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Soweit die Klägerin die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt.
Der Bescheid der Beklagten vom 12.08.2011, Aktenzeichen 00000 0000 0000/00000/00-000000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.02.2012, Aktenzeichen 00000-0 00 00 000/00 wird insoweit aufgehoben, als die Verkehrsfähigkeit, das Inverkehrbringen und/oder die Weitergabe der vom Bescheid betroffenen Geräte „Funkschalter Sets mit Eurokupplung, Geräte FFB“ von der Modifizierung abhängig gemacht wird, dass die Funkschalter mit dreiadrigen Leitungen mit Schukostecker/Schukokupplung versehen werden.
Die Kosten des Verfahrens tragen die Klägerin zu ¼ und die Beklagte zu ¾.
Tatbestand
2Die Klägerin ist eine in 00000 T. bei O. ansässige Gesellschaft, die sich mit der Entwicklung, der Herstellung und dem Vertrieb von Leuchten und deren Zubehör befasst.
3Die Klägerin importiert aus der Volksrepublik China unter anderem Funkfernbedienungen als Set (FFB-Set/FFB-Gerät), bestehend aus einem Sender, einem Empfänger sowie jeweils 2 Meter langen fest verbundenen Leitungen mit Euro-Flachstecker und Euro-Kupplung. Das Gerät ist für eine Spannung von 230/240 V und 50/60 Hz, 500 W und bis zu 2,5 A ausgelegt. Wenn es über den Euro-Flachstecker an die Stromversorgung angeschlossen ist und die Fernbedienung betätigt wird, wird der Strom über die Euro-Kupplung an einen Verbraucher (zumeist Lichtquellen) weitergeleitet. Die Klägerin veräußert diese Funkschaltersysteme an verschiedene Möbelhersteller innerhalb Deutschlands und im EU-Ausland zum Einbau in Wohnraummöbel. Durch die Verwendung von Euro-Steckern und Kupplungen sind die Geräte nur mit Geräten und insbesondere Leuchten der Schutzklasse II kompatibel, nicht mit Geräten der Schutzklasse I, die über Schutzleitungen, Schutzkontaktstecker und Schutzkontaktkupplungen verfügen.
4Das Hauptzollamt Hannover (Zollamt Lüneburg) stellte am 20.06.2011 eine Lieferung solcher Funkschaltersets bei der Einfuhr in die Bundesrepublik Deutschland sicher.
5Die Beklagte veranlasste die Überprüfung von fünf der Funkschaltersets durch die CETECOM GmbH. Deren Prüfbericht kam zu dem Ergebnis, dass Verstöße gegen die Anforderungen der EN 60950-1 und der DIN VDE 0620-1 vorlägen. Nach dem Bericht fehlten u.a. das vorgeschriebene CE-Zeichen auf der Verpackung und dem Senderelement, ferner die Los-/Seriennummer auf dem Empfängerelement. Das CE-Zeichen auf dem Empfänger entspreche nicht den vorgeschriebenen Abmessungen. Überdies bezögen sich die enthaltenen Sicherheitshinweise entgegen den Anforderungen der EN 60950-1 nicht auf die beiliegenden Funkschaltersysteme. Zuletzt führte der Untersuchungsbericht aus, Ziffer 14.21 der DIN VDE 0620-1 sei verletzt, da es sich bei dem Funkschalterset um eine Verlängerungsleitung handele. Eine solche Verlängerung sei nur mit einer Schutzleitung zulässig. Die Schaltersets müssten nach dem Prüfbericht mit einer dreiadrigen Leitung, einem Schutzkontaktstecker und einer Schutzkontaktkupplung ausgestattet sein.
6Mit Schreiben vom 14.07.2011 teilte die Beklagte der Klägerin die vorgenannten Ergebnisse und ihre Absicht mit, gegen die Klägerin Maßnahmen zu erlassen, soweit keine Nachbesserung der Mängel erfolge.
7Die Klägerin erklärte dazu zunächst, sie werde die festgestellten Mängel hinsichtlich der CE-Zeichen, der Seriennummern und der Sicherheitshinweise entsprechend den gültigen Bestimmungen und Richtlinien überarbeiten. Der Einstufung ihrer Schaltersysteme als Verlängerungsleitungen trat sie jedoch entgegen. Es handele sich um ein Gerät des Typs „Funkfernbedienung“, bestehend aus einem Schaltelement mit elektrischem Ein- und Ausgang. Sie kündigte an, insoweit keine Änderung an dem Produkt vorzunehmen. Mit Schreiben vom 09.08.2011 erbat die Klägerin, die durch das Zollamt Lüneburg sichergestellten Produkte abholen zu dürfen und teilte mit, dass sie nunmehr beabsichtige, die Schaltsysteme mit einem Schutzkontaktstecker und mit einer entsprechenden Kupplungsdose zu versehen.
8Unter dem 12.08.2011 erließ die Beklagte den streitgegenständlichen Ausgangsbescheid und einen Kostenbescheid, welche der Klägerin am 15.08.2011 zugestellt wurden. Die Beklagte ordnete unter Bezugnahme auf die Vorschläge der Klägerin vom 09.08.2011 ein Vertriebsverbot an, sofern die Funkschalter nicht entsprechend den Vorschlägen und der DIN VDE 0620-1 mit dreiadrigen Leitungen, Schutzkontaktsteckern und Schutzkontaktkupplungen ausgestattet seien, die Sicherheitshinweise ausgetauscht und die bestimmungsgemäße Kennzeichnung der einzelnen Teile nachgeholt würden. Die Beklagte ordnete die sofortige Vollziehung an und drohte für den Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld in Höhe von 2.000 EUR an. Zur Begründung der Anordnungen führte die Beklagte unter anderem aus, dass die grundlegenden Anforderungen nach § 3 FTEG nicht erfüllt seien. Verlängerungskabel ohne Schutzkontakte seien unzulässig. Aufgrund des festgestellten gravierenden Verstoßes gegen EN 60950-1 und DIN VDE 0620-1 liege mithin ein Verstoß gegen § 3 FTEG vor. Nach § 15 Abs. 3 FTEG und § 14 EMVG könne die Bundesnetzagentur die erforderlichen Maßnahmen treffen. Die Schwere des Verstoßes mache eine Untersagung des Inverkehrbringens erforderlich, wobei eine Inanspruchnahme der Klägerin als Importeurin sinnvoll sei, um die Vertriebskette wirksam zu unterbrechen.
9Mit dem zugleich erlassenen Kostenbescheid setzte die Beklagte Kosten in Höhe von 1.301,64 EUR fest.
10Gegen beide Bescheide legte die Klägerin am 13.09.2011 Widerspruch ein. Gegen den Ausgangsbescheid beschränkte die Klägerin ihren Widerspruch und griff das Vertriebsverbot nur an, soweit sie die Funkschaltersets mit Schutzleitern, Schutzkontaktsteckern und Schutzkontaktkupplungen versehen müsse. Zur Begründung ihrer Widersprüche trug die Klägerin vor, eine von ihr veranlasste Überprüfung baugleicher Schaltersets durch die TÜV Süd Product Service GmbH (TÜV) habe keine Verstöße gegen die DIN VDE 0620-1 ergeben. Vor dieser Untersuchung sei lediglich eine Nachbesserung hinsichtlich der CE-Zeichen, der Seriennummern und der Sicherheitshinweise erfolgt, nicht aber der Stecker, Kupplungsdosen und Leitungen. Der TÜV habe keine Verstöße feststellen können. Die Stecker der Schaltersets seien entsprechend der DIN VDE 0620-1 nichtwiederanschließbar (Stecker bzw. Kupplung sind mit dem Kabel zu einer baulichen Einheit verbunden, vgl. DIN VDE 0620-1, Ziffer 3.8) und erfüllten auch im Übrigen die Anforderungen. Eine Verlängerungsleitung im Sinne der Ziffer 14.21 der DIN VDE 0620-1 seien die Schaltersysteme nicht. Die Schaltsysteme seien ausschließlich mit Geräten der Schutzklasse II kompatibel und selbst ebenfalls Geräte der Schutzklasse II. Insoweit sei ein Verstoß gegen § 3 FTEG nicht anzunehmen. Ziffer 14.21 der DIN VDE 0620-1 sei im Übrigen so zu verstehen, dass nur Verlängerungsleitungen für Geräte der Schutzklasse I mit Schutzleitung versehen werden müssten. Überdies verletze das getroffene Vertriebsverbot die Klägerin in ihrer Warenverkehrsfreiheit, da die Geräte mit den geforderten deutschen Schutzkontaktsteckern im europäischen Ausland unverkäuflich seien.
11Mit am 05.03.2012 zugestellten Bescheid vom 29.02.2012 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin zurück. Die Beklagte bestätigte die Erwägungen des Ausgangsbescheids und führte weiter aus, in dem Prüfbericht der CETECOM werde nicht bestätigt, dass es sich bei den Funkschaltersystemen um Geräte der Schutzklasse II handele. Die Untersuchung sei mit Blick auf die Bestimmungen erfolgt, welche die Klägerin in der von ihr selbst erstellten Konformitätsbescheinigung genannt habe. Der Richtlinienvertreter für die Niederspannungsrichtlinie habe zudem die Bewertung des Schaltersets als Verlängerungsleitung bestätigt, und auch der Leitfaden zur Anwendung der Niederspannungsrichtlinie spreche dafür, hier von einer Verlängerungsleitung auszugehen.
12Am 05.04.2012 hat die Klägerin Klage erhoben.
13Sie trägt unter anderem vor, die Funkschaltersets entsprächen der DIN VDE 0620-1 und mithin dem Stand der Sicherheitstechnik. Es handle sich insbesondere nicht um Verlängerungsleitungen i.S.v. Ziffer 3.12 DIN VDE 0620-1. Nach dieser Definition seien Verlängerungsleitungen eine Einheit, bestehend aus einer flexiblen Leitung mit einem Stecker und einer Kupplungsdose oder einer Mehrfachkupplungsdose. Die Aufzählung der Bauteile, aus denen sich eine Verlängerungsleitung zusammensetze, sei abschließend und nicht funktionsbezogen. Dies ergebe sich bereits aus der Entstehungsgeschichte der Norm und ihrer Änderungshistorie. Der Leitfaden zur Niederspannungsrichtlinie sei für die Auslegung der Begriffe der DIN-Norm nicht verbindlich. Selbst bei Heranziehung des Leitfadens wäre nicht von einer Verlängerungsleitung auszugehen. In diesem Fall sei die englische Sprachfassung des Leitfadens maßgeblich, die nicht von Schaltern, sondern von passiven Bauteilen spreche. Gemeint sein könnten daher nur passive Schalter, während Funkschalter aktive Komponenten seien.
14Die Regelung der Ziffer 14.21 der DIN VDE 0620-1 sei im Übrigen dahingehend auszulegen, dass nur Verlängerungsleitungen, die dem Anschluss von Geräten der Schutzklasse I dienten, mit einem Schutzleiter zu versehen seien. Verlängerungsleitungen mit Eurosteckern und Eurokupplungsdosen ohne Schutzleiter seien frei erhältlich, aber nur mit Geräten der Schutzklasse II kompatibel. Die streitigen Funkschaltersysteme seien also mit Geräten der Schutzklasse I nicht kompatibel, sodass die Verwendung eines Schutzleiters technisch sinnlos sei. Selbst bei einem Verstoß gegen die Ziffer 14.21 der DIN VDE 0620-1 gehe keine Gefahr von den Funkschaltersystemen aus, da die Geräte nur über eine geringe Stromstärke von 2,5 A verfügten.
15Die Klägerin hat die Klage gegen den Kostenbescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen.
16Die Klägerin beantragt,
17den Bescheid der Beklagten vom 12.08.2011, Aktenzeichen 00000 0000 0000/00000/00-00000 und den Widerspruchsbescheid der Beklagten vom 29.02.2012, Aktenzeichen 00000-0 00 00 000/00 insoweit aufzuheben, als die Verkehrsfähigkeit, das Inverkehrbringen und/oder die Weitergabe der vom Bescheid betroffenen Geräte „Funkschalter Sets mit Eurokupplung, Geräte FFB“ von der Modifizierung abhängig gemacht wird, dass die Funkschalter mit dreiadrigen Leitungen mit Schukostecker/Schukokupplung versehen werden.
18Die Beklagte beantragt,
19die Klage abzuweisen.
20Sie verteidigt die von ihr getroffene Entscheidung und vertritt ergänzend die Auffassung, dass der Leitfaden zur Niederspannungsrichtlinie zur Auslegung der DIN-Norm herangezogen werden könne. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Grimaldi, wonach Stellungnahmen der Kommission bei der Auslegung nationaler Normen zu berücksichtigen seien. Das streitige Gerät sei daher im Ergebnis als Verlängerungsleitung einzuordnen, und die eingebaute Funkschaltung führe zu keiner anderen Bewertung. Sie sei lediglich eine aufwändigere Form eines An-/Ausschalters. Auf die Bezeichnung des Geräts komme es nicht an, und der Zweck des Geräts sei tatsächlich, die Stromzufuhr für ein Möbelstück zu ermöglichen und dazu die Strecke von der Stromquelle zum Leuchtelement zu überbrücken.
21Eine einschränkende Auslegung der Ziffer 14.21 der DIN VDE 0620-1 sei nicht angezeigt. Sofern in der Konformitätserklärung eine Norm genannt werde, sei der Aussteller der Erklärung nach dem neuen Konzept der Europäischen Union auch an die Einhaltung der genannten Norm gebunden. Ein Verstoß gegen die Warenverkehrsfreiheit sei nicht gegeben, da die getroffenen Anordnungen der Niederspannungsrichtlinie entsprächen und diese eine Beschränkung der Warenverkehrsfreiheit ausdrücklich zulasse. Auf eine freie Verkäuflichkeit von Verlängerungsleitungen mit Eurosteckern und Eurokupplungsdosen könne sich die Klägerin nicht berufen, da es keinen Anspruch auf Gleichbehandlung im Unrecht gebe.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
23Entscheidungsgründe
24Soweit die Klägerin die Klage in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen hat, war das Verfahren nach § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung - VwGO - einzustellen.
25Die noch anhängig gebliebene Klage ist begründet. Das mit Bescheid vom 12.08.2011 ausgesprochene Vertriebsverbot in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.02.2012 ist in dem angefochtenen Umfang rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
26Die Ermächtigungsgrundlage für den Erlass eines Vertriebsverbots ergibt sich aus § 15 Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über Funkanlagen und Telekommunikationsendeinrichtungen (BGBl I 2001, 170) - FTEG - i.V.m. § 14 Abs. 3 des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Betriebsmitteln (BGBl I 2008, 220) - EMVG -. Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 FTEG stehen der nach § 14 Abs. 1 Satz 2 FTEG für die Beklagte handelnden Bundesnetzagentur zur Ausführung des FTEG die Befugnisse nach den §§ 14 und 15 des EMVG zur Verfügung. Nach § 14 Abs. 3 Satz 1 EMVG erlässt die Bundesnetzagentur, wenn sie feststellt, dass ein Gerät mit CE-Kennzeichnung nicht § 14 Abs. 1 Nr. 2 EMVG und damit nicht den Anforderungen des FTEG entspricht, die erforderlichen Anordnungen, um diesen Mangel zu beheben und einen weiteren Verstoß zu verhindern. Wenn der Mangel nicht behoben wird, trifft die Bundesnetzagentur die erforderlichen Maßnahmen, um das Inverkehrbringen oder die Weitergabe des betreffenden Gerätes einzuschränken, zu unterbinden oder rückgängig zu machen, § 14 Abs. 3 Satz 2 EMVG.
27Der von der Bundesnetzagentur angenommene Verstoß gegen die grundlegenden Anforderungen des § 3 FTEG, der die gegen die Klägerin getroffenen Maßnahmen rechtfertigen könnte, liegt jedoch nicht vor. § 3 Abs. 1 Nr. 1 FTEG bestimmt, dass alle Geräte im Sinne des FTEG die dem „Schutz der Gesundheit und Sicherheit des Benutzers und anderer Personen einschließlich der in § 2 der Verordnung über das Inverkehrbringen elektrischer Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen vom 11. Juni 1979 (BGBl. I S. 629), die durch Artikel 1 der Verordnung vom 28. September 1995 (BGBl. I S. 1213) geändert worden ist,“ dienenden Anforderungen entsprechen müssen. Dies ist vorliegend – zumindest hinsichtlich der zu entscheidenden Frage, ob die Geräte der Klägerin mit oder ohne Schutzleitern und entsprechenden Steckern auszustatten sind - der Fall, sodass das Vertriebsverbot nicht angezeigt war.
28Die streitigen Funkschaltersets sind Geräte im Sinne des FTEG, weil es sich um Funkanlagen im Sinne von § 2 Nr. 3 FTEG handelt. Die damit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 FTEG einzuhaltenden Anforderungen ergeben sich entgegen der ursprünglichen Ansicht der Beklagten nicht aus der Niederspannungsrichtlinie 73/23/EWG bzw. 2006/95/EG. Die von § 3 Abs. 1 Nr. 1 FTEG gemeinte Verordnung ist vielmehr die sogenannte „Erste Verordnung zum Geräte- und Produktsicherheitsgesetz (Verordnung über das in Verkehr bringen elektrischer Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen)“, im Folgenden: 1. GPSGV. Mit dieser Verordnung wird die Richtlinie 2006/95/EG vom 12.12.2006 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten betreffend der elektrischen Betriebsmittel zur Verwendung innerhalb bestimmter Spannungsgrenzen (Niederspannungsrichtlinie) bzw. der zuvor gültigen Richtlinie 73/23/EWG vom 19.02.1973 in nationales Recht umgesetzt. Neben den Vorschriften des FTEG ist das von der Beklagten ursprünglich herangezogene GPSG aufgrund der Subsidiaritätsregelung in § 1 Abs. 3 GPSG nicht anwendbar. Wie die Beklagte in ihrer Klageerwiderung richtigerweise klargestellt hat, ergeben sich die Anforderungen aus § 2 der 1. GPSGV.
29Nach § 2 Abs. 1 Nr.1 der 1. GPSGV dürfen neue elektrische Betriebsmittel nur in den Verkehr gebracht werden, wenn sie entsprechend dem in der Europäischen Gemeinschaft gegebenen Stand der Sicherheitstechnik hergestellt sind.
30Was mit dem Stand der Sicherheitstechnik gemeint ist, kann unter Rückgriff auf die Bestimmungen und die Systematik der Niederspannungsrichtlinie bestimmt werden, weil die 1. GPSGV die Niederspannungsrichtlinie umsetzt. Diese benennt das Rangverhältnis der heranzuziehenden Normen. Hiernach sind zunächst harmonisierte Normen anwendbar. Nach der Legaldefinition des § 2 Nr. 8 FTEG ist eine "harmonisierte Norm" eine von einer anerkannten Normenorganisation im Rahmen eines Auftrags der Kommission zur Erstellung einer europäischen Norm nach dem Verfahren der Richtlinie 98/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juni 1998 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. EG Nr. L 204 S. 37), geändert durch Richtlinie 98/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Juli 1998 (ABl. EG Nr. L 217 S. 18), festgelegte technische Spezifikation. Eine solche Norm gibt es für die fraglichen Geräte jedoch nicht. Gemäß Art. 6 der Niederspannungsrichtlinie soll in diesem Fall auf internationale Normen aus den CEE- und IEC-Publikationen zurückgegriffen werden. Falls auch diese nicht vorhanden oder nicht einschlägig sind, muss gemäß Art. 7 der Richtlinie auf nationale DIN- oder VDE Bestimmungen abgestellt werden. Da vorliegend auch keine anderen internationalen Normen Anwendung finden, ist letztlich die DIN VDE 0620-1 maßgebend. Diese formuliert die aktuellen allgemeinen technischen Anforderungen an Stecker und Steckdosen für den Hausgebrauch und ähnliche Zwecke aus Sicht des Deutschen Instituts für Normung e. V. (DIN) und des Verbands der Elektrotechnik Elektronik Informationstechnik e. V. (VDE). Solange der Hersteller - wie hier - die Konformität von Geräten mit den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FTEG genannten grundlegenden Anforderungen durch die zulässige Bezugnahme auf solche Normen in der Konformitätsbescheinigung vereinfacht nachweist, müssen die entsprechenden Anforderungen der genannten DIN-Norm erfüllt werden.
31Ein Verstoß gegen die DIN VDE 0620-1 ist im Ergebnis nicht festzustellen. Die streitgegenständlichen Funkschaltersysteme konnten mit einem zweiadrigen Leitungskabel und Eurosteckern sowie Eurokupplungsdosen versehen werden und bedürfen keines Schutzleiters. Die Beklagte ist allerdings davon ausgegangen, dass gemäß Ziffer 14.21 der DIN VDE 0620-1 Verlängerungsleitungen ohne Schutzleiter nicht zulässig seien. Diese Auffassung der Beklagten setzt voraus, dass die Funkschaltersysteme Verlängerungsleitungen im Sinne der Ziffer 14.21 der DIN VDE 0620-1 sind und Ziffer 14.21 Satz 2 der DIN VDE 0620-1 dahingehend auszulegen ist, dass Verlängerungsleitungen immer mit einem Schutzleiter zu versehen sind. Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass die Funkschaltersysteme keine Verlängerungsleitungen sind, sodass es auf die Frage, ob ein Schutzleiter erforderlich ist, nicht ankommt (dazu 1.). Darüber hinaus ist die Kammer der Auffassung, dass Verlängerungsleitungen jedenfalls dann auch ohne Schutzleiter zulässig sind, wenn sie entsprechend der sogenannten Schutzklasse II im Sinne der DIN EN 61140 (VDE 0140-1) nur für Geräte bzw. Betriebsmittel dieser Schutzklasse verwendet werden können, also sogenannte Eurostecker und Eurokupplungen aufweisen, sodass die Geräte der Klägerin nicht umgerüstet werden müssen (dazu 2.).
321. In Ziffer 3.12 der DIN VDE 0620-1 wird der Begriff der Verlängerungsleitung definiert als Baueinheit, bestehend aus einer flexiblen Leitung mit einem Stecker und einer Kupplungsdose oder einer Mehrfachkupplungsdose. Diese Voraussetzungen erfüllen die Geräte der Klägerin insoweit, als sie über Leitungen verfügen, die jeweils mit Kupplung bzw. Stecker versehen sind. Allerdings ist nicht nur eine flexible Leitung mit Kupplung und Stecker versehen, wie es die DIN-Norm vorsieht; das Gerät verfügt über zwei flexible Leitungen, die über die dazwischen angebrachte Funkschalterdose verbunden sind. Der Funkschalter ist in einer Gerätedose untergebracht und besteht aus elektronischen Bauelementen, die auf einer Platine befestigt sind. Der Anschluss der beiden zweiadrigen Leitungen erfolgt ausweislich der im Verwaltungsvorgang befindlichen Fotografien des geöffneten Gerätes jeweils an der Platine des Funkschalters. Er ist dergestalt ausgeführt, dass die einzelnen Leiter der Leitungen an die Platine einzeln angelötet sind, sodass keine einheitliche Leitung mit je einem Stecker und einer Kupplung anzunehmen ist. Damit besteht die vermeintliche Verlängerungsleitung nicht nur aus „einer flexiblen Leitung“, sondern aus zwei Leitungen, die an dem verbindenden Funkschalterelement befestigt sind.
33Unbeschadet dessen weist dieser Aufbau durch die Verwendung eines Funkschalters ein Element auf, das in der Definition der Ziffer 3.12 der DIN VDE 0620-1 nicht vorgesehen ist. Dies spricht bei einer am Wortlaut orientierten Auslegung bereits eindeutig dagegen, die Funkschaltersets als Verlängerungsleitung anzusehen. Gleiches gilt, wenn man die frühere Fassung der DIN-Norm berücksichtigt. Die vorhergehende Fassung aus dem Jahre 2005 (2005-04) definierte die Verlängerungsleitung als eine flexible Leitung mit einem Stecker und einer Kupplungsdose (Ziffer 3.12). Nach der Neufassung der Ziffer in der Ausgabe aus dem Jahr 2010 wurde die Definition dahingehend erweitert, dass nunmehr zusätzlich auch Mehrfachkupplungsdosen umfasst sein sollen. Wenn neben das Element „Kupplungsdose“ ausdrücklich das im Wesentlichen gleichartige Element „Mehrfachkupplungsdose“ gestellt wird, spricht dies gegen eine erweiternde Interpretation des Wortlauts, sodass zusätzliche, nicht genannte Bauelemente gegen die Einordnung des gesamten Geräts als Verlängerungsleitung sprechen.
34Allerdings erfüllt das Gerät objektiv die Funktion einer Verlängerungsleitung jedenfalls dann, wenn der Funkschalter die Durchleitung des Stroms zulässt, also die Schaltung auf der Platine die Masseleiter und die Neutralleiter beider Leitungen vorübergehend verbindet und Strom fließen kann. Aus dieser funktionellen Folge ergibt sich jedoch nicht, dass das Gerät zur Verlängerungsleitung wird. Dem steht bereits der klare Wortlaut der DIN-Norm entgegen.
35Zu dem gleichen Ergebnis gelangt eine ergänzende Auslegung, die zur Bestimmung des Begriffs der Verlängerungsleitung auf den Leitfaden zur Niederspannungsrichtlinie (Leitfaden zur Anwendung der Richtlinie 2006/95/EG) zurückgreift.
36Dieser Leitfaden wurde nach dessen Einleitung, Ziffern 1. und 2. von den Dienststellen der Europäischen Kommission ausgearbeitet und in einer Arbeitsgruppe aus Vertretern der Mitgliedstaaten, der europäischen Industrie, der Verbraucherschutzverbände und der europäischen Normungsgremien erörtert. Er will den Konsens wiedergeben, den die Kommissionsdienststellen und die Vertreter der Mitgliedstaaten in der Arbeitsgruppensitzung vom 20. März 2007 erzielt haben. Unter Ziffer 2. wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass der Leitfaden lediglich dazu gedacht sei, die Anwendung der Niederspannungsrichtlinie zu erleichtern. Rechtsverbindlich solle allein der Wortlaut der Richtlinie sein. Daher ist es bereits fraglich, ob die Hinweise des Leitfadens bei der Auslegung der DIN-Norm herangezogen werden dürfen, zumal die DIN-Norm nicht zur Durchführung einer Empfehlung der Kommission erlassen worden ist und keine nationale Norm ist, die die Niederspannungsrichtlinie umsetzt. Wollte man mit Blick auf die von der Klägerin geltend gemachte Absicht, das Produkt innerhalb der EU vermarkten zu wollen und etwa wegen der Warenverkehrsfreiheit gemäß der Art. 34 ff. AEUV trotz fehlender bindender europarechtlicher Bestimmungen den Leitfaden heranziehen, verbliebe es bei dem Ergebnis, dass die Funkschaltersets keine Verlängerungsleitungen sind.
37Der Leitfaden enthält keine Regelung, was unter einer Verlängerungsleitung zu verstehen sein soll. Lediglich beispielhaft befindet sich in der Anlage 1 des Leitfadens eine tabellarische Übersicht mit Bildern und Kurzbeschreibungen verschiedener Geräte, wobei vorliegend die neunte Zeile der Tabelle einschlägig ist. Die inoffizielle deutsche Übersetzung des englischsprachigen Leitfadens spricht dort von Verlängerungsleitungen, Leitungsroller, Tischmehrfachsteckdosen, bestehend aus Stecker + Kabel + Steckdose, mit oder ohne zusätzlichen Bauteilen wie z.B. Varistoren oder Schaltern. Die Funkschalter sind zusätzliche Bauteile, aber keine Varistoren, also kein elektronisches Bauteil, das als spannungsabhängiger Widerstand fungiert. Varistoren werden auch als VDR bezeichnet. VDR steht für Voltage Dependent Resistor, also spannungsabhängiger Widerstand.
38Vgl.: http://de.wikipedia.org/wiki/Varistor
39Dies sind die Funkschalter nicht. Sie können aber auch nicht als „Schalter“ im Sinne des Leitfadens interpretiert werden. Sie haben zwar eine Schaltfunktion. Vom Leitfaden gemeint ist jedoch ein Schalter im Sinne eines manuell zu bedienenden mechanischen Schalters oder ein anderes passives Bauteil. Die englische Ursprungsfassung des Leitfadens bezeichnet die hier fraglichen Leitungen als „Cord extension sets / Plug + cable + socket outlet with or without passive components“, also als Verlängerungsleitungen aus Stecker + Kabel + Kupplungsdose mit oder ohne passivem Bauteil. Bei dem Funkschaltelement handelt es sich jedoch nicht um ein passives Bauteil.
40Nach allgemein zugänglichen Definitionen der Begriffe des aktiven und passiven Bauteils,
41http://de.wikipedia.org/wiki/Elektrisches_Bauelement
42sind passiv jene Bauelemente, die keine Verstärkerwirkung zeigen und keine Steuerungsfunktion besitzen, also etwa Widerstände, Kondensatoren, Induktivitäten und Memristoren. Aktive Bauelemente zeigen in irgendeiner Form eine Verstärkerwirkung des Nutzsignals oder erlauben eine Steuerung, etwa Dioden, Transistoren und Relais. Demnach ist das Funkschaltelement als aktives Bauelement anzusehen, da es eine vom Funksignal ausgelöste Schaltung der angeschlossenen Leitungen und damit eine Steuerung ermöglicht, wie dies zwischen den Beteiligten auch unstreitig ist. Daher wäre selbst bei Berücksichtigung des Leitfadens zur Niederspannungsrichtlinie und bei Beachtung der Anwendung der maßgebenden englischen Sprachfassung nicht davon auszugehen, dass die Geräte der Klägerin noch als Verlängerungsleitung gelten könnten.
432. Wollte man gleichwohl von einer Verlängerungsleitung ausgehen, wäre die Verwendung eines Schutzleiters nicht erforderlich. Die von der Beklagten insoweit herangezogene Ziffer 14.21 Satz 2 der DIN VDE 0620-1 ist im Ergebnis dahingehend auszulegen, dass die Vorschrift nur auf Verlängerungsleitungen für Geräte der Schutzklasse I Anwendung findet. Der Wortlaut der Ziffer 14.21 Satz 2 der DIN VDE 0620-1 („Verlängerungsleitungen ohne Schutzleiter sind nicht zulässig“) spricht zunächst für das Verständnis, dass alle Verlängerungsleitungen mit einem Schutzleiter ausgestattet sein müssen. Eine systematische Auslegung ergibt jedoch, dass Verlängerungsleitungen jedenfalls dann auch ohne Schutzleiter zulässig sind, wenn sie entsprechend der sogenannten Schutzklasse II im Sinne der DIN EN 61140 (VDE 0140-1) nur für Geräte bzw. Betriebsmittel dieser Schutzklasse verwendet werden können, also sogenannte Eurostecker und Eurokupplungen aufweisen.
44Ziffer 14.21 Satz 1 der Norm verlangt, dass Stecker, die ausschließlich als Stecker für Geräte der Klasse II eingeteilt sind, nichtwiederanschließbar sein müssen. Satz 3 der Norm verlangt, dass Geräteanschlussleitungen mit einer Gerätesteckdose für Geräte der Klasse II ausgestattet sein müssen, wenn Stecker der Klasse II in eine Geräteanschlussleitung eingebaut sind. Da sich Teil 14 der DIN-Norm mit dem „Aufbau von Steckern und Kupplungsdosen“ befasst, sind in den genannten Regelungen genauere Anforderungen an Stecker und Kupplungen zu sehen, nicht jedoch an Verlängerungsleitungen. Die Sätze 1 und 3 der DIN nehmen auf Schutzklassen Bezug, die für alle elek-trischen Betriebsmittel übergeordnet in der DIN EN 61140 (VDE 0140-1) festgelegt sind. Geräte der sogenannten Schutzklasse I verfügen über einen sogenannten Schutzleiter. Bewegliche Geräte der Schutzklasse I haben eine Steckverbindung mit Schutzleiterkontakt und einen Stecker mit Schutzkontakt. Der Schutzleiter soll im Fehlerfall einen Körperschluss verursachen, sodass die Sicherung oder ein Fehlerstromschutzschalter auslöst und der Stromkreis spannungsfrei wird. In der Schutzklasse II wird Schutz vor Stromschlägen durch eine Schutzisolierung gewährt. Betriebsmittel der Schutzklasse II haben eine verstärkte oder doppelte Isolierung zwischen Netzstromkreis und Ausgangsspannung und haben grundsätzlich keinen Anschluss an den Schutzleiter,
45vgl. http://de.wikipedia.org/wiki/Schutzklasse_(Elektrotechnik)#Schutzklasse_I_.2F_Schutzleiter
46Beide Systeme verfügen über unterschiedliche Steckersysteme und Kupplungssysteme, nämlich die sogenannten Eurostecker (Klasse II) und die Schutzkontaktstecker (Klasse I). Aufgrund der jeweiligen Abmessungen können Eurostecker mit Schutzkontaktkupplungen verbunden werden, Schutzkontaktstecker aber nicht mit Eurokupplungen. Dies bedeutet, dass Geräte und Verlängerungsleitungen der Klasse I nicht über eine Verlängerungsleitung mit Steckern der Klasse II an das Stromnetz angeschlossen werden können. Umgekehrt können Geräte der Klasse II über ein Geräteanschlusskabel oder ein Verlängerungskabel der Klassen I und II sehr wohl an das Stromnetz angeschlossen werden. In diesem Fall ist jedoch die Schutzwirkung des Schutzleiters außer Kraft gesetzt, weil keine Schutzleiterkontinuität vom Gerät bis zur Ableitung („Erdung“) gegeben ist. Die Kontinuität wird bei Geräten der Klasse II nicht benötigt, anderseits aber auch nicht gewährleistet. Bei diesen Geräten wird Schutz über die anders geartete besondere Isolierungstechnik gewährt. Ein Verständnis des Wortlauts der Ziffer 14.21 Satz 2 der DIN VDE 0620-1, alle Verlängerungsleitungen müssten mit einem Schutzleiter ausgestattet sein, ist damit hinsichtlich der Schutzklasse II sinnwidrig.
47Dafür spricht letztlich auch, dass Kapitel 14 der Norm lediglich den Aufbau von Steckern und Kupplungsdosen regeln will, während zur Verlängerungsleitung nach Ziffer 3.12 der Norm die flexible Leitung gehört, der in Teil 23 der DIN-Norm ein eigenes Kapitel gewidmet ist. Dort werden verschiedenste Anforderungen an flexible Leitungen beschrieben, ohne dass sich auch nur im Ansatz ein Hinweis findet, dass zu einer Verlängerungsleitung verarbeitete flexible Leitungen nur mit Schutzleiter zulässig sein sollen.
48Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 2 VwGO und aus den §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
49Gründe, die zur Zulassung der Berufung nach §§ 124 Abs. 1 Satz1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO führen könnten, liegen nicht vor.