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Die aufschiebende Wirkung der Klage 14 K 6280/24 gegen die Allgemeinverfügungen der Antragsgegnerin durch Aufstellen der verkehrsrechtlichen Anordnungen in Form der Verkehrsschilder
531-20 (Einengung Fahrstreifen von 2 auf 1 links) an der Klarastraße in Essen im Bereich der Kreuzung Rüttenscheider Straße/Zweigertstraße/Klarastraße) (Standort 1)
214-30 (vorgeschriebene Fahrtrichtung rechts oder links), VZ1022-10 (Radverkehr frei), VZ1026-32 (Linienverkehr frei) an der Rüttenscheider Straße/Ecke Zweigertstraße/Klarastraße in Essen in Fahrtrichtung Süden in Höhe der Hausnummer 62 (Standort 2 und „gegenüber Standort 2“),
209-30 (vorgeschriebene Fahrtrichtung geradeaus) und 1022-10 (Radverkehr frei) an der Klarastraße/Ecke Rüttenscheider Straße in Essen (Standort 4 neu),
267 (Einfahrt verboten), 1022-10 (Radverkehr frei), 1026-32 (Linienverkehr frei) an der Rüttenscheider Straße in Essen im Bereich der Kreuzung Rüttenscheider Straße/Klarastraße/Zweigertstraße in Höhe der Hausnummern 95 (Standort 5 und „gegenüber von Standort 5“),
267 (Einfahrt verboten), 1000-21 (Vorankündigung „rechts“), VZ 1004-30 (100m), VZ1023-33 (Zufahrt bis Christophstr. frei) an der Zweigertstraße/Ecke Rüttenscheider Straße in Essen in Höhe der Rüttenscheider Straße 66 (Standort 6),
209 (Rechtsabbiegegebot) 1022-10 (Radverkehr frei), 1026-32 (Linienverkehr frei) an der Rüttenscheider Straße/Ecke Christophstraße in Essen in Höhe der Rüttenscheider Straße 74a (Standort 7) und
267 (Einfahrt verboten), 1022-10 (Radverkehr frei), 1026-32 (Linienverkehr frei) an der Rüttenscheider Straße/Ecke Christophstraße in Essen in südliche Fahrtrichtung in Höhe der Rüttenscheider Straße 78 sowie 113/Ecke Dorotheenstraße (Standort 8 und „gegenüber von Standort 8“),
i.V.m. den verkehrsrechtlichen Anordnungen vom 8. und 18. Oktober 2024 wird angeordnet.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die zuvor bezeichneten Verkehrsschilder zu entfernen oder durch geeignete Maßnahmen bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache abzudecken und die ehemalige Linksabbiegerspur für Kfz auf der Klarastraße/Rüttenscheider Straße in Essen (Fahrtrichtung Zweigertstraße) bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache wiederherzustellen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
2Der wörtlich gestellte Antrag der Antragstellerin,
31. die aufschiebende Wirkung der Klage 14 K 6280/24 anzuordnen,
2. die Antragsgegnerin zu verpflichten, die auf Grundlage der in der Klage bezeichneten verkehrsrechtlichen Anordnungen aufgestellten Verkehrsschilder zu entfernen und die ehemalige Linksabbiegerspur für Kfz auf der Klarastraße (Fahrtrichtung Zweigertstraße) wiederherzustellen.
ist nach dem erkennbaren Begehren der Antragstellerin wie aus dem Tenor ersichtlich sachdienlich auszulegen.
8Der so ausgelegte Antrag, der über das Begehren der Antragstellerin nicht hinausgeht3www.toom.de
9hat Erfolg.
10Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Allgemeinverfügungen i.V. mit den verkehrsrechtlichen Anordnungen der Antragsgegnerin vom 8. und 18. Oktober 2024 erhobenen Klage ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – statthaft und auch im Übrigen zulässig.
11Die Antragstellerin ist insbesondere in entsprechender Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Für die Antragsbefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO genügt es, dass nach dem Vorbringen der Antragstellerin eine Verletzung ihrer Rechte möglich erscheint. An der Antragsbefugnis fehlt es nur dann, wenn die von der Antragstellerin geltend gemachte Rechtsposition offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihr zustehen kann. Für den Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts bedeutet dies stets die Bejahung der Antragsbefugnis, weil zumindest eine Verletzung der allgemeinen Freiheitsgewährleistung nach Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes – GG – in Betracht kommt.
12Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. August 2003 – 3 C 15.03 –, juris und vom 29. April 2020 – 7 C 29.18 –, juris.
13Ein Verkehrsteilnehmer kann als eine Verletzung seiner Rechte geltend machen, die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen für eine auch ihn treffende Verkehrsbeschränkung nach § 45 Abs. 1 der Straßenverkehrsordnung – StVO – seien nicht gegeben. Was die behördliche Ermessensausübung betrifft, kann er allerdings nur verlangen, dass seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler abgewogen werden mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen.
14Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1993 – 11 C 35.92 –, juris.
15Die Antragstellerin macht geltend, von den angegriffenen Regelungen betroffen zu sein, da sie die entsprechenden Straßen auf dem Weg zu den von ihr betriebenenG.-geschäften in der Q.-Straße N01, einer Querstraße zur Rüttenscheider Straße, sowie in der I.-Straße N01 befahre und bei Anfahrt aus dem Norden nunmehr gezwungen sei, erhebliche Umwege zu fahren. Damit ist sie jedenfalls als Verkehrsteilnehmerin mit den verkehrsrechtlichen Anordnungen konfrontiert und kann eine mögliche Verletzung ihrer Rechte aus Art. 2 Abs. 1 GG geltend machen.
16Die Antragstellerin hat die Anfechtungsklage (14 K 6280/24) auch fristgerecht vor Ablauf der hier maßgeblichen Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO, welche mit der ersten Möglichkeit der Antragstellerin, die Verkehrsregelungen nach ihrer Aufstellung im Zeitraum 14. bis 23. Oktober 2024 wahrzunehmen, zu laufen begann, erhoben.
17Der Antrag ist auch begründet.
18Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn deren aufschiebende Wirkung – wie hier – entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO ausgeschlossen ist. Der von dem Gesetzgeber in diesen Fällen angenommene Vorrang des öffentlichen Vollziehungsinteresses besteht dann nicht, wenn sich der angegriffene Verwaltungsakt im Rahmen der vorzunehmenden summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist.
19Die zuvor näher bezeichneten Verkehrszeichen, welche als Allgemeinverfügungen die die verkehrsrechtlichen Anordnungen der Antragsgegnerin vom 8. und 18. Oktober 2024 umsetzen, stellen sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig dar.
20Die Rechtmäßigkeit der hier streitigen verkehrsrechtlichen Anordnungen bemisst sich allein nach § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 1 und 3 StVO.
21§ 45 Abs. 1 b) Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO, wonach die Straßenverkehrsbehörde dem Grunde nach auch notwendige Anordnungen zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung treffen können und hierdurch ermächtigt werden, gemeindliche Verkehrskonzepte zu fördern, ist vorliegend nicht einschlägig. Denn wie bereits im Beschluss des Gerichts vom 8. November 2024 – 14 L 1721/24 – betreffend das Abbiegegebot am Ende der Huyssenallee in Essen im Kreuzungsbereich Friedrichstraße/Hohenzollernstraße/Huyssenallee/Rüttenscheider Straße ausgeführt, hat sich die Antragsgegnerin auf diese Vorschrift weder im Verwaltungsverfahren bzw. im Rahmen der gemeindlichen Entscheidungsfindung noch in der Antragserwiderung gestützt.
22Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 8. November 2024 – 14 L 1721/24.A –, www.nrwe.de, juris.
23Es ist auch bezüglich der hier streitgegenständlichen Regelungen nicht ersichtlich, dass sie neben den allein herangezogenen Zielen der Verkehrslenkung und -entwicklung ein städtebauliches Konzept im Sinne dieser Vorschriftverfolgt hätte.
24Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten.
25Der Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO setzt eine konkrete Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs voraus. Dafür bedarf es allerdings nicht des Nachweises, dass sich ein Schadensfall bereits realisiert hat; es genügt, dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten können. Dies beurteilt sich danach, ob die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder Strecke einer Straße die Befürchtung nahelegt, dass die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt; die Annahme einer die Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO rechtfertigenden konkreten Gefahr ist also nicht ausgeschlossen, wenn zu bestimmten Zeiten der Eintritt eines Schadens unwahrscheinlich sein mag.
26Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 – 7 C 46.78 –, juris; OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Februar 2023 – 8 A 3251/21 –, juris.
27Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung umfasst dabei unter anderem die Einhaltung der Normen der Straßenverkehrsordnung, die ihrerseits die Zielsetzung hat, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu schützen. Das Schutzgut der Sicherheit des Verkehrs bezieht sich auf die Vermeidung von Schäden für Personen und Sachen im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr. Das Schutzgut der Ordnung des Verkehrs bezieht sich auf einen Zustand, in dem die Leichtigkeit und Flüssigkeit des fließenden wie ruhenden Verkehrs gewährleistet ist.
28Vgl. VG Köln, Urteil vom 11. Februar 2022 – 18 K 7110/20 –, n.v.; VG Köln, Beschluss vom 20. August 2024 – 18 L 1279/24 –, juris.
29Nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen ferner nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Aus Wortlaut und Systematik der Vorschriften ergibt sich, dass § 45 Abs. 9 StVO die allgemeine Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO zwar modifiziert und konkretisiert, aber nicht ersetzt. Die Vorschrift zielt dabei darauf ab, die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufzuwerten und die "Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung" zu verdeutlichen. "Zwingend erforderlich" ist ein Verkehrszeichen unter Berücksichtigung dieses Regelungszwecks und des Wortlauts der Vorschriften nur dann, wenn es die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche und allein in Betracht kommende Maßnahme ist. Das ist nicht der Fall, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten. Das Aufstellen von Verkehrszeichen hat damit Ausnahmecharakter.
30Vgl. VG Würzburg, Urteil vom – W 6 K 21.318 –, juris Rn. 23; VG München, Urteil vom 8. Juli 2014 – M 23 K 13.3214 –, juris; VG Köln, Beschluss vom 20. August 2024 – 18 L 1279/24 –, juris.
31Nach der (weiter) qualifizierten Voraussetzung des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO dürfen Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung näher benannter Rechtsgüter erheblich übersteigt.
32Die für solche Maßnahmen erforderliche, auf besondere örtliche Verhältnisse zurückgehende qualifizierte Gefahrenlage kann insbesondere durch die Streckenführung, den Ausbauzustand, witterungsbedingte Einflüsse, die Verkehrsbelastung und die daraus resultierenden Unfallzahlen begründet sein. Sie kann sich auch aus einer Gesamtschau einzelner, für sich allein noch nicht hinreichend gefahrbegründender Umstände ergeben.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. September 2010 – 3 C 37.09 –, juris; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 25. März 2024 – 13 S 730/23 –, juris m.w.N.
34§ 45 Abs. 9 Satz 3 StVO ist vorliegend nicht durch § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 2 SVO ausgeschlossen. Zwar gilt die Qualifikation des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO danach nicht für die Anordnung von Fahrradstraßen (Zeichen 244.1).
35Vgl. auch OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 1. Februar 2023 – 8 A 3251/21 –, juris.
36Die Anordnung der Fahrradstraße selbst, die bereits im Jahr 2020 erfolgte, ist hier aber nicht streitgegenständlich. Dass die hier streitigen nachträglich angeordneten Abbiegegebote Regelungen des fließenden Verkehrs auf der in diesem Bereich als Fahrradstraße ausgewiesene Rüttenscheider Straße darstellen und nach dem Willen der Antragsgegnerin dem Ziel dienen, die „Planung der Fahrradstraße Rüttenscheider Straße auf Grundlage der Variante 3c +1a (…) fortzusetzen und zur Umsetzung zu bringen“ (vgl. Beschluss des Rates der Antragsgegnerin vom 29. November 2023), führt nach dem eindeutig allein auf „die Anordnung der Fahrradstraße“ durch das „Zeichen 244.1“ beschränkten Wortlaut des § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 2 StVO nicht dazu, dass diese Regelungen ebenfalls von dem Erfordernis der qualifizierten Gefahrenlage ausgenommen sind.
37Die Geltung der Qualifizierung des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO wird auch nicht durch die Regelung des § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 7 i.V. mit Abs. 1 Satz 2 Nummer 6 2. Halbsatz StVO ausgeschlossen, da die getroffenen Maßnahmen nicht als Probemaßnahmen i.S. dieser Regelung, sondern auf Dauer im Rahmen der Umsetzung eines verkehrlichen Gesamtkonzepts erfolgt sind. Ebenso wenig ist der qualifizierte Tatbestand des § 45 Abs. 9 Satz 3 nach § 45 Abs. 10 Nr. 2 StVO ausgeschlossen, wonach Absatz 9 nicht für Anordnungen nach Abs. 1 Satz 2 Nummer 7 StVO gilt. Denn auch diese Ausnahme ist zweifelsohne nicht einschlägig, da es sich nicht um eine Anordnung zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt oder zum Schutze der Gesundheit oder zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung handelt.
38Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 8. November 2024 – 14 L 121/24 –, www.nrwe.de, juris.
39Wenn sich die Straßenverkehrsbehörde für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheidet, hat sie vor Erlass einer auf § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO gestützten verkehrsrechtlichen Anordnung eine besondere Darlegungslast und sie ist zur Prüfung der objektiven Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verpflichtet.
40Vgl. VG Würzburg, Urteil vom – W 6 K 21.318 –, juris; VG München, Urteil vom 8. Juli 2014 – M 23 K 13.3214 –, juris.
41Insoweit obliegt es ihr, die für das Vorliegen eines besonderen Gefährdungspotenzials sprechenden Gründe darzulegen und gegebenenfalls anhand von Tatsachenmaterial zu dokumentieren.
42Vgl. VG Saarlouis, Urteil vom 25. April 2013 – 10 K 422/12 –, juris.
43Diese Maßstäbe zugrunde gelegt hat die Antragsgegnerin bereits eine objektive Gefahrenlage für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs im Sinne des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO nicht belegt.
44Im Beschluss vom 8. November 2024 – 14 L 1721/24 – betreffend das Abbiegegebot am Ende der Huyssenallee in Essen im Kreuzungsbereich Friedrichstraße/Hohenzollernstraße/ Huyssenallee/ Rüttenscheider Straße hat das erkennende Gericht hierzu ausgeführt:
45„Weder aus der Aktendokumentation noch aus ihrem Vorbringen im Rahmen der Antragserwiderung ist ersichtlich, dass die Maßnahme aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs erforderlich ist und aus diesem Grund angeordnet wurde. Die schlichte Ausführung im Rahmen der Antragserwiderung, dass die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung für einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf nicht ausreichten und verkehrsregelnde Maßnahmen durch Verkehrszeichen zwingend erforderlich seien, beschränkt sich auf eine banale Behauptung mit Wiederholung des Gesetzestextes. Den Beratungsunterlagen für bzw. in den Gremien der Antragsgegnerin zu der beabsichtigten Gesamtmaßnahme ist lediglich zu entnehmen, dass eine Verbesserung der Rahmenbedingungen und der Verkehrssicherheit für den Radverkehr auf der Fahrradstraße Rüttenscheider Straße (Antrag von CDU/Grüne vom 26. Januar 2022 an den Ausschuss für Verkehr und Mobilität) angestrebt und auch zum Gegenstand des interfraktionellen Arbeitskreises „Verkehrsberatung Rüttenscheider Straße“ gemacht sowie Gegenstand der Begutachtung/Verkehrsuntersuchung durch die „Planersocietät“ wurde. Irgendwelche Unfallstatistiken vor bzw. auf der Fahrradstraße bzw. Gefährdungsprognosen mit Veränderung von bestehenden und zu erwartenden Nutzungsfrequenzen sind an keiner Stelle zu finden. Allein in der Vorlage der Antragsgegnerin für den Ausschuss Verkehr und Mobilität vom 12. Oktober 2023, mit dem die „Variante 3c+1a“ vorgeschlagen wurde, ist die Rede davon, dass sowohl aus Sicht des Radverkehrs, des Lieferverkehrs als auch des Kraftfahrzeugverkehrs „meist als unbefriedigend beschrieben“ werde und die Ansprüche an eine Fahrradstraße derzeit nicht erfüllt würden, wobei die Unfallkommission inzwischen vier Unfallhäufungsstellen an der Rüttenscheider Straße führe. Dieser rudimentäre allgemeine Hinweis auf Unfallgeschehen ohne Ermittlung bzw. Darlegung hinsichtlich der tatsächlichen relevanten verkehrlichen Verhältnisse mit Blick auf die Unfallursachen und ein den Radverkehr gefährdendes Verkehrsaufkommen kann die streitgegenständliche Verkehrsregelung im konkreten Fall nicht ansatzweise begründen. Erst Recht nicht vor dem Hintergrund, dass ein Befahren der Straße weiterhin in beide Richtungen sowie von allen Seiten möglich bleibt und eine Reduzierung des Durchgangsverkehrs mit einhergehendem Quell- und Lieferverkehr schon nicht dargelegt ist und wohl auch nicht zu erwarten sein dürfte.
46Ist vorliegend schon die Voraussetzung des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO nicht erfüllt, liegt erst Recht nicht die qualifizierten Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO, nämlich eine Gefahrenlage mit Berücksichtigung besonderer örtlichen Verhältnisse vor, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung näher benannter Rechtsgüter erheblich übersteigt. “
47Vgl. VG Gelsenkirchen, Beschluss vom 8. November 2024 – 14 L 121/24 –, www.nrwe.de, juris.
48Auch aus den in diesem Verfahren von der Antragsgegnerin ergänzend vorgelegten Unterlagen ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsgegnerin die relevanten verkehrlichen Verhältnisse mit Blick auf die Verkehrsbelastung, die Unfallursachen und ein den Radverkehr gefährdendes Verkehrsaufkommen ermittelt und zur Grundlage ihrer Beschlussfassung gemacht hat.
49Hierzu ist zunächst festzustellen, dass es sich bei zahlreichen von der Antragsgegnerin vorgelegten Dokumenten um Berichte, Niederschriften und Statistiken handelt, die erst nach der Beschlussfassung der hier streitgegenständlichen Verkehrsregelungen verfasst wurden. Dies betrifft den Bericht „Verkehrslenkende Maßnahmen im Bereich der Rüttenscheider Straße (zwischen Manfredstraße und Huyssenallee)“ der Antragsgegnerin vom 27. November 2024, die Präsentation der Planersocietät zur Informationsveranstaltung „Verkehrskonzept Rüttenscheider Straße“ vom 12. Juni 2024 und insbesondere die Auszüge aus der Niederschrift über die vierteljährliche Sitzung der Unfallkommission vom 17. Januar 2024 und 15. Mai 2024 sowie den Bericht „Polizeiliche Verkehrsunfalldaten“ vom 11. November 2024, zuletzt aktualisiert am 14. November 2024. Dass die Antragsgegnerin die Inhalte dieser Dokumente zur Grundlage ihrer Entscheidung gemacht haben könnte, ist demnach ausgeschlossen.
50Ungeachtet dessen ist den eingereichten Dokumenten nicht zu entnehmen, dass die Antragsgegnerin die konkret vor Ort bestehende Verkehrsbelastung ermittelt hat. Es finden sich darin keine konkreten Feststellungen der Antragsgegnerin zur Verkehrsdichte und zum Anteil der Radfahrer und Fußgänger sowie zu der Annahme, die Rüttenscheider Straße werde als Ausweichstrecke vom Durchgangsverkehr der parallel verlaufenden Alfredstraße (B224) genutzt. Soweit allein in der Präsentation „Infraktioneller Arbeitskreis – Verkehrsberatung Rüttenscheider Straße – Arbeitsstand“ der Planersocietät vom 29. September 2023 (Anlage 6 zur Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024) Angaben zu „Radverkehrsanteile“ im Rahmen von „Zähldaten 21.06.2022“ zu finden sind, reichen diese ersichtlich nicht aus, um ein Gesamtbild der Verkehrslage zu vermitteln.
51Die vorgelegten Unterlagen sind überwiegend auch inhaltlich nicht geeignet, erkennen zu lassen, welche sicherheitsrelevanten Fakten, insbesondere auch in Bezug auf ein den Radverkehr gefährdendes Verkehrsaufkommen, der Beschlussfassung zugrunde gelegen haben.
52So werden in der Präsentation der Planersocietät zur Informationsveranstaltung „Verkehrskonzept Rüttenscheider Straße“ vom 12. Juni 2024 (Anlage 2 zur Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024) zum Bereich „Mitte“ allein Erwägungen hinsichtlich der Erreichbarkeit der Längsparkplätze an der Rüttenscheider Straße im Abschnitt Zweigertstraße/Christophstraße angestellt. Eine Bewertung des Verkehrsaufkommens und Berücksichtigung etwaiger Unfallschwerpunkte ist nicht enthalten. Auch den vorherigen Präsentationen der Planersocietät zu „Interfraktioneller Arbeitskreis – Verkehrsberatung Rüttenscheider Straße – Arbeitsstand“ vom 29. September 2023 (Anlage 6 zur Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024) und zur Informationsveranstaltung „Verkehrskonzept Rüttenscheider Straße“ vom 3. November 2023 (Anlage 8 zur Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024) sind allein Erwägungen zu den Auswirkungen der Planfälle auf den Durchgangsverkehr zu entnehmen. Ein konkreter Bezug der Planfälle zum Unfallaufkommen wird nicht hergestellt. Es wird lediglich pauschal die beabsichtigte „Verbesserung der Verkehrssicherheit für den Radverkehr“ erwähnt. Auch bei der Darstellung der „Ausgangslage“ bzw. des „Hintergrundes“ werden lediglich „kritische Überholmanöver in Bezug auf den Radverkehr“ und „nicht erfüllte Ansprüche an die Fahrradstraße“ erwähnt ohne dies näher auszuführen. Die „Erreichbarkeitsbetrachtungen zu Planfällen“ und die „Bewertung der Auswirkungen der Vorzugsvariante“ der Planersocietät (Anlage 7 bzw. 9 zur Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024) beinhalten ebenfalls weder eine Bestandsaufnahme der verkehrlichen Situation noch eine Bewertung der geplanten Maßnahmen und deren Auswirkungen auf das Unfallgeschehen, sondern allein Prognosen zum Verkehrsaufkommen in der Rüttenscheider Straße und deren Nebenstraßen. Der weiterhin vorgelegte Bericht „Makroskopische Unfalluntersuchung der RK GmbH zur Wirkung der Fahrradstraße vom 18. August 2023“ (Anlage 5 zur Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024) enthält prognostizierte Daten zu dem erwarteten Verkehrsaufkommen je nach Planfall und erweist sich vor diesem Hintergrund ebenfalls als untauglich, Aufschluss über etwaige Gefahrenlagen zu geben. Entsprechendes gilt für den Bericht „Verkehrslenkende Maßnahmen im Bereich der Rüttenscheider Straße (zwischen Manfredstraße und Huyssenallee)“ der Antragsgegnerin vom 27. November 2024 (Anlage 1 zur Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024), welcher lediglich die Berichte der Unfallkommission zu den Unfallhäufungsstellen UHS 71 („Rüttenscheider Stern“) und UHS 240 (Rüttenscheider Straße/Martinstraße/Franziskastraße/) sowie die polizeilichen Unfalldaten wiedergibt. Darüberhinausgehende – eigens oder mithilfe der Planersocietät – ermittelte Fakten werden darin nicht genannt. Auch ist dem Bericht eine Auseinandersetzung mit den Ursachen der Unfallschwerpunkte und der prognostizierten Auswirkungen der gegenständlichen Verkehrsregelungen auf diese nicht zu entnehmen.
53Soweit danach allein die Protokolle der Unfallkommission vom 17. Januar 2024 und 15. Mai 2024 und der Bericht „Polizeiliche Verkehrsunfalldaten“ vom 11. November 2024, zuletzt aktualisiert am 14. November 2024 (Anlage 3 bzw. 4 zur Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024) sowie die in der Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024 wiedergegebenen Daten des Unfallatlas des Statistischen Bundesamtes überhaupt dazu geeignet sind, die Verkehrssicherheit in der Rüttenscheider Straße einer Bewertung zu unterziehen, kann dahinstehen, ob diese nach Anordnung der Verkehrsregelungen im Oktober 2024 und nach der Entscheidung des Gerichts vom 8. November 2024 gemachten Erwägungen und vorgelegten Unterlagen den Mangel einer fehlenden Tatsachenermittlung vor Erlass der Anordnung zu heilen vermögen.
54Denn jedenfalls reichen die hieraus von der Antragsgegnerin im Rahmen der Antragserwiderung abgeleiteten Unfalldaten aus den Jahren 2021 bis 2024 auch in der Sache nicht aus, um in dem hier relevanten Bereich der Rüttenscheider Straße eine Gefahrenlage – und insbesondere eine aufgrund der örtlichen Gegebenheiten die allgemeinen Gefahren des Straßenverkehrs erheblich übersteigende Gefahrenlage – anzunehmen.
55Die Auswertung der Verkehrsunfalldaten für den Zeitraum Januar 2022 bis November 2024 im Abschnitt der Rüttenscheider Straße von Höhe Manfredstraße bis Höhe Hohenzollernstraße ergibt ausweislich des Berichts „Polizeiliche Verkehrsunfalldaten“ vom 11. November 2024, zuletzt aktualisiert am 14. November 2024 (Anlage 4 zur Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024) insgesamt 82 von der Polizei aufgenommene Verkehrsunfälle, davon 26 mit Beteiligung von Radfahrenden. Dass diese Unfallzahlen und der Anteil von Unfällen von Rad- und Pkw-Fahrern überdurchschnittlich hoch sind, lässt sich mangels Angabe von Vergleichsdaten bereits nicht feststellen. Auch fehlt eine Auseinandersetzung mit der Tatsache, dass die Unfallzahlen danach rückläufig sind – von 31 Unfällen im Jahr 2022, auf 27 Unfälle im Jahr 2023 und 18 im Jahr 2024 (Stand 14. November 2024). Dessen ungeachtet ist den weiteren Angaben zum Umfalltyp und der Unfallursache nicht zu entnehmen, dass die von der Antragsgegnerin mit dem Verkehrskonzept in den Blick genommene Verkehrsdichte oder der Durchgangsverkehr auf der Rüttenscheider Straße hierfür relevant gewesen sind. Auch lässt sich aus den Daten einschließlich der mitübersandten Bilddatei nicht ablesen, dass die örtlichen Gegebenheiten oder die vorhandenen Verkehrsregelungen zum zugelassenen Geradeausfahren in der Rüttenscheider Straße eine Rolle gespielt haben. Vielmehr wird als häufigster Unfalltyp in 19 Fällen „sonstiger Unfall“ (Typ 7), in 14 Fällen „Abbiegeunfall“ (Typ 2), in 12 Fällen „Überschreiten-Unfall“ (Typ 4), in 11 Fällen „Einbiegen/Kreuzen-Unfall“ (Typ 3), in 9 Fällen “Fahrunfall“ (Typ 1) und in 3 Fällen „Unfall durch ruhenden Verkehr“ (Typ 5) angegeben. „Lediglich“ 14 Unfälle wurden als „Unfall in dem durch ein Abbiegegebot eingeschränkten Längsverkehr“ (Typ 6) erfasst. Als Hauptunfallursache wird für 40 Unfälle „andere Fehler beim Fahrzeugführer“ genannt. Die zweithäufigsten Unfallursachen waren – jedoch nur mit je 6 bzw. 5 Fällen – „Fehler beim Abbiegen nach links“ bzw. „verkehrswidriges Verhalten beim Ein- oder Aussteigen oder Be- oder Entladen“. Bezogen auf den Kreuzungsbereich am Rüttenscheider Stern lässt sich zudem eine besondere Häufung von Unfällen unter Beteiligung von Radfahrern gerade nicht festhalten (vgl. die auf der Karte ersichtliche Verteilung der hellgrün gefärbten Dreiecke).
56Dies ergibt sich auch nicht aus dem übersandten Protokoll der Sitzung der Unfallkommission vom 17. Januar 2024. Danach liegt zwar im Kreuzungsbereich Rüttenscheider Straße/ Klarastraße/ Zweigertstraße ein Unfallschwerpunkt (UHS 71). Den erläuternden Angaben zu den in dem Zeitraum 2021-2023 erfassten fünf Unfällen ist jedoch ebenfalls keine besondere Gefährdung von Radfahrern zu entnehmen. Auch ein Kausalzusammenhang zu den konkreten örtlichen Gegebenheiten und insbesondere zu einem zu hohen Verkehrsaufkommen insgesamt auf der Rüttenscheider Straße ist nicht ersichtlich. So ist die unter Nr. 1 geschilderte Kollision eines Fußgängers mit einem Pkw auf der Zweigertstraße im Jahr 2021 allein auf die Unaufmerksamkeit des Pkw-Fahrers zurückzuführen gewesen. Gleiches gilt für den unter Nr. 5 geschilderten Zusammenstoß zwischen einem Fußgänger und einem Pedelec-Fahrer im Jahr 2023, bei dem ebenfalls eine fehlende Aufmerksamkeit, in diesem Fall des Pedelec-Fahrers, zum Unfall geführt hat. Ein weiterer für das Jahr 2021 dokumentierter Unfall erfasst eine Verletzung einer Person, die stürzte, weil der Pkw, aus dem sie an der Rüttenscheider Straße/Zweigertstraße ausstieg, zu früh angefahren war (Nr. 2). Ein konkreter Bezug zu den örtlichen Gegebenheiten fehlt. Gleiches gilt für den für das Jahr 2022 erfassten Unfall (Nr. 3), der seine Ursache darin hatte, dass ein Pkw-Fahrer aufgrund eines Rtw-Einsatzes im Kreuzungsbereich halten musste und bei der Weiterfahrt mit einem minderjährigen Fußgänger kollidierte, der bei zwischenzeitlicher Grünschaltung die Zweigertstraße passierte. Bei dem sich im Jahr 2023 ereigneten Zusammenstoß zwischen einem Pedelec und einem Pkw lag die Ursache in einem Missverständnis über Abbiegeregelungen an der Klarastraße/Ecke Rüttenscheider Straße (Nr. 4). Die Unfälle beruhten mithin entweder auf der Unaufmerksamkeit einzelner Verkehrsteilnehmer oder sie stellen sich als typische Kreuzungsunfälle dar, die beim Abbiegevorgang entstehen. Eine gesteigerte Gefährdungslage liegt darin nicht.
57Der weiterhin von der Antragsgegnerin nachträglich herangezogene zweite Unfallschwerpunkt (UHS 240) liegt an der Rüttenscheider Straße/Ecke Martinstraße/Ecke Franziskastraße und damit außerhalb des hier relevanten Abschnitts der Rüttenscheider Straße. Ungeachtet dessen ist auch insoweit nach Würdigung der einzelnen Unfallbeschreibungen im Protokoll zur Sitzung der Unfallkommission vom 15. Mai 2024 nicht festzustellen, dass die im Zeitraum 2022 bis 2024 erfassten 12 Unfälle auf eine besondere Gefährdung der Radfahrer hindeuten. Denn nur zwei Unfälle wiesen eine Rad- und Pkw-Beteiligung auf. Überwiegend ereigneten sich Zusammenstöße zwischen Fußgängern und Pkws insbesondere bei Abbiegevorgängen. Damit lässt sich ein zu hohes, die Radfahrer gefährdendes Aufkommen des Durchgangsverkehrs folglich ebenfalls nicht begründen.
58Tatsachengestützte Anhaltspunkte für die Annahme, in dem hier relevanten Abschnitt der Rüttenscheider Straße bestehe wegen besonderer örtlicher Verhältnisse eine gesteigerte Unfallgefahr, welche durch die Unterbindung des Durchgangsverkehrs zielgerichtet verringert werde, lassen sich auch den von Antragsgegnerin erstmals in der Antragserwiderung vom 20. Dezember 2024 benannten Daten des Unfallatlas Deutschland der Statistischen Ämter des Bundes und der Länder (https://unfallatlas.statistikportal.de) ebenfalls nicht entnehmen. Zwar ergibt sich danach eine Steigerung der Unfälle mit Personenschaden für den Zeitraum 2020 bis 2023 von 13 auf 27. Dass sich der Anteil der Unfälle mit Rad- und Pkw-Beteiligung, der bei 4 von 13 (2020), 4 von 16 (2021), 4 von 25 (2022) und 8 von 27 (2023) und damit bei etwa 16 bis 30 Prozent lag, überdurchschnittlich hoch ist für eine Fahrradstraße lässt sich mangels Angabe von Vergleichsdaten jedoch wiederum nicht feststellen. Die reinen Unfalldaten geben zudem keinen Aufschluss über die Unfallursache, sodass nicht geschlussfolgert werden kann, dass die Unfälle auf eine zu hohe Verkehrsdichte zurückzuführen sind.
59Schließlich ist nicht ersichtlich und von der Antragsgegnerin auch nicht substantiiert vorgetragen worden, dass die Unfälle durch die streitigen Regelungen vermeidbar gewesen wären. Zwar mag die mit der Einführung der Abbiegegebote bezweckte Reduzierung des Durchgangsverkehrs auf der Rüttenscheider Straße statistisch gesehen auch zu einer Reduzierung der Unfallzahlen führen. Es lassen sich den von der Antragsgegnerin dem Gericht übergebenen Verwaltungsvorgängen, die zu einem erheblichen Teil aus Präsentationen für Bürgerveranstaltungen bestehen, die – unabhängig davon, ob sie als Entscheidungsgrundlage überhaupt herangezogen werden konnten – über die bereits geschilderte oberflächliche Darstellung der Ergebnisse des Planungsprozesses nicht hinausgehen und den Vortrag der Antragsgegnerin daher nicht erheblich substantiieren, auch keine Anhaltspunkte für einen über die statistische Wirkung hinausgehenden Effekt der Maßnahmen auf die überwiegend auf die Unaufmerksamkeit der Verkehrsteilnehmer und übliche Fehler beim Abbiegen zurückzuführenden Unfälle, entnehmen. Eine substantiierte Prognose der Geeignetheit der Maßnahmen zur Verminderung der Verkehrsdichte liegt auch deshalb nicht vor, weil sich den vorgelegten Verwaltungsvorgängen keine Daten für die Zusammensetzung der Verkehrsbelastung auf der Rüttenscheider Straße entnehmen lassen. Vielmehr geht die „Planersocietät“ selbst von einem überwiegenden Anteil an Quell- und Zielverkehr durch Kunden der auf der Rüttenscheider Straße ansässigen Geschäfte und Lieferverkehr aus.
60Darauf, dass die Anordnung des Rechtsabbiegegebot (VZ 267) sowie die VZ1022-10 (Radverkehr frei) und VZ1026-32 (Linienverkehr frei) an der Rüttenscheider Straße/Ecke Christophstraße in Höhe der Rüttenscheider Straße 74a (Standort 7) im Übrigen auch deshalb rechtswidrig sind, weil sich diese Regelungen angesichts des Einfahrtsverbots auf der Rüttenscheider Straße/Ecke Christophstraße (Standort 8 und „gegenüber von Standort 8“) und dem bereits bestehenden Einfahrtverbot an der Dorotheenstraße als überflüssig erweisen kommt es vorliegend nicht mehr entscheidend an.
61Der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Allgemeinverfügungen der Antragsgegnerin in Form der benannten Verkehrsschilder i.V.m. den verkehrsrechtlichen Anordnungen vom 8. Oktober 2024 und 18. Oktober 2024 anzuordnen steht nicht entgegen, dass diese Regelungen Bestandteil des am 29. November 2023 beschlossenen Verkehrskonzepts der Antragsgegnerin sind. Dass die Aufhebung dieser einzelner Maßnahmen Auswirkungen auf die vorliegend nicht streitgegenständlichen übrigen Verkehrsregelungen des Maßnahmenkatalogs der Antragsgegnerin hat, führt nicht dazu, dass der Antragstellerin der Rechtsschutz unter dem Gesichtspunkt einer fehlenden Teilbarkeit zu versagen wäre. Die zu den verschiedenen Bereichen der Rüttenscheider Straße getroffenen Maßnahmen zielen nach dem Willen der Antragsgegnerin zwar überwiegend inhaltlich auf das Ziel der Verringerung des Durchgangsverkehrs in der Rüttenscheider Straße ab – die Regelungen zu den Parkzonen außer Acht gelassen. Sie stehen jedoch nicht einem untrennbaren inneren Zusammenhang, welcher zur Folge hätte, dass die übrigen, hier nicht streitgegenständlichen Regelungen nicht weiter existieren können, ohne ihren Bedeutungsinhalt zu verändern,
62vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 1. Juli 2020 – 3 B 1.20 –, juris; VGH München, Urteil vom 24. Juli 2024 – 11 B 23.589 –; OVG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 30. September 2024 – OVG 1 S 54/24 –, juris,
63mit der Folge, dass das Bündel verschiedener verkehrsrechtlicher Anordnungen rechtlich als ein nicht teilbarer Verwaltungsakt anzusehen wäre. Denn die Maßnahmen betreffen verschiedene Teilbereiche der Rüttenscheider Straße und erweisen sich insoweit schon aus räumlichen Erwägungen heraus als eigenständige Verwaltungsakte. Die nach dem Abschluss des Eilverfahrens 14 L 1721/24 im Bereich der Huyssenallee getroffene vergleichsweise Regelung zeigt zudem auf, dass auch die Antragsgegnerin selbst nicht davonausgeht, dass die zur Umsetzung der gewählten Variante 3c +1a erlassenen Anordnungen ein Gesamtkonzept im Sinne eines unteilbaren Verwaltungsaktes bilden, welches nur bei vollständiger Umsetzung die bezweckte Zielsetzung erreicht. Die Prüfung, ob die verbleibenden Allgemeinverfügungen nunmehr noch ihrem Regelungszweck gerecht werden, obliegt der Antragsgegnerin.
64Ungeachtet dessen leiden die verkehrsrechtlichen Anordnungen vom 8. und 18. Oktober 2024 auch an Ermessensfehlern. Die Kammer hat im Beschluss vom 8. November 2024 – 14 L 1721/24 – betreffend das Abbiegegebot am Ende der Huyssenallee in Essen im Kreuzungsbereich Friedrichstraße/Hohenzollernstraße/ Huyssenallee/ Rüttenscheider hierzu ausgeführt:
65„Diese Maßstäbe zugrunde gelegt fehlt es an sämtlichen Ermessenserwägungen der Antragsgegnerin auf der Grundlage der von ihr aus Gründen der Sicherheit benannten Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Eine Betätigung ihres Ermessens zu Fragen der Sicherheit des Straßenverkehrs für die Anordnung sei im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht erkennbar geworden. Vielmehr scheint es vorrangig darum gegangen zu sein, den „deutlich zu vielen Autoverkehr“ irgendwie zu beschränken um die Attraktivität und Aufenthaltsqualität der Rüttenscheider Straße zu steigern (Protokoll der Ratssitzung vom 9. November 2023, S. 2). Nicht in den Blick genommen und in Ermessenserwägungen einbezogen worden sind Belange der unmittelbaren Anlieger z.B. zur Frage der zeitnahen und vertretbaren Erreichbarkeit von (Geschäfts-)Grundstücken oder die Belastung der Anlieger in den umliegenden Straßen mit einhergehenden Fahrverzögerungen anlässlich der neuen Verkehrsführung. Dies obgleich in der Ratssitzung am 29. November 2023 eine noch größere Verkehrsbelastung durch einen stattfindenden Verdrängungsprozess in die Seitenstraßen ausdrücklich kritisiert und darauf auch hingewiesen wurde, dass es keinerlei Datenbasis über die Auswirkungen der geplanten neuen Verkehrsführung auf das Verkehrsaufkommen in den umliegenden Straßen gebe und auch Regelungen für den notwendigen Lieferverkehr fehlten oder unzureichend berücksichtigt seien (Protokoll der Ratssitzung vom 9. November 2023, S. 3). Nicht erkennbar ist auch, dass Alternativen erwogen worden sind, z.B. auch Anliegern wie der Antragstellerin ebenso wie dem Linienverkehr aus nördlicher Richtung kommend die Weiterfahrt in die Rüttenscheider Straße zu gestatten oder diese zumindest zu bestimmten Zeiten zu erlauben.“
66An diesen Erwägungen hält das erkennende Gericht fest.
67Die vorgenannten Ermessensfehler sind im Laufe dieses Verfahrens nicht nachträglich geheilt worden, insbesondere nicht durch die Erwägungen der Antragsgegnerin in ihrer Erwiderung vom 20. Dezember 2024 oder dem darin in Bezug genommenen Bericht „Verkehrslenkende Maßnahmen im Bereich der Rüttenscheider Straße (zwischen Manfredstraße und Huyssenallee)“ der Antragsgegnerin vom 27. November 2024. Denn ein grundsätzlich zulässiges Nachschieben von Ermessenserwägungen nach § 114 Satz 2 VwGO kommt vorliegend schon deshalb nicht in Betracht, weil die Ausführungen der Antragsgegnerin vorliegend nicht darauf abzielen, eine etwaige bereits ergangene Ermessensentscheidung an geänderte Umstände anzupassen oder Erwägungen zu bereits berücksichtigten Gesichtspunkten zu ergänzen. Vielmehr liegt darin der erstmalige Vortrag verkehrssicherheitsrechtlicher Aspekte, der mangels vorheriger Erwähnung keine Berücksichtigung finden kann.
68Vgl. hierzu Bay. VGH, Urteil vom 24. Juli 2024 – 11 B 23.589 –, juris m.w.N.
69Ungeachtet dessen erweisen sich die insoweit angestellten Ermessenserwägungen auch als nicht tragfähig. Die Antragsgegnerin trägt insoweit vor, dass die erlassenen Verkehrsregelungen, die auf eine Verringerung des Durchfahrtsverkehrs in der Rüttenscheider Straße abzielen, zu einer Verbesserung der Verkehrssicherheit für Radfahrer führten. Inwieweit die angeordneten Abbiegegebote die konkret zur Begründung herangezogenen Unfälle mit Radfahrerbeteiligung verhindert hätten, wird von ihr hingegen nicht im Ansatz dargelegt. Eine Auseinandersetzung mit anderen zur Unfallvermeidung zur Verfügung stehenden Mittel findet nicht statt.
70Die Antragstellerin wird durch die rechtswidrigen Abbiegegebote, welche sie daran hindern, ihre Ladenlokale aus der für sie günstigsten Fahrtrichtung anzufahren, in ihren Rechten aus Art. 2 Abs. 1 GG verletzt. Sie kann daher verlangen, dass die zugrundeliegenden verkehrsrechtlichen Anordnungen der Antragsgegnerin aufgehoben werden.
71Der Anspruch auf (- soweit möglich - vorläufige) Aufhebung der Vollziehung der bereits erfolgten verkehrsrechtlichen Anordnungen und auf Wiederherstellung der ehemaligen Linksabbiegerspur für Kfz auf der Klarastraße/Rüttenscheider Straße (Fahrtrichtung Zweigertstraße) ergibt sich aus § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO.
72Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
73Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.A. Ziffer 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wonach eine verkehrsregelnde Anordnung mit dem Auffangwert von 5.000,00 Euro zu bemessen ist. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war für jeden der beiden Kreuzungsbereiche die Hälfte dieses Betrags (Ziffer 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs) anzusetzen.
74Rechtsmittelbelehrung
75Gegen die Entscheidung über den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes kann innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe der Entscheidung bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen oder Postfach 10 01 55, 45801 Gelsenkirchen) schriftlich Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet. Die Beschwerdefrist ist auch gewahrt, wenn die Beschwerde innerhalb der Frist eingeht bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster oder Postfach 6309, 48033 Münster. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen.
76Die Beschwerde ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
77Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens ist nicht selbstständig anfechtbar.
78Gegen die Festsetzung des Streitwerts kann innerhalb von sechs Monaten, nachdem diese Entscheidung Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen oder Postfach 10 01 55, 45801 Gelsenkirchen) schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle Beschwerde eingelegt werden, über die das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster entscheidet, falls das Verwaltungsgericht ihr nicht abhilft. Hierfür besteht kein Vertretungszwang. Ist der Streitwert später als einen Monat vor Ablauf dieser Frist festgesetzt worden, kann die Beschwerde innerhalb eines Monats nach Zustellung oder formloser Mitteilung des Festsetzungsbeschlusses eingelegt werden. Die Beschwerde ist nur zulässig, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes zweihundert Euro übersteigt. Die Beschwerde findet auch statt, wenn sie das Gericht, das die Entscheidung erlassen hat, wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage zulässt.