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Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides des BfArM vom 24.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2012 verpflichtet, die Zulassungsbescheide für J. 200 mg Filmtabletten (Zulassungs-Nr. 00000.00.00) und J. 400 mg Filmtabletten (Zulassungs-Nr. 00000.00.00) entsprechend der Änderungsanzeige der Klägerin vom 08.07.2011 in „H. J1. L. 200 mg Filmtabletten“ und „H. J1. 400 mg Filmtabletten“ zu ändern.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Änderung der Bezeichnung der Arzneimittel „J. 200 mg“ und „J. 400 mg“ Filmtabletten, die von der Klägerin in den Verkehr gebracht werden. Die Arzneimittel enthalten als einzigen Wirkstoff Ibuprofen in einer Menge von 200 mg bzw. 400 mg pro Filmtablette.
3Nach der aktuellen Gebrauchsinformation von Juni 2013 ist J. ein entzündungshemmendes, fiebersenkendes und schmerzstillendes nichtsteroidales Antiphlogistikum/Antirheumatikum. Es wird angewendet bei „Fieber und leichten bis mäßig starken Schmerzen im Rahmen von Erkältungskrankheiten/grippalen Infekten.“ Die Tagesmaximaldosis beträgt 1200 mg Ibuprofen bei Erwachsenen und Jugendlichen ab 12 Jahren. Das Arzneimittel „J. 200 mg“ enthält neben der Dosierung für Erwachsene auch eine Kinderdosierung für Kinder zwischen 6 und 12 Jahren. Die Anwendung bei Kindern unter 6 Jahren ist bei diesem Arzneimittel durch eine Gegenanzeige ausgeschlossen. In der Gebrauchsinformation wird darauf hingewiesen, dass J. ohne ärztlichen oder zahnärztlichen Rat nicht länger als 4 Tage eingenommen werden soll.
4Mit Änderungsanzeige vom 08.07.2011 änderte die Klägerin die Arzneimittelbezeichnung in „H. J1. 400 mg Filmtabletten“ bzw. in „H. J1. L. 200 mg Filmtabletten“.
5Die Klägerin bringt unter der Dachmarke „H. “ weitere 5 Arzneimittel in den Verkehr, die überwiegend für den Anwendungsbereich der Erkältungskrankheiten bestimmt sind. Hierbei handelt es sich um
6- „H. C Hartkapseln“
7Wirkstoffe: Paracetamol (200 mg), Ascorbinsäure (= Vitamin C), Coffein, Chlorphenaminmaleat.
8Anwendungsgebiet: „Zur symptomatischen Behandlung von gemeinsam auftretenden Beschwerden wie Kopf- und Gliederschmerzen, Schnupfen und Reizhusten im Rahmen einer einfachen Erkältungskrankheit. Bei gleichzeitigem Fieber oder erhöhter Körpertemperatur wirkt G. fiebersenkend.“
9Dosierung: 3 mal täglich 2 Kapseln
10Dauer der Anwendung: „G. sollte nicht ohne Befragen des Arztes über längere Zeit oder in höheren Dosen eingenommen werden.“
11- „H. Erkältungsbad“
12Wirkstoffe: Fichtennadelöl, Eucalyptusöl, Levomenthol
13Anwendungsgebiet: „Zur unterstützenden Behandlung bei Erkältungskrankheiten der Atemwege mit zähflüssigem Schleim.“
14- „H. Erkältungsbalsam“
15Wirkstoffe: Eucalyptusöl, gereinigtes Terpentinöl, racemischer Campher
16Anwendungsgebiet: „Zur Besserung der Beschwerden bei Erkältungskrankheiten der Atemwege mit zähflüssigem Schleim.“
17- „H. Erkältungsbalsam mild“
18Wirkstoffe: Eucalyptusöl, Kiefernadelnöl
19Anwendungsgebiet: „Zur Besserung der Beschwerden bei Erkältungskrankheiten der Atemwege mit zähflüssigem Schleim.“
20- „H. Heißgetränk“
21Wirkstoff: 600 mg Paracetamol
22Anwendungsgebiet: „Symptomatische Behandlung leichter bis mäßig starker Schmerzen wie Kopfschmerzen, Zahnschmerzen, Regelschmerzen und/oder von Fieber.“
23Mit Schreiben vom 10.08.2011 beanstandete die Beklagte die Bezeichnungsänderung und führte aus, die gewählte Bezeichnung unter der Dachmarke „H. “ sei irreführend, weil das Arzneimittel als einzigen Wirkstoff Ibuprofen enthalte. Dieser Wirkstoff sei jedoch in den bisherigen H. -Arzneimitteln nicht enthalten. Es bestehe insbesondere eine Verwechslungsgefahr mit der „H. C“ Hartkapsel, die in Abweichung vom streitigen Präparat den Wirkstoff Paracetamol enthalte. Außerdem seien die Anwendungsgebiete nicht identisch.
24Mit Schreiben vom 12.09.2011 trat die Klägerin dieser Bewertung entgegen.
25Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 24.10.2011 die Änderung des Zulassungsbescheides hinsichtlich der beantragten Arzneimittelbezeichnung ab. In der Begründung wurde ausgeführt, die Änderung des Arzneimittelnamens sei irreführend im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG und daher nach § 25 Abs. 2 Nr. 7 AMG bzw. § 25 Abs. 3 AMG in Verbindung mit § 29 Abs. 2 Satz 1 AMG zu versagen. Es bestehe aufgrund der Verwendung der Dachmarke „H. “ eine Verwechslungsgefahr mit dem Präparat „H. C Hartkapsel“. Der Verbraucher nehme an, dass es sich wegen der identischen Dachmarke um Arzneimittel mit denselben Wirkstoffen handele. Jedenfalls werde ein nicht unerheblicher Teil der Verbraucher davon ausgehen, dass es sich wegen des Zusatzes „J1. “ in der Bezeichnung „H. J1. “ Filmtabletten um ein Arzneimittel handele, dass neben den bisher vorhandenen arzneilich wirksamen Bestandteilen zusätzlich Ibuprofen enthalte. Die Annahme, dass ein Arzneimittel mehrere Wirkstoffe enthalte, sei auch nicht davon abhängig, dass Bezeichnungszusätze wie „mit“ oder „plus“ verwendet würden (VG Köln, Urteil vom 12.09.2011 – 7 K 4284/09 - „Fenistil“). Eine Irreführung liege auch deshalb vor, weil Anwendungsgebiete, Wirkungsweise und Risikoprofile der Arzneimittel grundverschieden seien.
26Am 23.11.2011 legte die Klägerin gegen den Bescheid Widerspruch ein, den sie eingehend begründete. Der Widerspruch wurde durch Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 03.08.2012 zurückgewiesen.
27Hiergegen hat die Klägerin am 17.08.2012 Klage erhoben, mit der sie ihren Anspruch auf Änderung der Arzneimittelbezeichnung der Präparate „J. 200 mg“ und „J. 400 mg“ in „H. J1. L. 200 mg Filmtabletten“ und „H. J1. 400 mg Filmtabletten“ aufrecht erhält.
28Zur Begründung der Klage trägt die Klägerin vor, die Beklagte sei verpflichtet, die Zulassung der streitgegenständlichen Arzneimittel entsprechend der Änderungsanzeige nach § 29 Abs. 2 AMG zu ändern. Die Änderung sei nicht nach § 29 Abs. 2a AMG zustimmungspflichtig und daher ohne eine materiell-rechtliche Prüfung umzusetzen.
29Ungeachtet dessen sei die beantragte Änderung der Arzneimittelbezeichnung im vorliegenden Fall nicht wegen der Verwendung der Dachmarke „H. “ nach § 8 AMG irreführend oder nach § 25 Abs. 3 AMG unzulässig. Vielmehr sei der Einsatz von Dachmarken nach der Rechtsprechung grundsätzlich zulässig (OLG Hamburg, Urteil vom 19.08.1999 – 3 U 60/99 - ) und von der Beklagten in langjähriger Verwaltungspraxis nicht beanstandet worden.
30Die Entscheidung des VG Köln vom 12.04.2011 – 7 K 4284/09 – „Fenistil“ stehe dieser Bewertung nicht entgegen. Der vorliegende Sachverhalt unterscheide sich erheblich von dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Fall. Dort sei es um die Verwendung einer eingeführten Dachmarke, die mit einem bestimmten Wirkstoff und Anwendungsgebiet assoziiert worden sei, für ein Präparat mit völlig unterschiedlichen Anwendungsgebieten gegangen (Juckreiz, Sonnenbrand einerseits und Lippenherpes andererseits). Hier würden unter der Dachmarke „H. “ jedoch bisher 5 Präparate mit dem weitgehend identischen Anwendungsgebiet „Erkältungskrankheiten“, aber unterschiedlichen Wirkstoffen zusammengefasst. Nur zwei von diesen Präparaten enthielten den Wirkstoff „Paracetamol“. Demnach sei die Dachmarke „H. “ durch das gemeinsame Anwendungsgebiet, aber nicht durch eine weitgehende Produktidentität im Sinne einer Wirkstoffidentität geprägt und daher auch keine „Hauptbezeichnung“ für einen bestimmten Wirkstoff. Unabhängig davon komme es im Rahmen des Verbots einer gleichen Bezeichnung für Arzneimittel mit unterschiedlichen Wirkstoffen nach § 25 Abs. 3 AMG nicht auf die Hauptbezeichnung, sondern auf die gesamte Bezeichnung an. Die gesamte Bezeichnung umfasse aber die Dachmarke H. sowie die unterscheidungskräftigen Zusätze „C“ bzw. „J1. “. Es handele sich daher nicht um die gleiche Bezeichnung.
31Das streitgegenständliche Arzneimittel sei ebenfalls für das Anwendungsgebiet der symptomatischen Behandlung bei Erkältungskrankheiten zugelassen und könne daher in die Dachmarke „H. “ einbezogen werden, ohne dass hierdurch eine Irreführung oder Verwechslungsgefahr im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG ausgelöst werde.
32Die vorliegende Bezeichnung sei nicht geeignet, eine unrichtige Vorstellung über wesentliche Eigenschaften des Arzneimittels zu wecken. Hierbei komme es auf das Verständnis der Fachkreise und das Verständnis des durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbrauchers an.
33Aus der gewählten Arzneimittelbezeichnung sei eindeutig zu entnehmen, dass der alleinige arzneilich wirksame Bestandteil der Wirkstoff „Ibuprofen“ sei und das Arzneimittel – wie alle anderen Arzneimittel der Marke „H. “ - bei Erkältungskrankheiten anzuwenden sei. Eine Verwechslungsgefahr mit dem Arzneimittel „H. C“ Hartkapsel sei nicht gegeben. Es sei nicht nachvollziehbar, wieso der Verbraucher aus dem Namensbestandteil „H. “ entnehmen soll, dass das vorliegende Arzneimittel - trotz des Zusatzes „J1. “ - wirkstoffgleich mit „H. C“ sei und Paracetamol als Wirkstoff enthalte oder neben den Wirkstoffen von „H. C“ zusätzlich den Wirkstoff Ibuprofen enthalte. Eine derartige Addition von Wirkstoffen werde üblicherweise mit den Worten „mit“ oder „plus“ verdeutlicht, die hier nicht vorhanden seien. Bei Kombinationsarzneimitteln wie „H. C“ sei dem Verbraucher üblicherweise nicht geläufig, welche Wirkstoffe in diesem enthalten seien. Da die Marke „H. “ nicht mit einem Wirkstoff, sondern mit dem Anwendungsgebiet „Erkältungskrankheiten“ verbunden werde, sei auch die irrtümliche Annahme einer identischen Wirkstoffzusammensetzung ausgeschlossen.
34Durch den Zusatz „J1. “ werde der Verbraucher hinreichend deutlich darauf hingewiesen, dass sich die Produkte in relevanter Weise unterschieden. Falls einen Verbraucher die Wirkstoffzusammensetzung interessiere, könne er sich durch einen Blick auf die Faltschachtel oder die Gebrauchsinformation informieren. Außerdem könne der aufmerksame Verbraucher ohne weiteres Filmtabletten von der für „H. C“ verwendeten Hartkapsel unterscheiden.
35Die Unterschiede in der pharmakotherapeutischen Klassifizierung der Wirkstoffe Paracetamol und Ibuprofen seien auf Unterschiede in der chemischen Grundstruktur und hinsichtlich der antiphlogistischen (entzündungshemmenden) Wirkung zurückzuführen. Sie seien aber im Hinblick auf die hier beanspruchten Indikationen irrelevant. Das Wirkprinzip beider Substanzen sei identisch und bestehe in der Hemmung der Cyclooxygenasen (COX), was zur Linderung der typischen Symptome von Erkältungskrankheiten, nämlich Schmerzen und Fieber, führe. Die unterschiedlichen Wirkungen der Substanzen, die bei steigender Dauer und Dosis Nebenwirkungen hervorrufen könnten, seien hier unerheblich, weil das streitgegenständliche Arzneimittel nur zur Kurzzeitbehandlung vorgesehen sei. Es sei durch klinische Vergleichsstudien erwiesen, dass Paracetamol und Ibuprofen bei der Behandlung von Erkältungskrankheiten keine relevanten Unterschiede in der Verträglichkeit und keine schweren Nebenwirkungen zeigten.
36Die vom BfArM angenommenen Anwendungsfehler aufgrund einer Verwechslung der Präparate seien nicht nachvollziehbar. Es sei unverständlich, wie der Verbraucher aufgrund der Bezeichnung „H. J1. “ zu der Annahme gelangen solle, es handele sich um das gleiche Arzneimittel wie „H. C“ und diese beiden Arzneimittel willkürlich austausche und innerhalb eines Tages oder der Anwendungsdauer abwechselnd nehme. Es sei nicht anzunehmen, dass der aufmerksame und verständige Verbraucher wahl- und ziellos unterschiedliche Arzneimittel miteinander kombiniere, ohne sich durch einen Blick in die Gebrauchsinformation über die Risiken einer solchen Kombination zu informieren. Aus klinischen Studien könne abgeleitet werden, dass die alternierende Anwendung von Paracetamol und Ibuprofen bei der Behandlung von Fieber im Kindesalter häufig und nicht mit einer signifikanten Steigerung der Nebenwirkungen verbunden sei. Selbst bei einer kombinierten Einnahme von Paracetamol und Ibuprofen in der Maximaldosis seien die Nebenwirkungen nach 10 Tagen nur dezent erhöht.
37Sogar wenn ein Patient in einem rein hypothetischen Fall die beiden Arzneimittel verwechseln und „H. J1. 400 mg“ (3 x täglich 1 Filmtablette) wie „H. C“ (3 x täglich 2 Kapseln) dosieren würde, so würde die dann zugeführte doppelte Ibuprofen-Dosis bei 2400 mg Ibuprofen (6 x 400 mg) pro Tag und damit noch innerhalb der für die langfristige Schmerztherapie üblichen Menge liegen (vgl. Fachinformation zu J1. Stada 400/600 mg Filmtabletten von August 2010). Die von der Beklagten bei einer Verdoppelung der Tagesdosis von Ibuprofen befürchteten schweren Nebenwirkungen seien größtenteils auch in der Fachinformation für „H. C“ beschrieben. Da das Risiko mit der Dosis und Dauer der Anwendung steige, seien diese Nebenwirkungen bei einer kurzen Behandlungsdauer von 4 Tagen nicht zu erwarten. Gefahren für Patienten mit Analgetika-Asthma bestünden nicht, da diese durch den Bezeichnungszusatz „J1. “ auf den für sie unverträglichen Wirkstoff augenfällig hingewiesen würden.
38Im Übrigen sei die von der Beklagten unterstellte Fehlanwendung von Arzneimitteln durch Kombination, Überdosierung und überlange Anwendungsdauer bei allen Arzneimitteln möglich, werde aber nicht durch die hier beantragte Arzneimittelbezeichnung verursacht.
39Demnach wiesen die beiden Präparate im vorliegenden Fall ein gleiches Risikoprofil bei Übereinstimmung des Wirkkonzeptes auf und unterschieden sich damit und in anderen Punkten maßgeblich von dem durch Urteil des VG Köln vom 09.04.2013
40– 7 K 2050/11 - „Aktren“ entschiedenen Sachverhalt.
41Es sei auch nicht zutreffend, dass das Arzneimittel „H. C“ einen anderen Anwenderkreis anspreche und dadurch eine Irreführung auslösen könnte. Vielmehr seien der Anwenderkreis bzw. die Anwendungsgebiete der beiden Arzneimittel weitgehend identisch, weil bei beiden Präparaten die symptomatische Behandlung von Schmerzen und Fieber bei Erkältungskrankheiten als Anwendungsgebiet zugelassen sei. Der Umstand, dass im Anwendungsgebiet von „H. C“ zusätzlich die Symptome „Schnupfen und Reizhusten“ aufgeführt seien, führe nicht zur Änderung des Anwenderkreises. Vielmehr würden diese Symptome gemäß der Fachinformation lediglich beispielhaft für gemeinsam auftretende Beschwerden bei Erkältungskrankheiten genannt, wie das Wort „wie“ zeige. Vielmehr seien die Symptome Fieber und Schmerzen bei Erkältungskrankheiten ausschlaggebend für den Anwenderkreis. Diese seien in fast allen Medikamenten mit analgetischen und antipyretischen Wirkstoffen, die für Erkältungskrankheiten zugelassen seien, aufgeführt.
42Schließlich entspreche die hier beantragte Arzneimittelbezeichnung der aktuellen Bezeichnungsleitlinie der Beklagten vom 20.03.2013, die auf einem risikobasierten Grundsatz beruhe. Danach komme es auf die Unterschiede der Arzneimittel und die Gefahren bei Verwechslung mit einem andersartigen Arzneimittel an. Da es sich hier um vergleichbare Indikationen und ein äußerst geringes Anwendungsrisiko selbst bei Verwechslung handele, sei die gewählte Bezeichnung nicht zu beanstanden.
43Die Gefahr einer versehentlichen Verwechslung der Arzneimittel oder einer Falschdosierung aufgrund unterschiedlicher Dosierungsanweisungen sei aber ohnehin nicht gegeben. Diese Gefahr werde auch nicht dadurch begründet, dass es sich um ein OTC-Präparat handele. Das vorliegende Arzneimittel sei apothekenpflichtig und der Apotheker zur entsprechenden Information und Beratung der Patienten nach der Apothekenbetriebsordnung verpflichtet.
44Da somit eine Irreführung und Gesundheitsgefährdung des Verbrauchers durch die beantragte Arzneimittelbezeichnung ausgeschlossen sei, führe die Versagung der Änderung zu einem rechtswidrigen Eingriff in die Rechte der Klägerin aus Art. 12 und 14 GG.
45Die Klägerin beantragt,
46die Beklage unter Aufhebung des Bescheides des BfArM vom 24.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2012 zu verpflichten, die Zulassungsbescheide für J. 200 mg Filmtabletten (Zulassungsnummer 00000.00.00) und J. 400 mg Filmtabletten (Zulassungsnummer 00000.00.00) entsprechend der Änderungsanzeige der Klägerin vom 08.07.2011 in „H. J1. L. 200 mg Filmtabletten“ und „H. J1. 400 mg Filmtabletten“ zu ändern.
47Die Beklagte beantragt,
48die Klage abzuweisen.
49Sie bleibt bei ihrer Auffassung, die beantragte Änderung der Arzneimittelbezeichnung sei nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AMG zu versagen, da die Verwendung der Familienmarke „H. “ für Ibuprofenhaltige Arzneimittel irreführend im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AMG sei und gegen das Verbot der gleichen Bezeichnung wirkstoffverschiedener Arzneimittel nach § 25 Abs. 3 AMG verstoße.
50Aus § 29 Abs. 2 AMG ergebe sich nicht die Pflicht der Beklagten, den Zulassungsbescheid hinsichtlich der Arzneimittelbezeichnung ohne eine materiell-rechtliche Prüfung, allein aufgrund des Vorliegens einer Änderungsanzeige zu ändern. Das Prüfungsrecht der Zulassungsbehörde hinsichtlich der Arzneimittelbezeichnung bestehe nicht nur im Zulassungsverfahren, sondern auch im Änderungsverfahren.
51Wegen des Strengeprinzips im Arzneimittelrecht seien die Anforderungen an eindeutige, klare und Verwechslungen ausschließende Arzneimittelbezeichnungen sehr hoch. Seien Arzneimittel einer Serie unter der gleichen Hauptbezeichnung (Dachmarke) im Verkehr, erwarte der verständige, informierte Verbraucher, dass diese den gleichen Wirkstoff enthielten (VG Köln, Urteil vom 12.04.2011 – 7 K 4284/09 – „Fenistil“). Die Arzneimittelbezeichnung müsse auch ohne einen Blick in die Gebrauchsinformation eindeutig und klar sein.
52Für die Beurteilung der vorliegenden Dachmarke und der hieraus folgenden Verwechslungsgefahr seien nur die Arzneimittel mit vergleichbaren Darreichungsformen heranzuziehen, also „H. C“ Hartkapsel und „H. Heißgetränk“. Diese enthielten als einzigen arzneilich wirksamen Bestandteil Paracetamol. Da der Verbraucher die Marke „H. “ kenne, dürfe er erwarten, dass es sich um Paracetamol-haltige Arzneimittel handele. Demgegenüber enthalte das vorliegende Arzneimittel Ibuprofen.
53Der Zusatz „J1. “ im streitgegenständlichen Arzneimittel sei nicht ausreichend unterscheidungskräftig. Er mache nicht deutlich, dass es sich um den einzigen Wirkstoff handele. Aus dem Urteil des VG Köln vom 12.04.2011 ergebe sich gerade nicht, dass der Verbraucher nur bei bestimmten Zusätzen wie „plus“ oder „mit“ erwarte, dass das Arzneimittel weitere Wirkstoffe enthalte. Vielmehr wurde angenommen, dass der Verbraucher auch ohne einen derartigen Zusatz von der Zufügung eines weiteren Wirkstoffs ausgehen könne.
54Aus dem Umstand, dass in zahlreichen Arzneimitteln zur Behandlung von Erkältungskrankheiten verschiedene schmerzstillende und fiebersenkende Wirkstoffe verwendet würden, lasse sich nichts ableiten. Denn diese Wirkstoffe könnten sich durchaus in ihrem Wirk- und Nebenwirkungsprofil sowie dem Anwenderkreis, der Dauer der Anwendung, den Wechselwirkungen, etc. unterscheiden.
55Die Wirkstoffe Paracetamol und Ibuprofen wiesen Unterschiede im Hinblick auf die pharmakotherapeutische Klassifizierung, hinsichtlich der Anwendungsgebiete sowie der möglichen Neben- und Wechselwirkungen auf. Paracetamol gehöre zur Gruppe der „Analgetika und Antipyretika, Anilide, ATC-Code: N02BE01. Ibuprofen sei der Gruppe der nichtsteroidalen Antiphlogistika und Antirheumatika, Propionsäure-Derivate, ATC-Code: M01AE 01 zuzuordnen. Die Wirkstoffe seien hinsichtlich der Wirkungsweise, insbesondere der inflammatorischen Wirksamkeit von Ibuprofen, nicht identisch. Die Anwendungsgebiete von H. C-Hartkapseln, H. Heißgetränk und J. 200 bzw. 400 mg seien unterschiedlich definiert.
56Weil es sich um OTC (over-the-counter)-Präparate handele, bestehe die Gefahr, dass der Anwender die Produkte austausche und die Arzneimittel nacheinander über den Tag oder nacheinander innerhalb der empfohlenen Anwendungsdauer einnehme. Dies sei problematisch im Hinblick auf die Unübersichtlichkeit der möglichen Neben- und Wechselwirkungen. Bei kombinierter Einnahme könne eine Verstärkung der negativen Effekte – auch bei kurzfristiger Einnahme - nicht ausgeschlossen werden. Eine Verwechslung könne zum Auftreten von Analgetika-Asthma unter NSAR (einschließlich Ibuprofen) führen.
57Darüber hinaus bestehe die Gefahr der Doppelt-Einnahme. Es könne nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einer Überdosierung durch Verdoppelung der Tagesmaximaldosis des streitgegenständlichen Arzneimittels von 1200 mg auf 2400 mg komme, wenn der Anwender dieses entsprechend der Dosierungsempfehlung für „H. C“-Hartkapseln (3 x 2 Hartkapseln) einnehmen würde. Insbesondere steige das Risiko gastrointestinaler Nebenwirkungen mit steigender Ibuprofen-Dosis an. Bei einer Verwechslung der Präparate könne es zu schwerwiegenden Nebenwirkungen wie Bronchospasmus, Asthma, Rhinitis oder Urtikaria, ungeklärte Blutbildungsstörungen, peptische Ulzera oder Hämorrhagien, gastrointestinale Blutungen oder Perforationen, zerebrovaskulären oder anderen aktiven Blutungen kommen, die bei Paracetamol nicht zu erwarten wären.
58Die aus der Verwechslung der Präparate resultierenden Gefahren könnten auch durch die Beratungspflicht der Apotheker nicht ausgeschlossen werden. Die Beratung werde häufig nicht in Anspruch genommen, insbesondere nicht im Internethandel. Darüber hinaus bewahrten Schmerzpatienten in der Regel noch weitere andere freiverkäufliche Schmerzmittel zu Hause auf und es sei nicht fernliegend, dass sie diese ohne Rücksprache mit Arzt oder Apotheker und über die Dauer von 4 Tagen hinaus gleichzeitig anwendeten. Gerade bei Substanzen mit einem relativ kleinen therapeutischen Fenster, wie Paracetamol, könnten hohe Dosen zu lebensbedrohlichen Leberschäden führen. Auch bei einer kurzzeitigen Anwendung von 4 Tagen könnten schwere allergisch bedingte Nebenwirkungen oder die beschriebenen gastrointestinalen Komplikationen auftreten.
59Der Änderung der Bezeichnung stehe auch § 25 Abs. 3 AMG entgegen, da die Änderung zur Folge hätte, dass unterschiedlich zusammengesetzte Arzneimittel unter der gleichen Hauptbezeichnung im Verkehr wären (VG Köln, Urteil vom 12.04.2011 – 7 K 4284/09 – „Fenistil“). Dieses Urteil sei auch auf den vorliegenden Fall übertragbar, in dem unterschiedlich zusammengesetzte Arzneimittel sogar für denselben Anwendungsbereich unter einer Familienmarke zusammengefasst würden. Für das Merkmal der überragenden Hauptbezeichnung komme es nicht auf den Bekanntheitsgrad des Arzneimittels, sondern darauf an, dass die Hauptbezeichnung den jeweiligen Zusatz überrage (VG Köln, Urteil vom 09.04.2013 – 7 K 2050/11 – „Aktren“).
60Die Versagung der Bezeichnungsänderung gehe demnach nicht über die durch § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG aufgezeigten Grenzen des Irreführungsverbots hinaus und verletze daher auch nicht die Rechte der Klägerin aus Art. 12 und 14 GG.
61Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte, die von der Beklagten vorgelegten Verwaltungsvorgänge sowie die von den Beteiligten ergänzend eingereichten Unterlagen Bezug genommen.
62E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
63Die Klage ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Änderung des Zulassungsbescheides hinsichtlich der Bezeichnung der von ihr in den Verkehr gebrachten Arzneimittel J. 200 mg Filmtabletten und J. 400 mg Filmtabletten in „H. J1. L. 200 mg Filmtabletten“ und „H. J1. 400 mg Filmtabletten“ gemäß § 29 Abs. 2 Satz 1 AMG. Der ablehnende Bescheid des BfArM vom 24.10.2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.08.2012 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 5 VwGO.
64Die Änderung der Bezeichnung kann weder nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 7 AMG in Verbindung mit § 8 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 AMG noch nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AMG versagt werden. Die Voraussetzungen der dort genannten Versagungsgründe sind nicht erfüllt.
65Die Verwendung des Bezeichnungsbestandteils „H. “ (sogenannte Dachmarke) für die streitbefangenen ibuprofenhaltigen Arzneimittel verstößt nicht gegen das Irreführungsverbot des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG. Eine Bezeichnung ist irreführend, wenn sie bei einem nicht unerheblichen Teil der angesprochenen Verkehrskreise unzutreffende Erwartungen an Art, Qualität, therapeutische Wirksamkeit, Unbedenklichkeit oder sonstige wesentliche Merkmale des Arzneimittels weckt. Angesichts der Bedeutung des Rechtsguts Gesundheit und der mit falschen Erwartungen an ein Arzneimittel verbundenen Gesundheitsrisiken sind an Wahrheit, Eindeutigkeit und Klarheit von Arzneimittelbezeichnungen gegenüber anderen Gütern des Wirtschaftsverkehrs erhöhte Anforderungen zu stellen (sog. Strengeprinzip),
66vgl. OVG NRW, Urteile vom 17.06.2013 – 13 A 1113/11 – „Fenistil“ und vom 12.02.2014 – 13 A 1377/13 – „Aktren“.
67Die Bezeichnung eines Arzneimittels ist nicht nur für die Fachkreise, also für Ärzte, Apotheker sowie Behörden von Bedeutung. Sie ist in besonderem Maß für die Information der Verbraucher wichtig, die typischerweise nicht über qualifizierte medizinische Kenntnisse verfügen. Dies gilt auch für apothekenpflichtige Arzneimittel, da die in den Apotheken bestehende Beratungsmöglichkeit häufig nicht in Anspruch genommen wird. Bezeichnungsbedingte Fehlvorstellungen der Verbraucher können deshalb durch die Beratung des fachlich informierten Apothekers nicht mit hinreichender Sicherheit oder Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden,
68vgl. OVG NRW, Urteile vom 12.02.2014 – 13 A 1377/13 – „Aktren“, vom 17.06.2013 – 13 A 1113/11 – „Fenistil“ und vom 12.08.2009 – 13 A 2147/06 – „I. E.“.
69Bei der Ermittlung der Verbrauchervorstellung ist auf einen durchschnittlich informierten, aufmerksamen und verständigen Verbraucher abzustellen. Dieser geht zu Recht davon aus, dass das Gesundheitswesen einschließlich der Arzneimittelwirtschaft staatlich reguliert und überwacht wird. Er vertraut typischerweise darauf, dass die zugelassene Bezeichnung so eindeutig ist, dass sie keine Fehlvorstellungen bzw. Missverständnisse über das Arzneimittel, oder eine Verwechslung mit einem anderen Arzneimittel auslöst,
70vgl. OVG NRW, Urteile vom 12.02.2014, vom 17.06.2013 und vom 12.08.2009, a.a.O..
71Gemessen an diesen Maßstäben sind bei einer Gesamtbetrachtung unter Würdigung aller Umstände des Einzelfalls die Bezeichnungen „H. J1. L. 200 mg“ und „H. J1. 400 mg“ nicht irreführend.
72Zwar ist davon auszugehen, dass der Verbraucher dem Bezeichnungsbestandteil „H. “ besondere Bedeutung beimisst. Hierbei handelt es sich um die Hauptbezeichnung, die aufgrund ihrer Stellung am Anfang des Arzneimittelnamens, ihrer sprachlichen Bedeutung und optischen Hervorhebung auf der Umverpackung (z. B. bei „H. C“ Hartkapseln) besondere Aufmerksamkeit beim Verbraucher hervorruft. Bei einer Dachmarke, die – wie H. – seit mehreren Jahren für eine bestimmte Arzneimittelserie benutzt wird, besteht deshalb grundsätzlich die Gefahr, dass Verbraucher ein dieselbe Hauptbezeichnung führendes (neues) Arzneimittel hinsichtlich seines Anwendungsgebiets und seiner therapeutischen Wirksamkeit der schon bekannten Serie zuordnen und als gleich oder ähnlich wahrnehmen,
73vgl. OVG NRW, Urteile vom 17.06.2013 – 13 A 1113/11 – „Fenistil“ und vom 12.02.2014 – 13 A 1377/13 – „Aktren“.
74Diese gedankliche Verbindung des neuen Arzneimittels mit der eingeführten Dachmarke führt jedoch im vorliegenden Fall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der Unterschiede der Arzneimittel und der Gefahren, die bei einer Verwechslung oder einer gedanklichen Übertragung einer Wirksamkeitserfahrung entstehen, nicht zu erheblichen Fehlvorstellungen. Zwar ist die Nutzung einer Dachmarke für ein Arzneimittel mit einem abweichenden Wirkstoff in der Regel irreführend,
75vgl. OVG NRW, Urteile vom 17.06.2013 – 13 A 1113/11 – „Fenistil“ und vom 12.02.2014 – 13 A 1377/13 – „Aktren“ mit weiteren Nachweisen.
76Diese Annahme beruhte aber auf einer bestimmten Fallgestaltung, bei der die Verbrauchererwartung an die Dachmarke an einen bestimmten Wirkstoff bzw. Wirkmechanismus geknüpft ist, weil die Marke von diesem Wirkstoff und die davon ausgehende Wirksamkeit in bestimmten Krankheitsfällen in der Verbraucherwahrnehmung geprägt wird,
77vgl. VG Köln, Urteil vom 12.04.2011 – 7 K 4284/09 – „Fenistil“.
78Der vorliegende Fall ist abweichend zu beurteilen, weil die Dachmarke „H. “ nicht durch einen bestimmten Wirkstoff geprägt wird, sondern durch ein Anwendungsgebiet, nämlich das Anwendungsgebiet „Erkältungskrankheiten“. Insbesondere wird die Dachmarke – im Gegensatz zu der Beurteilung des BfArM – aus der Sicht des Verbrauchers nicht durch den Wirkstoff „Paracetamol“ gekennzeichnet.
79Dies ergibt sich zunächst bereits aus der Wortbedeutung der verwendeten Dachmarke „H. “. Hierbei handelt es sich nicht um eine Wirkstoffbezeichnung, sondern um einen zusammengesetzten Begriff, der im ersten Teil mit „H1. “ an das Anwendungsgebiet „Erkältungskrankheiten“ anknüpft. Denn in Verbraucherkreisen wird häufig nicht zwischen der echten Virusgrippe (Influenza) und einer einfachen Erkältungskrankheit unterschieden. Vielmehr wird auch die Erkältung häufig als Grippe oder als grippaler Infekt bezeichnet. Der zweite Teil „T. “ greift den Namen des pharmazeutischen Unternehmers, T1. GmbH, auf. Demnach wird durch die in der Dachmarke verwendeten Begriffe eine Verbrauchervorstellung hervorgerufen, die H. -Produkte als Arzneimittel zur Behandlung von Erkältungskrankheiten einordnet, die von einem bestimmten Pharma-Unternehmen in den Verkehr gebracht werden.
80Die Verbindung von „H. “-Produkten zu Erkältungskrankheiten wird durch die Gestaltung der Umverpackung, der Gebrauchsinformation und dem Internetauftritt der „H. “-Produktserie verstärkt. Beispielsweise wird auf der Vorderseite der Umverpackung der „H. C“ Hartkapsel, die dem Verbraucher als erstes ins Auge fällt, neben der Arzneimittelbezeichnung zuerst der Verwendungszweck genannt: „Gegen grippale Infekte und Erkältungskrankheiten“. Von den Wirkstoffen wird im Anschluss nur das Vitamin C aufgeführt: „mit Vitamin C“. Die übrigen drei Wirkstoffe, insbesondere Paracetamol, sind auf der Vorderseite der äußeren Umhüllung nicht genannt.
81Auch im Freitext am Ende der Gebrauchsinformation von „H. C“ Hartkapsel und auf der Internetseite der Klägerin zu „H. C“ werden direkt am Anfang der Erläuterungen zunächst die Ursachen und Symptome von Erkältungskrankheiten beschrieben, bevor die Wirkstoffe erwähnt werden. Auf der Internetseite zur Produktserie „H. “ wird unter den Zusatzinformationen die Behandlung von Erkältungskrankheiten in den Vordergrund gestellt („Guter Rat bei Erkältungen“, „Welcher Erkältungstyp sind Sie“) und durch entsprechende Winterbilder ergänzt.
82Die übrigen Produkte der Reihe, die für die Ermittlung der Verbrauchervorstellung des übergeordneten Begriffs „H. “ ebenfalls herangezogen werden können, weisen zum Teil schon in der Arzneimittelbezeichnung selbst auf die Anwendung bei Erkältungskrankheiten hin („H. Erkältungsbad“, „H. Erkältungsbalsam“).
83Demnach wird durch die Vermarktung ein Verbraucherbild gefördert, dass die „H. “-Serie mit Erkältungsmitteln verbindet, aber nicht mit bestimmten Wirkstoffen oder einem bestimmten Wirkstoff. Gegen die Assoziation von „H. “ mit dem Wirkstoff Paracetamol spricht darüber hinaus, dass es sich bei dem vom BfArM zum Vergleich herangezogenen Produkt „H. C Hartkapsel“ nicht um ein Monopräparat handelt, dass seit Jahren mit ein- und demselben bekannten Wirkstoff im Verkehr ist. Vielmehr handelt es sich um ein Kombinationsprodukt aus 4 arzneilich wirksamen Bestandteilen, das neben Paracetamol noch Vitamin C, Coffein und Chlorphenaminmaleat enthält. In diesem Fall ist nicht anzunehmen, dass der durchschnittliche Verbraucher die Anzahl oder Art der enthaltenen Wirkstoffe kennt, wie die Vertreterin der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auch eingeräumt hat. Allenfalls wird dem Verbraucher bei der Marke „H. “ der Bestandteil Vitamin C geläufig sein, weil dieser auf der Umverpackung deutlich hervorgehoben ist und als einziger Wirkstoff auf der Vorderseite in Erscheinung tritt.
84Ferner kann nicht außer Acht gelassen werden, dass die übrigen Präparate der „H. “-Reihe eine jeweils unterschiedliche Zusammensetzung der Wirkstoffe aufweisen. Nur „H. C“ Hartkapsel und „H. Heißgetränk“ enthalten Paracetamol. Die anderen Produkte haben eine andere Darreichungsform (Erkältungsbad, Erkältungsbalsam), werden nicht oral, sondern äußerlich angewendet und enthalten unterschiedliche ätherische Öle. Die verschiedenen Produktqualitäten verhindern, dass der Verbraucher mit „H. “ einen bestimmten Wirkstoff in Zusammenhang bringt, sondern lassen als gemeinsames Merkmal nur die Anwendung bei Erkältungskrankheiten zu.
85Selbst wenn der Verbraucher bei dem vom BfArM in den Mittelpunkt der Betrachtung gestellten Arzneimittel „H. C“ Hartkapsel in erster Linie an ein Schmerz- und Fiebermittel zur Anwendung bei Erkältungskrankheiten denken würde, wäre die Verbrauchererwartung nicht auf das Schmerzmittel „Paracetamol“ beschränkt. Es gibt auf dem Arzneimittelmarkt eine Fülle von Erkältungsmitteln, die einen schmerzstillenden und fiebersenkenden Wirkstoff enthalten. Bei diesem Wirkstoff kann es sich jedoch auch um Acetylsalicylsäure (ASS) oder Ibuprofen handeln. Dies hat die Klägerin durch die Vorlage einer Liste dieser Arzneimittel umfänglich dargelegt, vgl. Anlage K 8, Beiakte 1. Umgekehrt sind Erkältungsmittel unter anderen Dachmarken im Verkehr, die ebenfalls den Wirkstoff Paracetamol enthalten, z.B. die Wick-Produkte. Demnach ist die Dachmarke „H. “ aus der Verbrauchersicht nicht exklusiv mit dem Wirkstoff Paracetamol verknüpft.
86Erzeugt der Markenname somit nur eine Assoziation mit dem Anwendungsgebiet „Erkältungskrankheiten“, liegt keine Irreführung des Verbrauchers aufgrund der Erwartung eines bestimmten Wirkstoffs vor.
87Entgegen der Darstellung der BfArM ist auch nicht anzunehmen, dass ein verständiger und aufmerksamer Verbraucher die Produkte „H. J1. Filmtabletten“ mit der „H. C Hartkapsel“ verwechselt, weil er annimmt, die beiden Produkte seien identisch. Die Vorstellung, dass es sich um identische Arzneimittel handelt, wird sowohl durch die unterschiedlichen Zusätze, nämlich zum einen „C“ und zum anderen „J1. “, als auch durch die unterschiedliche Darreichungsform, zum einen Hartkapseln und zum anderen Filmtabletten, ausgeschlossen. Der Gesetzgeber geht in der Vorschrift des § 105 Abs. 3a Satz 3 AMG selbst davon aus, dass unterschiedliche Zusätze generell geeignet sind, wirkstoffveränderte Arzneimittel von dem bisherigen Produkt auch bei weiterer Verwendung der Hauptbezeichnung zu unterscheiden. Es gibt keinen Grund dafür, dass ein aufmerksamer Verbraucher diese unterschiedlichen Zusätze und Darreichungsformen einfach ignoriert oder übersieht. Der Zusatz „J1. “ fällt vielmehr gegenüber der Hauptbezeichnung „H. “ sowohl wegen seiner Wortlänge als auch wegen seiner Bedeutung als geläufige Wirkstoffbezeichnung ins Gewicht. Der in zahlreichen Schmerzmitteln enthaltene Wirkstoff Ibuprofen ist dem aufmerksamen Verbraucher bekannt, da er insbesondere bei Generika häufig im Arzneimittelnamen auftaucht (z.B. Ibu-ratiopharm, Ibu-hexal). Es handelt sich damit um einen deutlich unterscheidenden Zusatz, der Verwechslungen mit dem bisherigen Produkt „H. C Hartkapsel“ ausschließt.
88Auch die Annahme des BfArM, der durchschnittliche Verbraucher nehme bei einer zusammengesetzten Produktbezeichnung an, es handele sich bei dem neuen Präparat „H. J1. “ um ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Paracetamol plus Ibuprofen bzw. um ein Arzneimittel mit allen Wirkstoffen von „H. C Hartkapsel“ plus Ibuprofen, und gehe somit von einer Teilidentität aus, kann nicht überzeugen. Eine Verbrauchererwartung, dass ein mehrteiliger Arzneimittelname stets auf zwei oder mehr Wirkstoffe hinweist, nämlich den Wirkstoff/ die Wirkstoffe der Dachmarke und den im Zusatz bezeichneten Wirkstoff, existiert nicht,
89vgl. OVG NRW, Urteil vom 12.02.2014 – 13 A 1377/13 – „Aktren“.
90Dies gilt insbesondere dann, wenn die Hauptbezeichnung – wie hier – nicht an einen bestimmten Wirkstoff geknüpft ist, sondern an ein Anwendungsgebiet. Vielmehr wird die Verbrauchererwartung, wie ausgeführt, durch die zahlreichen am Markt vorhandenen Erkältungsmittel beeinflusst, die unterschiedliche Wirkstoffe als Monopräparat oder Kombinationspräparate enthalten, vgl. Anlage K8, Beiakte 1. Daher stehen gerade bei Arzneimitteln zur Behandlung von Erkältungskrankheiten nicht bestimmte Wirkstoffe im Vordergrund des Patienteninteresses, sondern der Verwendungszweck. Sollte dies ausnahmsweise nicht der Fall sein und der Patient Wert auf einen bestimmten Wirkstoff legen, wird er durch den Zusatz „J1. “ in „H. J1. “ in ausreichender Deutlichkeit darauf hingewiesen, dass sich das neue Arzneimittel hinsichtlich der Wirkstoffzusammensetzung von dem bisher bekannten „H. C“ jedenfalls teilweise unterscheidet. In diesem Fall wird sich ein aufmerksamer Verbraucher durch einen kurzen Blick auf die Wirkstoffangabe auf der Umverpackung über den oder die enthaltenen Wirkstoffe informieren.
91Da somit von einem durchschnittlichen Verbraucher erwartet werden kann, dass er „H. C“ und „H. J1. “ als unterschiedliche Arzneimittel wahrnimmt, erscheinen die Gefahren, die das BfArM aus einer Verwechslung der beiden Präparate herleiten will, fernliegend. Es kann weder nachvollzogen werden, warum ein Verbraucher die beiden Präparate nacheinander, insbesondere abwechselnd einnehmen sollte, oder warum er beide Arzneimittel gleichzeitig einsetzen sollte. Ebenso wenig kann erwartet werden, dass ein Verbraucher das neue Arzneimittel „H. J1. “ mit der Dosierungsangabe des bisherigen Arzneimittels „H. C“ verbinden sollte. Ein derartiges Verhalten wäre mit dem Verbraucherleitbild eines durchschnittlichen vernünftigen Verbrauchers nicht zu vereinbaren.
92Vielmehr kann von diesem erwartet werden, dass er zwei Arzneimittel, die er als unterschiedlich erkannt hat, nicht wahllos kombiniert, sondern sich vor der Einnahme zunächst in der Packungsbeilage über die Einnahmemodalitäten vergewissert. Dort wird er dazu aufgefordert, beim Arzt oder Apotheker nachzufragen, wenn er vor kurzem andere Arzneimittel eingenommen hat oder noch einnimmt. Unabhängig davon dürfte es inzwischen vielen Verbrauchern bekannt sein, dass es Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Wirkstoffen gibt und dass die gleichzeitige Einnahme mehrerer Arzneimittel zu gefährlichen Überdosierungen oder Wirksamkeitsverlust führen kann. Auf diese Wechselwirkungen wird in jeder Gebrauchsinformation und auch in bekannten Informationsquellen im Internet hingewiesen,
93vgl. § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 c AMG; „Wechselwirkungs-Check“ auf www.apotheken-umschau.de.
94Auch die Vorstellung, ein Verbraucher könnte das Arzneimittel „H. J1. “ wie das bekannte Arzneimittel „H. C“ dosieren, nämlich 3 x 2 Filmtabletten anstelle von 3 x 1 Filmtablette, setzt voraus, dass der Anwender die Dosierungsanleitung in der Gebrauchsinformation des eingenommenen Arzneimittels nicht liest oder nicht beachtet und auch durch die unterschiedliche Darreichungsform (Filmtablette statt Hartkapsel) nicht gewarnt wird. Eine derartige Fehlanwendung kann zwar nie ausgeschlossen werden, wäre aber nicht auf eine missverständliche Arzneimittelbezeichnung, sondern auf einen sorglosen Umgang mit Arzneimitteln zurückzuführen, die nicht dem aktuellen Verbraucherleitbild entspricht. Ein aufmerksamer Verbraucher geht nicht davon aus, dass alle Arzneimittel einer Markenserie hinsichtlich der Wirkstoffmenge und der Dosierung gleich sind,
95vgl. OVG NRW, Urteil vom 14.02.2014 – 13 A 1377/13 – „Aktren“.
96Vielmehr unterscheiden sich Arzneimittel einer Markenserie gerade typischerweise durch die Stärke (Arzneimittelmenge pro abgeteilter Arzneiform, z. B. Ibu-ratiopharm 200 mg akut, Ibu-ratiopharm 400 mg akut, Ibu-ratiopharm 600 mg, Ibu-ratiopharm 800 mg). Dies steht der Annahme entgegen, man könne die Dosierungen ohne weiteres austauschen.
97Schließlich erweist sich die Vorstellung des BfArM als unrealistisch, ein Patient mit einer Analgetika-Allergie, insbesondere gegenüber Ibuprofen, könnte irrtümlich „H. J1. “ einnehmen, weil er meint, es enthalte nur Paracetamol. Verbraucher mit Arzneimittelallergien achten wegen der ihnen bekannten und gefährlichen Nebenwirkungen sehr genau darauf, welche arzneilichen Wirkstoffe sie zu sich nehmen. Dass sie trotz der Angabe „J1. “ im Arzneimittelnamen annehmen, dieses enthalte nur Paracetamol, erscheint abwegig.
98Da die Kammer eine Verwechslungsgefahr zwischen „H. C“ und „H. J1. “ aufgrund der Umstände des vorliegenden Falles bei einem durchschnittlichen Konsumenten ausschließt, resultieren auch keine Gesundheitsgefahren aufgrund teilweise unterschiedlicher Gegenanzeigen, Nebenwirkungen und Wechselwirkungen der beiden Präparate. Selbst wenn man aber eine Verwechslungsgefahr bejahen würde, dürften die dann zu erwartenden Gesundheitsgefahren eher geringfügig sein. Die Klägerin hat überzeugend vorgetragen und belegt, dass bei einer Anwendung von „H. J1. “ anstelle von „H. C“ (mit Paracetamol) wegen der empfohlenen kurzzeitigen Einnahme von 4 Tagen nicht mit einer substantiellen Zunahme von Nebenwirkungen zu rechnen wäre. Aus den vorgelegten Vergleichs-Studien ergibt sich, dass bei einer alternativen Anwendung von Ibuprofen und Paracetamol im vorliegenden niedrigen und nicht verschreibungspflichtigen Dosisbereich und bei Kurzzeitanwendung die Nebenwirkungsraten bei beiden Substanzen gering und in vergleichbarer Höhe waren,
99vgl. Rainsford, K.D., „ Ibuprofen: pharmacology, efficacy and safety“, in: Inflammopharmacology 2009, 275 – 342 (Anlage K 11); Moore N. et al., “Tolerability of ibuprofen, aspirin and paracetamol for the treatment of cold and flu symptoms and sore throat pain”, in IJCP 2002, 732 ff. (Anlage K 12); Hay, A.D. et al., “Paracetamol plus ibuprofen for the treatment of fever in children (PITCH), BMJ 2008, 337 (Anlage K15); Doherty M., et al., “A randomized controlled trial of ibuprofen, paracetamol or a combination tablet of ibuprofen/paracetamol in community-derived people with knee pain”, Ann Rheum dis 2011 (70), 1534 ff. (Anlage K 16); alle in Beiakte 12.
100Diesen Vortrag hat die Beklagte nicht substantiiert bestritten. Sie räumt ein, dass das Nebenwirkungsprofil der beiden Substanzen ähnlich ist, mit Ausnahme der Häufigkeit und Schwere der gastro-intestinalen Nebenwirkungen (Schriftsatz vom 10.05.2013, S. 4, Bl. 60 d.A.). Auf die Tatsache, dass das Risiko für die Schädigung des Gastro-Intestinal-Traktes nachweislich von der Dosierung und der Anwendungsdauer abhängig ist (vgl. Gebrauchsinformation J. 400 mg, Anlage K19, Beiakte 12), geht sie aber nicht ein. Sie verweist im Wesentlichen auf die Gegenanzeigen für die Anwendung von J. 400 mg (Anlage K20 Beiakte 12). Die dort genannten, z. T. schwerwiegenden Störungen (bekannte Reaktionen von Bronchospasmus, Asthma, Rhinitis, Urtikaria; ungeklärte Blutbildungsstörungen, bestehende oder wiederholt aufgetretene peptische Ulzera oder Hämorrhagien, gastrointestinale Blutungen oder Perforationen nach früherer Arzneimitteltherapie, zerebrovaskuläre oder andere aktive Blutungen) sind jedoch nicht mit den Nebenwirkungen des Arzneimittels gleichzusetzen, sondern bezeichnen die Indikationen, bei denen das Arzneimittel nicht angewendet werden darf. Eine Verwechslungsgefahr ist aber gerade bei Patienten, die unter den genannten Störungen leiden, gering, weil diese wegen ihrer Vorerkrankungen oder Unverträglichkeiten eine Arzneimitteleinnahme üblicherweise gründlich prüfen und auf magenschädliche Wirkstoffe wie Ibuprofen achten. Im Übrigen leitet die Beklagte die Gesundheitsgefahren nicht aus dem Austausch der Arzneimittel ab, sondern im Wesentlichen aus einer Kombination beider Mittel oder einer doppelten Dosierung, und damit aus Fehlanwendungen, die – wie ausgeführt – wenig wahrscheinlich sind.
101Schließlich wird der Verbraucher auch nicht dadurch in die Irre geführt, dass er dem neuen Arzneimittel „H. J1. “ eine gleiche oder ähnliche therapeutische Wirksamkeit bei Erkältungskrankheiten wie „H. C“ zumisst. Eine Fehlvorstellung in der Art, dass der Patient von einer komplett identischen Wirkung ausgeht, ist nicht zu erwarten. Denn der Käufer des Arzneimittels wird durch den Bezeichnungszusatz „J1. “ auf einen anderen Wirkstoff hingewiesen, der sich zwangsläufig auf die Wirksamkeit auswirken muss.
102Soweit der Verbraucher aus der Verwendung der Dachmarke „H. “ auf eine ähnliche Wirkung bei Erkältungskrankheiten schließt, wäre diese Erwartung berechtigt. Beide Arzneimittel sind mit dem Anwendungsgebiet der Behandlung von Schmerzen und Fieber im Rahmen von Erkältungskrankheiten zugelassen. Soweit das Anwendungsgebiet von „H. C“ darüber hinausgehend auch noch die Symptome „Schnupfen und Reizhusten“ aufführt, bewirkt dies keinen erheblichen Unterschied der Anwendungsgebiete. Es ist zwar anzunehmen, dass „H. C“ besser gegen diese beiden Symptome wirkt, weil es den Wirkstoff „Chlorphenaminmaleat“ enthält, für den eine abschwellende Wirkung auf die Nasenschleimhaut und eine reizlindernde Wirkung auf den Hustenreiz beansprucht wird. Ein vergleichbarer Wirkstoff ist in „H. J1. “, das nur Ibuprofen enthält, nicht vorhanden.
103Diese speziellen Symptome stehen jedoch bei der Beurteilung der Verbrauchererwartung an ein Erkältungsmittel nicht im Vordergrund. Vielmehr sprechen die Anwendungsgebiete beider Medikamente einen Patienten an, der an einer Erkältungskrankheit leidet, die sich typischerweise durch das gleichzeitige oder nacheinander erfolgende Auftreten verschiedener Symptome auszeichnet und ein Medikament sucht, das die Erkältung insgesamt erleichtert. Die Symptome „Schnupfen und Reizhusten“ werden im Anwendungsgebiet von „H. C“ nur als Beispiele für Beschwerden einer Erkältungskrankheit genannt. Sie können, müssen aber nicht vorliegen. Beispielsweise beansprucht „H. C“ auch eine Wirksamkeit bei Erkältungen, die beispielsweise nur mit Halsschmerzen, nicht aber mit Schnupfen oder Reizhusten, verbunden sind. Patienten, die in erster Linie ihren Schnupfen oder Reizhusten lindern wollen, werden in der Regel andere Medikamente bevorzugen, deren Wirksamkeit sich speziell auf diese Symptome bezieht, wie beispielsweise ein Nasenspray oder einen Hustensaft.
104Im Hinblick auf die im Mittelpunkt des Anwendungsgebietes stehenden Symptome „Schmerzen“ und „Fieber“ wird aber die Erwartung einer ähnlichen oder vergleichbaren Wirkung erfüllt. Die Wirkstoffe Paracetamol und Ibuprofen haben im Rahmen des zugelassenen Anwendungsgebiets eine vergleichbare therapeutische Wirksamkeit. Beide Wirkstoffe wirken schmerzstillend und fiebersenkend. Der Umstand, dass Ibuprofen darüber hinaus eine entzündungshemmende Wirkung entfaltet, ist nicht geeignet, eine Verbrauchertäuschung zu begründen. Denn diese Wirkung bringt dem Anwender möglicherweise einen zusätzlichen Nutzen bei Erkältungskrankheiten, sodass ein Schutzbedürfnis des Verbrauchers vor einer Irreführung insoweit nicht besteht.
105Nicht entscheidend ist im vorliegenden Fall, dass die beiden Wirkstoffe Unterschiede in ihrem Wirkmechanismus aufweisen. Ibuprofen gehört zur Wirkstoffklasse der nichtselektiven NSAR (nicht steroidalen Antirheumatika). Es blockiert durch die Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase (COX) die Prostaglandinsynthese und vermindert damit die für die Vermittlung des Schmerzempfindens und des Entzündungsprozesses verantwortlichen Botenstoffe. Dagegen gehört Paracetamol zur Gruppe der Nichtopioid-Analgetika. Der Wirkmechanismus von Paracetamol ist nicht genau bekannt. Neben einer schwachen Hemmung der peripheren Prostaglandinsynthese und einer starken Hemmung der cerebralen Prostaglandinsynthese werden auch Wechselwirkungen mit dem Serotoninsystem und dem Endocannabinoidsystem diskutiert (Wikipedia: „Paracetamol“ und „Ibuprofen“ und Schriftsatz des BfArM vom 21.08.2013, S. 2, Bl. 73 d.A.).
106Für die Verbrauchererwartung an ein Erkältungsmittel ist jedoch nicht der genaue pharmakologische Wirkmechanismus maßgeblich, sondern die effektive Bekämpfung der Beschwerden Schmerzen und Fieber. Hinsichtlich dieser Symptome ist aber durch klinische Studien belegt, dass Paracetamol und Ibuprofen sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern vergleichbare therapeutische Effekte haben; hinsichtlich der Fiebersenkung bei Kindern scheint Ibuprofen sogar eine leichte Überlegenheit zu haben,
107vgl. Rainsford, K.D. : „ Ibuprofen : pharmacology, efficacy and safety“, in: Inflammopharmacology 2009 (17), 275 – 342 (Anlage K 11); Hay, A.D. et al.: “Paracetamol plus ibuprofen for the treatment of fever in children (PITCH)”, in: BMJ 2008, 337 (Anlage K 15), in Beiakte 12.
108Demgegenüber scheint das Risikoprofil der Substanzen Paracetamol und Ibuprofen und damit die Verträglichkeit der Arzneimittel „H. C“ und „H. J1. “ neben einer weitgehenden Übereinstimmung (vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 10.05.2013, S. 4, Bl. 60 d. A.), auch einige Unterschiede aufzuweisen. Während bei paracetamolhaltigen Arzneimitteln in erster Linie eine lebertoxische Wirkung bei Überdosierung auftreten kann, stehen bei ibuprofenhaltigen Mitteln mit steigender Dosierung und Anwendungsdauer die gastro-intestinalen Nebenwirkungen, wie Blutung, Ulzeration (Geschwürbildung) und Perforation (Durchbruch), im Vordergrund.
109Auch diese Unterschiede zwischen den Arzneimitteln führen jedoch nicht zu einer Fehlvorstellung des Verbrauchers über wesentliche Arzneimitteleigenschaften. Es kann nicht festgestellt werden, dass an die Verwendung einer bestimmten Dachmarke neben der Erwartung einer gleichartigen therapeutischen Wirksamkeit in dem angesprochenen Anwendungsgebiet auch die Erwartung eines gleichartigen Risikoprofils geknüpft ist. Ein durchschnittlicher Patient (ohne Vorerkrankungen oder Unverträglichkeiten) verknüpft mit einer Hauptbezeichnung wie „H. “ in erster Linie eine Wirksamkeit bei Erkältungsbeschwerden. Im Übrigen geht er davon aus, dass ein zugelassenes Arzneimittel verträglich ist, ohne sich über die Art und Schwere der möglichen Nebenwirkungen weitere Gedanken zu machen. Die Vorstellung, dass ein Verbraucher von verschiedenen Arzneimitteln mit einer einheitlichen Hauptbezeichnung ein gleiches Risikoprofil erwartet, ist daher eher fernliegend. Dagegen spricht schon, dass Arzneimittel einer Serie, wie bereits ausgeführt, häufig unterschiedliche Stärken oder Darreichungsformen aufweisen, aus denen sich unterschiedliche Risiken ergeben können. Hier kommt hinzu, dass das neu hinzugekommene Arzneimittel „H. J1. “ sich in der Wirkstoffzusammensetzung unterscheidet. Ein verständiger Verbraucher wird daher nicht annehmen, dass diese unterschiedlichen Arzneimittel trotz einheitlicher Hauptbezeichnung die gleichen Nebenwirkungen haben. Daher liegt im Hinblick auf das unterschiedliche Risikoprofil eine Irreführung des Verbrauchers nicht vor.
110Die Arzneimittelbezeichnung „H. J1. L. 200 mg“ verstößt auch nicht im Hinblick auf den Bezeichnungsteil „L. “ gegen das Irreführungsverbot des § 8 Abs. 1 Nr. 2 AMG. Soweit die Beklagte in der mündlichen Verhandlung erstmalig vorgetragen hat, dieser Zusatz sei missverständlich, weil er eine Anwendung für alle Kinder vortäusche, kann dem nicht gefolgt werden. Zutreffend ist, dass das oben genannte Arzneimittel eine Gegenanzeige für Kinder unter 20 kg Körpergewicht bzw. unter 6 Jahren enthält und damit bei dieser Personengruppe nicht anwendbar ist.
111Jedoch erzeugt der Zusatz „L. “ in der Arzneimittelbezeichnung nicht die Vorstellung, dass das Arzneimittel für alle Kinder, und somit auch für Kinder von 0 bis 6 Jahren geeignet sei. Ebenso wenig wie die Arzneimittelbezeichnung eine vollständige Beschreibung der Anwendungsgebiete enthalten muss,
112vgl. VG Köln, Urteil vom 02.09.2014 – 7 K 4739/12 – „proff Schmerz-Salbe“,
113kann die Bezeichnung eine genaue Angabe der Personengruppen enthalten, für die das Arzneimittel zugelassen ist. Dies ist vielmehr die Funktion der Hinweise in der Gebrauchsinformation unter dem Punkt 2. „Was müssen Sie vor der Einnahme von J. beachten?“, die die ausgeschlossenen Personengruppen benennt und darunter auch Kinder unter 20 kg Körpergewicht bzw. unter 6 Jahren aufführt (Gegenanzeigen).
114Die Arzneimittelbezeichnung mit dem Zusatz „L. “ bietet nur eine grobe Orientierung für die Entscheidung, ob ein Arzneimittel auch bei Kindern angewendet werden kann. Sie erspart nicht die genaue Überprüfung, für welche Altersgruppen sich das Arzneimittel eignet und wie es zu dosieren ist. Ein durchschnittlicher, verständiger Verbraucher, der ein Arzneimittel für sein Kind erwerben will, wird besondere Aufmerksamkeit auf diesen Punkt richten und gegebenenfalls sogar eine Beratung beim Arzt oder Apotheker in Anspruch nehmen. Es dürfte in weiten Verbraucherkreisen bekannt sein, dass Kinder besonders empfindlich auf Arzneimittel reagieren und dass es wegen des unterschiedlichen Körpergewichts auch Unterschiede in der Arzneimittelanwendung zwischen Säuglingen und Kindern von 12 Jahren gibt. Spätestens bei der Frage, wie das Arzneimittel zu dosieren ist, muss sich der Anwender mit der Dosierungsanleitung in der Gebrauchsinformation befassen, die keine Dosierungsangabe für Kinder unter 6 Jahren enthält. Eine Fehlanwendung bei Kindern unter 6 Jahren erscheint daher nicht wahrscheinlich.
115Diese Auffassung wird auch durch die Regelung in § 10 Abs. 1 Nr. 2 AMG gestützt. Danach muss auf dem Behältnis und der äußeren Umhüllung eines Arzneimittels neben der Bezeichnung des Arzneimittels ein Hinweis stehen, dass das Arzneimittel für Säuglinge, Kinder oder Erwachsene bestimmt ist, es sei denn, dass diese Angaben bereits in der Bezeichnung enthalten sind. Daraus ist abzuleiten, dass der Hinweis auf die Anwendbarkeit bei Kindern in der Bezeichnung enthalten sein darf, und zwar ohne dass hier bereits nach dem Alter der Kinder zu differenzieren ist.
116Nur ergänzend weist die Kammer darauf hin, dass eine Verwechslung des Präparates „H. C Hartkapsel“ mit dem Präparat „H. J1. L. 200 mg“ auch wegen des unterscheidenden Zusatzes „L. “ ausgeschlossen sein dürfte.
117Die beantragte Bezeichnungsänderung der streitgegenständlichen Arzneimittel kann auch nicht nach § 25 Abs. 3 AMG versagt werden. Nach dieser Vorschrift ist die Zulassung für ein Arzneimittel zu versagen, das sich von einem zugelassenen oder bereits im Verkehr befindlichen Arzneimittel gleicher Bezeichnung in der Art oder der Menge des Wirkstoffs unterscheidet. Diese Anforderungen gelten auch bei der Änderung von Arzneimitteln nach § 29 Abs. 2 AMG. Die hier zu vergleichenden Arzneimittel „H. C Hartkapsel“ einerseits und „H. J1. 400 mg Filmtabletten“ und „H. J1. L. 200 mg Filmtabletten“ andererseits weisen jedoch nicht die „gleiche Bezeichnung“ im Sinne des § 25 Abs. 3 AMG auf. Hierbei kommt es nicht darauf an, ob die Arzneimittel die gleiche „Hauptbezeichnung“, nämlich „H. “ tragen. Vielmehr ist für die Feststellung einer gleichen Bezeichnung auf die gesamte Bezeichnung einschließlich aller Zusätze abzustellen, die wortlautidentisch und vollständig übereinstimmen müssen,
118vgl. OVG NRW, Urteil vom 12.02.2014 - 13 A 1377/13 – „Aktren“ mit weiteren Nachweisen.
119An der entgegenstehenden Auffassung, die die Kammer im Urteil vom 12.04.2011 – 7 K 4284/09 – „Fenistil“ vertreten hat, wird aus Gründen der Einheitlichkeit der Rechtsprechung nicht mehr festgehalten.
120Da die genannten Versagungsgründe nicht eingreifen, war die Beklagte somit zur beantragten Änderung der Arzneimittelbezeichnung im Zulassungsbescheid zu verpflichten.
121Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 709 Satz 1 und 2 ZPO.