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1. Zur Glaubhaftmachung einer vorübergehenden technischen Unmöglichkeit nach § 55d Satz 3 VwGO aufgrund einer angeblichen Fehlermeldung bedarf es regelmäßig eines Screenshots, mindestens aber einer konkreten Schilderung des Inhalts der Fehlermeldung.
2. Wer - wie ein Steuerberater - zur aktiven Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verpflichtet ist, hat die zugrundeliegenden Rechtsvorschriften und seine daraus folgenden Pflichten zu kennen.
3. Wird eine Klage entgegen § 55d VwGO nicht als elektronisches Dokument eingereicht, so lässt ein fehlender Hinweis des Gerichts hierauf das Verschulden des Klägers nicht per se im Sinne des § 60 VwGO entfallen.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Klägerin hat gegen den Bescheid des Beklagten vom 24. Juli 2023 durch ihren Prozessbevollmächtigten, einen Steuerberater, am 21. August 2023 per Fax Klage erhoben. Durch gerichtliche Verfügung vom 6. September 2023 – ihr am Folgetag übersandt – ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass ihr Prozessbevollmächtigter zur Nutzung des elektronischen Rechtsverkehrs verpflichtet sein dürfte. Am 18. Oktober 2023 hat die Klägerin die Klageschrift über das besondere elektronische Steuerberaterpostfach ihres Prozessbevollmächtigten übersandt und die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt.
3Sie behauptet, eine Übersendung auf elektronischem Wege sei versucht worden, aber sei wiederholt an Verbindungsproblemen gescheitert. Eine Mitarbeiterin des Prozessbevollmächtigten habe sich nach der Klageerhebung bei der Verwaltung des Gerichts erkundigt, ob die Klage so wirksam erhoben sei; man habe ihr dies bestätigt.
4Die Klägerin beantragt,
5den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 24. Juli 2023 zu verpflichten, ihr eine Überbrückungshilfe in Höhe von 108.816,09 EUR zu gewähren.
6Der Beklagte beantragt,
7die Klage abzuweisen.
8Er verweist im Wesentlichen darauf, die Klägerin habe dreimal Nachfragen zu ihrer Antragsberechtigung nicht beantwortet. Ein Vorbringen nach Erlass des Bescheides berücksichtige sie in ständiger Verwaltungspraxis nicht mehr.
9Mit Beschluss vom 9. Dezember 2024 hat die Kammer den Rechtsstreit auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
10Entscheidungsgründe
11Die Klage, über die aufgrund des Übertragungsbeschlusses der Kammer der Einzelrichter entscheidet (§ 6 Abs. 1 VwGO), hat keinen Erfolg. Sie ist bereits unzulässig.
12Die Klage vom 21. August 2023 ist unzulässig, weil sie nicht als elektronisches Dokument eingereicht worden ist. Nach § 55d Satz 2 VwGO sind nach der Verwaltungsgerichtsordnung vertretungsberechtigte Personen, für die ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Verfügung steht, dazu verpflichtet, vorbereitende Schriftsätze sowie schriftlich einzureichende Anträge als elektronisches Dokument einzureichen. Der Prozessbevollmächtigte der Klägerin ist als Steuerberater unter den Voraussetzungen des § 67 Abs. 2 Satz 2 Nr. 3a VwGO vertretungsberechtigt. Für ihn steht auch ein sicherer Übermittlungsweg im Sinne des § 55a Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 VwGO zur Verfügung, nämlich das besondere elektronische Steuerberaterpostfach (§ 86d Abs. 1 Satz 1 StBerG).
13Vgl. BayVGH, Beschluss vom 17. Juli 2023 – 22 CS 23.1040 –, juris Rn. 11 und Beschluss vom 3. Juli 2023 – 22 ZB 23.906 –, juris Rn. 12; für § 52d FGO auch BFH, Beschluss vom 28. April 2023 – XI B 101/22 –, juris Rn. 11 ff.
14Die Klageschrift vom 21. August 2023 ist aber nicht als elektronisches Dokument, sondern per Fax eingereicht worden. Die Übermittlung auf diesem Wege war auch nicht ausnahmsweise nach § 55d Satz 3 VwGO zulässig. Nach dieser Vorschrift bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig, wenn eine Übermittlung aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich ist. Nach § 55d Satz 4 VwGO ist die vorübergehende Unmöglichkeit bei der Ersatzeinreichung oder unverzüglich danach glaubhaft zu machen.
15Jedenfalls an letzterem fehlt es vorliegend. Die Klägerin hat die vorübergehende technische Unmöglichkeit bereits nicht glaubhaft gemacht. Ihr Vortrag dazu beschränkt sich auf die unsubstantiierte Behauptung, es sei bei der Versendung immer wieder zu einer Fehlermeldung gekommen. Irgendwelche Einzelheiten hierzu – insofern hätte sich etwa ein Screenshot angeboten,
16vgl. BayVGH, Beschluss vom 8. Juni 2022 – 1 ZB 22.30532 –, juris Rn. 3; VGH BW, Beschluss vom 5. Dezember 2023 – A 12 S 1719/23 –, juris Rn. 4; NdsOVG, Beschluss vom 13. Juli 2023 – 2 OA 37/23 –, juris Rn. 9 –
17benennt die Klägerin nicht; sie gibt nicht einmal die Fehlermeldung wieder.
18Eine vorübergehende technische Unmöglichkeit folgt auch nicht aus der fehlenden Bereitstellung eines besonderen elektronischen Steuerberaterpostfachs. Zwar hat der Bundesfinanzhof eine Ausnahme von der Nutzungspflicht dann erwogen, wenn für einen Steuerberater zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch kein Postfach eingerichtet worden war und dargelegt worden ist, dass die Nutzung des von der Bundessteuerberaterkammer angebotenen „Fast-Lane-Verfahrens“ nicht gangbar war.
19Vgl. BFH, Beschluss vom 28. April 2023 – XI B 101/22 –, juris Rn. 13, 18.
20Vorliegend trägt die Klägerin aber selbst vor, ihr Prozessbevollmächtigter habe zum fraglichen Zeitpunkt über ein Postfach verfügt.
21Zudem fehlt es an den zeitlichen Voraussetzungen des § 55d Satz 4 VwGO. Die – nach dem Vorstehenden bereits nicht ansatzweise den Voraussetzungen an eine Glaubhaftmachung genügenden – Erklärungen der Klägerin zur angeblichen technischen Unmöglichkeit hat diese nicht mit der Ersatzeinreichung am 21. August 2023 oder unverzüglich danach, sondern erst im Oktober 2023 vorgebracht.
22Soweit die Klageschrift am 18. Oktober 2023 als elektronisches Dokument eingereicht worden ist, ist sie verfristet. Unabhängig vom genauen Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides vom 24. Juli 2023 ist die Monatsfrist des § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO schon deshalb evident verstrichen, weil am 18. Oktober 2023 selbst ab der erstmaligen Klageerhebung, bei welcher der Bescheid der Klägerin offensichtlich vorlag, mehr als ein Monat verstrichen ist.
23Der Klägerin ist auch nicht die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Diese setzt nach § 60 Abs. 1 VwGO voraus, dass jemand ohne Verschulden daran gehindert ist, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Hieran fehlt es vorliegend bereits.
24Die Klägerin hat ihr fehlendes Verschulden nicht glaubhaft gemacht (§ 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO). Die Behauptung, eine Gerichtsbedienstete habe erklärt, die Klageerhebung am 21. August 2023 sei wirksam gewesen, ist nicht glaubhaft. Es ist fernliegend, dass sich diese zu einer solchen rechtlichen Würdigung, die nicht zu ihrem Aufgabengebiet gehört, veranlasst gesehen haben sollte. Vor allem aber steht dieses Vorbringen in untrennbarem Zusammenhang mit der Behauptung, es sei zunächst versucht worden, die Klageschrift elektronisch zu übersenden, und erst nach einem Scheitern sei sie per Fax übersandt worden. Trifft dies nämlich nicht zu, so bestand für eine Nachfrage bei dem Gericht überhaupt kein Anlass. Die vorgenannte Schilderung des Versuchs der elektronischen Übermittlung ist aber gleichfalls nicht glaubhaft. Dagegen spricht einerseits der Umstand, dass die Klägerin – wie dargestellt – zu der angeblichen Fehlermeldung keine Angaben machen konnte. Vor allem aber ist es im Verlauf des vorliegenden Verfahrens wiederholt dazu gekommen, dass Dokumente und Verfügungen der Klägerin postalisch übersandt werden mussten, weil sie diese über eine Woche lang nicht elektronisch abgerufen hat. Dieser Umstand lässt es deutlich näherliegen, dass der Bevollmächtigte der Klägerin die Klage per Fax übersandt hat, weil er seinerzeit das besondere elektronische Steuerberaterpostfach schlicht nicht nutzte.
25Selbst bei Wahrunterstellung der dargestellten Behauptungen aber entfiele das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin, dessen Verschulden der Klägerin nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist, nicht. Denn bei vorübergehender technischen Unmöglichkeit ist die Klageerhebung per Fax, wie sich aus § 55d Satz 3 VwGO ergibt, in der Tat zulässig und die behauptete Auskunft richtig. Dies ändert aber nichts daran, dass in der Folge die technische Unmöglichkeit unverzüglich glaubhaft zu machen ist, woran es vorliegend fehlt. Dass die Klägerin an dieser Glaubhaftmachung ohne ihr Verschulden gehindert gewesen wäre, ist in keiner Weise ersichtlich. Insbesondere bestand kein Anlass für die nach dem Vortrag der Klägerin telefonisch kontaktierte Gerichtsbedienstete, hierauf hinzuweisen; Entsprechendes gehört in keiner Weise zu ihrem Aufgabengebiet, ist aber im Gegenteil unmittelbar aus dem Gesetz ersichtlich.
26Ebenfalls folgt ein fehlendes Verschulden i.S.d. § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO nicht aus dem Umstand, dass in der Klageeingangsbestätigung vom 22. August 2024 auf die Formunwirksamkeit der Klageerhebung nicht hingewiesen worden war. Eine solche Hinweispflicht des Gerichts sieht das Gesetz ausdrücklich nur für die fehlende Bearbeitbarkeit im Sinne des § 55a Abs. 2 VwGO vor (vgl. § 55a Abs. 6 Satz 1 VwGO). Diese Hinweispflicht steht in untrennbarem Zusammenhang zu der Heilungsmöglichkeit in § 55a Abs. 6 Satz 2 VwGO, die aber für eine Einreichung, die überhaupt nicht elektronisch erfolgt – wie hier – keine Anwendung findet. Mag für diese Fälle ggf. aus der prozessualen Fürsorgepflicht des Gerichts eine Hinweispflicht auf die Regelung des § 55d VwGO folgen,
27in diese Richtung etwa Schmitz, in: BeckOK-VwGO, Stand Januar 2025, § 55a Rn. 27,
28so vermag ein Ausbleiben eines solchen Hinweises aber ein Verschulden allenfalls dann begründen, wenn dem Einreicher seine Nutzungspflicht nicht bekannt ist und dieser Irrtum durch den unterbliebenen Hinweis nicht korrigiert wird. So liegt der Fall aber hier nicht. Der Klägerin war die Nutzungspflicht ausweislich der obigen Ausführungen bekannt; sie verließ sich – bei Wahrunterstellung ihrer Angaben – lediglich ohne jegliche Überprüfung der Rechtslage auf die Ersatzeinreichung per Fax, ohne die Gründe hierfür glaubhaft zu machen.
29Im Übrigen steht der Wiedereinsetzung jedenfalls entgegen, dass für den Antrag hierauf wiederum die Frist des § 60 Abs. 2 VwGO versäumt worden ist. Nach dieser Vorschrift ist der Wiedereinsetzungsantrag binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen. Dementsprechend wäre der Antrag vorliegend spätestens zwei Wochen nach Zugang der gerichtlichen Verfügung vom 6. September 2023 – deren Zugang die Klägerin nicht in Abrede stellt – zu stellen gewesen, weil mit dieser Verfügung klargestellt worden ist, dass die Klageerhebung durch ein elektronisches Dokument hätte erfolgen müssen. Selbst bei großzügiger Unterstellung einer Postlaufzeit von drei Tagen in Anlehnung an § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG und einer Verlängerung durch das Wochenende (§ 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 2 ZPO) hätte die Wiedereinsetzungsfrist mithin am 12. September 2023 zu laufen begonnen und am 26. September 2023 geendet. Der Wiedereinsetzungsantrag ist aber erst am 18. Oktober 2023 – d.h. mehr als zwei Wochen nach Fristablauf – gestellt worden.
30Der Klägerin kann auch nicht gemäß § 60 Abs. 2 Satz 4 VwGO von Amts wegen Wiedereinsetzung gewährt werden. Dies setzt voraus, dass die versäumte Rechtshandlung – d.h. hier die formwirksame Klageerhebung – innerhalb der Wiedereinsetzungsfrist nachgeholt worden ist. Dies ist hier nicht der Fall; auch die formwirksame Klageerhebung erfolgte erst am 18. Oktober 2023.
31Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen bestand kein Anlass, den diversen Beweisanregungen der Klägerin nachzugehen, da sie zur Aufklärung des entscheidungserheblichen Sachverhalts nicht erforderlich waren (§ 86 Abs. 1 VwGO).
32Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO.
33Rechtsmittelbelehrung
34Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
35Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
36Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
37Beschluss
38Der Wert des Streitgegenstandes wird gemäß § 52 Abs. 3 GKG auf
39108.816,09 Euro
40festgesetzt.
41Rechtsmittelbelehrung
42Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf der genannten Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.