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Auslegung eines als "Prozesskostenhilfeantrag und Klage" bezeichneten Schriftsatzes als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage.
Der Beweis der Unrichtigkeit der in einer Postzustellungsurkunde bezeugten Tatsachen kann nur durch den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens erbracht werden. Dies setzt voraus, dass ein Sachverhalt vorgetragen und bewiesen wird, der jede Möglichkeit der Richtigkeit des in der Zustellungsurkunde bezeugten Sachverhalts ausschließt.
Wiedereinsetzung in die Klagefrist nach Bewilligung von Prozesskostenhilfe setzt voraus, dass der Beteiligte innerhalb der Klagefrist alles Erforderliche getan hat, um die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu ermöglichen, insbesondere die erforderlichen Prozesskostenhilfeunterlagen vorgelegt hat.
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt H. aus O. wird abgelehnt.
Gründe:
2Gegenstand des Verfahrens ist entgegen der missverständlichen Überschrift des bestimmenden Schriftsatzes vom 15. August 2024 „Prozesskostenhilfeantrag und Klage“ und einigen ungenauen Äußerungen des Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin allein ein Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage. Die Antragstellerin hat erklärt, nach Bewilligung der Prozesskostenhilfe Klage zu erheben (Hervorhebung durch die Kammer). Sie hat damit die Klageerhebung von der vorherigen Bewilligung von Prozesskostenhilfe abhängig gemacht. Da eine Klage nicht aufschiebend bedingt erhoben werden kann, ist das Begehren so auszulegen, dass Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Klage begehrt wird. Untermauert wird dies dadurch, dass der Prozessbevollmächtigte der Antragstellerin der entsprechenden Wertung seines bestimmenden Schriftsatzes in der gerichtlichen Eingangsbestätigung nicht widersprochen hat.
3Die Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe gemäß § 166 VwGO in Verbindung mit § 114, § 115 ZPO sind nicht erfüllt, denn die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet keine hinreichende Aussicht auf Erfolg. Die in Aussicht genommene Klage ist offensichtlich unzulässig.
4Die Klage kann nicht mehr innerhalb der Klagefrist von einem Monat ab Bekanntgabe des anzufechtenden Feststellungs- und Erstattungsbescheids gemäß § 74 Abs. 1 Satz 2 VwGO erhoben werden. Diese Frist endete gemäß §§ 57 Abs. 2 VwGO, 222 ZPO, 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 2. August 2024, denn der Bescheid wurde am 2. Juli 2024 bekanntgegeben. Maßgeblich sind gemäß § 41 Abs. 5 VwVfG NRW i. V. m. § 3 LZG NRW die §§ 177 bis 182 ZPO entsprechend, weil die Bekanntgabe mittels Zustellung durch die Post mit Zustellungsurkunde erfolgt ist. Entsprechend § 180 Satz 2 ZPO gilt der Feststellungs- und Erstattungsbescheid der Bezirksregierung Münster vom 1. Juli 2024 am 2. Juli 2024 als zugestellt. Eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO war nicht ausführbar und an diesem Tag wurde der Bescheid in den zu der Wohnung gehörenden Briefkasten eingelegt. Das wird bewiesen durch die dies bezeugende Zustellungsurkunde. Diese erbringt gemäß § 182 Abs. 1 Satz 2 i. V. m. 418 Abs. 1 ZPO vollen Beweis der darin bezeugten Tatsachen. Zwar ist nach § 418 Abs. 2 ZPO der Beweis der Unrichtigkeit der bezeugten Tatsachen zulässig, dieser Gegenbeweis kann aber nur durch den vollen Beweis eines anderen als des beurkundeten Geschehens erbracht werden. Dies setzt voraus, dass ein Sachverhalt vorgetragen und bewiesen wird, der zur Überzeugung des Gerichts jede Möglichkeit der Richtigkeit des in der Zustellungsurkunde bezeugten Sachverhalts ausschließt.
5Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 18. Januar 2008 – 12 A 1509/06 – und vom 12. August 2015 – 8 A 847/12 –, jeweils juris.
6Dies leistet die Antragstellerin nicht.
7Sie widerlegt nicht, dass eine Zustellung nach § 178 Abs. 1 Nr. 1 oder 2 ZPO nicht möglich war. Ihr Vortrag, die Zustellerin hätte den Bescheid „an den Kiosk J.“ zustellen können, geht daran vorbei, dass die Zustellung ausweislich des Adressatenfeldes der Zustellungsurkunde unter der Wohnanschrift der Antragstellerin erfolgen sollte. Dies war auch geboten, denn Adressatin des Bescheides ist die Antragstellerin als Privatperson mit ihrem Wohnsitz. Der „Kiosk J.“ im Empfängerfeld des Bescheides selbst bezeichnet keine Zustellanschrift, sondern das Unternehmen, für das die Soforthilfe begehrt worden ist.
8Die Antragstellerin hat weder dargelegt noch bewiesen, dass der Bescheid nicht am 2. Juli 2024 in ihren Briefkasten eingelegt worden ist. Ein abweichender Geschehensablauf ist schon nicht vorgetragen. Dass sich die Briefkästen im Haus befinden, schließt nicht aus, dass die Zustellerin dort den Bescheid in den Briefkasten eingelegt hat. Ebenso unergiebig ist, dass sich im Hausflur 3 Briefkästen mit dem Namen „J.“ befinden sollen. Denn auch dies widerlegt nicht, dass die Zustellerin den Bescheid in den Briefkasten der Antragstellerin eingeworfen hat. Die Antragstellerin behauptet nicht einmal, dass der Bescheid in einen anderen Briefkasten eingelegt worden ist, sondern äußert nur entsprechende Fragen und Vermutungen. So trägt sie lediglich vor, dass der Bescheid „wohl“ (Hervorhebung durch die Kammer) in den Briefkasten ihrer Mutter eingeworfen worden sei, räumt aber ein, dass dies nicht geklärt werden könne. Dass ihre Mutter im Zustellungszeitpunkt in der Türkei war, gibt für einen abweichenden Geschehensablauf nichts her. Die Behauptung, der Ehemann der Antragstellerin habe ihr den Brief erst eine Woche vor Stellung des Prozesskostenhilfeantrags überreicht, schließt die Richtigkeit des in der Zustellungsurkunde bezeugten Sachverhalts ebenfalls nicht aus. Beispielsweise kann der Ehemann oder eine andere Person den Bescheid dem Briefkasten der Antragstellerin zu irgendeinem Zeitpunkt entnommen haben. In Würdigung des gesamten Vorbringens der Antragstellerin stellt sich die Darstellung, der Bescheid sei „jedenfalls“ nicht in ihren Briefkasten eingeworfen worden, als bloße, durch keinerlei Tatsachen gestützte Behauptung dar. Soweit sie in ihrer eidesstattlichen Versicherung ausführt, er habe sich nicht in ihrem Briefkasten befunden, legt sie nicht dar, auf welchen Wahrnehmungen diese Aussage beruht.
9Selbst wenn der Vortrag der Antragstellerin entgegen den vorstehenden Ausführungen zugrunde gelegt würde, wäre die Klage wegen Versäumung der Klagefrist unzulässig. Die Klagefrist wäre dann nach den oben genannten Vorschriften jedenfalls in der ersten Septemberhälfte abgelaufen, weil die Bekanntgabe eine Woche vor dem Prozesskostenhilfeantrag vom 15. August 2024 erfolgt wäre. Denn ein an dieser Stelle einmal unterstellter Zustellungsmangel wäre gemäß § 8 LZG NRW in dem Zeitpunkt geheilt worden, indem der Ehemann der Antragstellerin ihr den Bescheid überreicht hat. Das geschah nach ihren Angaben eine Woche vor der Stellung des vorliegenden Antrags. Die Antragstellerin hat aber bis heute keine Klage erhoben.
10Wiedereinsetzung in die Klagefrist gemäß § 60 VwGO kann ihr nicht gewährt werden. Sie hat nicht im Sinne von § 60 Abs. 2 Satz 2 VwGO glaubhaft gemacht, dass sie gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ohne Verschulden an der Einhaltung der Klagefrist gehindert war. Verschulden liegt vor, wenn der Beteiligte hinsichtlich der Wahrung der Frist diejenige Sorgfalt außer Acht lässt, die für einen gewissenhaften und seine Rechte und Pflichten sachgemäß wahrnehmenden Prozessführenden im Hinblick auf die Fristwahrung geboten und ihm nach den gesamten Umständen des konkreten Falles zuzumuten ist. Das Vorbringen der Antragstellerin bietet keinen Anhalt dafür, dass sie diesen Anforderungen genügend dafür Sorge getragen hat, von in ihren Briefkasten eingelegten Schriftstücken rechtzeitig Kenntnis zu nehmen. Zur Kontrolle ihres Posteingangs verhält sie sich mit keinem Wort.
11Selbst wenn die Klagefrist erst in der ersten Septemberhälfte abgelaufen wäre, wäre der Antragstellerin keine Wiedereinsetzung zu gewähren. Zwar kann einem im Sinne der Prozesskostenhilfe mittellosen Beteiligten die fristgerechte Erhebung einer Klage nicht zuzumuten und daher die Versäumung der Klagefrist vor Bewilligung von Prozesskostenhilfe unverschuldet sein. Das setzt aber voraus, dass der Beteiligte innerhalb der Klagefrist alles Erforderliche getan hat, um die Bewilligung der Prozesskostenhilfe zu ermöglichen. Insbesondere müssen innerhalb der Klagefrist die erforderlichen Prozesskostenhilfeunterlagen, namentlich die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, vorgelegt werden.
12Vgl. OVG NRW, Beschlüsse vom 11. Juli 2016 – 4 B 569/16, 4 E 423/16 – und vom 5. September 2017 – 4 B 1012/17 –, jeweils juris.
13Daran fehlt es hier. Die Antragstellerin hat die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse erst am 17. September 2024 eingereicht.
14Rechtsmittelbelehrung:
15Gegen die Ablehnung des Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe steht den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, zu.
16Die Beschwerde ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht O., Bahnhofsvorplatz 3, 45879 O., einzulegen. Über sie entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
17Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.