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Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 21.02.2006 – 7 K 2040/05 – wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des Vollstreckungsbetrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Unter dem 12.11.2004 stellte die inzwischen verstorbene Ehefrau des Klägers bei der Beklagten den folgenden Antrag:
3„Es wird die Abgabe von 15 g Natrium-Pentobarbital zum Zwecke der Durchführung meines begleiteten Suizids in der Weise gestattet, dass dieses Mittel von einem Apotheker an einen Vertreter des Vereins „Dignitas Menschenwürdig leben – Menschenwürdig sterben“, Roellistraße 14, CH-8127 Forch, abgegeben wird, der dafür Sorge tragen wird, dass dieses Mittel ausschließlich zu dem genannten Zweck eingesetzt wird.“
4Zur Begründung führte die Ehefrau des Klägers aus, dass sie seit einem Unfall im April 2002 unter einer hochgradigen, fast kompletten sensomotorischen Querschnittslähmung leide. Sie werde künstlich beatmet und sei in vollem Umfang bewegungsunfähig. Es stehe inzwischen fest, dass sich ihr Zustand nicht mehr bessern werde, sie könne nur noch den Kopf bewegen, schlucken und mit Hilfe einer Trachealkanüle sehr mühsam sprechen. Trotz ihrer Lähmung habe sie am ganzen Körper Schmerzempfindungen. Angesichts dieses Zustandes habe sie den Wunsch, freiwillig aus dem Leben zu scheiden. Auch wenn ihr jegliche denkbare Hilfe zuteilwerde, stelle sich ihr jeder Tag als eine unbeschreibliche Qual dar. Ihren Sterbewunsch habe sie mit ihrem Ehemann, der gemeinsamen Tochter, den behandelnden Ärzten, einem Psychologen, dem Pflegepersonal und dem zuständigen Geistlichen besprochen. Diese respektierten ihren Wunsch.
5Sie sei Mitglied des Schweizer Vereins „Dignitas“ geworden. Es sei daher möglich, den gewünschten Suizid in professionell begleiteter Weise in der Schweiz zu vollziehen. Eine solche Reise in die Schweiz setze sie allerdings kaum hinzunehmenden Belastungen aus. Aufgrund der Menschenwürdeverpflichtung des Grundgesetzes sei die Beklagte verpflichtet, ihr auch in Deutschland die Möglichkeit zu eröffnen, die angestrebte Selbsttötung in der beschriebenen Weise in die Tat umzusetzen. Da Natrium-Pentobarbital in der Anlage III zum Betäubungsgesetz aufgeführt sei, sei es verschreibungspflichtig. Es sei jedoch keinem Arzt in Deutschland gestattet, eine letale Dosis zu verschreiben. Aus diesem Grunde sei die Beklagte verpflichtet, ihr Zugang zu einer tödlichen Dosis zu gewähren.
6Mit Bescheid vom 16.12.2004 wies die Beklagte den Antrag zurück. Zur Begründung führte sie aus, die begehrte Erlaubnis für den Erwerb des genannten Betäubungsmittels sei nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG zu versagen, da die Art und der Zweck des beantragten Verkehrs nicht mit dem Zweck des Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, vereinbar sei. Es könne nicht mehr von einer notwendigen medizinischen Versorgung gesprochen werden, wenn das Betäubungsmittel dazu eingesetzt werden solle, einen Suizid zu ermöglichen. Der Begriff der notwendigen medizinischen Versorgung könne nur so verstanden werden, dass es hierbei um die lebenserhaltende oder lebensfördernde, nicht jedoch die lebensvernichtende Anwendung gehe.
7Am 17.01.2005 erhoben die Prozessbevollmächtigten des Klägers Widerspruch gegen den Ablehnungsbescheid, und zwar sowohl im Namen der Ehefrau des Klägers als auch des Klägers selbst. In der Sache wurde geltend gemacht, der Erwerb eines Betäubungsmittels sei nicht nur zum Zwecke der Lebenserhaltung und Lebensförderung zulässig. Allein aufgrund medizinischer Maßnahmen sei die Ehefrau des Klägers überhaupt noch am Leben. Es gebe jedoch keine gesetzliche Pflicht zum Weiterleben. Deshalb müsse die Medizin auch alles unternehmen, einen verantwortlich begleiteten Suizid zu ermöglichen. Dieses weite Verständnis der betäubungsmittelrechtlichen Vorschriften sei auch im Lichte des Art. 8 EMRK geboten.
8Durch Widerspruchsbescheid vom 03.03.2005 wies die Beklagte den Widerspruch der Ehefrau als unbegründet, den Widerspruch des Ehemanns als unzulässig zurück, da dieser kein schutzwürdiges Interesse an der Entscheidung habe. Wenige Tage vor Erhalt des Widerspruchsbescheides hatte die Ehefrau des Klägers in der Schweiz den Suizid in Begleitung des Ehemannes und der gemeinsamen Tochter durchgeführt.
9Am 04.04.2005 erhob der Kläger Klage vor dem Verwaltungsgericht Köln auf Feststellung, dass der angefochtene Widerspruchsbescheid einen unzulässigen Eingriff in seine Rechte aus Art. 8 und Art. 13 EMRK und Art. 6 GG auf Achtung des Privat- und Familienlebens darstelle und dass die Beklagte verpflichtet gewesen sei, der Ehefrau des Klägers das beantragte Betäubungsmittel zum Zweck der Selbsttötung zu verschaffen. Zur Begründung wurde vorgetragen, die Beklagte lege den Begriff der Gesundheit zu eng aus. Dieser beinhalte auch die Möglichkeit, den Tod durch ein sicheres Mittel risikolos und schmerzfrei herbeizuführen, wenn ein medizinisch nicht behebbares menschliches Leiden nicht anders als durch Tod behoben werden könne. Die Beklagte berief sich auf die Unzulässigkeit der Klage, da der Kläger nicht geltend machen könne, in eigenen subjektiven Rechten verletzt zu sein.
10Durch Urteil vom 21.02.2006 - 7 K 2040/05 - wies das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig zurück. Das Gericht schloss sich der Auffassung der Beklagten an, dass der Kläger durch die Ablehnung der von seiner Ehefrau beantragten Erlaubnis nicht in eigenen Rechten, insbesondere nicht in den Rechten aus Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 Abs. 1 EMRK auf Achtung des Privat- und Familienlebens verletzt sei. Ergänzend führte das Gericht aus, dass die Klage zur Überzeugung des Gerichts zudem auch unbegründet wäre. Der verstorbenen Ehefrau des Klägers habe kein Anspruch auf die begehrte Erlaubnis zugestanden. Der nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 BtMG erforderlichen Erlaubnis habe der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegengestanden. Ein Mittel zur Selbsttötung diene nicht der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung. Das sei nur dann der Fall, wenn das Betäubungsmittel zur Heilung oder Linderung von Krankheiten eingesetzt werde. Eine verfassungskonforme Auslegung des BtMG im Lichte des Art. 1 GG, die den Erwerb eines tödlichen Betäubungsmittels zum Zweck der Beendigung eines als qualvoll empfundenen Lebens einschließe, sei nicht möglich. Diese überschreite die Grenzen der zulässigen Auslegung, weil sie dem Willen des Gesetzgebers, durch die Verbote und Einschränkungen des Betäubungsmittelgebrauchs Leben und Gesundheit der Bevölkerung zu schützen, diametral entgegenstehe. Die Kammer gelangte auch nicht zu der Überzeugung, dass das durch den Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG begründete Erwerbsverbot wegen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde der Ehefrau des Klägers verfassungswidrig sei. Ob ein Recht auf Selbsttötung oder auf aktive Sterbehilfe aus Art. 1 GG abzuleiten sei, sei umstritten. Ebenso wenig sei auch Art. 8 Abs. 1 EMRK verletzt, weil dem nationalen Gesetzgeber bei den Einschränkungen dieses Rechts auf Achtung des Privat- und Familienlebens aus Gründen des Gesundheitsschutzes oder der Rechte anderer ein weiter Beurteilungsspielraum zustehe.
11Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil vom 21.02.2006 wurde durch Beschluss des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22.06.2007 - 13 A 1504/06 - zurückgewiesen. In der Begründung führte das Oberverwaltungsgericht aus, dass keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts bestünden, die Klage – selbständig tragend – als unzulässig abzuweisen. Denn der Kläger könne keinen Anspruch auf Erwerb der tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels zum Zweck des Einsatzes für den Suizid seiner Ehefrau aus Art. 6 Abs. 1 GG oder aus Art. 8 bzw. Art. 13 EMRK herleiten.
12Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde des Klägers nahm das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 04.11.2008 – 1 BvR 1832/07 – nicht zur Entscheidung an. Die Verfassungsbeschwerde sei unzulässig, weil dem Kläger die Beschwerdebefugnis im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG fehle. Der Kläger könne weder ein Recht auf Beendigung der ehelichen Gemeinschaft durch Suizid der Ehefrau aus Art. 6 Abs. 1 GG noch die höchstpersönlichen Rechte seiner Ehefrau aus Art. 1 Abs. 1 GG geltend machen.
13Am 22.12.2008 reichte der Kläger gegen diese gerichtlichen Entscheidungen eine Individualbeschwerde gegen die Bundesrepublik Deutschland beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte - EGMR - in Straßburg ein, über die der Gerichtshof mit Urteil vom 19.07.2012 – Nr. 497/09 – entschied. In der Entscheidung stellte der Gerichtshof einstimmig fest, dass der Kläger durch die Weigerung der nationalen Gerichte, die Begründetheit seiner Klage zu prüfen, in eigenen Rechten aus Art. 8 EMRK verletzt sei, ohne dass der Eingriff durch legitime Interessen nach Art. 8 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sei. Die Frage, ob der Kläger in seinen materiellen Rechten aus Art. 8 EMRK durch die Verweigerung der Erlaubnis für den Erwerb einer tödlichen Medikamentendosis zum Zweck der Selbsttötung seiner Ehefrau verletzt sei, sei hingegen nach dem Grundsatz der Subsidiarität nicht vom Europäischen Gerichtshof, sondern von den nationalen Gerichten zu entscheiden. Dieser Grundsatz sei insbesondere dann zu beachten, wenn die Beschwerde Fragen betreffe, bei denen der Staat einen beträchtlichen Ermessensspielraum bei der Wahrung der Grundfreiheiten und Rechte der Konvention habe. Dies sei hier der Fall, weil hinsichtlich der Frage, ob die Verschaffung eines tödlichen Medikaments zum Zweck der Selbsttötung erlaubt sei, kein Konsens unter den Vertragsstaaten bestehe.
14Die Entscheidung des Gerichtshofs wurde laut Mitteilung vom 19.12.2012 am 17.12.2012 rechtskräftig. Diese Mitteilung ging den Prozessbevollmächtigten des Klägers am 22.12.2012 zu.
15Auf der Grundlage dieser Entscheidung hat der Kläger sodann am 15.01.2013 Restitutionsklage nach § 153 VwGO in Verbindung mit § 580 Nr. 8 ZPO vor dem Verwaltungsgericht Köln erhoben, mit der er die Aufhebung des Urteils vom 01.06.2006 und die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Ablehnung der Erlaubnis zum Erwerb des tödlichen Betäubungsmittels beantragt.
16Der Restitutionsgrund des § 580 Nr. 8 ZPO sei im streitgegenständlichen Verfahren erfüllt. Der EGMR habe eine Verletzung des Art. 8 EMRK durch die Weigerung der deutschen Gerichte, die Begründetheit der Klage zu prüfen, festgestellt. Das angefochtene Urteil des Verwaltungsgerichts beruhe auf dieser Verletzung, da es die Klage als unzulässig abgewiesen habe. Die Ausführungen zur Begründetheit im Rahmen eines obiter dictums habe der EGMR gerade nicht für ausreichend gehalten, um die Rechte des Klägers zu befriedigen. Der Umstand, dass die Klage wegen der dargelegten Auffassung des Gerichts zur Begründetheit auch bei einer Vermeidung des Rechtsverstoßes durch Bejahung der Zulässigkeit keinen Erfolg gehabt hätte, sei unerheblich. Im Übrigen hätte die Klage bei zutreffender Rechtsauffassung über die Reichweite des Art. 8 EMRK bei einer Entscheidung über die Begründetheit durchaus Erfolg haben können.
17Zur Begründetheit der Klage bezieht der Kläger sich zunächst auf die Ausführungen seiner Prozessbevollmächtigten in den Schriftsätzen des Verfahrens 7 K 2040/05 sowie dem vorangegangenen Verwaltungsverfahren.
18Ergänzend führt er aus, der Europäische Gerichtshof habe in der Entscheidung vom 19.07.2012 seine bisherige Rechtsprechung fortgeführt, wonach das Recht eines Menschen, eine Entscheidung über den Zeitpunkt und die Art und Weise seines Todes zu treffen, einen Aspekt des Rechts auf Achtung des Privatlebens im Sinne des Art. 8 EMRK darstelle. In einer Zeit, in der die Medizin über immer effektivere Maßnahmen zur Lebensverlängerung verfüge, machten sich viele Menschen Sorgen, dass sie gezwungen werden könnten, in hohem Alter oder in einem Zustand fortgeschrittenen körperlichen oder geistigen Verfalls weiterzuleben, der ihrer Grundüberzeugung von eigener persönlicher Identität widerspreche. Daher könne nach Auffassung des Gerichtshofs eine Rechtsverletzung des Art. 8 der Konvention vorliegen, wenn der Staat einen Menschen an dieser Entscheidung hindere (Fall Pretty und Fall Haas).
19Ein staatlicher Eingriff in dieses Recht auf ein selbstbestimmtes Ende des Lebens sei ungeachtet der hierzu in den Mitgliedstaaten bestehenden, zum Teil sehr alten Gesetze nicht mehr demokratisch legitimiert. Denn die Auffassung der Bevölkerung habe sich ausweislich der hierzu durchgeführten wissenschaftlichen Untersuchungen in den letzten Jahren grundlegend gewandelt, und eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung spreche sich gerade in Deutschland für eine aktive Sterbehilfe im Fall einer schweren und unerträglichen Krankheit aus.
20Im vorliegenden Fall sei die Versagung der Erlaubnis für den Erwerb eines tödlichen Betäubungsmittels eine Verletzung von Art. 1 und Art. 6 GG sowie Art. 8 EMRK gewesen. Der Entscheidungsspielraum des Staates könne hier nicht auf null reduziert werden, ohne dass eine Verletzung des Art. 8 EMRK vorliege. Vielmehr lasse das deutsche BtMG bei zutreffender Auslegung die Abgabe des beantragten Mittels ausnahmsweise zu. Die Überlassung sei mit dem Zweck des Gesetzes, die notwendige medizinische Versorgung der Bevölkerung sicherzustellen, vereinbar. Diese umfasse auch die Versorgung am Lebensende, beispielweise die Versorgung von Palliativpatienten mit schmerzstillenden Morphinen, die in Abhängigkeit von der Dosis auch den Todeseintritt mitbestimmen könne. Das Gesetz definiere an keiner Stelle einen Zweck, die Abgabe eines Betäubungsmittels zum Zwecke der Selbsttötung zu verhindern, wenn sich der Betroffene im Stadium einer schweren, eventuell tödlich verlaufenden Krankheit oder eines unerträglich gewordenen Daseins zu einer Beendigung des Lebens entschließe.
21Durch die Abgabe einer einzigen letalen Dosis werde auch weder eine Betäubungsmittelabhängigkeit gefördert noch ein Betäubungsmittelmissbrauch betrieben. Gefahren für die öffentliche Gesundheit oder das Recht auf Leben anderer würden nicht begründet. Insbesondere im Fall der Ehefrau des Klägers hätte auch kein voreiliger oder unüberlegter Entschluss verhindert werden müssen.
22Durch die Versagung werde staatlicherseits verhindert, dass sich der Betroffene für ein selbstbestimmtes Lebensende entscheiden dürfe. Hierdurch werde der Betroffene gezwungen, seinen Sterbewunsch durch eine menschenunwürdige Gestaltung oder Sterbetourismus herbeizuführen. Damit liefe das vom EGMR anerkannte Recht auf Selbstgestaltung des Lebensendes leer. Selbst wenn eine Auslegung des Betäubungsmittelgesetzes in diesem Sinne nicht möglich sei, sei die Beklagte jedoch verpflichtet, für derartige Fälle eine Ausnahmeregelung zu schaffen, um den Anforderungen des Art. 8 EMRK gerecht zu werden.
23Der Kläger beantragt,
24das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 21.02.2006 – 7 K 2040/05 - aufzuheben,
25und festzustellen, dass der Bescheid der Beklagten vom 16.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2005 rechtswidrig gewesen ist und die Beklagte verpflichtet gewesen ist, der verstorbenen Ehefrau des Klägers den Erwerb des beantragten Betäubungsmittels zum Zweck der Selbsttötung zu erlauben.
26Die Beklagte beantragt,
27die Klage abzuweisen.
28Die Beklagte ist der Auffassung, der geltend gemachte Restitutionsgrund nach § 580 Nr. 8 ZPO bestehe nicht. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 21.02.2006 beruhe nicht auf der in dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte – EGMR – vom 19.07.2012 – Nr. 497/09 – festgestellten Verletzung von Art. 8 EMRK. Selbst wenn die Verletzung der Konvention durch die Abweisung der Klage als unzulässig hinweg gedacht würde, wäre das Prozessergebnis kein anderes gewesen. Denn das Verwaltungsgericht habe in dem angefochtenen Urteil im Rahmen eines obiter dictum festgestellt, dass die Klage auch nicht begründet gewesen wäre und habe dies eingehend ausgeführt. Die Klage wäre daher auch bei Vermeidung des Rechtsfehlers und Bejahung der Zulässigkeit, abgewiesen worden.
29Dagegen habe der Gerichtshof einen materiell-rechtlichen Verstoß gegen Art. 8 EMRK durch die Versagung des beantragten Betäubungsmittels gerade nicht festgestellt, sondern insoweit auf den weiten Entscheidungsspielraum der Mitgliedsstaaten hingewiesen. Soweit das Verwaltungsgericht die Klage als unbegründet angesehen habe, beruhe die Entscheidung somit nicht auf einem Verstoß gegen die Konvention.
30Jedenfalls sei die Fortsetzungsfeststellungsklage unbegründet. Der angefochtene Bescheid des BfArM sei rechtmäßig gewesen. Insofern verweist die Beklagte auf ihre Ausführungen in den angefochtenen Bescheiden und in den Schriftsätzen des Verfahrens 7 K 2040/05 sowie die Ausführungen im Urteil des Verwaltungsgerichts vom 21.02.2006.
31Ergänzend wird ausgeführt, der Begriff der notwendigen medizinischen Versorgung in § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG umfasse zwar die Versorgung von Schmerzpatienten am Lebensende mit Betäubungsmitteln, jedoch nicht das aktive Herbeiführen des Todes. Eine Gleichstellung dieser Sachverhalte sei auch aus medizinischer Sicht nicht gerechtfertigt. Denn von der legalen „Hilfe beim Sterben“, die ausschließlich der Kontrolle von starken Schmerzen oder der Luftnot diene, sei strikt abzugrenzen die „Hilfe zum Sterben“, die die Ehefrau des Klägers beantragt habe. Bei der Hilfe beim Sterben, werde eine Beschleunigung des Todes als Nebenwirkung der Symptomlinderung in Kauf genommen, jedoch nie beabsichtigt (Nauck/Ostgathe, Radbruch, in: Deutsches Ärzteblatt 2014, 113: A-67/B-61/C-57, „Ärztlich assistierter Suizid: Hilfe beim Sterben – keine Hilfe zum Sterben“).
32Darüber hinaus könne der Sorge vieler Menschen, in einem Zustand fortgeschrittenen körperlichen oder geistigen Verfalls zu einem Weiterleben gezwungen zu werden, damit begegnet werden, dass therapeutische Maßnahmen am Lebensende begrenzt würden. Insbesondere sei es zulässig, bestimmte Maßnahmen zur Lebensverlängerung wie künstliche Ernährung, Flüssigkeitszufuhr, Medikamentengabe, Beatmung, Intubation, Dialyse, Reanimation zu unterlassen, zu begrenzen oder abzubrechen, während gleichzeitig versucht werde, Leiden des Patienten zu verhindern. Die Gabe der letalen Dosis eines Betäubungsmittels zur Lebensbeendigung sei hiermit nicht zu vergleichen.
33Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die Gerichtsakte des Verfahrens 7 K 2040/05 sowie die Gerichtsakte des vorliegenden Verfahrens Bezug genommen.
34E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
35Die Restitutionsklage ist zulässig und begründet. Demnach ist das Urteil des VG Köln vom 21.02.2006 – 7 K 2040/05 – aufzuheben und das Verfahren gemäß § 153 VwGO i.V.m. § 580 Nr. 8 ZPO wiederaufzunehmen.
36Gemäß § 580 Nr. 8 ZPO findet die Restitutionsklage statt, wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten festgestellt hat und das Urteil auf dieser Verletzung beruht.
37Diese Voraussetzungen für die Wiederaufnahme des Verfahrens sind erfüllt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte – im Folgenden: EGMR – hat durch Urteil vom 19.07.2012 – Nr. 497/09 – festgestellt, dass der Kläger in seinen Rechten aus Art. 8 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten – im Folgenden: EMRK - verletzt ist, weil die nationalen Verwaltungsgerichte nicht über die Begründetheit seiner Klage entschieden haben. Diese Rechtsverletzung betrifft auch das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 21.02.2006 – 7 K 2040/05 –, weil das Verwaltungsgericht die Klage als unzulässig abgewiesen hat.
38Das Urteil beruht auf dieser Rechtsverletzung. Denn der tragende Grund für die Abweisung der Klage war die Auffassung des Gerichts, dass der Kläger nicht in eigenen Rechten betroffen sei, insbesondere aus Art. 8 EMRK keine eigenen Rechte ableiten könne, und die Klage deshalb unzulässig sei. Dagegen kann nicht eingewendet werden, die Entscheidung beruhe nicht auf der Rechtsverletzung, weil die Kammer die Klage auch ohne die Rechtsverletzung abgewiesen hätte, weil sie aus der Sicht des Gerichts auch unbegründet gewesen wäre.
39Diese Rechtsmeinung ist mit Sinn und Zweck des Wiederaufnahmegrundes nach § 580 Nr. 8 ZPO nicht vereinbar. Die Vorschrift dient dazu, den Urteilen des EGMR auch in rechtskräftig abgeschlossenen innerstaatlichen Gerichtsverfahren Geltung zu verschaffen. Mit einer Ablehnung der Wiederaufnahme des Verfahrens würde das Urteil des EGMR vom 19.07.2012, das gerade das Fehlen einer Begründetheitsprüfung durch die Verwaltungsgerichte beanstandet hat, jedoch ins Leere laufen.
40Die Regelung des § 580 Nr. 8 ZPO, die mit dem Zweiten Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 22.12.2006 (BGBl. I S. 3416, 3421) mit Wirkung ab dem 01.01.2007 eingeführt wurde, ist dazu bestimmt, die Verpflichtung der Bundesrepublik Deutschland aus Art. 46 Abs. 1 EMRK umzusetzen. Danach verpflichten sich die Vertragsstaaten in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen. Da die Möglichkeit der Wiederaufnahme eines rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahrens in bestimmten Fällen das effektivste oder sogar einzige Mittel zur vollständigen Abhilfe einer dauerhaften Konventionsverletzung ist, wurde das Vorliegen einer Entscheidung des EGMR, mit der eine Verletzung der EMRK festgestellt wird, auf eine Empfehlung des Ministerkomitees des Europarates vom 19.01.2000 als Wiederaufnahmegrund eingeführt,
41vgl. Begründung des Regierungsentwurfs für das Zweite Gesetz zur Modernisierung der Justiz vom 19.10.2006, Bt-Drs 16/3038, S. 39.
42Hierdurch erhält das zuständige nationale Gericht die Gelegenheit, sich erneut mit dem Fall zu befassen und die Entscheidung des EGMR in seine Willensbildung einzustellen. Dabei äußert das Gesetz die grundsätzliche Erwartung, dass das Gericht seine ursprüngliche - konventionswidrige - Entscheidung ändert, soweit diese auf der Verletzung beruht,
43vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 - 2 BvR 1481/04 -, BVerfGE 111, 307, juris Rn. 54 zur wortlautgleichen Vorschrift des § 359 StPO.
44Denn die Europäische Menschenrechtskonvention gilt – in der Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte – im Range eines förmlichen Bundesgesetzes und muss daher von den nationalen Gerichten nach dem Grundsatz des Vorrangs des Gesetzes beachtet werden. Hierbei sind die Gerichte verpflichtet, die Entscheidungen des EGMR zur Kenntnis zu nehmen und im Rahmen der bestehenden Auslegungsspielräume in den Willensbildungsprozess des Gerichts bei der Auslegung des nationalen Rechts einfließen zu lassen, wobei der konventionsgemäßen Auslegung der Vorrang einzuräumen ist,
45vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004, a.a.O., juris Rn. 32, 48 und 62.
46Nach Auffassung des EGMR haben die deutschen Gerichte die Rechte des Klägers aus Art. 8 EMRK verletzt, indem sie seine Klage nicht sachlich geprüft haben. Dies gilt ausweislich der Begründung des Gerichtshofs auch für das erstinstanzliche Urteil, obwohl dieses ausführliche Erwägungen zur Begründetheit der Klage als obiter dictum enthält. Aus den Entscheidungsgründen des Urteils des EGMR ist zu entnehmen, dass der Gerichtshof diese Erwägungen durchaus zur Kenntnis genommen, ihnen aber keine entscheidende Bedeutung beigemessen hat,
47vgl. EGMR, Urteil vom 19.07.2012, - 497/09 - „Koch/BRD“, Rn. 65. 66.
48Die hilfsweisen Ausführungen des Verwaltungsgerichts zur Begründetheit der Klage waren aus der Sicht des Gerichtshofs offenbar nicht geeignet, die Verfahrensrechte des Klägers aus Art. 8 EMRK zu befriedigen. Demnach liegt eine Konventionsverletzung auch darin, dass das Verwaltungsgericht eine materielle Rechtsverletzung des Klägers nur hilfsweise geprüft und nicht zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat. Diese Auslegung des Art. 8 EMRK durch den Gerichtshof ist nach den oben angeführten Grundsätzen auch bei der Prüfung der Voraussetzungen der nationalen Rechtsnorm des § 508 Nr. 8 ZPO zu berücksichtigen.
49Demnach beruht das Urteil des Verwaltungsgerichts - ungeachtet des obiter dictums - auf der Verletzung der Rechte des Klägers aus Art. 8 EMRK. Für dieses Ergebnis spricht auch der Umstand, dass die Abweisung der Klage des Klägers als unzulässig durch das erstinstanzliche Gericht ursächlich dafür war, dass im Rechtsmittelverfahren durch das Oberverwaltungsgericht und nachfolgend im Verfahren der Verfassungsbeschwerde durch das Bundesverfassungsgericht keine Prüfung der materiellen Begründetheit der Klage vorgenommen worden ist. Würde man die Wiederaufnahme des Verfahrens ablehnen, weil das Verwaltungsgericht seine Rechtsansicht zur Begründetheit mitgeteilt hat, so würde man dem Kläger erneut eine Sachprüfung in dem nach der VwGO vorgesehenen Instanzenzug und im Verfahren der Verfassungsbeschwerde verweigern und hierdurch eine erneute Konventionsverletzung herbeiführen. Ein derartiges Ergebnis wäre mit § 580 Nr. 8 ZPO, der den Entscheidungen des EGMR Geltung auch in rechtskräftig abgeschlossenen Gerichtsverfahren verschaffen soll, nicht in Einklang zu bringen.
50Die von dem Kläger erhobene Fortsetzungsfeststellungsklage, die nunmehr im Rahmen des Anfechtungsgrundes des § 580 Nr. 8 ZPO neu zu prüfen ist, § 590 ZPO, ist zulässig, aber unbegründet.
51Die Fortsetzungsfeststellungsklage ist hier in doppelt analoger Anwendung des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO statthaft, da sich die an sich zu erhebende Verpflichtungsklage auf Erteilung der beantragten Erlaubnis nach § 3 BtMG schon vor der Klageerhebung durch den Tod der Ehefrau des Klägers erledigt hat.
52Die nach § 42 Abs. 2 VwGO auch im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsklage erforderliche Klagebefugnis ist nunmehr ebenfalls zu bejahen. Der Kläger kann jedenfalls geltend machen, durch die Verweigerung der Erlaubnis eines tödlichen Betäubungsmittels für seine Ehefrau in seinen Rechten aus Art. 8 EMRK verletzt zu sein.
53Die EMRK gilt aufgrund des Transformationsgesetzes vom 07.08.1952, BGBl. II S. 685, nach Art. 59 Abs. 2 GG als einfaches Bundesrecht. Nach Art. 1 Abs. 2 GG bekennt sich die Bundesrepublik Deutschland zu den von der Konvention geschützten unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten. Danach kann nicht zweifelhaft sein, dass die Freiheitsrechte der EMRK subjektive Rechte begründen, die im Klagewege geltend gemacht werden können, § 42 Abs. 2 VwGO,
54vgl. Dörr, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 3. Auflage 2010, Europäischer Verwaltungsrechtsschutz, Rn. 294; OVG Münster, Urteil vom 07.08.1996 – 17 A 1093/95 - NVwZ 1997, 512.
55Der EGMR hat im Urteil vom 19.07.2012 entschieden, dass der Kläger in dem hier vorliegenden Fall ausnahmsweise geltend machen kann, durch die Verweigerung des beantragten Betäubungsmittels für seine Ehefrau in seinen durch Art. 8 EMRK geschützten Rechten auf ein selbstbestimmtes Leben und auf ein familiäres Zusammenleben verletzt zu sein. Dies hat der Gerichtshof in Anlehnung an die Grundsätze für die Zulässigkeit einer Beschwerde eines Angehörigen für eine verstorbene Person daraus hergeleitet, dass zwischen dem Kläger und seiner Ehefrau eine außergewöhnlich enge Beziehung bestanden hat und dass dieser in die Bemühungen der Ehefrau zur Beendigung ihres Lebens intensiv einbezogen war,
56vgl. EGMR, Urteil vom 19.07.2012 – Nr. 497/09 – „Koch/BRD“ , Rn. 44 ff., 50.
57An diese Auslegung des Art. 8 EMRK ist das erkennende Gericht durch die endgültige Entscheidung des EGMR vom 29.07.2012 gebunden. Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof ist nach Art. 32 Abs. 1 EMRK zur Entscheidung über die Auslegung und Anwendung des Konventionsrechts berufen. Ihm obliegt daher auch die Feststellung des aktuellen Entwicklungsstandes der Konvention und ihrer Protokolle, der sich in den Entscheidungen widerspiegelt,
58vgl. BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – BvR 1481/04 – juris, Rn. 38.
59Mit der Entscheidung des EGMR steht somit fest, dass das Verwaltungsgericht durch die angefochtene Entscheidung Art. 8 EMRK verletzt hat, indem es dem Kläger eine Betroffenheit in eigenen Rechten und somit die Klagebefugnis nicht zugestanden hat. Für das vorliegende Wiederaufnahmeverfahren ist daher davon auszugehen, dass eine Verletzung des Klägers in eigenen Rechten aus Art. 8 EMRK möglich ist.
60Auch das berechtigte Interesse des Klägers an der begehrten Feststellung im Sinne des § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO ist zu bejahen. Zur Begründung dieses Interesses genügt auch ein ideelles Interesse, wenn dieses nach den Umständen des Einzelfalls schutzwürdig ist, zum Beispiel als Ausgleich für einen immateriellen Schaden durch einen rechtswidrigen Grundrechtseingriff,
61vgl. BVerwG, Urteil vom 21.11.1980 – 7 C 18/79 – BVerwGE 61, 164.
62Im vorliegenden Verfahren beruft sich der Kläger auf einen Eingriff in seine Rechte aus Art. 8 EMRK durch die Ablehnung der Erlaubnis zum Erwerb eines tödlichen Betäubungsmittels für seine Ehefrau. Damit rügt er auch mittelbar die Verletzung der Grundrechte seiner Ehefrau auf ein menschenwürdiges und selbstbestimmtes Lebensende, die ebenfalls unter den Schutzbereich des Art. 8 EMRK fallen. Er macht somit eine Verletzung von Freiheits- und Grundrechten geltend, die auch jetzt noch beim Kläger erhebliche psychische oder emotionale Nachwirkungen haben kann. Demnach kann dem Kläger ein schutzwürdiges Interesse an der Feststellung nicht abgesprochen werden. Dies wäre auch mit der Entscheidung des EGMR vom 19.07.2012 nicht vereinbar, die dem Kläger im Hinblick auf Art. 8 EMRK einen Anspruch auf eine Prüfung der Rechtsverletzung durch die nationalen Gerichte gerade zugestanden hat.
63Die Klage ist jedoch nicht begründet. Die Versagungsentscheidung der Beklagten vom 16.12.2004 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2005 war rechtmäßig und verletzte den Kläger nicht in seinen Rechten.
64Hierbei ist davon auszugehen, dass eine Verletzung der Rechte des Klägers auf Achtung seines Privat- und Familienlebens aus Art. 8 EMRK voraussetzt, dass auch das Selbstbestimmungsrecht der Ehefrau aus Art. 8 EMRK durch die Verweigerung der Erlaubnis nach § 3 BtMG verletzt worden ist. Falls die Rechte der unmittelbar betroffenen Ehefrau nicht verletzt worden sind, kommt auch eine Rechtsverletzung des mittelbar betroffenen Klägers nicht in Betracht.
65Die Ehefrau des Klägers hatte keinen Anspruch auf die Erteilung einer Erlaubnis nach § 3 BtMG zum Erwerb eines bestimmten Betäubungsmittels in einer tödlichen Dosis zum Zweck der Selbsttötung. Der Erteilung der Erlaubnis stand der zwingende Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG entgegen. Das Verwaltungsgericht hat hierzu im Urteil vom 21.02.2006 – 7 K 2040/05 – das Folgende ausgeführt:
66„Die in dieser Vorschrift angesprochene Notwendigkeit der medizinischen Versorgung der Bevölkerung kann dann nicht erfüllt sein, wenn der Erwerb des Betäubungsmittels der Selbsttötung dienen soll. Unter der notwendigen medizinischen Versorgung der Bevölkerung sind nur solche Verwendungen zu verstehen, die therapeutischen Zwecken dienen. Das ist dann der Fall, wenn ein Betäubungsmittel aufgrund seiner pharmakologischen Wirkungen zur Heilung oder zur Linderung von Krankheiten angewandt wird. ...Keinesfalls können hierunter aber Handlungen gefasst werden, die nicht gegen die Krankheit, sondern gegen das Leben selbst gerichtet sind.“
67An dieser Auslegung hält das Gericht auch in Anbetracht der ergänzenden Ausführungen des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Wiederaufnahmeverfahren fest. Es ist zwar zutreffend, dass zur notwendigen medizinischen Versorgung auch die Versorgung mit schmerzstillenden Medikamenten am Ende des Lebens gehört, selbst wenn als Nebenwirkung hierbei ein schnellerer Eintritt des Todes erfolgt. Dieser Vorgang ist jedoch medizinisch und ethisch streng abzugrenzen von der Aushändigung eines tödlichen Betäubungsmittels zur gezielten Lebensbeendigung. Obwohl sich die Vorgänge rein äußerlich kaum unterscheiden, müssen sie jedoch im Hinblick auf die überragende Bedeutung des Rechtsgutes „Leben“ wegen ihrer unterschiedlichen Zielrichtung auch unterschiedlich bewertet werden. Bei der palliativen Versorgung sterbender Menschen steht die Linderung von Schmerzen und Atemnot durch das Betäubungsmittel im Vordergrund, während die Lebensverkürzung nicht beabsichtigt, sondern lediglich als unvermeidliche und längerfristige Nebenfolge der notwendigen Behandlung in Kauf genommen wird (Hilfe beim Sterben). Damit ist eine absichtliche lebensbeendigende Handlung durch Einnahme einer tödlichen Dosis eines Betäubungsmittels nicht vergleichbar, selbst wenn diese der Beendigung eines als qualvoll empfundenen Lebens dient (Hilfe zum Sterben).
68Diese Sichtweise stimmt auch mit der wertenden Abgrenzung überein, die der Bundesgerichtshof im Rahmen der strafrechtlichen Bewertung der sog. passiven Sterbehilfe durch dritte Personen aufgestellt hat. In diesem Bereich hat der BGH ausgeführt, eine Abgrenzung zwischen erlaubter – durch Einwilligung gerechtfertigter - Sterbehilfe und einer strafbaren Tötung nach §§ 212, 216 StGB könne sinnvollerweise nicht nach Maßgabe einer naturalistischen Unterscheidung zwischen aktivem und passivem Handeln getroffen werden. Vielmehr sei eine normativ-wertende Betrachtung erforderlich, in der der Begriff der medizinischen Behandlung im Mittelpunkt steht. Danach setzt eine durch Einwilligung gerechtfertigte zulässige Sterbehilfe voraus, dass das Verhalten objektiv und subjektiv unmittelbar auf die Beendigung einer medizinischen Behandlung zur Lebenserhaltung oder Lebensverlängerung bezogen ist. Das ist nur dann der Fall, wenn eine lebenserhaltende Behandlung unterlassen oder abgebrochen wird oder wenn der Tod vorzeitig als Nebenfolge einer medizinisch indizierten palliativen Maßnahme eintritt (sog. „indirekte Sterbehilfe“). Dagegen kommt eine rechtfertigende Einwilligung nicht für vorsätzliche lebensbeendende Handlungen in Betracht, die außerhalb eines Zusammenhangs mit einer medizinischen Behandlung vorgenommen werden,
69vgl. BGH, Urteil vom 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – Rn. 33, 34 juris.
70Um eine derartige absichtliche lebensbeendende Handlung außerhalb einer medizinischen Behandlung geht es auch hier. Daher ist die Einordnung einer derartigen Handlung als medizinische Versorgung fernliegend.
71Auch eine grundrechtskonforme Auslegung des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG mit dem Ziel, den Zugang zu tödlich wirkenden Betäubungsmitteln ausnahmsweise dann zu ermöglichen, wenn ein selbstbestimmter Entschluss zur Beendigung eines leidvollen Lebens vorliegt, ist nicht möglich. Das Verwaltungsgericht hat hierzu bereits im Urteil vom 21.02.2006 ausgeführt, dass eine Auslegung in diesem Sinne nicht zulässig ist, weil sie dem Willen des Gesetzgebers diametral widerspricht,
72vgl. VG Köln, Urteil vom 21.02.2006 – 7 K 2040/05 – S. 13, 14.
73Der Schutzzweck des Gesetzes wird im Versagungsgrund des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG deutlich: er besteht darin, Leben und Gesundheit der Bevölkerung vor den schädlichen Auswirkungen von Betäubungsmitteln zu schützen. Dieser Schutzzweck ist Ausdruck der Schutzpflicht des Staates für Leben und körperliche Unversehrtheit, die aus der grundrechtlichen Gewährleistung des Art. 2 Abs. 2 GG abgeleitet wird. Damit ist die
74Zurverfügungstellung eines verschreibungspflichtigen Betäubungsmittels zur Selbsttötung nicht vereinbar, weil sie nicht der Erhaltung, sondern der Beendigung des Lebens, also dem gegenteiligen Zweck, dient.
75Diese Auslegung wird durch die Rechtsprechung des EGMR zur der vergleichbaren Gewährleistung des Art. 2 EMRK bestätigt. Der Gerichtshof hat hierzu ausgeführt, dass das „Recht auf Leben“ nicht so ausgelegt werden könne, dass es auch einen negativen Aspekt mit einschließe. Ohne Verdrehung seines Wortlauts könne Art. 2 EMRK nicht dahingehend verstanden werden, dass er auch das diametral entgegengesetzte Recht enthalte, nämlich das Recht zu sterben,
76vgl. EGMR, Urteil vom 29.04.2002 – Nr. 2346/02 – „Pretty/Vereinigtes Königreich, NJW 2002, 2851, 2852.
77Auch die Entscheidung des EGMR vom 19.07.2012 im vorliegenden Verfahren, die eine Verletzung der Verfahrensrechte des Art. 8 EMRK feststellt und Ausführungen zum materiellen Schutzbereich der Vorschrift macht, führt nicht zu einer erweiterten Auslegung von § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG, die den Einsatz von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung erlauben würde.
78Zwar sind die Entscheidungen des EGMR zur Auslegung der Konvention, wie ausgeführt, auch im Rahmen des nationalen Rechts zu berücksichtigen und dieses möglichst im Einklang mit den Freiheitsrechten der EMRK auszulegen. Der EGMR hat den Vertragsstaaten jedoch einen weiten Beurteilungsspielraum bei der Verwirklichung der Rechte des Art. 8 EMRK eingeräumt, der auch die Möglichkeit umfasst, eine Sterbehilfe durch die Verschreibung oder Gewährung tödlicher Medikamente auszuschließen.
79Nach Auffassung des EGMR „kann“ von dem durch Art. 8 EMRK geschützten Recht auf Privatleben auch eine Verpflichtung des Staates erfasst sein, einen würdigen Tod zu ermöglichen. Das Recht auf „Privatleben“ im Sinne des Art. 8 EMRK hat nach der Rechtsprechung des EGMR einen breiten Anwendungsbereich, der nicht erschöpfend definiert werden kann. Hierbei ist das Recht auf ein autonomes, selbstbestimmtes Leben und persönliche Entwicklung ein wichtiges Prinzip, das den Garantien des Art. 8 EMRK zugrundeliegt. Unter Berücksichtigung der veränderten medizinischen Möglichkeiten der Lebenserhaltung und der längeren Lebenserwartung hat der Gerichtshof inzwischen anerkannt, dass Art. 8 EMRK auch das Recht eines Menschen umfasst, zu entscheiden, in welcher Weise und zu welcher Zeit sein Leben enden soll, vorausgesetzt, dass er in der Lage ist, seinen eigenen Willen frei zu äußern und dementsprechend zu handeln,
80vgl. EGMR, Urteil vom 19.07.2012 - 497/09 - „Koch/BRD“, Rn. 52, unter Bezugnahme auf das Urteil vom 20.02.2011 - 31322/07 - „Haas/Schweiz“ Rn. 51, NJW 2011, 3773, 3774; Urteil vom 14.05.2013 – Nr. 67810/10 – „Gross/Schweiz“, Rn. 58 - 60.
81Der Gerichtshof hat darüber hinaus angenommen, dass Art. 8 EMRK nicht nur ein Abwehrrecht des einzelnen gegen Eingriffe des Staates enthalte, sondern auch positive Verpflichtungen des Staates begründen könne, um einen Schutz des Privatlebens einschließlich des Selbstbestimmungsrechts am Lebensende sicherzustellen. Er hat hierbei auch erwogen, dass den Staat eine Pflicht treffen könne, notwendige Maßnahmen zu treffen, die eine würdige Selbsttötung ermöglichen, beispielsweise Zugang zu einem Betäubungsmittel zu gewähren, das einen schmerzfreien Tod bewirkt,
82vgl. EGMR, Urteil vom 20.01.2011 – 31322/07 – „Haas/Schweiz“, Rn. 52, 53 und Urteil vom 19.07.2012 – 497/09 - , „Koch/BRD“, Rn. 52.
83Demnach kann die Ehefrau des Klägers im vorliegenden Verfahren durch die Verweigerung des Zugangs zu einem tödlichen Betäubungsmittel nach § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG in ihrem Recht aus Art. 8 EMRK auf ein selbstbestimmtes Lebensende betroffen sein.
84Sie ist jedoch durch diese Behördenentscheidung nicht in ihren Rechten verletzt worden. Die Ablehnung des Erwerbs eines todbringenden Betäubungsmittels ist nach der Rechtsprechung des EGMR nicht unter dem Gesichtspunkt des Eingriffs in Art. 8 EMRK, und damit nicht unter den Voraussetzungen des Art. 8 Abs. 2 EMRK zu prüfen.
85Vielmehr ist zu ermitteln, ob der Staat seine aus Art. 8 EMRK folgenden positiven Verpflichtungen zum effektiven Schutz des Selbstbestimmungsrechts verletzt hat.
86Bei dieser Prüfung müssen die unterschiedlichen betroffenen Interessen, nämlich einerseits das Selbstbestimmungsrecht des Sterbewilligen und andererseits die Schutzpflicht des Staates für das Leben und die Gesundheit verwundbarer Personen, die aus Art. 2 EMRK folgt, gegeneinander abgewogen werden. Bei dieser Abwägung steht den Vertragsstaaten ein erheblicher Ermessensspielraum zu,
87vgl. EGMR, Urteil vom 20.01.2011 – 31322/07 – „Haas/Schweiz“ Rn. 53, 54.
88Der EGMR hat auch im vorliegenden Verfahren betont, dass die Vertragsstaaten in der Frage der Zulässigkeit der Sterbehilfe durch Dritte bzw. der staatlichen Unterstützung der Selbsttötung durch Zugang zu tödlichen Arzneimitteln einen „beträchtlichen Ermessensspielraum“ haben. Dies beruht darauf, dass die Staaten weit davon entfernt sind, in dieser Hinsicht einen Konsens zu erreichen. Nur 4 Staaten von 42 Mitgliedsstaaten erlauben, dass Ärzte ein tödliches Medikament verschreiben, damit der Patient sein Leben beenden kann. In einigen Staaten – wie auch in Deutschland – sind bestimmte Formen der passiven oder indirekten Sterbehilfe zulässig. Die große Mehrheit der Mitgliedsstaaten aber legt mehr Gewicht auf den Schutz des Lebens einer Person als auf ihr Recht, ihr Leben zu beenden, und verbietet jegliche Form der Beihilfe zur Selbsttötung,
89vgl. EGMR, Urteil vom 19.07.2012 – 497/09 - „Koch/BRD“, Rn. 70; Urteil vom 20.01.2011, „Haas/Schweiz“, Rn. 55.
90Dies hat der Gerichtshof nicht beanstandet, sondern auch restriktive staatliche Eingriffstatbestände, wie das ausnahmslose strafbewehrte Verbot der Beihilfe zum Selbstmord (Fall „Pretty/Vereinigtes Königreich“) als verhältnismäßig angesehen. Vor diesem Hintergrund hält die Regelung in § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG, die auch in tragischen Einzelfällen eines nachvollziehbaren Todeswunsches keine Ausnahme zulässt, einer Überprüfung am Maßstab des Art. 8 EMRK stand.
91§ 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG dient dem Schutz des Lebens und der Gesundheit verwundbarer Personen und ist folglich Ausdruck der Schutzpflicht des Staates aus Art. 2 Abs. 2 GG, die der Gewährleistung des Art. 2 EMRK entspricht. Die Vorschrift zielt darauf ab, Menschen, die nicht in der Lage sind, vernünftig zu entscheiden und zu handeln, vor den Gefahren einer versehentlichen oder absichtlichen Einnahme eines gefährlichen oder tödlichen Betäubungsmittels zu schützen. Hierzu gehören typischerweise auch Menschen, die sich in einer schwierigen oder verzweifelten Lebenssituation befinden, z.B. schwer körperlich oder psychisch krank, verletzt, pflegebedürftig, drogenabhängig oder vereinsamt sind und daher in einer besonderen Weise verwundbar sind. Darüber hinaus besteht ein dringendes Bedürfnis, diese Personen vor der missbräuchlichen Einflussnahme Dritter zu schützen.
92Nach der Rechtsprechung des EGMR ist es in erster Linie Aufgabe der Staaten, diese Gefahren und insbesondere die Wahrscheinlichkeit eines Missbrauchs in den Fällen zu beurteilen, in denen es um den Einsatz von Betäubungsmitteln zum Zweck einer Selbsttötung geht. Hierbei hat der Gerichtshof betont, dass die Missbrauchsgefahr im Fall einer Regelung von Ausnahmen von dem Verbot des Einsatzes von Betäubungsmitteln zur Selbsttötung nicht unterschätzt werden darf,
93vgl. EGMR, Urteil vom 29.04.2002 – 2346/02 – „Pretty/Vereinigtes Königreich“, Rn. 74 und Urteil vom 20.01.2011 – 31322/07 – „Haas/Schweiz“ Rn. 56 – 58.
94Es ist daher im Rahmen von Art. 8 EMRK nicht zu beanstanden, wenn ein Vertragsstaat den Gefahren des Fehlgebrauchs von Betäubungsmitteln für Gesundheit und Leben eines Menschen den Vorrang vor dem Selbstbestimmungsrecht des einzelnen über die Gestaltung seines Lebensendes einräumt. Denn hierdurch wird der überragenden Bedeutung des Rechts auf Leben bzw. der Schutzpflicht des Staates für das Leben und den erheblichen Missbrauchsgefahren Rechnung getragen.
95Das Verbot des Einsatzes von Betäubungsmitteln zur Lebensbeendigung ohne Anerkennung von Ausnahmefällen ist auch nicht unverhältnismäßig. Zwar ist einzuräumen, dass der Schutzzweck des § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG in Fällen wie dem vorliegenden, in dem ein freier und nachvollziehbarer Entschluss zur Lebensbeendigung vorliegt, an Gewicht verliert, sodass der Eingriff in das Recht zur Selbstbestimmung am Lebensende an Bedeutung gewinnt.
96Auch diese Situation zwingt allerdings im Rahmen der Abwägung nicht dazu, dem Recht auf Selbstbestimmung ausnahmsweise den Vorrang zu geben. Weder muss das Gesetz – unter Berücksichtigung von Art. 8 EMRK - dahingehend erweiternd ausgelegt werden, dass in diesem Fällen die medizinische Versorgung auch die Versorgung mit Arzneimitteln zur Selbsttötung umfasst, noch ist der Gesetzgeber nach Art. 8 EMRK verpflichtet, für diese Fälle eine Ausnahmeregelung zu schaffen. Vielmehr hat der EGMR auch gerade für einen Fall, in dem ein frei geäußerter und unbeeinflusster Wunsch zur vorzeitigen Beendigung des Lebens wegen eines absehbaren qualvollen Todes bestand, einen Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht durch die ausnahmslose Strafverfolgung der Beihilfe zur Selbsttötung für gerechtfertigt und verhältnismäßig gehalten,
97vgl. EGMR, Urteil vom 29.04.2002 - 2346/02 - „Pretty/Vereinigtes Königreich“.
98Eine andere Bewertung ist auch im vorliegenden Fall nicht geboten, in dem es nicht in erster Linie um einen Eingriff in das Recht aus Art. 8 EMRK geht, sondern darum, ob eine Verpflichtung des Staates besteht, eine würdige und schmerzlose Selbsttötung durch Zugang zu einem tödlichen Arzneimittel zu ermöglichen.
99Selbst in Ausnahme-Fällen wie dem vorliegenden, in dem weder der freie Wunsch nach einer Beendigung des Lebens noch die Rechtfertigung dieses Wunsches durch eine schwerste Beeinträchtigung der körperlichen Gesundheit in Frage steht, hat der EGMR in seinem Urteil den Entscheidungsspielraum der Vertragsstaaten in der Frage der Verschreibung von Arzneimitteln zur Selbsttötung betont und hat die Rechtspraxis in der überwiegenden Mehrzahl der Staaten des Europarats, den Schutz des Lebens über den Schutz des Selbstbestimmungsrechts zu stellen, nicht beanstandet,
100vgl. EGMR, Urteil vom 19.07.2012 – 497/09 – „Koch/ BRD“.
101Der Umstand, dass der Gerichtshof eine eigene Entscheidung über die Verletzung von Art 8 EMRK durch die Verweigerung des beantragten Betäubungsmittels nicht getroffen, sondern nach dem Prinzip der Subsidiarität den Gerichten der Bundesrepublik Deutschland überlassen hat, deutet darauf hin, dass das Gericht einen eindeutigen Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privatlebens hier nicht gesehen hat.
102Auch nach Auffassung der Kammer ist das ausnahmslose Verbot des Zugangs zu Betäubungsmitteln zum Zweck der Lebensbeendigung nicht unverhältnismäßig, verstößt insbesondere nicht gegen das Selbstbestimmungsrecht aus Art. 8 EMRK oder Art. 2 Abs. 1 GG, soweit dort das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit geschützt ist und daher ein mit Art. 8 EMRK vergleichbarer Schutzbereich besteht. Denn der deutsche Gesetzgeber hat seinen hierbei bestehenden Beurteilungsspielraum auch in Fällen wie dem vorliegenden nicht überschritten.
103Hierbei ist zu berücksichtigen, dass sich bei der Frage nach der Verpflichtung des Staates zur Unterstützung eines selbstbestimmten Wunsches zur Selbsttötung hochrangige Rechtsgüter gegenüberstehen, nämlich einerseits der Schutz des menschlichen Lebens und der Gesundheit und andererseits das Recht des Menschen auf einen selbstbestimmten und würdevollen Tod. Eine Gewichtung und ein Ausgleich zwischen diesen Rechtsgütern ist nur in einem dem Gesetzgeber übertragenen demokratischen Abstimmungsprozess unter Berücksichtigung aller betroffenen Aspekte möglich. Diese Abwägung hat der Gesetzgeber bisher in der Form getroffen, dass in Deutschland zwar die Beihilfe zum Suizid straflos ist, auch eine Sterbehilfe durch Ärzte oder Betreuer zulässig ist, sofern sie sich auf einen Abbruch einer medizinischen Behandlung mit vorliegender oder mutmaßlicher Einwilligung des Betroffenen beschränkt, die Verschreibung oder der Erwerb eines Arzneimittels zum Zweck der Selbsttötung jedoch gesetzlich nicht zulässig sind.
104Demnach existiert in Deutschland bereits eine Lösung, die einen Mittelweg zwischen einem strengen Verbot jeglicher Sterbehilfe und einer liberalen Regelung mit der Möglichkeit einer Verordnung tödlicher Medikamente gewählt hat. Insbesondere nach der Klarstellung in der Rechtsprechung des BGH, dass ein vom Willen des Patienten gedecktes Unterlassen, Begrenzen oder Beenden einer begonnenen lebenserhaltenden Behandlung als Sterbehilfe straflos bleibt, auch wenn der Behandlungsabbruch durch positives Tun bewirkt wird,
105vgl. BGH, Urteil vom 25.06.2010 – 2 StR 454/09 – BGHSt 55, 191 – juris,
106kann dem Selbstbestimmungsrecht in zahlreichen Fällen schwerster körperlicher Schäden Rechnung getragen werden. Hinzu kommt die Möglichkeit, einem sterbenden Menschen einen schmerzfreien würdevollen Tod durch die Verabreichung von Betäubungsmitteln, auch bei einer lebensverkürzenden Wirkung, zu erleichtern (indirekte Sterbehilfe). Vor diesem Hintergrund hält die Kammer die bisherige gesetzliche Regelung auch unter Berücksichtigung des Schutzbereichs von Art. 8 EMRK nicht für unangemessen.
107Hiergegen kann nicht eingewendet werden, dass das Verbot des Erwerbs von Betäubungsmitteln zum Zweck der Selbsttötung in Fällen eines als unerträglich empfundenen Lebens nicht mehr demokratisch legitimiert sei, weil zahlreiche Menschen dieses Verbot als Einschränkung ihres Selbstbestimmungsrechts ablehnten. Demokratisch legitimiert ist eine gesetzliche Regelung in einer parlamentarischen Demokratie wie dem System des Grundgesetzes, wenn sie von dem demokratisch gewählten, zuständigen Parlament in dem dafür vorgesehenen Verfahren erlassen wurde und nicht gegen materielles Verfassungsrecht, insbesondere gegen Grundrechte verstößt. Das ist hier der Fall. Hingegen ist die demokratische Legitimation einer gesetzlichen Regelung nicht von einer anhaltenden Zustimmung der Bevölkerung in einer repräsentativen Umfrage abhängig.
108Falls sich die Akzeptanz einer Regelung im Verlauf einer gesellschaftlichen Entwicklung verändert, ist der Gesetzgeber dafür zuständig, dieser Änderung durch eine gesetzliche Neuregelung Rechnung zu tragen. Jedoch ist es nicht Aufgabe der an Recht und Gesetz gebundenen Gerichte, eine möglicherweise veränderte Gewichtung bei der Abwägung zwischen dem Schutz des Selbstbestimmungsrechts und dem Schutz des Lebens bei der Gesetzesauslegung zu berücksichtigen und sich damit praktisch an die Stelle des Gesetzgebers zu setzen.
109Die Versagung der Erlaubnis zum Erwerb von Natrium-Pentobarbital verletzt den Kläger auch nicht in seinen Rechten aus Art. 6 GG. Danach stehen Ehe und Familie unter dem besonderen Schutz der staatlichen Ordnung. Der Schutzbereich dieses Grundrechts weist somit Ähnlichkeiten mit dem Schutzbereich der Gewährleistung in Art. 8 EMRK auf Achtung des Privat- und Familienlebens auf. Demnach ist die Auslegung des EGMR im Urteil vom 19.07.2012 – 497/09 – , die dem Kläger wegen seiner besonderen Verbundenheit mit dem Schicksal seiner Ehefrau eine Beeinträchtigung in eigenen Rechten aus Art. 8 EMRK zugesteht, auch im Rahmen des Art. 6 GG zu berücksichtigen. Es kann aber dahinstehen, ob dem Kläger insoweit auch eigene Rechte aus Art. 6 GG zustehen.
110Jedenfalls sind diese Rechte durch die Verweigerung des Zugangs zu einem tödlichen Betäubungsmittel für seine Ehefrau nicht verletzt worden. Denn auch die Rechte des Klägers aus Art. 6 GG können nicht weiter gehen, als das durch Art. 8 EMRK und Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Selbstbestimmungsrecht der unmittelbar betroffenen Ehefrau. Dieses wurde aber durch die Ablehnung der Erlaubnis nach § 3 BtMG nicht verletzt, da hierdurch, wie ausgeführt, der Rahmen des staatlichen Beurteilungsspielraums nicht überschritten wurde.
111Schließlich verstößt die Ablehnung der Erlaubnis nach § 3 BtMG auch nicht gegen Rechte des Klägers auf Achtung seiner Menschenwürde aus Art. 1 GG oder gegen Rechte seiner Ehefrau auf einen menschenwürdigen Tod aus Art. 1 GG.
112Dass der Kläger selbst durch die Verweigerung eines todbringenden Betäubungsmittels für seine Ehefrau in eigenen Rechten aus Art. 1 GG verletzt wurde, erscheint fernliegend. Auch wenn sich die Vorenthaltung des gewünschten Mittels erheblich auf die Lebensgestaltung und die emotionale Verfassung des Klägers ausgewirkt hat, fehlt es jedoch an einem Eingriff in einen Kernbestand unveräußerlicher Rechte, die dem Kläger aufgrund seines Achtungsanspruchs als Mensch zustehen.
113Der Kläger kann aber auch nicht geltend machen, dass seine Ehefrau durch die Versagung eines Mittels zur Herbeiführung eines sicheren und schmerzfreien Todes in ihrer Menschenwürde verletzt wurde. Das Verwaltungsgericht hat bereits in seinem Urteil vom 21.02.2006 ausgeführt, dass es sich insoweit um höchstpersönliche und unveräußerliche Rechte der Ehefrau handelt, die der Kläger nicht im Namen oder als Rechtsnachfolger seiner Ehefrau geltend machen kann. Die anerkannten Ausnahmefälle eines postmortalen Persönlichkeitsschutzes liegen hier ersichtlich nicht vor. Diese Rechtsauffassung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Beschluss vom 04.11.2008 bestätigt.
114Auch die Entscheidung des EGMR vom 19.07.2012 gebietet keine andere rechtliche Bewertung. Vielmehr hat der Gerichtshof seine bisherige Rechtsprechung bekräftigt, dass sich der Kläger nicht auf die höchstpersönlichen und unübertragbaren Rechte seiner Ehefrau aus Art. 8 EMRK, berufen kann und damit auch nicht auf das Recht auf einen selbstbestimmten würdevollen Tod,
115vgl. EGMR, Urteil vom 19.07.2012 – 497/09 – „Koch/BRD“, Rn. 81.
116Wenn man das Recht auf eine selbstbestimmte Beendigung des eigenen Lebens dem Schutzbereich des Art. 1 GG zuordnet, wäre demzufolge auch dieses Recht – ebenso wie die Rechte aus Art. 8 EMRK – nicht übertragbar und könnte daher nicht vom Kläger geltend gemacht werden.
117Ungeachtet dessen spricht die Auslegung des Art. 8 EMRK durch den EGMR eher dafür, ein Selbstbestimmungsrecht im Hinblick auf eine aktive Herbeiführung des Lebensendes durch Einsatz eines tödlichen Arzneimittels gerade nicht dem Schutz der Menschenwürde im Sinne des Art. 1 GG zu unterstellen. Denn die Menschenwürde ist als Kernbereich der menschlichen Existenz unantastbar und unterliegt keinerlei Beschränkungsmöglichkeiten,
118vgl. Höfling, in: Sachs: Grundgesetz, Kommentar, 5. Auflage 2009, Art. 1 Rn. 11 u. 12.
119Der Gerichtshof hat dieses Recht aber nicht als ein unantastbares Menschenrecht angesehen, sondern eine Abwägung mit der gegenüberstehenden Pflicht des Staates zum Schutz des menschlichen Lebens zugelassen und den Vertragsstaaten der Konvention hierbei einen weitgehenden Beurteilungsspielraum eingeräumt.
120Da der Kläger somit durch die Versagungsentscheidung der Beklagten nicht in seinen Rechten verletzt worden ist, war die Klage mit der Kostenfolge des § 154 VwGO abzuweisen.
121Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO in Verbindung mit §§ 708, 711 ZPO.
122Die Kammer hat die Berufung zugelassen, da die Rechtssache sowohl im Hinblick auf die Auslegung von § 153 VwGO i.V.m. § 580 Nr. 8 ZPO als auch im Hinblick auf die Bedeutung von Art. 8 EMRK im Rahmen der Anwendung und Auslegung von § 5 Abs. 1 Nr. 6 BtMG grundsätzliche Bedeutung hat, § 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.