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Der Gesichtspunkt, welche Dauerhaftigkeit dem Bleiberecht der Bezugsperson zukommt, ist in die nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG vorzunehmende Abwägung der Umstände des Einzelfalls einzustellen. In Fällen eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts, wie z.B. einer Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG, kann daher eine prognostische Einschätzung in Bezug auf die Beendigung dieses Aufenthaltsrechts von Bedeutung sein.
Der Antrag wird abgelehnt.Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
G r ü n d e :
2Mit dem Antrag,
3die aufschiebende Wirkung der Klage (3a K 5340/24.A) anzuordnen,
4wendet sich die Antragstellerin zum einen gegen die gemäß §§ 75, 34 Abs. 1 des Asylgesetzes (AsylG) von Gesetzes wegen bestehende sofortige Vollziehbarkeit der unter Ziffer 5 des Bescheides des Z. vom 15. Oktober 2024 enthaltenen Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung. Zum anderen ist das Antragsbegehren – mangels hinreichender Anhaltspunkte für eine Beschränkung des Antragsziels – bei verständiger Würdigung dahingehend auszulegen, dass sie auch die Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen das in Ziffern 6 des streitgegenständlichen Bescheides enthaltene Einreise- und Aufenthaltsverbot erstrebt.
5Der so ausgelegte, statthafte Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist zulässig, aber unbegründet.
6Die der Entscheidung des Gerichts gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zugrunde zu legende Interessenabwägung fällt zu Lasten der Antragstellerin aus, weil sich die in der Hauptsache angefochtene Abschiebungsandrohung und das Einreise- und Aufenthaltsverbot nach der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes allein möglichen und gebotenen summarischen Prüfung aus den Gründen des in der Hauptsache angegriffenen Bescheides, die ernstlichen Zweifeln nicht ausgesetzt sind, als rechtmäßig erweisen (§ 77 Abs. 3 AsylG). Das Vorbringen der Antragstellerin im vorliegenden Eilverfahren und im zugehörigen Klageverfahren rechtfertigt eine abweichende Entscheidung nach keiner vertretbaren Betrachtungsweise. Unter Zugrundelegung der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG) bestehen entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine ernstlichen Zweifel, dass die angegriffene Rückkehrentscheidung in Ziffer 5 des angegriffenen Bescheides auch in Ansehung der zwischen ihr und ihrem siebzehnjährigen Sohn bestehenden Lebensgemeinschaft den gemäß § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG (in der Fassung vom 24. Februar 2024) und Art. 5 1. Halbsatz der Richtlinie 2008/115/EG zu berücksichtigen Belangen hinreichend Rechnung trägt.
7Die in § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG bezeichneten Belange stehen dem Erlass der Abschiebungsandrohung nur dann im Sinne dieser Norm „entgegen“, wenn ihnen bei einer konkreten Abwägung mit den etwa widerstreitenden öffentlichen Interessen das gleiche oder ein überwiegendes Gewicht zukommt und deshalb eine Aufenthaltsbeendigung derzeit unzulässig wäre. In Bezug auf die schutzwürdigen Belange des Ausländers und seiner Angehörigen besteht also keine absolute Beachtenspflicht, sondern ein die Abwägung beeinflussendes Berücksichtigungsgebot.
8Vgl. Funke-Kaiser, in: Gemeinschaftskommentar zum AsylG, Band 3, Loseblatt, Stand: 148. Erg.-Lieferung, September 2024, § 34, Rn. 67; VG Minden, Urteil vom 15. März 2023 – 1 K 7619/17.A -, juris, Rn. 71.
9Die in Art. 6 Abs. 1 i. V. m. Abs. 2 GG, Art. 8 Abs. 1 und 2 EMRK enthaltenen, wertentscheidenden Grundsatznormen, nach welcher der Staat die Familie zu schützen und zu fördern hat, verpflichten Behörden und Gerichte demnach, bei der Entscheidung über ein Aufenthaltsbegehren die bestehenden familiären Bindungen des Ausländers an Personen, die sich berechtigterweise im Bundesgebiet aufhalten, zu berücksichtigen und entsprechend dem Gewicht dieser Bindungen zur Geltung zu bringen, wobei sie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verpflichtet sind. Auch die Bindungen zwischen Eltern und volljährigen Kindern unterfallen dem Schutzbereich des Art. 6 Abs. 1 GG/Art. 8 EMRK. Ihnen darf in der grundrechtlich gebotenen Abwägung jedoch regelmäßig ein geringeres Gewicht beigemessen werden als im Verhältnis von Eltern zu minderjährigen Kindern. In Bezug auf Bindungen zu volljährigen Familienangehörigen gebieten es die Schutzwirkungen des Art. 6 GG/ Art. 8 EMRK regelmäßig nicht, einwanderungspolitische Gründe oder sonstige öffentliche Belange, die gegen einen angestrebten Daueraufenthalt sprechen, zurückzustellen. Weitergehende Schutzwirkungen aus Art. 6 GG/Art. 8 EMRK kommen nur ausnahmsweise in Betracht, wenn nämlich ein Familienmitglied auf die Lebenshilfe des anderen Familienmitglieds angewiesen ist und dieser Beistand nur im Bundesgebiet erbracht werden kann, weil einem beteiligten Familienmitglied ein Verlassen Deutschlands nicht zumutbar ist.
10Vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. Februar 2014 – OVG 2 B 12.12, juris, Rn. 35; VG Gießen, Urteil vom 3. September 2024 – 1 K 1362/21.GI.A -, juris, Rn. 69.
11§ 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG setzt nicht voraus, dass der den Schutz vermittelnde Angehörige über ein dauerhaft gesichertes Bleiberecht verfügt. Diese Bestimmung differenziert, anders als § 59 Abs. 3 Satz 1 AufenthG, nicht danach, ob die Aufenthaltsbeendigung nur vorübergehend oder langfristig unmöglich ist.
12Vgl. Funke-Kaiser, a.a.O. § 34, Rn. 65.
13Daraus ist zu folgern, dass nach § 34 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AsylG grundsätzlich auch die Bindung an eine Bezugsperson Berücksichtigung finden muss, die lediglich über eine Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylG verfügt.
14Vgl. VG Düsseldorf, Beschluss vom 18. September 2024 – 26 L 2561/24.A -, juris, Rn. 17; VG Gießen, Urteil vom 3. September 2024 – 1 K 1362/21.GI.A -; Juris, Rn. 71, Beschluss vom 18. April 2024 – 1 L 1041/24.GI.A -, juris, Rn. 14; VG Bremen, Beschluss vom 22. Mai 2024 – 1 V 959/24 -, juris, Orientierungssatz.
15Der Gesichtspunkt, welche Dauerhaftigkeit dem in Rede stehenden Bleiberecht des Angehörigen zukommt, ist in die nach dem oben Gesagten vorzunehmende Abwägung der Umstände des Einzelfalls einzustellen. Während bei Vorliegen schutzwürdiger familiärer Beziehungen in Fällen eines dauerhaft gesicherten Aufenthaltsrechts für eine Abwägung zugunsten einer Rückkehrentscheidung regelmäßig kein Raum bleiben dürfte,
16vgl. VG Minden, Urteil vom 15. März 2023 – 1 K 7619/17.A -, juris, Rn. 80,
17kann in Fällen eines vorübergehenden Aufenthaltsrechts einer prognostischen Einschätzung in Bezug auf dessen Beendigung Gewicht zukommen. Dies gilt im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes, auch unter Berücksichtigung der Regelung in § 37 Abs. 2 AsylG einerseits und der Korrekturmöglichkeit gemäß § 80 Abs. 7 VwGO andererseits, in besonderem Maße.
18Ausgehend von diesen rechtlichen Maßstäben erweisen sich das Interesse der Antragstellerin an einer Fortsetzung der familiären Gemeinschaft mit ihrem Sohn und dessen Kindeswohl gegenüber dem öffentlichen Interesse an einer Beendigung des Aufenthalts nicht als mindestens gleichwertig. Dabei fällt zum einen ins Gewicht, dass der Sohn der Klägerin in etwa vier Monaten volljährig werden wird. Eine Trennung über einen solchen Zeitraum ist - auch unter Gesichtspunkten des Kindeswohls - vorliegend nicht unzumutbar. Anhaltspunkte für eine Schutzwürdigkeit der familiären Lebensgemeinschaft nach Eintritt der Volljährigkeit sind vorliegend nicht gegeben. Zum anderen ist zu berücksichtigen, dass der Sohn der Antragstellerin in seinem eigenen Asylverfahren keine anderen Fluchtgründe geltend gemacht hat als die Antragstellerin. Es ist daher damit zu rechnen, dass in diesem Verfahren, das ausweislich des beigezogenen Verwaltungsvorgangs des Bundesamts seit längerem entscheidungsreif sein dürfte, in absehbarer Zeit in gleichem Sinne wie im Verfahren der Antragstellerin entschieden werden wird.
19Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
20Rechtsmittelbelehrung:
21Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).
22X.