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Ein Tatbestand des § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW berechtigt nicht zu einer allgemeinen Gefahrenabwehrmaßnahme nach § 12 Abs. 1 LHundG NRW. Die Gefährlichkeit eines Hundes nach § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW gebietet vielmehr zwingend, dass die Behörde die durch § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW vorgegebenen Maßnahmen ergreift. § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW sperrt als Spezialermächtigung die hunderechtliche Generalklausel des § 12 Abs. 1 LHundG NRW.
Ohne abweichende Anhaltspunkte ist bei Gefahrenprognosen regelmäßig von einem rechtstreuen Verhalten auszugehen.
1. Die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 26. März 2024 wird hinsichtlich der Anordnung zu Ziffer 1 wiederhergestellt, soweit mit ihr verfügt wird, dass der Hund „K. “ nur mit einem Maulkorb außerhalb des befriedeten Besitztums geführt werden darf.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Antragsgegnerin.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe:
2Der sinngemäße Antrag der Antragstellerin,
3die aufschiebende Wirkung ihrer Klage (19 K 1720/24) gegen die Ordnungsverfügung der Antragsgegnerin vom 26. März 2024 hinsichtlich der Anordnung zu Ziffer 1 wiederherzustellen, soweit mit ihr verfügt wird, dass der Hund „K. “ nur mit einem Maulkorb außerhalb des befriedeten Besitztums geführt werden darf,
4ist zulässig und begründet.
5Das Gericht kann nach § 80 Abs. 5 der VwGO die aufschiebende Wirkung einer Klage gegen einen belastenden Verwaltungsakt im Fall einer Anordnung der sofortigen Vollziehung gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO wiederherstellen. Die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hängt von einer Abwägung der widerstreitenden Interessen an der Suspendierung der angefochtenen Maßnahme einerseits und der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsaktes andererseits ab. Im Rahmen dieser Interessenabwägung kommt es maßgeblich darauf an, ob der angefochtene Verwaltungsakt bei summarischer Prüfung voraussichtlich Bestand haben wird. Ist der Verwaltungsakt offensichtlich rechtswidrig, hat der Antrag in aller Regel Erfolg, da kein öffentliches Interesse an der Vollziehung eines erkennbar rechtswidrigen Verwaltungsakts besteht. Ist der Verwaltungsakt hingegen offensichtlich rechtmäßig und besteht im Falle des § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO darüber hinaus ein besonderes öffentliches Interesse an einer sofortigen Vollziehung, muss das private Interesse an deren Aussetzung zurücktreten.
6Hiervon ausgehend fällt die Interessenabwägung zugunsten der Antragstellerin aus, denn die streitgegenständliche Anordnung eines Maulkorbzwangs ist offensichtlich rechtswidrig. Sie kann nicht auf die von der Antragsgegnerin angeführte Ermächtigungsgrundlage des § 12 Abs. 1 LHundG NRW gestützt werden, weil diese Vorschrift durch die spezielle Ermächtigung in § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW gesperrt ist.
7§ 12 Abs. 1 LHundG NRW hat innerhalb des Landeshundegesetzes die Funktion einer Generalklausel. In der Anwendung vorrangig sind spezielle Ermächtigungen zu bestimmten Maßnahmen unter enger gefassten Voraussetzungen wie etwa die Ermächtigungen zu Haltungsuntersagung, Abgabeanordnung und Einschläferung in § 12 Abs. 2 und 3 LHundG NRW. Eine solche Spezialermächtigung beinhaltet auch § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW. Danach stellt die zuständige Behörde nach Begutachtung durch den amtlichen Tierarzt die Gefährlichkeit eines Hundes fest, der einen der Tatbestände nach Satz 1 verwirklicht hat. Gegenüber der Ermächtigung in § 12 Abs. 1 LHundG NRW ist diese Ermächtigung sowohl hinsichtlich der Voraussetzungen als auch hinsichtlich der Rechtsfolge spezieller. Die Anknüpfungstatbestände des § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW sind weitaus bestimmter und enger als der Gefahrentatbestand des § 12 Abs. 1 LHundG NRW. Die Rechtsfolge der Feststellung der Gefährlichkeit des Hundes verengt das Spektrum der möglichen Maßnahmen auf eine Handlungsoption, die zudem anders als beim Ermessen des § 12 Abs. 1 LHundG NRW zwingend vorgegeben ist. Diese Systematik und die aus ihr folgenden Vorgaben würden missachtet, wenn die Behörde aus Anlass eines der Tatbestände des § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW eine allgemeine Gefahrenabwehrmaßnahme nach § 12 Abs. 1 LHundG verfügen könnte. Die Gefährlichkeit eines Hundes nach § 3 Abs. 3 Satz 1 LHundG NRW ist dementsprechend keine alllgemeine Gefahr im Sinne des § 12 Abs. 1 LHundG. Sie gebietet vielmehr zwingend, dass die Behörde die durch § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW vorgegebenen Maßnahmen ergreift.
8Nach diesen Maßgaben ist der Antragsgegnerin die Anordnung eines Maulkorbzwangs auf der Grundlage der hunderechtlichen Generalklausel des § 12 Abs. 1 LHundG NRW versperrt. Denn sie legt in der Begründung der Anordnung zugrunde, dass „K. “ den Tatbestand des § 3 Abs. 3 Nr. 3 LHundG NRW verwirklicht hat. Sie geht davon aus, dass „K. “ am 18.8.23 ein achtjähriges Kind gebissen hat. Dies verengt ihren Handlungsspielraum auf die Feststellung der Gefährlichkeit nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW, die sie mit der Begutachtung durch die amtliche Tierärztin auch vorbereitet hat.
9Eine abweichende Interessenabwägung ist nicht dadurch veranlasst, dass die Feststellung der Gefährlichkeit von „K. “ aufgrund der gesetzlichen Vorgabe in § 5 Abs. 2 Satz 3 LHundG NRW ebenfalls einen Maulkorbzwang zur Folge hätte und sehr vieles dafür spricht, dass die Gefährlichkeitsfeststellung nach § 3 Abs. 3 Satz 2 LHundG NRW aufgrund des mutmaßlichen Beißvorfalls vom 18.8.23 zu treffen ist. Zum einen konterkarieren solche hypothetischen Erwägungen die konstitutive Funktion der Gefahrlichkeitsfeststellung: Weil diese Feststellung zentrale Voraussetzung für die hieran anknüpfenden gesetzlichen Rechtsfolgen ist, darf sie nicht einfach unterstellt werden. Zum anderen wäre die Konkretisierung der mit einer Gefährlichkeitsfeststellung begründeten gesetzlichen Maulkorbpflicht durch einen vollstreckungsfähigen Verwaltungsakt nicht ohne weiteres zulässig, sondern würde dann eine Gefahr eines Verstoßes gegen diese Pflicht voraussetzen. Erforderlich wären besondere Anhaltspunkte dafür, dass sich die Antragstellerin nach der Gefährlichkeitsfeststellung nicht an ihre gesetzlichen Pflichten halten würde. Ohne solche Anhaltspunkte ist regelmäßig von einem rechtstreuen Verhalten auszugehen. Der Antragsgegnerin ist es verwehrt, sich unter Umgehung dieser Maßgaben vorzeitig einen auf die Durchsetzung eines Maulkorbzwangs gerichteten Vollstreckungstitel zu verschaffen.
10Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 2 GKG.
11Rechtsmittelbelehrung:
12Gegen den Beschluss zu 1. steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster zu.
13Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen. Sie ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
14Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
15Im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss zu 1. muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.
16Gegen den Beschluss zu 2. findet innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
17Die Beschwerde ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen. Über sie entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
18Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das
19besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.