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1. Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller Akteneinsicht in die „Abschließenden Prüfungsmitteilungen hinsichtlich der Prüfung der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der FDP-Fraktion im Wahljahr 2013“ zu gewähren.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
2. Der Wert des Streitgegenstands wird auf 5.000 Euro festgesetzt.
Gründe
2I.
3Der Bundesrechnungshof schloss im ersten Halbjahr 2017 die Prüfung der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der FDP-Fraktion des Deutschen Bundestages im Jahr 2013 ab und übermittelte der FDP-Fraktion in Liquidation 2013 diesbezüglich eine abschließende Prüfungsmitteilung. In der Presse wurde im September 2017, insbesondere am 09. September 2017 und 12. September 2017, über Auffälligkeiten in der Schlussbilanz der FDP-Fraktion in Liquidation 2013 berichtet.
4Am 13. Oktober 2017 stellte der Antragsteller, der Mitarbeiter der Redaktion „J. “ des Rundfunks C. (s.) ist, eine Anfrage an die Pressestelle des Bundesrechnungshofs, in der er Auskünfte zum Inhalt und Zugänglichmachung der abschließenden Prüfungsmitteilung bezüglich der FDP-Fraktion in Liquidation 2013 begehrte.
5Dieses Begehren lehnte der Bundesrechnungshof mit Schreiben vom 30. Oktober 2017 ab. Zur Begründung führte er aus: Die schutzwürdigen Belange der Bundestagsfraktion und ihrer Mitglieder überwögen das Transparenzinteresse der Öffentlichkeit. Schutzwürdige Belange seien insbesondere der Schutz personenbezogener Daten, der Schutz von Betriebs- und Geschäftsgeheimnissen sowie das freie Mandat der Abgeordneten. Zudem stelle die Zugänglichmachung der Prüfungsunterlagen eine Umgehung des § 46 Absatz 3 Abgeordnetengesetz (AbgG) dar und sei daher mit Blick auf das Selbstorganisationsrecht des Deutschen Bundestages unzulässig.
6Mit Schreiben vom 27. November 2017 widersprach der Antragsteller der Ablehnung des Bundesrechnungshofs und begehrte erneut Akteneinsicht in die abschließende Prüfungsmitteilung. Dies lehnte der Bundesrechnungshof mit gleicher Begründung mit Schreiben vom 29. November 2017 ab.
7Am 18. Dezember 2017 hat der Antragsteller die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes beantragt. Der Antragsteller trägt vor: Ihm stehe ein Anspruch auf Akteneinsicht in die abschließende Prüfungsmitteilung zu. Der Bundesrechnungshof habe bei der Ablehnung der Akteneinsicht sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, da er die Anforderungen der Rundfunkfreiheit nicht ausreichend berücksichtigt habe. Das Ermessen sei vorliegend auf null reduziert. Schließlich sei die Akteneinsicht in den Prüfbericht der einzig sachdienliche Weg zur Information des Antragstellers. Das Abwarten einer Entscheidung in der Hauptsache sei dem Antragsteller nicht zuzumuten. Aufgrund der wichtigen Rolle der FDP-Fraktion in der Bundespolitik sei eine zeitnahe Berichterstattung über die Finanzen der Fraktion, auch hinsichtlich der Mittelverwendung in der Vergangenheit, erforderlich. Hierdurch könne die politische Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit der FDP beeinträchtigt sein. Dies gelte insbesondere, da zwischen der FDP-Fraktion in Liquidation 2013 und der aktuellen Fraktion personelle Kontinuitäten bestünden. Zudem sei es notwendig, die Bevölkerung zeitnah über den Umgang der Parteien mit Steuergeldern zu informieren.
8Der Antragsteller beantragt sinngemäß,
9die Antragsgegnerin im Wege des Eilrechtsschutzes zu verpflichten, ihm Akteneinsicht in die „Abschließenden Prüfungsmitteilungen hinsichtlich der Prüfung der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der FDP-Fraktion im Wahljahr 2013“ zu gewähren.
10Die Antragsgegnerin beantragt,
11den Antrag abzulehnen.
12Sie führt in Ergänzung der vom Bundesrechnungshof im Verwaltungsverfahren übermittelten Begründung aus, dass es bereits an der für eine Entscheidung im einstweiligen Rechtsschutz erforderlichen besonderen Dringlichkeit fehle. Diese sei auch nicht im Hinblick auf die durch Artikel 5 Absatz 1 GG gewährleistete Rundfunkfreiheit entbehrlich. Zudem bestehe kein Anspruch auf Akteneinsicht durch den Antragsteller. Einem Anspruch aus § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO stehe § 52 Absatz 1 AbgG als abschließende Regelung der Offenlegungspflichten der Fraktionen entgegen; weitergehende Transparenzpflichten der Fraktionen bestünden nicht. Ein Anspruch auf Akteneinsicht sei aufgrund des Schutzes des freien Mandats der Fraktionsmitglieder ausgeschlossen, da die Prüfungsfeststellungen des Bundesrechnungshofes nicht nur die Fraktionsarbeit, sondern auch die Mandatsarbeit einzelner Abgeordneter erfassten. Schließlich könne eine Information über das Finanzverhalten der Fraktion Rückschlüsse auf politische Positionen und Strategien erlauben, womit eine Benachteiligung der FDP-Fraktion im politischen Wettbewerb verbunden sein könnte. Der Schutz der politischen Wettbewerbsfähigkeit der Fraktionen stehe daher der Akteneinsicht in die Prüfungsmitteilungen des Bundesrechnungshofs bezüglich der Bundestagsfraktionen entgegen.
13II.
14Der zulässige Antrag ist begründet.
15Das Gericht kann gemäß § 123 Absatz 1 Satz 2 VwGO zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis eine einstweilige Anordnung erlassen, um wesentliche Nachteile abzuwenden, drohende Gewalt zu verhindern oder wenn die Regelung aus anderen Gründen notwendig erscheint. Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt voraus, dass der Antragsteller sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht hat, § 123 Absatz 3 VwGO i. V. m. § 920 BGB. Begehrt der Antragsteller keine lediglich vorläufige Maßnahme, sondern wie vorliegend durch die Gewährung von Akteneinsicht eine Vorwegnahme der Hauptsache, so ist eine einstweilige Anordnung nur ausnahmsweise dann gerechtfertigt, wenn nach summarischer Prüfung ein Erfolg in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich erscheint und ein Abwarten für den Antragsteller schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile nach sich ziehen würde.
16Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 04. Januar 2013 – 5 B 1493/12 –, Rn. 3.
17Der Antragsteller hat sowohl einen Anordnungsgrund als auch einen Anordnungsanspruch mit der für die Vorwegnahme der Hauptsache erforderlichen Wahrscheinlichkeit glaubhaft gemacht.
181. Der Antragsteller hat einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Ein Abwarten würde schwere und unzumutbare, nachträglich nicht mehr zu beseitigende Nachteile nach sich ziehen. Hier ist die Rundfunkfreiheit des Antragstellers, insbesondere die Bedeutung der Akteneinsicht für eine effektive Berichterstattung zu berücksichtigen. Der Antragsteller ist Mitarbeiter in der Redaktion des Rundfunks C. . Daher darf an das Vorliegen eines schweren, die Vorwegnahme der Hauptsache rechtfertigenden Nachteils kein zu strenger Maßstab angelegt werden. Erforderlich, aber auch ausreichend ist ein gesteigertes öffentliches Interesse und ein starker Gegenwartsbezug der Berichterstattung.
19Vgl. BVerfG, Beschluss vom 08. September 2014 ‑ 1 BvR 23/14‑, Rn. 25 f.; BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2017 ‑BVerwG 6 VR 1.17 ‑. Rn. 13; OVG NRW, Beschluss vom 17. März 2017 – 15 B 1112/15 –, Rn. 34.
20Beide Voraussetzungen sind vorliegend gegeben. Insbesondere steht der Gewährung von Eilrechtsschutz nicht entgegen, dass die Berichterstattung grundsätzlich auch zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen könnte, ohne dass sie ihren Nachrichtengehalt vollständig einbüßen würde. Im Rahmen seines Selbstbestimmungsrechts entscheidet der Rundfunk selbst, ob und wie er über ein bestimmtes Thema berichtet, also auch in welcher zeitlichen Nähe zum berichteten Ereignis. Das Selbstbestimmungsrecht umfasst auch die Art und Weise der diesbezüglichen Informationsbeschaffung.
21Vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.09.3014 ‑ 1 BvR 23/14 ‑. Rn. 28 ff.; Beschluss der Kammer vom 27.August 2009 ‑ 6 L 918/09 ‑, Rn. 12.
22Die begehrten Informationen betreffen auch nicht lediglich einen lang zurückliegenden, „historischen Vorgang“, sodass der Antragsteller nicht besonders darlegen muss, warum diese Informationen heute relevant sind und ein Hauptverfahren zum jetzigen Zeitpunkt nicht abgewartet werden kann. Zwar befasst sich die Prüfungsmitteilung des Bundesrechnungshofs mit der Mittelverwendung der FDP-Fraktion im Jahr 2013. Diese Prüfung ist jedoch erst im ersten Halbjahr 2017 abgeschlossen worden und damit von hoher Aktualität. Auch angesichts der vom Antragsteller vorgelegten Presseberichte,
23vgl. Spiegel-Artikel „Liberale Altlasten“ vom 09.09.2017, Artikel im stern vom 12.09.2017 „Millionen verprasst, Schulden hinterlassen: So hässlich sind die Liberalen“,
24findet eine aktuelle öffentliche Debatte über diese Mittelverwendung statt. In diesen Berichten wird auch auf die streitgegenständliche Prüfungsmitteilung des Bundesrechnungshofs Bezug genommen. Zum anderen enthält die aktuelle Prüfungsmitteilung des Bundesrechnungshofs ein Prüfungsergebnis und damit eine Bewertung, an der ein Informationsinteresse besteht.
25Zu berücksichtigen ist hier auch, dass in der 18. Legislaturperiode von 2013 bis 2017 die FDP keine Fraktion im Deutschen Bundestag stellte. Dagegen ist im aktuellen Deutschen Bundestag wiederum eine FDP-Fraktion vertreten, die nunmehr die zweitgrößte Oppositionsfraktion darstellt und die personelle Kontinuitäten zur FDP-Fraktion in Liquidation 2013 aufweist. Das Verhalten der FDP-Fraktion und ihrer damaligen Mitglieder in der 17. Legislaturperiode von 2009 bis 2013 stellt daher die nächstmögliche Quelle für vergangenes Handeln einer FDP-Fraktion und ihrer Mitglieder im Deutschen Bundestag dar. Die Mittelverwendung durch die FDP-Fraktion 2013 kann damit auch für die Bewertung des politischen Handelns der aktuellen FDP-Fraktion und ihrer Mitglieder relevant sein.
26Ziel des Zugangsbegehrens ist auch nicht nur eine allgemeine politische Berichterstattung über die Mittelverwendung der Fraktionen im Deutschen Bundestag.
27Vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2017 ‑ BVerwG 6 VR 1.17 ‑. Rn. 14
28Vielmehr geht aus den angeführten Presseberichten hervor, dass konkrete Anhaltspunkte für eine zweckwidrige Mittelverwendung gerade durch die FDP-Fraktion im Jahr 2013 vorliegen und diese bereits in der Öffentlichkeit diskutierten Inhalte auch Gegenstand der Recherche des Antragstellers sind.
29Im Hinblick auf das öffentliche Interesse und den starken Gegenwartsbezug kann dabei – anders als die Antragsgegnerin vorträgt – nicht lediglich auf den Wahltermin zum Deutschen Bundestag abgestellt werden. Natürlich findet im Zuge der Wahl zum Deutschen Bundestag eine politische Willensbildung durch die Bürgerinnen und Bürger statt, sodass diese gerade im Vorfeld einer Wahlentscheidung ein besonderes Interesse an einer zeitnahen Berichterstattung haben. Die bedeutet jedoch nicht, dass die öffentliche Diskussion über die Mittelverwendung einer Bundestagsfraktion nur zum Wahltermin relevant wird und nur dann ein besonderes öffentliches Interesse an einer zeitnahen Berichterstattung besteht. Die politische Willensbildung findet nämlich nicht nur unmittelbar im Vorfeld einer Wahl statt. Die politische Glaubwürdigkeit und Handlungsfähigkeit der FDP-Fraktion und ihrer Mitglieder könnte durch öffentliche Informationen über eine zweckwidrige Verwendung öffentlicher Mittel der FDP-Fraktion in Liquidation 2013, aber auch durch eine Widerlegung dieser bereits in der Presse erhobenen Vorwürfe beeinflusst sein. Die FDP-Fraktion wirkt als Fraktion des Deutschen Bundestags kontinuierlich an politischen Vorhaben mit. Damit besteht ein öffentliches Interesse an einer zeitnahen Information über die Mittelverwendung.
302. Der Anordnungsanspruch des Antragstellers auf Akteneinsicht in die „Abschließenden Prüfungsmitteilungen hinsichtlich der Prüfung der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der FDP-Fraktion im Wahljahr 2013“ ergibt sich aus § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO. Die Kompetenz des Bundes zur Ausgestaltung der Prüfungstätigkeit des Bundesrechnungshofs umfasst als Annex auch die Regelung der Voraussetzungen und Grenzen der Information der Öffentlichkeit – einschließlich des Rundfunks – über diese Tätigkeit.
31Vgl. BVerwG, Urteile vom 25. März 2015 ‑ 6 C 12.14 ‑, Rn. 11 ff. (= BVerwGE 151, 348), und vom 20. Februar 2013 ‑ 6 A 2.12 ‑, Rn. 22 ff., Rn. 25 (= BVerwGE 146, 56); OVG NRW, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 15 B 200/17 –, Rn. 34.
32Der Bundesgesetzgeber hat mit § 96 Absatz 4 BHO eine abschließende Spezialregelung auch für Informationsansprüche von Presse- und Rundfunkvertretern gegenüber dem Bundesrechnungshof geschaffen.
33Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 15 B 200/17 –, Rn. 37 ff. sowie Urteil der Kammer vom 19.05.2016 – 6 K 1267/15 –, Rn. 23.
34Gemäß § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO kann der Bundesrechnungshof Dritten Auskunft, Akteneinsicht oder in sonstiger Weise Zugang zu von ihm abschließend festgestellten Prüfungsergebnissen gewähren. Diese Voraussetzungen des § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO liegen vor. Der Bundesrechnungshof hat das Prüfungsergebnis der öffentlichkeitswirksamen Maßnahmen der FDP-Fraktion im Jahr 2013 abschließend im Sinne des § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO festgestellt.
35Die Regelung stellt den Zugang zu dem Prüfungsergebnis in das Ermessen des Bundesrechnungshofs. Vorliegend hat der Bundesrechnungshof sein Ermessen fehlerhaft ausgeübt, da er die Bedeutung der Rundfunkfreiheit aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG im Rahmen der Ermessensentscheidung nicht hinreichend berücksichtigt hat. Das Ermessen des Bundesrechnungshofes ist vorliegend auf Null reduziert, sodass dem Antragsteller Akteneinsicht in die streitgegenständliche abschließende Prüfungsmitteilung zu gewähren ist.
36Im Rahmen der Ermessensentscheidung über den Zugang ist die in Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG gewährleistete Rundfunkfreiheit zu beachten. Diese verlangt, dass dem Informationsbegehren eines Rundfunkvertreters mit Blick auf die Prüfungsergebnisse eines abgeschlossenen Prüfungsverfahrens des Bundesrechnungshofs grundsätzlich zu entsprechen ist. Die Sicherung einer effektiven funktionsgemäßen Betätigung des Rundfunks erfordert, dass Rundfunkvertreter hinreichende Auskünfte zu Vorgängen, für die sie ein öffentliches Interesse annehmen, von staatlichen Stellen erhalten. Eine solche Ermessensreduzierung auf Null ist nur dann nicht anzunehmen, wenn dem Zugangsbegehren des Rundfunkvertreters im Einzelfall ausnahmsweise ein schutzwürdiges privates oder öffentliches Vertraulichkeitsinteresse entgegensteht.
37Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 20. Juni 2017 – 15 B 200/17 –, Rn. 50; Engels, in: Engels/Eibelshäuser, Kommentar zum Haushaltsrecht, Stand: Dezember 2016, § 96 BHO Rn. 47.
38Ein derartiges überwiegendes schutzwürdiges Interesse liegt nicht vor.
39a) Dem Zugangsbegehren steht nicht schon, wie von der Antragsgegnerin vorgetragen, § 52 Absatz 1 AbgG entgegen. Dieser schreibt vor, dass die Fraktionen des Deutschen Bundestags über die Verwendung der Mittel, die ihnen innerhalb eines Kalenderjahres gemäß § 50 Absatz 1 AbgG zugeflossen sind, öffentlich Rechenschaft ablegen. Gemäß § 52 Absatz 4 Satz 4 AbgG sind die geprüften Rechnungen der Fraktionen als Bundestagsdrucksache zu veröffentlichen. Bei § 52 Absatz 1 AbgG handelt es sich weder seinem Wortlaut noch seiner Entstehungsgeschichte nach um eine gegenüber § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO vorrangige Vorschrift, die die Art und Weise der Veröffentlichung der Mittelverwendung der Fraktionen abschließend regelt. Seinem Wortlaut nach verpflichtet § 52 Absatz 1 AbgG die Fraktionen selbst, über Herkunft und Verwendung der ihnen nach § 50 Absatz 1 AbgG zugeflossenen Mittel öffentlich Rechenschaft abzulegen. Eine Aussage darüber, ob und inwieweit andere staatliche Stellen Informationen über die Mittelverwendung der Fraktionen zu veröffentlichen haben, lässt sich dem Wortlaut der Vorschrift nicht entnehmen. Der Bundesrechnungshof ist schon nicht Adressat der Vorschrift.
40Auch die Entstehungsgeschichte des § 52 Absatz 1 AbgG bietet keinen Anhaltspunkt dafür, dass eine Vorschrift geschaffen werden sollte, die die verfassungsrechtlich gebotene Transparenz bei der Kontrolle der Mittelverwendung durch die Fraktionen des Deutschen Bundestags abschließend regelt. Gegensätzliches ergibt sich nicht – wie von der Antragsgegnerin angeführt – aus der Gesetzesbegründung zur Änderung des Abgeordnetengesetzes (BT-Drs. 12/4756. S. 5 f.). Diese lautet: „Diese Verpflichtung den Fraktionen aufzuerlegen, ist sowohl aus Gründen der Transparenz erforderlich als auch verfassungsrechtlich geboten. Die Fraktionen bilden das Bindeglied zwischen dem Staat und den Parteien […]; da diese zur öffentlichen Rechnungslegung verpflichtet sind, darf für die Fraktionen nichts anderes gelten.“ Hieraus lässt sich zum einen schließen, dass der Gesetzgeber mit der Regelung des § 52 Absatz 1 AbgG erreichen wollte, dass die Fraktionen hinsichtlich ihrer Veröffentlichungspflichten nicht hinter den Parteien zurückstehen. Zum anderen wird deutlich, dass der historische Gesetzgeber eine öffentliche Rechnungslegung durch die Fraktionen als verfassungsrechtlich erforderlich und geboten ansah. Der Vortrag der Antragsgegnerin, dass neben der Regelung des § 52 AbgG weitere Transparenzpflichten nicht bestehen und weiter gehende öffentliche Kontrollen verfassungsrechtlich nicht geboten sind, findet in der Gesetzesbegründung dagegen keine Grundlage.
41Vgl. hierzu bereits den Beschluss der Kammer vom 09. Februar 2017 – 6 L 2426/16, Rn. 31‑, 33.
42Die Antragsgegnerin kann auch nicht mit dem Vortrag durchdringen, angesichts der Tatsache, dass § 53 AbgG eine Veröffentlichung des Prüfungsergebnisses durch den Bundesrechnungshof nicht regelt und § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO erst nach Einfügung des § 52 AbgG geschaffen wurde, sei anzunehmen, dass der historische Gesetzgeber die Regelung des § 52 AbgG über die Veröffentlichung der Mittelverwendung der Fraktionen als abschließend angesehen habe. „Abschließend“ bedeutet insoweit, dass es sich nicht nur tatsächlich um die umfassende Regelung der Veröffentlichung handelte, sondern dass der Gesetzgeber diese Regelung auch rechtlich als endgültig und anderen (auch später erlassenen) Vorschriften gegenüber als vorrangig betrachtete. Hierfür findet sich in der Gesetzesbegründung keinerlei Hinweis.
43b) Die Zugänglichmachung der abschließenden Prüfungsmitteilung ist auch nicht aufgrund der Regelung des § 1 IFG i. V. m. § 46 Absatz 3 AbgG ausgeschlossen. Aus dieser Regelung folgt, dass die Fraktionen, da sie keine öffentliche Gewalt ausüben, nicht zur Auskunft nach § 1 Absatz 1 IFG verpflichtet sind.
44Zunächst liegt keine Umgehung des § 1 IFG i. V. m. § 46 Absatz 3 AbgG vor, weil sich der Anspruch des § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO gegen den Bundesrechnungshof und nicht gegen die Fraktionen richtet, diese also weiterhin nicht selbst zur Auskunft verpflichtet sind.
45Die Wertung des § 1 IFG i. V. m. § 46 Absatz 3 AbgG ist auch nicht in die Anwendung des § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO hineinzulesen. Aus der Begrenzung der Zugänglichmachung von Informationen für „jeden und jede“ im Rahmen des IFG lässt sich nicht zwingend schließen, dass auch Vertreter des Rundfunks keinen Informationsanspruch haben sollen. In diesem Fall ist nämlich die verfassungsrechtlich gewährleistete Rundfunkfreiheit, anders als bei der vom Gesetzgeber getroffenen Abwägung im Rahmen des § 1 IFG i. V. m. § 46 Absatz 3 AbgG, zu berücksichtigen.
46Vgl. hierzu bereits den Beschluss der Kammer vom 09. Februar 2017 – 6 L 2426/16 ‑, Rn. 34‑36.
47Der Gesetzgeber hat im Rahmen des § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO zudem darauf verzichtet, den Anspruch auf Zugänglichmachung auf solche Prüfungsmitteilungen des Bundesrechnungshofs zu beschränken, die aus der Prüfung einer Stelle der öffentlichen Verwaltung resultieren. Vielmehr sind die Interessen der geprüften Stelle im Rahmen der Ermessensentscheidung im Einzelfall zu beachten. Die Tatsache allein, dass es sich bei der FDP-Fraktion um eine Stelle handelt, die keine öffentliche Gewalt ausübt, kann das durch Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG geschützte Interesse des Rundfunkvertreters an der Information über die Prüfungsergebnisse jedoch nicht überwiegen. Schließlich ist der Anspruch des § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO auch nicht auf Prüfungsergebnisse beschränkt, die staatliche Stellen betreffen, gegenüber denen ein Informationsanspruch besteht. Für eine solche Auslegung des § 96 Absatz 4 Satz 1 GG findet sich keinerlei Anknüpfung.
48c) Dem Zugang zu der abschließenden Prüfungsmitteilung stehen auch keine überwiegenden Interessen der Fraktion oder ihrer Mitglieder aus Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG entgegen.
49Artikel 38 Abs. 1 Satz 2 GG gewährleistet das freie Mandat, indem die Willensbildung der Abgeordneten vor unzulässiger Einflussnahme geschützt werden soll. Er umfasst den Schutz der personenbezogenen Daten der Abgeordneten.
50Vgl. BVerwG, Urteil vom 16. März 2016 – BVerwG C 65.14 –, Rn. 22.
51Es scheint nicht grundsätzlich ausgeschlossen, dass durch eine Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse hinsichtlich der Verwendung von Fraktionsmitteln das freie Mandat einzelner Fraktionsmitglieder betroffen sein kann. Denn auch die Tätigkeiten der Fraktionen dienen einer effektiven Ausübung des Mandates ihrer Mitglieder.
52Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 14. März 2014 – 1 K 3924/13 –, Rn. 119.
53Zudem könnte die Veröffentlichung von Prüfungsergebnissen Rückschlüsse auf die Mandatsausübung einzelner Abgeordneter zulassen, da die Prüfungsmitteilung des Bundesrechnungshofs auch Mandatsarbeit erfasst, soweit diese mit Fraktionsmitteln finanziert wurde.
54Der Schutz des freien Mandats der Fraktionsmitglieder bildet jedoch im konkreten Fall kein das Informationsinteresse des Rundfunkvertreters überwiegendes Interesse der Fraktionen und der Abgeordneten. Zunächst scheint bereits zweifelhaft, dass das freie Mandat der Fraktionsmitglieder durch eine Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse über die Verwendung von Fraktionsmitteln tatsächlich wesentlich beeinträchtigt ist. Hierbei ist zum einen zu berücksichtigen, dass bereits nach der gesetzlichen Regelung des Abgeordnetengesetzes die Verwendung von Fraktionsmitteln stärker kontrolliert wird als die Mittelverwendung durch einzelne Abgeordnete. Während die §§ 52, 53 AbgG eine teilweise Veröffentlichung der Mittelverwendung und eine Überprüfung durch den Bundesrechnungshof vorschreiben, fehlen parallele Regelungen für die Verwendung der Mittel durch die einzelnen Abgeordneten.
55Zudem betrifft die Veröffentlichung des Prüfungsergebnisses die Fraktionsmitglieder nicht in ihrer Mandatsausübung im parlamentarischen Raum, sondern löst nur eine nachträgliche Kontrolle aus. Grundsätzlich müssen sich aber die Abgeordneten auch in der Öffentlichkeit an ihrer Mandatsausübung messen lassen. Welche bestimmten, die Mandatsausübung der Abgeordneten beeinträchtigenden Vorwirkungen eine Veröffentlichung der Prüfungsergebnisse und die öffentliche Diskussion über die bestimmungsgemäße und wirtschaftliche Verwendung der bereitgestellten Mittel haben könnte, trägt die Antragsgegnerin nicht hinreichend konkret vor. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass eine Veröffentlichung nur mit zeitlichem Abstand, nämlich nach Prüfung durch den Bundesrechnungshof – im vorliegenden Fall nach über drei Jahren – erfolgen würde. Die allgemeinen Ausführungen der Antragsgegnerin, dass eine Veröffentlichung generell Vorwirkungen auf die Mandatsarbeit haben könnte, kann das Informationsinteresse des Rundfunks jedenfalls nicht überwiegen. Im Übrigen spricht viel dafür, dass, wenn die öffentliche Diskussion über die ordnungsgemäße und wirtschaftliche Verwendung von Fraktionsmitteln (und nicht deren politische Bewertung) die Mandatsausübung bereits tatsächlich derart stark beeinträchtigte, bereits die nach § 53 AbgG vorgesehene Prüfung durch den Bundesrechnungshof im Konflikt mit Artikel 38 Absatz 1 Satz 2 GG stünde.
56Vgl. Luckas/Janz, LKV 1/2016, S. 13; Beschluss der Kammer vom 09. Februar 2017 – 6 L 2426/16 ‑, Rn. 39.
57Die Schutzwürdigkeit der personenbezogenen Daten der Fraktionsmitglieder gemäß Artikel 39 Absatz 1 Satz 2 GG kann dem Informationsinteresse des Rundfunks aber jedenfalls dann nicht entgegengehalten werden, wenn konkrete Anhaltspunkte bestehen, dass die rechtlichen Grenzen der Mittelverwendung überschritten und die öffentlichkeitswirksamen Mittel der Fraktion zweckwidrig eingesetzt wurden. In diesen Fällen überwiegt das Informationsinteresse des Rundfunks stets das Interesse der Fraktionsmitglieder am Schutz ihrer personenbezogenen Daten, die im Zusammenhang mit der Verwendung von zweckgebundenen Fraktionsmitteln bestehen.
58Vgl. zur Mittelverwendung von Abgeordneten, BVerwG, Urteil vom 16. März 2016 – BVerwG 6 C 65.14 –, Rn. 24.
59Solche konkreten Anhaltspunkte einer zweckwidrigen Mittelverwendung hat der Antragsteller vorliegend glaubhaft gemacht. In der Presse wurde am 09. September 2017 und am 12. September 2017 sowie bereits im April 2013 über eine mögliche Verwendung von Fraktionsmitteln für Parteizwecke durch die FDP-Fraktion in Liquidation 2013 berichtet. In diesen Berichten wurde auch auf einen diesbezüglichen Vorwurf des Bundesrechnungshofs eingegangen.
60d) Schließlich steht dem Zugangsanspruch des Antragstellers auch keine zu befürchtende Beeinträchtigung der politischen Chancengleichheit der Fraktionen entgegen. Selbst wenn mit dem Vortrag der Antragsgegnerin unterstellt wird, dass durch die Veröffentlichung der Prüfungsmitteilung Rückschlüsse auf die politische Schwerpunktsetzung möglich sind, beziehen sich diese auf Tätigkeiten der Fraktion und der Mandatsträger aus dem Jahr 2013. Dass sich aus einer nachträglichen Veröffentlichung nach Ablauf einer gesamten Legislaturperiode derart schwerwiegende Beeinträchtigungen der politischen Chancengleichheit ergeben könnten, dass diese den Informationsanspruch des Antragstellers unter Berücksichtigung der Rundfunkfreiheit ausschließen würden, ist nicht erkennbar.
61e) Das Gericht konnte die Antragsgegnerin auch zur Gewährung von Akteneinsicht verpflichten. Mit § 96 Absatz 4 Satz 1 BHO hat der Bundesgesetzgeber ausdrücklich die Möglichkeit der Akteneinsicht neben der Zugangsgewährung durch Auskunftserteilung vorgesehen. Auch im Rahmen des dem Bundesrechnungshofs daher zustehenden Auswahlermessens über die Art der Zugangsgewährung ist die Rundfunkfreiheit gemäß Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG in die Abwägung einzustellen.
62Vgl. hierzu den Beschluss der Kammer vom 09. Februar 2017 – 6 L 2426/16 ‑, Rn. 44‑46.
63Das Auswahlermessen ist vorliegend dahingehend auf Null reduziert, dass dem Antragsteller Zugang in Form der Akteneinsicht zu gewähren ist. Die Akteneinsicht stellt sich aus zwei Gründen als unter Berücksichtigung der Rundfunkfreiheit des Antragstellers einzig ermessensfehlerfreie Art der Zugangsgewährung dar. Erstens zielt das Akteneinsichtsbegehren des Antragstellers auf die Mittelverwendung der Fraktion im Einzelnen sowie die Frage, ob und in welcher Hinsicht diese zweckwidrig eingesetzt wurden. Es scheint nicht ausgeschlossen, dass im Zuge einer zusammenfassenden Auskunftserteilung durch den Bundesrechnungshof Informationen nicht übermittelt würden, die für den Antragsteller von Bedeutung sein könnten. Zweitens decken sich das öffentliche Informationsinteresse und der wesentliche Inhalt der abschließenden Prüfungsmitteilungen insoweit, als beides die wirtschaftliche und ordnungsgemäße Mittelverwendung der Fraktion erfasst, sodass nur durch Einsicht in die abschließende Prüfungsmitteilung das Informationsinteresse vollständig befriedigt werden kann.
643. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO.
654. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes folgt aus §§ 52 Absatz 2, 53 Absatz 3 Nr. 1 GKG, wobei die Kammer im Hinblick auf die vom Antragsteller begehrte endgültige Vorwegnahme der Hauptsache den vollen Auffangstreitwert angesetzt hat.