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Der Rücknahmebescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 4. Dezember 2020 (Az. 34.Soforthilfe2020-415340) wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin hat ausweislich ihrer Eintragung im Handelsregister „sämtliche Arbeiten im Bereich des erdverlegten und allgemeinen Rohrleitungsbaus“ zum Gegenstand. Im Jahr 2020 waren ihre jeweils einzelvertretungsberechtigten Geschäftsführer Herr I. und Frau C. F. . Frau F. Anteil an der Gesellschaftseinlage von insgesamt 100.000,- DM belief sich auf 55.000,- DM.
2Im Frühjahr 2020 kam es zum Ausbruch der SARS-CoV2-Pandemie. Angesichts der gravierenden Beschränkungen des öffentlichen Lebens und der wirtschaftlichen Betätigungsmöglichkeiten teilte die Europäische Kommission am 19. März 2020 mit, Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben der Mitgliedstaaten auf der Grundlage von Art. 107 Abs. 3 b) AEUV unter bestimmten Voraussetzungen als mit dem Binnenmarkt vereinbar anzusehen. Zur Milderung der wirtschaftlichen Notlage der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gab das damalige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie auf Grundlage der Mitteilung der Europäischen Kommission (2020/C91 I/01) am 26. März 2020 die Regelung zur vorübergehenden Gewährung geringfügiger Beihilfen im Geltungsbereich der Bundesrepublik Deutschland im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 („Bundesregelung Kleinbeihilfe 2020“) bekannt, welche notifiziert und am 24. März 2020 durch die Europäische Kommission genehmigt wurde. Der Bund legte das Hilfsprogramm „Corona-Soforthilfe für Kleinst-unternehmen und Soloselbstständige“ auf. Hierzu veröffentlichte das damalige Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zusammen mit dem Bundesministerium für Finanzen unter dem 23. März 2020 ein Eckpunktepapier und nachfolgend ein Kurzfaktenpapier vom 30. März 2020.
3Am 2. April 2020 beantragte die Klägerin über ein auf der Internetseite des Ministeriums für Wirtschaft, Industrie, Klimaschutz und Energie des Landes Nordrhein-Westfalen (nachfolgend: Landeswirtschaftsministerium) bereitgestelltes Antragsformular die Bewilligung einer Soforthilfe nach dem Programm NRW-Soforthilfe-2020. Neben dem Antragsformular waren auf der Antragsplattform im Internet auch sogenannte „FAQ“ (Frequently Asked Questions) in mindestens 13 nachfolgend veröffentlichen Versionen bereitgestellt. Deren Inhalt änderte sich während des laufenden Bewilligungsverfahrens kontinuierlich bzw. wurde ergänzt.
4In dem Antragsformular hieß es unter Ziffer 1.1:
5„Antragsberechtigt sind Unternehmen, die wirtschaftlich und damit dauerhaft am Markt tätig sind, Angehörige freier Berufe im Haupterwerb mit jeweils bis zu 50 Arbeitnehmern sowie Soloselbstständige im Haupterwerb jeweils mit Hauptsitz in Nordrhein-Westfalen, die bei einem deutschen Finanzamt angemeldet sind und ihre Waren und Dienstleistungen bereits vor dem 31.12.2019 am Markt angeboten haben.
6Nicht gefördert werden:
7Unternehmen die bereits vor dem 31. Dezember 2019 in Schwierigkeiten gemäß Art. 2 Abs. 18 der Allgemeinen Gruppenfreistellungsverordnung (VO EU Nr. 651/2014) waren (vergleiche hierzu Ziffer 6.8).“
8In dem Antragsformular gab die Klägerin zudem u.a. folgende vorgegebenen Erklärungen ab:
9„6.1
10Ich versichere, dass meine wirtschaftliche Tätigkeit durch die COVID-19-Pandemie wesentlich beeinträchtigt ist, da entweder
11- mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die COVID-19-Pandemie weggefallen sind oder
12- die Umsätze gegenüber dem Vorjahresmonat mehr als halbiert sind (Gründungen: Vormonat) oder
13- die Umsatzerzielungsmöglichkeiten durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurden oder
14- die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen (z.B. Mieten, Kredite der Betriebsräume, Leasingraten)
15[…]
166.2
17Ich versichere, dass die in Nr. 1.1. benannten Antragsvoraussetzungen sämtlich vorliegen und ein Liquiditätsengpass nicht bereits vor dem 1. März bestanden hat.
18[…]
196.12.
20Für Unternehmen: Ich versichere, dass mein Unternehmen unabhängig ist, damit weder ein Partnerunternehmen noch ein verbundenes Unternehmen ist, sich also nicht im Mehrheitsbesitz (über 50 % der Anteile oder Stimmrechte) eines anderen Unternehmens befindet.“
21Zusätzlich enthielten die „FAQ“ u.a. folgende Angabe:
22„Was wird gefördert?
23Die Unternehmen sollen bei der Sicherung ihrer wirtschaftlichen Existenz und Überbrückung von akuten Finanzierungsengpässen, u.a. für laufende Betriebskosten wie Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten u. a. sowie dem Erhalt von Arbeitsplätzen durch einen Zuschuss unterstützt werden (Zur Reduzierung von Personalkosten gibt es das Kurzarbeitergeld.)
24Voraussetzung erhebliche Finanzierungsengpässe und wirtschaftliche Schwierigkeiten in Folge von Corona. Dies wird angenommen, wenn
25- mehr als die Hälfte der Aufträge aus der Zeit vor dem 1. März durch die Corona-Krise weggefallen sind
26oder
27- sich für den Monat, in dem der Antrag gestellt wird, ein Umsatz- bzw. Honorarrückgang von mindestens 50 Prozent verglichen mit dem durchschnittlichen monatlichen Umsatz (bezogen auf den aktuellen und die zwei vorangegangenen Monate) im Vorjahr ergibt. Rechenbeispiel. Durchschnittlicher Umsatz Januar bis März 2019 10.000 Euro, aktueller Umsatz März 2020 5.000 Euro. Kann der Referenzmonat nicht herangezogen werden (bei Gründungen) gilt der Vergleich mit dem Vormonat)
28oder
29- der Umsatz durch eine behördliche Auflage im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie massiv eingeschränkt wurde
30oder
31- die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Verbindlichkeiten des Unternehmens (bspw. Mieten, Kredite für Betriebsräume, Leasingraten) zu zahlen (=Finanzierungsengpass)
32Der Antragsteller muss versichern, dass der Finanzierungsengpass nicht bereits vor dem 1. März bestanden hat. Der Antragsteller muss zusätzlich erklären, dass sich das Unternehmen zum Stichtag 31. Dezember 2019 nicht um ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ handelte.“
33„Wenn man mehrere Unternehmen hat, kann man für jedes dieser Unternehmen einen Zuschuss bekommen?
34Sollte es sich um ein verbundenes Unternehmen handeln, ist hinsichtlich des Finanzierungsengpasses nur auf das Gesamtunternehmen abzustellen. Es ist allerdings zu gewährleisten, dass in diesem Fall der Schwerpunkt des Gesamtunternehmens (Hauptsitz) in Nordrhein-Westfalen liegt. Solo-Unternehmer können bei mehreren angemeldeten Gewerben nur einen Antrag pro Person stellen. Sobald die Gewerbe jedoch angestellte Mitarbeiter beinhalten, kann pro unterschiedlichem Gewerbe ein einzelner Antrag gestellt werden, solange es sich um eine eigenständige Rechtspersönlichkeit handelt.
35Wie unterscheiden sich eigenständige und verbundene Unternehmen?
36Dafür sind alle Beziehungen zu berücksichtigen, die ein Unternehmen mit anderen unterhält. Ein Indiz hierfür gibt der jeweilige Abschluss. Unternehmen, die einen konsolidierten Abschluss erstellen oder in den konsolidierten Abschluss eines anderen Unternehmens einbezogen werden, gelten in der Regel als verbundene Unternehmen.“
37Mit Bescheid vom selben Tag bewilligte die Bezirksregierung Arnsberg der Klägerin eine Soforthilfe i. H. v. 25.000,- € als einmalige Pauschale und zahlte den entsprechenden Betrag nachfolgend an sie aus.
38Am 31. Mai 2020, dem letzten Tag des Bewilligungszeitraums, veröffentlichte das Landeswirtschaftsministerium die „Richtlinie des Landes zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige Freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind“ (nachfolgend: Soforthilfe-Richtlinie) im Rahmen eines Runderlasses. Dieser gelte mit Wirkung vom 27. März 2020.
39Mit Schreiben vom 9. September 2020 teilte das Finanzamt C1. -Süd der Bezirksregierung betreffend Frau C. F. sowie der Klägerin mit, dass bereits vor dem 1. März 2020 bei Frau F. Steuerrückstände, aufgrund derer Vollstreckungsmaßnahmen seitens der Finanzbehörden ausgebracht worden seien, bestanden hätten. Frau F. sei gemäß § 2 Abs. 2 Satz 2 UStG umsatzsteuerrechtlich Organträgerin der Klägerin, die finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich in das Vermietungsunternehmen von Frau F. eingegliedert sei. Frau F. beherrsche somit durch 100% Anteilsbesitz, die Verpachtung der Betriebsimmobilie und als Geschäftsführerin die Klägerin. Im Rahmen von Vollstreckungsmaßnahmen wegen sehr umfangreicher Steuerverbindlichkeiten habe ihr Steuerberater den Hinweis gegeben, dass Frau F. eine Corona-Hilfe von 25.000,- Euro erhalten habe. Ihr Zahlungsverhalten zeige jedoch eindeutige Liquiditätschwierigkeiten seit Oktober 2018. Seit diesem Zeitpunkt befinde sich Frau F. in andauernden Vollstreckungen durch das Finanzamt.
40Mit Schreiben vom 11. September 2020 stellte die Bezirksregierung bei der Staatsanwaltschaft C1. Strafanzeige gegen die Klägerin bzw. deren Geschäftsführer wegen Betruges. Mit weiterem Schreiben vom 21. September 2020 hörte die Bezirksregierung die Klägerin zur beabsichtigten Rücknahme der Soforthilfebewilligung an. Hierzu verwies sie darauf, dass nach der Mitteilung des Finanzamtes bereits vor dem 1. März 2020 Steuerrückstände bestanden hätten, die zu Vollstreckungsmaßnahmen geführt hätten. Zudem sei laut den FAQ des Landeswirtschaftsministeriums bei verbundenen Unternehmen nur das Mutterunternehmen antragsberechtigt. Nach Mitteilung des Finanzamtes sei sie, die Klägerin, finanziell, organisatorisch und wirtschaftlich in das „Vermietungsunternehmen“ der C. F. eingegliedert.
41Im gegen Herrn F. geführten Strafverfahren ließ dieser sich mit anwaltlichem Schriftsatz vom 12. November 2020 dahingehend ein, dass er den Antrag unter telefonischer Mitwirkung seines Steuerberaters gestellt habe und davon ausgegangen sei, dass es alleine auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der GmbH und nicht die der „Mutter“ ankäme. Es sei schon sehr fraglich, ob er überhaupt über subventionserhebliche Tatsachen getäuscht habe. Jedenfalls fehle es aber am subjektiven Tatbestand, da er alles Erforderliche und Zumutbare unternommen habe, um den in Streit stehenden Subventionsantrag rechtskonform zu stellen. Zu keiner Zeit habe er beabsichtigt, über subventionserhebliche Tatsachen zu täuschen.
42Mit Verfügung vom 16. November 2020 stellte die Staatsanwaltschaft C1. das Strafverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO mangels hinreichendem Tatverdachts ein. Herrn F. könne kein Vorsatz nachgewiesen werden. Er sei nach seinen Angaben davon ausgegangen, dass es allein auf die wirtschaftlichen Verhältnisse der GmbH ankäme. Aus dem Antragsformular ergebe sich indes nicht, dass die umsatzsteuerrechtliche Bewertung einer wirtschaftlichen Einheit zwischen verschiedenen Unternehmen entscheidend für die Beurteilung der wirtschaftlichen Verhältnisse sei. Auch könne eine Falschangabe nicht hinsichtlich der Versicherung in Ziffer 6.12. des Antragsformulars festgestellt werden, das Unternehmen sei unabhängig. Ungeachtet des Mehrheitsanteils von Frau C. F. an der Klägerin erscheine es fraglich, ob diese Einlage dazu führe, dass die Klägerin im Mehrheitsbesitz eines anderen Unternehmens stehe, da Frau F. die Einlage als natürliche Person geleistet habe. Aus der Anmeldung im Handelsregister sei nicht ersichtlich, dass insoweit ein Mehrheitsbesitz eines anderen Unternehmens vorliege.
43Mit Schriftsatz vom 24. November 2020 verwies die Klägerin gegenüber der Bezirksregierung auf die Einstellung des Strafverfahrens und führte zudem an, dass auch keine Rechtsnorm bestünde, nach der eine ausschließliche Antragsberechtigung eines Mutterunternehmens bestehe.
44In einer Telefonnotiz über einen Anruf des Finanzamtes vom 3. Dezember 2020 hielt die Bezirksregierung fest, dass es sich bei der „eingegliederten Organgesellschaft […] nicht um ein separates Unternehmen (handle), sondern um einen steuerlichen Begriff“. Da die Klägerin für Frau F. Steuerschulden hafte, habe sie sich zum Stichtag in wirtschaftlichen Schwierigkeiten befunden.
45Mit Bescheid vom 4. Dezember 2020 nahm die Bezirksregierung ihre Soforthilfebewilligung vom 3. April 2020 in Höhe von 25.000,- Euro mit Wirkung für die Vergangenheit zurück und forderte die Klägerin zur Rückzahlung von 25.000,- Euro auf. Hierzu stützte sie sich auf § 48 Abs. 1 VwVfG NRW. Nach Ziffer 4 des Bewilligungsbescheides sei die Finanzhilfe zu erstatten, wenn der Bescheid aufgrund falscher oder unvollständiger Angaben erteilt worden sein. Laut den durch das Landeswirtschaftsministerium veröffentlichten FAQ werde der Zuschuss nur gezahlt, wenn der Antragsteller versichere, dass der Finanzierungsengpass nicht bereits vor dem 1. März bestanden habe. Zudem müsse der Antragsteller versichern, dass es sich bei seinem Unternehmen nicht bereits am 31. Dezember 2019 um ein Unternehmen in Schwierigkeiten gehandelt habe. Das Finanzamt habe mitgeteilt, dass die Klägerin in das Vermietungsunternehmen der Frau C2. F. eingegliedert sei. Zudem hätten bei ihr schon vor dem 1. März 2020 Steuerrückstände bestanden und sie habe sich andauernd in der Vollstreckung befunden. Dies stelle einen Widerspruch zu der Ziffer 6.2 des Antragsformulars dar. Damit habe die Klägerin zum Zeitpunkt der Antragstellung eine falsche Versicherung abgegeben und somit durch unrichtige Angaben i. S. d. § 48 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 VwVfG NRW die Billigkeitsleistung erwirkt. Bei ihrer Ermessensentscheidung habe sie, die Bezirksregierung, geprüft, ob nicht besondere Gründe gegen eine Aufhebung der Bewilligung sprächen. Hierbei habe sie einfließen lassen, dass dem Land durch die fälschlich ausgezahlte Leistung ein Schaden entstanden sei, der durch die Aufhebung der Bewilligung teilweise ausgeglichen werde. Hingegen lägen keine Umstände vor, die es ihr erlauben würden, im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung zu einem anderen Ergebnis zu kommen.
46Die Klägerin hat am 11. Januar 2021 Klage erhoben.
47Sie verweist darauf, dass einer Rücknahme der Bewilligung der gesetzlich in § 48 Abs. 2 VwVfG normierte Vertrauensschutz entgegenstehe, weil ihr Vertrauen in den Bestand der Bewilligung schutzwürdig sei. Ihre Schutzwürdigkeit entfalle nicht aufgrund von ihr getätigter falscher Angaben. Sie habe die Soforthilfe unter Beteiligung ihres Steuerberaters beantragt. Von Beklagtenseite habe es zu dem Zeitpunkt keine Verlautbarungen gegeben, dass für die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit auf ein Mutterunternehmen abzustellen sei. Die Rücknahmeentscheidung sei auch ermessensfehlerhaft, weil der Beklagte sich in keiner Weise mit dem konkreten Einzelfall auseinandergesetzt habe. Eine Erstattungspflicht bestehe zudem nicht, weil bereits die Rücknahme der Bewilligung rechtswidrig sei.
48Die Klägerin beantragt,
49den Rücknahmebescheid der Bezirksregierung Arnsberg vom 4. Dezember 2020 (Az. 34.Soforthilfe2020-415340) aufzuheben.
50Der Beklagte beantragt,
51die Klage abzuweisen.
52Er verweist zunächst darauf, dass der Bewilligungsbescheid rechtswidrig ergangen sei, weil er gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Gleichheitsgrundsatz verstoße. Die Gewährung der Soforthilfe erfolge auf Grundlage von § 53 LHO i. V. m. dem Bundesprogramm „Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbständige“ sowie entsprechender Verwaltungsvereinbarungen zwischen Bund und Land und der mit Wirkung vom 27. März 2020 in Kraft getretenen NRW-Soforthilfe-Richtlinie 2020. Sie stehe als Billigkeitsleistung in seinem Ermessen. Die Anwendung des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes gehe im vorliegenden Fall zulasten der Klägerin, weil die Voraussetzungen für eine Bewilligung der Soforthilfe nicht vorgelegen hätten. Die Klägerin müsse als Organgesellschaft des Vermietungsunternehmens der Frau C. F. für deren Verbindlichkeiten einstehen. Angesichts der bereits zum 31. Dezember 2019 bestehenden Steuerverbindlichkeiten sei die Klägerin zu diesem Zeitpunkt ein Unternehmen in Schwierigkeiten gewesen. Zudem sei sie als verbundenes und zugleich beherrschtes Unternehmen von der Förderung ausgeschlossen gewesen. Auf Vertrauensschutz könne die Klägerin sich nicht berufen, weil ihre Angaben in dem Antragsformular in wesentlicher Hinsicht falsch gewesen seien. Bei ihr habe nämlich vor dem 1. März 2020 ein Liquiditätsengpass bestanden und sie sei auch zum Stichtag in wirtschaftlichen Schwierigkeiten gewesen. Ihr Vertrauen sei zudem auch deshalb ausgeschlossen, weil für die Ermessensausübung die Grundsätze des intendierten Ermessens gälten. Angesichts des haushaltsrechtlichen Grundsatzes der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit sei eine Rücknahme rechtswidriger Zuwendungen regelmäßig geboten. Eine etwaige Mitverantwortung seinerseits sei hingegen unerheblich. Hinzu komme, dass die Klägerin entgegen der Vorgabe der Soforthilferichtlinie bisher auch keine Angaben zur Höhe ihres Liquiditätsengpasses gemacht habe. Damit habe sie ihre Anspruchsvoraussetzungen nicht dargetan. Der angegriffene Rücknahmebescheid könne so ggf. auch in einen Schlussbescheid umgedeutet werden.
Die zulässige Anfechtungsklage ist begründet. Der angegriffene Rücknahmebescheid ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
54I.
55Der Beklagte kann die Rücknahme des zugunsten der Klägerin ergangenen Bewilligungsbescheides nicht auf § 48 Abs. 1 VwVfG NRW stützten. Nach dieser Vorschrift kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden.
56Die tatbestandlichen Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage liegen nicht vor. Der zurückgenommene Bewilligungsbescheid stellt keinen rechtswidrigen Verwaltungsakt dar, da er nicht gegen eine gültige Rechtsnorm verstößt. Namentlich lässt sich kein Verstoß gegen den aus Art. 3 Abs. 1 GG folgenden allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatz oder zwingende unionsrechtliche Vorgaben feststellen
57Der allgemeine Gleichbehandlungsgrundsatz bindet im Bereich der sogenannten nichtgesetzesakzessorischen Leistungsverwaltung, also namentlich in Fällen, in denen staatliche Subventionen ohne Anknüpfung an spezialgesetzliche Regelungen gewährt werden, die vergebenden Stellen an eine von dieser allgemein etablierte Bewilligungspraxis (sogenannte „Selbstbindung der Verwaltung“). Der Gleichbehandlungsgrundsatz wirkt dabei nicht nur in anspruchsbegründender Weise dahin, dass die Förderung bei Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen zu bewilligen ist. Er wirkt ebenso anspruchsbegrenzend, indem er die Bewilligungsbehörde dahingehend bindet, eine Förderung zu versagen, wenn die ihrer Verwaltungspraxis entsprechenden Voraussetzungen nicht gegeben sind. Bewilligt die Behörde gleichwohl eine Förderung entgegen einer von ihr etablierten Versagungspraxis, so ist die Bewilligung rechtswidrig und kann unter Beachtung der weiteren in § 48 Abs. 2 bis 4 VwVfG NRW normierten Voraussetzungen zurückgenommen werden.
58Zur Feststellung der tatsächlichen Verwaltungspraxis kann ggf. auch auf sogenannte Förderrichtlinien abgestellt werden. Hierbei handelt es sich regelmäßig um verwaltungsinterne Vorschriften ohne Gesetzescharakter, die die für die Vergabe von Subventionen zuständigen Stellen bei der Entscheidung über eine Bewilligung binden. Verfährt die Bewilligungsbehörde daher regelmäßig nach den Vorgaben einer entsprechenden Förderrichtlinie, bindet sie sich nach Maßgabe des allgemeinen Gleichbehandlungsgrundsatzes selbst an deren Inhalt. Besteht im für die Bewilligung maßgeblichen Zeitpunkt noch keine gefestigte Verwaltungspraxis, namentlich weil es sich um ein neu ins Leben gerufenes Förderprogramm handelt, ist die Behörde gleichwohl bereits an den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz gebunden, wenn und soweit sie, was regelmäßig der Fall ist, nach von vorne herein aufgestellten Leitlinien verfährt. Es handelt es sich dann um eine sogenannte antizipierte Verwaltungspraxis. Richtet die Behörde ihre Bewilligungspraxis daher bereits von Anfang an nach einer Förderrichtlinie aus, kann deren Inhalt bereits zur Ermittlung der Verwaltungspraxis herangezogen werden. Besteht hingegen im maßgeblichen Zeitraum der Bewilligung wie hier (dazu nachfolgend) noch keine einschlägige Förderrichtlinie, kann eine antizipierte Verwaltungspraxis nur unter Würdigung der im Zeitpunkt der Bewilligung maßgeblichen Umstände des Einzelfalles anhand von Indizien ermittelt werden.
59Hierzu kann im vorliegenden Kontext namentlich auf das Antragsformular und den Bewilligungsbescheid abgestellt werden. Daneben können auch die durch das Landeswirtschaftsministerium auf der Antragsplattform für die Bewilligung der Soforthilfen veröffentlichten sogenannten "FAQ" herangezogen werden. Diese geben im Einzelfall Aufschluss darüber, wie die für Bewilligungen zuständigen Bezirksregierungen im Bewilligungsverfahren in bestimmen Konstellationen beabsichtigten, zu entscheiden. Nimmt die Behörde indes erst zu einem späteren Zeitpunkt bestimmte Konstellationen zum Anlass, Bewilligungen zurückzunehmen, lassen sich hieraus keine Rückschlüsse auf eine im Zeitpunkt der Ausübung des Bewilligungsermessens antizipierte Verwaltungspraxis ziehen.
60Die Behörde trägt im Übrigen die Feststellungslast dafür, dass die Voraussetzungen der Rücknahme, damit auch das Erfordernis der Rechtswidrigkeit des zurückgenommenen Verwaltungsakts, erfüllt sind. Sie muss das Nichtvorliegen der Voraussetzungen für den Erlass des begünstigenden Verwaltungsakts nachweisen. Kann nicht geklärt werden, ob die Rücknahmevoraussetzungen gegeben sind, geht dies grundsätzlich zu Lasten der Behörde.
61Vgl nur. BVerwG, Urteil vom 6. Mai 2021 – 2 C 10.20 –, juris Rn. 19 (st.Rspr.)
62Beruft sich die Behörde - wie vorliegend - darauf, dass eine Bewilligung entgegen einer von ihr (antizipierten) Versagungspraxis und damit gleichheitswidrig erfolgt ist, trifft sie daher die Feststellungslast, dass überhaupt und in welchem Umfang eine entsprechende Versagungspraxis bestanden hat. Die Versagungspraxis muss nach Art und Umfang hinreichend bestimmt und eindeutig sein. Insoweit handelt es sich nämlich um Umstände, die allein ihrer eigenen Sphäre entstammen.
63Da die Soforthilfe im Übrigen als staatliche Beihilfen dem Anwendungsbereich der Art. 107, 108 AEUV unterliegt, können auch Verstöße gegen unionsrechtliche Vorgaben zur Rechtwidrigkeit der Bewilligung führen. Dies kann namentlich der Fall sein, wenn die Bewilligung nicht von einer entsprechenden Freigabe durch die Europäische Kommission gedeckt ist.
64Ähnlich schon: VG Gelsenkirchen, Urteil vom 21. November 2023 – 19 K 421/22 –, juris, Rn. 53ff.
65Nach diesen Maßstäben kann nicht festgestellt werden, dass die Bewilligung der Soforthilfe an die Klägerin der allgemeinen Bewilligungspraxis des Beklagten und damit dem allgemeinen Gleichheitssatz oder zwingenden Vorgaben des Unionsrechts widersprochen hätte. Weder betrieb die Klägerin ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ (dazu unter 1.), noch rechtfertigt die Annahme des Beklagten, dass bei der Klägerin bereits vor dem 1. März 2020 ein Liquiditätsengpass vorgelegen habe, die Rücknahme der Bewilligung (dazu unter 2). Davon abgesehen lässt sich die Rücknahme der Bewilligung auch nicht auf die Behauptung des Beklagten stützen, bei der Klägerin handle es sich um ein verbundenes Unternehmen (dazu unter 3.). Schließlich kann der Rücknahmebescheid auch nicht in einen Schlussbescheid umgedeutet werden (dazu unter 4.).
661.
67Bei dem von der Klägerin betriebenen Unternehmen handelt es sich nicht um ein „Unternehmen in Schwierigkeiten“ zum Stichtag 31. Dezember 2019 im Sinne von Ziffer 1.1 des Antragsformulars.
68Zur Bestimmung dieses Begriffes greift der Beklagte im Einklang mit der Vorgabe in § 2 Abs. 6 der Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020 auf die Definition in Art. 2 Abs. 18 der Allgemeinen Gruppenfeststellungsverordnung (VO EU NR: 651/2014) zurück. Nach den in Bezug auf die Klägerin in Betracht kommenden Buchstaben a) und c) dieser Vorschrift ist ein Unternehmen „in Schwierigkeiten“, wenn im hier einschlägigen Fall einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung mehr als die Hälfte des gezeichneten Stammkapitals infolge aufgelaufener Verluste verlorengegangen ist oder wenn es Gegenstand eines Insolvenzverfahrens ist oder es die im innerstaatlichen Recht vorgesehenen Voraussetzungen für die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens auf Antrag seiner Gläubiger erfüllt.
69Hierfür fehlt es an jeglicher Tatsachengrundlage. Die vorliegenden Erkenntnisse lassen nicht im Ansatz erkennen, dass die o.g. Voraussetzungen vorliegen, zumal der Beklagte sich mit diesen Voraussetzungen nicht im Mindesten auseinandergesetzt hat.
702.
71Die Rechtswidrigkeit der Bewilligung folgt auch nicht aus der Annahme des Beklagten, bei der Klägerin habe bereits vor dem 1. März 2020 ein Liquiditätsengpass vorgelegen. Den Vorgaben der vom Beklagten angeführten Soforthilferichtlinie kommt insoweit keine Relevanz zu (dazu unter a). Auch aus unionsrechtlicher Sicht lässt sich kein Normverstoß feststellen (dazu unter b). Auf Grundlage der übrigen vorliegenden Erkenntnisse lässt sich zudem bereits eine hinreichend bestimmte Versagungspraxis des Beklagten im Hinblick auf Liquiditätsengpässe vor dem 1. März 2020 nicht erkennen (dazu unter c). Selbst wenn man den Begriff eines Liquiditätsengpasses unter Rückgriff auf Ziffer 6.1 und 6.2 des Antragsformulars bestimmen würde, ließe sich ein solcher nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht feststellen (dazu unter d).
72a)
73Der Beklagte beruft sich zunächst zu Unrecht darauf, dass die Bewilligung der Soforthilfe an die Klägerin gegen seine in Ziffer 2.3 der Soforthilferichtlinie zum Ausdruck kommende allgemeine Verwaltungspraxis verstoßen habe. Die Soforthilferichtlinie gibt für eine im Zeitpunkt der Bewilligung bestehende oder antizipierte Verwaltungspraxis nichts her, weil sie erst am 31. Mai 2020 und damit mehr als zwei Monate nach der Bewilligung veröffentlicht wurde. Der in anderem Zusammenhang vorgebrachte Einwand des Beklagten, dass die Soforthilferichtlinie rückwirkend herangezogen werden könne, weil diese nicht einmal bekannt gegeben werden müsse, geht daran vorbei, dass der tatsächliche Umstand einer in einem bestimmten Zeitpunkt bestehenden Verwaltungspraxis keiner normativen Rückwirkung zugänglich ist. Die Soforthilferichtlinie indiziert auch nicht, dass der Beklagte bereits vor ihrer Veröffentlichung entsprechend ihres Inhaltes verfahren wäre, zumal die in der Richtlinie getroffenen Bestimmungen erheblich von den aus dem Antragsformular, dem Bewilligungsbescheid und den vom Landeswirtschaftsministerium veröffentlichten „FAQ“ hervorgehenden Maßgaben abweichen. Dies betrifft namentlich, wie unten auszuführen sein wird, die Bedeutung des Liquiditätsengpasses.
74Vgl. zu den Abweichungen im Übrigen Urteile der Kammer vom 23. September 2022 - 19 K 297/22 und 19 K 317/22 -, juris.
75b)
76Auch der von der Europäischen Kommission nach Maßgabe der Art. 107, 108 AEUV genehmigten Bundesregelung Kleinbeihilfen 2020 lässt sich nichts zu einem Förderungsausschluss wegen eines Liquiditätsengpass vor dem 1. März entnehmen. Diese sieht über die bereits erwähnte Vorgabe in § 2 Abs. 6 Hs. 1 der Bundesregelung, dass sich das Unternehmen zum 31. Dezember 2019 nicht in wirtschaftlichen Schwierigkeiten i. S. d. Art. 2 Nr. 18 AGVO befunden haben darf, in Halbsatz 2 vielmehr vor, dass die Regelung (nur) für Unternehmen gelte, die sich (gegenwärtig) nicht in „Schwierigkeiten“ befänden bzw. erst in Folge des Ausbruchs von COVID-19 Schwierigkeiten hatten oder in Schwierigkeiten geraten sind“. Dafür, dass die Klägerin sich allerdings zu irgendeiner Zeit in wirtschaftlichen Schwierigkeiten im Sinne der bereits dargestellten Definition befunden hätte, fehlt es aus den bereits oben angeführten Gründen an jeder Tatsachengrundlage.
77c)
78Auf Grundlage der übrigen oben angeführten Erkenntnisquellen zur Ermittlung einer (antizipierten) Verwaltungspraxis lässt sich schließlich nicht feststellen, dass die Bewilligung der Soforthilfe an die Klägerin unter Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitsgrundsatz erfolgt ist. Die Kammer kann schon keine hinreichend bestimmte Versagungspraxis des Beklagten hinsichtlich des Vorliegens eines Liquiditätsengpasses vor dem 1. März 2020 feststellen (dazu unter aa). Selbst wenn man aber eine entsprechende Versagungspraxis annähme, kann nicht festgestellt werden, dass der Klägerin die Bewilligung hätte versagt werden müssen (dazu unter bb.).
79aa)
80Eine hinreichend bestimmte Versagungspraxis, auf deren Grundlage der Beklagte Anträge auf Bewilligung einer Soforthilfe wegen eines „Liquiditätsengpasses“ vor dem 1. März 2020 regelmäßig versagt hätte, ist mangels hinreichend klarer und eindeutiger Konkretisierung des Begriffs des „Liquiditätsengpasses“ nicht erkennbar. Eine zulasten der Klägerin gehende Selbstbindung des Beklagten, die die Rechtswidrigkeit der Soforthilfebewilligung zur Folge hätte, lässt sich daher nicht feststellen.
81Es fehlt zunächst an entsprechenden Referenzfällen. Es ist weder erkennbar noch hat der Beklagte substantiiert dargetan, dass er Bewilligungsbescheide aufgrund der Annahme eines Liquiditätsengpasses vor dem 1. März 2020 tatsächlich versagt hätte. Hiergegen spricht vielmehr, dass die Bewilligung der Soforthilfen allein aufgrund einer Versicherung der Antragsteller, dass die Antragsvoraussetzungen vorliegen, ohne nähere Prüfung der Voraussetzungen im Einzelfall erfolgte. Sollte es zur Versagung einer Bewilligung gekommen sein, weil ein Antragsteller die Versicherung in Ziffer 6.2. des Antragsformulars, dass ein Liquiditätsengpass nicht bereits vor dem 1. März 2020 bestand, nicht abgegeben hat, gäbe eine solche Verwaltungspraxis keinen Aufschluss darüber, was der Beklagte tatsächlich unter dem Begriff eines Liquiditätsengpasses verstanden hat.
82Auch eine an den Begriff des Liquiditätsengpasses anknüpfende antizipierte Versagungspraxis des Beklagten lässt sich nicht feststellen, weil die Bedeutung des Begriffes „Liquiditätsengpass“ unklar bleibt.
83Anhaltpunkte dafür, dass ein entsprechender Liquiditätsengpass zur Versagung einer Bewilligung hätte führen sollen, bietet jedenfalls das Antragsformular in der zuvor zitierten Ziffer 6.2. Anders als für den Fall eines „Unternehmens in Schwierigkeiten“ fehlt es aber an einer eindeutigen Definition, was unter einem Liquiditätsengpass zu verstehen sein soll. Dem Antragsformular und dem Bewilligungsbescheid lässt sich keine eindeutige Definition entnehmen. Dort taucht der Begriff vielmehr mehrfach nur dergestalt auf, dass von einer „existenzbedrohlichen Wirtschaftslage/wirtschaftliche[n] Schwierigkeiten bzw. (Hervorhebung durch die Kammer) einem Liquiditätsengpass“ die Rede ist (vgl. Ziffer 5., 6.10 des Antragsformulars sowie Ziffer 3. des Bewilligungsbescheides; ähnlich zudem Ziffer II. 3.). Die Konjunktion „bzw.“ lässt völlig offen, in welcher Beziehung die Begriffe zueinander stehen. Naheliegend erscheint, dass sie als Synonym verstanden werden. Ebenso gut könnte eine Bezeichnung alternativer Tatbestände beabsichtigt gewesen sein. Bereits diese Unklarheit nimmt dem Begriff des „Liquiditätsengpasses“ die erforderliche Bestimmtheit. Die unreflektierte Verwendung der Konjunktion „bzw.“ vermittelt zudem den Eindruck, dass beide Begriffe keinen im juristischen Sinne eindeutigen Sachverhalt beschreiben, sondern nur Ausdruck einer vagen Vorstellung zur vorausgesetzten wirtschaftlichen Lage der Antragsteller sind. Hinzu kommt, dass der unbestimmte Begriff der „existenzbedrohlichen Wirtschaftslage“ und der völlig konturenlose Begriff der „wirtschaftliche[n] Schwierigkeiten“ keine Präzisierung des Begriffs „Liquiditätsengpass“ leisten, sondern im Gegenteil über die mit der Wendung „bzw“ unzureichend bezeichnete Beziehung auch dem Merkmal „Liquiditätsengpass“ die Konturen nehmen.
84Allein die in Ziffer 6.1. des Antragsformular enthaltene Formulierung, dass „[… ] - vorhandene Mittel nicht ausreichen, um kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen“, ließe sich als konkretere Umschreibung eines Liquiditätsengpasses auffassen. Hierfür könnte sprechen, dass in den „FAQ“ zur der Frage: „Was wird gefördert?“ eine gleichlautende Formulierung enthalten ist, die als „Finanzierungsengpass“ bezeichnet wird. Ob die Begriffe „Liquiditätsengpass“ und „Finanzierungsengpass“ allerdings gleichbedeutend sind, erscheint schon nach dem Wortlaut zweifelhaft. Ferner ist nicht klar und eindeutig, ob der Klammerzusatz (Finanzierungsengpass) lediglich die genannte Formulierung im 4. Spiegelstrich oder die gesamte Antwort auf die besagte Frage in Bezug nimmt. Gegen eine Beschränkung auf den 4. Spiegelstrich spricht vor allem, dass dieser nur einen von insgesamt vier alternativen Bewilligungstatbeständen beschreibt. Die übrigen Varianten betreffen Konstellationen, die auf pandemiebedingte Einschränkungen der unternehmerischen Tätigkeit bzw. Umsatzausfälle abstellen. Es erscheint ungereimt, einen auf die Zeit vor dem 1. März 2020 bezogenen Ausschlussgrund auf einen einzigen von vier Alternativtatbeständen zu begrenzen. Unabhängig von den vorstehenden Bedenken spricht gegen eine Gleichsetzung des Begriffs des „Liquiditätsengpasses“ mit einem der in Ziffer 6.1 aufgeführten Tatbestände, dass diese sämtlich als integralen Bestandteil gerade das Vorhandensein einer wesentlichen Beeinträchtigung der wirtschaftlichen Tätigkeit durch die COVID-19-Pandemie voraussetzten. Dies steht einer Übertragung auf die Situation vor Beginn der coronabedingten Einschränkungen entgegen. Einzelne dieser Tatbestände sind eindeutig zeitlich definiert und lassen sich schon deshalb nicht stimmig auf die Zeit bis zum 1. März 2020 rückbeziehen.
85Die Definition eines Liquiditätsengpasses kann auch nicht ohne weiteres dem gewöhnlichen Sprachgebrauch entnommen werden. Denn es kommt alleine darauf an, welche Bedeutung die Behörde dem Begriff in ihrer Verwaltungspraxis beigemessen und inwieweit sie sich selbst insoweit gebunden hat. Dies lässt sich aber nach dem Vorstehenden gerade nicht eindeutig feststellen. Dass schließlich hier unionsrechtliche Vorgaben zur Bestimmung der Versagungspraxis von Relevanz gewesen wären, lässt sich ebenfalls nicht erkennen.
86bb)
87Selbst wenn man aber davon ausginge, dass in Anknüpfung an die Vorgaben in Ziffer 6.2 und 6.1. eine antizipierte Verwaltungspraxis des Beklagten bestand, die Bewilligung von Soforthilfe für den Fall eines Liquiditätsengpasses vor dem 1. März 2020 zu versagen, kann nach den vorliegenden Erkenntnissen nicht festgestellt werden, dass bei der Klägerin ein solcher auch bestand.
88Es lässt sich den vorliegenden Erkenntnissen schon nicht entnehmen, dass der Beklagte tatsächlich in Fallgestaltungen wie der vorliegenden, in denen ein Antragsteller (vermeintlich) Organgesellschaft eines anderen Unternehmers ist, Zahlungsrückstände beim Organträger regelmäßig zum Anlass genommen hat, um eine Förderung zu versagen. Entsprechende Referenzfälle hierfür sind nicht bekannt. Auch das Antragsformular und die FAQ geben über die Behandlung entsprechender (steuerrechtlich) geprägter Sachverhalte keinen Aufschluss. Vielmehr drängt sich der Eindruck auf, dass der Beklagte im Nachhinein, also nach erfolgten Bewilligungen bestimmte Sachverhalte, die ihm zur Kenntnis gelangt sind, zum Anlass genommen hat, von seiner bereits erfolgten Bewilligungsentscheidung abzurücken. Eine solche Vorgehensweise lässt aber gerade nicht erkennen, dass bereits im für die Rechtmäßigkeit der Zuwendung maßgeblichen Zeitpunkt ihrer Bewilligung eine entgegenstehende tatsächliche oder antizipierte Verwaltungspraxis bestand.
89Davon abgesehen fehlt es aber auch für die steuerrechtlich geprägte Betrachtungsweise, dass die Klägerin als Organ des „Vermietungsunternehmens“ C. F. für deren Verbindlichkeiten einzustehen hat, an einer gesicherten Tatsachengrundlage. Eine Organschaftstellung nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG setzt voraus, dass eine juristische Person nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Voraussetzung ist damit aber, dass der Organträger selbst die Voraussetzungen erfüllt, welche das Umsatzsteuergesetz an den Unternehmerbegriff im Sinne des § 2 Abs. 1 S. 1 und 3 UStG stellt.
90Vgl. Müller in: BeckOK-UStG, 39. Ed. 1.1.2024, UStG § 2 Rn. 194.
91Dafür aber, dass Frau F. ein (eigenständiges) Unternehmen im vorgenannten Sinne ausübt, fehlt es an jeglichem belastbaren Anhalt. Schon rein begrifflich liegt eine „Eingliederung“ der auf Rohrleitungsbau ausgerichteten Klägerin in ein „Vermietungsunternehmen“ fern. Die Unternehmensgegenstände des Rohrleitungsbaus und der Vermietung sind völlig unterschiedlich, sie lassen weder eine gemeinsame Zielrichtung noch einen gemeinsamen Markt erkennen. Es fehlt zudem an einem tragfähigen Anhalt dafür, dass Frau F. tatsächlich ein „Vermietungsunternehmen“ betreibt. Die bloße, mit keinerlei Tatsachen unterlegte Behauptung des Finanzamts gibt hierfür nichts her, ist aber von der Bezirksregierung unreflektiert ohne weitere Ermittlungen lediglich übernommen worden. Aus den vorliegenden Erkenntnissen folgt allein, dass Frau F. (wohl) Vermieterin der Betriebsstätte der Klägerin ist. Dass diese Vermietung/Verpachtung im Rahmen eines Vermietungsgewerbes erfolgt, ist nicht ansatzweise erkennbar. Naheliegend ist, dass sich die Bedeutung der Vermietung darin erschöpft, der Klägerin als Gesellschafterin das Betriebsgrundstück zur Verfügung zu stellen.
92Unabhängig davon, dass ein Liquitätsengpass der Frau F. der Klägerin nicht zugerechnet werden kann, lassen die vorliegenden Erkenntnisse auch nicht den Schluss auf einen Liquiditätsengpass der Frau F. zu. Ungeachtet der aus den vorstehenden Gründen folgenden Unschärfe des Begriffs eines Liquiditätsengpasses erschöpft sich diese Erkenntnislage in der Auskunft des Finanzamtes, dass Frau F. seit 2018 „sehr umfangreiche Steuerschulden“ aufgewiesen und sich in andauernder Vollstreckung durch das Finanzamt befunden habe. Genaueres zu Art und Umfang der Steuerschulden sowie zu ihrem Zahlungsverhalten gibt diese pauschale Mitteilung des Finanzamtes nicht her. Ob die rückständigen Steuerzahlungen tatsächlich auf finanziellem Unvermögen von Frau F. beruhen oder diese etwa ihre Ursache in einem hier nicht relevanten unzuverlässigen Zahlungsverhalten haben, lässt sich nicht erkennen. Eine einer näheren gerichtlichen Überprüfung zugängliche Auseinandersetzung des Beklagten mit der angeführten Mitteilung einerseits sowie der eigenen Verwaltungspraxis andererseits ist ebenfalls nicht ersichtlich. Vielmehr erschöpft sich der entsprechende Vortrag des Beklagten darin, dass dieser die Mitteilung des Finanzamtes ohne nähere Überprüfung unreflektiert übernimmt.3.
93Auch auf die Behauptung des Beklagten, die Klägerin stelle ein von der Förderung ausgeschlossenes verbundenes (beherrschtes) Unternehmen dar, lässt sich die Rücknahme nicht stützen. Dafür, dass die Klägerin ein mit C. F. verbundenes Unternehmen darstellt, fehlt es an jeder Grundlage.
94Es bedarf in dem Zusammenhang keiner Vertiefung, unter welchen Voraussetzungen nach der Verwaltungspraxis des Beklagten oder ggf. relevanten Unionrechtsvorgaben im Einzelnen ein von der Förderung ausgeschlossenes verbundenes Unternehmen anzunehmen ist.
95Vgl. bzgl. der Verwaltungspraxis VG Gelsenkirchen, Urteil vom 18. November 2022 – 19 K 4392/20 –, juris, Rn. 50ff.
96Sowohl die insbesondere anhand des Antragsformulars und den veröffentlichten FAQ feststellbare Verwaltungspraxis des Beklagten als auch der unionsrechtlich geprägte Unternehmensbegriff,
97vgl. hierzu VG Gelsenkirchen, Urteil vom 21. November 2023 – 19 K 421/22 –, juris, Rn. 58ff.,
98setzen für die Annahme eines verbundenen Unternehmens im Ansatz mindestens zwei wirtschaftliche Einheiten voraus, die in einer entsprechenden Beziehung zueinanderstehen.
99Als Unternehmen im europarechtlichen Sinne gilt in Anlehnung an Anhang 1 Art. 1 VO (EU) Nr. 651/2014 vom 17. Juni 2014 jede Einheit, unabhängig von ihrer Rechtsform, die eine wirtschaftliche Tätigkeit ausübt. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs ist dabei meistens die wirtschaftliche Tätigkeit eine Tätigkeit, die unmittelbar auf dem Markt erbracht wird. Es ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass sie auf einen unmittelbar auf dem Markt operierenden Wirtschaftsteilnehmer und mittelbar auf eine andere Einheit zurückzuführen ist, die diesen Wirtschaftsteilnehmer im Rahmen einer von ihnen gebildeten wirtschaftlichen Einheit kontrolliert. Der bloße Besitz von Beteiligungen, auch von Kontrollbeteiligungen, stellt nicht schon eine wirtschaftliche Tätigkeit der Einheit dar, die diese Beteiligungen hält, wenn mit ihm nur die Ausübung der Rechte eines Aktionärs oder Mitglieds und gegebenenfalls der Bezug von Dividenden einhergeht, die bloß die Früchte dieses Anteilsbesitzes sind. Übt dagegen eine Einheit, die Kontrollbeteiligungen an einer Gesellschaft hält, diese Kontrolle tatsächlich durch unmittelbare oder mittelbare Einflussnahme auf die Verwaltung der Gesellschaft aus, ist sie als an der wirtschaftlichen Tätigkeit des kontrollierten Unternehmens beteiligt anzusehen.
100EuGH, Urteil vom 10. Januar 2006 – C-222/04 –, juris, Rn. 107ff.
101Nach diesen Maßgaben fehlt es an jedem Anhalt dafür, dass Frau F. eine unternehmerische Einheit darstellt. Wie oben dargestellt, entbehrt die Annahme, dass Frau F. ein eigenständiges „Vermietungsunternehmen“ betreibt, jeglicher Grundlage. Ihr Einfluss auf die Klägerin beruhte allein auf ihrer gesellschaftsrechtlichen Stellung als Mehrheitsgesellschafterin und einzelvertretungsbefugte Geschäftsführerin und war damit integraler Bestandteil der Tätigkeit der Klägerin selbst.
1023.
103Entgegen der Annahme des Beklagten lässt sich der Rücknahmebescheid auch nicht in einen Schlussbescheid umdeuten. Die Voraussetzungen für die Umdeutung eines fehlerhaften Verwaltungsaktes nach § 47 Abs. 1 VwVfG NRW liegen ersichtlich nicht vor. Hiernach kann ein fehlerhafter Verwaltungsakt in einen anderen Verwaltungsakt umgedeutet werden, wenn er auf das gleiche Ziel gerichtet ist, von der erlassenden Behörde in der geschehenen Verfahrensweise und Form rechtmäßig hätte erlassen werden können, und wenn die Voraussetzungen für dessen Erlass erfüllt sind.
104Es fehlt bereits an den Voraussetzungen für den Erlass eines solchen Schlussbescheides. Nach der einschlägigen und der Kammer bekannten Verwaltungspraxis erfolgte der Erlass entsprechender Schlussbescheide erst nach Durchführung eines zur Berechnung der Förderhöhe für maßgeblich erachteten Rückmeldeverfahrens. Bereits ein solches hat die Klägerin ersichtlich nicht durchgeführt. Ungeachtet dessen scheitert die Umdeutung in einen Schlussbescheid jedenfalls auch daran, dass ein solcher ebenfalls rechtswidrig wäre.
105Vgl. hierzu im Einzelnen OVG NRW, Urteil vom 17. März 2023 – 4 A 1987/22 –, juris; sowie VG Gelsenkirchen, Urteil vom 23. September 2022 – 317/22 –, juris.
106II.
107Aufgrund der rückwirkenden Aufhebung der Rücknahme des Bewilligungsbescheids durch dieses Urteil fehlt es auch an den Voraussetzungen für die Erstattungsforderung nach § 49a Abs. 1 VwVfG NRW und die Zinsgrundentscheidung nach § 49a Abs. 3 Satz 1 VwVfG NRW.
108III.
109Die Kostentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO, § 709 Satz 2 ZPO.
110Rechtsmittelbelehrung:
111Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1121. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
1132. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
1143. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
1154. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
1165. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
117Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
118Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
119Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.