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Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit teilweise in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, wird das Verfahren eingestellt.
Im Übrigen wird der Vergnügungssteuerbescheid der Beklagten vom 09. Juli 2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 01. September 2009 aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrages leistet.
T a t b e s t a n d
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Veranlagung der Klägerin zur Zahlung von Vergnügungssteuern für das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt für das Jahr 2007 und hier insbesondere darüber, ob der Veranlagung eine wirksame Steuersatzung zugrunde liegt.
3Nachdem das Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (IM NRW), mitgezeichnet durch das Finanzministerium des Landes Nordrhein-Westfalen (FM NRW), der Beklagten mit Schreiben vom 07. November 2003 mitgeteilt hatte, dass für die Erhebung einer Steuer für sexuelle Vergnügungen eine Genehmigung gemäß § 2 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (KAG) nicht erforderlich sei, erließ die Beklagte mit Beschluss des Rates vom 18. Dezember 2003 die "Vergnügungssteuersatzung der Stadt Köln vom 19. Dezember 2003" mit welcher sie erstmals Vergnügungssteuer für sexuelle Vergnügungen erhob. Nach § 2 Nr. 7 der Satzung war Steuergegenstand unter anderem das "Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt".
4Mit Beschluss des Rates vom 15. Dezember 2005 erließ die Beklagte die "Satzung der Stadt Köln über die Erhebung einer Steuer auf Vergnügungen besonderer Art vom 16. Dezember 2005" nach deren § 6 die Steuer für das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt unabhängig von der tatsächlichen Inanspruchnahme und der Anzahl der sexuellen Handlungen für jede Prostituierten/jeden Prostituierten 6,00 EUR pro Veranstaltung betrug. Gemäß § 6 Abs. 1 dieser Satzung wurden für jeden Kalendermonat 25 Veranstaltungstage zugrunde gelegt. Für den Fall, dass der Nachweis erbracht wurde, dass weniger als 25 Veranstaltungstage im Kalendermonat stattgefunden hatten, war geregelt, dass die Steuer entsprechend der Anzahl der nachgewiesenen Veranstaltungstage festgesetzt wird.
5Aufgrund dieser Satzung veranlagte die Beklagte die Klägerin zunächst mit Bescheid vom 26. Juli 2007 für die Monate Juni und Juli 2007 zu einer Vergnügungssteuer für das Angebot sexueller Handlungen gegen Entgelt in Höhe von insgesamt 126,00 EUR, wobei sie entsprechend der Angaben der Klägerin bei einer örtlichen Ermittlung der Beklagten für den Monat Juni fünf Arbeitstage und für den Monat Juli 16 Arbeitstage á 6,00 EUR zugrunde legte. Nachdem die Beklagte im weiteren Verlauf erneut Ermittlungen durchgeführt hatte, erließ sie unter dem 13. September 2007 einen Änderungsbescheid und erhöhte die Veranlagung der Klägerin zur Vergnügungssteuer für das Jahr 2007 von 126,00 EUR auf insgesamt 840,00 EUR. Dabei setzte sie nunmehr auch für die Monate August bis Dezember Vergnügungssteuer fest und ging für den Monat August von 19 Arbeitstagen sowie für die Monate September bis Dezember von jeweils 25 Arbeitstagen aus.
6Die genannten Bescheide hob die Beklagte im weiteren Verlauf mit Schreiben vom 09. Juli 2009 auf, weil die Klägerin im Vollstreckungsverfahren vorgetragen hatte, sie habe die Bescheide nicht erhalten.
7Mit Bescheid vom 09. Juli 2009 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin sodann erneut für den Zeitraum Januar bis Dezember 2007 Vergnügungssteuer in Höhe von insgesamt 840,00 EUR fest. Dieser Veranlagung liegt die gleiche Anzahl von Arbeitstagen wie den aufgehobenen Bescheiden zugrunde.
8Am 26. Mai 2010 wurde die "Rückwirkende Satzung der Stadt Köln über die Erhebung einer Steuer auf Vergnügungen sexueller Art vom 19. Mai 2010" (im Folgenden: VStS) bekanntgemacht (Amtsblatt der Stadt Köln 2010, Seite 384), welche bereits am 17. Dezember 2009 durch den Rat der Stadt Köln beschlossen und durch das IM NRW und das FM NRW mit Schreiben vom 10. Mai 2010 genehmigt worden war. Gemäß § 18 Abs. 1 VStS trat diese Satzung rückwirkend zum 07. Januar 2004 in Kraft und ist für alle Veranstaltungen anzuwenden, die ab diesem Tag bis zum Ablauf des Monats, in dem eine künftige Satzung zur Regelung der Vergnügungssteuer auf sexuelle Vergnügung-en im Amtsblatt der Stadt Köln öffentlich bekannt gemacht wird, durchgeführt werden.
9Die Klägerin hat am 10. August 2009 Klage erhoben.
10Zur Begründung macht sie im Wesentlichen geltend, der Bescheid vom 09. Juli 2009 sei rechtswidrig, weil sie im Zeitraum Juni bis Dezember 2007 aufgrund ihres Gesundheitszustandes nicht als Prostituierte tätig gewesen sei. Bereits am 16. April 2007 sei amtsärztlich festgestellt worden, dass die Klägern an einer posttraumatischen Belastungsstörung leide und erwerbsunfähig sei.
11Mit interner Verfügung vom 20. Dezember 2011 entschied die Beklagte, künftig auf die Festsetzung der im Zeitraum vom 01. Januar 2007 bis 31. Dezember 2009 entstandenen, aber noch nicht festgesetzten Vergnügungssteuer für Prostitution gemäß § 156 Abs. 2 der Abgabenordnung (AO) zu verzichten.
12Mit Bescheid vom 01. September 2009 hob die Beklagte die Veranlagung der Klägerin für die Monate November und Dezember 2007 auf und reduzierte ihre Forderung um 300,00 EUR auf 540,00 EUR. Insoweit haben die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt.
13Die Klägerin beantragt nunmehr,
14den Vergnügungssteuerbescheid der Beklagten vom 09. Juli 2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 01. September 2009 aufzuheben.
15Die Beklagte beantragt,
16die Klage abzuweisen.
17Sie tritt dem Vorbringen der Klägerin entgegen und führt zunächst aus, aufgrund der im Veranlagungsverfahren durchgeführten Ermittlungen stehe fest, dass die Klägerin im streitbefangenem Zeitraum einer vergnügungssteuerpflichtigen Tätigkeit als Prostituierte nachgegangen sei.
18Soweit das Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen inzwischen entschieden habe, dass entgegen der Ansicht des IM NRW und des FM NRW für die Einführung einer Steuer für Vergnügungen sexueller Art eine Genehmigung nach § 2 Abs. 2 Satz 2 KAG erforderlich sei, werde dem entgegengehalten, dass Sinn und Zweck des § 2 Abs. 2 KAG sei, einen Einklang zwischen der den Gemeinden überlassenen Steuerfindungshoheit und den steuerpolitischen bzw. sonstigen Zielsetzungen des Landes sicherzustellen. Durch die Erklärung aus dem Jahr 2003, dass eine Genehmigung nicht erforderlich sei, sowie durch die spätere rückwirkende Genehmigung, habe das Land mehrfach diese Übereinstimmung bekundet. Da die Genehmigung selbst formfrei sei, sei ein ausdrücklich positives Genehmigungsschreiben nicht erforderlich gewesen.
19Zudem verstoße die "Rückwirkende Satzung der Stadt Köln über die Erhebung einer Steuer auf Vergnügungen sexueller Art" nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Entgegen der Auffassung des OVG NRW sei das Vertrauen der Steuerschuldner, nicht rückwirkend zur Vergnügungssteuer herangezogen zu werden, vorliegend nicht schutzwürdig. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sei eine Rückwirkung vielmehr zulässig, wenn der Steuerpflichtige in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge zurückbezogen sei, mit dieser Regelung habe rechnen müssen. Dies gelte auch für den Fall, dass eine zunächst fehlende, nach § 2 Abs. 2 KAG erforderliche Genehmigung nachgeholt werde. Als weitere anerkannte Ausnahme seien zwingende Gründe des Allgemeinwohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet seien und eine Rückwirkung rechtfertigten, anerkannt. Diese Ausnahme sei vorliegend gegeben, denn die Beklagte müsse im Fall der Unwirksamkeit der rückwirkenden Satzung mit erheblichen Erstattungsforderungen der Steuerpflichtigen rechnen bzw. auf die Veranlagung noch nicht festgesetzter Steuern verzichten. Im Übrigen habe eine Unwirksamkeit der Kölner Satzung die Folge, dass sämtliche von anderen Kommunen im Vertrauen auf die Einführung der Steuer durch die Stadt Köln ebenfalls ohne Genehmigung erlassenen Satzungen unwirksam wären. Dieser landesweite Domino-Effekt sei weder mit Sinn und Zweck des § 2 Abs. 2 KAG noch mit dem Gebot der Rechtssicherheit vereinbar. Eine rückwirkende Steuererhebung sei weiterhin zulässig, wenn mit der neuen Satzung eine unklare und verworrene Rechtslage beseitigt werden solle. Diese liege hier in dem Widerspruch zwischen der durch das IM NRW und das FM NRW vertretenen Rechtsauffassung, dass eine Genehmigung nicht erforderlich gewesen sei, und der insoweit gegenteiligen Rechtsauffassung des OVG NRW.
20Auch die Regelung der Satzung, wonach 25 Veranstaltungstage pro Kalendermonat der Veranlagung zugrunde zu legen seien, wenn eine geringere Anzahl von Veranstaltungstagen nicht nachgewiesen werde, sei entgegen der Auffassung des OVG NRW nicht zu beanstanden. Bei der Regelung handele es sich nicht um eine vorweggenommene Schätzung im Sinne von § 162 AO, sondern um eine zulässige Pauschalisierung, welche der Verwaltungspraktikabilität diene. Es bestehe ein Bedürfnis nach Vereinfachung des Besteuerungsverfahrens, da weitergehende Ermittlungen häufig aussichtlos seien. Zur Wahrung des Bedürfnisses der Kunden nach Anonymität würden durch die Prostituierten regelmäßig keine Quittungen oder eine Buchführung vorgehalten. Die Pauschalisierung orientiere sich an der bei einer Vollzeit erwerbstätigen Prostituierten üblicherweise anzunehmenden monatlichen Erwerbszeit. In Verbindung mit dem Tagessatz von 6,00 EUR sei sie nicht unverhältnismäßig hoch oder niedrig angesetzt.
21Schließlich sei die Entscheidung der Beklagten, keine weiteren Veranlagungen für die Jahre 2007 bis 2009 durchzuführen, aus wirtschaftlichen Erwägungen heraus getroffen worden. Es handele sich insgesamt um 6.291 Fälle. Die frühere Veranlagungspraxis, jede Prostituierte mit 25 Veranstaltungstagen pro Kalendermonat dauerhaft zu veranlagen, auch wenn diese nur einige Male bei der Ausübung der Prostitution angetroffen werde und keine Auskunft zum Umfang ihrer Tätigkeit mache, entspreche nicht mehr den heutigen Erkenntnissen. Die überwiegende Anzahl der Prostituierten arbeite nicht in Vollzeit.
22Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorganges der Beklagten verwiesen.
23E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
24Soweit die Beteiligten den Rechtstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren gemäß § 92 Abs. 3 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) einzustellen.
25Im Übrigen ist die zulässige Klage begründet.
26Der Vergnügungssteuerbescheid der Beklagten vom 09. Juli 2009 in Gestalt des Änderungsbescheides vom 01. September 2009 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
27Es kann dahingestellt bleiben, ob der angefochtene Vergnügungssteuerbescheid der Beklagten rechtswidrig ist, weil die Klägerin im Zeitraum Juni bis Oktober 2007 keiner vergnügungssteuerpflichtigen Tätigkeit als Prostituierte nachgegangen ist, weil es für die Erhebung der Steuer bereits an einer wirksamen Rechtsgrundlage fehlt.
28- 14 A 1577/07 -, NRWE, Rnr. 25 ff., juris-Dokumentation, Rnr. 24 ff.,
30in einem gleichgelagerten Fall ausführlich und überzeugend dargelegt, dass die Rechtsauffassung des IM NRW und des FM NRW, eine solche Genehmigung sei nicht erforderlich, da es sich bei der Erhebung einer Steuer für Vergnügungen sexueller Art nicht um eine neue Steuer i.S.d. § 2 Abs. 2 KAG handele, unzutreffend ist. Dem schließt sich das erkennende Gericht an und verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die dortigen, den Beteiligten bekannten Ausführungen.
31Soweit die Beklagte hierzu vorträgt, Sinn und Zweck von § 2 Abs. 2 KAG sei es, einen Einklang zwischen der den Gemeinden überlassenen Steuerfindungshoheit und den steuerpolitischen bzw. sonstigen Zielsetzungen des Landes sicherzustellen, und das Land habe durch die Erklärung aus dem Jahr 2003, dass eine Genehmigung nicht erforderlich sei, sowie durch die spätere rückwirkende Genehmigung mehrfach diese Übereinstimmung bekundet, kann dem nicht gefolgt werden.
32Dem steht zum einen schon entgegen, dass Anhaltspunkte dafür, dass die zuständigen Ministerien im Jahre 2003 eine Entscheidung darüber getroffen haben, ob die Steuererhebung mit eigenen Zielvorstellungen des Landes übereinstimmt, weder dem Schreiben vom 07. November 2003 zu entnehmen noch sonst vorgetragen oder ersichtlich sind. Vielmehr liegt es auf der Hand, dass angesichts der Auffassung der Ministerien, eine Genehmigung nach § 2 Abs. 2 KAG sei nicht erforderlich, eine solche Prüfung gerade nicht erfolgt ist.
33Zum anderen haben die zuständigen Ministerien mit Schreiben vom 10. Mai 2010 zwar die "Rückwirkende Satzung der Stadt Köln über die Erhebung einer Steuer auf Vergnügungen sexueller Art" genehmigt. Eine Genehmigung der bisherigen - im Genehmigungsverfahren im Übrigen auch nicht vorgelegten - Satzung(en) erfolgte jedoch nicht, so dass sich die Frage, ob eine solche Genehmigung rückwirkend erteilt werden kann, vorliegend nicht stellt.
34Durch diese Regelung soll die Vergnügungssteuersatzung für Erhebungszeiträume anwendbar sein, die vor dem Zeitpunkt ihrer Bekanntmachung liegen und bereits abgeschlossen sind. Darin liegt eine echte Rückwirkung,
36OVG NRW, Beschluss vom 12. April 2012 - 14 B 1520/11 -, NRWE, Rnr. 6 f., juris-Dokumentation, Rnr. 7 zu einer vergleichbaren Satzungsregelung einer anderen Kommune; vgl. zum Begriff der echten Rückwirkung auch z.B. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 15. Oktober 2008 - 1 BvR 1138/06 -, juris-Dokumentation, Rnr. 13,14; Bundesfinanzhof (BFH), Urteil vom 22. Juli 2010 - IV R 29/07 -, juris-Dokumentation, Rnr. 67 ff., mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
37Grundsätzlich erlaubt das Grundgesetz den Erlass belastender Rechtsnormen - wie hier die Regelung von Steuerpflichten - nur für die Zukunft. Die Rechtsfolgen dürfen grundsätzlich für einen frühestens mit der Verkündung beginnenden Zeitraum eintreten. Die Anordnung, eine Rechtsfolge solle schon für einen vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten, ist deshalb regelmäßig unzulässig. Der von einem Gesetz Betroffene muss nach den allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsätzen ins-besondere des Vertrauensschutzes und der Rechtssicherheit (Art. 20 Abs. 3 des Grundgesetzes - GG) grundsätzlich darauf vertrauen können, dass er nicht nachträglich einer bisher nicht geltenden Belastung unterworfen wird. Dies gilt speziell für Abgabengesetze, welche grundsätzlich nur solche Tatbestände erfassen dürfen, die erst nach ihrer Verkündung eintreten oder sich vollenden,
38BVerfG, Entscheidung vom 19. Dezember 1961 - BvL 6/59 -, juris-Dokumentation, Rnr. 49 f.
39Einer der nach der Rechtsprechung des Bundeverfassungsgerichtes anerkannten Ausnahmefälle, in denen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot durchbrochen ist, liegt nicht vor.
40Ein solcher Ausnahmefall ist zunächst dann gegeben, wenn der Bürger nach der recht-lichen Situation in dem Zeitpunkt, auf den der Eintritt der Rechtsfolge vom Gesetz zurückbezogen wird, mit dieser Regelung rechnen musste,
41BVerfG, Entscheidung vom 19. Dezember 1961, a. a. O., Rnr. 52; Beschluss vom 03. September 2009 - 1 BvR 2384/08 -, juris-Dokumentation, Rnr. 19.
42Dies gilt auch für kommunale Abgabensatzungen. Eine Heilung unwirksamer kommunaler Abgabensatzungen mit Wirkung für vergangene Zeiträume ohne Verletzung des rechtsstaatlich gebotenen Vertrauensschutzes kann deshalb grundsätzlich dann erfolgen, wenn der mit Rückwirkung versehenen Neuregelung in der Vergangenheit gleich-artige Regelungsversuche vorausgegangen sind. Ein schutzwürdiges Vertrauen darauf, von einer solchen grundsätzlich zulässigen Abgabe verschont zu werden, kann dann nicht entstehen,
43BVerfG, Beschluss vom 03. September 2009, a. a. O., Rnr. 20.
44Entgegen der Auffassung der Beklagten ist dieser Ausnahmetatbestand hier jedoch nicht gegeben. Wie das OVG NRW in seiner Entscheidung,
45Beschluss vom 12. April 2012 - 14 B 1520/11 - NRWE, Rnr. 9 ff.; juris-Dokumentation, Rnr. 12 ff.,
46in einem gleichgelagerten Fall bereits ausführlich und überzeugend dargelegt hat, geht es hier nicht um die Heilung einer fehlerhaften früheren Satzung, sondern um die Einführung eines neuen Steuertatbestandes (Erheben von Steuer auf Vergnügungen sex-ueller Art), was der Beklagten ohne die gemäß § 2 Abs. 2 KAG erforderliche Genehmigung der zuständigen Landesministerien verboten war. Das Vertrauen darauf, nicht ohne die gesetzlich vorgesehene Genehmigung mit einer (neuen) Steuer belastet zu werden, kann durch den verbotswidrigen Satzungserlass ohne Genehmigung nicht zerstört werden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen des OVG NRW verwiesen.
47Zwingende Gründe des Gemeinwohls, die dem Gebot der Rechtssicherheit übergeordnet sind und eine Rückwirkungsanordnung rechtfertigen können,
48BVerfG, Entscheidung vom 19. Dezember 1961, a. a. O., Rnr. 52.
49liegen ebenfalls nicht vor. Soweit die Beklagte hierzu vorträgt, diese Ausnahme sei gegeben, denn die Beklagte müsse im Fall der Unwirksamkeit der rückwirkenden Satzung mit erheblichen Erstattungsforderungen der Steuerpflichtigen rechnen bzw. auf die Veranlagung noch nicht festgesetzter Steuern verzichten, ist dem entgegenzuhalten, dass finanzielle Gründe für sich noch keinen ausreichenden Grund darstellen, rückwirkend einen neuen Steuertatbestand einzuführen,
50OVG NRW, Beschluss vom 12. April 2012, a. a. O., Rnr.23.
51Zudem hat die Beklagte nichts dazu vorgetragen, auf welcher Grundlage und in welcher Höhe eventuelle Rückzahlungsansprüche zu erwarten sind und inwieweit diese sich auf die Haushaltslage der Beklagten auswirken würden. Außerdem hat sich die Beklagte inzwischen entschieden, auf die Erhebung der Steuer für die Jahre 2007 bis 2009 in den noch nicht veranlagten Fällen zu verzichten.
52Unerheblich ist in diesem Zusammenhang weiterhin, dass - wie die Beklagte vorträgt - die Unwirksamkeit der Kölner Satzung die Folge hat, dass sämtliche von anderen Kommunen im Vertrauen auf die Einführung der Steuer durch die Stadt Köln ebenfalls ohne Genehmigung erlassenen Satzungen unwirksam wären.
53Dies gilt auch, soweit die Beklagte - was deren Vertreter in der mündlichen Verhandlung nochmals betont haben - auf die Auskunft des IM NRW vom 07. November 2003, eine Genehmigung sei für die Einführung der Steuer auf Vergnügungen sexueller Art nicht erforderlich, vertraut hat. Entscheidend ist allein der Vertrauensschutz der Klägerin, welcher durch das Vertrauen der Beklagten auf die Richtigkeit der Auskunft des IM NRW nicht in Frage gestellt werden kann,
54vgl. OVG NRW, Beschluss vom 12. April 2012, a. a. O. Rnr.25.
55Schließlich kann eine echte Rückwirkung ausnahmsweise zulässig sein, wenn eine unklare und verworrene Rechtslage beseitigt werden soll,
56BVerfG, Entscheidung vom 19. Dezember 1961, a. a. O., Rnr. 52.
57Auch auf diesen Ausnahmetatbestand kann sich die Beklagte im vorliegenden Fall nicht mit Erfolg berufen. Denn nur wenn das Versehen des Gesetzgebers (hier: des Satzungsgebers) zu erheblichen Unklarheiten oder zu objektiven Lücken in der ursprünglichen gesetzlichen bzw. satzungsrechtlichen Regelung geführt hat, ist eine Rückwirkung ausnahmsweise zulässig. Dies ist demnach nicht der Fall, wenn trotz des Versehens des Gesetzgebers eine Regelung entstanden ist, die als sinnvoll und vom Gesetzgeber gewollt erscheinen konnte,
58BVerfG, Entscheidung vom 19. Dezember 1961, a. a. O., Rnr. 59.
59So liegt der Fall hier. Die Tatsache, dass die Beklagte irrtümlich davon ausging, eine Genehmigung gemäß § 2 Abs. 2 KAG sei für die Einführung des neuen Steuertatbe-standes nicht erforderlich, hat nicht zu erheblichen Unklarheiten oder zu objektiven Lücken in der ursprünglichen Satzung selbst geführt.
60Nach dieser Vorschrift hat die Steuerbehörde die Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, wenn sie diese nicht ermitteln kann, wobei alle Umstände zu berücksichtigen sind, die für die Schätzung von Bedeutung sind. Diese Schätzungsbefugnis bzw. - pflicht besteht demnach erst dann, wenn die Behörde zuvor im Rahmen ihrer Amtsermittlungspflicht (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 a KAG i. V. m. § 88 AO) und trotz Heranziehung des Steuerpflichtigen zur Mitwirkung (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 a KAG i. V. m. § 90 AO) und Ausschöpfung aller Beweismittel (§ 12 Abs. 1 Nr. 3 a KAG i. V. m. § 92 AO) die Besteuerungsgrundlagen nicht ermitteln kann. Diese Voraussetzungen müssen in jedem Einzelfall geprüft werden bzw. erfüllt sein. Hiergegen verstößt die Beklagte, indem sie in § 5 Abs. 1 Satz 2 VStS festlegt, dass der Besteuerung in allen Fällen, in denen eine steuerpflichtige Tätigkeit ausgeübt wird, grundsätzlich zunächst 25 Veranstaltungstage je Monat zugrunde zu legen sind, ohne vorher zu prüfen, ob die Voraussetzungen für eine Schätzung vorliegen,
62so bereits OVG NRW, Beschluss vom 07. Mai 2012 - 14 E 234/12 -; juris-Dokumentation, Rnr. 6, Beschluss vom 21. August 2012 - 14 B 835/12 -, juris-Dokumentation, Rnr. 34; Beschluss des erkennenden Gerichts vom 29. Juni 2012 - 24 L 1115/11 -, juris-Dokumentation Rnr. 28.
63Die Regelung des § 5 Nr. 1 Satz 2 VStS stellt auch keine - wie die Beklagte meint - zulässige Pauschalisierung dar.
64Dem Steuergesetzgeber - zu dem auch eine Gemeinde als Satzungsgeber zählt - steht gemessen am allgemeinen Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG zwar grundsätzlich bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes ein weitreichender Entscheidungsspielraum zu. Dieser wird jedoch u.a. durch das Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt. Ausnahmen von diesem Gebot bedürfen eines besonderen sachlichen Grundes, wobei für Ausnahmen von einer folgerichtigen Umsetzung und Konkretisierung steuergesetzlicher Belastungsentscheidungen Typisierungs- und Vereinfachungszwecke nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts anerkannt sind,
65vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2008 - 1 BvL 2/04 -, BVerfGE 120, 1 ff. (30); BVerfG, Beschluss vom 06. Juli 2010 - 2 BvL 13/09 -, DStR 2010, 1563; BVerfG, Beschluss vom 12. Oktober 2010 - 1 BvL 12/07 -, BVerfGE 127, 224 ff.
66Da Steuergesetze in der Regel Massenvorgänge des Wirtschaftslebens betreffen, müssen diese die zu erfassenden Sachverhalte typisieren und dabei in weitem Umfang die Besonderheiten des Einzelfalles vernachlässigen. Diese wirtschaftlich ungleiche Wirkung darf allerdings ein gewisses Maß nicht übersteigen, sondern die wirtschaftlichen Vorteile der Typisierung müssen im rechten Verhältnis zu der mit der Typisierung notwendig verbundenen Ungleichheit der steuerlichen Belastung stehen, wobei die gesetzliche Typisierung keinen atypischen Fall als Leitbild wählen darf, sondern sich realitätsgerecht am typischen Fall orientieren muss,
67vgl. BVerfG, Beschluss vom 15. Januar 2008 - 1 BvL 2/04 -, a.a.O. und Beschluss vom 12. Oktober 2010 - 1 BvL 12/07 -, a.a.O.
68Hieran mangelt es vorliegend. Wie das erkennende Gericht bereits im Beschluss vom 29. Juni 2012,
69- 24 L 1115/11 -, juris-Dokumentation, Rnr. 35,
70ausgeführt hat, entspricht die Zugrundelegung von 25 Veranstaltungstagen pro Kalendermonat, die sich nach Angaben der Beklagten an der bei einer Vollzeit erwerbstätigen Prostituierten anzunehmenden Erwerbszeit orientiert, bei realitätsnaher Betrachtung und nach der Lebenserfahrung nicht dem Regelfall der durchschnittlichen monatlichen Betätigungsdauer einer Prostituierten. Vielmehr ist im Regelfall eher von einer Teilzeit- als von einer Vollzeitprostitution auszugehen. Hiervon geht inzwischen auch die Beklagte aus, welche im Zusammenhang mit der Entscheidung, keine weiteren Veranlagungen für den Zeitraum 2007 bis 2009 vorzunehmen, vorgetragen hat, die Veranlagungspraxis entspreche nicht mehr den heutigen Erkenntnissen. Die überwiegende Anzahl der Prostituierten arbeite nicht in Vollzeit.
71Denn der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verlangt für das Steuerrecht, dass die Steuerpflichtigen rechtlich und tatsächlich gleich belastet werden. Hat der Gesetzgeber (hier: der Satzungsgeber) einmal eine Belastungsentscheidung getroffen, so hat er diese im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen. Dieses Gebot der folgerichtigen Umsetzung betrifft auch den Gesetzesvollzug,
73BVerfG, Beschluss vom 10. November 1999 - 2 BvR 1820/92 -, juris-Dokumentation, Rnr. 10.
74Es bestehen nicht unerhebliche Bedenken, ob die Entscheidung der Beklagten, für den Zeitraum 01. Januar 2007 bis 31. Dezember 2009, in den Fällen, in denen eine Veranlagung noch nicht erfolgt ist, auf die Festsetzung der Vergnügungssteuer gegenüber Prostituierten zu verzichten, während die Klägerin, welche noch nicht bestandskräftig veranlagt wurde, für das Jahr 2007 Vergnügungssteuer entrichten soll, mit dem Grundsatz der Belastungsgleichheit zu vereinbaren ist.
75Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 und § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten des Verfahrens auch hinsichtlich der erledigten Teils der Beklagten aufzuerlegen, weil die Veranlagung der Klägerin zur Vergnügungssteuer aus den ausgeführten Gründen auch für die Monate November und Dezember 2007 rechtswidrig war. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).
76Anlass, die Berufung zuzulassen, bestand nicht, weil die Voraussetzungen des § 124 a Abs. 1 VwGO i. V. m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO nicht erfüllt sind.