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1. Der Verzicht auf ein durch Verwaltungsakt gewährtes Recht setzt eine eindeutige, unzweifelhafte und unmissverständliche Erklärung voraus.
2. Ein besonders strenger Maßstab ist hierbei anzulegen, wenn der vermeintliche Verzicht durch die Behörde vorformuliert ist; die Rechtsgedanken der §§ 305 ff. BGB sind entsprechend heranzuziehen.
3. Bei der Auslegung der Erklärung sind die Grundsätze von Treu und Glauben heranzuziehen; hierbei kommt der Interessenlage der Beteiligten besondere Bedeutung zu.
4. Hier: Die vermeintlichen Verzichtserklärungen im Rahmen des Rückmeldeverfahrens zur "NRW-Soforthilfe 2020" sind unwirksam. (Fortführung der Kammerrechtsprechung, Urteile vom 26. November 2024 - 19 K 5722/23 - und - 19 K 3380/24 -.
Der Feststellungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 1. Juli 2024 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Die Klägerin beantragte bei dem Beklagten am 30. März 2020 die Gewährung einer Corona-Soforthilfe gemäß dem Programm „NRW-Soforthilfe 2020“. Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte der Beklagte ihr die beantragte Soforthilfe in Form eines Pauschalbetrages in Höhe von 9.000 Euro und zahlte diesen Betrag in der Folge an sie aus.
3Im Rahmen eines sogenannten Rückmeldeverfahrens forderte der Beklagte die Klägerin auf, Angaben zu ihren Einnahmen und Ausgaben im Förderzeitraum zu machen. In dem dabei von dem Beklagten zur Verfügung gestellten Online-Formular wurden verschiedene Kennzahlen abgefragt, die zur Berechnung eines sogenannten Liquiditätsengpasses führten. In Abhängigkeit von diesem Engpass berechnete der Beklagte in damals ständiger Verwaltungspraxis die abschließende Höhe der Soforthilfe und setzte diese gegenüber anderen Antragstellern durch Schlussbescheid fest. In einer Handreichung des Beklagten, auf die dieser die Klägerin am 18. Juni 2021 hingewiesen hatte, heißt es dazu:
4„Es liegt nur dann ein Liquiditätsengpass vor, wenn im Förderzeitraum die Summe der Einnahmen niedriger ist, als die Summe der Ausgaben.
5Entspricht der Betrag des Liquiditätsengpasses der Höhe der erhaltenen Soforthilfe oder übersteigt diese, besteht keine Rückzahlungspflicht [...]. Ist der Betrag des Liquiditätsengpasses kleiner als die erhaltene Soforthilfe, ist die Differenz zwischen dem Betrag des Liquiditätsengpasses und der erhaltenen Soforthilfe zurückzuzahlen [...].
6Wenn im Förderzeitraum die Summe der Einnahmen gleich oder größer ist, als die Summe der Ausgaben, liegt kein Liquiditätsengpass vor [...]. In diesem Fall ist die erhaltene Soforthilfe vollständig zurückzuzahlen.“
7Mit E-Mail vom 27. Oktober 2021 bestätigte die Bezirksregierung E. der Klägerin, dass sie ihre Rückmeldung zur NRW-Soforthilfe an diesem Tag bei ihr abgegeben habe. Als Anlage erhalte die Klägerin eine Zusammenfassung ihrer Angaben. In dem beigefügten, die Daten zur Klägerin ausweisenden und mit 4 Ankreuzungen ausgefüllten Rückmeldeformular ist ein Ankreuzfeld noch vor der Abfrage der Angaben zum Liquiditätsengpass enthalten, das unter der Überschrift „1. Verzicht auf die NRW-Soforthilfe 2020“ wie folgt beschriftet ist:
8„Im Förderzeitraum hatte ich keinen Liquiditätsengpass im Sinne der Förderbedingungen und erkläre deshalb unwiderruflich, dass ich die mit dem Bewilligungsbescheid gewährte Soforthilfe (einschließlich fiktivem Unternehmerlohn) nicht in Anspruch nehme. Die Förderpauschale habe ich bereits vollständig zurücküberwiesen oder werde sie noch vollständig zurückzahlen. (Wenn Sie diese Option wählen, sind keine Angaben zu Ihren Einnahmen und Ausgaben erforderlich und die betreffenden Eingabefelder werden ausgeblendet.)“
9Dieses Feld ist in der Anlage zu der vorbezeichneten Bestätigung der Rückmeldung angekreuzt.
10Mitte 2022 stellten sowohl die Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Köln als auch die erkennende Kammer in Klageverfahren die Rechtswidrigkeit von Schlussbescheiden der vorbezeichneten Art fest und hoben diese auf. Der Beklagte legte gegen die vorgenannten Entscheidungen jeweils Berufung ein, die in den Urteilen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden war. Mit Urteilen vom 17. März 2023 – 4 A 1986/22; 4 A 1987/22; 4 A 1988/22 – wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Berufung des Beklagten gegen diese Urteile zurück und stützte seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, der Beklagte dürfe nach seinen eigenen Förderbedingungen nicht auf den Saldo aus Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum abstellen, sondern müsse den Einsatz von Mitteln zur Abmilderung einer Notlage berücksichtigen.
11Mit Feststellungs- und Erstattungsbescheid vom 1. Juli 2024 stellte der Beklagte fest, dass sein Bewilligungsbescheid vom 30. März 2020 aufgrund Verzichts der Klägerin keine Rechtswirkungen mehr entfalte, setzte den zu erstattenden Betrag auf 9.000 EUR fest und forderte die Klägerin zur Rückzahlung dieses Betrags auf. Zur Begründung verwies er auf die o. g. Rückmeldung; die Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides folge gebunden aus diesem Verzicht.
12Gegen diesen Bescheid hat die Klägerin am 25. Juli 2024 Klage erhoben.
13Sie trägt vor, sie habe die vom Beklagten bestätigte Rückmeldung gar nicht abgegeben. Sie habe das digitale Formular nicht angekreuzt und auch nicht an den Beklagten übersandt. Untermauert werde dies dadurch, dass nur die Bestätigung der angeblichen Rückmeldung durch die Bezirksregierung im Verwaltungsvorgang dokumentiert sei, nicht aber die Abgabe der Rückmeldung durch sie, die Klägerin. Diese werde lediglich unterstellt, die E-Mail der Bezirksregierung belege nichts. Sie, die Klägerin, hätte eine derart weitreichende Verzichtserklärung, wie sie der Beklagte behaupte, aufgrund der Liquiditätsengpässe in ihrer Branche auch niemals abgegeben.
14Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
15den Feststellungs- und Erstattungsbescheid des Beklagten vom 1. Juli 2024 aufzuheben.
16Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
17die Klage abzuweisen.
18Er legt zugrunde, dass die Klägerin die Verzichtserklärung im Rückmeldeformular angekreuzt habe. Der Verzicht sei eindeutig und wirksam. Die Klägerin habe die Rückmeldung vornehmen können, ohne einen Verzicht zu erklären. Sie habe zudem dreimal die Möglichkeit zur Korrektur ihrer Erklärung gehabt. Auf die Rechtsfolgen des Verzichts sei sie deutlich hingewiesen worden.
19Der Beklagte hat sich mit einer Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter und einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Die Kammer hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 10. Dezember 2024 auf den Berichterstatter als Einzelrichter übertragen. Die Klägerin hat in der Folge ihr Einverständnis mit einem Urteil ohne mündliche Verhandlung erklärt.
20Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
21Entscheidungsgründe
22Der Einzelrichter entscheidet gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung. Die Beteiligten haben auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Insbesondere bezieht sich das mit Schriftsatz vom 21. August 2024 erklärte Einverständnis des Beklagten auch auf eine Entscheidung durch den Einzelrichter, denn es schließt unmittelbar an die Äußerung an, dass gegen die Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter keine Bedenken bestünden.
23Eine Entscheidung ist zum jetzigen Zeitpunkt auch geboten; die Sache ist entscheidungsreif. Ein Zuwarten auf eine Entscheidung in den zweitinstanzlichen Verfahren 4 A 2928/24 und 4 A 2929/24, in denen das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Berufung in Fällen der Anfechtung gleichartiger Feststellungs- und Erstattungsbescheide zugelassen hat,
24vgl. Beschlüsse vom 11. Februar 2025 – 4 A 2928/24 und 4 A 2929/24 –, juris,
25ist nicht veranlasst. Dem steht das Recht der Klägerin, die ein solches Abwarten ausweislich ihrer Reaktion auf die gerichtliche Anfrage vom 16. Januar 2025 nicht wünscht, auf effektiven und zeitnahen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG, Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK) sowie der Beschleunigungsgrundsatz entgegen.
26Vgl. BVerfG, Beschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11 –, juris Rn. 32.
27Die Voraussetzungen für eine Aussetzung nach § 94 VwGO oder für ein Ruhen des Verfahrens nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 251 ZPO liegen nicht vor. Auch eine „faktische Aussetzung“ durch ein Nichtbetreiben des Verfahrens kommt angesichts des erklärten Willens der Klägerin, die auf das mit einer zeitnahen Entscheidung angesichts der vorbezeichneten Berufungsverfahren einhergehende Prozessrisiko in transparenter Weise hingewiesen worden ist, nicht in Betracht.
28Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
29Soweit mit dem Bescheid festgestellt wird, dass der vorangegangene Bewilligungsbescheid aufgrund eines von der Klägerin erklärten Verzichts unwirksam geworden sei, folgt die Rechtswidrigkeit des Bescheides daraus, dass die Klägerin einen solchen Verzicht nicht in wirksamer Weise erklärt hat. Dabei kann offen bleiben, ob sie, wie sie bestreitet, die Rückmeldung mit der in Rede stehenden „Verzichtserklärung“ unter Ziffer 1 des Rückmeldeformulars überhaupt abgegeben hat. Denn jedenfalls ist diese Erklärung nicht als Verzicht auf die durch den Bewilligungsbescheid vom 30. März 2020 begründete Rechtsposition auszulegen.
30Nach den gemäß den §§ 133, 157 BGB für die Auslegung von Willenserklärungen auch im öffentlichen Recht geltenden Maßstäben ist bei der Auslegung einer empfangsbedürftigen Erklärung nicht auf den inneren Willen der erklärenden Person, sondern darauf abzustellen, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Dabei ist nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften, der Wortlaut tritt hinter Sinn und Zweck der Erklärung zurück. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben erkennbar wird.
31Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 37 m.w.N.
32Ein – grundsätzlich möglicher – Verzicht auf ein durch Verwaltungsakt gewährtes Recht setzt darüber hinaus voraus, dass sich die dahingehende Erklärung unter Anlegung eines strengen Maßstabs als eindeutig, unzweifelhaft und unmissverständlich darstellt. Dies kann aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers nur dann angenommen werden, wenn für ihn die Erklärung hinreichend bestimmt und für ihn zweifelsfrei erkennbar ist, dass der Verzichtende sich der Bedeutung der Erklärung bewusst war.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2002 – 8 C 20.01 –, juris Rn. 17 und Urteil vom 18. Mai 1990 – 8 C 40.88 –, juris Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020, a.a.O. Rn. 39 ff.; VGH BW, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 11 S 2734/01 –, juris Rn. 14.
34Dies gilt umso mehr, wenn der Empfänger (wie hier der Beklagte) den Verzicht durch die Vorgabe der Verwendung eines einseitig von ihm selbst vorformulierten Formulars veranlasst hat. In diesem Fall muss er Zweifel und Unklarheiten zu seinen Lasten gelten lassen. Dieser im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausdrücklich normierte Rechtsgedanke (§ 305c Abs. 2 BGB) ist auch für ein hoheitlich geregeltes Subventionsverhältnis wie das Vorliegende maßgeblich. Denn der für die §§ 305 ff. BGB tragende Gedanke der Machtasymmetrie bei einseitiger Vorformulierung der Regelungen eines Vertrages gilt erst recht, wenn die Behörde – wie hier – die Förderbedingungen und das Bewilligungsverfahren einseitig ausgestalten kann.
35Die dargestellten Maßstäbe, die in der Rechtsprechung für einen Klageverzicht nach Erlass eines Verwaltungsakts erarbeitet worden sind, beanspruchen ebenso Geltung für den Fall, dass ein Betroffener – wie hier – vermeintlich auf eine Rechtsposition aus einem Verwaltungsakt verzichtet.
36Vgl. SaarlOVG, Beschluss vom 14. März 1983 – 2 R 14/82 –, NVwZ 1984, 657, 658; VGH BW, Urteil vom 2. Juli 2014 – 8 S 1071/13 –, NVwZ 2014, 1597, 1598.
37Die Situation des Betroffenen ist insoweit identisch, weil auch der hier in Rede stehende Verzicht nicht nur den Verlust des aus dem Bewilligungsbescheid stammenden Rechts bewirkt, sondern dem Betroffenen zugleich auch die Möglichkeit abschneidet, eine ansonsten durch Schlussbescheid getroffene Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen, und ihn damit in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) trifft.
38Nach diesen Maßstäben hat die Klägerin mit der hier einmal unterstellt abgegebenen Rückmeldung keinen Verzicht erklärt, weil sich die Erklärung im Rückmeldeformular schon aus Sicht eines objektiven Empfängers an Stelle des Beklagten nicht als eindeutig und unmissverständlich darstellt.
39Nicht maßgeblich ist dabei nach dem dargelegten Maßstab, dass der Wortlaut bzw. buchstäbliche Sinn des Ausdrucks insbesondere mit der Überschrift „Verzicht“ und der Bezeichnung als „Option“ in einem Klammerzusatz vordergründig auf eine Verzichtserklärung hindeuten.
40So aber VG Köln, Urteil vom 6. Dezember 2024 – 16 K 703/24 – juris Rn. 56, 86; vgl. nur auf den Wortlaut der Erklärung abstellend auch VG E. , Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2024 – 20 K 9408/23 –, juris Rn. 19, 20.
41Denn die dem Beklagten nicht nur als Empfänger, sondern gerade auch als Verfasser der von ihm selbst vorformulierten Erklärung bekannten Umstände stehen dieser Auslegung entgegen.
42Die fehlende Eindeutigkeit und Unmissverständlichkeit der Erklärung folgt schon daraus, dass in dem von dem Beklagten vorformulierten Formular die Angabe des Fehlens eines Liquiditätsengpasses in dem durch die nachstehend vorgegebene Berechnung definierten Sinn und der Verzicht auf die Subvention untrennbar und ohne die Möglichkeit einer Einzelauswahl aneinandergekoppelt werden. Die Verbindung beider Angaben durch die Konjunktion „und [erkläre] deshalb“ musste bei einem durchschnittlichen, juristisch nicht gebildeten Benutzer des Formulars den Anschein hervorrufen, dass der Verzicht keine freiwillig neben die Aussage zum Liquiditätsengpass tretende Erklärung darstellt, sondern die zwangsläufige Folge des fehlenden Liquiditätsengpasses ist und sein muss. Entsprechend muss ein objektiver Empfänger an Stelle des Beklagten durchgreifende Zweifel daran haben, dass das Kreuz an der entsprechenden Stelle entgegen der suggerierten untrennbaren Koppelung als eigenständige gewollte Verzichtserklärung zu verstehen ist.
43Auch in Würdigung der Gesamtgestaltung des Formulars – etwa der Koppelung der Ausblendung der weiteren Felder zur Berechnung des Liquiditätsengpasses mit dem Ankreuzen der vermeintlichen Verzichtserklärung – drängt sich aus Sicht eines objektiven Empfängers geradezu auf, dass ein Antragsteller ohne Liquiditätsengpass im Sinne der nachstehenden Berechnung mit dem Kreuz bei der entsprechenden Erklärung nur seiner Wahrheitspflicht hinsichtlich dieses Liquiditätsengpasses nachkommen wollte und sich dadurch gezwungen sah, zugleich einen (vermeintlichen) Verzicht auf die Subvention zu erklären.
44Dies gilt umso mehr unter Berücksichtigung von Treu und Glauben als Auslegungsdirektive. Die suggestive Verknüpfung der Erklärung zum Liquiditätsengpass mit der Erklärung eines Verzichts war in mehrfacher Hinsicht sachwidrig. Zum einen war der Liquiditätsengpass in dem durch die vorformulierte Berechnung definierten Sinne schon kein zutreffendes Kriterium für die endgültige Höhe der Soforthilfe, was die Aufhebung auf diesem Ansatz beruhender Schlussbescheide zur Folge hatte.
45Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. März 2023 – 4 A 1986/22 –, juris Rn. 181 ff.
46Zum anderen fehlt es an der durch die Koppelung der Erklärungen suggerierten Ausweglosigkeit eines Verzichts. Selbst wenn der Beklagte den fehlenden Liquiditätsengpass in dem Sinne der vorformulierten Erklärungen zum Anlass hätte nehmen können, die Soforthilfe zu versagen, hätte ein Antragsteller ein Recht auf einen ablehnenden Bescheid, den er gerichtlicher Überprüfung unterziehen könnte. Den betroffenen Antragstellern stattdessen ohne Ausweichmöglichkeit einen Verzicht abzuverlangen, verkürzt diese in ihrem Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG). Der Umstand, dass gegen den hiernach ergangenen Feststellungs- und Erstattungsbescheid der Klage gegeben ist, ändert hieran nichts.
47So aber andeutungsweise OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2025 – 4 A 2928/24 –, juris Rn. 2.
48Denn die Berufung auf einen vermeintlichen Verzicht entzieht gerade die Annahme, ein fehlender Liquiditätsengpass führe zu einer Rückzahlungspflicht, der gerichtlichen Überprüfbarkeit.
49Der Einwand der Treuwidrigkeit dieser Rechtsverkürzung ist von besonderem Gewicht für die Bestimmung des objektiven Empfängerhorizonts, wenn der Empfänger – wie hier der Beklagte – die vermeintliche Verzichtserklärung selbst vorformuliert hat. Denn der Verwender eines solchen Vordrucks muss in Rechnung stellen, dass die Verzichtserklärung den Erklärenden nach den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen würde. Sie ist für den Soforthilfeempfänger ausschließlich nachteilig und für den Beklagten ausschließlich von Vorteil. Im Rechtsverkehr ist auch für einen Unternehmer nicht ohne Weiteres damit zu rechnen, dass ihm von einer Behörde eine solche Erklärung vorformuliert abverlangt wird. Entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB, der nach § 310 Abs. 1 Satz 2 BGB auch gegenüber Unternehmern Anwendung findet und – wie oben ausgeführt – auch für ein hoheitlich ausgestaltetes Subventionsverhältnis heranzuziehen ist, war hier eine solche Verzichtserklärung mit dem wesentlichen Grundgedanken des gesetzlich eingeräumten Klagerechts jedenfalls deshalb nicht mehr zu vereinbaren, weil für ein mögliches Eigeninteresse des Erklärenden an einem Verzicht oder gar für eine Gegenleistung der Behörde nichts ersichtlich war.
50Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 46.
51Denn für die Klägerin gab es keinerlei Anlass, den ihr für den Fall eines ausgebliebenen Liquiditätsengpasses angetragenen Verzicht zu erklären. Dieser lag in keinerlei Hinsicht in ihrem Interesse, insbesondere diente er auch nicht der schnellen Klärung der Folgen der Subventionsgewährung. Im Gegenteil hätte nach der gerichtsbekannten Verwaltungspraxis des Beklagten eine nicht mit einem vermeintlichen Verzicht versehene Endabrechnung zum kurzfristigen Erlass eines Schlussbescheides geführt, während sich der Beklagte vorliegend mit dem Erlass eines Festsetzungsbescheides mehrere Jahre Zeit gelassen hat. Der Verzicht führt auch nicht zu einer ersichtlichen Kostenersparnis der Klägerin. Vielmehr hat er für sie ausschließlich nachteilig zur Folge, unmittelbar jegliche materiellen und prozessualen Rechte in Bezug auf die Soforthilfe zu verlieren und zur Erstattung der Zuwendung verpflichtet zu werden. Dass die Klägerin bei Ankreuzen des „Verzichts“ die Tabelle mit den abgefragten wirtschaftlichen Daten nicht ausfüllen musste, ist kein „Vorteil“.
52So aber VG Köln, a. a. O., Rn. 86; in diese Richtung auch OVG NRW, Beschluss vom 11. Februar 2025 – 4 A 2928/24 –, juris Rn. 2.
53Die bloße Vereinfachung der Beantwortung einer ohnehin nicht von der Rechtslage gedeckten Abfrage mit dem Ergebnis eines unmittelbaren und vollständigen Rechtsverlusts kompensiert diesen Rechtsverlust in keiner Weise. Im Gegenteil stellt sich die Einräumung der „Option“, das Rückmeldeverfahren abzukürzen und sich die als sinnlos wahrnehmbare Angabe von wirtschaftlichen Daten zu ersparen, die nach der damaligen Lesart des Beklagten offensichtlich zur Verneinung eines Liquiditätsengpasses geführt hätten, als Teil des auf den Rückmeldenden ausgeübten suggestiven Drucks dar, den vermeintlichen „Verzicht“ anzukreuzen. Dies gilt umso mehr, als es zu dieser Vereinfachung keinesfalls des „Verzichts“ bedurft hätte. Die bloße Erklärung, dass ein Liquiditätsengpass in dem vom Beklagten definierten Sinne nicht bestanden habe, hätte hierfür offenkundig ausgereicht. Die Sachwidrigkeit der Verknüpfung mit dem „Verzicht“ zeigt sich mithin gerade in diesem Punkt.
54Diesen ausschließlichen Nachteilen des Subventionsempfängers steht eine treuwidrige ausschließliche Bevorteilung des Beklagten gegenüber.
55Zu diesem Gesichtspunkt OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 61.
56Denn der Beklagte erhält durch den vermeintlichen Verzicht unmittelbar einen – zu einem späteren Zeitpunkt durch Bescheid titulierbaren – Erstattungsanspruch. Ohne die Verzichtserklärung hätte es hingegen des Erlasses eines Schlussbescheides bedurft, der seinerseits materiell-rechtlicher gerichtlicher Überprüfung zugänglich gewesen wäre. Jedenfalls objektiv liegt der einzige erkennbare Zweck der formularmäßigen Verzichtserklärung für den Beklagten darin, sich auf diese Weise für den Fall abzusichern, dass ein auf einen ausgebliebenen Liquiditätsengpass im vom Beklagten angenommenen Sinne gestützter Schlussbescheid rechtswidrig wäre. Denn wäre dies nicht der Fall, hätte der Beklagte seinen Rückforderungsanspruch ohne erkennbaren Mehraufwand per Schlussbescheid titulieren können. Ein solches Interesse ist von der Rechtsordnung nicht gedeckt und nicht schützenswert, sondern steht vielmehr in einem Widerspruch zur Bindung des Beklagten an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG).
57Die Treuwidrigkeit dieser einseitigen Benachteiligung wird dadurch untermauert, dass der Beklagte damit objektiv ein gegenüber den Zuwendungsempfängern bestehendes strukturelles Übergewicht zur Geltung gebracht und diese geradezu dazu bestimmt hat, eine solche Erklärung entgegen ihren eigenen Interessen abzugeben. Das durch Verwaltungsakte geregelte Subventionsverhältnis ist ein hoheitliches Über- und Unterordnungsverhältnis, in dem der juristisch versierte Beklagte regelmäßig juristisch nicht gebildeten Hilfeempfängern einseitig regelnd gegenübertritt. Entgegen Andeutungen des Beklagten ist dieses strukturelle Ungleichgewicht nicht durch die Unternehmereigenschaft der Hilfeempfänger in Frage gestellt. Vielmehr besteht deren Kreis – gerade aufgrund der Förderbedingungen des Beklagten, die den Adressatenkreis auf Soloselbständige und Unternehmen mit höchstens 50 Vollzeitkräften beschränkten – zu einem Großteil aus Kleinunternehmern und Soloselbständigen, die dem Beklagten regelmäßig in juristisch unterlegener Position gegenübertreten.
58Der durch das besagte Ungleichgewicht und die strittige Koppelung der Erklärungen zu Liquiditätsengpass und Verzicht erzeugte Druck auf die Klägerin wiegt umso schwerer, als jeder Antragsteller einerseits durch die Nebenbestimmungen des Bewilligungsbescheides zur Ausfüllung des Formulars verpflichtet war und sich andererseits für den Fall unwahrer Angaben dem Risiko der Strafbarkeit nach § 264 StGB ausgesetzt sehen musste, auf welches der Beklagte im Formular mehrfach nachdrücklich hingewiesen hat. Es ist dem Gericht aus verschiedenen Parallelverfahren bekannt, dass dieses Risiko kein theoretisches ist, sondern der Beklagte in vielen Fällen angeblich unwahrer Angaben Strafanzeigen gegen Antragsteller gestellt und damit strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen gegen diese veranlasst hat.
59Vgl. zum Ganzen bereits Urteil der Kammer vom 26. November 2024 – 19 K 5722/23 –, juris.
60Dass der Hinweis über die eine mögliche Strafbarkeit falscher Angaben der Erfüllung etwaiger rechtlicher Obliegenheiten des Beklagten aus § 264 StGB, § 2 SubvG gedient haben mag, ist dabei unerheblich, weil es vorliegend nicht auf die Motivation des Beklagten, sondern auf das Verständnis ankommt, das ein objektiver Empfänger an der Stelle des Beklagten der Erklärung der Klägerin im Lichte dieses Hinweises beimisst. Auch auf das strukturelle Ungleichgewicht zwischen der Klägerin und dem Beklagten, der die Erklärung unter Beifügung des erwähnten Hinweises auf eine etwaige Strafbarkeit vorformuliert hat, hat die Motivation des Beklagten keinen Einfluss.
61Soweit mit dem angegriffenen Bescheid der zu erstattende Betrag auf 9.000 EUR festgesetzt wird (Ziff. 2 des Bescheides), ist dies ebenfalls rechtswidrig, weil die Voraussetzungen der hierfür einzig in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen nicht vorliegen. Dabei kann dahinstehen, ob der Bescheid auf eine entsprechende Anwendung des § 49a Abs. 1 VwVfG NRW oder auf den allgemein anerkannten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zu stützen wäre. Jedenfalls würde der festgesetzte Erstattungsanspruch voraussetzen, dass der Bewilligungsbescheid durch Verzicht unwirksam geworden wäre. Dies ist aber, wie ausgeführt, nicht der Fall.
62Hinzu kommt, dass der Beklagte unabhängig von dem Vorstehenden aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben an der Rückforderung des Betrages gehindert ist. Der Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im öffentlichen Recht Anwendung findet, begrenzt den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch einschließlich dessen spezialgesetzlicher Ausprägung in § 49a Abs. 1 VwVfG NRW.
63Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar 2001 – 3 C 7.00 –, juris Rn. 27 m.w.N.
64Beruft sich eine Behörde – wie hier – auf einen von ihr selbst veranlassten Verzicht eines Antragstellers, so verstößt dies jedenfalls dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn die Behörde damit ausschließlich eigene, den Interessen des Antragstellers zuwiderlaufende Interessen verfolgt.
65Vgl. für einen Klageverzicht BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1957 – IV C 318.56 –, NJW 1957, 1374, 1375; OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 56.
66Dies ist hier – wie ausgeführt – der Fall. Der von dem Beklagten veranlasste – vermeintliche – Verzicht liegt allein in seinem Interesse und geht ausschließlich zulasten der Klägerin und ihrer Rechtsschutzmöglichkeiten.
67Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 2 ZPO.
68Ein Anlass, die Berufung zuzulassen, besteht nicht, weil keiner der Gründe der §§ 124a Abs. 1 Satz 1, 124 Abs. 2 Nr. 3 oder Nr. 4 VwGO vorliegt. Insbesondere ergibt sich aus dem Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in den Verfahren 4 A 2928/24 und 4 A 2929/24 gegen vergleichbare Urteile der Kammer die Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit dieser Urteile zugelassen hat, keine Divergenz im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. Denn das Oberverwaltungsgericht hat in den vorbezeichneten Beschlüssen keine eigenen Rechtssätze aufgestellt, von denen vorliegend abgewichen würde, sondern hat die gegen die obigen Entscheidungsgründe erhobenen Einwände des beklagten Landes lediglich wiedergegeben und als schlüssig bezeichnet. Aus demselben Grund hat die Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO; auch diese kann sich nur auf eine verallgemeinerbare Rechts- oder Tatsachenfrage beziehen, die im Interesse der Rechtseinheit klärungsbedürftig ist. An einer solchen fehlt es vorliegend.
69Rechtsmittelbelehrung
70Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
71Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
72Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.