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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten des beigeladenen Landes trägt der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks Y.-straße xx (Gemarkung C., Flur xx, Flurstück xx) in C.. Das etwa 16.500 qm große Außenbereichsgrundstück besteht größtenteils aus unbebautem Weideland und liegt in dem durch den Landschaftsplan des Kreises festgesetzten Landschaftsschutzgebiet Nr. 1; der Flächennutzungsplan der Beklagten stellt „Fläche für die Landwirtschaft“ dar. Im vorderen Bereich des Grundstücks stehen ein Wohngebäude und mehrere Nebengebäude auf, die in der Vergangenheit teilweise landwirtschaftlich genutzt worden sind.
3Das Grundstück verfügt – gemeinsam mit dem angrenzenden Grundstück Nr. xx – über eine Zufahrt zur Y.-straße, einer Bundesstraße (B xxx), die hier ausweislich der letzten Verkehrszählung (2021) von 7.384 Kraftfahrzeugen pro Tag (Durchschnitt Bundesstraßen in NRW: 10.245 Kfz/Tag) genutzt wird. Entlang der Bundesstraße verläuft auf der nördlichen Seite ein in beide Richtungen nutzbarer Geh- und Radweg. Westlich der Zufahrt beginnt eine leichte Kurve. Rund 300 m weiter östlich finden sich das Ortseingangsschild und die erste zusammenhängende Bebauung von C.. Für den fraglichen Straßenabschnitt sind eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 70 km/h sowie ein Überholverbot für Fahrzeuge aller Art (ausgenommen das Überholen landwirtschaftlicher Fahrzeuge) angeordnet.
4Weitere Einzelheiten sind dem nachfolgenden Kartenausschnitt zu entnehmen:
5[Bilddarstellung wurde entfernt]
6Anfang 2010 beantragte der Kläger die Baugenehmigung für den Neubau eines Ersatzwohngebäudes mit Garage und den Umbau eines landwirtschaftlichen Betriebsgebäudes zu einer Wohnung. Die Landwirtschaftskammer erteilte im März 2010 die Auskunft, dass seit jeher ein landwirtschaftlicher Nebenerwerbsbetrieb (derzeit Geflügel- und Pferdehaltung) mit einer Betriebsfläche von rund vier Hektar geführt werde. Die Baugenehmigung wurde im Jahre 2011 erteilt. Anschließend entstanden die heutigen Wohneinheiten Haus-Nr. xx und xx.
7Im Dezember 2022 beantragte der Kläger die Erteilung eines Bauvorbescheides für die „Nutzungsänderung eines landwirtschaftlichen Gebäudes in Wohnnutzung 1 WE“. Das Vorhaben betrifft die Umnutzung einer im Jahre 1953 errichteten Scheune im hinteren Teil des Gebäudekomplexes. Als Fragestellung der Bauvoranfrage war neben der vorgenannten Nutzungsänderung angegeben: „Zufahrt B xxx“.
8In einer beigefügten „landwirtschaftlichen Betriebsbeschreibung“ wurden die vorhandene Weidefläche mit 2,8 ha und der Tierbestand mit „zwei Reitpferde“ angegeben. Es sollte sich um einen Nebenerwerbsbetrieb handeln. Angaben zu erzielten oder geplanten Einnahmen wurden indes nicht gemacht.
9Die Landwirtschaftskammer NRW teilte unter dem 26. April 2023 mit, landwirtschaftliche Belange stünden dem Vorhaben nicht entgegen. Das Vorhaben sei aus ihrer Sicht nach § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB (Baugesetzbuch) zu beurteilen. Auch der Kreis Unna (FB Mobilität, Natur und Umwelt) erklärte, unter bestimmten Voraussetzungen (u.a. Artenschutzprüfung, Vermeidung bzw. Kompensation von Eingriffen, Beseitigung ungenehmigter Nebenanlagen) könne dem Vorhaben zugestimmt werden.
10Der von der Beklagten beteiligte Landesbetrieb R. („U.“) erklärte hingegen unter dem 2. Mai 2023, die erforderliche straßenrechtliche Zustimmung werde nicht in Aussicht gestellt. Das Grundstück sei über eine direkte Zufahrt zur Bundesstraße B xxx erschlossen. Die Nutzungsänderung führe zu einer höheren Frequentierung der Zufahrt und bedeute somit eine zusätzliche Beeinträchtigung der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs. Die Forderung, dass Bundesstraßen ein zusammenhängendes Verkehrsnetz bilden und mit überregionaler Bedeutung einem weiträumigen Verkehr dienen, stehe im Vordergrund. Im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs liege es insbesondere, Ablenkungen des fließenden Verkehrs durch bauliche Anlagen zu vermeiden und die Bundesstraßen außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten von Zufahrten und Zugängen freizuhalten. Den Verkehrsfluss nachteilig beeinflussende und gefahrerhöhende Umstände sollten vermieden werden.
11Im Oktober 2023 führte die Beklagte eine Ortsbesichtigung durch, bei der auch Vertreter der beteiligten Fachbehörden zugegen waren. Der Kläger konnte bei diesem Termin laut Protokoll der Beklagten überzeugend darlegen, dass die Gebäude früher einem landwirtschaftlichen Nebenerwerbsbetrieb gedient haben. Der Vertreter der Straßenbehörde hielt allerdings an deren Bedenken fest und erklärte, bereits ein einziges zusätzliches Fahrzeug gefährde die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs, weil sich die Zufahrt in einer Kurvensituation befinde und ein Geh- und Radweg vor der Zufahrt verlaufe. Die Vertreterin der unteren Naturschutzbehörde des Kreises erklärte, dem Vorhaben könne erst zugestimmt werden, wenn die ungenehmigten Schuppen, Überdachungen und Materiallager beseitigt worden seien.
12Im Nachgang zu den Erörterungen im Ortstermin bot der Kläger durch seinen Architekten an, dass die Zufahrt zur Bundesstraße auf einer Länge von 10 m mit einer Breite von 6 m (zweispurig) ausgebaut wird, um Stauungen und entsprechende Bremsmanöver auf der Bundesstraße zu vermeiden, und dass eine Einfahrt auf das Grundstück nur aus Richtung C. und eine Abfahrt nur in Richtung I. zugelassen wird, damit der Gegenverkehr nicht gekreuzt wird.
13Die Straßenbehörde teilte unter dem 27. Oktober 2023 mit, ihre ablehnende Stellungnahme habe weiterhin Bestand.
14Mit Bescheid vom 31. Januar 2024 lehnte die Beklagte die Erteilung des beantragten positiven Bauvorbescheides ab. Zur Begründung führte sie aus, dem Vorhaben stehe das Fehlen einer Zustimmung nach § 9 Abs. 3 Bundes-Fernstraßengesetz (FStrG) entgegen. Die Versagung sei wegen der Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs notwendig. Die Nutzungsänderung führe zu einer höheren Frequentierung der Zufahrt und damit zu einer Beeinträchtigung des Verkehrsflusses. Die Y.-straße sei als Vorfahrtsstraße ausgewiesen und die zulässige Höchstgeschwindigkeit auf 70 km/h begrenzt. Die Zufahrt befinde sich in unmittelbarer Nähe eines Kurvenbereichs, was die Sichtverhältnisse erschwere. Zudem werde den Verkehrsteilnehmern hier wegen des Fuß- und Radweges besondere Aufmerksamkeit abverlangt. Das Grundstück verlassende Fahrzeuge könnten unter Umständen erst spät erkannt werden, was zu unvermittelten Bremsmanövern und Auffahrunfällen führen könne.
15Am 15. Februar 2024 hat der Kläger Klage erhoben.
16Er trägt zur Begründung vor: Die ablehnende Haltung der Straßenbehörde sei nicht nachvollziehbar. Der Hinweis auf den vorhandenen Geh- und Radweg sei schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil es einen solchen an vielen Bundesstraßen gebe und die generelle Verweigerung von Zufahrten nicht vom Gesetzgeber gewollt sei. Das Grundstück befinde sich auch nicht in einer „Kurvenlage“, vielmehr beginne etwa 100 Meter westlich eine leichte Krümmung mit einem Winkel von 16 Grad. Nicht einmal eine durchgezogene Linie in der Straßenmitte sei angebracht. Schon gar nicht handele es sich um einen Unfallschwerpunkt. Fahrzeuge, die sich von C. aus näherten, hätten auf Höhe seines Grundstücks noch gar nicht die zulässige Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h erreicht. Die Erklärung, bereits ein einziges zusätzliches Fahrzeug führe zu einer Erhöhung der Gefahr und damit zur Ablehnung, deute auf einen Mangel bei der Abwägung mit den Rechten des Eigentümers hin, der sein Grundstück nicht entsprechend seinen Wünschen entwickeln und nutzen könne. Auch der bestehende Wohnraummangel werde von der Straßenbehörde nicht berücksichtigt. Mit den von ihm eingebrachten Kompromissvorschlägen habe die Behörde sich überhaupt nicht befasst. Die Nutzung der B xxx im fraglichen Bereich sei mit 7.384 Kfz pro Tag unterdurchschnittlich und deutlich geringer als diejenige in anderen Fällen dieser Art, die in der Rechtsprechung behandelt worden seien. Schon wegen der geringen Verkehrsdichte habe die Zustimmung erteilt werden müssen. Die im Baurecht vorgesehenen Möglichkeiten der Außenbereichsbebauung würden durch eine derart rigide Entscheidungspraxis der Straßenbehörde konterkariert. Die zusätzliche Wohneinheit solle durch seinen Sohn und dessen Ehefrau genutzt werden, auch um die spätere Pflege der Eltern zu erleichtern; insoweit sei der verfassungskräftige Schutz der Familie berührt. Da der Sohn und die Schwiegertochter ihn und seine Frau bereits jetzt regelmäßig besuchten und dies nach der Geburt ihres Kindes noch häufiger geschehen werde, sei der zu erwartende Verkehr ohne die zusätzliche Nutzungseinheit eher höher.
17Der Kläger beantragt,
18den ablehnenden Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2024 (Nutzungsänderung zu Wohnnutzung, Y.-straße xx, xxxx C., Az. xx-xx) aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut über den Antrag auf Nutzungsänderung (Bauvoranfrage vom 21. Dezember 2022) zu entscheiden.
19Die Beklagte stellt keinen Antrag.
20Sie verweist auf den Vortrag des beigeladenen Landes.
21Das beigeladene Land stellt keinen Antrag.
22Der das Land vertretende Landesbetrieb wiederholt seinen Vortrag aus dem Verwaltungsverfahren und trägt ergänzend vor: Der Anbaubeschränkung des § 9 Abs. 2 FStrG und der Bedeutung der Bundesstraße für den weiträumigen überörtlichen Verkehr sei vorliegend korrekt Rechnung getragen worden. Das geplante Vorhaben befinde sich in einer Kurvenlage. Die Verkehrsdichte betrage 7.384 Kfz (davon 388 Lkw) am Tag, was zwar unter dem Durchschnitt liege, aber als hoch einzustufen sei. Die zulässige (und damit grundsätzlich auch gebotene) Geschwindigkeit betrage 70 km/h und es sei – am Ortseingang C. bzw. an der Einmündung des Strandweges beginnend – ein Überholverbot für Kraftfahrzeuge aller Art angeordnet. Durch den Geh- und Radweg sei die Situation zusätzlich erschwert. Im Herbst 2023 habe sich in unmittelbarer Nähe des Antragsgrundstücks ein Unfall ereignet, bei dem zwei Schwerlastfahrer einander im Kurvenbereich die Außenspiegel abgefahren hätten. Es bestehe die erkennbare Möglichkeit, dass die mit dem Scheunenausbau verbundenen Auswirkungen den Verkehrsablauf und -fluss auf der B xxx beeinträchtigten oder sogar gefährdeten. Es entstünden zusätzliche Ein- und Ausfahrtsverkehre durch die Bewohner, die Besucher sowie den Post- und Anlieferverkehr. Dies berühre die Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs und habe Einfluss auf den Verkehrsablauf. Eine Abwägung habe stattgefunden. Das Wohl der Verkehrsteilnehmer und Straßennutzer stehe über den Eigentümerinteressen des Klägers. Auch die durch den Kläger angebotenen Maßnahmen änderten daran nichts.
23Der Berichterstatter hat am 5. Juni 2025 einen Ortstermin durchgeführt. Wegen der Einzelheiten wird auf das Terminsprotokoll Bezug genommen.
24Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge ergänzend Bezug genommen.
25Entscheidungsgründe
26Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
27Die mit Bescheid der Beklagten vom 31. Januar 2024 erfolgte Ablehnung ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 VwGO); der Kläger hat keinen Anspruch auf Erteilung des beantragten positiven Bauvorbescheides.
28Ein positiver Bauvorbescheid zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ist gemäß § 77 Abs. 1 i.V.m. § 74 Abs. 1 Bauordnung (BauO) NRW 2018 zu erteilen, wenn dem Vorhaben insoweit keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen.
29Vorliegend bezieht sich die Bauvoranfrage zunächst auf die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens. Darüber hinaus wird im Antragsformular aber auch die „Zufahrt [zur] B xxx“ zum Gegenstand der Voranfrage gemacht. Damit umfasst diese auch die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 9 Abs. 2 und 3 FStrG, was der Prozessbevollmächtigte des Klägers auf Nachfrage ausdrücklich bekräftigt hat.
30Die Einbeziehung dieser straßenrechtlichen Frage in die Bauvoranfrage begegnet keinen Bedenken. Denn ohne die Zustimmung der obersten Landesstraßenbaubehörde darf die Beklagte nach § 9 Abs. 2 FStrG eine Baugenehmigung für das Vorhaben nicht erteilen. Die Beteiligung erfolgt dabei behördenintern; der Bauherr kann die Zustimmung daher nicht unmittelbar in einem Klageverfahren gegen die Straßenbehörde erstreiten, sondern muss gegebenenfalls Verpflichtungsklage auf Erteilung der Baugenehmigung erheben.
31Vgl. nur Grupp, in: Marschall, FStrG, Kommentar, 6. Aufl. 2012, § 9 Rn. 36 f. mit weiteren Nachweisen.
32Vor diesem Hintergrund entspricht es Sinn und Zweck des Vorbescheidsverfahrens, dass die Zulässigkeit nach § 9 Abs. 2 und 3 FStrG auch zum Gegenstand einer Voranfrage gemacht werden kann.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 16. November 2001 - 7 A 3625/00 -, juris.
34Die so verstandene Bauvoranfrage war abzulehnen, weil dem Vorhaben § 9 Abs. 2 FStrG entgegensteht.
35Gemäß § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 FStrG bedarf die Erteilung einer Baugenehmigung der Zustimmung der obersten Landesstraßenbaubehörde, wenn bauliche Anlagen auf Grundstücken, die außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrten über Zufahrten oder Zugänge an Bundesfernstraßen unmittelbar oder mittelbar angeschlossen sind, erheblich geändert oder anders genutzt werden. Dass es sich vorliegend um einen außerhalb der zur Erschließung der anliegenden Grundstücke bestimmten Teile der Ortsdurchfahrt liegenden Abschnitt der B xxx handelt, steht außer Zweifel. Das Baugrundstück ist durch eine Zufahrt unmittelbar an diesen Abschnitt angeschlossen. Ob die in Rede stehende Scheune „erheblich geändert“ werden soll, mag dahinstehen. Sie soll jedenfalls „anders genutzt“ werden. Bei der Tatbestandsalternative der Nutzungsänderung fehlt das einschränkende Merkmal „erheblich“; auch sie erfüllt den Tatbestand des § 9 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 FStrG allerdings nur, wenn straßenrechtliche Belange zumindest berührt sind.
36Vgl. Bender, in: Müller/Schulz (Hrsg.), FStrG, 3. Aufl. 2022, § 9 Rn. 53; Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 592.
37Dies ist vorliegend der Fall. Denn die Änderung der Nutzung des in Rede stehenden Gebäudes von „Scheune“ in „Wohnhaus“ bringt ersichtlich zusätzlichen Quell- und Zielverkehr mit sich.
38Die Zustimmung darf nach § 9 Abs. 3 FStrG nur versagt oder mit Bedingungen und Auflagen erteilt werden, soweit dies wegen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs, der Ausbauabsichten oder der Straßenbaugestaltung nötig ist. Es handelt sich insoweit um eine Tat- und Rechtsfrage, die in vollem Umfang der gerichtlichen Prüfung und Entscheidung unterliegt; ein Beurteilungs- oder Ermessensspielraum der Straßenbaubehörde ist nicht gegeben.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 1963 - 1 C 247.58 -, juris Rn. 31; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 16. Juli 2024 - 7 A 7/24 -, juris Rn. 32; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Mai 2019 - 8 K 774/17 -, juris Rn. 75; Grupp, in: Marschall, FStrG, Kommentar, 6. Aufl. 2012, § 9 Rn. 35.
40Vorliegend ist die Versagung der Zustimmung wegen der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs nötig.
41Das Zustimmungserfordernis dient nicht allein der Abwehr von Gefahren im engeren (polizei- und ordnungsrechtlichen) Sinne. Zwar soll die Vorschrift auch verhindern, dass im Einzelfall bereits bestehende Gefahren erhöht werden oder neue Gefahren entstehen und so die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts mindern. Sie geht jedoch über das Ziel der reinen Gefahrenabwehr hinaus, indem sie den normalen Verkehrsablauf in den Blick nimmt und schützt, ohne dass etwa zwingend bereits die Wahrscheinlichkeit von Verkehrsunfällen bestehen muss; eine konkrete Verkehrsgefährdung ist also nicht erforderlich. Der reibungslose und ungehinderte Verkehr soll vielmehr ebenfalls sichergestellt werden. Die Beschränkungen beruhen dabei auf der Überlegung, dass die Bundesfernstraßen als überörtliche Verbindungen besonders frequentiert und für hohe Geschwindigkeiten eingerichtet sind. Sie können ihre Aufgabe nur erfüllen, wenn alle Einflüsse ferngehalten werden, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs beeinträchtigen. Zu prüfen sind die Auswirkungen des Vorhabens auf die durchschnittlichen Verkehrsverhältnisse, die bestehende Gefahrensituation und den durchschnittlichen Fahrer. Abzustellen ist darauf, ob nach den konkreten Gegebenheiten unter Beachtung der örtlichen Situation die nicht nur theoretische, sondern erkennbare Möglichkeit, nicht dagegen die unbedingte Gewissheit besteht, dass das Vorhaben nach seiner Lage, Größe und Art den Verkehrsablauf auf der Bundesfernstraße beeinträchtigt oder gefährdet.
42Vgl. BVerwG, Urteil vom 28. Mai 1963 - 1 C 247.58 -, juris Rn. 33 ff.; OVG NRW, Urteile vom 16. November 2001 - 7 A 3625/00 -, UA S. 16 ff. (insoweit unveröffentlicht) und vom 8. Mai 2008 - 7 A 460/07 -, juris Rn. 50; OVG B-Bbg, Urteil vom 16. Juli 2024 - 7 A 7/24 -, juris Rn. 32; VG Minden, Urteil vom 16. September 2010 - 9 K 1842/09 -, juris Rn. 31; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. Mai 2019 - 8 K 774/17 -, juris Rn. 79; Bender, in: Müller/ Schulz (Hrsg.), FStrG, 3. Aufl. 2022, § 9 Rn. 65 ff.; Grupp, in: Marschall, FStrG, Kommentar, 6. Aufl. 2012, § 9 Rn. 32; Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 595.
43Dabei ist das streitgegenständliche Vorhaben entgegen dem Ablehnungsbescheid der Beklagten nicht mit einem Zustand „ohne Zufahrt zur Bundesstraße“ zu vergleichen. Denn an den beiden bereits vorhandenen Wohneinheiten und ihrer Zufahrt zur Bundesstraße soll sich im Zuge der geplanten Baumaßnahme nichts ändern. In den Blick zu nehmen ist vielmehr allein die hinzukommende dritte Wohneinheit im Scheunengebäude und die mit ihr einhergehende Nutzung der Zufahrt.
44Hierbei kann es im Übrigen nicht auf die persönlichen Belange des Klägers und seiner Familie ankommen, also etwa auf den Wohnbedarf der wachsenden Familie und die bestehende oder eventuell zu erwartende Pflegebedürftigkeit einzelner Familienmitglieder. Denn bei der Baugenehmigung handelt es sich um einen grundstücksbezogenen Verwaltungsakt, der die betreffende bauliche Anlage und ihre Nutzung zeitlich unbeschränkt legalisiert. Auf diesen formellen Bestandsschutz können sich auch zukünftige Grundstückseigentümer und -nutzer berufen. Die Berücksichtigung persönlicher Verhältnisse bei der Erteilung einer Baugenehmigung kommt daher im Allgemeinen nicht in Betracht.
45Dass die in Rede stehende Zufahrt in gewissem Umfang bereits jetzt von den geplanten Nutzern der zusätzlichen Wohneinheit befahren wird, weil die bisherigen Bewohner des Grundstücks und die derzeit an einem Einzug in die zusätzliche Wohneinheit interessierte Familie des Sohnes des Klägers eng miteinander verwandt sind, dürfte vor diesem Hintergrund ebenfalls auszublenden sein. Für den Fall einer Genehmigung des Vorhabens ist vielmehr mit einer Zunahme der Nutzung der Zufahrt um ungefähr 50 Prozent zu rechnen, also mit einer mehr als nur marginalen Steigerung.
46Vgl. demgegenüber OVG NRW, Urteil vom 28. Mai 1975 - X A 901/73 -, OVGE MüLü 31, 115 f. (Steigerung um 1/40).
47Angesichts der vorstehenden Überlegungen ist die Möglichkeit, dass das Vorhaben den Verkehrsablauf auf der Bundesstraße beeinträchtigt oder gefährdet, nicht von der Hand zu weisen. Die Verkehrsdichte auf der Bundesstraße B xxx liegt im fraglichen Abschnitt ausweislich der Daten der jüngsten Verkehrszählung (2021) mit 7.384 Kfz/Tag zwar unter dem Durchschnitt. Der fragliche Streckenabschnitt kann damit aber nicht als besonders verkehrsarm angesehen werden, zumal der „Durchschnitt“ offenbar auch die tendenziell stärker befahrenen innerörtlichen Abschnitte der Bundesstraßen enthält.
48Durch die Schaffung einer zusätzlichen Wohneinheit auf dem Grundstück Y.-straße xx wird zusätzlicher Quell- und Zielverkehr durch die Bewohner, aber auch durch Gäste, Lieferanten, Handwerker etc. hervorgerufen. Dass der Verkehrsfluss auf der Bundesstraße, also die Leichtigkeit des Verkehrs, dadurch im Einzelfall beeinträchtigt werden kann, entspricht einer lebensnahen Betrachtung. Autofahrer, die sich, aus C. kommend, der Zufahrt nähern, müssen ihre gerade erst aufgenommene Geschwindigkeit unter Umständen drosseln, weil ein aus der Zufahrt herausfahrendes Fahrzeug mit noch geringer Geschwindigkeit auf die Bundesstraße eingebogen ist oder weil ein vor ihnen fahrendes Fahrzeug seine Geschwindigkeit verlangsamt, um in die Zufahrt einzubiegen. Die Funktion der Bundesstraße als überörtlicher Verkehrsverbindung, welche die Überbrückung größerer Distanzen mit höherer Geschwindigkeit ermöglichen soll, wird in derartigen Situationen beeinträchtigt. Dabei ist auch in Rechnung zu stellen, dass die Straßenbehörde, hielte man ihre Zustimmung für angezeigt, in vergleichbaren Fällen ebenso zu entscheiden hätte. Die Wahrscheinlichkeit des Eintritts entsprechender Verkehrssituationen nähme mit jeder zusätzlich genehmigten Wohneinheit zu. Vor dem Hintergrund des Strukturwandels in der Landwirtschaft, der in § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 1 BauGB eigens durch den Gesetzgeber aufgegriffen worden ist, handelt es sich hier um eine mehr als nur theoretische Überlegung. Entlang der B xxx finden sich weitere landwirtschaftliche Hofstellen, auf denen im Wege der Umnutzung zusätzliche Wohneinheiten entstehen könnten.
49Auch die Sicherheit des Straßenverkehrs kann durch die Genehmigung zusätzlicher Verkehrsbewegungen auf der fraglichen Zufahrt beeinträchtigt werden. Denn die Verkehrssituation ist vorliegend zwar nicht gerade problematisch, aber doch in mehrfacher Hinsicht verschärft:
50Westlich der Zufahrt zum Baugrundstück beginnt eine leichte Kurve. Am westlichen Ende dieser Kurve mündet der N.-straße, eine öffentliche Straße, die zahlreiche bebaute Grundstücke am O. See erschließt, in die Bundesstraße. Wiederum etwas weiter westlich münden zwei kleinere Nebenstraßen von Süden auf die B xxx. Dieser Abschnitt der mit insgesamt rund sechs Metern nicht gerade breit ausgebauten Bundesstraße, auf dem mit einbiegenden oder ausfahrenden Fahrzeugen gerechnet werde muss, ist von C. kommend wegen der Kurve und wegen einer ganzen Reihe von straßennah aufstehenden Bäumen und Gebäuden nur bedingt einsehbar. Umgekehrt ist aus Richtung I. kommend die Zufahrt zum streitgegenständlichen Baugrundstück erst ab einer gewissen Nähe erkennbar. Dass die Straßenbehörde hier – unabhängig von dem streitgegenständlichen Bauvorhaben – ein gewisses Gefahrenpotential sieht, zeigt der Umstand, dass sie bereits ab dem Z. Ortsausgang die zulässige Höchstgeschwindigkeit in diesem Bereich auf 70 km/h reduziert und ein Überholverbot für Kraftfahrzeuge aller Art (ausgenommenen landwirtschaftliche Fahrzeuge) angeordnet hat.
51Zudem verläuft entlang der Bundesstraße auf der fraglichen, nördlichen Seite ein Geh- und Radweg, der in beide Richtungen genutzt werden kann und von der Zufahrt des Klägers gekreuzt wird. Sowohl die auf das Grundstück Y.-straße xx einbiegenden als auch die von diesem Grundstück abfahrenden Fahrer haben also neben der vorstehend beschriebenen Verkehrssituation auf der Bundesstraße selbst auch den Geh- und Radweg im Blick zu behalten, auf dem (vorfahrtsberechtigte) Radfahrer und Fußgänger ihren Weg kreuzen können. Dies kann nicht nur dazu führen, dass ein auf das Grundstück einbiegendes Fahrzeug auf der Bundesstraße seine Geschwindigkeit verlangsamen oder sogar zum Stillstand kommen muss und den nachfolgenden Verkehr behindert, um einen Radfahrer passieren zu lassen, sondern es gefährdet auch die Sicherheit der Fußgänger und Radfahrer, die von den Autofahrern in Anbetracht der geschilderten Gesamtsituation übersehen werden können. Dass ein entsprechender Unfall sich in der Vergangenheit nicht ereignet hat, bedeutet nicht, dass ein solcher Unfall nicht mit zunehmender Nutzung wahrscheinlicher werden könnte.
52Die als Kompromissvorschläge angebotenen Maßnahmen (zweispurige Zufahrt und „Rechts-Rechts-Regelung“) stellen zweifellos eine Verbesserung der Situation dar, weil ein Kreuzen des Gegenverkehrs (an dieser Stelle der Bundesstraße) und ein Blockieren der Zufahrt durch abfahrende Fahrzeuge vermieden wird. Auch unter Einbeziehung dieser Vorschläge sind die aufgezeigten Bedenken des Gerichts aber nicht ausgeräumt. Insbesondere der die Zufahrt kreuzende Geh- und Radweg kann auch bei Umsetzung der Kompromissvorschläge zur vorübergehenden Blockade der Zufahrt und zu Gefährdungen einzelner Verkehrsteilnehmer führen. Ob die Annahme einer ausnahmslosen Befolgung der „Rechts-Rechts-Regelung“ realistisch ist, mag dahinstehen.
53Insgesamt teilt die Kammer die Einschätzung der Fachbehörde, dass zusätzliche Verkehrsbewegungen auf der fraglichen Zufahrt im Interesse der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs vermieden werden sollten.
54Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Es entspricht nicht der Billigkeit, dem Kläger auch die außergerichtlichen Kosten des beigeladenen Landes aufzuerlegen, da dieses keinen Antrag gestellt und sich damit gemäß § 154 Abs. 3 VwGO seinerseits keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat.
55Die Entscheidung über die Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11 und 711 Zivilprozessordnung.
56Rechtsmittelbelehrung
57Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
58Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
59Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.