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Das Zollkriminalamt hat Rechtmäßigkeit der Verwaltungsakte der Zollfahndungsämter nachzuprüfen.Ein behördlich veranlasster Rückbau der Verstecke im Fahrzeug stellt im Vergleich zur Sicherstellung des Fahrzeugs kein geeignetes milderes Mittel dar.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Sicherstellung eines Kraftfahrzeuges.
3Ausweislich des Inhalts eines Aktenvermerks der ZAF H. vom 29. Juli 2019 wurde auf der BAB 3 ein Fahrzeug mit professionell eingebauten Verstecken kontrolliert und darin eine unbekannte Menge an Bargeld in verschiedener Stückelung vorgefunden. Bei einer Inaugenscheinnahme habe eine szenetypische Stückelung von 50- bzw. 20,-EUR-Scheinen festgestellt werden können. Eine geringe Menge an 100,-EUR-Scheinen sei ebenfalls vorhanden gewesen sowie handschriftliche Notizen auf verschiedenen Geldbündeln. In dem Fahrzeug seien ferner verschiedene Unterlagen aufgefunden worden. So sei das Fahrzeug am 17. Januar 2019 bei einem Werkstattservice gewesen und habe zu diesem Zeitpunkt einen Kilometerstand von ca. 74.753 km gehabt. Der heutige Kilometerstand belaufe sich auf 147.089 km. Ein Parkticket aus Mailand vom 25. Juli 2019 sowie eine Tankquittung aus Den Haag vom 28. Juli 2019 seien ebenfalls aufgefunden worden. Im Navigationssystem des Fahrzeugs seien die folgenden Ziele gespeichert gewesen: Milano, Amersfoort, Bergisch Gladbach, Köln, Bad Säckingen, Lugano, Ronago, Zürich, Leverkusen, Schopfheim, Nürensdorf, Ponte Tresa und Varese.
4Nach dem Inhalt eines Aufgriffsberichts der Bundespolizeiinspektion Y. vom 29. Juli 2019 wurde der Kläger am 28. Juli 2019 gegen 23:30 Uhr nach erfolgter Einreise aus den Niederlanden angehalten und kontrolliert. Die Nachfrage, ob er Barmittel über 10.000,- EUR mit sich führe, habe er verneint. Er habe angegeben, heute Morgen von Zürich in die Niederlande gefahren zu sein, um dort für ein paar Stunden einen Freund zu besuchen; jetzt sei er wieder auf dem Rückweg nach Zürich. Ein am Lenkrad und der Schaltung des Fahrzeugs durchgeführter Drugwipe-Test habe positiv auf Kokain reagiert. Bei der anschließenden Durchsuchung des Fahrzeuges sei ein professionelles Versteck in Form einer doppelten Rücksitzbankwand gefunden worden, bei dessen Öffnen mehrere Bündel Bargeld in verschiedenen Stückelungen zum Vorschein gekommen seien. Bei einer genaueren Durchsuchung des Fahrzeugs auf der Dienststelle sei festgestellt worden, dass das Versteck mithilfe einer Fernbedienung, die sich am Schlüsselbund des Klägers befunden habe, habe geöffnet werden können. Über das Navigationssystem habe die folgende Fahrstrecke nachvollzogen werden können: Zürich – Arnheim – Dongen – Amersfoort – Mailand. Bei dem insgesamt 34,76 kg wiegenden sichergestellten Bargeld habe ein durchgeführter Drugwipe-Test ebenfalls positiv auf Kokain reagiert.
5Ausweislich des Sicherstellungsprotokolls der Bundespolizeiinspektion Y. wurde unter anderem das Kraftfahrzeug BMW 720d am 28. Juli 2019 nach §§ 111b, 111c der Strafprozessordnung (StPO) sichergestellt.
6Nach dem Inhalt eines Aktenvermerks vom 29. Juli 2019 von ZAM B. äußerte der Kläger auf Nachfrage, dass das Bargeld sein Eigentum, welches er sich erspart habe, sei. Die Frage nach der Menge des Bargeldes habe er mit „viel, sehr viel“ beantwortet. Auf weitere Nachfrage der Menge bzw. zumindest der ungefähren Menge habe der Kläger nur „sehr viel“ geantwortet.
7Nach einer Aufstellung des Hauptzollamtes R. vom 30. Juli 2019 ergab die Auszählung des Bargeldes einen Wert von 1.144.790,- EUR plus 50,- EUR Falschgeld. Wegen der genauen Stückelung des Bargeldes wird auf Bl. 45 der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
8Ausweislich eines Berichts des Bundeskriminalamts vom 24. September 2019 wurde das Fahrzeug am 21. August 2019 untersucht. Hierbei sei festgestellt worden, dass sich in den Rückenlehnen von Fahrer- und Beifahrersitz je ein Versteck befinde. Das Öffnen und Verschließen der Verstecke erfolge über je mittig verbaute Stellmotoren. In der Rückenlehne der Rückbank befänden sich drei Versteckhohlräume; Zugang erhalte man hierzu, indem man über zwei Seilzüge bzw. auch über eine elektromechanische Entriegelung mittels Zugmotoren und Seilzug zwei Zuhaltevorrichtungen im oberen Bereich der Rückbank entriegele und diese nach vorne klappe. Aus den Verstecken in den Rückenlehnen von Fahrer- und Beifahrersitz sowie der Rückbank wurden Mikrospuren mittels Saugluftfilterung gesichert und asserviert. Nach dem Inhalt eines Gutachtens des Bundeskriminalamts vom 12. November 2019 wurden in den genommenen Saugproben keine Betäubungsmittel gefunden.
9Mit Verfügung vom 5. Februar 2020 stellte die Staatsanwaltschaft Y. das gegen den Kläger geführte Strafverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO ein, da sich der Anfangsverdacht einer strafbaren Geldwäsche mangels einer zeitlich und örtlich hinreichend bestimmbaren Katalogtat im Sinne des § 261 Abs. 1 S. 2 des Strafgesetzbuches (StGB) nicht erhärten lasse.
10Mit Bescheid vom 27. April 2020 stellte das Zollfahndungsamt K. das Fahrzeug sicher und nahm es in öffentliche Verwahrung. Zur Begründung führte die Behörde insbesondere aus: Die in dem Fahrzeug entdeckten Hohlräume würden ausschließlich zum Transport von Schmuggelgütern wie z.B. von Betäubungsmitteln und den Erlös aus dem Handel hiermit dienen. Es bestehe die gegenwärtige Gefahr, dass bei einer Herausgabe des Fahrzeugs an den Kläger oder an andere, dieses erneut zum Schmuggel inkriminierter Gegenstände Verwendung finden werde. Für das Vorhandensein des in den Hohlräumen aufgefunden Bargeldes habe der Kläger keine schlüssige Erklärung abgegeben. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger das Fahrzeug nach Herausgabe zur Begehung von Straftaten einsetzen werde.
11Unter dem 7. Mai 2020 erhob ein Prozessbevollmächtigter des Klägers hiergegen Widerspruch. Zur Begründung führte er im Wesentlichen an: Das gegen den Kläger geführte Ermittlungsverfahren habe die Staatsanwaltschaft Y. eingestellt, sodass ein Schmuggel inkriminierter Gegenstände gerade nicht habe festgestellt werden können. Die Sicherstellung des Fahrzeugs sei außerdem unverhältnismäßig, da ein milderes, gleich geeignetes Mittel im Ausbau des angeblichen „Verstecks“ vor Herausgabe des Fahrzeugs bestehe.
12Nach dem Inhalt einer E-Mail einer Mitarbeiterin des Zollkriminalamts vom 9. Juni 2020 rief ein Prozessbevollmächtigter des Klägers jene an und erkundigte sich unter anderem danach, ob möglicherweise ein Rückbau des Fahrzeugversteckes die Herausgabe ermögliche. Die Behördenmitarbeiterin habe ihm daraufhin mitgeteilt, dass die Behörde sich noch in der rechtlichen Prüfung befinde und sich zu einem späteren Zeitpunkt telefonisch zurückmelden werde. Mit E-Mail vom 25. Juni 2020 teilte die Behördenmitarbeiterin dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit, dass das sichergestellte Fahrzeug aufgrund bestehender Wiederholungsgefahr nicht herausgegeben werden könne und der Widerspruchsbescheid in Kürze folge.
13Mit Widerspruchsbescheid des Zollkriminalamts vom 6. Juli 2020 – dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 8. Juli 2020 zugestellt –, welcher einen bis auf die Rechtsbehelfsbelehrung identischen Widerspruchsbescheid vom 2. Juli 2020 ersetzte, wurde der Widerspruch des Klägers zurückgewiesen (Ziffer 1) und verfügt, dass der Kläger die Kosten des Verfahrens zu tragen habe (Ziffer 2). Zur Begründung führte die Behörde insbesondere aus: Die in dem Navigationssystem des Fahrzeugs gespeicherte Reiseroute entspreche einer typischen Kurierfahrt im Drogenmilieu, was durch die szenetypische Stückelung der beschlagnahmten Geldscheine sowie die Drogenanhaftungen am Bargeld gleichfalls bestätigt werde. Weiter habe das Fahrzeug in einem Zeitraum von ca. sechs Monaten ca. 72.300 km zurückgelegt, was als ein weiteres Indiz für Kurierfahrten in ganz Europa zu werten sei. Die Aussagen des Klägers, er habe nur einen Freund in den Niederlanden besucht und sich das gefundene Geld erspart, seien unglaubhaft. Es sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit und nach kriminalistischer Erfahrung davon auszugehen, dass der Kläger bei Rückgabe des Fahrzeugs dieses erneut zum illegalen Transport von z.B. Drogen und Drogengeldern verwenden werde. Eine Rückgabe des Kraftfahrzeugs mit der Auflage, einen kompletten Rückbau der Verstecke und die Wiederherstellung des originalen Serienzustandes nachzuweisen sowie die vollständige Kostenübernahme durch den Kläger für diese Maßnahme sei als milderes Mittel nicht geeignet, da die begründete Gefahr bestehe, dass das hochwertige Fahrzeug erneut umgebaut, mit Verstecken versehen und wieder für Schmuggelfahrten eingesetzt werde. Ferner sei zu berücksichtigen, dass Straftaten im Drogenmilieu erhebliche finanzielle Gewinne abwerfen würden, was durch die Höhe der beschlagnahmten Barmittel belegt sei. Dies lege nahe, dass die Täter diese lukrativen Verdienstmöglichkeiten schnell und in gleicher Weise erneut nutzen würden.
14Hiergegen hat der Kläger am 3. August 2020 Klage erhoben. Zur Begründung führt er insbesondere aus: Es stehe nicht fest, dass das Bargeld aus einer rechtswidrigen Tat herrühre. Der Anfangsverdacht einer strafbaren Geldwäsche habe sich nicht erhärten lassen. Ferner sei der durchgeführte Drugwipe-Test zur Begründung angeblicher Drogengeschäfte ungeeignet. Es sei völlig unklar, in welchen Mengen angeblich Kokain am Bargeld festgestellt sein soll. Weiter sei allgemein bekannt, dass eine Vielzahl von Banknoten, die sich im Umlauf befänden, Spuren von Kokain aufweisen würden, was jedoch nicht bedeute, dass der Betroffene mit diesen illegalen Substanzen in Kontakt gekommen sei oder diese gar regelmäßig konsumiere. Es sei zu berücksichtigen, dass sämtliche Saugproben aus dem Innenraum des Fahrzeugs negativ gewesen seien. Weiterhin sei die Sicherstellung unverhältnismäßig, da ein durch eine Fachwerkstatt auf Kosten des Klägers durchgeführte Rückbau des Verstecks sowie die nachfolgende Herausgabe des Fahrzeugs ein milderes, gleich geeignetes Mittel dargestellt hätten. Das Argument, dass das Fahrzeug erneut umgebaut und mit Verstecken versehen werden könnte, greife vorliegend nicht, da jedes beliebige Fahrzeug mit Verstecken ausgebaut und für Schmuggelfahrten eingesetzt werden könnte. Im Rahmen des Verwaltungsverfahrens habe die Beklagte behördenintern ebenfalls eine solche Vorgehensweise als milderes Mittel angesehen; warum die Behörde hiervon letztlich abgewichen sei, sei nicht nachvollziehbar. Als milderes Mittel käme ferner in Betracht, das Fahrzeug nach Rückbau des Verstecks zu versteigern und den Erlös nach Abzug der Kosten an ihn auszukehren.
15Der Kläger legte dem Gericht mit Schriftsatz vom 7. Dezember 2020 einen Kaufvertrag vom 00. 000000.0000 über den streitgegenständlichen Pkw mit einer zu diesem Zeitpunkt gegebenen Laufleistung von 73.777 km zu einem Kaufpreis von 34.000,- CHF vor. Wegen der weiteren Einzelheiten des Kaufvertrags wird auf Bl. 85 der Gerichtsakte verwiesen.
16Der Kläger beantragt,
17die in dem Bescheid des Zollfahndungsamts K. vom 27. April 2020 enthaltene Sicherstellungsverfügung in Gestalt des Widerspruchbescheids des Zollkriminalamts vom 6. Juli 2020, sowie die in dem benannten Widerspruchsbescheid enthaltene Kostenentscheidung aufzuheben, und
18die Beklagte zu verurteilen, das Fahrzeug BMW 730 D X-Drive mit der Fahrzeugidentifikationsnummer 00000000000000000 an den Kläger herauszugeben.
19Die Beklagte beantragt,
20die Klage abzuweisen.
21Zur Begründung trägt sie neben einer Wiederholung und Vertiefung des bereits im Rahmen des Verwaltungsverfahrens geäußerten Vorbringens insbesondere vor: Der Kläger habe noch immer nicht mitgeteilt, woher das Geld tatsächlich stamme. Die Einstellung des Strafverfahrens begründe nicht die Aufhebung der präventiven Sicherstellung, die dazu gedacht sei, künftige Straftaten zu vereiteln. Weiterhin lasse sich das positive Ergebnis des Drugwipe-Tests nicht wegdiskutieren. Wozu die am Fahrzeug durchgeführten Umbauten vorgesehen gewesen sein sollen, habe der Kläger bis dato nicht erklärt. Es sei ebenfalls zu berücksichtigen, mit welcher Zielstrebigkeit der Kläger bisher vorgegangen sei, da er nach Erwerb des Kfz keine Zeit verloren habe, einen professionellen Umbau zu veranlassen und das Kraftfahrzeug umfassend für die Fahrten einzusetzen. Es bestehe die begründete Gefahr, dass der Kläger einen etwaigen Verkaufserlös des Fahrzeugs erneut in einen Erwerb eines Fahrzeugs für Schmuggelfahrten oder direkt in den Erwerb bzw. die Verteilung von Betäubungsmitteln investieren würde.
22Mit Beschluss vom 3. Februar 2025 hat die Kammer das Verfahren dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Wegen des Ergebnisses des Termins zur mündlichen Verhandlung vom 28. April 2025 wird auf das Terminprotokoll Bezug genommen.
23Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten.
24Entscheidungsgründe
25Das Passivrubrum war nach § 78 Abs. 1 Nr. 1 Hs. 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) von Amts wegen zu berichtigen. Wenngleich in der Klageschrift vom 3. August 2020 einzelne Behörden (Zollfahndungsamt, Generalzolldirektion und Zollkriminalamt) als Beklagte aufgeführt wurden, war offensichtlich, dass der hinter diesen Behörden stehende Rechtsträger – nach § 1 des Finanzverwaltungsgesetzes (FVG) die Bundesrepublik Deutschland – als Beklagter gemeint war.
26Die Klage hat keinen Erfolg.
27Sie ist als Anfechtungsklage nach § 42 Abs. 1 Alt. 1 VwGO – gerichtet gegen die den Kläger belastenden Verwaltungsakte der Fahrzeugsicherstellung und des in dem Widerspruchsbescheid enthaltenen Kostenausspruchs – sowie als Allgemeine Leistungsklage bzw. als Annexantrag nach § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO – gerichtet auf Herausgabe des Fahrzeugs – statthaft und auch im Übrigen zulässig, allerdings unbegründet.
28Die Sicherstellung des Fahrzeugs stellt sich als rechtmäßig dar und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO.
29Zunächst stellt sich die Fahrzeugsicherstellung als formell rechtmäßig dar. Wenngleich eine nach § 28 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVfG) erforderliche Anhörung vor Erlass des Verwaltungsakts nicht durchgeführt wurde, wurde die Anhörung nach § 45 Abs. 1 Nr. 3 VwVfG nachgeholt.
30Eine Heilung der zunächst unterbliebenen Anhörung setzt voraus, dass die Anhörung nachträglich ordnungsgemäß durchgeführt und ihre Funktion für den Entscheidungsprozess der Behörde uneingeschränkt erreicht wird. Dies ist insbesondere der Fall, wenn die Behörde das Vorbringen des Klägers ergebnisoffen würdigt.
31Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 24. Juni 2010 – 3 C 14.09 –, juris, Rn. 37; Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NRW), Beschluss vom 21. Juli 2010 – 13 B 665/10 –, juris, Rn. 5, m.w.N. und Beschluss vom 30. Oktober 2012 – 5 B 669/12 –, juris, Rn. 10.
32So liegt es hier. Mit Widerspruch vom 7. Mai 2020 nahm der Kläger Stellung zu der Sicherstellungsverfügung vom 27. April 2020. Ausweislich einer in den beigezogenen Verwaltungsvorgängen der Beklagten befindlichen E-Mail vom 9. Juni 2020 rief ein Prozessbevollmächtigter des Klägers weiterhin eine Behördenmitarbeiterin des Zollkriminalamts an und fragte u.a. nach, ob möglicherweise ein Rückbau des Fahrzeugversteckes die Herausgabe ermögliche, woraufhin die Behördenmitarbeiterin u.a. antwortete, dass sich die Behörde noch in der rechtlichen Prüfung befinde. Mit E-Mail an den Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 25. Juni 2020 teilte die Behörde mit, dass das Fahrzeug nicht herausgegeben werden könne und ein Widerspruchsbescheid in Kürze folge. Schließlich wurde mit dem Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2020 u.a. ausgeführt, dass ein Rückbau des Fahrzeugs kein geeignetes milderes Mittel darstellen würde. Hiermit wird deutlich, dass die Behörde das Vorbringen des Klägers nachträglich ergebnisoffen würdigte, womit der Zweck der zunächst unterbliebenen Anhörung erreicht wurde.
33Weiterhin konnte auch die Generalzolldirektion als Widerspruchsbehörde die Anhörung nachholen. Für die Nachholung einer vor Erlass des Verwaltungsaktes unterbliebenen Anhörung ist auch die Widerspruchsbehörde zuständig, wenn sie Rechtmäßigkeit und Zweckmäßigkeit des erlassenen Verwaltungsaktes nachzuprüfen hat.
34Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Oktober 1983 – 1 C 13.81 –, juris, Rn. 13.
35Dies ist hier der Fall. Nach § 32b des Zollfahndungsdienstgesetzes (ZFdG) vom 1. Oktober 2019 (a.F.) können Behörden des Zollfahndungsdienstes eine Sache sicherstellen. Behörde des Zollfahndungsdienstes ist neben den Zollfahndungsämtern ebenfalls das Zollkriminalamt als Direktion der Generalzolldirektion, vgl. § 1 S. 1 ZFdG a.F., womit beiden Behörden hier grundsätzlich dieselben Kompetenzen zustehen. Weiterhin hat das Zollkriminalamt nach § 6 ZFdG a.F. ein umfassendes Weisungsrecht gegenüber den Zollfahndungsämtern. Eine Einschränkung dergestalt, dass dem Zollkriminalamt lediglich eine Rechtskontrolle ermöglicht ist, ist nicht ersichtlich.
36Die Sicherstellung ist auch materiell rechtmäßig. Sie findet ihre Rechtsgrundlage im maßgeblichen Zeitpunkt der letzten behördlichen Entscheidung, mithin hier am 6. Juli 2020, in § 32b Abs. 1 ZfDG a.F. Hiernach können die Behörden des Zollfahndungsdienstes im Zuständigkeitsbereich der Zollverwaltung eine Sache sicherstellen, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwehren.
37Diese Voraussetzungen lagen vor. Insbesondere bestand zum maßgeblichen Zeitpunkt eine gegenwärtige Gefahr. Der polizeirechtliche Begriff der gegenwärtigen Gefahr stellt strenge Anforderungen an die zeitliche Nähe und den Wahrscheinlichkeitsgrad des Schadenseintritts. Gegenwärtig ist eine Gefahr dann, wenn die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.
38Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 8. Juli 2021 – 5 B 1922/20 –, juris, Rn. 35, m.w.N.
39Vorliegend durfte die Behörde annehmen, dass mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen war, dass das Fahrzeug des Klägers in allernächster Zeit (erneut) für den illegalen Transport von Drogen bzw. Drogengeldern verwendet wird. Eine derartige Nutzung des Fahrzeugs hätte mögliche Straftatbestände der §§ 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 13, 30 Abs. 1 Nr. 4, 30a Abs. 1 des Betäubungsmittelgesetzes (BtMG) vom 27. Juni 2020 (a.F.) und der §§ 129, 261 StGB vom 24. Juni 2020 (a.F.) erfüllt und damit gegen die Rechtsordnung verstoßen.
40Es bestanden in der Gesamtschau ausreichende Tatsachen für die Annahme, dass der Kläger unmittelbar vor der Sicherstellung seines Kraftfahrzeugs jedenfalls eine nach § 261 Abs. 1 S. 1, S. 2 Nr. 2 lit. b), Abs. 2 Nr. 1, Abs. 3 StGB a.F. i.V.m. § 29 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 BtMG a.F. strafbare Geldwäsche versucht hat – indem er „Drogengeld“ mit seinem Fahrzeug für sich oder Dritte transportierte – und daher weitere Geldwäschehandlungen unter Zuhilfenahme des Fahrzeugs zu besorgen waren.
41So führte die kriminalistisch erfahrene Behörde aus, dass die Stückelung des in dem Fahrzeug aufgefundenen Geldes szenetypisch für eine Kurierfahrt im Drogenmilieu sei. Hierfür spricht weiter, dass das Fahrzeug innerhalb einer kurzen Zeitspanne eine erhebliche Fahrleistung in Europa absolviert hat. So wies das Fahrzeug ausweislich des im gerichtlichen Verfahren vorgelegten Kaufvertrages vom 00. 000000 0000 bei Kauf einen Kilometerstand von 73.777 km auf. Zum Zeitpunkt des Einsatzes der Zollbeamten am 29. Juli 2019 wies das Fahrzeug hingegen bereits einen Kilometerstand von 147.089 km auf, womit das Fahrzeug innerhalb von ca. sechs Monaten eine Laufleistung von 73.312 km zurücklegte, ohne dass der Kläger hierfür einen Grund nannte. Der in der Schweizerischen Eidgenossenschaft lebende Kläger verhielt und verhält sich auch nicht zu der Tatsache, dass in seinem Navigationssystem Städte in den Niederlanden, in der Bundesrepublik Deutschland und in der Italienischen Republik als Ziele eingespeichert waren und dass seine aktuelle Reiseplanung von Zürich über drei Städte in den Niederlanden nach Mailand führte. Letzteres passt insbesondere nicht zu seiner vor den Zollbeamten abgegebenen Erklärung, er habe am 28. Juli 2019 einen Freund in den Niederlanden für ein paar Stunden besucht und befinde sich nunmehr auf dem Rückweg nach Zürich.
42Ferner reagierten die von den Beamten durchgeführten Drugwipe-Tests an Lenkrad, Schaltung und Bargeld positiv auf Kokain. Soweit der Kläger hiergegen vorträgt, es sei allgemein bekannt, dass eine Vielzahl von sich im Umlauf befindlichen Banknoten Spuren von Kokain aufweisen würde, dringt er damit nicht durch. Jedenfalls stellt dies keinen nachvollziehbaren Erklärungsansatz dafür dar, warum Kokainspuren ebenfalls auf dem Lenkrad und der Schaltung des Fahrzeugs gefunden wurden. Entgegen der Auffassung des Klägers wird das positive Ergebnis des Drugwipe-Tests auch nicht dadurch nichtig, dass die in dem Fahrzeug genommenen Saugproben negativ waren, zumal die Proben lediglich in den Verstecken, nicht jedoch im übrigen Fahrzeuginnenraum genommen wurden.
43Weiterhin befanden sich in dem Fahrzeug mehrere professionell eingebaute Verstecke, deren Sinn und Zweck der Kläger nicht erläuterte und eine Nutzung für illegale Transporte aufdrängen.
44Zudem bewahrte der Kläger in einem dieser Verstecke eine erhebliche Bargeldmenge (1.144.790,- EUR) auf, deren Herkunft er nicht nachvollziehbar darstellte. Soweit er gegenüber den Beamten erklärte, es handele sich hierbei um sein Erspartes, wertet der Einzelrichter dies als Schutzbehauptung. Zum einen erklärte er trotz mehrfacher Nachfrage der Beamten nicht, um welche Menge Bargeld es sich genau handele; er antwortete lediglich, dass es „sehr viel“ sei. Weiterhin ist nicht plausibel, inwiefern der Kläger dazu in der Lage gewesen sein soll, eine derartige Menge Bargeld zu ersparen und warum er sein Erspartes mit zu seinem vermeintlichen Freund in die Niederlande genommen hat. Auch ist nicht erklärlich, warum sein Erspartes eine für ihn fremde Währung – EUR statt CHF – aufweist.
45Entgegen der Auffassung des Klägers ist unerheblich, dass das gegen ihn geführte Strafverfahren unter dem dort geltenden Grundsatz der Unschuldsvermutung nach § 170 Abs. 2 StPO am 5. Februar 2020 eingestellt wurde. Die vorliegende Maßnahme der Behörde diente nicht der Pönalisierung strafbaren Verhaltens, sondern vielmehr der Gefahrenabwehr. Vor dem Hintergrund dieser unterschiedlichen Zielrichtungen ist die Behörde – und auch das Verwaltungsgericht – nicht an die Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft gebunden. In der Gesamtschau der benannten Tatsachen bestand – wie bereits ausgeführt – trotz der Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft eine mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, dass das in dem Fahrzeug transportierte Geld aus Drogengeschäften stammt und das Fahrzeug unmittelbar erneut für den illegalen Transport verwendet werden sollte.
46Als Rechtsfolge durfte die Behörde das Fahrzeug sicherstellen; Ermessensfehler i.S.d. § 114 S. 1 VwGO liegen nicht vor. Insbesondere verstieß die Sicherstellung nicht gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.
47Eine Auferlegung der Pflicht zum Rückbau des Fahrzeugs, d.h. zur Entfernung der in dem Fahrzeug vorhandenen Verstecke, stellte kein milderes Mittel mit gleicher Eignung zur Erreichung der bezweckten Gefahrenabwehr dar. Wenngleich dem Kläger insoweit wohl zuzustimmen ist, dass im Falle eines Rückbaus keine gegenwärtige Gefahr mehr bestehen dürfte, wäre eine derartige Verpflichtung des Klägers nicht mit dem Grundsatz der Effektivität der Gefahrenabwehr in Einklang zu bringen. So hätte der Kläger im Falle der Herausgabe mit gleichzeitiger Verpflichtung zum Umbau das Fahrzeug grundsätzlich weiter als Transportfahrzeug für Drogen bzw. Drogengeld benutzen können. Weiterhin wäre die nötigenfalls erforderliche behördliche Durchsetzung dieser Verpflichtung gegenüber dem ausländischen Kläger mit nicht hinzunehmenden Unsicherheiten behaftet gewesen.
48Entgegen der Auffassung des Klägers stellte auch ein behördlich veranlasster Rückbau auf seine Kosten kein geeignetes milderes Mittel dar. Es ist bereits fraglich, ob ein behördlicher Eingriff in die Substanz des Fahrzeugs überhaupt ein milderes Mittel als die Sicherstellung darstellt. Weiter ist fraglich, ob die Behörde den Kläger überhaupt rechtmäßig zur Duldung des behördlichen Umbaus nach § 26 Abs. 3 S. 1 und 2 i.V.m. § 23 Abs. 1 S. 2 ZFdG a.F. verpflichten konnte. Jedenfalls wäre eine solche behördliche Maßnahme jedoch insofern mit einer nicht hinzunehmenden Unsicherheit verbunden gewesen, dass für die Behörde nicht feststand, dass der Kläger die Kosten der Maßnahme überhaupt tatsächlich tragen würde und ob die Kosten bei ihm nötigenfalls hätten beigetrieben werden können. Ferner kann es nicht der Behörde obliegen, die Sache – statt sie sicherzustellen und sie so effektiv dem Zugriff des Betroffenen zu entziehen – in aufwändiger Weise derart zu verändern, dass der Betroffene sie (zunächst) nicht zur Begehung von Straftaten verwenden kann. Überdies würde in diesem Falle die nicht hinzunehmende Unsicherheit bestehen, dass der Kläger das Fahrzeug erneut umbaut und die Gefahrenlage wiederaufleben lässt. Wenngleich dem Kläger insoweit zuzustimmen ist, dass ein derartiger Umbau grundsätzlich bei jedem beliebigen Fahrzeug möglich ist, ändert dies nichts daran, dass die Behörde diese Unsicherheit bei dem konkret sichergestellten Fahrzeug vor dem Hintergrund des Grundsatzes der Effektivität der Gefahrenabwehr nicht hinzunehmen braucht.
49Weiter stellte die Versteigerung des Fahrzeugs und die anschließende Herausgabe des Erlöses an den Kläger – ungeachtet der Tatsache, dass es hierfür einer vorhergehenden Sicherstellung bedürfte – kein milderes Mittel dar, da das Fahrzeug in diesem Falle unwiederbringlich dem Zugriff des Klägers entzogen gewesen wäre.
50Schließlich stellte sich die Sicherstellung auch als angemessen dar. Dem Schutz der Allgemeinheit vor der Begehung von (gemeinschädlichen) Straftaten war hier gegenüber dem Interesse des Klägers an dem Rückerhalt seines Fahrzeugs der Vorrang einzuräumen. Dem Kläger wurde durch die Sicherstellung des Fahrzeugs auch nicht unwiderruflich das Eigentum hieran entzogen. Es stand und steht dem Kläger frei, die gegen ihn sprechenden Verdachtsmomente nachhaltig auszuräumen oder glaubhaft darzustellen, dass die Begehung von Straftaten mit seinem Fahrzeug nicht mehr zu befürchten ist.
51Der in dem Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2020 enthaltene Kostenausspruch findet seine Rechtsgrundlage in § 73 Abs. 3 S. 3 VwGO i.V.m. § 80 Abs. 1 S. 3 VwVfG und ist rechtlich nicht zu beanstanden.
52Ferner hat der Kläger keinen Anspruch auf Herausgabe seines Fahrzeugs. Ein solcher besteht insbesondere nicht nach § 43 Abs. 1 S. 1 ZFdG n.F.. Hiernach ist die Sache an denjenigen herauszugeben, bei dem sie sichergestellt worden ist, sobald die Voraussetzungen für die Sicherstellung einer Sache weggefallen sind. Die Herausgabe der Sache ist ausgeschlossen, wenn dadurch erneut die Voraussetzungen für eine Sicherstellung eintreten würden, § 43 Abs. 1 S. 3 ZFdG.
53Die Voraussetzungen für die Sicherstellung sind indes nicht weggefallen, da sich bis auf den mittlerweile eingetretenen Zeitablauf keine Änderung der tatsächlichen Gegebenheiten ergeben hat. Dass von dem Kläger bei Herausgabe des Fahrzeugs nunmehr keine Durchführung illegaler Transporte mehr zu erwarten ist, wurde weder glaubhaft dargetan noch ist dies ersichtlich.
54Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
55Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht nach § 167 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 S. 1 und 2, 709 S. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).
56Rechtsmittelbelehrung
57Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
58Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
59Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.