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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch die Beklagte durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige und wohnt in Zürich. Etwa 220 km südwestlich, im Kanton Genf, befindet sich der Sitz der Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung ("Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire" - CERN, nunmehr "Organisation Européenne pour la Recherche Nucléaire"). Die Organisation betreibt dort Anlagen und technische Einrichtungen, die der physikalischen Grundlagenforschung dienen.
3Die durch Abkommen vom 1. Juli 1953 (BGBl. 1954 II, S. 1013) errichtete internationale Forschungseinrichtung wird von der Bundesrepublik Deutschland und 19 weiteren Mitgliedstaaten getragen. Ziel der Organisation ist die Zusammenarbeit europäischer Staaten bei der wissenschaftlichen Forschung auf dem Gebiet der Kernphysik (Art. 2 Abs. 1 des Abkommens). Ihre Organe sind ein Rat und ein Direktor (Art. 4 des Abkommens). Die Organisation besitzt Völkerrechtspersönlichkeit sowie Rechts- und Geschäftsfähigkeit im Hoheitsgebiet jedes Mitgliedstaats (Art. 9 des Abkommens; Art. 2 des Protokolls über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Organisation für Kernforschung vom 18. März 2004 <BGBl. 2006 II, S. 970>). In Ausübung ihrer amtlichen Tätigkeit genießen die Organisation und die Mitglieder des Rates Immunität von der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten (Art. 5 des Protokolls). Die Grundzüge der Tätigkeit des CERN werden vom Rat festgelegt, der sich aus Delegierten der Mitgliedstaaten zusammensetzt und grundsätzlich mit einfacher, bei Entscheidungen über Arbeitsprogramme wie dem hier in Rede stehenden mit Zweidrittelmehrheit entscheidet (Art. 5 des Abkommens).
4Zu der vom CERN betriebenen Anlage gehört ein neu errichtetes Synchrotron (Large Hadron Collider - LHC). Dieser etwa 100 Meter unterhalb der Erdoberfläche errichtete Teilchenbeschleuniger erstreckt sich in einem ringförmigen Tunnel mit einem Umfang von ungefähr 27 km über das Gebiet der Organisation hinaus bis auf französisches Staatsgebiet.
5Während der ansatzweise durchgeführten, teilweise geplanten Versuchsreihen sollen im Inneren des LHC-Röhrensystems zwei gegenläufige Protonenstrahlen durch Einsatz von Magneten annähernd auf Lichtgeschwindigkeit beschleunigt werden. Die beschleunigten Teilchen werden dazu verwendet, Kollisionsexperimente durchzuführen. Der neue Beschleuniger wurde zunächst probeweise mit einer Energie von rund zwei Billionen Elektronenvolt (Tera-Elektronenvolt - TeV) in Betrieb genommen, die bei künftigen Versuchsreihen bis auf 14 TeV (jeweils sieben TeV pro Protonenstrahl in gegenläufiger Richtung) - voraussichtlich im Jahre 2013/2014 - gesteigert werden soll. Bis Ende 2010 wurden bereits Versuche mit gegenläufigen Energien von 3,5 TeV und Schwerionen durchgeführt. Ziel der Versuche ist es, physikalische Theorien zu prüfen sowie verschiedene theoretisch vorhergesagte, bislang aber noch nicht experimentell nachgewiesene Elementarteilchen (so genannte Higgs-Teilchen) zu erzeugen.
6Nach einer in der kernphysikalischen Wissenschaft diskutierten Gravitationstheorie besteht bei Durchführung der Versuche ab einer bislang in Laborexperimenten noch nicht erreichten Energiemenge unter anderem die Möglichkeit, sogenannte Miniatur-Schwarze-Löcher zu erzeugen. Dabei handelt es sich um stark komprimierte Materie, die unter bestimmten Bedingungen prinzipiell die Eigenschaft hat, durch Schwerkraft die sie umgebende Materie zu akkretieren, das heißt anzuziehen, dadurch weiter zu wachsen und dergestalt immer größere Bereiche ihrer Umwelt zu absorbieren.
7Nach überwiegender wissenschaftlicher Meinung birgt jedoch der Versuchsaufbau am CERN kein Gefahrenpotential. Einschlägige Fachpublikationen schließen insbesondere die Möglichkeit von unkontrolliert wachsenden kleinen Schwarzen Löchern aus. Bereits deren Erzeugung während der Versuchsreihen sei wegen der im LHC verwendeten Energiemenge nicht sicher, wenn auch erwünscht. Jedenfalls würden gegebenenfalls entstehende Miniatur-Schwarze-Löcher nach den - ebenfalls bislang nicht empirisch erwiesenen - Gesetzen des so genannten Hawking'schen Strahlungstheorems sofort wieder verdampfen. Selbst wenn sie stabil wären, das Hawking'sche Theorem also widerlegt würde, zeitige dies keine nachteiligen Auswirkungen auf die Umwelt, weil der Teilchenbeschleuniger lediglich unter Laborbedingungen natürliche Prozesse reproduziere, die seit jeher unkontrolliert in der Erdatmosphäre abliefen, wenn kosmische Strahlung dort auf Luftmoleküle treffe. Diese natürlichen Prozesse hätten bislang keinerlei negativen Auswirkungen auf die Umwelt gehabt, was Rückschlüsse auf den Versuchsaufbau zulasse. Von alledem abgesehen gebe es jedenfalls stellare Objekte, sogenannte Weiße Zwerge und Neutronensterne, die nicht existieren könnten, falls Miniatur-Schwarze-Löcher in der Lage wären, Himmelskörper zu zerstören.
8Die Klägerin hat im Juni 2008 zunächst Klage gegen den CERN selbst vor dem Bezirksgericht Zürich erhoben, die im selben Monat unter Hinweis auf die völkerrechtliche Immunität des CERN und hilfsweise im Hinblick auf die gleichermaßen gegebene Immunität der Mitglieder des Rates des CERN zurückgewiesen wurde.
9Am 28. August 2008 hat die Klägerin Klage erhoben, ohne sich zuvor mit ihrem Begehren auf Beschränkung der Versuche an die Beklagte gewendet zu haben.
10Sie hält die erhobene allgemeine Leistungsklage für zulässig und begründet. Ihr Anspruch auf Tätigwerden der Beklagten ergebe sich aus dem in Art. 2 Abs. 2 des Grundgesetzes garantierten Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit. Das Experiment im CERN sei nur zulässig, wenn jede Gefahr sicher ausgeschlossen werden könne. Dabei sei insbesondere auch das europarechtlich fundierte Vorsorgeprinzip zu beachten.
11Die Klägerin hält die Klage für zulässig; eine Immunität aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen könne nicht dazu führen, dass die Mitglieder des Rates des CERN von jeder Einflussnahme seitens der Beklagten freigestellt würden. Eine andere Wertung sei rechtsstaatlich nicht hinnehmbar. Auch sei ihr Begehren nicht auf etwas tatsächlich Unmögliches gerichtet; die Beklagte sei in Wahrnehmung ihrer verfassungsrechtlichen Schutzpflicht zumindest verpflichtet, einen Versuch zu unternehmen, die übrigen Mitglieder des Rates von einer Beschlussfassung im Sinne der Anträge der Klägerin zu überzeugen.
12Die Experimente im CERN durch den Betrieb des LHC bedürften angesichts der möglichen Gefahren schon einer formellgesetzlichen Grundlage durch ein Parlamentsgesetz, welches zur Erzeugung Schwarzer Löcher oder der anderen Gefahrszenarien ermächtige. Dieses fehle jedoch.
13Die Klägerin ist der Ansicht, die gesamte Sicherheitsargumentation seitens des CERN basiere im Wesentlichen nicht auf gesicherten wissenschaftlichen Erkenntnissen, sondern auf Thesen und Theorien ohne empirischen Nachweis und ohne jede praktische Rückbestätigung, die ja offenbar durch die Experimente erstmals erreicht werden solle. Sie fürchtet um den Fortbestand der Erde, mithin auch den Verlust des eigenen Lebens, und verweist dazu im Einzelnen unter anderem auf Ausführungen von em. Prof. Dr. Dr. hc. Otto E. Rössler, Dr. Rainer Plaga, Belinski und Eric Penrose sowie neuere Erkenntnisse der Astronomie. Selbst wenn man aber der Argumentation des CERN folge, verblieben zumindest solche Unsicherheitsfaktoren, die in Anbetracht des Risikos der Erdvernichtung und damit dem Ende menschlichen Lebens nicht hingenommen werden könnten. Es sei nicht ausgeschlossen, ja sogar erwünscht, dass bei den Experimenten kleine Schwarze Löcher entstünden, die anders als vom CERN angenommen nicht zerfielen, sondern sich entweder im Erdinneren ansammelten oder zur Sonne fliegen und diese vernichten könnten; beides hätte den Untergang der Erde zur Folge. Dabei sei auch der zeitliche Faktor zu berücksichtigen, der anders als vom CERN vermutet - Milliarden oder wenigstens Millionen Jahre - nach den Berechnungen Prof. Rösslers sich bei Schwarzen Löchern im Erdinnern schlimmstenfalls auf gerade einmal 50 Monate verkürzen könne. Die immer wieder gezogenen Vergleiche mit den kosmischen Verhältnissen überzeugten nicht, weil zum einen selbst diese noch unzureichend erforscht seien, zum anderen der Aufeinanderprall im LHC mit wesentlich geringerer Geschwindigkeit erfolge als im Weltall. Hinzu kämen die nach Auffassung der Klägerin nicht von der Hand zu weisenden Gefahren durch die Entstehung von so genannten Strangelets, eines Neuen Vakuumzustandes und von Magnetischen Monopolen.
14Die Klägerin beantragt,
15die Beklagte zu verurteilen, die von ihr in den Rat der Europäischen Kernforschungsorganisation CERN (Organisation Européenne pour la Recherche Nucléaire, ehemals Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) entsandten Delegierten sofort anzuweisen, im Rat des CERN eine sofortige Beschlussfassung darüber zu initiieren und auf eine dahingehende sofortige Beschlussfassung hinzuwirken, dass der Protonenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) in Genf/Schweiz höchstens auf einer Gesamtenergie von 2 Billionen Elektronenvolt (= 2 TeV) betrieben wird,
16hilfsweise,
17die Beklagte zu verurteilen, die von ihr in den Rat der Europäischen Kernforschungsorganisation CERN (Organisation Européenne pour la Recherche Nucléaire, ehemals Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) entsandten Delegierten sofort anzuweisen, im Rat des CERN eine sofortige Beschlussfassung darüber zu initiieren und auf eine dahingehende sofortige Beschlussfassung hinzuwirken, dass der Protonenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) in Genf/Schweiz solange nicht auf einer Gesamtenergie von mehr als 2 Billionen Elektronenvolt (= 2 TeV) in Betrieb genommen wird, bis die Beklagte ein von ihr beauftragtes unabhängiges, nicht durch CERN angehörende oder durch CERN vorbefasste Wissenschaftler erstelltes Sachverständigengutachten eingeholt hat, welches
18empirisch im Sinne naturwissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse widerlegt und die gefahrentechnische Unbedenklichkeit der im LHC geplanten Teilchen-Kollisionsexperimente, soweit ein Betrieb auf einer Gesamtenergie von mehr als 2 Billionen Elektronenvolt (= 2 TeV) erfolgen soll, bestätigt.
21Weiter hilfsweise
22die Beklagte zu verurteilen, die von ihr in den Rat der Europäischen Kernforschungsorganisation CERN (Organisation Européenne pour la Recherche Nucléaire, ehemals Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) entsandten Delegierten sofort anzuweisen, im Rat des CERN eine sofortige Beschlussfassung darüber zu initiieren und auf eine dahingehende sofortige Beschlussfassung hinzuwirken, dass der Protonenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) in Genf/Schweiz höchstens auf einer Gesamtenergie von 3,5 Billionen Elektronenvolt (= 3,5 TeV) betrieben wird,
23weiter hilfsweise,
24die Beklagte zu verurteilen, die von ihr in den Rat der Europäischen Kernforschungsorganisation CERN (Organisation Européenne pour la Recherche Nucléaire, ehemals Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire) entsandten Delegierten sofort anzuweisen, im Rat des CERN eine sofortige Beschlussfassung darüber zu initiieren und auf eine dahingehende sofortige Beschlussfassung hinzuwirken, dass der Protonenbeschleuniger LHC (Large Hadron Collider) in Genf/Schweiz solange nicht auf einer Gesamtenergie von mehr als 3,5 Billionen Elektronenvolt (= 3,5 TeV) in Betrieb genommen wird, bis die Beklagte ein von ihr beauftragtes unabhängiges, nicht durch CERN angehörende oder durch CERN vorbefasste Wissenschaftler erstelltes Sachverständigengutachten eingeholt hat, welches
25empirisch im Sinne naturwissenschaftlich gesicherter Erkenntnisse widerlegt und die gefahrentechnische Unbedenklichkeit der im LHC geplanten Teilchen-Kollisionsexperimente, soweit ein Betrieb auf einer Gesamtenergie von mehr als 3,5 Billionen Elektronenvolt (= 3,5 TeV) erfolgen soll, bestätigt.
28Die Beklagte beantragt,
29die Klage abzuweisen.
30Zur Begründung trägt sie vor, die Klage sei bereits unzulässig. So sei dem CERN wie den von den Staaten entsandten Vertretern im Rat aufgrund völkerrechtlicher Vereinbarungen Immunität in Bezug auf ihre Amtstätigkeit zugebilligt worden. Aus diesem Grunde habe ja auch das Bezirksgericht Zürich die Klage der Klägerin zurückgewiesen. Zweck der Immunität sei es, die Arbeits- und Funktionsweise der europäischen Forschungseinrichtung CERN zu sichern. Dieser Zweck würde unterlaufen und der Sinn der Immunität von CERN und der Ratsmitglieder vereitelt, wenn man durch ein verwaltungsgerichtliches Verfahren Einfluss auf den Willen der Ratsmitglieder nehmen könnte und auf diesem Umweg Ratsmitglieder und CERN trotz Immunität gerichtlich belangt werden könnten.
31Abgesehen davon sei die Klage auf etwas tatsächlich Unmögliches gerichtet. Die Bundesrepublik Deutschland verfüge lediglich über eine von zwanzig Stimmen im Rat. Dies sei weder die erforderliche Stimmenmehrheit für eine Beschlussfassung, dass der LHC höchstens mit einer Gesamtenergie von 2 bzw. 3,5 TeV betrieben werde noch für eine Beschlussfassung, dass der LHC solange nicht mit mehr als 2 bzw. 3,5 TeV betrieben wird, bis ein Sachverständigengutachten eingeholt worden sei. In den im Rat geführten Diskussionen habe keine Delegation auch nur geringste Zweifel an der Sicherheit der geplanten Experimente erkennen lassen oder die Theorien von Prof. Rössler als ernsthaft erwägenswert betrachtet. Selbst wenn die deutsche Delegation aufgrund einer verwaltungsgerichtlichen Entscheidung verpflichtet wäre, entgegen ihrer bisherigen Haltung zu argumentieren, würde dies keine der anderen neunzehn Delegationen überzeugen können.
32Auch gehe von den am CERN bereits durchgeführten und geplanten Experimenten keinerlei Gefahr für die Erde bzw. die Menschheit aus. Der leistungsfähigste Beschleuniger vor Errichtung des LHC sei der 2000 gebaute Relativistic Heavy Ion Collider (RHIC) am Brookhaven National Laboratory in Upton/Long Island (USA) gewesen. 1999 sei dessen Betriebssicherheit umfassend untersucht und bestätigt worden, dass keinerlei Bedenken gegen die Betriebssicherheit des RHIC bestünden. Auch der CERN habe in zwei publizierten Berichten von 2003 und 2008 eine Untersuchung der Betriebssicherheit des LHC vornehmen lassen; in beiden Berichten sei die Unbedenklichkeit, auch im Hinblick auf die Entstehung von Schwarzen Löchern, bestätigt worden. Der seitens des CERN 2008 erstellte Bericht sei überdies von unabhängigen Fachwissenschaftlern einem so genannten Peer Review unterzogen worden.
33Selbst wenn beim Betrieb des LHC die Entstehung Schwarzer Löcher möglich wäre, bestehe keine Gefahr: Schwarze Löcher strahlten Teilchen ab. Je kleiner das Schwarze Loch, desto intensiver sei diese so genannte Hawking-Strahlung. Eventuell am LHC erzeugte Schwarze Löcher würden daher in 10-26 Sekunden regelrecht "verdampfen". Diese Zeit würde nicht reichen, um nennenswerte Mengen an Materie aus der Umgebung aufzusammeln. Selbst wenn sich die Schwarzen Löcher wider Erwarten als stabil erweisen sollten, würden sie aufgrund ihrer winzigen Masse so langsam wachsen, dass selbst auf einer Zeitskala von einigen Milliarden Jahren keine wesentlichen Effekte sichtbar wären und erst recht kein Schaden angerichtet würde. Die gegenteiligen Thesen Rösslers beruhten auf bereits widerlegten Thesen und seien in sich selbst inkonsistent sowie durch Messungen als falsch bewiesen. Im Übrigen seien sie durch andere Fachwissenschaftler widerlegt. Das LHC wiederhole unter experimentell überprüfbaren Bedingungen, was sich milliardenfach im Weltall abspiele: In jeder Sekunde träfen ca. 100.000 Protonen mit einer Energie auf die Erde, die mindestens der entspreche, die am LHC bei Teilchenkollisionen erzeugt werde. Dieser Teilchenschauer sei ungefährlich, denn Erde und Sonne existierten noch. Rösslers Behauptungen beruhten auf grundlegenden Missverständnissen der Allgemeinen Relativitätstheorie von Albert Einstein. So benutze er in seiner Argumentation zwar Formeln der Allgemeinen Relativitätstheorie, aber wende sie so an, dass sie im Widerspruch zu experimentellen Ergebnissen stünden. Auch die anderen von der Klägerin befürchteten Gefahren seien Gegenstand von wissenschaftlicher Diskussion und der Sicherheitsberichte des CERN gewesen; eine Entstehung von Vakuumblasen, Magnetischen Monopolen oder Strangelets sei danach höchst unwahrscheinlich.
34Das Gericht hat einen Antrag der Klägerin auf vorläufigen Rechtsschutz, der im Wesentlichen auf die mit dem Klageantrag verfolgten Ziele gerichtet war, mit Beschluss vom 8. September 2008 abgelehnt (Verwaltungsgericht Köln 13 L 1123/08). Die dagegen gerichtete Beschwerde zum Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen hatte ebenso wie eine Gegenvorstellung keinen Erfolg (OVG NRW, Beschlüsse vom 11. November 2008 und 17. Dezember 2008, jeweils zum Aktenzeichen 20 B 1433/08). Die gegen die Versagung vorläufigen Rechtsschutzes durch die vorgenannten Beschlüsse gerichtete Verfassungsbeschwerde blieb ebenfalls erfolglos; mit Beschluss vom 18. Februar 2010 nahm das Bundesverfassungsgericht sie nicht zur Entscheidung an (2 BvR 2502/08). Auch drei Anträge der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Klageverfahren sind erfolglos geblieben.
35Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte dieses Verfahrens und des dazugehörigen Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes 13 L 1123/08 sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die von den Beteiligten überreichten Unterlagen Bezug genommen.
36Entscheidungsgründe
37Die von der Klägerin erhobene allgemeine Leistungsklage hat weder mit ihrem Hauptantrag noch den Hilfsanträgen Erfolg.
38I. Zwar ist die Klage zulässig.
391. Zunächst ist dem erkennenden Gericht nicht eine Entscheidung aufgrund der dem CERN und insbesondere den Mitgliedern des zur Beschlussfassung berufenen Rates eingeräumten Immunität verwehrt. Zwar sind CERN selbst ebenso wie die Ratsmitglieder nicht vor bundesdeutschen Gerichten verklagbar, soweit die eigentliche wissenschaftliche Tätigkeit - wie hier der Betrieb des LHC - in Rede steht. Hier richtet sich das Klagebegehren aber nicht gegen CERN oder die Ratsmitglieder selbst und unmittelbar, sondern es wird gegenüber der Beklagten als dem Entsendestaat der grundrechtliche Schutzanspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geltend gemacht. Dies führt zwar mittelbar zu einer Einwirkung auf die "immunen" Ratsmitglieder, stellt aber keine Umgehung dar. Denn auch soweit die Bundesrepublik Deutschland "Hoheitsrechte" auf zwischenstaatliche Einrichtungen überträgt, ist vor dem Hintergrund von Art. 23 Abs. 1, Art. 79 Abs. 3 GG zu fordern, dass der Übertragungsakt Zugang zu anderweitigem gerichtlichen Rechtsschutz, sei es der Einrichtung selbst, sei es zu Gerichten eines anderen Mitgliedstaates gewährleistet,
40vgl. Rennert, in Eyermann, VwGO, 13. Aufl. 2010, vor § 40 Rn. 6 m. w. Nachw. der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts.
41Erst recht muss aber vor diesem Hintergrund eine gerichtliche Rechtsschutzmöglichkeit bestehen, wenn wie hier durch das Abkommen über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung vom 1. Juli 1953 (für die Bundesrepublik Deutschland in Kraft gesetzt durch Zustimmungsgesetz vom 17. September 1954, BGBl. II, S. 1013; maßgeblich in der Fassung des Gesetzes zu den vom Rat der Organisation am 14. Dezember 1967 beschlossenen Änderungen des Abkommens über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung (CERN) vom 25. Juni 1969, BGBl. II, S. 1197 <1213 ff.>) nicht im eigentlichen Sinne "Hoheitsrechte" übertragen werden, sondern nur die Forschungsfreiheit des Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG staatlicherseits gefördert und in bestimmtem Umfang durch die Einräumung der Immunität in der Verordnung zu dem Protokoll vom 18. März 2004 über die Vorrechte und Immunitäten der Europäischen Organisation für Kernforschung vom 16. November 2006 (BGBl. II, S. 970) abgesichert und insoweit "hoheitlich" unterstützt wird.
42Denn wenn schon keine Hoheitsrechte übertragen werden, kann dies vor dem Hintergrund des Art. 19 Abs. 4 GG die Bundesrepublik Deutschland nicht von ihrer - gegebenenfalls bestehenden - grundrechtlichen Schutzpflicht entbinden,
43vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 24. Februar 1981 - 7 C 60.79 -, Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwGE) 62, 11 (14 m. w. Nachw.),
44die dann - schon wegen der Anknüpfung an das innerstaatliche Recht - aber auch vor bundesdeutschen Gerichten durchsetzbar sein muss.
45Dementsprechend hat auch das Bundesverfassungsgericht betreffend die Teilnahme der Bundesrepublik Deutschland an der Cassini-Mission, in der auch die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geltend gemacht worden war, nur einen Einwirkungsanspruch gegenüber der NASA als nationaler Raumfahrtagentur der Vereinigten Staaten abgelehnt, weil dies als Handlung ausländischer öffentlicher Gewalt nicht Gegenstand einer Verfassungsbeschwerde,
46vgl. Bundesverfassungsgericht (BVerfG), 1. Kammer des Ersten Senats, Beschluss vom 2. Oktober 1997 - 1 BvR 1908/97 und 1 BvQ 12/97 -, Neue Juristische Wochenschrift (NJW) 1998, 975,
47und damit der seitens des deutschen Staates im Wege des Einwirkens gegebenenfalls wahrzunehmenden staatlichen Schutzpflicht sein konnte. Hingegen hat das Bundesverfassungsgericht die bezeichnete Verfassungsbeschwerde als "jedenfalls" unbegründet angesehen und eine Verletzung der Beschwerdeführer in Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, verstanden als Schutzpflicht gegenüber möglichen Gefahren durch die Cassini-Mission, in der Sache mangels Existenz einer die Schutzpflicht auslösenden hinreichenden Gefahrenlage verneint,
48vgl. BVerfG, a.a.O., NJW 1998, 975 (976).
49Aus denselben Erwägungen handelt es sich bei dem mittels der grundgesetzlich verbürgten Schutzpflicht von der Klägerin behaupteten Einwirkungsanspruch auch nicht um einen justizfreien Hoheitsakt,
50vgl. auch BVerwG, Urteil vom 14. Dezember 1994 - 11 C 18.93 -, Umwelt- und Planungsrecht (UPR) 1995, 143 (144).
512. Des Weiteren ist der Verwaltungsrechtsweg nach § 40 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) trotz der ausschließlichen Fundierung und Ausformung des Schutzanspruchs aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG im Verfassungsrecht gegeben; es handelt sich nicht um eine verfassungsrechtliche Streitigkeit, was zur Unzulässigkeit der Klage führen würde. Nach überkommenem Verständnis ist für das Vorliegen einer verfassungsrechtlichen Streitigkeit die so genannte doppelte Verfassungsunmittelbarkeit erforderlich, d. h. neben der - hier gegebenen - entscheidenden Prägung des Rechtsstreits durch das Verfassungsrecht müssen auf beiden Seiten des Rechtsstreits Verfassungsrechtssubjekte beteiligt sein,
52vgl. nur Rennert, in: Eyermann, a.a.O., § 40 Rn. 21; Kopp/Schenke, VwGO, 15. Aufl. 2009, § 40 Rn. 32 mit umfassenden Nachweisen.
53Dazu reicht es nach überwiegender Auffassung nicht aus, wenn ein Bürger - wie hier - gegen ein Verfassungsrechtssubjekt auf allein verfassungsrechtlicher Grundlage klagt und sich Fragen des so genannten einfachen Rechts überhaupt nicht stellen,
54vgl. dazu - kritisch - Rennert, a.a.O.
55Von dieser allgemeinen Rechtsauffassung abzuweichen, sieht das Gericht bei der vorliegenden Konstellation keinen Anlass, zumal neben den rechtlichen Fragen auch tatsächliche Aspekte eine wesentliche Rolle spielen und es daher der dem Grundgesetz zu Grunde liegenden Vorstellung über die Verteilung der Aufgaben von Fachgerichtsbarkeit und Verfassungsgerichtsbarkeit bei der Verwirklichung des Rechtsschutzes entspricht, das Verfahren zunächst als ein verwaltungsgerichtliches zu führen. Damit soll erreicht werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht auf ungesicherter Tatsachen- und Rechtsgrundlage weitreichende Entscheidungen trifft,
56vgl. BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 11. Oktober 1988 - 1 BvR 777, 882, 1239/85 - Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE) 79, 1 (20); stRspr.
573. Auch bestehen für die Klage die erforderliche Klagebefugnis sowie das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Weder ist es - nach dem vorstehend unter 1. Dargelegten - offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise offensichtlich ausgeschlossen, dass das von der Klägerin geltend gemachte Recht im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO besteht, noch ist der Anspruch auf ein objektiv unmögliches Handeln der Beklagten gerichtet. Insofern kann die Beklagte insbesondere nicht mit ihrem Vortrag durchdringen, dass wegen der Mehrheitsverhältnisse im Rat des CERN die von der Klägerin mit Haupt- und Hilfsanträgen begehrte Beschlussfassung wohl nicht zustande kommen würde. Dies enthebt die Beklagte nicht von ihrer gegebenenfalls bestehenden Verpflichtung, zur Gewährleistung der Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zumindest den Versuch zu unternehmen, eine entsprechende Beschlussfassung zu initiieren. Wie der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung überdies auf Nachfrage des Gerichts angegeben hat, würden die deutschen Delegierten im Rat des CERN einer entsprechenden Weisung des Ministeriums, eine solche Beratung und Beschlussfassung zu initiieren, auch Folge leisten (können).
58Schließlich scheitert das Rechtsschutzbegehren der Klägerin auch nicht daran, dass sie vor Erhebung der Klage keinen entsprechenden Antrag an die Beklagte gestellt hat, die Experimente im LHC zu unterlassen oder deren Unbedenklichkeit nachzuweisen. Denn die Beklagte hat sowohl im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes (13 L 1123/08) als auch in diesem Klageverfahren deutlich gemacht, dass sie einem solchen Antrag der Klägerin nicht entsprechen würde. Auch dies hat der Vertreter der Beklagten in der mündlichen Verhandlung auf ausdrückliche Nachfrage des Gerichts erneut bestätigt.
59II. In der Sache bleibt der Klage jedoch der Erfolg versagt. Es besteht auf der Grundlage des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG keine Verpflichtung der Beklagten, in der von der Klägerin mit ihren Anträgen begehrten Weise auf die Delegierten im Rat des CERN einzuwirken.
601. Dies gilt zunächst für den Hauptantrag, mit dem die Klägerin im Ergebnis die Unterlassung der Experimente im LHC mit einer 2 TeV übersteigenden Energie begehrt.
61Als Rechtsgrundlage für den von der Klägerin geltend gemachten Anspruch kommt allein Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Frage. Danach hat Jeder das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit.
62a) Umfang und insbesondere Tatbestand sind für die vorliegende Konstellation in dem nach dem Maßstab eines Hauptsacheverfahrens ergangenen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Februar 2010 umrissen, mit dem die Annahme der Verfassungsbeschwerde der Klägerin gegen die Entscheidungen des Gerichts und des Oberverwaltungsgerichts in den Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt worden ist,
63BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 2010 - 2 BvR 2502/08 -, juris; veröffentlicht etwa UPR 2010, 225 und Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ) 2010, 702.
64Nach der in dem genannten Beschluss zusammengefassten, insbesondere im Atomrecht bzw. im Zusammenhang mit der Stationierung von Waffen jeglicher Art durch andere Staaten entwickelten ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist aus dem Grundrecht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eine Schutzpflicht des Staates und seiner Organe abzuleiten. Sie gebiete dem Staat, sich schützend und fördernd vor gefährdetes menschliches Leben zu stellen, es insbesondere vor rechtswidrigen Eingriffen Dritter zu bewahren. Eine Verletzung der staatlichen Schutzpflicht könne aber nur unter der Voraussetzung festgestellt werden, dass die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen überhaupt nicht getroffen habe oder die ergriffenen Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien, das gebotene Schutzziel zu erreichen oder erheblich dahinter zurückblieben. Die staatliche Schutzpflicht verlange bei komplexen Sachverhalten, über die noch keine verlässlichen wissenschaftlichen Erkenntnisse vorliegen würden, auch von den Gerichten nicht, ungesicherten wissenschaftlichen Theorien zur Durchsetzung zu verhelfen; im Rahmen ihrer jeweiligen Zuständigkeiten obliege aber allen Stellen, die öffentliche Gewalt ausübten, eine gesteigerte Verantwortung, wenn sie Entscheidungen treffen würden, die auf ungewissen Folgenabschätzungen beruhten. Werde wissenschaftlich und praktisch noch unerschlossenes Neuland betreten, hätten sich alle diese Stellen eine möglichst breite Informationsgrundlage für eine möglichst rationale Risikoabschätzung zu verschaffen, wobei die unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten im Rahmen eines gewaltenteiligen Systems berücksichtigt werden müssten. Dem liege eine Verteilung der Verantwortung zur Beurteilung komplexer, wissenschaftlich umstrittener Sachverhalte zwischen Exekutive und Gerichten zugrunde, die den nach Funktion und Verfahrensweise unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten beider Gewalten Rechnung trage. Auch eine nur theoretisch herleitbare Gefährdung von Leben oder Gesundheit könne ausnahmsweise als Grundrechtseingriff angesehen werden. Dabei gelte: Je größer das Risikopotential für Leben oder Gesundheit sei, desto niedriger liege die Schwelle der Wahrscheinlichkeit für die Prognose eines Schadenseintritts, bei deren Überschreitung wirksame staatliche Schutzmaßnahmen geboten seien. Hinsichtlich schwerer Schäden an Leben oder Gesundheit einer Vielzahl von Grundrechtsträgern genüge zwar prinzipiell bereits eine im Vorfeld erkannte Realisierungstendenz, um Schutzpflichten des Staates auszulösen. Ein Schadensereignis apokalyptischen Ausmaßes - wie von der Klägerin befürchtet - müsse als mögliche Konsequenz eines wissenschaftlichen Vorhabens nach dem Stand von Wissenschaft und Technik praktisch ausgeschlossen sein. Soweit im Rahmen der derzeit als gesichert geltenden wissenschaftlichen Prämissen vernünftige Zweifel darüber möglich seien, ob Schäden an Rechtsgütern eintreten oder ausbleiben werden, verlange die verfassungsrechtliche Schutzpflicht, dass staatliche Organe alle Anstrengungen unternähmen, um mögliche Gefahren jedenfalls möglichst frühzeitig zu erkennen, um diesen mit den erforderlichen Mitteln begegnen zu können. Wenn und soweit bei Schäden mit katastrophalen oder gar apokalyptischen Ausmaßen nachvollziehbare, wissenschaftlich entweder diskutierte oder jedenfalls fachlich nicht vollständig ausschließbare Möglichkeiten des Eintritts bestünden, sei die öffentliche Gewalt zu geeigneten Vorkehrungen oder bei eigener Beteiligung am risikosetzenden Verhalten zum Unterlassen verpflichtet. Demgegenüber begründe der bloße Verweis auf hypothetische Kausalverläufe jenseits derartiger vernünftiger Zweifel lediglich Restrisiken in dem Sinne, dass der Eintritt künftiger Schadensereignisse nie mit absoluter Sicherheit ausschließbar sei, weil hier Grenzen der empirisch überprüfbaren und theoretischer Argumentation zugänglichen Erkenntnisfähigkeit bestehen würden. Denn letzte Ungewissheiten jenseits der gegenwärtigen Erkenntnisfähigkeit seien in einer wissenschaftlich-technisch orientierten Gesellschaft grundsätzlich unentrinnbar und insofern als sozialadäquate Lasten von allen Bürgern zu tragen. Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG herzuleitende Schutzpflicht hindere die öffentliche Gewalt nicht, mit der Förderung wissenschaftlicher Forschungstätigkeit (Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG) insofern unentrinnbare Restrisiken in Kauf zu nehmen. Ansonsten wäre großexperimentelle Grundlagenforschung kaum möglich, weil sich im zu erforschenden Grenzbereich überraschende physikalische Wirkungen auslösende Ergebnisse nicht völlig ausschließen ließen. Allerdings treffe die Träger öffentlicher Gewalt eine Pflicht, Erkenntnisquellen auszuschöpfen und eine Risikoanalyse mit fachlicher Bewertung vorzunehmen. Diese Anforderungen dürften aber nicht zu Lasten der Forschungsfreiheit überspannt werden; sie dienten vielmehr dazu, den wissenschaftlichen Diskurs offen zu halten und seine Erkenntnisse nachzuvollziehen. Soweit die dafür zuständigen Verfassungsorgane oder entsprechende Stellen öffentlicher Verwaltung die fachlichen Abschätzungen verantwortlich vorgenommen hätten, fehle es den Gerichten an Maßstäben, ihre eigene Beurteilung jenseits praktischer Vernunfterwägungen an die Stelle des legislativen oder exekutiven Sachverstandes zu setzen.
65Vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 2010, a.a.O., juris Rn. 11 ff., in Fortführung der insbesondere in den Beschlüssen vom 8. August 1978 - 2 BvL 8/77 -, BVerfGE 49, 89 (Schneller Brüter Kalkar), vom 16. Dezember 1983 - 2 BvR 1160, 1565, 1714/83 -, BVerfGE 66, 39 (Stationierung von Pershing II und Cruise Missiles), vom 29. Oktober 1987 - 2 BvR 624, 1080, 2029/83 -, BVerfGE 77, 170 (Lagerung chemischer Waffen durch NATO-Staaten) entwickelten und den Beschlüssen der 3. Kammer des Ersten Senats vom 28. Februar 2002 -, NJW 2002, 1638, der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Januar 2007 - 1 BvR 382/05 -,NVwZ 2007, 805, (jeweils zu hypothetischen Gefahren des Mobilfunks) sowie der 3. Kammer des Ersten Senats vom 10. November 2009 - 1 BvR 1178/07 -, juris (Schacht Konrad) fortgeführten stRspr.
66Gehe es um die Vernachlässigung einer Schutzpflicht, sei der klagende Bürger nicht nur gehalten, schlüssig darzutun, dass die öffentliche Gewalt Schutzvorkehrungen entweder überhaupt nicht getroffen habe oder dass offensichtlich die getroffenen Regelungen und Maßnahmen gänzlich ungeeignet oder völlig unzulänglich seien, das Schutzziel zu erreichen. Vielmehr sei vorweg darzulegen, dass überhaupt eine Gefahr existiere. Dieses Schlüssigkeitserfordernis gelte auch, soweit eine Verantwortung staatlicher Stellen zur empirischen Widerlegung von Warnungen vor Schadensereignissen in Rede stehe. Der bloße Hinweis auf vereinzelt bleibende Warnungen genüge nicht, um eine gesteigerte staatliche Untersuchungs- oder gar Widerlegungspflicht anzunehmen. Soweit experimentelle Forschungsansätze betroffen seien, die im Wesentlichen auf theoretischen Erwägungen zu zentralen Grundfragen der modernen Physik aufbauten, seien jedenfalls solche Behauptungen unzureichend substantiiert, die lediglich eine Verantwortung staatlicher Stellen zur vorherigen, empirischen Widerlegung sämtlicher in der Öffentlichkeit diskutierter Warnungen vor (Groß-)Schadensereignissen einforderten. Die Substantiierung einer Verletzung verfassungsrechtlicher Schutzpflichten verlange für Warnungen, die weitreichende Schutzpflichten auslösen sollen, die Einhaltung gewisser Mindeststandards, jedenfalls die Beachtung des Schlüssigkeitserfordernisses. Ansonsten sei es für staatliche Stellen unmöglich, relevante Warnungen, denen sie prinzipiell nachzugehen haben, von irrelevanten hypothetischen Prophezeiungen zu unterscheiden,
67vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 2010, a.a.O., juris Rn. 15 f. unter Hinweis auf BVerfG, Beschluss vom 29. Oktober 1987, a.a.O., BVerfGE 77, 170 (215).
68b) Daran gemessen kann - zunächst ungeachtet der Frage des Bestehens der von der Klägerin behaupteten Gefahren - ein die Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aktualisierender rechtswidriger Eingriff eines Dritten,
69vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 2010, a.a.O., juris Rn. 11 mit w. Nachw.,
70mithin durch die Experimente des CERN, nicht schon deswegen angenommen werden, weil es an einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage für die Forschungstätigkeit fehlen würde. Selbst wenn für den hier betroffenen Bereich der astrophysikalischen Forschung und den Bereich der Grundlagenforschung auf dem Gebiet der Teilchenphysik mit - theoretisch betrachtet - möglicherweise weitreichenden Folgen nach dem Grundgedanken der Wesentlichkeitstheorie resp. dem Vorbehalt des Gesetz eine billigende Entscheidung des Gesetzgebers zu fordern wäre,
71vgl. insoweit für das Atomrecht, bei dem allerdings wegen der feststehenden Gefahren der friedlichen Nutzung der Kernenergie eine andere Ausgangslage gegeben war BVerfG, Beschluss vom 8. August 1978, a.a.O. BVerfGE 49, 89 (127),
72läge diese vor.
73Der parlamentarische Gesetzgeber hat die Einrichtung des CERN wie die Durchführung auch der hier in Rede stehenden Experimente sowohl dem Grunde nach als auch mit der gebotenen Bestimmtheit - dem betroffenen wissenschaftlichen Bereich geschuldet notwendigerweise "zukunftsoffen" -,
74zu den Anforderungen des Gesetzesvorbehalts an die Konkretisierung der parlamentarischen Grundentscheidung vgl. BVerfG, wie vor, BVerfGE 49, 89 (128 ff.),
75gebilligt. In dem genannten Abkommen vom 1. Juli 1953 über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung wird eingangs ausdrücklich festgehalten, dass die Vertragsstaaten ausdrücklich die "Errichtung eines internationalen Laboratoriums zur Durchführung eines abgestimmten Programms für rein wissenschaftliche Forschung und Grundlagenforschung über Teilchen hoher Beschleunigung" beabsichtigen. Dessen Ziel und Forschungsauftrag wurde in Art. II des Abkommens näher umschrieben und eingegrenzt. Dem Abkommen hat der Bundestag im September 1954 zugestimmt (vgl. Gesetz betreffend das Abkommen vom 1. Juli 1953 über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung vom 17. September 1954, BGBl. II, S. 1013).
76In der vom Rat der Organisation am 14. Dezember 1967 beschlossenen Änderung des Abkommens über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung (CERN) haben die Vertragsstaaten ausdrücklich an dem allgemeinen Ziel festgehalten sowie in Art. II Abs. 2 Buchstabe a) die Bestrebungen genauer umrissen, dass die Forschung auch mittels eines oder mehrerer Teilchenbeschleuniger erfolgen solle. Als Arbeitsprogramm wurden in Art. II Abs. 3 - dem damaligen Stand der Forschung Rechnung tragend - exemplarisch Programme genannt, die mit niedrigeren Energien als der LHC betrieben werden sollten (so ein Protonen-Synchrotron für Energien über 10 Gigaelektronenvolt <1010 eV> und ein Synchrozyklotron für Energien von 600 Millionen Elektronenvolt <6 x 108 eV> einschließlich Betriebs von sich kreuzenden Speicherringen, die mit den vorgenannten Protonen-Synchrotronen verbunden sind; vgl. Art. II Abs. 3 Buchstaben a) und b) des Abkommens). Gleichzeitig wurde der CERN in Art. II Abs. 3 Buchstabe d) des Abkommens aber auch zu jedem weiteren Programm im Sinne des Abs. 2, betreffend also auch Teilchenbeschleuniger wie den LHC - und insoweit zukunftsoffen - ermächtigt. Auch diesem Abkommen hat der Bundestag im Juni 1969 ausdrücklich zugestimmt (vgl. Gesetz zu den vom Rat der Organisation am 14. Dezember 1967 beschlossenen Änderungen des Abkommens vom 1. Juli 1953 über die Errichtung einer Europäischen Organisation für kernphysikalische Forschung (CERN) vom 25. Juni 1969, BGBl. II, S. 1197).
77Auch in der Folgezeit ist die Forschungstätigkeit im CERN und insbesondere auch der Betrieb des hier in Rede stehenden LHC nicht aus dem kontrollierenden Blick des Gesetzgebers geraten. So wird etwa regelmäßig in den "Bundesberichten Forschung" über die Experimente (und ihre Kosten) berichtet,
78vgl. etwa Bundesbericht Forschung 2006, BTDrucks 16/3910, S. 204 ff., 548; Bundesbericht Forschung und Innovation 2008, BTDrucks 16/9260, S. 449; Bundesbericht Forschung und Innovation 2010. BTDrucks 17/1880, S. 362.
79Auch ist der Betrieb des LHC Gegenstand der parlamentarischen Befassung jedenfalls in Fragestunden gewesen, so noch zuletzt Ende Januar 2010,
80vgl. BTDrucks 17/639 mit den Fragen und Antworten des Parlamentarischen Staatssekretärs vom 29. Januar 2010.
81Hingegen würde es eine Überspannung der Anforderungen des Gesetzesvorbehalts bedeuten, dass der parlamentarische Gesetzgeber auch zu den von der Klägerin behaupteten bzw. befürchteten Gefahren durch Miniatur Schwarze Löcher, Vakuumblasen, Magnetische Monopole oder Strangelets eine gesetzliche Grundentscheidung treffen müsste - allein für den in diesem und derzeitigem Stadium des Erkenntnisprozesses hypothetischen Fall, dass sie einträten.
82c) Die Klage hat aber vor allem deshalb keinen Erfolg, weil nach dem gesamten Vortrag der Klägerin nicht festgestellt werden kann, dass die behaupteten Gefahren im Sinne des vom Bundesverfassungsgericht aufgezeigten Maßstabs bestehen, so dass sich im Folgenden die Frage, ob die gegebenenfalls nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu fordernden Maßnahmen zur Wahrnehmung der grundgesetzlichen Schutzpflicht seitens der Beklagten getroffen wurden, nicht stellt; allerdings könnten letztere ohnehin nur in der Einstellung der Experimente bestehen.
83Von einer Grundrechtsgefährdung und erst recht einem Grundrechtseingriff kann nach dem gesamten Sachstand nicht ausgegangen werden. Dabei ist im Ausgangspunkt zum einen zu berücksichtigen, dass nach dem von der Klägerin beschworenen Gefahrszenario nur niedrige Anforderungen an die plausible Darlegung und Feststellung möglicher Gefahrenlagen zu stellen sind. Zum anderen ist hier aber in den Blick zu nehmen, dass die gesamte Diskussion um Voraussetzungen und Folgen der hier in Rede stehenden Experimente im LHC mit 2 TeV übersteigenden Energien weitgehend durch eine theoretische Auseinandersetzung ohne gesicherte experimentelle Basis geführt wird. Wissenschaftliche Streitfragen zu entscheiden, ist nicht Aufgabe der Gerichte,
84vgl. erneut BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 2010, a.a.O., juris, Rn. 19 f.
85Nach dieser Entscheidung muss der Staat bei der Risikoermittlung zwar alle vertretbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse in Erwägung ziehen, er muss dabei jedoch nicht jeder Meinungsäußerung auch entsprechen. Die hier vorzunehmende Abwägung der widerstreitenden Ansichten sei aufgrund der bestehenden Verteilung der Verantwortung zwischen den Gewalten der Exekutive zugewiesen, nicht aber den diese Abwägung nur kontrollierenden Gerichten, die eine wissenschaftliche Kontroverse nicht selbst entscheiden könnten. Objektive Zweifel, die das kontrollierende Gericht möglicherweise zu einer Beanstandung der von der Exekutive vorgenommenen Einschätzung veranlassen könnten, lägen nicht schon dann vor, wenn die in der Wissenschaft vorherrschende Meinung nicht in der Lage sei, eine auf rein theoretischen Überlegungen basierende Gegenauffassung zu falsifizieren, die vorliegend allein darauf hinweise, dass eine von ihr aufgezeigte Möglichkeit nicht empirisch widerlegt sei. Andernfalls läge nicht nur ein Einbruch in den Kompetenzbereich der Exekutive vor; angesichts der auf dem Gebiet der Kernphysik herrschenden ständigen Kontroverse wäre die Durchführung wissenschaftlicher Versuche schlechthin unmöglich. Die Exekutive dürfe sich auf das jeweils als wissenschaftlich bewährt geltende Wissen verlassen. Sie müsse keine Ansprüche auf darüber hinausgehende Gewissheiten erfüllen. Denn auch der Forschungsprozess erzeuge lediglich Wissen, das erfahrungsgestützt nur Annäherungswissen und ansonsten von konstruktiven Paradigmen abhängiges Wissen sei. Dieses Wissen vermittele keine volle Gewissheit, sondern sei prinzipiell durch jede neue Erfahrung oder den Nachweis widersprüchlicher Theoriebildung korrigierbar und befinde sich insofern immer nur auf dem neuesten Stand unwiderlegten möglichen Irrtums. Grundsatzentscheidungen über die Fortentwicklung dieses Wissens und die Zulassung von Forschung einschließlich der dadurch bedingten Unwägbarkeiten oblägen - allerdings unter Beachtung der von Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG gewährleisteten Freiheiten - auch im kernphysikalischen Bereich der politischen Verantwortung des Gesetzgebers und der Regierung,
86vgl. wiederum BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 2010, a.a.O., juris, Rn. 20, 22,
87weswegen der von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung als ausreichend erachtete "theoretische Gefahrenverdacht" als vor der Schwelle des Gefahrenverdachts liegend eben im Hinblick auf Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG nicht genügt, um die Schutzpflicht des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu aktualisieren.
88Die danach durch die Beklagte als Exekutive pflichtgemäß vorzunehmende Bewertung ist vorliegend erfolgt. Sie hält ein Gefährdungspotential des LHC nach dem Stand der Wissenschaft für ausgeschlossen. Der wissenschaftliche Meinungsstand zur Gefährlichkeit der von der CERN betriebenen Versuche lässt sich nach wie vor dahingehend zusammenfassen, dass selbst die Vertreter der Minderheit, die ein Schadensszenario für möglich halten, lediglich behaupten, dass die von ihnen aufgezeigten theoretischen Denkmodelle, die von einer Vielzahl unwägbarer Prämissen abhängen, bisher nicht widerlegt worden seien. Vor diesem Hintergrund fordern sie insbesondere - wie der in der mündlichen Verhandlung anwesende Prof. Rössler dort nochmals deutlich gemacht hat - eine fachwissenschaftliche Auseinandersetzung in Form einer Expertentagung, die sich mit den seitens der Klägerin behaupteten Gefahren beschäftigt. Eine solche Tagung durchzuführen, ist eine von der Beklagten zu beantwortende Frage der politischen Opportunität; sie kann aber nicht Folge einer gerichtlichen Entscheidung sein. Demgegenüber schließt die Mehrheit der mit dieser Frage befassten Wissenschaftler schon die Möglichkeit des Eintritts der von der Klägerin herangezogenen Prämissen aus. Entsprechende Szenarien sehen sie sogar als widerlegt an.
89Die Entscheidung der Beklagten, vor diesem Hintergrund die Experimente durchzuführen, ist nach dem dargelegten Maßstab nicht zu beanstanden. Die mit den Experimenten potentiell einhergehenden Risiken sind begleitend zur Entwicklung des Forschungsvorhabens und zur Vorbereitung seiner Verwirklichung durch von der CERN beauftragte Gremien und Experten naturwissenschaftlich analysiert und geprüft worden. Die Beklagte stützt sich zentral zum einen auf die beiden Sicherheitsreporte des CERN aus den Jahren 2003 und 2008 und die Erfahrungen aus dem Betrieb des RHIC sowie eine vergleichende Bewertung von kosmischen Ereignissen. Des Weiteren verweist sie auf die nach Bekanntwerden der Thesen Rösslers, Plagas etc. geführte Diskussion. Das Ergebnis der Beklagten, die Unbedenklichkeit der Experimente, hält der gerichtlichen Kontrolle stand.
90Im Einzelnen gilt folgendes:
91In den beiden Sicherheitsberichten des CERN aus den Jahren 2003 und 2008 sind die behaupteten Gefahren durch das Entstehen von kleinen Schwarzen Löchern, Strangelets, neuen Vakuumblasen und Magnetischen Monopolen im Einzelnen untersucht und verneint worden. Maßgeblich war insbesondere das - immer wieder zentrale - Argument, dass im LHC letztlich nichts anderes geschehe als tagtäglich im Weltall - und zwar mehr als 10 Millionen Millionenmal pro Sekunde - und Sterne und Galaxien weiter existieren würden. In den vergangenen Jahrzehnten sei die in Teilchenbeschleunigern erreichte Energie stetig erhöht worden, doch liege sie noch immer weit unterhalb der Energie, die in den höchstenergetischsten kosmischen Strahlen erreicht werde. Insbesondere kleine Schwarze Löcher könnten nach den allgemein vertretenen Gravitationstheorien, wie sie in der Allgemeinen Relativitätstheorie Einsteins beschrieben würden, im LHC schon nicht entstehen. Selbst wenn man den Theorien über die Möglichkeit der Entstehung solcher kleinen Schwarzen Löcher folge, würden diese aber aufgrund elementarer physikalischer Prinzipien, über die Einvernehmen herrsche, sofort zerfallen und hätten keine Gelegenheit, Materie zu akkretieren. Ein anderes theoretisches Ergebnis - so wie es die Klägerin für möglich hält - würde nach dem Bericht 2008 der LHC Safety Assessment Group (LSAG) voraussetzen, dass ein grundlegendes Prinzip der Quantenmechanik - welche die Grundlage der Naturgesetze bilde - verletzt würde, um die Zerfallsrate eines solchen Schwarzen Lochs gegenüber seiner Produktionsrate zu unterdrücken, und/oder eine Verletzung der Allgemeinen Relativitätstheorie voraussetzen, um die Hawkingstrahlung zu unterdrücken. Selbst wenn man die im Vergleich zu den galaktischen Verhältnissen relevanten Unterschiede bei den Experimenten im LHC berücksichtige, also insbesondere die niedrigere kinematische Energie der Protonenstrahlen - und folglich auch der möglicherweise entstehenden kleinen Schwarzen Löcher - und die den LHC umgebende feste Materie, sei eine Gefährdung auszuschließen.
92Strangelets, verstanden als seltsame Materie, könnte ebenfalls nicht entstehen. Dies zeigten schon die Forschungsergebnisse bei dem seit langen Jahren im Betrieb befindlichen Teilchenbeschleuniger Relativistic Heavy Ion Collider in Brookhaven (RHIC); dort seien solche Strangelets - die nach dem Vortrag der Klägerin zu einer rapiden Vernichtung der Welt führen müssten - nicht festgestellt worden. Im Vergleich mit dem RHIC ergäben Berechnungen für Schwerionenkollisionen am LHC eine vergleichbare effektive Temperatur und eine niedrigere Nettobaryonendichte. Dies bedeute, dass, falls sie überhaupt existierten, Strangelets am LHC weniger häufig produziert würden, als am RHIC. Im Übrigen sei diese Seltsame Materie, insbesondere die Strange Quarks, ein rein hypothetischer Materiezustand; alle weiteren - hier von der Klägerin gezogenen Folgerungen - beruhten auf theoretischen Studien, sehr hypothetischen Konstellationen und Szenarien. Auch insoweit sei auf vergleichbare Verhältnisse im Kosmos hinzuweisen. Die Häufigkeit von Schwerionenkollisionen zwischen kosmischen Strahlen im interstellaren Raum sei bekannt. Falls in diesen Kollisionen Strangelets erzeugt würden, so würden diese über Akkretion in Sterne aufgenommen, und jedes großskalige Anwachsen von Strangelets würde zur Explosion von Sternen führen. Letzteres werde aber nicht beobachtet.
93Die weiter behauptete Gefahr durch so genannte Magnetische Monopole bestehe ebenfalls nicht. Diese bislang rein theoretische Erscheinung könnten durch den Betrieb des LHC nicht erzeugt werden. Auch insoweit sei auf die parallelen kosmischen Verhältnisse zu verweisen. Das Fortbestehen der Erde und anderer astronomischer Körper trotz des über Jahrmilliarden währenden Beschusses mit kosmischer Strahlung führe daher zu der Schlussfolgerung, dass kein solches Magnetisches Monopol Protonenzerfall in bedeutsamer Größenordnung katalysieren könne. Nichts anderes gelte für die angebliche Gefahr durch Vakuumblasen.
94Vgl. zum Vorstehenden im Einzelnen Ellis, John/Giudice, Gian/ Mangano, Michelangelo/Tkachev, Igor/Wiedemann, Urs, Bewertung der Sicherheit von Teilchenkollisionen am LHC, LHC Safety Assessment Group, http://lsag.web.cern.ch/lsag/LSAG-Report-German.pdf
95Dass die Beklagte in der Sicherheitsuntersuchung durch die LSAG hierbei vornehmlich denjenigen Wissenschaftlern, die gleichzeitig Verantwortung tragen für die Durchführung der Experimente und für ihr Gelingen, eine ganz wesentliche Rolle zugewiesen hat, erklärt sich ohne weiteres aus deren nicht fraglicher - und auch von der Klägerin nicht bestrittener - fachlicher Kompetenz, ihrem spezifischen Fachwissen sowie der Notwendigkeit, dass für die aussagekräftige Befassung mit dem Vorhaben nur hochspezialisierte Wissenschaftler in Frage kommen, die nur eingeschränkt verfügbar sind. Es liegt in der Natur von Vorhaben der Grundlagenforschung gerade auch zu Grenzbereichen menschlichen Wissens - ebenso wie von Vorhaben hochkomplexer Technik -, dass auch das unter Risikoaspekten benötigte fachliche Wissen gerade bei denjenigen vorhanden ist, die in einer gewissen Nähe zu dem Vorhaben stehen. Deren Objektivität und Verlässlichkeit kann von den in staatlicher Verantwortlichkeit Entscheidenden grundsätzlich als durch den Prozess der wissenschaftlichen Diskussion unter Einbeziehung sämtlicher wissenschaftlicher Meinungen sichergestellt betrachtet werden. Es ist nicht zweifelhaft, dass das Vorhaben auch in seiner Tragweite für möglicherweise ausgelöste Risiken Gegenstand des fachlichen, wissenschaftlichen Meinungsaustausches war und noch ist,
96worauf zu Recht das OVG NRW im Beschluss vom 11. November 2008 - 20 B 1433/08 -, Beschlussabdruck (BA) S. 8 f. hinweist.
97Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass bei der vorgenommenen Risikoabschätzung relevante Risiko- oder Schadenszenarien von vornherein ausgeblendet worden sind, sind nach wie vor weder dargetan worden noch sonst ersichtlich. Gleiches gilt, was die fachlich kompetente, naturwissenschaftlichen Maßstäben genügende Herangehensweise bei der Beurteilung der Szenarien und der Ableitung der Ergebnisse angeht. Namentlich sind das von der Klägerin im Anschluss vor allem an Prof. Rössler in den Vordergrund gestellte Entstehen schwarzer Löcher und dessen Folgen betrachtet worden. Ferner in den Blick genommen worden sind die ebenfalls von der Klägerin angesprochenen Strangelets und magnetischen Monopole sowie der neue Vakuum-Zustand. Die Überprüfung hat zu der uneingeschränkten Aussage geführt, dass die Experimente die von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützten Rechtsgüter nicht gefährden; vorgetragene Warnungen werden für haltlos erachtet. An dieser Einschätzung hat der CERN bzw. haben die innerhalb dieser Organisation mit der Beurteilung der Risiken Befassten in Kenntnis von und in Auseinandersetzung mit fachlichen kritischen Stellungnahmen insbesondere unter anderem von Prof. Rössler, Dr. Plaga und Belinski festgehalten; auch andere Naturwissenschaftler haben sich durch eigene Stellungnahmen an dem Meinungsaustausch beteiligt. So ist insbesondere die zentrale These Rösslers, der die Schwarzschildmetrik uminterpretiert, Gegenstand einer wissenschaftlichen Stellungnahme gewesen; Ergebnis der Stellungnahme war, dass die These Rösslers inkonsistent und das zentrale Argument nicht stichhaltig sei,
98vgl. Giulini/Nicolai, Zu den Ausführungen O. E. Rösslers, http:// www.ketweb.de/stellungnahmen/20080730_Antwort_von_ Prof_Dr_Hermann_Nicolai_und_Prof_Dr_Domenico_Giulini.pdf.
99Die intensive fachliche Erörterung der Experimente und ihrer denkbaren Risiken zeigt sich beispielsweise auch in der Ausarbeitung der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages vom September 2008,
100Das LHC-Projekt am CERN: Gefahr durch Schwarze Löcher? Mögliche Umweltauswirkungen des neuen Beschleuniger-Projekts am CERN, 2008, veröffentlichte etwa http://www.bundestag.de/ dokumente/analysen/2008/LHC-Projekt.pdf
101Letztere belegt zugleich, dass die Verneinung vorhabenbedingter Risiken, wie sie von der Klägerin vorgebracht werden, jedenfalls wissenschaftlich abgesichert ist.
102Anlass, an der Objektivität der Mitglieder der LSAG und an der wissenschaftlichen Vertretbarkeit ihrer Thesen zu zweifeln, besteht nicht. Insofern ist zunächst darauf hinzuweisen, dass der Bericht aus dem Jahr 2008 einem so genannten Peer Review durch vom CERN unabhängige Fachwissenschaftler in Hinsicht auf Methodik und Stichhaltigkeit unterzogen worden ist, wobei sich kein Grund für Beanstandungen ergeben hat. Des Weiteren müssten die Mitglieder der LSAG bei unhaltbaren oder inkonsistenten Ergebnissen nicht nur befürchten, ihre auch von der Klägerin nicht in Zweifel gezogene wissenschaftliche Reputation zu verlieren, sondern darüber hinaus ihr Leben, falls die von der Klägerin behaupteten Gefahren bestünden. Weiter ist in den Blick zu nehmen, dass die Experimente im CERN/LHC einer vielfältigen, durch die Organisation und Finanzierung bedingten Begleitung durch die Regierungen und die Parlamente der beteiligten Staaten unterliegen. Dadurch ist gewährleistet, dass Zielsetzung und Umsetzung des Forschungsprogramms weder bestimmten Einzelvorstellungen auf der Basis von bloßem Wissens- oder Machtdrang noch unkontrolliertem Herumexperimentieren in einem quasi in camera betriebenen Labor dienen. Das Bekanntwerden und öffentliche Diskutieren der von der Klägerin in anderem Zusammenhang aufgegriffenen Pannen im LHC belegen deutlich, dass es nicht um Forschen in einem abgeschlossenen Zirkel geht und gehen soll,
103worauf schon das OVG NRW in seinem die Beschwerde der Klägerin gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe zurückweisenden Beschluss vom 29. Dezember 2009 - 20 E 963/09 -, BAS S. 6, hinweist.
104Auch soweit die Klägerin sich in jüngerer Zeit auf Beobachtungen des Astronomen Famaey, Ausführungen von Eric Penrose zu den Strangelets bzw. abzuwartende neuere Erkenntnisse des Pierre-Auger-Observatoriums zu den kosmologischen Prämissen oder kürzlich auf eine Stellungnahme eines Herrn Uebbing und von Sir Marin Rees beruft, reicht dies nicht aus, um das Bestehen einer Gefahr nach dem eingangs aufgezeigten Maßstab zu belegen. Denn dabei handelt es sich zum einen (Uebbing) schon nicht um Stellungnahmen von Fachwissenschaftlern, sondern eines von in diesem Zusammenhang sicher nicht zu berücksichtigenden "physikalisch interessierten Laien" (so die Formulierung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin im Schriftsatz vom 25. Januar 2011). Auch soweit die Klägerin sich auf Rees beruft, ist - neben dem generellen Umstand, dass es sich nach wie vor um eine auf theoretischer Basis geführte, von vielen nicht empirisch erwiesenen Grundannahmen ausgehende Diskussion handelt - darauf hinzuweisen, dass nach dem von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Ausdruck eines Zeitungsartikels vom 5. September 2008 Rees sich von der Vereinnahmung durch die LHC-Gegner distanziert und darauf hingewiesen hat, dass er dem zweiten Sicherheitsbericht folge. Nichts anderes gilt für den in dem genannten Schriftsatz aus dem Januar dieses Jahres genannten Artikel von Zaun; auch dieser Autor hat sich ausdrücklich von den Thesen Rösslers distanziert. Die Gefahren, die Gegenstand des Vorbringens der Klägerin aus jüngerer und jüngster Zeit sind, sind bereits im LSAG-Bericht aus dem Jahr 2008 eingehend betrachtet worden. Die Klägerin kann nicht verlangen, dass ständig neu aktualisierte förmliche Sicherheitsberichte im Jahres-, Quartals- oder gar Monatsrhythmus veröffentlich werden - auch wenn selbstverständlich die Experimente am CERN gerade im Hinblick auf die hier in Rede stehenden, von der Klägerin beschworenen Gefahrszenarien unter ständiger Kontrolle der Fachwissenschaftler des CERN wie der diese ständig über das World-Wide-Web begleitenden übrigen Fachwissenschaftler sind. Im Übrigen reicht es nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im vorhergehenden Eilverfahren nicht aus, lediglich pauschale Einwände gegen von der herrschenden Wissenschaft als selbstverständliche Basis betrachtete Bereiche wie etwa die Tauglichkeit von Ableitungen aus astrophysikalischen Erkenntnissen mittels aus dem Gesamtgefüge herausgebrochenen Einzelheiten zu erheben.
105Die wissenschaftlich-theoretisch geprägte Kontroverse im Hinblick auf die Pflichten aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu bewerten und darauf basierende Entscheidungen zu treffen, obliegt aber - wie aufgezeigt - der Beklagten. Es kann nicht festgestellt werden, dass sie dieser Aufgabe bislang nicht im gebotenen Umfang nachgekommen ist oder in Zukunft nicht nachkommen wird. Gerade die breite, weltweite Verankerung und dadurch gewährleistete Beobachtung der Experimente am CERN durch die Fachwissenschaft sichert - neben dem urmenschlichen Instinkt, nicht die eigene Existenz aufs Spiel zu setzen - die Feststellung, dass die Wertung der Beklagten, die Experimente würden nicht die von der Klägerin behaupteten Gefahren bergen, nicht zu beanstanden ist. Der Schutzanspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gibt den Anspruch auf eine Risikobewertung durch die Exekutive auf der Basis des als wissenschaftlich bewährt geltenden Wissens, nicht aber auf darüber hinausgehende Gewissheiten. Eine andere Wertung würde das Ende wissenschaftlicher Forschung bedeuten,
106vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 2010, a.a.O., Rn. 13, 22, 25.
107d) Dem von der Klägerin schließlich noch betonten, europarechtlich verankerten Vorsorgeprinzip,
108vgl. dazu Mitteilung der Kommission [sc. betreffend] die Anwendbarkeit des Vorsorgeprinzips/* KOM/2000/0001 endg. */, juris,
109lassen sich gegenüber der grundgesetzlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG keine niedrigeren Anforderungen an das Vorliegen einer Gefahr oder höhere Voraussetzungen betreffend die Vorsorgemaßnahmen entnehmen. Auch insoweit bedarf es zunächst der Darlegung einer Gefahr, wie sich aus Ziffer 5.1.3 am Ende der Mitteilung der Kommission mit der gebotenen Deutlichkeit ergibt:
110"Ein Rückgriff auf das Vorsorgeprinzip setzt voraus,
111- dass die möglichen negativen Folgen eines Phänomens, eines Produkts oder eines Verfahrens ermittelt worden sind; ..."
112Daran fehlt es nach dem vorstehend zu c) Ausgeführten. Im Übrigen ist hinsichtlich des Vorsorgeprinzips auf die Darlegungen des OVG NRW im Prozesskostenhilfeverfahren zu verweisen,
113OVG NRW, Beschluss vom 29. Dezember 2009 - 20 E 963/09 -,
114auf die zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich Bezug genommen wird.
1152. Auch den wegen der Erfolglosigkeit des Hauptantrags zur Entscheidung des Gerichts gestellten Hilfsanträgen bleibt aus den unter 1. im Einzelnen dargestellten Gründen der Erfolg jedenfalls in der Sache versagt. Überdies gewährleistet Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG keinen Anspruch auf Ausschluss jedes vorstellbaren Risikos, jedenfalls nicht in Gestalt einer verfassungsrechtlichen Verpflichtung des Staates zur empirischen Widerlegung jeglicher Warnungen vor denkbaren Schadensereignissen,
116vgl. BVerfG, Beschluss vom 18. Februar 2010, a.a.O., juris Rn. 10.
117Offen bleiben kann daher, ob die Hilfsanträge bereits unzulässig sind, weil der von der Klägerin geforderte "empirische" Nachweis angesichts der überwiegend theoretisch geprägten Diskussion der behaupteten Gefahrszenarien auf etwas Unmögliches gerichtet ist oder der Schutzanspruch aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG kein Recht auf Widerlegung von behaupteten Gefahren geben kann, womit auch für die Hilfsanträge die Klagebefugnis im Sinne von § 42 Abs. 2 VwGO zu verneinen wäre.
118Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
119Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 VwGO i. V. m. § 708 Nr. 11, § 711 der Zivilprozessordnung.
120Anlass, die Berufung zuzulassen, bestand nicht, § 124a Abs. 1 VwGO.