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Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
T a t b e s t a n d
2Die Klägerin ist am 00.09.1959 in T. geboren. Sie ist als thalidomidgeschädigte Person im Sinne des Conterganstiftungsgesetzes (ContStifG) anerkannt, zuletzt gemäß Teil-Abhilfebescheid der Beklagten vom 17.01.2017 mit einer Gesamtpunktzahl nach der Medizinischen Punktetabelle von 38,90 nach folgender Berechnung:
3Orthopädie Augen HNO Innere
4100 – 27,5 100 - 0 100 - 2 100 - 14
5100 100 100 100
6100 x 0,7250 x 1,0000 x 0,9800 x 0,8600 = 61,1030
7100 – 61,1030 = 38,90
8Dem liegen die folgenden Schäden zugrunde:
9Orthopädische Schäden
10002 Daumentyp, dreigliedrig, deutliche Hypoplasie (zum Teil Radialabduktion im
11Grundgelenk, zum Teil Schwimmhautfaltenbildung)
12008 Fehlbildungen der Fingerstrahlen für den 2. Finger an jeder Hand
13016 Radiustyp (Alle distale und axiale Formen der Ektromelie, nicht Amelie und Pho-
14komelie), geringe Minusvariante des Radius
15024 Radiustyp mit geringer Humerusverkürzung bei Hypo- bzw. Dysplasie der Schulter-
16und/oder Ellenbogengelenks
17048 Formfehler mit Hypoplasie beider Kniegelenke (lateraler Femurkondylus)
18074 Wirbelsäule – 4-6 Verschmälerungen einschließlich Skoliose 1. Grades
19075 Rechter Arm pauschal
20076 Linker Arm pauschal
21077 Rechte Hüftgelenksschädigung
22081 Wirbelsäule pauschal
23Innere Schäden
24119 Schwere Kieferfehlbildung mit Beeinträchtigung der Kaufähigkeit
25124 Doppelniere rechtsseitig
26Augenschäden
27---
28Hals-, Nasen-, Ohrenschäden
29325 Flachnase
30Anerkannt wurde ebenfalls ein Karpaltunnelsyndrom. Dem lag ein Gutachten des Neurologen Prof. T1. vom 28.10.2015 zugrunde, in welchem ausgeführt wird:
31„... bei Frau T2. , geb. T3. , liegt ein Thalidomidschaden vor mit Betroffensein der oberen Extremitäten.
32Es findet sich ein Arztbrief von Herrn Dr. T4. aus C. vom 15.08.2002. Hierin wird über eine Elektroneurographie des Nervus ulnaris rechts berichtet, die unauffällig war. Die elektroneurographische Untersuchung des Nervus medianus zeigte eine reduzierte Nervenleitgeschwindigkeit von 36 m/s bei einer distalen Latenz von 3,3 ms und einem reduzierten EMAP von 1 mV. Eine sensible Nervenleitgeschwindigkeit des Nervus medianus konnte nicht ermittelt werden. Ein Elektromyogramm vom Musculus abductor pollicis rechts zeigte keine pathologische Spontanaktivität. Auch der Musculus extensor digitorum communis rechts zeigte keine pathologische Spontanaktivität. Ein klinischer Befund wird nicht berichtet.
33Es liegt ein Arztbrief vor von einem Arzt für Neurologie und Psychiatrie aus T5. vom 14.05.2003. Hierin werden über Schmerzen in den Händen, vor allen Dingen rechts, berichtet. Es wird ein Carpaltunnelsyndrom rechts diagnostiziert. Dieses begründete sich durch ein Hoffmann-Tinel-Zeichen am Carpaltunnel rechts sowie in geringer Weise auch links. Die Sensibilitätsprüfung zeigte eine Hypästhesie im linken Unterarmbereich vor allen Dingen rechts mit medialer Betonung.
34Insgesamt ergibt sich somit eine Situation, die auf das Vorliegen eines Carpaltunnelsyndroms rechts mehr als links hinweist, wobei nur rechtsseitig elektrophysiologisch untersucht wurde und ein zu dieser Diagnose korrespondierendes Ergebnis erzielt wurde.
35Die klinischen Beschwerden der Patientin sind damit entsprechend der Aktenlage im Sinne eines Carpaltunnelsyndroms rechts mehr als links gut erklärt.“
36Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 09.11.2016 lehnte die Beklagte einen am 11.11.2014 gestellten Antrag der Klägerin auf Anerkennung von Gefäßschädigungen hingegen ab. Gleichzeitig änderte sie den Ursprungsbescheid vom 09.08.1974 in der Fassung eines Teilbescheides vom 06.01.2016 in Bezug auf orthopädische Schäden in der Ausgangsberechnung um ./. 2 Punkte ab, was seinerzeit im Ergebnis bei gleichbleibenden Leistungsbeträgen zu einer Gesamtpunktzahl von 37,65 führte.
37Zur Begründung der Ablehnung führte sie aus: Gefäßschädigungen könnten nach heutigem Erkenntnisstand nicht hinreichend wahrscheinlich mit Thalidomid in Verbindung gebracht werden. Sie könnten vielfältige Ursachen haben und kämen auch in der Allgemeinbevölkerung vor. Belastbares Datenmaterial für die Annahme, dass Gefäßfehlbildungen in der thalidomidgeschädigten Bevölkerungsgruppe signifikant häufiger aufträten, liege nicht vor. Sollte es in Zukunft neue wissenschaftliche Erkenntnisse geben, bleibe es der Klägerin unbenommen, in einem sog. Revisionsverfahren eine erneute Prüfung zu beantragen. Die Änderung der Punkteberechnung folge daraus, dass bei der Überprüfung aufgefallen sei, dass die orthopädischen Schäden irrtümlich mit 29,5 Punkten bewertet worden seien. Im Teilbescheid vom 06.01.2016 seien Zwischenwirbelverschmälerungen in 4-6 Etagen inclusive Skoliose nur mit 1,0 Punkt und Ziffer 073 verrechnet worden. Jedoch hätten auch die pauschal für die Wirbelsäule vergebenen 2,0 Punkte und Ziffer 081 verrechnet bzw. gestrichen werden müssen. Korrekt wäre deshalb eine Bewertung mit 27,5 Punkten gewesen. Daraus ergebe sich eine Gesamtpunktzahl von 37,65. Die Bestandskraft der vorangegangenen Bescheide beziehe sich nur auf die bewilligten Leistungen, nicht auf die festgestellten Schäden und die vergebenen Punkte. Vertrauensschutz sei nicht geboten, wenn die Neuberechnung nicht zu einer Leistungsminderung führe. Die Beklagte verwies in diesem Zusammenhang auf das Urteil der Kammer vom 24.02.2015 - 7 K 4608/13 -.
38Die Klägerin erhob hiergegen Widerspruch. Sie verwies auf neuere Forschungsergebnisse, wonach Thalidomid die Entwicklung von Blutgefäßen negativ beeinflusse. Auch treffe es nicht zu, dass Gefäßfehlbildungen in der Allgemeinbevölkerung mit gleicher Häufigkeit vorkämen. Anders sei auch die von der Beklagten herausgegebene Warnung an behandelnde Ärzte nicht zu verstehen. Bei ihr seien von 8 Gefäßen 4 nicht vorhanden. Die Klägerin verwies auf einen Befundbericht des Klinikums C. -N. – Klinik für Gefäßchirurgie/I. N1. – vom 22.09.2014, in dem ausgeführt ist:
39„Diagnosen
40- Kongenitale Fehlbildungen des Körpers aufgrund Contergan-Exposition des Foetus
41- Adipositas
42- Arterielle Hypertonie
43- Bekannte Bandscheibenvorfälle, HWS-, LWS-Bereich
44- V.a. Carpaltunnelsyndrom bds.
45Anamnese:
46Bei der Patientin bestehen multiple angeborene Fehlbildungen aufgrund einer Contergan-Exposition bei embyonaler Entwicklung. Die Mutter der Pat. hat Contergan eingenommen, als sie schwanger war. Die Pat. gibt Beschwerden in Form von ständigen, belastungsunabhängigen Schmerzen der Unterarme bds. sowie ein Taubheitsgefühl an Füßen und Händen an. Sie möchte sich untersuchen lassen, ob nicht Gefäßfehlbildungen bei ihr vorliegen und diese Beschwerden verursachen.
47Befund bei Aufnahme/Weiteres Procedere:
48Bei der Untersuchung sieht man eine adipöse Pat. Es liegt eine Fehlbildung der Daumen bds. (vor)[1], die aus 3 Phalangen bestehen. Es fällt dabei Muskulatur im Tenorbereicheine (?), die Daumen kann die Pat. aber apponieren. Die Pat. erzählt von gewöhnlichen Schultergelenkluxationen. Es liegt ein V.a. Carpaltunnelsyndrom an beiden Unterarmen (vor).
49Bei der Pulsstatusüberprüfung sind an den oberen Extremitäten Pulse über A. axillaris, brachialis und ulnaris bds. zu tasten. Keine Pulse im Bereich der A. radialis festzustellen.
50Bei der Überprüfung des Pulsstatus an den unteren Extremitäten sind Pulse über Femoralarterien, Poplitealarterien und über A. tibialis posterior bds. palpabel. Ein ABl beträgt bds. 1,1 über beide Fußarterien. Eine duplexsonographische Untersuchung zeigt das Fehlen der A. radialis bds. Es zeigt sich ein triphasischer Flow über der A. brachialis rechts mit einer Flow-Geschwindigkeit bis 80 cm/Sek. Links triphasischer Flow mit Geschwindigkeit bis 60 cm/Sek., was man über der A. ulnaris entsprechend ableiten kann. Abdominale Aorta unauffällig. Im Epigastrium beträgt der Durchmesser etwa 3 cm. Vor der Bifurkation etwa 1,75 cm. A. iliaca communis rechts und links von 1,3-1,4 cm im Durchmesser.
51Zur Darstellung der thorakalen Aorta und supraaortalen Gefäße und zur genauen Darstellung aller Gefäße wurde für die Pat. ein Termin zur Durchführung einer Magnet-Resonanz-Angiographie der Gefäße des ganzen Körpers am 07.10.2014 um 11:30 Uhr organisiert.“
52Über das Ergebnis dieser Untersuchung verhält sich der Arztbrief Dr. C1. vom 08.10.2014:
53„Diagnosen
54Aplasie der A. radialis sowie der A. tibialis anterior bds.
55Zusammenfassende Beurteilung:
56Als Ergänzung zum klinisch und sonographisch erhobenen Gefässbefund vom 15.09.2014 erfolgte eine MRA-Untersuchung der Körpergefässe am 07.10.2014. Als wesentlicher Befund zeigte sich ein Fehlen der Unterarmarterien A. radialis bds. sowie der Unterschenkelarterien A. tibialis anterior ebenso bds. Methodisch bedingt war eine hochauflösende Darstellung der Hand- und Fußgefässe nicht möglich. Da das Fehlen dieser Gefässe keine Symptomatik hervorruft, ergibt sich aus dem Befund keine klinische Konsequenz. ...“
57Mit Widerspruchsbescheid vom 17.01.2017 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin als unbegründet zurück. Sie verwies auf die Begründung des Ausgangsbescheides.
58Die Klägerin hat am 16.02.2017 Klage erhoben.
59Die Beklagte habe trotz der schon seit längerer Zeit vorliegenden Hinweise auf thalidomidbedingte Gefäßschäden und der anfänglichen Befürwortung einer Punktevergabe durch ein Mitglied ihrer Medizinischen Kommission (Dr. T6. -I. ) in Parallelverfahren keine weitere Begutachtung veranlasst. Wie in den Parallelverfahren verweist die Klägerin auf die Anwendung von Thalidomid in der Krebsbehandlung.
60Eine nachträgliche „Verrechnung“ von Schadenspunkten sei ohne Aufhebung des ursprünglichen Bescheides nicht möglich, da hiermit eine Schlechterstellung verbunden sei.
61Die Klägerin beantragt,
62die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2017 zu verpflichten, ihr weitere Leistungen nach dem ContStifG für die geltend gemachten Gefäßschädigungen (fehlende Arteriae radialis beidseits und Unterschenkelarterien beidseits) zu gewähren.
63Die Beklagte beantragt,
64die Klage abzuweisen.
65Sie bekräftigt die Begründung des Ablehnungsbescheides. Es lasse sich derzeit nicht feststellen, dass Gefäßschädigungen mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf die Thalidomidgabe zurückzuführen seien. Zur Klärung dieses Zusammenhangs solle die ins Werk gesetzte Gefäßstudie dienen. Die bei der Klägerin festgestellte Anomalie sei gegenwärtig ohne klinische Relevanz, da die distalen[2] Gliedmaßen im Normalzustand eine doppelte Blutversorgung aufwiesen und ein Fehlen einer der beiden versorgenden Arterien die Blutversorgung in der Regeln nicht beeinträchtige. Sie bezieht sich in diesem Zusammenhang auf eine Stellungnahme des Sachverständigen Dr. T6. -I. vom 01.10.2017. Anerkennungsfähig seien aber nur solche Schädigungen, die auch zu einer Körperfunktionsstörung führten. Ob die Fehlbildungen bereits durch die Gewährung von Schadenspunkten für die Extremitäten abgegolten seien, könne deshalb offen bleiben.
66Eine Kürzung sei mit der Verrechnung der Punkte nicht verbunden. Im Gegenteil seien die Leistungen zuvor erhöht worden.
67Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
68E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
69Die Klage ist nicht begründet.
70Der Bescheid der Beklagten vom 09.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 17.01.2017 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Bewilligung höherer Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz (ContStifG) für die geltend gemachten Gefäßschädigungen (fehlende Arteriae radialis beidseits und Unterschenkelarterien beidseits).
71Gemäß § 12 Abs. 1 ContStifG werden Leistungen wegen Fehlbildungen gewährt, die mit der Einnahme thalidomidhaltiger Präparate der Grünenthal GmbH durch die Mutter während der Schwangerschaft in Verbindung gebracht werden können. Die Höhe der Leistungen richtet sich nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen, § 13 Abs. 2 Satz 1 ContStifG. Die Schwere des Körperschadens wird durch die Medizinische Punktetabelle konkretisiert, die sich in Anlage 2 der Richtlinien des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend für die Gewährung von Leistungen wegen Conterganschadensfällen in der Fassung der Bekanntmachung vom 19.06.2018 findet. Bei der Bewertung des Schadens ist auszugehen vom Schweregrad der Fehlbildung, wie er bei der Geburt vorlag oder angelegt war, unter Berücksichtigung der zu erwartenden körperlichen Behinderung, § 7 Abs. 2 und § 8 Abs. 2 der Richtlinien. Eine Erhöhung oder Verminderung der Conterganrente bei einer Änderung der Körperfunktionsstörungen nach bestandskräftiger Entscheidung über den Antrag findet nicht statt, § 8 Abs. 3 Satz 1 der Richtlinien. Hiermit ist in Übereinstimmung mit den Vorgaben des § 12 Abs. 1 ContStifG zum Ausdruck gebracht, dass Bezugspunkt der Schadensbewertung die bei Geburt bestehende oder wenigstens angelegte Fehlbildung ist. Hingegen sind Folgeschäden einer Fehlbildung – zum Beispiel die Verschlechterung von Körperfunktionen durch Verschleiß von geschädigten oder die Überlastung von gesunden Organen oder Schäden durch Untersuchungen und Behandlungen im Verlauf des Lebens – bei der Bewertung der Schwere des thalidomidbedingten Körperschadens nicht zu berücksichtigen. Derartige Folge- und Spätschäden sollten nach dem Willen des Gesetzgebers durch die pauschale und deutliche Erhöhung der Conterganrenten, durch jährliche Sonderzahlungen und durch die Bewilligung von, inzwischen pauschalisierten, Leistungen für „spezifische Bedarfe“ abgegolten werden, ohne die Punktebewertung im Einzelfall zu ändern,
72vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs für das 1. Gesetz zur Änderung des ContStifG vom 08.04.2008, BT-Drs. 16/8743, S. 1; Begründung des Gesetzentwurfs für das 2. Gesetz zur Änderung des ContStifG vom 24.03.2009, BT-Drs. 16/12413, S. 7; Begründung des Gesetzentwurfs für das 3. Gesetz zur Änderung des ContStifG vom 12.03.2013, BT-Drs. 17/12678, S. 1, 4 und 7.
73Damit sollte dem sich im Verlauf des Lebens regelmäßig verschlechternden Gesundheitsstatus der Leistungsempfänger Rechnung getragen und einer fortdauernden Unsicherheit mit entsprechenden Streitigkeiten über die Punktebewertung vorgebeugt werden. Deshalb sind Körperschäden, die ein contergangeschädigter Mensch im Lauf seines Lebens durch anderweitige Erkrankungen, Unfälle oder altersbedingten Verschleiß oder auch operative Eingriffe erwirbt, keine thalidomidbedingten Fehlbildungen und können bei der Punktevergabe nicht berücksichtigt werden.
74Mit der durch den Gesetzgeber gewählten Formulierung „in Verbindung gebracht werden können“ hat der Gesetzgeber den Kreis der Anspruchsberechtigten bewusst weit gefasst, um zugunsten etwaiger Betroffener dem Umstand Rechnung zu tragen, dass eine über jeden Zweifel erhabene Kausalitätsfeststellung unmöglich ist,
75vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 02.12.2011 - 16 E 723/11 -, vom 25.03.2013 - 16 E 1139/12 - und vom 14.01.2015 - 16 E 435/13 -, zuletzt: Urteil der Kammer vom 28.05.2019 - 7 K 5366/15 -.
76Mit dieser Beweiserleichterung ist darauf Rücksicht genommen, dass sowohl die Aufklärung der Thalidomideinnahme durch die Mutter während einer mehr als 50 Jahre zurückliegenden Schwangerschaft als auch die eindeutige Feststellung eines naturwissenschaftlichen Zusammenhangs zwischen der Einnahme und einer Fehlbildung des Embryos an Grenzen stoßen. Allerdings reicht es nicht aus, dass Thalidomid als theoretische Ursache für Fehlbildungen nicht auszuschließen ist. Dadurch ließe sich angesichts der Vielfalt anderer möglicher Ursachen der anspruchsberechtigte Personenkreis, der nach dem Willen des Gesetzgebers von Leistungen aus dem Stiftungsvermögen profitieren soll, nicht verlässlich eingrenzen. Fehlbildungen, die einer Thalidomidembryopathie vom Erscheinungsbild her ähneln, treten auch in der Allgemeinbevölkerung auf. Häufig lässt sich die Ursache derartiger Fehlbildungen nicht sicher feststellen. In diesen Fällen muss es zumindest mit Wahrscheinlichkeit die Einwirkung von Thalidomid während der Embryonalentwicklung sein, die in einen ursächlichen Zusammenhang mit Fehlbildungen des Antragstellers gebracht werden kann,
77vgl. ebenso OVG NRW, Beschluss vom 30.12.2015 - 16 A 1852/15 -.
78Dies gilt nicht nur bei der Bewertung der Frage, ob ein Mensch an sich thalidomidgeschädigt ist, sondern auch für die Beurteilung einer konkreten Fehlbildung eines unzweifelhaft thalidomidgeschädigten Menschen. Diese muss nicht nur individuell und bezogen auf die Fehlbildung festgestellt, sondern auch in einem zweiten Schritt in Bezug auf die Entschädigung gewichtet werden. Hierbei kommt den Festlegungen der auf der Grundlage des § 13 Abs. 2 Satz 4, Abs. 6 Sätze 1 und 3 ContStifG als Anlage 2 zu den Richtlinien für die Gewährung von Leistungen wegen Conterganschadensfällen in der Neufassung vom 16.06.2018 erstellten Medizinischen Punktetabelle die Rolle einer im Interesse eines gleichmäßigen Verwaltungsvollzuges unerlässlichen Typisierung zu. Denn die Höhe der Leistung richtet sich gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 ContStifG stets nach der Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörung. Dies gebietet die Einordnung des Schadensbildes in ein nachvollziehbares Raster, das nicht nur eine individuell angemessene, sondern auch innerhalb der Bevölkerungsgruppe der Contergangeschädigten abgestufte Entschädigung der differenzierten Körperschäden versucht. Dem Richtliniengeber steht hierbei ein durch die gesetzliche Ermächtigung gedeckter Bewertungsspielraum zu, dessen Grenzen durch die Schwere des Körperschadens und die dadurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen nur in einem groben Sinne skizziert sind.
79Vgl. BVerwG, Urteil vom 19.06.2014 - 10 C 1.14 -, BVerwGE 150, 44-73.
80Denn bereits mit dem Gesetz über die Errichtung einer Stiftung „Hilfswerk für behinderte Kinder“ hat der Gesetzgeber ein soziales Ausgleichssystem eigener Art geschaffen, das in verfassungskonformer Weise mögliche individuelle zivilrechtliche Ansprüche in ein öffentlich-rechtliches Stiftungssystem überführte. Dieses System setzt sich im aktuellen ContStifG fort.
81Vgl. zum Ganzen: BVerfG, Urteil vom 08.07.1976 - 1 BvL 19/75, 1 BvL 20/75, 1 BvR 148/75 -, BVerfGE 42, 263-312; Beschluss vom 26.02.2010 - 1 BvR 1541/09, 1 BvR 2685/09 -, NJW 2010, 1943-1947; BVerwG, Urteil vom 19.06.2014 - 10 C 1.14 -, BVerwGE 150, 44-73.
82Die damit verbundene Begründung gesetzlicher Ansprüche bedingt schon im Interesse der Verteilungsgerechtigkeit notwendigerweise eine Kategorisierung und Gewichtung der einzelnen Schadensbilder, wie sie sich in der Medizinischen Punktetabelle ausdrückt.
83Gleichwohl ist die Konkretisierung der Leistungen nach der Medizinischen Punktetabelle nicht als statisches System zu verstehen, das auf die Entschädigung tabellarisch erfasster Schäden beschränkt wäre. Die Tabelle wirkt nicht anspruchsbegründend, sondern gestaltet nur einen gesetzlich bestehenden Anspruch aus. Ihre Fortschreibung und Erweiterung sind möglich und sogar erforderlich, wenn sie mit Blick auf den durch § 2 ContStifG beschriebenen Stiftungszweck und die § 12 Abs. 1 ContStifG zu entnehmende Beschreibung des Kreises leistungsberechtigter Personen geboten ist. Das ContStifG beschreibt nur den Kreis leistungsberechtigter Personen (§ 12 Abs. 1) und die Mindest- und Höchstbeträge der Leistungen (§ 13 Abs. 2 Sätze 1 und 2). Innerhalb dieses Rahmens ist es am Richtliniengeber, einen sachgerechten Schadensausgleich herzustellen. Dies schließt ein, die Medizinische Punktetabelle um zusätzliche Positionen zu erweitern, wenn der Stand wissenschaftlicher Erkenntnis mit hinreichender Wahrscheinlichkeit den Schluss auf die Thalidomidgenese solcher Körperschäden erlaubt, die bislang noch nicht Eingang in die Tabelle gefunden haben. Dies gilt namentlich für Schäden außerhalb des orthopädischen Bereichs, der in den Jahren nach der Contergan-Katastrophe als Leitsymptomatik diente.
84Hiermit ist allerdings noch keine Aussage zu der Frage getroffen, ob und welcher Punktwert einer neuen Position zuzuordnen ist. Die Richtlinien tragen dem durch Anlage 2 Nr. III, 2. Absatz Rechnung. Hiernach bewertet die Medizinische Kommission die Schwere des Körperschadens und der hierdurch hervorgerufenen Körperfunktionsstörungen in entsprechender Anwendung des § 7 Satz 1 und 2 sowie des § 8 Abs. 2 der Richtlinien, wenn sie feststellt, dass eine Fehlbildung gemäß § 6 Abs. 1 der Richtlinien vorliegt, die in der Medizinischen Punktetabelle unter Abschnitt IV nicht aufgeführt ist. Damit ist der Beklagten in Übereinstimmung mit dem in § 2 ContStifG beschriebenen Stiftungszweck die Aufgabe einer Fortentwicklung der Tabelle überantwortet. Gleichzeitig ist ausgesagt, dass nicht jedwede Fehlbildung zu einer Entschädigung führen muss, wenn sie nicht zu einer Körperfunktionsstörung führt.
85Dies vorausgeschickt, ist die derzeitige Versagung weiterer Entschädigungsleistungen für bestehende Gefäßanomalien Contergangeschädigter durch die Beklagte rechtlich nicht zu beanstanden. Der vorliegende Erkenntnisstand bietet noch keine zureichenden Anhaltspunkte dafür, etwaige Gefäßfehlbildungen bei contergangeschädigten Antragstellern generell auf die Arzneimitteleinnahme durch die Mutter zurückzuführen. Aus der von der Klägerin angeführten und auch der Beklagten bekannten Studie des Klinikums rechts der Isar/München vom 17.06.2016, Bassermann et al. ergibt sich nichts anderes. Die Studie beschreibt einen Wirkmechanismus von Thalidomid, der sich in der Unterdrückung der Ausbildung eines körpereigenen Proteins manifestiert, was wiederum zur Hemmung der für die Gefäßbildung erforderlichen Proteinkomplexe aus den Proteinen CD147 und MCT1 führt. Damit ist möglicherweise eine Wirkung des Stoffs belegt, die nach klinischer Erprobung am Menschen zur zentralen europäischen Zulassung des Arzneimittels unter der Bezeichnung „Thalidomid Pharmion“ zur kombinierten Behandlung des Multiplen Myeloms geführt hat, mithin zur Bejahung der Wirksamkeit des Stoffs in einem bestimmten Anwendungsgebiet. Es ist nachvollziehbar, wenn aus der zellhemmenden Wirkung auch auf die mögliche Hemmung der Ausbildung menschlicher Blutgefäße geschlossen wird. Damit ist jedoch nur der Ausgangspunkt notwendiger Überlegungen beschrieben. Denn für den Einfluss des Stoffs auf die Gefäßbildung des Embryo in der sensiblen Phase der Schwangerschaft stehen auch Bassermann et al. – aus ethischen Gründen selbstverständlich – nur Versuche an Zebra-Fisch-Embryonen zur Verfügung. Die Frage einer Übertragbarkeit der so gewonnenen Erkenntnisse auf die embryonale Entwicklung des Menschen ist damit nicht beantwortet.
86Aus den vorliegenden Erkenntnisquellen zur Diskussion innerhalb der Stiftung und zu weiteren Untersuchungen im Ausland lassen sich lediglich Anhaltspunkte für einen Zusammenhang zwischen der Thalidomideinnahme durch die Mutter während der Schwangerschaft und Gefäßfehlbildungen beim Kind gewinnen. Hinreichend sichere Schlüsse auf den Kausalverlauf und etwaige Zusammenhänge mit bereits anerkannten und entschädigten Körperschäden erlauben sie nicht. Ebenso wie der unbestreitbare Umstand, dass Gefäßschäden schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt (60er-Jahre des 20. Jahrhunderts) als Thalidomidfolge angesprochen wurden und seither wiederholt als solche diskutiert wurden, reicht dies nicht aus, eine tragfähige Grundlage für die Einordnung in das Entschädigungssystem des ContStifG vorzunehmen. Dies gilt insbesondere mit Blick auf die Komplexität des menschlichen Gefäßsystems. Es gilt nicht nur, thalidomidbedingte Fehlbildungen von natürlichen Normabweichungen abzugrenzen, sondern auch zu ermitteln, ob und in welchem Umfang festgestellte thalidomidbedingte Fehlbildungen in einem entwicklungsbedingten Zusammenhang mit der Entstehung eines anderen, bereits abgegoltenen Schadens stehen und damit keiner besonderen Berücksichtigung im Entschädigungssystem bedürfen.
87Angesichts der bestehenden Erkenntnislücke ist es aus Sicht der Kammer ein sachgerechter Ansatz, mittels einer sog. Gefäßstudie statistisches Material zur Beantwortung der Frage zu gewinnen, ob und in welchem Umfang Gefäßfehlbildungen bei thalidomidgeschädigten Menschen signifikant häufiger vorkommen als in der übrigen Bevölkerung. Die Planung und Durchführung einer derartigen Studie obliegt dabei der Beklagten im Rahmen ihres in § 2 ContStifG beschriebenen Stiftungszwecks. Sie kann insbesondere nicht durch eine gerichtliche Beweisaufnahme ersetzt werden. Zwar erforscht das Gericht den Sachverhalt von Amts wegen (§ 86 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Der hiernach bestehende gerichtliche Untersuchungsgrundsatz findet jedoch seine Grenzen in Fällen, in denen die Ermittlung der entscheidungserheblichen Tatsachen einem der Beteiligten durch Gesetz überantwortet ist,
88vgl. Kopp/Schenke, VwGO, 23. Auflage 2017, § 86 Rdnr. 5d – 13 m.w.N.; Rixen, in: VwGO-Großkommentar, 5. Auflage 2018, § 86 Rdnr. 7-51 m.w.N.
89Dies gilt umso mehr, als mit der Erfassung von Gefäßschädigungen im Entschädigungssystem nicht lediglich eine Tatsachenermittlung verbunden ist, sondern auch eine Wertung durch die Medizinische Kommission, die sich in der Einordnung in die Punktetabelle und einer möglichen Bemessung der Schadenspunkte und damit letztlich der Höhe der Entschädigung ausdrückt. Erst wenn die hiermit umschriebene Mitwirkungsverpflichtung evident verletzt ist, kommt eine stattgebende gerichtliche Entscheidung in Betracht, und sei es in Form eines Bescheidungsausspruchs nach § 113 Abs. 5 Satz 2 VwGO.
90Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Die Beklagte hat im Schriftsatz vom 10.05.2019 und im Termin zur mündlichen Verhandlung den Ablauf der Bemühungen um eine statistisch tragfähige Erfassung bestehender Gefäßschäden nachvollziehbar dargestellt. Diese gestalten sich nicht nur in Bezug auf das Studiendesign, sondern auch hinsichtlich der Gewinnung der nach statistischen Grundsätzen erforderlichen Anzahl von Studienteilnehmern langwierig, wobei Verzögerungen zumindest auch auf gerichtliche Streitigkeiten zwischen Organen innerhalb der Stiftung zurückzuführen sein dürften. Es sollte gerade im Interesse der Geschädigten liegen, durch eigene Teilnahme zum Erfolg der Studie beizutragen und damit zu einer angemessenen Bewertung ihrer thalidomidbedingten Körperschäden zu gelangen. Durch eine gerichtliche Anerkennung „auf Verdacht“ kann diese grundlegende Sachverhaltsermittlung nicht ersetzt werden.
91Dessen ungeachtet kann die Klage aus individuell auf das Schadensbild der Klägerin bezogenen Gründen keinen Erfolg haben:
92Es ist der Umstand in den Blick zu nehmen, dass bei der Klägerin Fehlbildungen im Bereich der Unterarme und der Hände bereits Berücksichtigung gefunden haben. Wenn der Unterarm an sich geschädigt ist, ist auch eine Schädigung der in diesem Unterarm befindlichen Strukturen, namentlich der Blutgefäße, zu erwarten. Es liegt vor diesem Hintergrund nahe, die Aplasie der Arteriae radialis der Unterarmschädigung zuzuordnen und als abgegolten anzusehen. Aufgrund des logischen Zusammenhangs der Schadensbilder – eine isolierte orthopädische Schädigung ohne Veränderung der sie umgebenden Strukturen ist kaum denkbar – ist das Gesamtbild mit „Unterarmschaden“ hinreichend umschrieben.
93Dem steht das Vorbringen der Klägerin nicht entgegen. Soweit im Parallelverfahren 7 K 5034/16 darauf hingewiesen wird, dass ein Fehlen der Arteria radialis in der nicht contergangeschädigten Bevölkerung äußerst selten vorkomme, in den letzten Jahren aber über Contergangeschädigte berichtet worden sei, bei denen die einzig sichtbare Schädigung der oberen Extremität in einer leichte Hypoplasie des Thenarballens bestanden habe, deren Arteria radialis aber vollständig gefehlt habe, lässt dies jede Auseinandersetzung mit dem hier maßgeblichen Schädigungsbild vermissen. Die Klägerin weist unter Einschluss des nachträglich anerkannten Karpaltunnelsyndroms deutliche Schäden beider Hände und Unterarme auf. Mit der eher marginalen Unterentwicklung eines Thenarballens ist dies in Bezug auf die Gefäßentwicklung erkennbar nicht zu vergleichen.
94Es wurde bereits ausgeführt, dass dem Richtliniengeber bei der Gestaltung der leistungsbegründenden Tatbestände im Rahmen der Vorgaben des ContStifG ein Bewertungsspielraum zusteht. Es ist nichts dafür ersichtlich, dass dieser hier überschritten wäre, zumal die Klägerin nachträglich eine Höherbepunktung für das Karpaltunnelsyndrom erfahren hat und damit etwaige Beschwerden im Unterarmbereich zusätzlich Anerkennung gefunden haben.
95Ob das Fehlen beider Unterschenkelarterien in vergleichbarer Weise mit einem bereits bepunkteten Befund in Verbindung zu bringen ist, bleibt jedoch zweifelhaft. Anerkannt sind nur Schädigungen beider Kniegelenke. Allerdings liegt insoweit nach derzeitiger Erkenntnis nichts für eine Körperfunktionsstörung im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 1 ContStifG vor. Der von der Klägerin vorgelegte Arztbrief vom 08.10.2014 verneint eine Symptomatik ausdrücklich.
96Weitergehende Erkenntnisquellen, die eine abweichende Bewertung des individuellen Schädigungsbildes erlaubten, hat auch die Klägerin nicht aufgezeigt.
97Eine (teilweise) Rechtswidrigkeit der streitbefangenen Bescheide ergibt sich schließlich nicht aus dem Umstand, dass der Bescheid vom 09.11.2016 den Ursprungsbescheid vom 09.08.1974 in der Fassung eines Teilbescheides vom 06.01.2016 in Bezug auf orthopädische Schäden in der Ausgangsberechnung um ./. 2 Punkte abändert. Die Klägerin, die die sachliche Richtigkeit der Berechnung nicht bestreitet, kann nicht darauf verweisen, die ursprünglich pauschal für die Wirbelsäule zuerkannten Punkte seien bestandskräftig festgesetzt und müssten ohne formelle Aufhebung des alten Bescheides – unabhängig von einem tatsächlich bestehenden Thalidomidschaden – weiterhin angerechnet werden.
98Denn eine solche bestandskräftige Ablehnung liegt nicht vor. Die mit der materiellen Bestandskraft eines Verwaltungsaktes verbundene Bindungswirkung bezieht sich nur auf den Entscheidungssatz, aber nicht auf die wesentlichen Gründe oder Vorfragen,
99vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG 18. Aufl. 2017, § 43, Rn. 31.
100Der Bewilligungsbescheid vom 10.07.1974 ist daher nur hinsichtlich der darin ausgesprochenen Festsetzung von Leistungen nach dem Conterganstiftungsgesetz, hier der Festsetzung einer Rente und einer Kapitalentschädigung, in Bestandskraft erwachsen, aber nicht hinsichtlich der festgestellten Körperschäden. Dies ist aus § 16 Abs. 6 ContStifG abzuleiten, wonach der Stiftungsvorstand auf der Grundlage der Entscheidung und Bewertung der Kommission nach § 6 Abs. 2 die Leistungen nach Maßgabe der Richtlinien durch schriftlichen Verwaltungsakt festsetzt. Diese Bestimmung wird in § 9 Abs. 8 der Satzung der Conterganstiftung für behinderte Menschen vom 19.06.2013 nochmals aufgegriffen und bestätigt. Danach setzt der Stiftungsvorstand beim Verfahren nach Abschnitt 2 ContStifG die Leistungen fest, erteilt der Antrag stellenden Person einen Bescheid und entscheidet über eventuell erhobene Widersprüche.
101Die von der Medizinischen Kommission nach § 16 Abs. 2 ContStifG zu treffende Entscheidung darüber, ob ein Körperschaden nach § 12 ContStifG vorliegt und wie dieser zu bewerten ist, dient lediglich der Vorbereitung des anschließenden Leistungsbescheides. Sie stellt zwar die wesentlichen Anspruchsvoraussetzungen fest und ist daher hinsichtlich des einzuhaltenden Verfahrens in § 16 Abs. 2 bis Abs. 5 ContStifG ausführlich geregelt. Es handelt sich jedoch nicht um einen selbständigen Verwaltungsakt, der dem eigentlichen Leistungsbescheid vorgelagert wäre. Ein Verwaltungsakt ist entsprechend der Definition in § 35 VwVfG jede Verfügung, Entscheidung oder andere hoheitliche Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalls auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts trifft und die auf unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet ist. Diese Voraussetzungen werden durch die Entscheidung der Kommission über den Schadensfall nicht erfüllt. Denn die Medizinische Kommission ist zum einen keine Behörde. Behörde ist allein der Stiftungsvorstand, der die Geschäfte der Stiftung führt, insbesondere über die Vergabe der Stiftungsmittel entscheidet sowie die Stiftung nach § 7 Abs. 5 ContStifG gerichtlich und außergerichtlich vertritt. Die Medizinische Kommission ist ein dem Stiftungsvorstand untergeordneter Ausschuss (§ 16 Abs. 2 ContStifG), der nicht mit Hoheitsrechten ausgestattet ist, sondern lediglich eine sachverständige Beurteilung einer Vorfrage des Leistungsanspruchs vornimmt. Zum anderen hat diese Entscheidung der Kommission keine Außenwirkung, da sie nicht unmittelbar Rechte des Betroffenen begründet. Dies zeigt sich bereits darin, dass die Entscheidung der Kommission über den Schadensfall dem Betroffenen gegenüber nicht als selbständiger Verwaltungsakt bekanntgemacht wird. Rechte des Betroffenen werden erst durch den nachfolgenden Bescheid der Conterganstiftung über die Festsetzung der Leistungen begründet. Die darin mitgeteilten Feststellungen der Kommission zur Frage des Vorliegens eines thalidomidbedingten Geburtsschadens und seiner Schwere sind somit lediglich Teil der Begründung des Bescheides, die grundsätzlich nicht bestandskräftig wird.
102Die wesentlichen Gründe oder Vorfragen der Entscheidung nehmen nur ausnahmsweise an der Bestandskraft des Verwaltungsakts teil, wenn das Fachgesetz bestimmte Feststellungen mit einer speziellen Wirkung ausstattet,
103vgl. Kopp/Ramsauer, VwVfG,18. Aufl.2017, § 43 Rn. 31 und 26.
104Dies ist hier nicht der Fall.
105Vgl. bereits Urteil der Kammer vom 24.02.2015 - 7 K 4608/13 -; bestätigt durch OVG NRW, Beschluss vom 19.01.2016 - 16 A 817/15 -.
106Einer teilweisen Rücknahme des Bewilligungsbescheides nach § 48 VwVfG oder eines teilweisen Widerrufs der Bewilligung nach § 49 VwVfG bedurfte es nicht. Führt die Neuberechnung nicht zu einer Reduzierung, sondern zu einer Erhöhung der Leistungen oder zu gleichbleibenden Leistungen, kommen die §§ 48 ff. VwVfG nicht zu Anwendung. Ein Vertrauensschutz ist nicht geboten, weil das Vertrauen in den Bestand und die Fortgewährung der einmal bewilligten Leistungen nicht enttäuscht wird.
107Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 188 Satz 2 VwGO.
108Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
109Rechtsmittelbelehrung
110Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1111. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
2. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
3. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
4. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
5. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils bei dem Verwaltungsgericht Köln, Appellhofplatz, 50667 Köln, schriftlich zu beantragen. Der Antrag auf Zulassung der Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
118Statt in Schriftform kann die Einlegung des Antrags auf Zulassung der Berufung auch als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV) erfolgen.
119Die Gründe, aus denen die Berufung zugelassen werden soll, sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils darzulegen. Die Begründung ist schriftlich oder als elektronisches Dokument nach Maßgabe des § 55a VwGO und der ERVV bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, einzureichen, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist.
120Vor dem Oberverwaltungsgericht und bei Prozesshandlungen, durch die ein Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht eingeleitet wird, muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Als Prozessbevollmächtigte sind Rechtsanwälte oder Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, die die Befähigung zum Richteramt besitzen, für Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts auch eigene Beschäftigte oder Beschäftigte anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts mit Befähigung zum Richteramt zugelassen. Darüber hinaus sind die in § 67 Abs. 4 der Verwaltungsgerichtsordnung im Übrigen bezeichneten ihnen kraft Gesetzes gleichgestellten Personen zugelassen.
121Die Antragsschrift sollte zweifach eingereicht werden. Im Fall der Einreichung eines elektronischen Dokuments bedarf es keiner Abschriften.
[1] Klammerzusätze des Gerichts
123[2] Weiter von der Körpermitte entfernt