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Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Kläger.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger wird nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen ein von der Beklagten angeordnetes Rückbaugebot nach § 179 Baugesetzbuch (BauGB) für das Gebäude F. -A. -B. .. in H. .
3Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks F. -A. -B. ../I. Straße ../.. in H. (Gemarkung C. , Flur .., Flurstück ..). Auf dem 3.347 m2 großen Grundstück stehen derzeit drei Wohngebäude auf. Bei dem vorliegend streitgegenständlichen Gebäude handelt es sich um ein gegen Ende der 50er Jahre des letzten Jahrhunderts als Wohngebäude errichtetes achtgeschossiges Gebäude nebst Staffelgeschoss mit 24 Wohneinheiten, das seit etwa zwanzig Jahren unbewohnt ist. Die beiden weiteren auf dem Grundstück vorhandenen Gebäude mit insgesamt 15 Wohneinheiten wurden in etwa zur gleichen Zeit straßenrandnah zur I. Straße als viergeschossige Wohnhäuser errichtet und stehen ebenfalls seit vielen Jahren leer. Auch diesbezüglich hat die Beklagte ein Rückbaugebot nach § 179 BauGB angeordnet. Die Klage dagegen ist unter dem Aktenzeichen 6 K 2256/21 anhängig.
4Die näheren Einzelheiten der Bebauung auf dem klägerischen Grundstück zeigt der nachfolgende Kartenausschnitt:
5[An dieser Stelle befindet sich in der Originalentscheidung eine Skizze]
6Ein Bebauungsplan besteht für den Bereich nicht. In der näheren Umgebung des klägerischen Grundstücks befinden sich überwiegend Wohngebäude, vereinzelt ist aber auch gewerbliche Nutzung vorhanden. Südlich des Grundstücks verläuft die Autobahn A 2. Etwa 150 Meter westlich des klägerischen Grundstücks beginnt die Rungenberghalde, ein Naherholungsgebiet.
7Die Einzelheiten der näheren Umgebung können dem nachfolgenden Kartenausschnitt entnommen werden:
8[An dieser Stelle befindet sich in der Originalentscheidung eine Skizze]
9Anfang 2015 holte das Amtsgericht H. zur Vorbereitung eines Zwangsversteigerungstermins ein Verkehrswertgutachten für das Grundstück des Klägers einschließlich der drei dort aufstehenden Mehrfamilienwohnhäuser ein. Der damalige Gutachter Dipl.-Ing. F1. K. kam in seinem Gutachten vom 26. März 2015 zu dem Ergebnis, das Wohnhaus F. -A. -B. 1 sei stark beschädigt und verwahrlost und seit ca. zehn Jahren unbewohnt. Die Revitalisierungskosten würden – auch bei einer Minimallösung – bei einer dann zu erwartenden Restnutzungsdauer von 20 Jahren zu einem negativen Ertragswert führen. Als wirtschaftlichste Lösung sah der damalige Gutachter einen Rückbau des Gebäudes an.
10In seiner Sitzung am 11. Juli 2019 beauftragte der Rat der Stadt H. die Verwaltung mit der Anwendung eines Rückbau- und Entsiegelungsgebotes nach § 179 BauGB für die Problemimmobilien F. -A. -B. 1 und I. Straße ../.. Die Verwaltung wurde zudem beauftragt, das Grundstück anschließend herzurichten. Der Auftrag erfolgte unter dem Vorbehalt des Vorliegens der rechtlichen Voraussetzungen und entsprechender Haushaltsmittel.
11Mit Schreiben vom 22. Juli 2019 teilte die Beklagte dem Kläger mit, er habe gemäß § 209 BauGB zu dulden, dass nunmehr zeitnah Untersuchungen auf dem Grundstück stattfänden, um die Zustände der Gebäude zwecks Feststellung möglicher Abbruchkosten zu ermitteln. In der Folgezeit nahm der Immobiliengutachter Dipl.-Sachverständiger (DIA) P. die Gebäude in Augenschein und erstellte unter dem 20. Mai 2019 ein erstes Gutachten. Darin kam er zu dem Schluss, eine Instandsetzung bzw. Modernisierung führe zu negativen Ertragswerten, eine Freilegung des gesamten Grundstücks sei die wirtschaftlichste Alternative.
12Mit erneutem Schreiben vom 5. September 2019, welches zugleich als Anhörungsschreiben bezeichnet war, lud die Beklagte den Kläger zu einem Erörterungstermin gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 BauGB ein. In dem Schreiben schilderte sie den vorgefundenen Zustand des Gebäudes F. -A. -B. 1 und führte aus, eine Instandsetzung oder Modernisierung sei wirtschaftlich nicht durchführbar, weshalb sie erwäge ein Rückbaugebot zu erlassen. Beigefügt waren dem Schreiben das im Rahmen des damaligen Zwangsversteigerungsverfahrens erstellte Verkehrswertgutachten des Herrn Dipl.-Ing. K. vom 26. März 2015 und eine überarbeitete gutachterliche Stellungnahme des Immobiliengutachters Dipl.- SV P. vom 20. August 2019 (1. Ergänzung zum Gutachten vom 20. Mai 2019), die weiterhin zu dem Ergebnis kommt, eine Instandsetzung bzw. Modernisierung führe zu negativen Ertragswerten.
13Am 17. September 2019 fand sodann der Erörterungstermin gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 BauGB statt, an dem der Kläger und sein Prozessbevollmächtigter wie auch Vertreter der Beklagten teilnahmen.
14In der Folgezeit holte die Beklagte weitere gutachterliche Stellungnahmen ein, unter anderem ein Gutachten des Gutachterausschusses für Grundstückswerte in der Stadt H. vom 11. November 2019, welches zu dem Ergebnis kommt, der Liquidationswert sei mit -1.105.000,00 € negativ und, da negative Verkehrswerte nicht möglich seien, damit abschließt, der Verkehrswert für das mit dem Hochhaus F. -A. -B. 1 und zwei weiteren Mehrfamilienhäusern bebaute Grundstück betrage einen Euro. Ferner wurde eine Kostenschätzung bei der Firma Baubetreuung T. GmbH in Auftrag gegeben, um die Kosten für die baujahrsbedingt zu erwartende Schadstoffsanierung im Falle der Instandsetzung, Modernisierung oder Freilegung zu ermitteln, die insbesondere mit Blick auf die Massen mehrfach überarbeitet wurde. Der Dipl.-Sachverständige P. legte unter Auswertung dieser Kostenschätzung der Firma Baubetreuung T. GmbH zwei weitere Ergänzungen seines Gutachtens vor (2. Ergänzung vom 30. Oktober 2019 und 3. Ergänzung vom 20. November 2019). Auch dort kommt er zu dem Ergebnis, eine Instandsetzung bzw. Modernisierung führe zu negativen Ertragswerten.
15Mit Schreiben vom 21. November 2019 übersandte die Beklagte dem Kläger die gutachterlichen Stellungnahmen des Dipl.-Sachverständigen P. , den Untersuchungsbericht der Firma Baubetreuung T. GmbH vom 21. Oktober 2019 zur Verifizierung schadstoffhaltiger Baustoffe in dem Gebäude F. -A. -B. 1 sowie die gutachterliche Kostenschätzung dieser Firma für den Rückbau des Gebäudes und die Schadstoffsanierung bei allen drei Varianten. Sie gab dem Kläger Gelegenheit sich dazu zu äußern, wies aber in dem Schreiben zugleich darauf hin, dass sie beabsichtigte, nunmehr eine Rückbauverfügung zu erlassen und deren sofortige Vollziehung anzuordnen.
16Am 26. November 2019 erließ die Beklagte gegenüber dem Kläger sodann die angegriffene Anordnung nach § 179 Abs. 1 Satz 1 Ziffer 2 BauGB. Der Kläger wurde darin verpflichtet, die Beseitigung des auf dem Grundstück befindlichen Gebäudes F. -A. -B. 1 durch die Beklagte respektive durch sie beauftragte natürliche oder juristische Personen zu dulden. Zugleich ordnete sie die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Zur Begründung heißt es im Wesentlichen, das seit mindestens 15 Jahren ungenutzte Gebäude weise erhebliche Missstände und Mängel auf, die von der Beklagten im Einzelnen aufgeführt werden. Diese erheblichen Mängel könnten nicht durch eine Modernisierung oder Instandsetzung behoben werden. Beide Varianten seien aus wirtschaftlicher Sicht unzumutbar. Das habe bereits die Bewertung durch Herrn Dipl.-Ing. K. im Jahre 2015 aufgezeigt. Da davon auszugehen gewesen sei, dass in dem Gebäude baujahrsbedingt schadstoffbelastete Baustoffe verarbeitet worden seien, sei zwischenzeitlich eine detaillierte Prüfung von Art und Umfang vorhandener Baustoffe in Auftrag gegeben worden. Diese habe ergeben, dass sich zahlreiche schadstoffbelastete Baustoffe in dem Gebäude befänden. Unter Berücksichtigung der Kosten für die fachgerechte Beseitigung und Entsorgung der Schadstoffe habe der Dipl.-Sachverständige P. in seinem Gutachten vom 20. November 2019 (3. Ergänzung) sowohl für die Instandsetzung als auch für die Modernisierung einen negativen Ertragswert ermittelt. Dieser belaufe sich bereits bei einer Instandsetzung auf -864.000,00 €, bei einer Modernisierung betrage er -1.229.000,00 €.
17Die alsbaldige Durchführung der anzuordnenden Maßnahme sei auch aus städtebaulichen Gründen erforderlich. Vorliegend sei durch den äußerst maroden Zustand des streitgegenständlichen Gebäudes bei den umliegenden Grundstücken bereits jetzt ein Trading-Down-Effekt eingetreten. Das betreffe in erster Linie die Grundstücke „B1. F2. “, aber auch die nähere Umgebung. Die bebaubaren Flurstücke .., .. und .. lägen brach, was für den begehrten Stadtteil C. ungewöhnlich sei. Auch der Wert der umliegenden Grundstücke werde beeinträchtigt. Ferner werde das Stadtbild durch die Verwahrlosung übermäßig geschädigt und beeinträchtigt. Das klägerische Grundstück liege an einer Hauptverkehrsachse und das hohe Gebäude sei auch von der BAB 2 aus sichtbar. Zudem lägen auf der gegenüberliegenden Straßenseite zwei Zugänge der mit Fördermitteln umgestalteten Rungenberghalde. Darüber hinaus erfolge gegenwärtig mit öffentlichen Mitteln eine Aufwertung des Bereichs durch den Ausbau der I. Straße, was durch das verwahrloste Gebäude erheblich konterkariert werde. Das verwahrloste Gebäude habe durch die Sichtbarkeit von der Autobahn und von und zu dem Ausflugsziel Rungenberghalde auch eine gesamtstädtisch verunstaltende Wirkung.
18Die Anordnung der Duldung des vollständigen Rückbaus sei geeignet, die beschriebenen Missstände und Mängel zu beseitigen. Sie sei auch erforderlich. Zwar könne man diesen auch durch Instandsetzung oder Modernisierung begegnen. Das sei jedoch kein milderes Mittel, da diese Maßnahmen unwirtschaftlicher als ein Rückbau seien. Die Maßnahme sei auch verhältnismäßig im engeren Sinne. Vorliegend überwögen die geschilderten öffentlichen Belange die Eigentümerinteressen. Angesichts der bisherigen Entwicklung und der wirtschaftlichen Berechnungen sowie der Kaufpreisvorstellung des Klägers sei nicht damit zu rechnen, dass sich ein Investor finden lasse, der das Grundstück entwickeln werde. Der Kläger selbst habe trotz intensiver Bemühungen der Beklagten keinerlei Anstalten gemacht, an diesem Zustand etwas zu ändern; die Immobilie generiere keinerlei Einnahmen, im Gegenteil erzeuge sie infolge der Erfüllung zahlreicher bauaufsichtlicher Verfügungen neben den stetig weiterlaufenden Kosten nur weitere Kosten. Nach einem Rückbau stehe der Kläger nicht schlechter da als jetzt. Die Ankündigung, nunmehr gebe es einen Investor, der das Grundstück für 1.450.000,00 € kaufen wolle, vermöge die Einschätzung nicht zu ändern. Auch in der Vergangenheit habe es bereits Kaufverträge gegeben, die nie grundbuchrechtlich vollzogen worden seien.
19Am 20. Dezember 2019 hat der Kläger die vorliegende Klage erhoben.
20Während des laufenden Klageverfahrens hat die Beklagte weitere Gutachten eingeholt. Es ist ein Schadstoffkataster/Rückbau- und Entsorgungskonzept durch die Firma Sakosta erstellt worden, aus dem sich unter anderem die Menge der im Gebäude F. -A. -B. .. vorgefundenen verschiedenen Schadstoffe ergibt sowie eine detaillierte Beschreibung, in welchen Bauteilen die Schadstoffe im Gebäude verbaut wurden. Das Konzept enthält eine Kostenberechnung mit Leistungsbeschreibung. Des Weiteren hat der Immobiliengutachter Dipl.- SV P. unter Auswertung des Konzeptes der Firma T1. und Aktualisierung unter anderem der Baukostenkennziffern, des Liegenschaftszinses und der erzielbaren Miete unter dem 2. Dezember 2022 eine neue gutachterliche Stellungnahme abgegeben. In dieser kommt der Gutachter erneut zu dem Ergebnis, dass eine Instandsetzung bzw. Modernisierung wirtschaftlich nicht darstellbar sei, es ergebe sich bei einer Instandsetzung ein negativer Ertragswert von -1.268.955,00 € und bei einer Modernisierung von -1.362.741,00 €.
21B1. 2. April 2020 hat der Rat der Beklagten die Aufstellung des Bebauungsplans A 441 beschlossen, der unter anderem auch das klägerische Grundstück erfasst. Vorgesehen ist der Begründung zufolge die Ausweisung eines allgemeinen Wohngebietes mit einer viergeschossigen Bebauung. B1. 20. Mai 2021 hat der Rat für das klägerische Grundstück eine Vorkaufsrechtssatzung beschlossen.
22Zur Begründung der Klage macht der Kläger geltend, eine Instandsetzung und/oder Modernisierung sei nicht wirtschaftlich unzumutbar. Die Berechnungen der Beklagten beruhten auf abstrakten Schätzungen, die in Summe zu einer eklatanten Fehlberechnung führten. Die Schätzung der zu entsorgenden schadstoffbelasteten Materialen mit 420,00 € pro cbm sei nicht seriös. Die veranschlagten Gesamtkosten der Instandsetzung seien zu hoch. In dem Gutachten werde bei fast jeder Position ein Kennwert deutlich im oberen Bereich der Kostenkennwerte angesetzt. Der Jahresrohertrag sei zu niedrig angesetzt. Der Gutachter sei von einem überalterten Mietspiegel ausgegangen. Es sei ein erheblich höherer Mietzins erzielbar, hinzuzurechnen sei auch die Nutzung der Dachfläche durch Mobilfunkmasten. Es sei ein zu hoher Liegenschaftszins in Ansatz gebracht worden. Der Grundstücksmarktbericht weise einen mittleren Wert aus. Bei der Instandsetzung sei ein Ansatz unterhalb des Mittelwertes und bei einer Modernisierung ein solcher im unteren Bereich anzusetzen. Gleiches gelte für die Bewirtschaftungskosten, auch diese seien zu hoch angesetzt. Er befinde sich in Gesprächen mit zahlreichen interessierten Investoren. Der Makler habe schon zahlreiche Besichtigungstermine durchgeführt. Von einem Trading-Down-Effekt könne nicht die Rede sein. Die Verfügung sei ferner ermessensfehlerhaft. Sie enthalte zweckfremde Ermessenserwägungen, indem sie auch darauf abstelle, eigene Investitionen der Beklagten in andere Objekte zu sichern.
23Der Kläger beantragt,
24den Bescheid der Beklagten vom 26. November 2019 (Rückbaugebot gemäß §§ 175, 179 BauGB für die F. -A. -B. 1 in 45897 H. , Gemarkung C. , Flur .., Flurstück Nr. ..) aufzuheben.
25Die Beklagte beantragt,
26die Klage abzuweisen.
27Sie meint, es sei auf den Zeitpunkt der letzten Behördenhandlung abzustellen. Gründe, die Kosten für die Schadstoffentsorgung anzuzweifeln, seien nicht gegeben. Die vorgenommene Analyse und darauf basierende Kostenschätzung sei vollkommen ausreichend. Gleiches gelte auch für die Gutachten des Dipl.-Sachverständigen P. . Es werde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Begehung des Gebäudes und folglich die dort gewonnenen Erkenntnisse zur Bausubstanz, welche den Gutachten zugrunde lägen, bereits aus dem Jahr 2019 datierten und sich der Zustand des Gebäudes aufgrund der seitdem verstrichenen Zeit noch weiter verschlechtert habe. Insoweit seien die Aktualisierung der Gutachten und die dortigen Kostenschätzungen weiterhin eher zu niedrig als zu hoch angesetzt. Eine gutachterliche Schätzung der Kosten einer Instandsetzung oder Modernisierung sei weiterhin ausreichend, um die Unwirtschaftlichkeit im Sinne des § 179 BauGB zu belegen. Aufgrund der bereits nach Kostenschätzung auf Basis des BKI‑Zahlen sehr eindeutigen Unwirtschaftlichkeit sei es nicht erforderlich, eine noch konkretere Kostenplanung z.B. in Form einer Kostenberechnung nach DIN 276 durch einen Architekten für eine Modernisierung oder Instandsetzung zu verlangen. Selbst unter Berücksichtigung der Tatsache, dass bei einer Kostenschätzung denknotwendig Abweichungen sowohl nach oben als auch nach unten möglich seien, sei bei der Eindeutigkeit des Ergebnisses der Kostenschätzung eine konkrete Kostenplanung entbehrlich. Es wäre absurd, eine komplette Instandsetzung oder Modernisierung bis ins Detail durchzuplanen, um dann ein Rückbaugebot zu verfügen.
28Aber selbst wenn man den Einwänden des Klägers folge, führe dies zu keinem anderen Ergebnis. Die Wirtschaftlichkeit der Instandsetzung oder Modernisierung könne nämlich nicht bereits dann bejaht werden, wenn am Ende der Ertragswertberechnung (irgendeine) positive Zahl stehe. Vielmehr müsse der zu erzielende Ertrag ein Ausmaß haben, durch den ein besonnener und seriöser Investor veranlasst werden könne, die für die Instandsetzung und Modernisierung erforderlichen finanziellen Mittel zu investieren.
29Soweit der Kläger stets vortrage, es gebe eine Reihe von Interessenten für das Gesamtgrundstück, belege das nicht die Wirtschaftlichkeit einer Instandsetzung. Es habe sich vielmehr der Eindruck verfestigt, dass zwar zahlreiche Interessenten das Objekt in Betracht zögen, bislang aber auch nach Jahren kein Investor tatsächlich willens und in der Lage sei, eine wirtschaftlich tragfähige Folgenutzung unter Berücksichtigung der Kaufpreisvorstellungen des Klägers darzustellen. Fest stehe zudem, dass alle aktuellen Anfragen von Interessenten bei ihr sich auf eine Folgenutzung unter Abriss der aufstehenden Gebäude bezögen. Dies bestätige die im Bescheid getroffenen Feststellungen zur Unwirtschaftlichkeit einer Instandsetzung oder Modernisierung.
30Mit der Klageerhebung hat der Kläger zugleich um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Mit Beschluss vom 16. April 2020 hat die erkennende Kammer im Verfahren 6 L 1938/19 gleichen Rubrums die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt. Die Beschwerde der Beklagten ist erfolglos geblieben.
31Die Kammer hatte das Verfahren bereits für Ende 2022 zur mündlichen Verhandlung terminiert, dann aber auf übereinstimmenden Wunsch der Beteiligten wegen eines bevorstehenden Verkaufs des Grundstücks den Termin wieder aufgehoben.
32Zum weiteren Sach- und Streitstand wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte und der Gerichtsakte 6 K 2256/21 und die jeweils beigezogenen Verwaltungsvorgänge verwiesen, welche Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
33Entscheidungsgründe:
34Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
35Das streitgegenständliche Rückbau(duldungs)gebot der Beklagten vom 26. November 2019 für das Gebäude F. -A. -B. .. in H. ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO). Ermächtigungsgrundlage für den Erlass der Duldungsverfügung ist § 179 Abs. 1 Ziffer 2 Baugesetzbuch (BauGB). Danach kann die Gemeinde den Eigentümer verpflichten zu dulden, dass eine bauliche Anlage ganz oder teilweise beseitigt wird, wenn sie Missstände oder Mängel im Sinne des § 177 Abs. 2 und Abs. 3 S. 1 BauGB aufweist, die durch eine Modernisierung oder Instandsetzung nicht behoben werden können. Die entsprechende Anordnung setzt nach § 175 Abs. 2 BauGB ferner voraus, dass die alsbaldige Durchführung der Maßnahme aus städtebaulichen Gründen erforderlich ist.
36Bedenken gegen die formelle Rechtmäßigkeit der Verfügung sind nicht geltend gemacht worden und auch nicht erkennbar. Insbesondere wurde die Maßnahme, wie in § 175 Abs. 1 BauGB vorgesehen, mit dem Kläger erörtert.
37Die Verfügung ist auch materiell rechtmäßig.
38Missstände im Sinne von § 177 Abs. 2 BauGB liegen insbesondere vor, wenn die bauliche Anlage nicht den allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse entspricht. Mängel im Sinne von § 177 Abs. 3 S. 1 BauGB liegen insbesondere vor, wenn durch Abnutzung, Alterung, Witterungseinflüsse oder Einwirkungen Dritter (1.) die bestimmungsgemäße Nutzung der baulichen Anlage nicht nur unerheblich beeinträchtigt wird, (2.) die bauliche Anlage nach ihrer äußeren Beschaffenheit das Straßen- oder Ortsbild nicht nur unerheblich beeinträchtigt oder (3.) die bauliche Anlage erneuerungsbedürftig ist und wegen ihrer städtebaulichen Bedeutung erhalten bleiben soll, wobei letzteres erkennbar nur ein Modernisierungs- und Instandsetzungsgebot nach § 177 Abs. 2 BauGB, nicht aber ein Rückbaugebot nach § 179 Abs. 1 BauGB zu tragen vermag.
39Das Vorliegen entsprechender Missstände im Sinne von § 177 Abs. 2 BauGB ist vorliegend bereits durch die in den Akten befindlichen gutachterlichen Stellungnahmen und Fotodokumentationen hinreichend belegt. Daraus geht hervor, dass das Gebäude bereits seit mehr als fünfzehn Jahren nicht mehr bewirtschaftet wird und zwischenzeitlich einen Zustand der Unbewohnbarkeit erreicht hat. Die Gutachten führen unter anderem aus, dass die Dachaufbauten undicht seien und die Dachentwässerungsfallleitungen fehlten. Dadurch seien die Wände und Decken der oberen Stockwerke durchfeuchtet. Die Fenster und Türen im gesamten Gebäude seien teilweise defekt oder fehlten vollständig. Die Badezimmer in den Wohnungen seien teilweise oder komplett entkernt worden, sodass keine funktionstüchtigen Sanitäranlagen vorhanden seien. Gleiches gelte für die Heizungsanlage. Auch die Wasser- und Abwasserleitungen seien teilweise entfernt worden, ebenfalls die Elektroinstallation. Die Wand-, Decken- und Bodenbeläge wiesen teilweise den Charakter einer Entkernung auf. An diesem Gebäudezustand hat sich in dem Zeitraum zwischen dem Erlass der angefochtenen Verfügung und der mündlichen Verhandlung nichts zum Positiven verändert. Instandsetzungsmaßnahmen haben in der Zwischenzeit nicht stattgefunden. Das Gebäude war vielmehr ungeschützt weiteren Witterungseinflüssen ausgesetzt, sodass vielmehr davon auszugehen sein dürfte, dass mittlerweile weitere Schäden am Baukörper eingetreten sind.
40Die – vom Kläger unbestritten – desolaten Zustände belegen zugleich auch das Vorliegen von Mängeln im Sinne von § 177 Abs. 3 Satz 1 Ziffer 1 BauGB, denn eine bestimmungsgemäße Wohnnutzung ist in dem Gebäude F. -A. -B. .. gar nicht mehr möglich und damit mehr als nur unerheblich beeinträchtigt.
41Auch die weitere Voraussetzung des § 179 Abs. 1 Ziffer 2 BauGB, dass die Mängel und Missstände durch Modernisierung und Instandsetzung nicht behoben werden können, ist vorliegend erfüllt. Davon ist zunächst auszugehen, wenn die erforderlichen Maßnahmen (bau-)technisch unmöglich sind oder gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen. Mängel oder Missstände sind darüber hinaus aber auch dann nicht behebbar im Sinne von § 179 Abs. 1 S. 1 Ziffer 2 BauGB, wenn die zur Instandsetzung oder Modernisierung erforderlichen Maßnahmen wirtschaftlich unvertretbar sind. Dies ist namentlich dann der Fall, wenn entsprechende Maßnahmen unrentabel wären, wenn die entstehenden Kosten sich also nicht anschließend durch Erträge aus der instandgesetzten und gegebenenfalls modernisierten Immobilie erwirtschaften ließen.
42Vgl. VG Leipzig, Urteil vom 18. November 2021 - 5 K 1461/20 -, juris Rn. 17; Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/ Krautzberger, BauGB, Kommentar, Stand: August 2023, § 179 Rn. 30 i.V.m. § 177 Rn. 27a; Goldschmidt, in Hoppenberg/de Witt, Handbuch des öffentlichen Baurechts, Stand: Dezember 2023, Kapitel C 5. Teil Rn. 2261; Schmuck, LKV 2014, 481 (482 f.).
43Denn die Umsetzung von wirtschaftlich objektiv sinnlosen Maßnahmen kann weder dem Eigentümer, noch der die Maßnahmen regelmäßig zumindest teilweise finanzierenden Gemeinde zugemutet werden. Gerade mit Blick auf eine solche Situation ist der Tatbestand des § 179 Abs. 1 S. 1 Ziffer 2 BauGB seinerzeit in das Gesetz eingefügt worden.
44Vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs, BT-Drucks. 17/11468, S. 16.
45Die Vermögensverhältnisse des betroffenen Eigentümers und seine wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sind dabei allerdings nicht von Bedeutung; geboten ist vielmehr eine rein objektive Betrachtung.
46Vgl. Möller, in: Schrödter, BauGB, Kommentar, 9. Aufl. 2019, § 179 Rn. 2; Schmuck, LKV 2014, 481 (483).
47Vorliegend ist zumindest eine wirtschaftliche Unvertretbarkeit in dem aufgezeigten Sinne gegeben.
48Die Beklagte hat sich in der angefochtenen Duldungsverfügung zur Wirtschaftlichkeitsberechnung maßgeblich auf die gutachterliche Stellungnahme des Diplom-Sachverständigen P. in der Fassung der 3. Ergänzung vom 20. November 2019 gestützt. Das Gericht hat keine durchgreifenden Bedenken, diesem Gutachten – trotz einiger Defizite – im Ergebnis zu folgen. Das Gebot des § 86 Abs. 1 VwGO, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären, verwehrt es dem Tatsachengericht nicht, für seine tatsächlichen Feststellungen auch das Vorbringen der Beteiligten zu verwerten, soweit es ihm überzeugend erscheint und nicht durch anderweitiges Parteivorbringen schlüssig in Frage gestellt wird. Ob ein Parteigutachten als „Interessenten“-Vortrag bloß zur Kenntnis genommen wird oder als maßgebliche Entscheidungsgrundlage dient, ist eine Frage der inhaltlichen Bewertung. Je unzweifelhafter eine gutachterliche Äußerung als Ausdruck der Sachkunde, Unparteilichkeit und Objektivität zu qualifizieren ist, desto unbedenklicher ist sie verwertbar. Wie ein Gericht ein Parteigutachten, um das es sich bei der hier in Rede stehenden Wirtschaftlichkeitsberechnung vom 20. November 2019 handelt, zu würdigen hat, ist ganz überwiegend eine Frage des Einzelfalles.
49Vgl. Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Beschlüsse vom 25. Juni 2015 - 9 B 69/14 -, juris Rn. 12, und vom 18. Juni 2003 - 4 A 70/01 -, juris Rn. 26.
50Hinsichtlich der Qualifikation des Gutachters, des Dipl.-Sachverständigen für die Bewertung von bebauten und unbebauten Grundstücken und für die Bewertung von Bauschäden P. , sowie seiner methodischen Herangehensweise zur Berechnung der Wirtschaftlichkeit einer möglichen Instandsetzung oder Modernisierung der Immobilie hat die erkennende Kammer keine Bedenken. Einzelne Punkte seiner Berechnung der Herstellungskosten bei der Modernisierung bzw. Instandsetzung und der Erträge sind zwar auch nach der ausführlichen Erörterung in der mündlichen Verhandlung Einwänden oder Bedenken ausgesetzt. Diese führen aber nicht dazu, dass die Kammer Zweifel am Ergebnis des Gutachtens hat.
51Das Gutachten vom 20. November 2019 kommt zu dem Gesamtergebnis, dass sowohl im Fall der Instandsetzung als auch in dem der (zusätzlichen) Modernisierung die jeweiligen Investitionskosten die anschließend jeweils erzielbaren Erträge ganz erheblich übersteigen würden. Die gutachterliche Kostenschätzung bezüglich der Instandsetzung und der Modernisierung erfolgt dabei für im Einzelnen aufgeführte Leistungen im Bereich Baukonstruktion, Ausbau und Gebäudetechnik ausgehend von der Bruttogrundfläche des Gebäudes nach statistischen Kostenkennwerten aus der Publikation „BKI Baukosten 2018“ für die Instandsetzung bzw. Modernisierung von Altbauten, indexiert auf das Jahr 2019. Hinzuaddiert werden Kosten in Höhe von jeweils 420.000,00 € für die Schadstoffsanierung auf der Grundlage der Kostenschätzung der Firma Baubetreuung T. GmbH, die nach Beprobung einzelner Bauteile eine Multiplikation des Bruttorauminhaltes des Gebäudes mit einer geschätzten Summe anfallender Kosten pro Kubikmeter für die Schadstoffsanierung bzw. -beseitigung vorgenommen hat. Eine Instandsetzung würde dem Gutachten zufolge Kosten in Höhe von ca. 2.100.000,00 € verursachen, eine Instandsetzung mit Modernisierung Kosten in Höhe von ca. 3.161.000,00 €. Stelle man diesen Kosten jeweils die anschließend erzielbaren Erträge gegenüber, ergebe sich bei beiden Varianten ein negativer Wert, nämlich bei der Instandsetzung ein Wert von ‑864.212,55 €, bei der Modernisierung ein solcher von -1.229.493,74 €.
52Die Berechnung der erzielbaren Erträge hat der Sachverständige P. in seinem Gutachten vom 20. November 2019 zutreffend entsprechend der Immobilienwertermittlungsverordnung (ImmoWertVO) vom 19. Mai 2010 durchgeführt. Das entspricht § 1 Abs. 1 ImmoWertVO 2010, wonach diese bei der Ermittlung der Verkehrswerte von Grundstücken, ihrer Bestandteile sowie ihres Zubehörs und bei der Ableitung der für die Wertermittlung erforderlichen Daten einschließlich der Bodenrichtwerte anwendbar ist. Die Anwendung des Ertragswertverfahrens gemäß § 17 ff. ImmoWertVO 2010 unterliegt ebenfalls keinen Bedenken, da es sich bei dem zu bewertenden Wohnhaus mit 24 Einheiten erkennbar um ein Objekt zur Ertragserzielung handelt. Dass der Gutachter bei seiner Ertragsberechnung einen zum damaligen Zeitpunkt bereits „veralteten“ Mietspiegel zu Grunde gelegt hat, ist unerheblich, denn auch bei Zugrundelegung des seinerzeit aktuellen Mietspiegels der Stadt H. vom 1. September 2019 ist eine erzielbare Miete von 5,00 € pro Quadratmeter Mietfläche im Fall der Instandsetzung bzw. 6,00 € im Falle der Modernisierung bei einer Mietspanne von 4,55 € bis 5,80 € für einen einfachen vermietbaren Zustand bzw. einer Mietspanne von 4,80 € bis 6,10 € für eine modernisierte Wohnung in dieser Wohnlage – unter anderem in unmittelbarer Nähe zur Autobahn A2 – keinesfalls zu beanstanden.
53Die aus Sicht der Kammer verbliebenen Unschärfen bei der Errechnung des nach Instandsetzung und Modernisierung zu erwartenden Ertrages stellen die Einschätzung des Sachverständigen nicht durchgreifend in Frage. Inwieweit der Sachverständige zu den erzielbaren Erträgen aus der Wohnungsvermietung noch eine weitere Einnahmequelle, nämlich die Vermietung der Dachfläche an Mobilfunkbetreiber zwecks Aufstellung von Funkmasten hätte hinzuaddieren müssen, kann offenbleiben. Diese – aus Sicht der Kammer nicht fernliegende – Möglichkeit der Ertragserzielung bei Hochhäusern würde die erzielbaren Erträge bei Zugrundelegung von ‑ wie vom Kläger vorgetragen ‑ zwei Funkmasten und einer Mieteinnahme von jeweils 7.000,00 € jährlich nur unwesentlich erhöhen. Vergleichbares gilt für die von dem Jahresrohertrag in Abzug zu bringenden Bewirtschaftungskosten. Hinsichtlich der im Gutachten mit 25 % angesetzten, aber mit 30 % berechneten Bewirtschaftungskosten hat Herr P. bei seiner informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass ihm insoweit ein Rechenfehler unterlaufen sei. Er habe auch in Summe eigentlich nur 25 % in Abzug bringen wollen. Dem hält der Kläger entgegen, 20 % seien nach einer „frischen“ Revitalisierung durchaus ausreichend. Zutreffend sind nach Ansicht der Kammer indes weder die vom Sachverständigen in dieser Fassung des Gutachtens angesetzten 25 % noch die vom Kläger für ausreichend erachteten 20 %. Insoweit ist vielmehr auf die in Anlage 3 „Modellansätze für Bewirtschaftungskosten“ der ImmowertVO 2010 im Einzelnen aufgeführten Positionen (Verwaltungskosten, Instandhaltungskosten und Mietausfallwagnis) abzustellen, wie vom Gutachter auch in allen weiteren Fassungen seiner Gutachten vorgenommen. Diese betrugen im Jahr 2019 je Wohneinheit 295,00 € an Verwalterkosten und 11,60 € pro Quadratmeter Wohnfläche an Instandhaltungskosten zuzüglich des Mietausfallwagnisses von 2 %. Daraus ergeben sich Bewirtschaftungskosten in Höhe von 32.244,80 € statt der im Gutachten in Ansatz gebrachten 35.388,00 €. Diese Differenz bei den Bewirtschaftungskosten sowie mögliche Mieteinnahmen aus der Dachfläche in Höhe von 14.000,00 € erhöhen den Jahresreinertrag indes nur auf 99.715,20 € (statt 82.572,00 €). Legt man entgegen dem Gutachten – entsprechend dem Verhältnis der überbauten Grundflächen der auf dem Grundstück aufstehenden Gebäude – für das Hochhaus einen Bodenwert von 263.000,00 € (statt 297.000,00 €) zugrunde, so ergibt sich bei einer Bodenwertverzinsung mit dem Liegenschaftszinssatz 6 %, die der Gutachter im Termin plausibel erklärt hat, einer Restnutzungsdauer von 35 Jahren und einem Barwertfaktor von 14,4982 ein vorläufiger Ertragswert von 1.479.909,32 € (statt 1.235.787,45 €) im Fall der Instandsetzung, der im Falle der Modernisierung wegen der höheren Mieteinnahmen, des geringeren Liegenschaftszinssatzes und der längeren Restnutzungsdauer mit 2.400.468,28 € (statt 1.931.506,26 €) entsprechend höher ausfiele.
54Dass die voraussichtlichen Instandsetzungs- bzw. Modernisierungskosten diese – zugunsten des Klägers zugrunde gelegten – erzielbaren Erträge deutlich übersteigen würden, steht zur Überzeugung des Gerichts, trotz einzelner Ungenauigkeiten und Unstimmigkeiten auch bei den im Gutachten des Dipl.-Sachverständigen P. vom 20. November 2019 aufgeführten Kostenpositionen, fest. Die Differenz zwischen den jeweiligen Investitionskosten und den erzielbaren Erträgen ist so erheblich, dass die in Rede stehenden Ungenauigkeiten und Unstimmigkeiten bei einzelnen Positionen nicht zu einer positiven Ertragsbilanz führen können.
55Dies zeigt bereits ein Vergleich mit der späteren Fassung des Gutachtens, die in deutlich geringerem Umfang Einwänden ausgesetzt ist. Der Gutachter hat bei seiner Befragung in der mündlichen Verhandlung überzeugend dargelegt, dass er bei der Erstellung des „neueren“ Gutachtens vom 2. Dezember 2022 eine komplette Neubewertung vorgenommen und sich dabei, im Gegensatz zu seinem Gutachten vom 20. November 2019, nicht ausschließlich an den Kostenkennziffern orientiert habe, sondern sich bei der Neubewertung deutlich differenziertere Gedanken gemacht und auch mehr die Gesamtimmobilie und den Ablauf einer Instandsetzung bzw. Modernisierung im Blick gehabt habe. Ernsthafte Zweifel an dem Gutachten vom 2. Dezember 2022 wurden nicht geltend gemacht und sind für die Kammer, bis auf ganz vereinzelt gebliebene kleinere Unstimmigkeiten im Randbereich, auch nicht erkennbar. Bedenken hinsichtlich der Kostenseite bestehen nur insoweit, als in der mündlichen Verhandlung ungeklärt geblieben ist, ob sich die Baustellenkosten in dem Gutachten des Dipl.-Sachverständigen P. mit denen im Rückbau- und Entsorgungskonzept der Firma T1. vom 25. August 2020 zum Teil, in einer Größenordnung von ca. 20.000,00 €, überschneiden. Bedenken hinsichtlich der Erträge bestehen nur insoweit, als mögliche Mieteinnahmen aus der Nutzung der Dachfläche nicht in Ansatz gebracht wurden und ein Anteil von 53 % am Bodenwert statt der mutmaßlich zutreffenden 47 % zu Grunde gelegt wurde. Das würde die in dem Gutachten vom 2. Dezember 2022 ausgeworfenen negativen Ertragswerte von -1.268.994,54 € im Fall der Instandsetzung und von -1.362.740,51 im Fall der Modernisierung jedoch nur in geringem Umfang reduzieren. Bereits diese Zahlen belegen trotz erheblicher Kostensteigerungen im Bauwesen eindrucksvoll, dass auch drei Jahre zuvor, zum Erlasszeitpunkt der Verfügung, eine Instandsetzung bzw. Modernisierung der Immobilie F. -A. -B. .. nicht wirtschaftlich vertretbar hätte umgesetzt werden können.
56Damit können auch einzelne Unstimmigkeiten im Gutachten vom 20. November 2019, dessen Verwertbarkeit aus Sicht der Kammer insgesamt nicht in Frage gestellt ist, zu keinem anderen Ergebnis führen. Soweit Kosten für Positionen in seinem Gutachten vom 2. Dezember 2022 gegenüber denen in dem Gutachten vom 20. November 2019 – entgegen der allgemeinen Entwicklung der Kosten im Baubereich – bei einigen wenigen Positionen niedriger ausgefallen seien, bedürfe sein Gutachten vom 20. November 2019 – so der Gutachter bei seiner persönlichen Befragung in der mündlichen Verhandlung – offenbar der Überarbeitung, was die Kammer dahingehend versteht, dass er diese Positionen mit seinem Wissen von heute auch im Gutachten vom 20. November 2019 niedriger angesetzt hätte. Bei einigen anderen Positionen sind die veranschlagten Kosten in dem Gutachten vom 2. Dezember 2022 gegenüber den veranschlagten Kosten in dem Gutachten vom 20. November 2019 um mehr als die „normale“ Baukostensteigerung gestiegen, sodass offenbar auch insoweit bei einzelnen Positionen eine Korrektur des Gutachtens vom 20. November 2019 – so das Verständnis der Kammer – angezeigt wäre. Die extremen Steigerungen bei einzelnen Positionen der in seinem Gutachten vom 2. Dezember 2022 veranschlagten Kosten vermochte der Gutachter in der mündlichen Verhandlung der Kammer jedoch plausibel und nachvollziehbar zu erläutern. So seien beispielsweise die Kosten für die Dachabdichtungsarbeiten extrem gestiegen, weil es zwischenzeitlich deutlich erhöhte Anforderungen an die Wärmedämmung gebe. Zusätzliche Kosten für eine Baustelleneinrichtung fielen bei der Modernisierung an, da diese länger als die Instandsetzung dauere. Bei einer Gesamtschau können diese „Ausreißer“ nach Lage der Dinge indes nicht dazu führen, dass das Gebäude zum Erlasszeitpunkt wirtschaftlich vertretbar hätte saniert oder modernisiert werden können. Das Gutachten vom 20. November 2019 schließt mit einem negativen Ertragswert von -864.212,55 € bei einer Instandsetzung bzw. ‑1.229.493,74 € bei einer Modernisierung ab.
57Dies gilt umso mehr, als zu den vom Gutachter veranschlagten noch weitere Kosten hinzukommen, die im Gutachten vom 20. November 2019 keinen Niederschlag gefunden haben. Zu den Kosten für die Instandsetzung bzw. Modernisierung wären insbesondere noch – wie in den späteren Gutachten – weitere 18 % Baunebenkosten hinzuzurechnen. Insoweit hat der Gutachter plausibel dargelegt, dass zusätzliche Kosten in dieser Höhe regelmäßig für die Planung und Überwachung einer solchen Maßnahme anfielen. In den BKI-Kennziffern seien diese nicht berücksichtigt. Zudem sind die in dem Gutachten vom 20. November 2019 vom Gutachter übernommenen Kosten für die Schadstoffsanierung in Höhe von 420.000,00 € auf Grundlage einer pauschalen Kostenschätzung der Firma Baubetreuung T. GmbH, bei der eine Multiplikation des Bruttorauminhaltes des Gebäudes mit einer geschätzten Summe anfallender Kosten pro Kubikmeter für die Schadstoffsanierung bzw. -beseitigung vorgenommen wurde, zu gering angesetzt. In der Folgezeit hat die Beklagte ein konkretes Rückbau- und Entsorgungskonzept der Firma T1. vom 25. August 2020 eingeholt, wonach die notwendige Schadstoffsanierung bei einer Instandsetzung bzw. Modernisierung Kosten in Höhe von 578.149,60 € verursachen würde. Das Konzept der Firma T1. ist wesentlich präziser als die von der Klägerseite bemängelte Schätzung der Firma Baubetreuung T. GmbH. Aus dem Konzept geht hinlänglich hervor, an welchen Bauteilen in welchen Geschossen jeweils Proben genommen und analysiert wurden. Dabei wurden durchaus auch Bauteile beprobt, die sich im Nachgang als unbelastet erwiesen haben. Im Anschluss daran sind die entsprechenden Massen der belasteten Bauteile aufgemessen und die entsprechenden Ausbau- und Entsorgungskosten dabei im Einzelnen aufgelistet worden. Im Gegensatz zur Kostenschätzung der Firma Baubetreuung T. GmbH enthält das Rückbau- und Entsorgungskonzept der Firma T1. zudem keinen Kostenansatz für Baunebenkosten. Die Firma Baubetreuung T. GmbH hat insoweit 15 % in Ansatz gebracht. Rechnete man diese noch hinzu, würden sich die Investitionskosten nochmals deutlich erhöhen. Die von der Beklagten als Baunebenkosten für die Schadstoffsanierung in späteren Gutachten in Ansatz gebrachten 40.000,00 € bleiben deutlich hinter dem Ansatz von 15 % Baunebenkosten bei der Schadstoffsanierung zurück.
58Die angesprochenen Ungenauigkeiten und Unstimmigkeiten bei den Kostenschätzungen in dem Gutachten vom 20. November 2019 können nach alledem also keinesfalls zu einer positiven Ertragsbilanz bei einer Modernisierung oder Instandsetzung führen. Daher war seitens des Gerichts auch keine weitere gutachterliche Stellungnahme zu den voraussichtlichen Kosten im Erlasszeitpunkt einzuholen.
59Vor dem Hintergrund des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG spricht Einiges dafür, dass bei der Feststellung der wirtschaftlichen Unzumutbarkeit nicht allein auf den Zeitpunkt der letzten Behördenentscheidung abzustellen, sondern auch die weitere Entwicklung bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Blick zu nehmen ist.
60Vgl. dazu die Ausführungen im zugehörigen Eilbeschluss der Kammer vom 16. April 2020 - 6 L 1938/19 -, juris Rn. 18 ff.
61Das kann vorliegend jedoch offenbleiben, denn es bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass sich seit der letzten Gutachtenerstellung im Dezember 2022 bis zum jetzigen Zeitpunkt die Gegebenheiten so gravierend geändert hätten, dass nunmehr eine Instandsetzung oder Modernisierung wirtschaftlich vertretbar wäre. Die Baukosten sind seitdem um etwa weitere 10 % gestiegen, wie der Dipl.-Sachverständige P. in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 9. Februar 2024 mitgeteilt hat. Der Bodenrichtwert in dem fraglichen Bereich ist laut BORIS seit 2022 unverändert geblieben, der Mietspiel der Stadt H. vom 1. Januar 2024 weist nur eine geringe Mietpreiserhöhung von 0,40 € im Mittel aus. Die Verwaltungskosten sind von 312,00 € pro Wohneinheit auf 344,00 € gestiegen, die Instandhaltungskosten von 12,20 € pro qm auf 13,50 €. Der Liegenschaftszins ist im Mittel von 4,37 auf 3,89 leicht gesunken. Eine wesentliche Verschiebung der Ergebnisse der vorliegenden Gutachten kann ausgeschlossen werden.
62Die alsbaldige Durchführung des Rückbaus ist auch – wie in § 175 Abs. 2 S. 1 BauGB gefordert – aus städtebaulichen Gründen erforderlich.
63Das öffentliche Interesse an der Durchführung der anzuordnenden Maßnahme muss im Einzelfall gegenüber den Belangen des betroffenen Eigentümers, die der Durchführung entgegenstehen, eine größere Bedeutung haben. Insoweit setzt die Annahme städtebaulicher Gründe eine Abwägung voraus.
64Vgl. Möller, in: Schrödter, BauGB, Kommentar, 9. Aufl. 2019, § 175 Rn. 19.
65Die Abwägung geht vorliegend zu Lasten des Klägers aus. Als städtebaulicher Grund für die Anordnung eines Rückbaugebotes steht eine erhebliche Beeinträchtigung des Orts- und Straßenbildes durch die streitgegenständliche Immobilie im Raum, die ihrerseits geeignet ist, einen sog. Trading-Down-Effekt auszulösen.
66Von einer erheblichen Beeinträchtigung des Orts- und Straßenbildes ist dann auszugehen, wenn Immobilien negative Ausstrahlungswirkung entfalten, die eine über das betroffene Grundstück hinausgehende Beeinträchtigung der Umgebung mit sich bringt.
67Vgl. Schmuck, Rückbau von „Schrottimmobilien“ durch die Gemeinden nach der BauGB-Novelle 2013, LKV 2014, S. 481 (483); Schmitz, Zugriffsmöglichkeiten der Gemeinde auf verwahrloste Immobilien de lege lata und de lege ferenda, ZfBR 2011, 641 (646).
68Die an der Immobilie F. -A. -B. .. zwischenzeitlich entstandenen baulichen Mängel infolge der jahrzehntelang ausgebliebenen Instandhaltung sind bereits von außen deutlich für jedermann erkennbar. Das Gebäude wirkt auch rein optisch äußerst verwahrlost. In Zusammenschau mit dem wegen seiner Höhe weithin sichtbaren desolaten Erscheinungsbild des Gebäudes als städtebaulicher Dominante und seiner exponierten Lage an einer innerstädtischen Hauptverkehrsachse sowie in unmittelbarer Nähe zur Bundesautobahn 2 ist eine ganz erhebliche Beeinträchtigung des Orts- und Straßenbildes zu konstatieren. Das Gebäude trägt wesentlich zum äußerlich wahrnehmbaren Erscheinungsbild des ganzen Bereichs bei, der sich am südlichen Rand des attraktiven Gelsenkirchener Stadtteils C. befindet. Auch wenn es vorliegend, da eine städtebauliche Dominante in Rede steht, nicht darauf ankommen dürfte, ist zudem festzustellen, dass es sich bei dem Gebäude F. -A. -B. .. nicht um eine isoliert aufstehende Problemimmobilie handelt, sondern sich zwei weitere verwahrloste größere Mehrfamilienhäuser ebenfalls auf dem komplett zugewucherten, vermüllten und mit einem Bauzaun vorläufig gesicherten Grundstück befinden. Von einer nachteiligen Ausstrahlung auf benachbarte Grundstücke, verbunden mit einem Trading-Down-Effekt wird man nicht grundsätzlich bei jeder verwahrlosten Einzelimmobilie ausgehen können, es bedarf vielmehr der Feststellung von Auswirkungen auf ihre Umgebung im Einzelfall. Daran, dass eine solche städtebaulich beeinträchtigende Wirkung von dem streitgegenständlichen Hochhaus auf den umliegenden Bereich ausgeht, hat die Kammer jedoch keinen Zweifel.
69Soweit der Kläger einwendet, es habe sich in den vergangenen Jahren keine optisch wahrnehmbare Verschlechterung der Umgebungsbebauung gezeigt, bedeutet das nicht, dass ein Trading-Down-Effekt nicht bereits eingesetzt hat oder alsbald einsetzen wird. Es handelt sich dabei um einen schleichenden Prozess, der sich in Desinvestitionsprozessen und einer dadurch entstehenden Abwärtsspirale des betroffenen Bereichs im Umfeld einer sog. Problemimmobilie zeigt und aus zahlreichen Faktoren gespeist wird. So ziehen die im Umfeld der Problemimmobilie ausbleibenden Investitionen einen Verlust der Attraktivität der Umgebung nach sich, was letztlich zu ganz erheblichen negativen Veränderungen in der Sozialstruktur des Bereichs führt.
70Vgl. dazu eindrucksvoll, unter anderem auch am Beispiel H. , Faller/Wilmsmeier/Beyer/Steinbach/Ritter, Soziale Wohnungspolitik auf kommunaler Ebene, vhw-Schriftenreihe 25. Mai 2021.
71Die bislang von der Beklagten unternommenen Versuche zur qualitätsvollen Fortentwicklung des Gebietes, in dem sich sonst überwiegend städtebaulich unauffällige Mehrfamilienhäuser und Geschäftsbesatz befinden, durch eine Modernisierung der I. Straße (unter anderem durch neue Bürgersteige, Fahrradwege und Haltestellen) werden durch die streitgegenständliche Immobile ganz erheblich konterkariert und vermögen für sich allein dem vorbeschriebenen Trading-Down-Effekt keinesfalls nachhaltig entgegen zu wirken.
72Eine bereits erfolgte Manifestierung des Trading-Down-Effekts durch weitere aufstehende ungepflegte oder verwahrloste Immobilien kann in diesem Zusammenhang nicht gefordert werden. Daher konnte auch offenbleiben, ob die ehemals unsanierte Immobilie „B1. F2. “ ..“ bereits Folge der auf dem Nachbargrundstück aufstehenden verwahrlosten Immobilie des Klägers war oder es dafür andere Gründe gab.
73Erforderlich ist die Anordnung eines städtebaulichen Gebots, wenn der mit dem Gebot verfolgte Zweck nicht auf andere, weniger belastende Weise bewirkt werden kann.
74Vgl. Oehmen, in: BeckOK BauGB, Stand 1. Oktober 2023, § 175 Rn. 5.
75Weniger belastende Maßnahmen standen vorliegend nicht zur Verfügung. Durch eine Instandsetzung/Modernisierung könnten die maßgeblichen städtebaulichen Gründe zwar ebenfalls erreicht werden, diese Maßnahmen erweisen sich ausweislich der eingeholten Gutachten jedoch als wirtschaftlich unzumutbar. Der Erlass einer bauordnungsrechtlichen Abrissverfügung wäre unabhängig von der Frage, ob deren Voraussetzungen gegeben sind, ebenfalls kein milderes Mittel, da der Kläger die gesamten Kosten des Abrisses ohne Begrenzung auf die ihm durch den Rückbau erwachsenden Vorteile zu tragen hätte. Auch eine Enteignung würde kein milderes Mittel darstellen.
76Aus den aufgezeigten städtebaulichen Gründen ergibt sich zugleich, dass die „alsbaldige“ Durchführung des Rückbaus erforderlich ist. Das ist dann der Fall, wenn es nicht genügt, die Umsetzung der städtebaulichen Maßnahme sowohl hinsichtlich des „Ob“ als auch hinsichtlich des „Wann“ dem Eigentümer zu überlassen. Die Erforderlichkeit muss sich also aus den städtebaulichen Gründen, die für die Verwirklichung der mit dem Gebot verfolgten Ziele und Zwecke sprechen, herleiten lassen.
77Vgl. Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Kommentar, 151. EL August 2023, BauGB § 175 Rn. 47.
78Dabei ist nicht zu fordern, dass die handelnde Kommune konkret darlegen kann, welche weitere negative städtebauliche Entwicklung des Umfeldes durch die verwahrloste Immobilie wann genau eintreten wird und warum gerade zum Erlasszeitpunkt ein weiteres Zuwarten nicht mehr möglich sein sollte. Damit würde die Vorschrift des § 179 Abs. 1 S. 1 Ziffer 2 BauGB nämlich letztlich leerlaufen, weil eine solche Darlegung schlechterdings unmöglich ist. Die Anordnung setzt auch keine „Unaufschiebbarkeit“ voraus.
79Vgl. Möller, in: Schrödter, BauGB, Kommentar, 9. Aufl. 2019, § 175 Rn. 24.
80Andererseits verbietet sich vor dem Hintergrund des Eigentumsgrundrechts aus Art. 14 GG, eine Rückbauverfügung quasi auf Vorrat zu erlassen. Eine alsbaldige Erforderlichkeit kann daher frühestens dann angenommen werden, wenn mit einer einigermaßen zeitnah vorgenommenen Revitalisierung der verwahrlosten Immobilie nicht mehr gerechnet werden kann und auch keine belastbaren Anhaltspunkte für eine künftige Abhilfe durch den Eigentümer im Wege der Beseitigung vorhanden sind. Das ist vorliegend zweifelsohne der Fall. Die bisherige Entwicklung hatte zum Erlasszeitpunkt gezeigt, dass mit einer Revitalisierung nicht mehr gerechnet werden konnte. Die vom Kläger in den Raum gestellten potentiellen Investoren hatten, zumindest nach Rücksprache mit der Beklagten, alle die Vorstellung, die auf dem Grundstück aufstehenden Immobilien nach Erwerb zu beseitigen und eine Neubebauung vorzunehmen. Es war aber auch in Ansehung der klägerseits benannten Investoren auch nicht zu erwarten, dass ein Käufer durch eine Niederlegung des Gebäudes die städtebaulichen Beeinträchtigungen in der näheren Zukunft beseitigen würde. Der Kläger hat die Immobile über etwa 20 Jahre verwahrlosen lassen. Ursächlich war zunächst seinen Angaben zufolge eine finanzielle Schieflage. Aber auch, als er in der Erkenntnis, dass eine Sanierung oder Niederlegung von ihm wirtschaftlich nicht zu leisten war, begonnen hat, die Immobilie am Markt anzubieten, haben sich die Verhältnisse nicht geändert. Offenbar haben potentielle Käufer den von dem Kläger aufgerufenen Kaufpreis nicht bezahlen wollen oder können, wie die Rückabwicklung eines Vertrages mit einem Herrn Racky vor Erlass des streitgegenständlichen Bescheides zeigt. Diese Einschätzung wird auch durch die Geschehnisse nach Erlass der Verfügung belegt. Ein nach Erlass der Verfügung geschlossener Kaufvertrag mit einem Herrn B2. wurde zwischenzeitlich ebenfalls rückabgewickelt. Ein der Kammer Ende Dezember 2022 als unmittelbar vor der Unterzeichnung stehend bezeichneter Kaufvertrag, der seinerzeit die Kammer bewogen hat, den damaligen Termin zur mündlichen Verhandlung aufzuheben, ist bis heute nicht zum Abschluss gebracht worden. Insgesamt ist es dem Kläger nicht gelungen, in den letzten Jahren einen Käufer für die leerstehende und verwahrloste Immobilie zu finden, der das Gebäude entweder saniert oder niederlegt.
81Angesichts der aufgezeigten Situation ist ein weiteres Abwarten der Beklagten nicht geboten. Die nachhaltige Beeinträchtigung des Orts- und Straßenbildes und der zu befürchtende Trading-Down-Effekt lassen vielmehr das Einschreiten mittels eines städtebaulichen Gebots gerechtfertigt erscheinen.
82Die Maßnahme ist bei Abwägung der öffentlichen Interessen an der Erreichung der verfolgten städtebaulichen Ziele mit den Eigentumsinteressen des Klägers auch nicht unverhältnismäßig. Die Immobilie war bereits zum Erlasszeitpunkt seit 15 Jahren nicht mehr wirtschaftlich genutzt worden und verursachte bei dem Kläger lediglich Kosten, wobei es sich nicht nur um typische Lasten eines Grundstücks handelte, sondern auch um bauordnungsrechtlich erforderliche Sicherungsmaßnahmen. Die Immobile lässt sich wirtschaftlich nicht mehr erhalten. Eine Instandsetzung bzw. Modernisierung würde erfordern, dass der Eigentümer Beträge in Millionenhöhe in das Gebäude investiert, die sich während der Restnutzungsdauer nicht mehr amortisieren würden. Ein Verkauf der Immobilie ist in der Vergangenheit stets gescheitert, zum Teil an den Kaufpreisvorstellungen des Klägers, zum Teil an den finanziellen Mitteln potentieller Käufer. Allen ernsthaften Kaufabsichten lag die Vorstellung der potentiellen Erwerber zu Grunde, das Grundstück freizulegen und mit ertragreicheren Gebäuden zu bebauen. Durch die Rückbauanordnung kann der Kläger, dem dann ein unbebautes Grundstück zum Verkauf zur Verfügung steht, mit dem sich ein wesentlich höherer Preis am Markt erzielen lässt, keinesfalls wirtschaftlich schlechter dastehen. An den Kosten des Rückbaus ist er nur insoweit zu beteiligen, als ihm durch die Beseitigung ein Vermögensvorteil entsteht, § 179 Abs. 4 BauGB. Angesichts dieser Überlegungen und unter Berücksichtigung der in Art. 14 Abs. 2 GG zum Ausdruck kommenden Sozialbindung des Eigentums erscheint die Maßnahme ohne Weiteres hinnehmbar.
83Ermessensfehler sind ebenfalls nicht erkennbar. Soweit die Verwaltungsbehörde – wie hier – ermächtigt ist, nach ihrem Ermessen zu handeln, prüft das Gericht nach § 114 Satz 1 VwGO nur, ob der Verwaltungsakt oder die Ablehnung oder Unterlassung des Verwaltungsaktes rechtswidrig war, weil die Behörde den ihr eingeräumten Ermessensspielraum nicht erkannt hat, die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten wurden oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht wurde.
84Vgl. dazu Riese, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand März 2023, § 114 Rn. 66 mit zahlreichen Nachweisen aus der Rechtsprechung.
85Zwar entscheidet die Behörde in dem durch den Zweck der Ermächtigung und durch die gesetzlichen Grenzen gezogenen Rahmen (§ 40 VwVfG NRW) selbst, welche Gesichtspunkte sie in ihre Ermessenentscheidung einbezieht. Sie darf aber keine wesentlichen Gesichtspunkte außer Acht lassen. Eine ordnungsgemäße Ermessensausübung setzt voraus, dass die für die Entscheidung maßgeblichen Gesichtspunkte vollständig und zutreffend ermittelt und gewichtet werden; andernfalls liegt ein Ermessensdefizit vor.
86Vgl. nur Aschke, in: BeckOK VwVfG, Stand Januar 2023, § 40 Rn. 87; Kallerhoff/Fellenberg, in: Stelkens/Bonk/ Sachs, VwVfG, Kommentar, 10. Aufl. 2023, § 24 Rn. 58 mit weiteren Nachweisen.
87Auch insoweit bestehen vorliegend keine Bedenken. Der klägerische Einwand, die Beklagte habe zweckfremde Erwägungen eingestellt, indem sie ihre eigenen Investitionen in das Gebiet habe schützen wollen – gemeint sind offenbar die Erneuerung der I. Straße und die Herstellung des Naherholungsgebiets Rungenberghalde – geht fehl. Diese Überlegungen der Beklagten in dem Bescheid beziehen sich vornehmlich auf die städtebaulichen Bemühungen zur Aufwertung des Stadtteils, der von dem desolaten Erscheinungsbild der klägerischen Immobilie massiv beeinträchtigt wird, und sind damit keinesfalls als zweckfremd zu bezeichnen.
88Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, 711 Zivilprozessordnung.
89Rechtsmittelbelehrung:
90Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
911. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
922. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
933. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
944. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
955. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
96Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen. Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen. Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.