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Der Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger die beantragte waffenrechtliche Erlaubnis zum Erwerb, Besitz und Führen eines Schalldämpfers der Kalibergruppe .30 zu erteilen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf dieVollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Mit Schreiben vom 14.04.2015 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf seinen Jahresjagdschein die Erteilung einer Genehmigung zum Erwerb eines Schalldämpfers der Kalibergruppe .30 für eine Langwaffe.
3Am 12.02.2016 hat der Kläger Untätigkeitsklage erhoben. Er weist auf die Genehmigungspraxis anderer Bundesländer hin, welche ein Bedürfnis für den Erwerb und Besitz von Schalldämpfern für Langwaffen -mit für Schalenwild tauglichen Büchsenkalibern- durch Jäger anerkennen. Die ein Bedürfnis verneinende Stellungnahme des LKA NRW vom 17.12.2015 und das Urteil des VG Düsseldorf vom 10.05.2016 überzeugten nicht, da dort wesentliche Gegebenheiten in Bezug auf die Jagdausübung und den Schallschutz für Jäger nicht sachgerecht berücksichtigt würden. Der beantragte Schalldämpfer beziehe sich ausschließlich auf eine Büchse und die damit verfolgten jagdlichen Zwecke. Sowohl In-Ear-Systeme als auch Kapselgehörschützer böten zwar theoretisch bei ordnungsgemäßer Anwendung einen effektiven Gehörschutz. Zutreffend sei auch, dass jagdlich ausschließlich impulsschutzfähige Systeme Sinn machten, die einerseits den Schussknall abregelten, andererseits Umgebungsgeräusche wahrnehmen ließen bzw. diese verstärkten. Dieser Vorteil spiele jedoch ausschließlich dort eine Rolle, wo es neben dem Schutz des Gehörs auch um die Kommunikationsfähigkeit der Anwender gehe. Dies sei insbesondere bei der Jagd mit der Flinte anlässlich sogenannter Treibjagden sowie auf dem Schießstand der Fall. Der vom LKA und vom VG Düsseldorf unterstellte theoretische Schutz von Kapsel- bzw. In-Ear-Systemen werde tatsächlich in der Praxis nicht erreicht und zudem schränke die Verstärkung der Umgebungsgeräusche das Richtungs- und insbesondere das Entfernungshören extrem ein, wie auch die ins Verfahren eingeführten sachverständigen Stellungnahmen bestätigten. Das menschliche Gehör sei ohne Weiteres in der Lage, eine Geräuschquelle nicht nur nach ihrer Richtung, sondern auch nach ihrer Entfernung zu unterscheiden, weil das menschliche Ohr – erst recht das geschulte Ohr eines Jägers – die unterschiedlichen Lautstärken wahrnehmen und in einen entsprechenden Zusammenhang bringen könne. Schließlich müsse der Jäger gewährleisten, dass die erforderliche Sicherheit gegeben sei und er keine Dritten (Mitjäger, Treiber, Spaziergänger) bzw. Hunde gefährde. Die elektronische Verstärkung nivelliere diese Lautstärkenunterschiede, weil insbesondere die entfernteren Geräusche durch die Verstärkung die näheren Geräusche überlagerten, und verstärke sämtliche sonstigen Geräusche wie Wind, Blätterrauschen, Regen etc. Übrig bleibe ein einziger, gleich lauter Geräuschbrei. Die für die Jagd verfügbaren Gehörschutzsysteme verfügten nicht über die Richtmikrofontechnik, wie sie bei besonders hochwertigen digitalen Hörgeräten vorhanden sei. Bei der gegenständlichen Jagd mit der Büchse kämen daher In-Ear-Systeme so gut wie gar nicht zum Einsatz. Bei der Drückjagd müsse in der Regel innerhalb eines Sekundenbruchteils entschieden werden, ob eine Schusschance vorliege, weil häufig kein weites Sicht-/Schussfeld vorhanden sei. Zudem befinde sich das Wild in Bewegung und müsse flüchtig erlegt werden, sodass vor der Schussabgabe nicht erst noch der Kapselgehörschutz aufgesetzt werden könne. Daher werde diese Möglichkeit auf Drückjagden von der weit überwiegenden Zahl der Jäger abgelehnt, obwohl dies zu Lasten der Gesundheit gehe. Insofern müsse man berücksichtigen, dass der Kläger an durchschnittlich zehn bis zwölf Drückjagden pro Jahr teilnehme und dabei zwischen zehn bis zwanzig Schüsse abgebe Die Stellungnahme des LKA NRW sei in Bezug auf die Nachsuche (angeblich keine Benutzung von Langwaffen) nicht mit der jagdlichen Realität vereinbar. Da bei der Nachsuche nach § 30 Abs. 1 LJG-NRW das Mitführen eines brauchbaren Jagdhundes zwingend vorgeschrieben sei, schütze ein Schalldämpfer auch dessen Gehör.
4Der –seitens des Beklagten benannte- vom Deutsch-Französischen Forschungsinstitut Saint-Louis (ISL) entwickelte nichtlinearen Ohrstöpsel EAR Ultrafit/ ISL sei für Jäger nicht geeignet. Die entsprechende Testung durch das Institut für den medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr genüge nicht wissenschaftlichen Ansprüchen und nenne keine Dämmwerte.
5Die Argumentation des LKA NRW zur möglichen deliktischen Verwendung von Schalldämpfern überzeuge ebenfalls nicht, da die von Jägern bevorzugt benutzten „Overbarrel“ – oder Teleskop-Dämpfer ungeeignet für eine Umrüstung zur Nutzung mit einer Kurzwaffe seien. Außerdem ergebe sich aus der Stellungnahme des BKA eine geringe Deliktsrelevanz von Schalldämpfern. In Nachbarländern, in denen Genehmigungen aus Gesundheitsschutzgründen problemlos erteilt würden, habe es auch keinen signifikanten Anstieg von Delikten mit Schalldämpferbezug gegeben. Davon abgesehen sei die Adaption von Langwaffendämpfern auf Kurzwaffen technisch höchst anspruchsvoll. Schalldämpfer für Jagdwaffen seien daher für potentielle Straftäter völlig uninteressant. Hinzu komme, dass diese sich leichter handhabbarer Hilfsmittel bedienen könnten, etwa leerer PET-Flasche bzw. einen frei verfügbaren PET-Adapter. Zudem werde durch den Schalldämpfer das Schussgeräusch nur von 158 dB(A) auf ca. 130 dB(A) gesenkt, so dass der Schussknall weiterhin im Umkreis von ein bis zwei Kilometern deutlich wahrnehmbar bleibe.
6Der Kläger beantragt,
7den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die beantragte waffenrechtliche Erlaubnis zum Erwerb, Besitz und Führen eines Schalldämpfers der Kalibergruppe .30 zu erteilen.
8Der Beklagte beantragt,
9die Klage abzuweisen.
10Zur Begründung macht er sich die Stellungnahmen des LKA NRW vom 17.12.2015 und vom 23.01.2017 zu Eigen und führt aus, ein vom ISL entwickelter nichtlinearen Ohrstöpsel stelle laut „Wirksamkeitsnachweis eines Impulsschallgehörschutzes bei durch Handfeuerwaffen ausgelöstem Impulslärm“ des Instituts für den medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr einen wirksamen Innenohrschutz ohne Verlust der Kommunikationsfähigkeit und der Umfelddetektion dar. Derartige Ohrstöpsel würden auch für den zivilen Bereich von verschiedenen Herstellern angeboten. Dagegen lasse die eingeholte gutachtliche Stellungnahme des Dr. Neitzel die erforderliche Objektivität vermissen, da er –wie auch das LKA NRW ausführe- in verschiedenen Veröffentlichungen den Einsatz von Schalldämpfern befürworte.
11Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie die von der Kammer eingeholten Stellungnahmen der Deutschen Versuchs- und Prüf-Anstalt für Jagd- und Sportwaffen e.V. (DEVA), des Dr. Neitzel, des Landesjagdverbandes NRW und des LKA NRW sowie die vom Kläger vorgelegten Unterlagen Bezug genommen.
12E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
13Die Klage ist begründet.
14Der Kläger hat Anspruch auf die beantragte Erlaubnis zum Erwerb, Besitz und Führen eines Schalldämpfers für jagdliche Zwecke.
15Erwerb, Besitz und Führen eines Schalldämpfers bedürfen –wovon auch der Kläger ausgeht- einer waffenrechtlichen Erlaubnis, wobei der Nachweis eines Bedürfnisses nicht gemäߠ § 13 Abs. 2 WaffG entfällt. Allerdings kann sich ein besonderes Interesse an der Verwendung eines Schalldämpfers aus Gründen des Gesundheitsschutzes aus § 8 Nr. 1 WaffG ergeben, weil die dortige Aufzählung nicht abschließend ist.
16Vgl. dazu insgesamt etwa VG Minden, Urteil vom 02.01.2017 -8 K 3041/16- und VG Düsseldorf, Urteil vom 10.05.2016 -22 K 5426/15-, beide juris.
17Die Voraussetzungen für die Annahme eines derartigen Bedürfnisses aus gesundheitlichen Gründen, hier Schutz des Gehörs, liegen vor.
18Der Nachweis eines Bedürfnisses gemäß § 4 Abs.1 Nr. 4, § 8 WaffG ist erbracht, wenn gegenüber den Belangen der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung besonders anzuerkennende persönliche oder wirtschaftliche Interessen, vor allem etwa als Jäger, und die Geeignetheit und Erforderlichkeit der Waffen oder Munition für den beantragten Zweck glaubhaft gemacht sind. Dies ist der Fall.
19Beim Schuss mit einem Jagdgewehr ist am Ohr des Schützen mit Schallwerten von 157,2 dB(C) zu rechnen (s. DEVA, Bericht zur Ermittlung realer Werte des Geräuschpegels mit und ohne Schalldämpfer vom 05.11.2015). Die Schmerzgrenze wird teilweise bereits bei 120 dB(A) angesetzt –so das BKA in seiner Stellungnahme vom 25.10.2013-, teilweise erst bei einer Geräuschbelastung von 130 dB(A).
20Eine ausreichende Schalldämpfung durch den Einsatz von Gehörschützern ist nicht gewährleistet.
21Eine fehlende Eignung von Gehörschutzsystemen lässt sich allerdings nicht damit
22begründen, diese könnten die über die Knochenleitbahnen weitergeleiteten Schallwellen nicht dämpfen,
23vgl. dazu VG Minden, Urteil vom 02.01.2017 -8 K 3041/16-, juris, Rn. 34 und 36.
24Dass Gehörschutzsysteme dazu nicht in der Lage sind, ist zutreffend. Die auf diesem Wege am Innenohr ankommenden Schallwerte erreichen jedoch kein gesundheitsschädliches Maß, da Schallwellen beim Übergang vom Medium Luft in den Knochen um ca. 40-60 dB gedämpft werden und somit eine bessere Reduzierung des Schalldruckpegels als durch alle marktverfügbaren Kapselgehörschützer erreicht wird,
25vgl. Dr. Neitzel, Stellungnahme zur Verwendung von Schalldämpfern bei der Ausübung der Jagd vom 11.05.2014 (damit korrespondieren z.B. Wikipedia, Knochenleitung: die Lautstärke einer Schallquelle, die direkt auf den Schädelknochen aufsetzt, muss um etwa 50 dB erhöht werden, um die gleiche Lautstärkeempfindung zu erzielen)
26Soweit diesbezüglich in der gutachtlichen Stellungnahme der DEVA vom 13.12.2016 ausgeführt wird, anders als das LKA NRW annehme böten In-Ear-Geräte und Kapselgehörschützer nicht den umfassenden Schutz, weil über die Ohrmuschel bzw. über den Schädelknochen der Schalldruck, wenn auch in etwas abgeschwächter Form, an das Gehör weiter gegeben werde, führt dies zu keiner abweichenden Beurteilung. Denn es werden keine Schallwerte genannt, die auf diesem Wege an das Innenohr weitergeleitet werden.
27Die Auffassung des Beklagten in Bezug auf ausreichenden Schallschutz durch Gehörschützer stützt sich im Wesentlichen auf die Argumentation in den Stellungnahmen des LKA NRW vom 17.12.2015 und vom 23.01.2017. Der dortigen Annahme, aufgrund der Herstellerangaben sei davon auszugehen, dass geeignete Gehörschützer in Form von In-Ear-Systemen oder Kapselgehörschutz zur Verfügung stünden, vermag die Kammer nicht zu folgen. Denn diese Auffassung ist mit den nunmehr vorliegenden sachverständigen Äußerungen nicht in Einklang zu bringen.
28Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten, dass das LKA NRW in seiner Stellungnahme vom 23.01.2017 ausführt, dass der Erlass vom 17.12.2015 als komprimierte Argumentationshilfe für Behörden konzipiert sei, daher keine gutachtliche Stellungnahme darstelle und sich deshalb auch nicht an den Kriterien einer solchen messen lassen müsse. Den unter Ziffer 1.3 des Erlasses vom 17.12.2015 genannten Dämpfungswerten für In-Ear-Systeme und Kapselgehörschutz lägen keine eigenen Untersuchungen zugrunde, sondern Herstellerangaben.
29Soweit das LKA NRW und der Beklagte im vorliegenden Verfahren annehmen, dass die gutachtlichen Stellungnahmen von Dr. Neitzel zu dem angesprochenen Themenkreis nicht verwertbar seien, weil er aufgrund seiner anderweitigen, den Einsatz von Schalldämpfern befürwortenden Äußerungen und Aktivitäten die nötige Objektivität vermissen lasse, vermag die Kammer diese Sichtweise nicht zu teilen. Denn eigene wissenschaftliche Veröffentlichungen eines Sachverständigen im Themenbereich seines Gutachtens begründen nicht die Besorgnis der Befangenheit. Das gilt auch dann, wenn sich die Publikationen mit Fragen befassen, die auch für die Beantwortung der Beweisfrage im anhängigen Verfahren von Bedeutung sind. Dass ein Sachverständiger sowohl in seinem Gutachten als auch in einer Publikation seine fachlich begründete Meinung zu einer in sein Fachgebiet fallenden Problematik vertritt, bietet grundsätzlich keinen Anlass zu Zweifeln an seiner Unparteilichkeit,
30vgl. OLG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 02.05.2012 -10 W 14/12-, juris;
31Beschluss der Kammer vom 24.03.2017 -20 K 2497/15- betr. Befangenheitsantrag gegen Dr. Neitzel.
32Der vom LKA NRW konstatierte Widerspruch in der Stellungnahme von Dr. Neitzel vom 18.12.2016 (einerseits das Erfordernis, noch Untersuchungen vorzunehmen, andererseits die Annahme, die Dämmwirkung der einzelnen Gehörschutzarten sei hinreichend untersucht) ist nicht vorhanden, da die (angebliche) erstgenannte Aussage tatsächlich nicht getroffen wird.
33Was die Geeignetheit von Gehörschutz angeht, stützen sich das LKA NRW und der Beklagte u.a. auf Stellungnahmen der DEVA vom 01.06.2011 (wonach Gehörschutzkapseln den Schusslärm genauso mindern wie Schalldämpfer) und vom 26.10.2004 (wonach Gehörschutzkapseln den Schusslärm deutlich besser mindern als Schalldämpfer). Wie die DEVA in ihrer Stellungnahme vom 13.12.2016 ausgeführt hat, sind die genannten Äußerungen aber nicht mehr ausreichend aktuell und können daher nach Auffassung der DEVA nicht mehr herangezogen werden.
34Hinsichtlich der Frage, welche Schalldämpfung Gehörschutzsysteme erreichen bzw. inwieweit dabei Herstellerangaben verlässlich sind, ist die Kammer im Hinblick auf die vorliegenden sachverständigen Äußerungen der Überzeugung, dass die üblichen Herstellerangaben keine ausreichende Grundlage für die Annahme darstellen, dass Gehörschützer den Schallschutz für Jäger ausreichend sicherstellen.
35Gemäß der Stellungnahme von Dr. Neitzel vom 02.09.2015 weichen die durch Gehörschützer erreichbaren Dämmwerte oftmals erheblich von den auf der Verpackung angegebenen Werten ab. Der wesentliche Grund dafür liege in den zugrundeliegenden Messverfahren. Zur Ermittlung der Dämmwerte beim Gehörschutz werde dort deren Wirkung bei einem reinfrequenten tiefen, mittleren und hohen Ton betrachtet. Hintergrund sei, dass jeder Gehörschutz unterschiedlich gut bei verschiedenen Lärmfrequenzen dämme. Unter echten jagdlichen Bedingungen würden diese Werte oftmals erheblich unterschritten. Der Schusslärm stelle ein chaotisches Lärmereignis dar, das nahezu das gesamte hörbare Frequenzband abdecke, so dass sich daher die Belastung erheblich von den Laborbedingungen unterscheide. Zudem unterschieden sich Kopfform (und damit die Passform der Gehörschützer) ebenso wie die Kopfbehaarung etc. in ihrer großen Vielfalt deutlich von dem standardisierten Kopfmodell aus dem Labor. In der Stellungnahme vom 18.12.2016 bestätigt Dr. Neitzel, dass seine Feststellungen in der v.g. Stellungnahme in vollem Umfang auch auf elektronische, pegelabhängige In-Ear-Gehörschutzsysteme zuträfen, weil es für die zugrunde liegende Funktionsweise unerheblich sei, ob es sich um Gehörschützer in Form einer Kapsel oder eines Stopfens (In-Ear-Gehörschutz) handele.
36Entsprechendes führt auch die Berufsgenossenschaft Holz und Metall in ihrer „Studie zur Gehörentwicklung von lärmexponierten Beschäftigten mit Gehörschutz-Otoplastiken“ vom August 2014 aus (S.12). Die Hersteller von Gehörschützern würden die Dämmwerte überwiegend für die hohen, mittleren oder tiefen Frequenzen angeben. In Europa werde die frequenzabhängige Dämmung des Gehörschutzes im Laborverfahren bestimmt. Aus internationalen Veröffentlichungen sowie einer früheren Studie des BGIA (Berufsgenossenschaftliches Institut für Arbeitsschutz) sei bekannt, dass die Laborschalldämmung in der Praxis nicht erreicht werde.
37In dieselbe Richtung geht die Stellungnahme der DEVA vom 13.12.2016: Die Herstellerangaben könnten aus dortiger Sicht die Bandbreite im jagdlichen Einsatz nicht abdecken. Der Hersteller müsste einen Bereich (von-bis) für die Dämmwirkung angeben. Meist fänden sich in Prospekten aber nur Einzelwerte, die aus Marketinggründen wohl im Maximum angesiedelt seien.
38Schließlich geht auch Dr. Ing. Königstein vom ISL in einer Stellungnahme vom 21.03.2017 davon aus, dass die Dämmwerte bei Schusslärm eher geringer seien als die Herstellerangaben.
39Dies wird noch gestützt durch die von Dr. Neitzel gemäß seiner Stellungnahme vom 02.09.2015 herangezogenen Untersuchungen u.a. des Health and Safety Executive (Äquivalent der Berufsgenossenschaften in Großbritannien, wonach bei Gehörschützern unter Feldbedingungen Dämmwerte von deutlich unter 20 Dezibel eher die Regel als die Ausnahme seien, während bei Schalldämpfern (auch nach seinen eigenen Messungen) von 20 bis über 30 Dezibel erreicht würden. Aus der grafischen Darstellung von Untersuchungsergebnissen aus dem Jahre 2011 ergeben sich in Bezug auf Kapselgehörschützer bei den Werten unter Laborbedingungen (Lab Fit) und realen Bedingungen (Real World) Differenzen zwischen ca. 8,5 dB und ca. 15,5 dB; bei den Gehörschutzstopfen liegen die entsprechenden Differenzen zwischen ca. 18 dB und ca. 23 dB.
40Der diesbezügliche Einwand des Beklagten, dass die von Dr. Neitzel genannten Untersuchungen nicht den aktuellen Entwicklungsstand berücksichtigten, ist insoweit nicht weiterführend, als keine Anhaltspunkte dafür genannt werden, dass die Herstellerangaben nunmehr auf Messungen unter realen Bedingungen beruhen. Das Problem der Divergenz entsprechender Werte besteht daher unverändert.
41Angesichts dieser einheitlichen fachlichen Aussagen ist die Einschätzung des LKA NRW „Nach diesseitiger Auffassung sind die Herstellerangaben zu den Dämmwerten von Gehörschützern aussagekräftig und konnten seriöser Weise zugrunde gelegt werden.“ nicht haltbar.
42Soweit der Beklagte sich darauf beruft, dass mit einem vom ISL entwickelten bzw. dem Institut für den Medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr getesteten nichtlinearen Ohrstöpsel EAR Ultrafit/ISL ein geeignetes In-Ear-System zur Verfügung stehe, tragen die dazu vorliegenden Unterlagen die Annahme des Beklagten nicht.
43In der grafischen Darstellung des ISL ist ausgewiesen, dass bei 110 dB die Schalldämpfung 8, bei 130dB 12, bei 150dB 14, bei 170dB 22 und bei 190dB 25 betrage. Wie diese Werte im Einzelnen bestimmt worden sind, wird jedoch nicht angegeben. Dass es sich nicht um belastbare Angaben handelt, wird durch die vom Institut für den Medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr durchgeführte Untersuchung „Wirksamkeitsnachweis eines Impulsschallgehörschutzes bei durch Handfeuerwaffen ausgelöstem Impulslärm“, abgedruckt in „Wehrmedizinische Monatsschrift, 56. Jahrgang, Heft 1, Januar 2012, Sonderdruck 3M“ bestätigt. Dort heißt es: „ Für den Wirksamkeitsnachweis dieses ISGS (=Impulsschallgehörschutz) finden sich lediglich Angaben aus den internen Prüfberichten des Institut Franco-Allemand de Recherches de Saint Louis (ISL), welches den Impulsschallfilter entwickelt hat, und aus französischen sowie amerikanischen Streitkräften. Es fehlt jedoch eine wissenschaftliche Untersuchung, mit definierten Rahmenbedingungen zum Wirksamkeitsnachweis und zur Unbedenklichkeit sowie zur Anwendungssicherheit nach den in Deutschland vorgegebenen Rechtsnormen.“ Jedoch enthält die Untersuchung keinerlei Angaben über Dämpfungswerte des Gehörschutzes, vielmehr wird als Ergebnis festgestellt: „Wie die Tonaudiometrien vor und nach den Schießversuchen bewiesen, traten bei keinem der Probanden Zwischenfälle im Sinne einer Innenohrschädigung und unabhängig von der getesteten Produktgruppe und Waffenart auch keinerlei Beeinträchtigung des Hörvermögens auf.“
44Mit einem derartigen Untersuchungsergebnis lassen sich jedoch keine ausreichend abgesicherten Aussagen über das Maß der Schalldämpfung und damit über die Eignung dieses Gehörschutzes für die Jagd zu treffen, zumal die Gehörschutzstöpsel - so das Institut für den Medizinischen Arbeits- und Umweltschutz der Bundeswehr - über keine CE-Zertifizierung verfügen, da die entsprechende Mindestschalldämpfung nicht erreicht wird.
45Was die durch Schalldämpfer erreichbaren Dämpfungswerte betrifft, orientiert sich das LKA NRW erkennbar an Schalldämpfern mit Dämpfungswerten im unteren Bereich (18 – 25 dB (A). Dazu weist die DEVA in Ihrer Stellungnahme vom 13.12.2016 darauf hin, dass die vom LKA NRW angegebenen Werte noch unter denen lägen, die heute bei Schalldämpfern erreicht werden könnten. Bei ihrer Untersuchung für das Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft, Ernährung, Weinbau und Forsten Rheinland-Pfalz (Bericht zur Ermittlung realer Werte des Geräuschpegels mit und ohne Schalldämpfer vom 05.11.2015) seien im mittleren Kaliberbereich bei einem Modell annähernd 30 dB(C) ermittelt worden (der mittlere Wert bei den drei untersuchten Modellen liegt bei 23,2 dB am Ohr des Schützen). Auch Dr. Neitzel führt in seiner Stellungnahme vom 18.12.2016 aus, dass die Dämpfungswerte der am Markt erhältlichen Schalldämpfer zumeist deutlich über 25 dB(C) hinausgingen und häufig über 30 dB(C) lägen. Von daher geht die Kammer davon aus, dass beim Einsatz eines Schalldämpfers jedenfalls –anders als bei Gehörschutz- eine ausreichende Schalldämpfung sicher gestellt ist.
46Unabhängig von der Frage der Dämpfungswerte sind Gehörschutzsysteme auch deshalb keine geeignete Alternative zum Schalldämpfer, weil sie nicht in ausreichendem Umfang das Richtungshören ermöglichen.
47Zu diesem Thema führt Dr. Neitzel in seiner „Stellungnahme zur Verwendung von Schalldämpfern bei der Ausübung der Jagd“ vom 11.5.2014 aus, Kapselgehörschützer erschwerten das Richtungshören. Ursächlich sei die Aufhebung der Schallbündelung durch die Ohrmuschel durch die Kapsel, was Höreindruck und seitenbezogene Zeitdifferenz als wesentliches Instrument des Gehirns zur Richtungsbestimmung verfälsche. Dieses Problem bestehe insbesondere auch bei elektronischen Kapselgehörschützern, die die Umgebungsgeräusche über ein Mikrofon aufnähmen und zentral über einen Lautsprecher ins Kapselinnere weiterleiteten. Die Möglichkeit der Geräuschverstärkung habe darauf keinen positiven Einfluss. Man könne das Wild zwar früher hören, jedoch schlecht einschätzen, aus welcher Richtung das Geräusch stamme. Dieser Effekt sei z.B. bei Bewegungsjagden sehr kritisch zu würdigen.
48Bei In-Ear-Systemen ( so Dr. Neitzel, Stellungnahme vom 18.12.2016) sei die Ortbarkeit von Geräuschquellen zwar nicht so stark beeinträchtigt wie bei Kapselgehörschutz, weil die Schallbündelung durch die Ohrmuschel erfolge und Gehörschutzstopfen die Ohrmuscheln nicht verdeckten. Gleichwohl werde die Qualität des ungeschützten Ohres spürbar nicht erreicht. Die Geräuschverstärkung bei aktiven Gehörschützern führe etwa dann, wenn sich der Jäger durch dichten Bewuchs bewege, durch ständige Überlagerung durch Geräusche infolge des Entlangstreifens an Ästen, des Tretens auf trockenes Laub oder Zweige zu einer massiven Einschränkung der Umgebungswahrnehmung. Bei der Nachsuche auf wehrhaftes Wild ergebe sich dadurch ein deutliches Gefährdungspotential für den Nachsucheführer, eingesetzte Hunde und Begleitpersonen. Des Weiteren führe der Einsatz von aktivem Gehörschutz zu einer erheblichen Unzuverlässigkeit von Entfernungsschätzungen. Zudem zeigten die Ergebnisse der Studie „Effects of Active and Passive Hearing Protection Devices an Sound Source Localization, Speech Recognition and Tone Detection“ aus dem Jahr 2015 (vgl. Dr. Neitzel, Stellungnahme vom 06.04.2017) klar auf, dass In-Ear-Gehörschutz das Richtungshören beeinträchtige und zwar sowohl aktive In-Ear-Gehörschützer als auch passive Impulsschallgehörschutzstopfen.
49Dr. Ing. Königstein vom ISL geht in seiner Stellungnahme vom 21.03.2017 ebenfalls davon aus, dass das Richtungshören bei Gehörschützern in der von Dr. Neitzel beschriebenen Weise eingeschränkt ist.
50Diese Einschätzung wird durch die Stellungnahme des Landesjagdverbandes NRW e.V. vom 30.12.2016 gestützt. Dort wird als von zahlreichen Jägern berichtete Erfahrung dargestellt, dass sowohl bei Kapselgehörschützern als auch bei In-Ear-Systemen –jeweils mit elektronischer impulsschutzfähiger Ausführung- nicht mehr sicher wahrgenommen werden könne, woher ein Geräusch stamme und mit welcher Geschwindigkeit es sich in welche Richtung bewege. Daher werde von vielen Jägern bei der Nachsuche auf Gehörschützer verzichtet, um „ungetrübt“ die Richtung des wegflüchtenden Wildes oder des u.U. angreifenden Wildes oder den genauen Standort des ggfls. geschnallten Jagdhundes im unübersichtlichen Gelände orten zu können. Soweit diesbezüglich das LKA NRW in seinem Erlass vom17.12.2015 (dort Ziff. 1.2.) behauptet, die Verwendung von Langwaffen bei der Nachsuche in dichtem Gebüsch entspreche nicht jagdlicher Praxis, vermag die Kammer dem angesichts der gegenteiligen nachvollziehbaren Stellungnahme des Landesjagdverbandes nicht zu folgen. Denn dieser Darstellung des LKA NRW liegt -wie auf gerichtliche Nachfrage in der Stellungnahme vom 23.01.2017 mitgeteilt worden ist- nur die Erfahrung eines Bediensteten zugrunde.
51Der genannte Gehörschutz habe sich –so der Landesjagdverband NRW e.V.- aber ebenfalls bei der Jagdart des Pirschens als praxisuntauglich erwiesen. Wenn der Jäger sich dem Wild schleichend auf Schussdistanz annähere, sei er in besonderer Weise auf seine Sinnesorgane angewiesen. Bei der sogen. Drückjagd gelte dies gleichfalls. Insbesondere im waldreichen Gelände höre der Jäger das Wild früher als er es sehe. Für den Schützen sei es wichtig zu erkennen, aus welcher Richtung ihn das noch nicht sichtbare Wild anwechsele.
52Angesichts dieser Einschätzungen geht die Kammer davon aus, dass Gehörschutz weder in Form des Kapselgehörschutzes noch in Form von In-Ear-Systemen das Richtungshören im erforderlichen Umfang sicherstellt.
53So auch bereits VG Freiburg, Urteil vom 12.11.2013 -1 K 2227/13- juris, Rn. 34;
54VG Minden, Urteil vom 02.01.2017 – 8 K 3041/16- juris Rn. 46 ff.
55Weitere Probleme liegen darin, dass bei nicht optimalem Sitz oder Verrutschen von Kapselgehörschutz die Schalldämpfung deutlich beeinträchtigt werden kann und bei leichten Verformungen des Gehörgangs, wie sie z.B. bei Kopfwendungen verursacht werden können, Gehörschutzstopfen möglicherweise nicht mehr zuverlässig abdichten.
56Vgl. Dr. Neitzel, Stellungnahme vom 18.12.2016: Nach wissenschaftlicher Literatur könne sich dann bei beiden Arten von Gehörschützern die Dämmwirkung um bis zu 6 dB verringern.
57Gewichtige öffentliche Interessen, die gegen die Zulassung von Schalldämpfern für Jagdlangwaffen sprechen, bestehen nicht.
58Soweit unter Sicherheitsaspekten eingewandt wird, ein Schalldämpfer lasse die Warn-
59funktion des Schusses jedenfalls entfallen, wenn der Schalldämpfer auf ein Kleinkalibergewehr montiert oder sogen. Subsonic-Munition verwendet werde, greift dies nicht durch. Denn es ist nur auf legale Verhaltensweisen eines Jägers abzustellen. Die Jagd in der v.g. Form ist jedoch jagdrechtlich verboten,
60vgl. VG Minden, Urteil vom 02.01.2017 -8 K 3041/16-, juris Rn. 65.
61Die Annahme, dass die Zulassung von Schalldämpfern für Jäger zu einer deutlichen Erhöhung der Gefahr einer deliktischen Verwendung führe, erscheint nicht begründet,
62so auch BKA, Stellungnahme vom 25.10.2013, und LKA Bad.-Württ., Stellungnahme vom 09.10.2014.
63Soweit in der Stellungnahme des LKA NRW vom 17.12.2015 der Eindruck erweckt wird, dass bei knapp 230.000 für Nordrhein-Westfalen mit Bedürfnisgrund Jäger im nationalen Waffenregister registrierten Waffen eine entsprechende Ausstattung mit Schalldämpfern in Frage käme, erscheint dies fernliegend. Denn bei den dort registrierten Waffen sind zum einen auch Kurzwaffen enthalten, um die es im vorliegenden Zusammenhang gar nicht geht. Zum anderen verfügen Jäger bekanntermaßen zum Teil über eine Vielzahl von Langwaffen, ohne dass ernsthaft damit zu rechnen sein wird, dass für jede dieser Waffen eine Erlaubnis für einen Schalldämpfer beantragt wird bzw. eine entsprechendes Bedürfnis vorhanden ist. Von daher vermag auch die weitere Annahme nicht zu überzeugen, dass bei 78 im Jahre 2013 abhanden gekommenen oder gestohlenen Langwaffen bei Änderung der Genehmigungspraxis von einer gleich großen Zahl von abhanden gekommenen Schalldämpfern ausgegangen werden müsse.
64Die weitere Vermutung, dass bei einer Lockerung der fraglichen Genehmigungspraxis für Schalldämpfer damit zu rechnen sei, dass in Zukunft gezielt Schalldämpfer zur deliktischen Verwendung gestohlen würden und dies jedenfalls mittelfristig zu einem Anstieg der Delikte unter Verwendung eines Schalldämpfers führen werde, hält die Kammer ebenfalls nicht für überzeugend. Denn angesichts des hohen Aufwandes und der erforderlichen Fachkunde, um einen derartigen Schalldämpfer für Kurzwaffen umzubauen, dürfte es für Personen mit entsprechender krimineller Energie einfacher sein, sich illegal einen passenden Schalldämpfer für eine Kurzwaffe zu beschaffen,
65so auch VG Minden Urteil vom 02.01.2017 -8 K 3041/16-, juris Rn. 71 ff.
66Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs.1 VwGO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO, §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
67Die Berufung ist zugelassen worden, weil die Frage der Genehmigungsfähigkeit von Schalldämpfern für Jäger auch im Hinblick auf die divergierende Rechtsprechung grundsätzliche Bedeutung hat (§§ 124 a Abs. 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).