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Es wird festgestellt, dass die dem Kläger mit Bescheid der Beklagten vom 19.06.2015 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft nicht erloschen ist.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, trägt die Beklagte.
T a t b e s t a n d
2Der am 00.00.0000 in Deir Al Zour/Syrien geborene Kläger ist syrischer Staatsangehöriger arabischer Volkszugehörigkeit. Am 09.12.2014 stellte er in der Bundesrepublik einen Asylantrag. Mit bestandskräftigem Bescheid vom 19.06.2015 wurde dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt und am 27.08.2015 wurde ihm ein Reiseausweis für Flüchtlinge ausgestellt. Nach Angaben der zuständigen Ausländerbehörde wurde dort der Zusatz „Personalien laut eigenen Angaben“ aufgenommen, da kein Nachweis über die Identität des Klägers vorgelegen habe.
3Anlässlich einer Vorsprache bei der Ausländerbehörde wurde dem Kläger am 14.10.2015 der Flüchtlingspass entzogen, weil er einen syrischen Pass (0000000000 gültig vom 25.08.2015-24.08.2017) vorlegte. Der Kläger gab zu den Umständen der Erlangung des Passes an, dass er diesen über Mittelsmänner in der Türkei bei der syrischen Botschaft bestellt und hierfür 600 US-Dollar bezahlt habe. Die Ausländerbehörde setzte den Kläger bei dieser Gelegenheit davon in Kenntnis, dass seine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 72 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG erloschen sei.
4Mit Schreiben vom 15.10.2015 wandte sich die Initiative 180 Grad Wende im Auftrag des Klägers an die Ausländerbehörde und führte aus, die Voraussetzungen des § 72 AsylVfG lägen nicht vor. Der Kläger habe den Pass beantragt in dem Glauben, dadurch die Familienzusammenführung mit seiner Ehefrau und Kindern beschleunigen zu können und der Familie bei dem Verfahren behilflich zu sein. Es habe hier eine Fehlinformation vorgelegen. Zudem sei der Pass in der Türkei in einer Einrichtung für syrische Flüchtlinge beantragt worden, welche von der syrischen Opposition betrieben werde. Der Kläger sei weder auf syrischem Staatsboden noch in einer von der Zentralregierung betriebenen Einrichtung gewesen. Er wolle sich unter keinen Umständen dem Schutz Syriens unterstellen, da dieses Land nicht in der Lage sei, Schutz zu gewähren. Mit Schreiben vom 15.10.2015 bestellte sich der Prozessbevollmächtigte für den Kläger.
5Unter dem 21.10.2015 bat die Ausländerbehörde das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) um Prüfung in eigener Zuständigkeit und Mitteilung, ob die Flüchtlingseigenschaft erloschen sei. Eine auf Veranlassung der Ausländerbehörde durchgeführte Dokumentenvorprüfung des Passes ergab keine abschließenden Feststellungen.
6Mit Schreiben vom 15.11.2015 forderte der Prozessbevollmächtigte des Klägers die Ausländerbehörde auf, zum Vorliegen der Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG Stellung zu nehmen. Dem Schreiben war eine schriftliche Erklärung des Klägers zu den Gründen und Modalitäten der Passerlangung beigefügt. Mit Schreiben vom 20.11.2015 erwiderte die Ausländerbehörde, dass ihrer Auffassung nach die Voraussetzungen des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG vorlägen, da der Kläger sich freiwillig um die Ausstellung eines syrischen Nationalpasses gekümmert habe. Es sei unerheblich, durch welches Regime der syrische Nationalpass ausgestellt worden sei und aus welchen Gründen der Kläger den Pass angenommen habe. Im Übrigen habe eine Überprüfung des Dokuments ergeben, dass es sich dabei gegebenenfalls um einen Proxypass handele. Um diese Problematik zu beseitigen, sei der Pass nachträglich durch die syrische Botschaft zu legitimieren oder, falls dies nicht möglich sei, seien Nachweise vorzulegen, wo und wie der Pass beantragt worden sei. Sollten beide Möglichkeiten nicht erfüllt werden, könnten die Personalien des Kläger erst abgeändert werden, wenn ein neuer syrischer Pass vorgelegt werde, den der Kläger auch persönlich beantragt habe. Der Prozessbevollmächtigte teilte der Ausländerbehörde hierauf mit Schreiben vom 20.11.2015 mit, dass sich dieser nicht zur syrischen Botschaft begeben werde. Zugleich wurde auf Fälle hingewiesen, in denen syrische Staatsangehörige nicht mit einem deutschen Reiseausweis aus der Türkei hätten ausreisen können.
7Mit Schreiben vom 20.11.2015 an die Beklagte beantragte der Prozessbevollmächtigte festzustellen, dass die dem Kläger mit Bescheid vom 19.06.2015 zugesprochene Flüchtlingseigenschaft nicht erloschen sei. Die Beklagte wies in Erwiderung hierauf mit Schreiben vom 25.11.2015 darauf hin, dass die Zuständigkeit für die Feststellung des Erlöschens der Flüchtlingseigenschaft bei der Ausländerbehörde liege.
8Am 23.12.2015 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben, mit der er die Feststellung begehrt, dass die Flüchtlingseigenschaft des Klägers nicht erloschen sei. Zur Begründung ergänzt und vertieft er die Ausführungen aus dem Verwaltungsverfahren. Der Kläger habe sich im Zuge des Familiennachzugs durch die syrische Opposition einen Proxypass ausstellen lassen. Dieser Pass sei weder in Syrien noch von der syrischen Staatsmacht ausgestellt worden. Der Kläger habe sich schon deshalb nicht dem Schutz des syrischen Staates unterstellt. Nach Informationen des Auswärtigen Amtes würden zudem syrische Oppositionspässe zumindest in Visumverfahren nicht mehr anerkannt.
9Der Kläger beantragt,
10festzustellen, dass die ihm mit Bescheid vom 19.06.2015 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft nicht erloschen ist.
11Die Beklagte hat keinen Antrag gestellt.
12Mit Schriftsatz vom 05.10.2106 hat sie mitgeteilt, sie habe das Schreiben der Ausländerbehörde als Prüfanfrage hinsichtlich der Durchführung eines Widerruf-/Rücknahmeverfahrens verstanden. Diese Prüfung sei noch nicht abgeschlossen. In einem als Anlage beigefügten Schreiben an die Ausländerbehörde führte die Beklagte aus, die Zuständigkeit für die Feststellung des Erlöschens der Anerkennung als Asylberechtigter und/oder der Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft gemäß § 72 Abs. 1 AsylG liege bei der Ausländerbehörde. Unabhängig davon habe nach Einschätzung des Bundesamtes die Beschaffung eines Nationalpasses nur Indizwirkung für das Vorliegen des Erlöschenstatbestandes. Die vom Kläger vorgetragenen Umstände sprächen hier für einen Wegfall dieser Indizwirkung.
13Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und der Ausländerbehörde verwiesen.
14E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
15Die Klage ist zunächst als Feststellungsklage zulässig.
16Der Kläger hat ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 43 Abs. 1 VwGO an der Feststellung, dass die ihm mit Bescheid vom 19.06.2015 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft nicht erloschen ist. Denn die für den Kläger zuständige Ausländerbehörde stellt den Fortbestand des Flüchtlingsstatus des Klägers in Frage und hat auf der Grundlage dieser Rechtsauffassung den Reiseausweis des Klägers eingezogen. Das Bundesamt hat nunmehr zwar mit Schreiben an die Ausländerbehörde vom 05.10.2016 die Auffassung geäußert, dass durch die Annahme des Nationalpasses nach den vom Kläger hierfür vorgetragenen Gründen die Flüchtlingseigenschaft voraussichtlich nicht erloschen ist. Eine rechtsverbindliche Erklärung der Beklagten kann darin aber schon deshalb nicht gesehen werden gesehen, weil ihrer Auffassung nach hierfür die Zuständigkeit der Ausländerbehörde gegeben ist. Die Ausländerbehörde ihrerseits geht von der Zuständigkeit des Bundesamtes aus und hat dieses um Überprüfung in eigener Zuständigkeit gebeten. Eine rechtsverbindliche positive Klärung, dass seine Flüchtlingseigenschaft fortbesteht, kann der Kläger bei dieser Sachlage nur durch die erhobene Feststellungsklage erreichen. Richtiger Klagegegner ist insoweit auch die Bundesrepublik Deutschland (Bundesamt), da diese nach dem Asylgesetz umfassend für asylrechtliche Statusfragen zuständig ist.
17Vgl. VG Köln, Urteil vom 14.11.2002 – 15 K 1362/00.A – Juris.
18Der Zulässigkeit der Feststellungsklage steht auch nicht § 43 Abs. 2 VwGO entgegen, weil der Kläger seine Rechte durch Gestaltungs- oder Leistungsklage verfolgen könnte. Da das Erlöschen einer Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 72 Abs. 1 AsylVfG kraft Gesetzes eintritt, greift die Subsidiaritätsklausel des § 43 Abs. 2 VwGO grundsätzlich nicht ein.
19Vgl. BVerwG, Urteil vom 02.12.1991 – 9 C 126.90 – Juris.
20Die Feststellungsklage ist auch begründet, denn die mit Bescheid des Bundesamtes vom 19.06.2015 dem Kläger zuerkannte Flüchtlingseigenschaft ist nicht erloschen.
21Nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG – nur dieser Erlöschenstatbestand kommt vorliegend in Betracht und ist zwischen den Beteiligten streitig - erlöschen die Anerkennung als Asylberechtigter und die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, wenn der Ausländer sich freiwillig durch Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses oder durch sonstige Handlungen erneut dem Schutz des Staates, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, unterstellt.
22Das Erlöschen der Asylberechtigung/Flüchtlingszuerkennung durch die Annahme oder Erneuerung eines Nationalpasses setzt neben der Annahme des Vorteils in Form der Passerlangung voraus, dass die Vornahme der Handlung objektiv als eine erneute Unterstellung unter den Schutz des Heimatstaates zu werten ist und dass die Annahme in subjektiver Hinsicht freiwillig erfolgte. Entscheidend ist, ob aus dem Verhalten des Asylberechtigten/Flüchtlings auf eine veränderte Einstellung zum Heimatstaat geschlossen werden kann.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 02.12.1991 – 9 C 126.90 – Juris.
24Die Annahme eines Nationalpasses ist demnach nicht selbständiges Erlöschensmerkmal, vielmehr tritt diese Rechtsfolge nur dann ein, wenn durch die Annahme eines Nationalpasses zu erkennen ist, dass sich der Ausländer nunmehr erneut dem vollen konsularischen Schutz des Staates unterstellt, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Einer Passausstellung kommt dabei lediglich eine Indizwirkung dahin zu, dass sich der Betreffende wieder dem Schutz seines Heimatstaates unterstellen will. Liegen aber Anhaltspunkte dafür vor, dass mit der Passannahme gerade keine Wiedererlangung des vollen diplomatischen Schutzes bezweckt war, so fehlt es an dieser weiteren Voraussetzung für das Eingreifen des Erlöschenstatbestandes, da maßgeblich auf diese Absicht des Betreffenden, sich wieder dem Schutz seines Heimatstaates zu unterstellen, abzustellen ist. Auf ein solches Unterschutzstellen ist aber nicht zu schließen, wenn der Betreffende den Kontakt zu seinem Heimatstaat nur deshalb wieder aufnimmt, um etwa eine geschlossene Ehe zu legalisieren, die Registrierung gemeinsamer Kinder zu ermöglichen oder aber insgesamt allein um seine personenstandsrechtlichen Angelegenheiten zu ordnen.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 02.12.1991 – 9 C 126/90 - zum damaligen inhaltsgleichen § 15 Abs. 1 Nr. 1 AsylVfG; VGH Bad.-Württ., Beschl. v. 22.10.1996 – 13 S 3392/95 -; VG Köln, Urteil vom 14.11.2002 – 15 K 1362/00.A – alle zitiert nach Juris.
26Nach diesen Grundsätzen liegt der Erlöschenstatbestand nach § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG in Bezug auf den Kläger nicht vor.
27Der Kläger hat in der mündlichen Verhandlung – in Übereinstimmung mit seinen vorausgegangenen mündlichen und schriftlichen Einlassungen sowohl gegenüber der Ausländerbehörde als auch gegenüber der Beklagten – ausführlich die Umstände der Erlangung des syrischen Passes sowie die Gründe hierfür erläutert. Der Kläger hat den Pass danach weder in Syrien noch bei einer konsularischen Vertretung Syriens im Ausland persönlich beantragt, sondern er hat den Pass mittels einer dritten Person bei einem Büro der syrischen Opposition, und zwar der Nationalen Koalition der oppositionellen Kräfte Syriens, in Istanbul in Auftrag gegeben. Für diesen sog. „Proxy-Pass“ hat er nach seinen Angaben 600 US-Dollar bezahlt. Bei der von der Ausländerbehörde durchgeführten Dokumentenvorprüfung konnte zwar nicht eindeutig festgestellt werden, dass es sich um einen sog. „Proxy-Pass“ handelt. Für die Richtigkeit der Angaben des Klägers spricht aber bereits die Chronologie der Ereignisse entsprechend dem Inhalt der beigezogenen Ausländerakte. Denn zum Zeitpunkt der Ausstellung des syrischen Passes am 25.08.2015 befand sich der Kläger noch in der Bundesrepublik, da er keine Papiere hatte, ihm insbesondere der Reiseausweis für Flüchtlinge auf seinen Antrag vom 16.07.2015 noch nicht ausgehändigt worden war. Letztlich geht selbst die zuständige Ausländerbehörde davon aus, dass der vorliegende Pass kein gültiges syrisches Passdokument ist. Anders lässt sich jedenfalls nicht erklären, dass sie den Kläger mit Schreiben vom 20.11.2015 aufgefordert hat, den Pass nachträglich durch die syrische Botschaft legitimieren zu lassen oder Nachweise vorzulegen, wo und wie der Pass beantragt worden sei. Bei dieser Sachlage kann bereits nicht mit der erforderlichen Sicherheit davon ausgegangen werden, dass hier überhaupt eine Entgegennahme eines (gültigen) Nationalpasses im Sinne des § 72 Abs. 1 Nr. 1 AsylG vorgelegen hat. Jedenfalls aber hat sich der Kläger durch die Entgegennahme dieses Passes nicht wieder unter den Schutz seines Heimatstaates gestellt. Zu den Motiven für die Beschaffung des syrischen Passdokuments hat der Kläger vielmehr überzeugend ausgeführt, dass dies ausschließlich geschehen ist, um sicher und ohne Probleme in die Türkei ein- und ausreisen zu können, um dort seine Familie bei den für den Familiennachzug erforderlichen Formalitäten zu unterstützen. Auch insoweit bestätigt die Chronologie der Ereignisse die Angaben des Klägers: Der Kläger ist danach am 09.09.2015 in die Türkei gereist und mit seiner Familie am 09.10.2015 zusammen nach Deutschland gereist. Das Einreisedatum der Familie ergibt sich u.a. aus dem im Termin vorgelegten Anerkennungsbescheid betreffend die Ehefrau und Kinder des Klägers vom 20.04.2016 (0000000-000). Es steht vor diesem Hintergrund zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Beantragung des syrischen Passes – ungeachtet dessen Gültigkeit - allein in dem Bestreben erfolgte, einen sicheren und schnellen Nachzug seiner Familienangehörigen in die Bundesrepublik zu ermöglichen und damit einer sittlichen Pflicht zu genügen. Damit liegt aber in der Handlungsweise des Klägers gerade kein Unterschutzstellen, so dass ein Erlöschen der Rechtsstellung als Flüchtling nicht feststellbar ist.
28Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 VwGO, 83 b AsylG.