräche viel dafür, dann nicht die Klägerin, sondern den Hersteller des Kassensystems als Hersteller des zusammengebauten Messgeräts und die Klägerin in dem Zusammenhang als Zulieferer anzusehen. Hersteller eines Messgeräts ist nach § 2 Nr. 6 MessEG und nach Art. 2 Nr. 5 Waagen-RL nämlich eine natürliche oder juristische Person, die ein Gerät herstellt oder herstellen lässt und dieses Gerät unter eigenem Namen oder ihrer eigenen (Handels-)marke vertreibt. Es ist dabei nicht erforderlich, dass der Hersteller die wesentlichen Produktionsschritte selbst vornimmt.
117Vgl. Hollinger, in: Hollinger/Schade, MessEG/MessEV, 1. Aufl. 2015, MessEG § 2 Rn. 14.
118Da die Klägerin ihre Produkte an den Hersteller des Kassensystems verkauft und dieser das zusammengesetzte Produkt an den Einzelhändler, wäre zumindest nach dem Wortlaut der Legaldefinitionen der Hersteller des Kassensystems der Hersteller des Messgeräts, weil nach der Ansicht des Beklagten ein solches erst nach Zusammenbau vorliegt und dieses vom Hersteller des Kassensystems im eigenen Namen verkauft wird. Dies bedarf jedoch vor dem Hintergrund, dass aus den umfassend dargestellten Gründen kein Verstoß gegen mess- und eichrechtliche Vorgaben besteht, keiner abschließenden Bewertung.
119Offen bleiben kann auch, ob Ziffer 1. der Ordnungsverfügung vom 31. Januar 2021 den Anforderungen der Bestimmtheit nach § 37 Abs. 1 VwVfG genügt. Auch dies wäre zumindest zweifelhaft, weil der Wortlaut der Ziffer 1. unterschiedslos sämtliche Lastaufnehmer der Klägerin erfasst und an den „Abschluss einer Konformitätsbewertung“ anknüpft, ohne dass der Beklagte erkennbar zwischen den einzelnen Lastaufnehmern und den diese betreffenden Konformitätsbewertungsverfahren differenziert. Schon aus der dem Gericht vorliegenden Baumusterprüfbescheinigung ergibt sich, dass die Klägerin verschiedene Ausführungen ihrer Produkte herstellt, von denen einige Ausführungen serienmäßig bereits bei der Klägerin mit einer eigenen Anzeige ausgestattet werden (vgl. Ausführung 2, S. 4 der Baumusterprüfbescheinigung, Bl. 161 d. A.). Auch diese Ausführung ist nach dem Wortlaut der Ziffer 1. vom Regelungsinhalt der Ordnungsverfügung umfasst, obwohl diese Ausführung über eine eigene Anzeige verfügt und daher auch nach dem Maßstab des Beklagten geprüft und gekennzeichnet werden dürfte. Weder aus dem Tenor noch aus der Bescheidbegründung lässt sich ohne weiteres entnehmen, wann der Beklagte bei welcher Ausführung von einem „Abschluss einer Konformitätsbewertung“ ausgeht. Auch dies bedarf hier jedoch keiner weiteren Erörterung.
120Da Ziffer 1. der Ordnungsverfügung vom 31. Januar 2020 rechtswidrig ist, ist auch die in Ziffer 2. enthaltende auf Durchsetzung von Ziffer 1. gerichtete Zwangsmittelandrohung aufzuheben.
121Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
122Die Berufung war zuzulassen, weil die Sache grundsätzliche Bedeutung hat, §§ 124 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 S. 1 VwGO. Die mit dem Verfahren verbundenen Rechtsfragen hinsichtlich des ordnungsgemäßen Ablaufs einer Konformitätsbewertung und CE-Kennzeichnung sind nicht nur für die Beteiligten, sondern auch für weitere Hersteller nichtselbsttätiger Waagen und andere Marktüberwachungsbehörden von Bedeutung und erfordern eine Auslegung des das Konformitätsbewertungsverfahrens determinierenden europäischen Rechts. Diese Rechtsfragen sind in der Rechtsprechung bislang ungeklärt, insbesondere zur Konformitätsbewertung nach der Waagen-RL ist soweit ersichtlich bisher keine Rechtsprechung ergangen.
123Rechtsmittelbelehrung
124Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, einzulegen. Sie muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
125Statt in Schriftform kann die Einlegung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
126Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt; sie muss einen bestimmten Antrag und die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe) enthalten.
127Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
128Die Berufungsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
129Beschluss
130Der Wert des Streitgegenstandes wird auf
13150.000,00
132festgesetzt.
133Gründe
134Der festgesetzte Streitwert entspricht der Bedeutung der Streitsache für die Klägerin, § 52 Abs. 1 GKG. Die Kammer hat dabei berücksichtigt, dass die Umsetzung der sich aus der verfahrensgegenständlichen Ordnungsverfügung ergebenden Verpflichtung aufgrund der Vielzahl der von der Klägerin vertriebenen Waagen mit einigem wirtschaftlichen Aufwand verbunden ist und voraussichtlich eine Umstellung des Herstellungsprozesses sowie die Ausarbeitung eines neuen Konformitätsbewertungsverfahrens erfordern würde. Die Beteiligten haben auf Rückfrage in der mündlichen Verhandlung nicht in Frage gestellt, dass der vom Gericht herangezogene Wert (mindestens) dem Wert des geltend gemachten prozessualen Anspruchs entspricht.
135Rechtsmittelbelehrung
136Gegen diesen Beschluss kann schriftlich oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle, Beschwerde bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln eingelegt werden.
137Statt in Schriftform kann die Einlegung der Beschwerde auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
138Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, einzulegen. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, so kann sie noch innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden.
139Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
140Die Beschwerdeschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.