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Fortführung der Kammerrechtsprechung gemäß Urteilen vom 26.11.24 - 19 K 5722/23 - und - 19 K 3380/24 - entgegen VG Köln, Urteil vom 6.12.24 - 16 K 703/24 - und VG Düsseldorf, u. a. Gerichtsbescheid vom 6.2.24 - 20 K 9408/23 -:
1. Der Verzicht auf ein durch Verwaltungsakt gewährtes Recht setzt eine eindeutige, unzweifelhafte und unmissverständliche Erklärung voraus.
2. Ein besonders strenger Maßstab ist hierbei anzulegen, wenn der vermeintliche Verzicht durch die Behörde vorformuliert ist; die Rechtsgedanken der §§ 305 ff. BGB sind entsprechend heranzuziehen.
3. Bei der Auslegung der Erklärung sind die Grundsätze von Treu und Glauben heranzuziehen; hierbei kommt der Interessenlage der Beteiligten besondere Bedeutung zu.
4. Hier: Die vermeintlichen Verzichtserklärungen im Rahmen des Rückmeldeverfahrens zur "NRW-Soforthilfe 2020" sind unwirksam.
Der Feststellungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 27. November 2023 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Klägerin ist Betreiberin eines Ingenieur- und Beratungsunternehmens. Sie beantragte bei dem Beklagten am 27. März 2020 die Gewährung einer Corona-Soforthilfe gemäß dem Programm „NRW-Soforthilfe 2020“. Mit Bescheid vom 27. März 2020 bewilligte der Beklagte der Klägerin die beantragte Soforthilfe in Form eines Pauschalbetrages in Höhe von 15.000 Euro und zahlte diesen Betrag in der Folge an sie aus.
3Im Rahmen eines sogenannten Rückmeldeverfahrens forderte der Beklagte die Klägerin auf, Angaben zu ihren Einnahmen und Ausgaben im Förderzeitraum zu machen. In dem dabei von dem Beklagten zur Verfügung gestellten Online-Formular wurden verschiedene Kennzahlen abgefragt, die zur Berechnung eines sogenannten Liquiditätsengpasses führten. In Abhängigkeit von diesem Engpass berechnete der Beklagte in damals ständiger Verwaltungspraxis die abschließende Höhe der Soforthilfe und setzte diese gegenüber anderen Antragstellern durch Schlussbescheid fest. In einer Handreichung des Beklagten, die dieser der Klägerin bereits am 3. Juli 2020 übersandt hatte, heißt es dazu:
4„Wenn im Förderzeitraum die Summe der Einnahmen größer ist, als die Summe der Ausgaben, liegt kein Liquiditätsengpass vor. Es handelt sich um einen Liquiditätsüberschuss (positiver Wert in Meldefeld 2). In diesem Fall ist die erhaltene Soforthilfe vollständig zurückzuzahlen.“
5Die Klägerin kam der Aufforderung zur Durchführung des Rückmeldeverfahrens auf Erinnerung des Beklagten am 25. Oktober 2021 nach. In dem Rückmeldeformular ist ein Ankreuzfeld noch vor der Abfrage der Angaben zum Liquiditätsengpass enthalten, das – unter der Überschrift „1. Verzicht auf die NRW-Soforthilfe 2020“ – wie folgt beschriftet ist:
6„Im Förderzeitraum hatte ich keinen Liquiditätsengpass im Sinne der Förderbedingungen und erkläre deshalb unwiderruflich, dass ich die mit dem Bewilligungsbescheid gewährte Soforthilfe (einschließlich fiktivem Unternehmerlohn) nicht in Anspruch nehme. Die Förderpauschale habe ich bereits vollständig zurücküberwiesen oder werde sie noch vollständig zurückzahlen. (Wenn Sie diese Option wählen, sind keine Angaben zu Ihren Einnahmen und Ausgaben erforderlich und die betreffenden Eingabefelder werden ausgeblendet.)“
7Die Klägerin kreuzte dieses Feld an.
8Mitte 2022 stellten sowohl die Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Köln als auch die erkennende Kammer in Klageverfahren die Rechtswidrigkeit von Schlussbescheiden der vorbezeichneten Art fest und hoben diese auf. Der Beklagte legte gegen die vorgenannten Entscheidungen jeweils Berufung ein, die in den Urteilen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden war. Mit Urteilen vom 17. März 2023 - 4 A 1986/22; 4 A 1987/22; 4 A 1988/22 - wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Berufung des Beklagten gegen diese Urteile zurück und stützte seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, der Beklagte dürfe nach seinen eigenen Förderbedingungen nicht auf den Saldo aus Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum abstellen, sondern müsse den Einsatz von Mitteln zur Abmilderung einer Notlage berücksichtigen.
9Mit Feststellungs- und Erstattungsbescheid vom 27. November 2023, zugestellt am Folgetag, stellte der Beklagte fest, dass sein Bescheid vom 27. März 2020 aufgrund des Verzichts der Klägerin keine Rechtswirkungen mehr entfalte, setzte den zu erstattenden Betrag auf 15.000 EUR fest und forderte die Klägerin zur Rückzahlung dieses Betrags auf. Zur Begründung verwies er auf die Rückmeldung der Klägerin in dem vorbezeichneten Formular; die Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides folge gebunden aus diesem Verzicht.
10Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 21. Dezember 2023 Klage erhoben.
11Sie trägt vor: Es fehle an einem Verzicht, weil sie nach den Auslegungsmaßstäben der §§ 133, 157 BGB keine entsprechende Willenserklärung abgegeben habe. Bei der verpflichtenden Rückmeldung habe ihr Geschäftsführer zunächst die geforderten wirtschaftlichen Daten in die Tabelle eingegeben. Die Berechnungshilfe habe einen Rückzahlungsbetrag in Höhe von 15.000,- Euro ermittelt. Der Rückzahlungsbetrag sei nicht wie etwa bei einer elektronischen Steuererklärung als vorläufiges Ergebnis ausgewiesen worden. Es sei auch nicht auf einen Rechtsbehelf hingewiesen worden. Sie habe daher von einer Endgültigkeit ausgehen müssen. Das Ergebnis der Berechnungshilfe sei wie ein vollständig automatisiert erlassender Verwaltungsakt i. S. d. § 35a VwVfG erschienen. Sie habe aus ihrer Sicht keine Wahl gehabt, denn aus der Sicht eines juristischen Laien mache es keinen Unterscheid, ob eine ausgefüllte Berechnung zu einer endgültig erscheinenden Rückzahlungspflicht führe oder nur ein „einfacher Haken gesetzt“ werde. Dieser Haken sei dem Zufall geschuldet, dass ihr Geschäftsführer nach Ausfüllen der Berechnungshilfe einen Weg gesucht habe, die Rückmeldung abzugeben, ohne sich zur Rückzahlung zu verpflichten, einen solchen Ausweg jedoch nicht gefunden habe. Für einen juristischen Laien sei nicht erkennbar gewesen, dass er gegen einen nach Ausfüllen der Berechnungshilfe ergehenden Schlussbescheid, der nach der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen rechtswidrig gewesen wäre, einen Rechtsbehelf hätte einlegen können. Vor diesem Hintergrund fehle es bei der gebotenen Auslegung nach Treu und Glauben aus der objektiven Sicht des Beklagten am Rechtsbindungswillen hinsichtlich eines Verzichts. Mangels alternativer Handlungsmöglichkeit habe sie sich gezwungen gesehen, mit der Übermittlung der geforderten Angaben gleichzeitig die „Verzichtserklärung“ abzugeben.
12Die Klägerin beantragt,
13den Feststellungs- und Erstattungsbescheid vom 27. November 2023 aufzuheben.
14Der Beklagte beantragt,
15die Klage abzuweisen.
16Er hält den Verzicht für eindeutig und wirksam. Die Klägerin hätte die Rückmeldung vornehmen können, ohne einen Verzicht zu erklären. Im Übrigen habe die Bewilligung erkennbar unter dem Vorbehalt eines Liquiditätsengpasses gestanden.
17Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch den Einzelrichter einverstanden erklärt.
18Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe
20Der Einzelrichter entscheidet gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Insbesondere bezieht sich das mit Schriftsatz vom 1. Februar 2024 erklärte Einverständnis des Beklagten auch auf eine Entscheidung durch den Einzelrichter, denn es schließt unmittelbar an die Äußerung an, dass gegen die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter keine Bedenken bestünden.
21Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
22Soweit mit dem Bescheid festgestellt wird, dass der vorangegangene Bewilligungsbescheid aufgrund des von der Klägerin erklärten Verzichts unwirksam geworden sei, folgt die Rechtswidrigkeit des Bescheides daraus, dass die Klägerin einen solchen Verzicht nicht in wirksamer Weise abgegeben hat.
23Nach den gemäß den §§ 133, 157 BGB für die Auslegung von Willenserklärungen auch im öffentlichen Recht geltenden Maßstäben ist bei der Auslegung einer empfangsbedürftigen Erklärung nicht auf den inneren Willen der erklärenden Person, sondern darauf abzustellen, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Dabei ist nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, der Wortlaut tritt hinter Sinn und Zweck der Erklärung zurück. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben erkennbar wird.
24Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 37 m.w.N.
25Ein – grundsätzlich möglicher – Verzicht auf ein durch Verwaltungsakt gewährtes Recht setzt darüber hinaus voraus, dass sich die dahingehende Erklärung unter Anlegung eines strengen Maßstabs als eindeutig, unzweifelhaft und unmissverständlich darstellt. Dies kann aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers nur dann angenommen werden, wenn für ihn die Erklärung hinreichend bestimmt und für ihn zweifelsfrei erkennbar ist, dass der Verzichtende sich der Bedeutung der Erklärung bewusst war.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2002 – 8 C 20.01 –, juris Rn. 17 und Urteil vom 18. Mai 1990 – 8 C 40.88 –, juris Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020, a.a.O. Rn. 39 ff.; VGH BW, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 11 S 2734/01 –, juris Rn. 14.
27Dies gilt umso mehr, wenn der Empfänger wie hier der Beklagte den Verzicht durch die Vorgabe der Verwendung eines einseitig von ihm selbst vorformulierten Formulars veranlasst hat. In diesem Fall muss er Zweifel und Unklarheiten zu seinen Lasten gelten lassen. Dieser im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausdrücklich normierte Rechtsgedanke (§ 305c Abs. 2 BGB) ist auch für ein hoheitlich geregeltes Subventionsverhältnis wie das Vorliegende maßgeblich. Denn der für die §§ 305 ff. BGB tragende Gedanke der Machtasymmetrie bei einseitiger Vorformulierung der Regelungen eines Vertrages gilt erst recht, wenn die Behörde – wie hier – die Förderbedingungen und das Bewilligungsverfahren einseitig ausgestalten kann.
28Die dargestellten Maßstäbe, die in der Rechtsprechung für einen Klageverzicht nach Erlass eines Verwaltungsakts erarbeitet worden sind, beanspruchen ebenso Geltung für den Fall, dass ein Betroffener – wie hier – vermeintlich auf eine Rechtsposition aus einem Verwaltungsakt verzichtet.
29Vgl. SaarlOVG, Beschluss vom 14. März 1983 – 2 R 14/82 –, NVwZ 1984, 657, 658; VGH BW, Urteil vom 2. Juli 2014 – 8 S 1071/13 –, NVwZ 2014, 1597, 1598.
30Die Situation des Betroffenen ist insoweit identisch, weil auch der hier in Rede stehende Verzicht nicht nur den Verlust des aus dem Bewilligungsbescheid stammenden Rechts bewirkt, sondern dem Betroffenen zugleich auch die Möglichkeit abschneidet, eine ansonsten durch Schlussbescheid getroffene Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen, und ihn damit in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) trifft.
31Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin mit der Rückmeldung keinen Verzicht erklärt, weil sich die Erklärung im Rückmeldeformular schon aus Sicht eines objektiven Empfängers an Stelle des Beklagten nicht als eindeutig und unmissverständlich darstellt.
32Nicht maßgeblich ist dabei nach dem dargelegten Maßstab, dass der Wortlaut bzw. buchstäbliche Sinn des Ausdrucks insbesondere mit der Überschrift „Verzicht“ und der Bezeichnung als „Option“ in einem Klammerzusatz vordergründig auf eine Verzichtserklärung hindeuten.
33So aber VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2024 – 16 K 703/24 – juris Rn. 56, 86; vgl. nur auf den Wortlaut der Erklärung abstellend auch VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2024 – 20 K 9408/23 –, juris Rn. 19, 20.
34Denn die dem Beklagten nicht nur als Empfänger, sondern gerade auch als Verfasser der von ihm selbst vorformulierten Erklärung bekannten Umstände stehen dieser Auslegung entgegen.
35Die fehlende Eindeutigkeit und Unmissverständlichkeit der Erklärung folgt schon daraus, dass in dem von dem Beklagten vorformulierten Formular die Angabe des Fehlens eines Liquiditätsengpasses in dem durch die nachstehend vorgegebene Berechnung definierten Sinn und der Verzicht auf die Subvention untrennbar und ohne die Möglichkeit einer Einzelauswahl aneinandergekoppelt werden. Die Verbindung beider Angaben durch die Konjunktion „und [erkläre] deshalb“ musste bei einem durchschnittlichen, juristisch nicht gebildeten Benutzer des Formulars den Anschein hervorrufen, dass der Verzicht keine freiwillig neben die Aussage zum Liquiditätsengpass tretende Erklärung darstellt, sondern die zwangsläufige Folge des fehlenden Liquiditätsengpasses ist und sein muss. Entsprechend muss ein objektiver Empfänger an Stelle des Beklagten durchgreifende Zweifel daran haben, dass das Kreuz an der entsprechenden Stelle entgegen der suggerierten untrennbaren Koppelung als eigenständige gewollte Verzichtserklärung zu verstehen ist.
36Auch in Würdigung der Gesamtgestaltung des Formulars – etwa der Koppelung der Ausblendung der weiteren Felder zur Berechnung des Liquiditätsengpasses mit dem Ankreuzen der vermeintlichen Verzichtserklärung – drängt sich aus Sicht eines objektiven Empfängers geradezu auf, dass ein Antragsteller ohne Liquiditätsengpass im Sinne der nachstehenden Berechnung mit dem Kreuz bei der entsprechenden Erklärung nur seiner Wahrheitspflicht hinsichtlich dieses Liquiditätsengpasses nachkommen wollte und sich dadurch gezwungen sah, zugleich einen (vermeintlichen) Verzicht auf die Subvention zu erklären.
37Dies gilt umso mehr unter Berücksichtigung von Treu und Glauben als Auslegungsdirektive. Die suggestive Verknüpfung der Erklärung zum Liquiditätsengpass mit der Erklärung eines Verzichts war in mehrfacher Hinsicht sachwidrig. Zum einen war der Liquiditätsengpass in dem durch die vorformulierte Berechnung definierten Sinne schon kein zutreffendes Kriterium für die endgültige Höhe der Soforthilfe, was die Aufhebung auf diesem Ansatz beruhender Schlussbescheide zur Folge hatte.
38Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. März 2023 – 4 A 1986/22 –, juris Rn. 181 ff.
39Zum anderen fehlt es an der durch die Koppelung der Erklärungen suggerierten Ausweglosigkeit eines Verzichts. Selbst wenn der Beklagte den fehlenden Liquiditätsengpass in dem Sinne der vorformulierten Erklärungen zum Anlass hätte nehmen können, die Soforthilfe zu versagen, hätte ein Antragsteller ein Recht auf einen ablehnenden Bescheid, den er gerichtlicher Überprüfung unterziehen könnte. Den betroffenen Antragstellern stattdessen ohne Ausweichmöglichkeit einen Verzicht abzuverlangen, verkürzt diese in ihrem Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
40Der Einwand der Treuwidrigkeit dieser Rechtsverkürzung ist von besonderem Gewicht für die Bestimmung des objektiven Empfängerhorizonts, wenn der Empfänger – wie hier der Beklagte – die vermeintliche Verzichtserklärung selbst vorformuliert hat. Denn der Verwender eines solchen Vordrucks muss in Rechnung stellen, dass die Verzichtserklärung den Erklärenden nach den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen würde. Sie ist für den Soforthilfeempfänger ausschließlich nachteilig und für den Beklagten ausschließlich von Vorteil. Im Rechtsverkehr ist auch für einen Unternehmer nicht ohne Weiteres damit zu rechnen, dass ihm von einer Behörde eine solche Erklärung vorformuliert abverlangt wird. Entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB, der nach § 310 Abs. 1 Satz 2 BGB auch gegenüber Unternehmern Anwendung findet und – wie oben ausgeführt – auch für ein hoheitlich ausgestaltetes Subventionsverhältnis heranzuziehen ist, war hier eine solche Verzichtserklärung mit dem wesentlichen Grundgedanken des gesetzlich eingeräumten Klagerechts jedenfalls deshalb nicht mehr zu vereinbaren, weil für ein mögliches Eigeninteresse des Erklärenden an einem Verzicht oder gar für eine Gegenleistung der Behörde nichts ersichtlich war.
41Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 46.
42Denn für die Klägerin gab es keinerlei Anlass, den ihr für den Fall eines ausgebliebenen Liquiditätsengpasses angetragenen Verzicht zu erklären. Dieser lag in keinerlei Hinsicht in ihrem Interesse, insbesondere diente er auch nicht der schnellen Klärung der Folgen der Subventionsgewährung. Im Gegenteil hätte nach der gerichtsbekannten Verwaltungspraxis des Beklagten eine nicht mit einem vermeintlichen Verzicht versehene Endabrechnung zum kurzfristigen Erlass eines Schlussbescheides geführt, während sich der Beklagte vorliegend mit dem Erlass eines Festsetzungsbescheides mehrere Jahre Zeit gelassen hat. Der Verzicht führt auch nicht zu einer ersichtlichen Kostenersparnis der Klägerin. Vielmehr hat er für diese ausschließlich nachteilig zur Folge, unmittelbar jegliche materiellen und prozessualen Rechte in Bezug auf die Soforthilfe zu verlieren und zur Erstattung der Zuwendung verpflichtet zu werden. Dass die Klägerin bei Ankreuzen des „Verzichts“ die Tabelle mit den abgefragten wirtschaftlichen Daten nicht ausfüllen musste, ist kein „Vorteil“.
43So aber VG Köln, a. a. O., Rn. 86.
44Die bloße Vereinfachung der Beantwortung einer ohnehin nicht von der Rechtslage gedeckten Abfrage mit dem Ergebnis eines unmittelbaren und vollständigen Rechtsverlusts kompensiert diesen Rechtsverlust in keiner Weise. Im Gegenteil stellt sich die Einräumung der „Option“, das Rückmeldeverfahren abzukürzen und sich die als sinnlos wahrnehmbare Angabe von wirtschaftlichen Daten zu ersparen, die nach der damaligen Lesart des Beklagten offensichtlich zur Verneinung eines Liquiditätsengpasses geführt hätten, als Teil des auf den Rückmeldenden ausgeübten suggestiven Drucks dar, den vermeintlichen „Verzicht“ anzukreuzen.
45Diesen ausschließlichen Nachteilen des Subventionsempfängers steht eine treuwidrige ausschließliche Bevorteilung des Beklagten gegenüber.
46Zu diesem Gesichtspunkt OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 61.
47Denn der Beklagte erhält durch den vermeintlichen Verzicht unmittelbar einen – zu einem späteren Zeitpunkt durch Bescheid titulierbaren – Erstattungsanspruch. Ohne die Verzichtserklärung hätte es hingegen des Erlasses eines Schlussbescheides bedurft, der seinerseits materiell-rechtlicher gerichtlicher Überprüfung zugänglich gewesen wäre. Jedenfalls objektiv liegt der einzige erkennbare Zweck der formularmäßigen Verzichtserklärung für den Beklagten darin, sich auf diese Weise für den Fall abzusichern, dass ein auf einen ausgebliebenen Liquiditätsengpass im vom Beklagten angenommenen Sinne gestützter Schlussbescheid rechtswidrig wäre. Denn wäre dies nicht der Fall, hätte der Beklagte seinen Rückforderungsanspruch ohne erkennbaren Mehraufwand per Schlussbescheid titulieren können. Ein solches Interesse ist von der Rechtsordnung nicht gedeckt und nicht schützenswert, sondern steht vielmehr in einem Widerspruch zur Bindung des Beklagten an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG).
48Die Treuwidrigkeit dieser einseitigen Benachteiligung wird dadurch untermauert, dass der Beklagte damit objektiv ein gegenüber den Zuwendungsempfängern bestehendes strukturelles Übergewicht zur Geltung gebracht und diese geradezu dazu bestimmt hat, eine solche Erklärung entgegen ihren eigenen Interessen abzugeben. Das durch Verwaltungsakte geregelte Subventionsverhältnis ist ein hoheitliches Über- und Unterordnungsverhältnis, in dem der juristisch versierte Beklagte regelmäßig juristisch nicht gebildeten Hilfeempfängern einseitig regelnd gegenübertritt. Entgegen Andeutungen des Beklagten ist dieses strukturelle Ungleichgewicht nicht durch die Unternehmereigenschaft der Hilfeempfänger in Frage gestellt. Vielmehr besteht deren Kreis – gerade aufgrund der Förderbedingungen des Beklagten, die den Adressatenkreis auf Soloselbständige und Unternehmen mit höchstens 50 Vollzeitkräften beschränkten – zu einem Großteil aus Kleinunternehmern und Soloselbständigen, die dem Beklagten regelmäßig in juristisch unterlegener Position gegenübertreten.
49Der durch das besagte Ungleichgewicht und die strittige Koppelung der Erklärungen zu Liquiditätsengpass und Verzicht erzeugte Druck auf die Klägerin wiegt umso schwerer, als jeder Antragsteller einerseits durch die Nebenbestimmungen des Bewilligungsbescheides zur Ausfüllung des Formulars verpflichtet war und sich andererseits für den Fall unwahrer Angaben dem Risiko der Strafbarkeit nach § 264 StGB ausgesetzt sehen musste, auf welches der Beklagte im Formular mehrfach nachdrücklich hingewiesen hat. Es ist dem Gericht aus verschiedenen Parallelverfahren bekannt, dass dieses Risiko kein theoretisches ist, sondern der Beklagte in vielen Fällen angeblich unwahrer Angaben Strafanzeigen gegen Antragsteller gestellt und damit strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen gegen diese veranlasst hat.
50Vgl. zum Ganzen bereits Urteil der Kammer vom 26. November 2024 – 19 K 5722/23 –, juris.
51Soweit mit dem angegriffenen Bescheid der zu erstattende Betrag auf 15.000 EUR festgesetzt wird (Ziff. 2 des Bescheides), ist dies ebenfalls rechtswidrig, weil die Voraussetzungen der hierfür einzig in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen nicht vorliegen. Dabei kann dahinstehen, ob der Bescheid auf eine entsprechende Anwendung des § 49a Abs. 1 VwVfG NRW oder auf den allgemein anerkannten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zu stützen wäre. Jedenfalls würde der festgesetzte Erstattungsanspruch voraussetzen, dass der Bewilligungsbescheid durch Verzicht unwirksam geworden wäre. Dies ist aber, wie ausgeführt, nicht der Fall.
52Hinzu kommt, dass der Beklagte unabhängig von dem Vorstehenden aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben an der Rückforderung des Betrages gehindert ist. Der Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im öffentlichen Recht Anwendung findet, begrenzt den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch einschließlich dessen spezialgesetzlicher Ausprägung in § 49a Abs. 1 VwVfG NRW.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar 2001 – 3 C 7.00 –, juris Rn. 27 m.w.N.
54Beruft sich eine Behörde – wie hier – auf einen von ihr selbst veranlassten Verzicht eines Antragstellers, so verstößt dies jedenfalls dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn die Behörde damit ausschließlich eigene, den Interessen des Antragstellers zuwiderlaufende Interessen verfolgt.
55Vgl. für einen Klageverzicht BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1957 – IV C 318.56 –, NJW 1957, 1374, 1375; OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 56.
56Dies ist hier – wie ausgeführt – der Fall. Der von dem Beklagten veranlasste – vermeintliche – Verzicht liegt allein in seinem Interesse und geht ausschließlich zulasten der Klägerin und ihrer Rechtsschutzmöglichkeiten.
57Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO.
58Rechtsmittelbelehrung
59Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
60Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
61Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.