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Zur Rückforderung von Ausbildungsförderung (§ 20 Abs. 1 Nr. 4 BAföG) wegen Auflösung des Vorbehaltes nach § 24 Abs. 2 BAföG, weil der Einkommenssteuerbescheid des Elternteils für den maßgeblichen Zeitraum für die Einkommensermittlung (§ 24 Abs. 1 BAföG) übersandt wird.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des gerichtskostenfreien Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Die Beteiligten streiten um die Rückforderung von Ausbildungsförderung nach Vorbehaltsauflösung und abschließender Entscheidung des Ausbildungsförderungsamtes über Ausbildungsförderung für das Sommersemester 2024.
3Der Kläger studiert seit dem Wintersemester 2021/2022 an der Technischen Universität X. (nachfolgend: TU X.) Biologie, Chemie und Informatik mit dem Abschlussziel Bachelor Lehramt an Gymnasien und Gesamtschulen.
4Am 3. April 2024 beantragte der Kläger, nachdem ihm bereits für vorangegangene Semester Ausbildungsförderung bewilligt worden war, weitere Ausbildungsförderung ab April 2024. Er legte die Einkommenserklärung (Formblatt 3) seiner Mutter sowie deren Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2022 vor. Seine Eltern leben dauerhaft getrennt. Mit am 2. Mai 2024 eingegangenen Schreiben vom 30. April 2024 beantragte der Kläger die spätere Vorlage des Leistungsnachweises nach § 48 BAföG und wies darauf hin, sein Vater leiste nur sporadisch Unterhalt und verweigere die Vermögensauskunft. Er habe rechtliche Schritte gegen seinen Vater eingeleitet, zu deren Nachweis er ein unterhaltsrechtliches Anwaltsschreiben vorlegte. Am 26. Juni 2024 stellte er einen Antrag auf Vorausleistung von Ausbildungsförderung nach § 36 BAföG. Nach Aufforderung durch das beklagte Ausbildungsförderungsamt legte der Vater des Klägers die Einkommenserklärung (Formblatt 3) vor, und machte eigene Angaben zu seinem Einkommen aus Gewerbebetrieb (26.046,- Euro), aus nichtselbständiger Arbeit (7.911,- Euro), aus Vermietung und Verpachtung (5.494,- Euro), sowie zu voraussichtlichen Steuerverpflichtungen (6.142,- Euro). Ein eigener Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2022 liege noch nicht vor. Für die weiteren Einzelheiten wird auf Bl. 189-193 (Rückseite) der Beiakte Heft 2 Bezug genommen.
5Mit Bescheid vom 30. Juli 2024 (Bescheid Nr. 10) bewilligte das beklagte Ausbildungsförderungsamt dem Kläger für sein Studium im Sommersemester 2024 (Bewilligungszeitraum April bis September 2024) Ausbildungsförderung in Höhe von 629,- Euro monatlich (314,50 Euro als Zuschuss und 314,50 Euro als Darlehen). Für beide Elternteile setzte das Ausbildungsförderungsamt eine Sozialpauschale in Höhe von 21,6 Prozent (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 BAföG a.F.) an. Die Bewilligung stellte es unter den Vorbehalt der Rückforderung nach § 24 Abs. 2 BAföG, weil der für die Einkommensberechnung maßgebliche Steuerbescheid des Vaters noch nicht vorlag. Es wies darauf hin, dass der Steuerbescheid für das vorletzte Kalenderjahr vor Beginn des Bewilligungszeitraums dem Ausbildungsförderungsamt sobald wie möglich vorzulegen sei, damit über den Antrag abschließend entschieden werden könne.
6Nach Widerspruch des Klägers vom 3. August 2024, den das Ausbildungsförderungsamt als Änderungsanzeige behandelte, für seine Eltern seien Sozialpauschalen i.H.v. 38 Prozent anzusetzen, weil beide selbstständig (Vater) bzw. als angestellte, nicht sozialversicherungspflichtige Geschäftsführerin (Mutter) tätig seien, änderte das Ausbildungsförderungsamt den Bewilligungsbescheid hinsichtlich der Sozialpauschale der Mutter ab. Mit Bescheid vom 14. August 2024 (Bescheid Nr. 11) bewilligte das beklagte Ausbildungsförderungsamt dem Kläger für sein Studium im Bewilligungszeitraum April bis September 2024) Ausbildungsförderung in Höhe von 697,- Euro monatlich (348,50 Euro als Zuschuss und 348,50 Euro als Darlehen). Für die Mutter setzte das Ausbildungsförderungsamt eine Sozialpauschale in Höhe von 38 Prozent (§ 21 Abs. 1 Nr. 3 BAföG a.F.) und für den Vater eine Sozialpauschale in Höhe von 21,6 Prozent (§ 21 Abs. 1 Nr. 1 BAföG a.F.) an. Wegen dessen Angabe, auch Einkommen aus nichtselbständiger Tätigkeit zu erzielen, sei er in die insoweit vorrangige Nummer 1 des § 21 Abs. 2 BAföG einzuordnen. Die Bewilligung stellte es erneut unter den Vorbehalt der Rückforderung nach § 24 Abs. 2 BAföG, weil der für die Einkommensberechnung maßgebliche Steuerbescheid des Vaters noch nicht vorlag. Es wies darauf hin, dass der Steuerbescheid für das vorletzte Kalenderjahr vor Beginn des Bewilligungszeitraums dem Ausbildungsförderungsamt sobald wie möglich vorzulegen sei, damit über den Antrag abschließend entschieden werden könne.
7Nachdem der Vater des Klägers mit E-Mail vom 10. Dezember 2024 seinen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2022 vorlegte, beschied das Ausbildungsförderungsamt den Antrag des Klägers für den Bewilligungszeitraum April bis September 2024 durch Bescheid vom 27. Dezember 2024 (Bescheid Nr. 12) unter Vorbehaltsauflösung abschließend und bewilligte ihm für den vorerwähnten Bewilligungszeitraum Ausbildungsförderung i.H.v. monatlich 544,- Euro (272,- Euro als Zuschuss und Darlehen 272,- Euro als Darlehen). Die Überzahlung in Höhe von 918,- Euro forderte das Ausbildungsförderungsamt zurück. Für die weiteren Einzelheiten des Bescheides wird auf Bl. 209/1 bis 209/6 der Beiakte Heft 2 Bezug genommen.
8Der Kläger legte mit am 10. Januar 2025 bei dem Ausbildungsförderungsamt eingegangenen Schreiben vom 9. Januar 2025 Widerspruch gegen den Bescheid Nr. 12 ein. Für seinen Vater sei die Sozialpauschale von 38 Prozent anzusetzen. Erneut weise er auf seine geänderte Anschrift hin. Mit weiterem Schreiben vom 23. Januar 2025 widersprach er zudem der für seinen Vater angesetzten Sozialpauschale von 21,6 Prozent im Bescheid Nr. 11.
9Mit Widerspruchsbescheid vom 10. März 2025 wies das Ausbildungsförderungsamt den Widerspruch vom 10. Januar 2025 gegen den Bescheid vom 27. Dezember 2024 zurück. Die Sozialpauschale für die Anrechnung des Einkommens des Vaters sei zutreffend mit 21,6 Prozent angesetzt. Gemäß § 21 Abs. 2 BAföG könne jeder Einkommensbezieher nur einer der in den Nummern 1 bis 4 bezeichneten Gruppen zugeordnet werden. Dies gelte auch, wenn er die Voraussetzungen nur für einen Teil des Berechnungszeitraums erfüllt. Einer Gruppe könne nur zugeordnet werden, wer nicht unter eine in den jeweils vorhergehenden Nummern bezeichnete Gruppe fällt. Der Vater des Klägers falle bereits unter die Gruppe 1. Ihm könne daher nicht die Sozialpauschale i.H.v. 38,8 Prozent der Gruppe 3 gewährt werden. Für die weiteren Einzelheiten der Ausführungen im Widerspruchsbescheid wird auf Bl. 212/4 (zzgl. Rückseite) der Beiakte Heft 2 Bezug genommen.
10Hiergegen hat der Kläger am 7. April 2025 die vorliegende Klage und einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung gemäß § 80 Abs. 5 VwGO erhoben. Zur Begründung trägt er vor, das beklagte Ausbildungsförderungsamt habe ihn vor Erlass des Bescheides Nr. 12 anhören müssen. Der Einkommenssteuerbescheid seines Vaters für das Jahr 2022 habe der abschließenden Bescheidung nicht zugrunde gelegt werden dürfen. Der Bescheid befinde sich im finanzrechtlichen Änderungsverfahren. Für seinen Vater sei eine Sozialpauschale von 38 Prozent anzusetzen. Das Ausbildungsförderungsamt habe einen Aktualisierungsantrag des Klägers vereitelt. Die Rückforderung i.H.v. 918,- Euro sein eine unbillige Härte. Wegen seines Vorausleistungsantrags habe das Amt für Ausbildungsförderung sich für die Rückforderung an seinen Vater zu wenden.
11Der Kläger beantragt schriftsätzlich wörtlich,
12„die gerichtliche Prüfung, insbesondere• ob das Verwaltungsverfahren ordnungsgemäß geführt wurde,
13• ob mein Anspruch auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG gewahrt wurde,
14• ob die Rückforderung auf einer rechtlich tragfähigen und endgültigen Grundlage beruht,
15• und ob das Studierendenwerk sein pflichtgemäßes Ermessen ordnungsgemäß ausgeübt hat – insbesondere unter Berücksichtigung meiner dokumentierten gesundheitlichen und wirtschaftlichen Härte sowie der tatsächlichen Unterhaltssituation.
161. Die in Bescheid Nr. 12 des Studierendenwerks X. vom 27.12.2024 enthaltene Rückforderung in Höhe von 918,00 € wird aufgehoben.
172. Das Studierendenwerk wird verpflichtet, eine nachträgliche Aktualisierung des zugrunde gelegten Elterneinkommens gemäß § 24 Abs. 3 BAföG für den Bewilligungszeitraum April bis September 2024 zuzulassen, da mir aufgrund der fehlerhaften und verspäteten Zustellung eine rechtzeitige Antragstellung unverschuldet nicht möglich war.
183. Das Studierendenwerk wird verpflichtet, von einer Rückforderung gegenüber mir abzusehen und stattdessen Rückgriff auf den leistungsfähigen Elternteil zu nehmen, da durch meinen Antrag auf Vorausleistung vom 26.06.2024 gemäß § 36 Abs. 1 BAföG der Unterhaltsanspruch auf das Amt übergegangen ist.
194. Das Studierendenwerk wird verpflichtet, eine abweichende Anrechnung des Elterneinkommens unter Berücksichtigung einer besonderen wirtschaftlichen und gesundheitlichen Härte gemäß § 25 Abs. 6 BAföG zu prüfen und pflichtgemäß über eine Reduzierung oder einen Verzicht auf die Rückforderung zu entscheiden.
205. Es wird festgestellt, dass das Verwaltungsverfahren im Zusammenhang mit Bescheid Nr. 12 vom 27.12.2024 nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde – insbesondere unter Verstoß gegen die Anhörungspflicht (§ 28 VwVfG), das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) sowie § 45 VwVfG – und dass mir dadurch die Möglichkeit zu einer rechtzeitigen Antragstellung gemäß § 24 Abs. 3 BAföG genommen wurde.“
21Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
22die Klage abzuweisen.
23Das beklagte Ausbildungsförderungsamt führt aus, die Vorbehaltsauflösung im Bescheid Nr. 12 sei – wie im Widerspruchsbescheid vom 10. März 2025 – ebenso rechtmäßig wie die Einordnung des Vaters des Klägers in die Sozialpauschale nach § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen in der Klageerwiderung vom 14. Mai 2025 Bezug genommen.
24Den Eilantrag des Klägers hat die Kammer durch Beschluss vom 8. April 2025 – 15 L 645/25 – als unzulässig abgelehnt. Der vorliegenden Klage komme aufschiebende Wirkung zu. Für die weiteren Einzelheiten wird auf die Ausführungen im vorerwähnten Beschluss Bezug genommen.
25Das Gericht hat die Beteiligten in der Eingangsmitteilung bzw. Klagezustellung vom 8. April 2025 zur beabsichtigten Übertragung des Rechtsstreits auf den Einzelrichter zur Entscheidung angehört. Die Beteiligten – der Kläger mit Schriftsatz vom 6. Juni 2025 und das beklagte Ausbildungsförderungsamt mit Schriftsatz vom 16. Mai 2025 – haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erklärt. Die Kammer hat den Rechtsstreit durch Beschluss vom 23. Juni 2025 dem Berichterstatter zur Entscheidung als Einzelrichter übertragen.
26Für die weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
27Entscheidungsgründe
28Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch den Einzelrichter und gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
29Die schriftlichen Klageanträge des anwaltlich unvertretenen Klägers sind auszulegen (§ 88 VwGO).
30Nach § 88 VwGO darf das Gericht über das Klagebegehren nicht hinausgehen, ist aber an die Fassung der Anträge nicht gebunden; es hat vielmehr das tatsächliche Rechtsschutzbegehren zu ermitteln. Maßgebend für den Umfang des Klagebegehrens ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts das aus dem gesamten Parteivorbringen, insbesondere der Klagebegründung, zu entnehmende wirkliche Rechtsschutzziel. Insoweit sind die für die Auslegung von Willenserklärungen geltenden Grundsätze (§§ 133, 157 BGB) heranzuziehen. Maßgebend ist der geäußerte Parteiwille, wie er sich aus der prozessualen Erklärung und den sonstigen Umständen ergibt; der Wortlaut der Erklärung tritt hinter deren Sinn und Zweck zurück. Ist der Kläger im Verwaltungsprozess anwaltlich vertreten, kommt der Fassung des Klageantrags bei der Ermittlung des tatsächlich Gewollten zwar gesteigerte Bedeutung zu. Weicht das wirkliche Klageziel von der Antragsfassung jedoch eindeutig ab, darf auch die Auslegung vom Antragswortlaut abweichen.
31BVerwG, Urteil vom 1. September 2016 – 4 C 4.15 –, juris Rn. 9; Beschluss vom 12. Mai 2020 – 6 B 53.19 –, juris Rn. 3
32Der Kläger wendet sich in seinem Hauptantrag gegen die im Bescheid Nr. 12 festgesetzte Rückforderung i.H.v. 918,- Euro aufgrund abschließender Bescheidung seines Antrags auf Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum April bis September 2024. Die Teilaufhebung der Bewilligungsentscheidung im Bescheid Nr. 11 und die vorerwähnte Rückförderung möchte er durch das angerufene Verwaltungsgericht beseitigen. Dieses wahre Klageziel kann er mit seinem als Anfechtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 1 VwGO) statthaften Hauptantrag (Antrag zu 1.) erreichen, wenn dieser Antrag nach dem vorgesehenen Recht (§ 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) die Regelungswirkung des Widerspruchsbescheids vom 10. März 2025 berücksichtigend dahingehend formuliert wird,
33den Bescheid des Beklagten vom 27. Dezember 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2025 aufzuheben.
34Die Hilfsanträge fallen, auch hinsichtlich der von Amts wegen zu prüfenden Sachurteilsvoraussetzungen, erst nach Erfolglosigkeit des Hauptantrages zur Entscheidung an (s. unter II.).
35I. Der zulässige Hauptantrag in der vorstehenden sachgerechten Auslegung ist unbegründet. Der Bescheid des beklagten Studierendenwerks vom 27. Dezember 2024 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 10. März 2025 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
36Rechtsgrundlage für die Rückforderung ist § 20 Abs. 1 Nr. 4 des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (BAföG). Danach ist, wenn die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung an keinem Tage des Kalendermonats vorgelegen haben, für den sie gezahlt worden ist, – außer in den Fällen der §§ 44 bis 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) – insoweit der Bewilligungsbescheid aufzuheben und der Förderungsbetrag zu erstatten.
37Der Bescheid Nr. 12 ist formell rechtmäßig. Die von dem Kläger gerügten Verfahrensfehler liegen aus den in der Klageerwiderung vom 14. Mai 2025 dargestellten Gründen – zur entbehrlichen Anhörung vgl. insbesondere § 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X – nicht vor. Die Adressierung des an den Kläger gerichteten Bescheides Nr. 12 an die Anschrift seiner Mutter vermag die Rechtswidrigkeit des Bescheides unter keinem Gesichtspunkt zu begründen. Der unter anderem für den Lauf der Klagefrist maßgebliche Widerspruchsbescheid (§§ 74 Abs. 1 Satz 1, 79 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) war an die zutreffende Anschrift adressiert. Das Ausbildungsförderungsamt hatte den Kläger im Bescheid Nr. 11 ausdrücklich auf den Vorbehalt der Rückforderung aus § 24 Abs. 2 BAföG hingewiesen. Ihm war diese Verfahrensweise ausweislich des vorgelegten Verwaltungsvorgangs aus den vorherigen Bewilligungszeiträumen bekannt. Für den Bewilligungszeitraum Oktober 2023 bis März 2024 hat das Ausbildungsförderungsamt nach Bescheidung unter dem Vorbehalt der Rückforderung durch Bescheid vom 30. Oktober 2023 (Bescheid Nr. 8) nach Vorbehaltsauflösung abschließend durch Bescheid 27. Juni 2024 (Bescheid Nr. 9) entschieden (vgl. Bl. 147-149 und 154/1 f. Beiakte Heft 1), nachdem der Einkommensteuerbescheid des Vaters für das Jahr 2021 dem Ausbildungsförderungsamt vorgelegt worden ist.
38Der Bescheid Nr. 12 ist materiell rechtmäßig. Die Auflösung des Vorbehaltes und abschließende Entscheidung durch den angefochtenen Bescheid findet ihre Grundlage in § 24 Abs. 2 Satz 1 BAföG. Danach wird über den Antrag abschließend entschieden, sobald der Steuerbescheid dem Amt für Ausbildungsförderung vorliegt.
39Der Bescheid Nr. 11 vom 14. August 2024 stand unter dem ausdrücklichen Vorbehalt der Nachprüfung für den Fall, dass der Einkommenssteuerbescheid über das Einkommen des Vaters des Klägers in dem nach § 24 Abs. 1 BAföG maßgeblichen Kalenderjahr vorliegt. Dieser Vorbehalt war rechtmäßig. Nach § 50 Abs. 1 Satz 2 BAföG kann ein Bescheid unter dem Vorbehalt der Rückforderung nur ergehen, soweit dies in dem Bundesausbildungsförderungsgesetz vorgesehen ist. Der vorliegend aufgelöste Vorbehalt ist gesetzlich in § 24 Abs. 2 BAföG vorgesehen. Ist der Einkommensbezieher für diesen Zeitraum zur Einkommensteuer zu veranlagen, liegt jedoch der Steuerbescheid dem Amt für Ausbildungsförderung noch nicht vor, so wird unter Berücksichtigung der glaubhaft gemachten Einkommensverhältnisse über den Antrag entschieden (§ 24 Abs. 2 Satz 1 BAföG). Ausbildungsförderung wird insoweit – außer in den Fällen des § 18c – unter dem Vorbehalt der Rückforderung geleistet (§ 24 Abs. 2 Satz 2 BAföG).
40Das Ausbildungsförderungsamt durfte hiernach den im Bescheid Nr. 11 verfügten Vorbehalt auflösen, nachdem der Vater des Klägers seinen Einkommenssteuerbescheid für das Jahr 2022 mit E-Mail vom 10. Dezember 2024 übersandt hatte, ohne auf ein anhängiges Änderungsverfahren hinzuweisen. In dem Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2025 als für die rechtliche Beurteilung der Vorbehaltsauflösung maßgeblichen Sach- und Rechtslage war dem Ausbildungsförderungsamt ein steuerrechtliches Änderungsverfahren hinsichtlich des Einkommenssteuerbescheides nicht bekannt.
41Weder Auszubildende noch die in §§ 24 und 25 BAföG Genannten können im ausbildungsförderungsrechtlichen Verfahren mit Einwänden gegen die Richtigkeit des Steuerbescheids gehört werden. Sie sind auf abgabenrechtlichen Rechtsschutz durch Einspruch (§ 347 der Abgabenordnung - AO -) und Klage vor dem Finanzgericht (§ 40 FGO) zu verweisen. Dort können etwa Eltern als Adressaten eines Steuerbescheids,
42vgl. BFH, Urteil vom 20. Dezember 1994 – IX R 124/92 –, juris Rn. 13,
43und Auszubildende ihre Beschwer geltend machen (§ 350 AO), indem sie auf die ausbildungsförderungsrechtliche Bindungswirkung verweisen. Über diesen Weg können sie sogar an ihre Eltern adressierte Steuerbescheide zur Überprüfung stellen, soweit sie beschwert sind.
44Vgl. BVerwG, Beschluss vom 18. Februar 1986 – 5 B 84.85 –, juris Rn. 5; Kuznik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 21 BAföG (Stand: 15.04.2025), Rn. 32.
45Im Ausbildungsförderungsrecht kommt zudem nach der Durchführung eines Änderungsverfahrens über einen Einkommenssteuerbescheid eines Elternteils des Auszubildenden ein Überprüfungsantrag nach § 44 SGB X grundsätzlich in Betracht.
46Im gegenwärtigen Zeitpunkt hat der Kläger jedoch weder mitgeteilt, dass aus dem Änderungsverfahren eine Abänderung des Einkommenssteuerbescheides für seinen Vater hinsichtlich des Jahres 2022 erfolgt ist, noch hat er einen Überprüfungsantrag bei der Behörde gestellt. Gegen die insoweit allein zur gerichtlichen Überprüfung gestellte Bescheidung seines Ausbildungsförderungsantrags für den Bewilligungszeitraum April bis September 2024 durch Bescheid Nr. 12 und Widerspruchsbescheid vom 10. März 2025 kann das laufende Änderungsverfahren nicht angeführt werden.
47Das Ausbildungsförderungsamt hat die Sozialpauschale für den Vater des Klägers aus § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BAföG a.F., in der für den streitbefangenen Bewilligungszeitraum geltenden Fassung, zutreffend angewendet. Dies folgt gesetzlich aus § 21 Abs. 2 Satz 2 und 3 BAföG. Danach ist, wie das Ausbildungsförderungsamt im Widerspruchsbescheid und der Klageerwiderung vom 14. Mai 2025 zutreffend ausgeführt hat, jeder Einkommensbezieher nur einer der in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 BAföG bezeichneten Gruppen zuzuordnen; dies gilt auch, wenn er die Voraussetzungen nur für einen Teil des Berechnungszeitraums erfüllt. Einer Gruppe kann gemäß § 21 Abs. 2 Satz 3 BAföG nur zugeordnet werden, wer nicht unter eine in den jeweils vorhergehenden Nummern bezeichnete Gruppe fällt. Der Vater des Klägers ist für die Anrechnung seines Einkommens aus dem Jahr 2022 (§ 24 Abs. 1 BAföG) zutreffend in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BAföG eingeordnet. Er hat in dem Jahr 2022 Einkommen unter anderem aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt.
48Ein Einkommensbezieher ist einer der in § 21 Abs. 2 Satz 1 BAföG genannten Pauschalengruppen schon dann zuzuordnen, wenn er deren Voraussetzungen auch nur für einen Teil des Berechnungszeitraumes erfüllt, bspw. für nur einen Monat des Jahres. Die in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 bis 4 BAföG enumerativ aufgezählten Gruppen stehen zueinander in einem Rangverhältnis, bei Nr. 1 beginnend. Gemäß § 21 Abs. 2 Satz 3 BAföG ist ein Einkommensbezieher, der in einem Kalenderjahr mehreren Gruppen zugeordnet werden kann, der zuerst aufgeführten Gruppe zuzuordnen.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 2014 – 5 C 6.13 –, juris Rn. 18; Kuznik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 21 BAföG (Stand: 15.04.2025), Rn. 58 f.
50Die von dem Kläger behauptete abweichende Einstufung des Vaters in § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG a.F. durch ein anderes Ausbildungsförderungsamt für die Bescheidung eines Ausbildungsförderungsantrags des Bruders des Klägers für denselben Bewilligungszeitraum führt zu keinem abweichenden Ergebnis. Diese Einstufung wäre rechtswidrig. der Kläger kann daraus nichts für sich ableiten. Zum einen binden Verwaltungshandlungen der einen Behörde in ihrem Zuständigkeitsbereich im Wege der Verwaltungspraxis (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht andere Behörden für Bescheidungen in deren Zuständigkeitsbereich. Zum anderen kann der Kläger einen Anspruch auf Gleichbehandlung nach dem allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) nicht für sein ausbildungsförderungsrechtliches Begehren im Rahmen der Leistungsverwaltung fruchtbar machen, wenn er begehrt, was einem anderen zu Unrecht bewilligt worden ist.
51Nach dem Grundsatz „keine Gleichheit im Unrecht“,
52vgl. BVerwG, EuGH-Vorlagebeschluss vom 24. Oktober 2001 – 6 C 3.01 –, juris Rn. 69,
53kann ihm nicht zum Vorteil gereichen, sollte seinem Bruder insoweit rechtswidrig Ausbildungsförderung gewährt worden sein, soweit für die Anrechnung des väterlichen Einkommens in demselben Bewilligungszeitraum unrichtig (d.h. zu Unrecht) die Sozialpauschale von 38 Prozent aus § 21 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BAföG berücksichtigt worden sein sollte.
54Auf väterliches Einkommen aus einem anderen Zeitraum kommt es vorliegend nicht an. Für die Anrechnung des Einkommens der Eltern und des Ehegatten oder Lebenspartners des Auszubildenden sind die Einkommensverhältnisse im vorletzten Kalenderjahr vor Beginn des Bewilligungszeitraums maßgebend (§ 24 Abs. 1 BAföG). Einen Aktualisierungsantrag nach § 24 Abs. 3 BAföG für den Bewilligungszeitraum April bis September 2024 hat der Kläger bei dem Ausbildungsförderungsamt ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs innerhalb des Bewilligungszeitraums (vgl. § 24 Abs. 3 Satz 2 Halbs. 2 BAföG) nicht angebracht.
55Einen Härtefallantrag nach § 25 Abs. 6 BAföG, wonach zur Vermeidung unbilliger Härten auf besonderen Antrag, abweichend von den Vorschriften der §§ 21 ff. BAföG ein weiterer Teil des Einkommens eines Elternteils, Ehegatten oder Lebenspartners des Auszubildenden anrechnungsfrei bleiben kann, hat der Kläger ebenfalls nicht bei dem Ausbildungsförderungsamt angebracht. Überdies ist der Antrag vor dem Ende des Bewilligungszeitraums zu stellen. Ob im Lichte des vorgetragenen Sachverhaltes ein Härtefallantrag nach § 25 Abs. 6 BAföG nach Abschluss des steuerrechtlichen Änderungsverfahrens über den Einkommenssteuerbescheid des Vaters für das Jahr 2022 zu einer abweichenden Beurteilung führen könnte,
56vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. August 1989 – 1 BvR 1687/88 –, juris Rn. 2, zur Zulässigkeit eines späteren Härtefallantrags bei später vorliegenden bestandskräftigen Einkommenssteuerbescheides,
57bedarf für die vorliegende Klage keiner Entscheidung. Einen solchen Härtefallantrag hat der Kläger bei dem Ausbildungsförderungsamt nicht gestellt. Einen geänderten Einkommenssteuerbescheid seines Vaters für das Jahr 2022 hat weder er noch sein Vater dem Ausbildungsförderungsamt vorgelegt. Der verwaltungsgerichtliche Rechtsschutz ist aus verfassungsrechtlichen Gründen der Gewaltenteilung (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 des Grundgesetzes - GG -) grundsätzlich nachgelagerter Rechtsschutz, der auf die Überprüfung von Verwaltungshandeln gerichtet ist und nicht auf vorbeugende Gerichtsaussprüche, wie die Verwaltung noch nicht gestellte Anträge zu bescheiden hat.
58Der Rückforderungsanspruch ist – anders als der Kläger materiell-rechtlich, d.h. in der Sache, vorträgt – nicht gegenüber dem Vater geltend zu machen. Die Rückforderung ist grundsätzlich demjenigen gegenüber geltend zu machen, der die Leistungen zu Unrecht erhalten hat. Dies ist vorliegend der Kläger. Sein Unterhaltsanspruch gegen seinen Vater ist nicht wegen seines Antrags auf Vorausleistung nach § 36 BAföG auf das beklagte Ausbildungsförderungsamt übergegangen. Denn die Bewilligung von Ausbildungsförderung im Bescheid Nr. 11 ist nicht als Vorausleistung von Ausbildungsförderung nach § 36 BAföG ohne Anrechnung des Elterneinkommens erfogt, sondern unter Anrechnung des Einkommens des Vaters aufgrund seiner Angaben gegenüber dem Ausbildungsförderungsamt und insoweit unter dem Vorbehalt der Rückforderung (§ 24 Abs. 2 BAföG). Ein Unterhaltsanspruch des Klägers gegenüber seinem Vater ist damit nicht auf das Ausbildungsförderungsamt übergegangen.
59II. Die nach der Erfolglosigkeit des Hauptantrags aus den vorstehenden Gründen zur Entscheidung des Gerichts anfallenden Hilfsanträge sind unzulässig.
60Soweit der Kläger die Verpflichtung des beklagten Ausbildungsförderungsamtes begehrt, einen Aktualisierungsantrag (Antrag zu 2.) oder einen Härtefallantrag (Antrag zu 4.) von ihm entgegenzunehmen und zu bescheiden, fehlt ihm ein Rechtsschutzbedürfnis. Er hat diese Anträge gegenüber der Behörde nicht gestellt, bevor er gerichtlichen Rechtsschutz ersucht hat. Überdies berührte dieser Vortrag aus den unter I. dargelegten Ausführungen nicht die Rechtmäßigkeit des Bescheides Nr. 12 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2025.
61Soweit er die Aufhebung des Bescheides Nr. 12 und Rückgriff für die Rückforderung gegenüber seinem Vater aufgrund von § 36 BAföG begehrt (Antrag zu 3.) ist über die Rechtmäßigkeit des Bescheides Nr. 12 und des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2025 bereits im Rahmen der Anfechtungsklage entschieden (s.o.), wo seine materiell-rechtlichen Ausführungen zu §§ 36 f. BAföG nicht durchgreifen konnten. Für einen weiteren Verpflichtungsantrag fehlt ihm das Rechtsschutzbedürfnis. Das Gericht hat die Frage des sachlichen Rechts bereits zum Anfechtungsantrag beantwortet.
62Der auf die Feststellung von angeblich fehlerhaften Verfahrenshandlungen gerichtete weitere Hilfsantrag (Antrag zu 5.), weil der Beklagte den Kläger vor Erlass des Bescheides Nr. 12 nicht angehört und damit sein Recht auf rechtliches Gehör verletzt habe, ist wegen der Nachrangigkeit der Feststellungsklage (§ 43 Abs. 2 Satz 1 VwGO) unstatthaft. Über die formelle Rechtmäßigkeit des Bescheides Nr. 12 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2025 ist in der statthaften und als Gestaltungsklage vorrangigen Anfechtungsklage entschieden worden (s.o.).
63III. Die Kosten des Verfahrens hat der unterlegene Kläger zu tragen (§ 154 Abs. 1 VwGO). Gerichtskosten fallen nicht an (§ 188 Satz 2 VwGO).
64Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 und 1 Satz 1 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2, 108 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung.
65Rechtsmittelbelehrung
66Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
67Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
68Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.