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1. Der Verzicht auf ein durch Verwaltungsakt gewährtes Recht setzt eine eindeutige, unzweifelhafte und unmissverständliche Erklärung voraus.
2. Ein besonders strenger Maßstab ist hierbei anzulegen, wenn der vermeintliche Verzicht durch die Behörde vorformuliert ist; die Rechtsgedanken der §§ 305 ff. BGB sind entsprechend heranzuziehen.
3. Bei der Auslegung der Erklärung sind die Grundsätze von Treu und Glauben heranzuziehen; hierbei kommt der Interessenlage der Beteiligten besondere Bedeutung zu.
4. Hier: Die vermeintlichen Verzichtserklärungen im Rahmen des Rückmeldeverfahrens zur "NRW-Soforthilfe 2020" sind unwirksam.
Der Bescheid vom 1. Juli 2024 wird aufgehoben.
Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
2Der Kläger beantragte bei dem Beklagten am 28. N. 2020 die Gewährung einer Corona-Soforthilfe gemäß dem Programm „NRW-Soforthilfe 2020“. Mit Bescheid vom 27. N. 2020 bewilligte der Beklagte dem Kläger die beantragte Soforthilfe in Form eines Pauschalbetrages in Höhe von 9.000 Euro und zahlte diesen Betrag in der Folge an ihn aus.
3Im Rahmen eines sogenannten Rückmeldeverfahrens forderte der Beklagte den Kläger auf, Angaben zu seinen Einnahmen und Ausgaben im Förderzeitraum zu machen. In dem dabei von dem Beklagten zur Verfügung gestellten Online-Formular wurden verschiedene Kennzahlen abgefragt, die zur Berechnung eines sogenannten Liquiditätsengpasses führten. In Abhängigkeit von diesem Engpass berechnete der Beklagte in damals ständiger Verwaltungspraxis die abschließende Höhe der Soforthilfe und setzte diese gegenüber anderen Antragstellern durch Schlussbescheid fest. In einer Handreichung des Beklagten, die dieser dem Kläger bereits am 15. Juni 2020 übersandt hatte, heißt es dazu:
4„Wenn im Förderzeitraum die Summe der Einnahmen größer ist, als die Summe der Ausgaben, liegt kein Liquiditätsengpass vor. Es handelt sich um einen Liquiditätsüberschuss (positiver Wert in Meldefeld 2). In diesem Fall ist die erhaltene Soforthilfe vollständig zurückzuzahlen.“
5Der Kläger kam der Aufforderung zur Durchführung des Rückmeldeverfahrens am 1. November 2021 nach. In dem Rückmeldeformular ist ein Ankreuzfeld noch vor der Abfrage der Angaben zum Liquiditätsengpass enthalten, das – unter der Überschrift „1. Verzicht auf die NRW-Soforthilfe 2020“ – wie folgt vorformuliert ist:
6„Im Förderzeitraum hatte ich keinen Liquiditätsengpass im Sinne der Förderbedingungen und erkläre deshalb unwiderruflich, dass ich die mit dem Bewilligungsbescheid gewährte Soforthilfe (einschließlich fiktivem Unternehmerlohn) nicht in Anspruch nehme. Die Förderpauschale habe ich bereits vollständig zurücküberwiesen oder werde sie noch vollständig zurückzahlen. (Wenn Sie diese Option wählen, sind keine Angaben zu Ihren Einnahmen und Ausgaben erforderlich und die betreffenden Eingabefelder werden ausgeblendet.)“
7Der Kläger kreuzte dieses Feld an.
8Mitte 2022 stellten sowohl die Verwaltungsgerichte Düsseldorf und Köln als auch die erkennende Kammer in Klageverfahren die Rechtswidrigkeit der vorbezeichneten Schlussbescheide fest und hoben diese auf. Der Beklagte legte gegen die vorgenannten Entscheidungen jeweils Berufung ein, die in den Urteilen wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen worden war. Mit Urteilen vom 17. N. 2023 - 4 A 1986/22; 4 A 1987/22; 4 A 1988/22 - wies das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen die Berufung des Beklagten gegen diese Urteile zurück und stützte seine Entscheidung im Wesentlichen darauf, der Beklagte dürfe nach seinen eigenen Förderbedingungen nicht auf den Saldo aus Einnahmen und Ausgaben im Bewilligungszeitraum abstellen, sondern müsse den Einsatz von Mitteln zur Abmilderung einer Notlage berücksichtigen.
9Mit Feststellungs- und Erstattungsbescheid vom 1. Juli 2024, zugestellt am 3. Juli, stellte der Beklagte fest, dass sein Bescheid vom 27. N. 2020 aufgrund des Verzichts des Klägers keine Rechtswirkungen mehr entfalte, setzte den zu erstattenden Betrag auf 9.000 EUR fest und forderte den Kläger zur Zahlung dieses Betrages auf. Zur Begründung verwies er auf die Rückmeldung des Klägers in dem vorbezeichneten Formular; die Unwirksamkeit des Bewilligungsbescheides folge gebunden aus diesem Verzicht.
10Gegen diesen Bescheid hat der Kläger am 22. Juli 2024 Klage erhoben. Er trägt vor, er habe keinen Verzicht erklären wollen.
11Der Kläger beantragt,
12den Bescheid vom 1. Juli 2024 aufzuheben.
13Der Beklagte beantragt,
14die Klage abzuweisen.
15Er hält den Verzicht für eindeutig und wirksam.
16Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.
17Entscheidungsgründe
18Die zulässige Klage ist begründet. Der angegriffene Bescheid ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
19Soweit mit dem Bescheid festgestellt wird, dass der vorangegangene Bewilligungsbescheid aufgrund des von dem Kläger erklärten Verzichts unwirksam geworden sei, folgt die Rechtswidrigkeit des Bescheides daraus, dass der Kläger einen solchen Verzicht nicht in wirksamer Weise abgegeben hat.
20Nach den gemäß den §§ 133, 157 BGB für die Auslegung von Willenserklärungen auch im öffentlichen Recht geltenden Maßstäben ist bei der Auslegung einer empfangsbedürftigen Erklärung nicht auf den inneren Willen der erklärenden Person, sondern darauf abzustellen, wie die Erklärung aus der Sicht des Empfängers bei objektiver Betrachtungsweise zu verstehen ist. Dabei tritt der Wortlaut hinter Sinn und Zweck der Erklärung zurück. Maßgebend ist der geäußerte Wille des Erklärenden, wie er aus der Erklärung und sonstigen Umständen für den Erklärungsempfänger nach den ihm bekannten Umständen unter Berücksichtigung von Treu und Glauben erkennbar wird.
21Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 37 m.w.N.
22Ein – grundsätzlich möglicher – Verzicht auf ein durch Verwaltungsakt gewährtes Recht setzt darüber hinaus voraus, dass sich die dahingehende Erklärung unter Anlegung eines strengen Maßstabs als eindeutig, unzweifelhaft und unmissverständlich gewollt darstellt. Dies kann aus der maßgeblichen Sicht des Empfängers nur dann angenommen werden, wenn für ihn die Erklärung hinreichend bestimmt und für ihn zweifelsfrei erkennbar ist, dass der Verzichtende sich der Bedeutung der Erklärung bewusst war.
23Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Februar 2002 – 8 C 20.01 –, juris Rn. 17, und Urteil vom 18. Mai 1990 – 8 C 40.88 –, juris Rn. 12; OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020, a.a.O. Rn. 39 ff.; VGH BW, Beschluss vom 20. Februar 2002 – 11 S 2734/01 –, juris Rn. 14.
24Dies gilt umso mehr, wenn der Empfänger wie hier der Beklagte den Verzicht durch die Vorgabe der Verwendung eines einseitig von ihm selbst vorformulierten Formulars veranlasst hat. In diesem Fall muss er Zweifel und Unklarheiten zu seinen Lasten gelten lassen. Dieser im Recht der Allgemeinen Geschäftsbedingungen ausdrücklich normierte Rechtsgedanke (§ 305c Abs. 2 BGB) ist auch für ein hoheitlich geregeltes Subventionsverhältnis wie das Vorliegende maßgeblich. Denn der für die §§ 305 ff. BGB tragende Gedanke der Machtasymmetrie bei einseitiger Vorformulierung der Regelungen eines Vertrages gilt erst recht, wenn die Behörde – wie hier – die Förderbedingungen und das Bewilligungsverfahren einseitig ausgestalten kann.
25Die dargestellten Maßstäbe, die in der Rechtsprechung für einen Klageverzicht nach Erlass eines Verwaltungsakts erarbeitet worden sind, beanspruchen ebenso Geltung für den Fall, dass ein Betroffener – wie hier – vermeintlich auf eine Rechtsposition aus einem Verwaltungsakt verzichtet.
26Vgl. SaarlOVG, Beschluss vom 14. N. 1983 – 2 R 14/82 –, NVwZ 1984, 657, 658; VGH BW, Urteil vom 2. Juli 2014 – 8 S 1071/13 –, NVwZ 2014, 1597, 1598.
27Die Situation des Betroffenen ist insoweit identisch, weil auch der hier in Rede stehende Verzicht nicht nur den Verlust des aus dem Bewilligungsbescheid stammenden Rechts bewirkt, sondern dem Betroffenen zugleich auch die Möglichkeit abschneidet, eine ansonsten durch Schlussbescheid getroffene Entscheidung gerichtlich überprüfen zu lassen, und ihn damit in seinem Recht auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) trifft.
28Nach diesen Maßstäben hat der Kläger mit der Rückmeldung keinen Verzicht erklärt, weil sich die Erklärung im Rückmeldeformular schon aus Sicht eines objektiven Empfängers an Stelle des Beklagten nicht als eindeutig und unmissverständlich gewollt darstellt.
29A.A. – unter Bezugnahme nur auf den Wortlaut der Erklärung – VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 6. Februar 2024 – 20 K 9408/23 –, juris.
30Die fehlende Eindeutigkeit und Unmissverständlichkeit der Erklärung folgt schon daraus, dass in dem von dem Beklagten vorformulierten Formular die Angabe des Fehlens eines Liquiditätsengpasses in dem durch die nachstehend vorgegebene Berechnung definierten Sinn und der Verzicht auf die Subvention untrennbar und ohne die Möglichkeit einer Einzelauswahl aneinandergekoppelt werden. Die Verbindung beider Angaben durch die Konjunktion „und [erkläre] deshalb“ musste bei einem durchschnittlichen, juristisch nicht gebildeten Benutzer des Formulars den Anschein hervorrufen, dass der Verzicht keine freiwillig neben die Aussage zum Liquiditätsengpass tretende Erklärung darstellt, sondern die zwangsläufige Folge des fehlenden Liquiditätsengpasses ist und sein muss. Entsprechend muss ein objektiver Empfänger an Stelle des Beklagten durchgreifende Zweifel daran haben, dass das Kreuz an der entsprechenden Stelle entgegen der suggerierten untrennbaren Koppelung als eigenständige gewollte Verzichtserklärung zu verstehen ist.
31Auch in Würdigung der Gesamtgestaltung des Formulars – etwa der Koppelung der Ausblendung der weiteren Felder zur Berechnung des Liquiditätsengpasses mit dem Ankreuzen der vermeintlichen Verzichtserklärung – drängt sich aus Sicht eines objektiven Empfängers geradezu auf, dass ein Antragsteller ohne Liquiditätsengpass im Sinne der nachstehenden Berechnung mit dem Kreuz bei der entsprechenden Erklärung nur seiner Wahrheitspflicht hinsichtlich dieses Liquiditätsengpasses nachkommen wollte und sich dadurch gezwungen sah, zugleich einen (vermeintlichen) Verzicht auf die Subvention zu erklären.
32Dies gilt umso mehr unter Berücksichtigung von Treu und Glauben als Auslegungsdirektive. Die suggestive Verknüpfung der Erklärung zum Liquiditätsengpass mit der Erklärung eines Verzichts war in mehrfacher Hinsicht sachwidrig. Zum einen war der Liquiditätsengpass in dem durch die vorformulierte Berechnung definierten Sinne schon kein zutreffendes Kriterium für die endgültige Höhe der Soforthilfe, was die Aufhebung auf diesem Ansatz beruhender Schlussbescheide zur Folge hatte.
33Vgl. OVG NRW, Urteil vom 17. N. 2023 – 4 A 1986/22 –, juris Rn. 181 ff.
34Zum anderen fehlt es an der durch die Koppelung der Erklärungen suggerierten Ausweglosigkeit eines Verzichts. Selbst wenn der Beklagte den fehlenden Liquiditätsengpass in dem Sinne der vorformulierten Erklärungen zum Anlass hätte nehmen können, die Soforthilfe zu versagen, hätte ein Antragsteller ein Recht auf einen ablehnenden Bescheid, den er gerichtlicher Überprüfung unterziehen könnte. Den betroffenen Antragstellern stattdessen ohne Ausweichmöglichkeit einen Verzicht abzuverlangen, verkürzt diese in ihrem Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG).
35Der Einwand der Treuwidrigkeit dieser Rechtsverkürzung ist von besonderem Gewicht für die Bestimmung des objektiven Empfängerhorizonts, wenn der Empfänger – wie hier der Beklagte – die vermeintliche Verzichtserklärung selbst vorformuliert hat. Denn der Verwender eines solchen Vordrucks muss in Rechnung stellen, dass die Verzichtserklärung den Erklärenden nach den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligen würde. Sie ist für den Soforthilfeempfänger ausschließlich nachteilig und für den Beklagten ausschließlich von Vorteil. Im Rechtsverkehr ist auch für einen Unternehmer nicht ohne Weiteres damit zu rechnen, dass ihm von einer Behörde eine solche Erklärung vorformuliert abverlangt wird. Entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 307 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 1 BGB, der nach § 310 Abs. 1 Satz 2 BGB auch gegenüber Unternehmern Anwendung findet und – wie oben ausgeführt – auch für ein hoheitlich ausgestaltetes Subventionsverhältnis heranzuziehen ist, war hier eine solche Verzichtserklärung mit dem wesentlichen Grundgedanken des gesetzlich eingeräumten Klagerechts jedenfalls deshalb nicht mehr zu vereinbaren, weil für ein mögliches Eigeninteresse des Erklärenden an einem Verzicht oder gar für eine Gegenleistung der Behörde nichts ersichtlich war.
36Vgl. OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 46.
37Denn für den Kläger gab es keinerlei Anlass, den ihm für den Fall eines ausgebliebenen Liquiditätsengpasses angetragenen Verzicht zu erklären. Dieser liegt in keinerlei Hinsicht in seinem Interesse, insbesondere diente er auch nicht der schnellen Klärung der Folgen der Subventionsgewährung. Im Gegenteil hätte nach der gerichtsbekannten Verwaltungspraxis des Beklagten eine nicht mit einem vermeintlichen Verzicht versehene Endabrechnung zum kurzfristigen Erlass eines Schlussbescheides geführt, während sich der Beklagte vorliegend mit dem Erlass eines Festsetzungsbescheides mehrere Jahre Zeit gelassen hat. Der Verzicht führt auch nicht zu einer ersichtlichen Kostenersparnis des Klägers. Vielmehr hat er für diesen ausschließlich nachteilig zur Folge, unmittelbar jegliche materiellen und prozessualen Rechte in Bezug auf die Soforthilfe zu verlieren und zur Erstattung der Zuwendung verpflichtet zu werden.
38Diesen ausschließlichen Nachteilen des Subventionsempfängers steht eine treuwidrige ausschließliche Bevorteilung des Beklagten gegenüber.
39Zu diesem Gesichtspunkt OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 61.
40Denn der Beklagte erhält durch den vermeintlichen Verzicht unmittelbar einen – zu einem späteren Zeitpunkt durch Bescheid titulierbaren – Erstattungsanspruch. Ohne die Verzichtserklärung hätte es hingegen des Erlasses eines Schlussbescheides bedurft, der seinerseits materiell-rechtlicher gerichtlicher Überprüfung zugänglich gewesen wäre. Jedenfalls objektiv liegt der einzige erkennbare Zweck der formularmäßigen Verzichtserklärung für den Beklagten darin, sich auf diese Weise für den Fall abzusichern, dass ein auf einen ausgebliebenen Liquiditätsengpass im vom Beklagten angenommenen Sinne gestützter Schlussbescheid rechtswidrig wäre. Denn wäre dies nicht der Fall, hätte der Beklagte seinen Rückforderungsanspruch ohne erkennbaren Mehraufwand per Schlussbescheid titulieren können. Ein solches Interesse ist von der Rechtsordnung nicht gedeckt und nicht schützenswert, sondern steht vielmehr in einem Widerspruch zur Bindung des Beklagten an Recht und Gesetz (Art. 20 Abs. 3 GG).
41Die Treuwidrigkeit dieser einseitigen Benachteiligung wird dadurch untermauert, dass der Beklagte damit objektiv ein gegenüber den Zuwendungsempfängern bestehendes strukturelles Übergewicht zur Geltung gebracht und diese geradezu dazu bestimmt hat, eine solche Erklärung entgegen ihren eigenen Interessen abzugeben. Das durch Verwaltungsakte geregelte Subventionsverhältnis ist ein hoheitliches Über- und Unterordnungsverhältnis, in dem der juristisch versierte Beklagte regelmäßig juristisch nicht gebildeten Hilfeempfängern einseitig regelnd gegenübertritt. Entgegen Andeutungen des Beklagten ist dieses strukturelle Ungleichgewicht nicht durch die Unternehmereigenschaft der Hilfeempfänger in Frage gestellt. Vielmehr besteht deren Kreis – gerade aufgrund der Förderbedingungen des Beklagten, die den Adressatenkreis auf Soloselbständige und Unternehmen mit höchstens 50 Vollzeitkräften beschränkten – zu einem Großteil aus Kleinunternehmern und Soloselbständigen, die dem Beklagten regelmäßig in juristisch unterlegener Position gegenübertreten.
42Der durch das besagte Ungleichgewicht und die strittige Koppelung der Erklärungen zu Liquiditätsengpass und Verzicht erzeugte Druck auf den Kläger wiegt umso schwerer, als jeder Antragsteller einerseits durch die Nebenbestimmungen des Bewilligungsbescheides zur Ausfüllung des Formulars verpflichtet war und sich andererseits für den Fall unwahrer Angaben dem Risiko der Strafbarkeit nach § 264 StGB ausgesetzt sehen musste, auf welches der Beklagte im Formular mehrfach nachdrücklich hingewiesen hat. Es ist dem Gericht aus verschiedenen Parallelverfahren bekannt, dass dieses Risiko kein theoretisches ist, sondern der Beklagte in vielen Fällen angeblich unwahrer Angaben Strafanzeigen gegen Antragsteller gestellt und damit strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen gegen diese veranlasst hat.
43Soweit mit dem angegriffenen Bescheid der zu erstattende Betrag auf 9.000 EUR festgesetzt wird (Ziff. 2 des Bescheides), ist dies ebenfalls rechtswidrig, weil die Voraussetzungen der hierfür einzig in Betracht kommenden Ermächtigungsgrundlagen nicht vorliegen. Dabei kann dahinstehen, ob der Bescheid auf eine entsprechende Anwendung des § 49a Abs. 1 VwVfG NRW oder auf den allgemein anerkannten öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch zu stützen wäre. Jedenfalls würde der festgesetzte Erstattungsanspruch voraussetzen, dass der Bewilligungsbescheid durch Verzicht unwirksam geworden wäre. Dies ist aber, wie ausgeführt, nicht der Fall.
44Hinzu kommt, dass der Beklagte unabhängig von dem Vorstehenden aufgrund des Grundsatzes von Treu und Glauben an der Rückforderung des Betrages gehindert ist. Der Grundsatz von Treu und Glauben, der auch im öffentlichen Recht Anwendung findet, begrenzt den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch einschließlich dessen spezialgesetzlicher Ausprägung in § 49a Abs. 1 VwVfG NRW.
45Vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Januar 2001 – 3 C 7.00 –, juris Rn. 27 m.w.N.
46Beruft sich eine Behörde – wie hier – auf einen von ihr selbst veranlassten Verzicht eines Antragstellers, so verstößt dies jedenfalls dann gegen den Grundsatz von Treu und Glauben, wenn die Behörde damit ausschließlich eigene, den Interessen des Antragstellers zuwiderlaufende Interessen verfolgt.
47Vgl. für einen Klageverzicht BVerwG, Urteil vom 8. Februar 1957 – IV C 318.56 –, NJW 1957, 1374, 1375; OVG NRW, Urteil vom 14. Dezember 2020 – 4 A 1992/16 –, juris Rn. 56.
48Dies ist hier – wie ausgeführt – der Fall. Der von dem Beklagten veranlasste – vermeintliche – Verzicht liegt allein in seinem Interesse und geht ausschließlich zulasten des Klägers und seiner Rechtsschutzmöglichkeiten.
49Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 709 Satz 2 VwGO.
50Rechtsmittelbelehrung:
51Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
52Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
53Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
54Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.