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Auch aus aktuellen Berichten zu der Lage von Schutzberechtigten in Griechenland ergibt sich keine generelle Zumutbarkeit der Rückkehr. Vielmehr ist angesichts der auch unter Zugrundelegung aktueller Erkenntnismittel weiterhin bestehenden erheblichen bürokratischen Hürden sowie mangelnder staatlicher Unterstützung nach wie vor grundsätzlich anzunehmen, dass Schutzberechtigte in Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sind, eine gesicherte Unterkunft zu finden und ihren Lebensunterhalt durch eine legale Beschäftigung oder staatliche Unterstützung zu sichern.
2. Es ist unzumutbar, Schutzberechtigte bis zu einem etwaigen Übertritt in ein legales Beschäftigungsverhältnis auf eine möglicherweise mehrere Jahre andauernde Tätigkeit in der sog. „Schattenwirtschaft“ zu verweisen. Bereits das der Europäischen Union innewohnende Prinzip gemeinsam geteilter Werte, hier konkret der Rechtsstaatlichkeit, verbietet es einem Mitgliedstaat, Asylsuchende wie Schutzberechtigte darauf zu verweisen, in einem anderen Mitgliedstaat die dortige Rechtsordnung zu missachten.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 18a K 4035/24.A gegen die in Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. August 2024 enthaltene Abschiebungsandrohung mit vorrangigem Zielstaat Griechenland wird angeordnet.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Die aufschiebende Wirkung der Klage 18a K 4035/24.A gegen die in Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 5. August 2024 enthaltene Abschiebungsandrohung mit vorrangigem Zielstaat Griechenland wird angeordnet.
2Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
3G r ü n d e :
4Der dem Tenor entsprechende Antrag des Antragstellers hat Erfolg.
5Der nach § 36 Abs. 3 Satz 1 des Asylgesetzes (AsylG) statthafte sowie im Übrigen zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gemäß § 80 Abs. 5 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) ist begründet.
6Bei der Entscheidung darüber, ob die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die insoweit gemäß § 75 AsylG kraft Gesetzes sofort vollziehbare Entscheidung der Antragsgegnerin anzuordnen ist, ist das öffentliche Interesse an einer alsbaldigen Vollziehung des Verwaltungsaktes gegenüber dem Interesse des Betroffenen an einer Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzuwägen, wobei allerdings gemäß § 36 Abs. 1, Abs. 4 Satz 1 AsylG eine Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage nur bei ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Bescheides in Betracht kommt. Ernstliche Zweifel in diesem Sinne liegen dann vor, wenn zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erhebliche Gründe dafür sprechen, dass die Entscheidung des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) einer rechtlichen Überprüfung wahrscheinlich nicht standhält.
7Dies vorausgesetzt, fällt die Abwägung zwischen dem Interesse an der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs und dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung zu Gunsten des Antragstellers aus.
8Die Rechtmäßigkeit der in Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes vom 5. August 2024 enthaltenen Abschiebungsandrohung mit vorrangigem Zielstaat Griechenland begegnet ernstlichen Zweifeln.
9Rechtsgrundlage für die Abschiebungsandrohung sind § 34, § 35 und § 36 Abs. 1 AsylG. Nach § 35 AsylG droht das Bundesamt dem Ausländer in den Fällen des § 29 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 4 AsylG die Abschiebung in den Staat an, in dem er vor Verfolgung sicher war, wobei die dem Ausländer zu setzende Ausreisefrist gemäß § 36 Abs. 1 AsylG eine Woche beträgt.
10Nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ist ein Asylantrag unzulässig, wenn ein anderer Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Ausländer bereits internationalen Schutz im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG gewährt hat. Letzteres ist vorliegend der Fall. Dem Antragsteller wurde ausweislich der Mitteilung der griechischen Dublin-Einheit vom 17. Juli 2024 am 15. April 2024 in Griechenland internationaler Schutz zuerkannt.
11Es bestehen jedoch ernstliche Zweifel, ob das Bundesamt die in Ziffer 1. des angegriffenen Bescheides getroffene Unzulässigkeitsentscheidung auf § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG stützen kann.
12Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) ist Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes – der durch § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in deutsches Recht umgesetzt worden ist – dahin auszulegen, dass er es einem Mitgliedstaat verbietet, von der durch diese Vorschrift eingeräumten Befugnis Gebrauch zu machen, einen Antrag auf internationalen Schutz als unzulässig abzulehnen, weil dem Antragsteller bereits von einem anderen Mitgliedstaat die Flüchtlingseigenschaft oder subsidiärer Schutz zuerkannt worden ist, wenn die Lebensverhältnisse, die ihn in dem anderen Mitgliedstaat erwarten würden, ihn der ernsthaften Gefahr aussetzen würden, eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung nach Art. 4 der Europäischen Grundrechtecharta (GRCh) bzw. des diesem entsprechenden Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu erfahren.
13Vgl. EuGH, Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und 541/17 (Hamed und Omar) –; ferner bereits EuGH, Urteile vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) –, Rn. 81 bis 97, und vom 19. März 2019 – C-297/17 u. a. (Ibrahim) –, Rn. 83 bis 94, sämtlich zitiert nach juris.
14Für die Anwendbarkeit des Art. 33 Abs. 2 Buchst. a) der Richtlinie 2013/32/EU nimmt der EuGH einen Verstoß gegen Art. 4 GRCh an, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person sich unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Entscheidungen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen, wie insbesondere sich zu ernähren, sich zu waschen und eine Unterkunft zu finden, und die ihre physische oder psychische Gesundheit beeinträchtigte oder sie in einen Zustand der Verelendung versetzte, der mit der Menschenwürde unvereinbar wäre.
15Vgl. EuGH, Urteil vom 19. März 2019 – C-163/17 (Jawo) –, Rn. 87 bis 92; Beschluss vom 13. November 2019 – C-540 und 541/17 (Hamed und Omar) –, Rn. 39; vgl. hierzu auch OVG NRW, Beschluss vom 16. Dezember 2019 – 11 A 228/15.A –, Rn. 29 ff., m. w. N. jeweils zitiert nach juris, wonach ein Verstoß gegen Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK vorliegt, wenn die elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) nicht befriedigt werden können.
16Ausgehend hiervon bestehen erhebliche Zweifel daran, ob der vom Antragsteller am 5. Juli 2024 beim Bundesamt gestellte Asylantrag nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG als unzulässig abgelehnt werden kann.
17Unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen,
18Beschluss vom 5. April 2022 – 11 A 314/22.A –, Rn. 34 bis 107 und Urteil vom 21. Januar 2021 – 11 A 1564/20.A –, Rn. 24 bis 101; siehe auch VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Januar 2022 – A 4 S 2443/21 –; OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 23. November 2021 – OVG 3 B 54.19 –; OVG Bremen, Urteil vom 16. November 2021 – 1 LB 371/21 –; OVG Niedersachsen, Urteil vom 19. April 2021 – 10 LB 244/20 –; VG Würzburg, Beschluss vom 29. Februar 2024 – W 1 S 24.30257 –, Rn. 17 f.; VG Braunschweig, Beschluss vom 15. Juni 2023 – 2 B 140/23 –; VG Augsburg, Beschluss vom 3. Mai 2023 – Au 8 S 23.30428 –; VG Düsseldorf, Gerichtsbescheid vom 28. März 2023 – 22 K 8448/22.A –, jeweils juris,
19sprechen im Falle des Antragstellers gewichtige Gründe dafür, dass ihm für den Fall seiner Rückkehr nach Griechenland die ernsthafte Gefahr einer unmenschlichen
20oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK droht, weil davon auszugehen ist, dass er mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit unabhängig von seinem Willen und seinen persönlichen Entscheidungen in Griechenland in eine Situation extremer materieller Not geraten wird und seine elementarsten Bedürfnisse („Bett, Brot, Seife“) für einen längeren Zeitraum nicht wird befriedigen können.
21Nach der vorgenannten Rechtsprechung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen erhalten international Schutzberechtigte in Griechenland regelmäßig schon keinen Zugang zu einer menschenwürdigen Unterkunft. Sie können sich mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht aus eigenen durch Erwerbstätigkeit zu erzielenden Mitteln mit den für ein Überleben notwendigen Gütern versorgen. Sie haben auch keinen Zugang zu staatlichen Sozialleistungen, mit deren Hilfe sie dort ihr Existenzminimum sichern können, und auch die Unterstützung von Nichtregierungsorganisationen versetzt sie in Griechenland nicht in die Lage, dort ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen.
22Zwar haben mehrere Verwaltungsgerichte in ihren jüngeren Entscheidungen in vergleichbaren Konstellationen aktualisierte Tatsachen zu den in Griechenland herrschenden Aufnahmebedingungen zugrunde gelegt und darauf fußend eine von der vorgenannten Rechtsprechung abweichende Bewertung getroffen.
23Vgl. VG Hamburg, Urteile vom 28. Juni 2024 – 12 A 4023/22 und 12 A 4048/22 –; VG Frankfurt (Oder), Urteile vom 28. Februar 2024 – 8 K 727/23.A –, Rn. 18 ff., und – 8 K 1113/20.A –, Rn. 24; VG Ansbach, Beschluss vom 23. Februar 2024 – AN 17 S 23.50064 –, Rn. 23; VG Leipzig, Beschluss vom 6. Februar 2024 – 6 L 249/23.A –, jeweils juris.
24Aus den in den vorgenannten Entscheidungen getroffenen Feststellungen zur tatsächlichen Lage, die die beschließende Kammer grundsätzlich auch der vorliegenden Entscheidung zugrunde legt, ergibt sich aber keine generelle Zumutbarkeit der Rückkehr nach Griechenland.
25Vgl. für eine generelle Zumutbarkeit der Rückkehr nach Griechenland VG Hamburg, Urteile vom 28. Juni 2024 – 12 A 4023/22 und 12 A 4048/22 – (im Falle „hinreichend junger, gesunder, arbeitsfähiger, körperlich belastbarer und mit hinreichender Durchsetzungsfähigkeit und Eigeninitiative ausgestatteten Männer“); VG Frankfurt (Oder), Urteile vom 28. Februar 2024 – 8 K 727/23.A –, Rn. 18 ff., und – 8 K 1113/20.A –, Rn. 24 („hinreichendes Durchsetzungsvermögen“ voraussetzend); VG Ansbach, Beschluss vom 23. Februar 2024 – AN 17 S 23.50064 –, Rn. 23; VG Leipzig, Beschluss vom 6. Februar 2024 – 6 L 249/23.A –; sämtlich zitiert nach juris.
26Vielmehr ist angesichts der auch unter Zugrundelegung aktueller Erkenntnismittel weiterhin bestehenden erheblichen bürokratischen Hürden sowie mangelnder staatlicher Unterstützung nach wie vor grundsätzlich anzunehmen, dass Schutzberechtigte in Griechenland mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit nicht in der Lage sind, eine gesicherte Unterkunft zu finden und ihren Lebensunterhalt durch eine legale Beschäftigung oder staatliche Unterstützung zu sichern.
27Soweit namentlich das Verwaltungsgericht Hamburg in seinen oben genannten Urteilen die Auffassung vertritt, dass Schutzberechtigte bis zu einem etwaigen Übertritt in ein legales Beschäftigungsverhältnis auf eine möglicherweise mehrere Jahre andauernde Tätigkeit in der sog. „Schattenwirtschaft“ verwiesen werden können,
28vgl. Urteile jeweils vom 28. Juni 2024 – 12 A 4023/22 –, Rn. 72 ff., und – 12 A 4048/22 – Rn. 73 ff., jeweils juris,
29so folgt dem die beschließende Kammer ausdrücklich nicht. Dies ist unzumutbar. Bereits das der Europäischen Union innewohnende Prinzip gemeinsam geteilter Werte, hier konkret der Rechtsstaatlichkeit, verbietet es einem Mitgliedstaat, Asylsuchende wie Schutzberechtigte darauf zu verweisen, in einem anderen Mitgliedstaat die dortige Rechtsordnung zu missachten.
30Vgl. zur Zumutbarkeit der Rückkehr nach Italien mit ausführlicher Begründung, VG Gelsenkirchen, Urteil vom 12. April 2024 – 1a K 4942/22.A –, juris, Rn. 124 ff.
31Ebenfalls nicht tragfähig ist der Verweis Schutzberechtigter auf in Griechenland bestehende informelle Migrantennetzwerke und etwaige persönliche Kontakte.
32Vgl. VG Hamburg, Urteile jeweils vom 28. Juni 2024 – 12 A 4023/22 –, Rn. 63., und – 12 A 4048/22 – Rn. 63., jeweils juris,
33Denn es ist nicht erkennbar, dass Schutzberechtigten wie dem Antragsteller allein hierdurch mit der gebotenen Sicherheit nachhaltiger sowie gesicherter Zugang zu Wohnraum sowie zu einem legalen Beschäftigungsverhältnis verschafft werden könnte.
34Es ist nach Aktenlage auch nicht erkennbar, dass dem Antragsteller aufgrund von besonderen persönlichen Eigenschaften, Qualifikationen oder Lebensumständen für den Fall seiner Rückkehr nach Griechenland ausnahmsweise keine Verletzung von Art. 4 GRCh oder Art. 3 EMRK drohen würde.
35Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO, § 83b AsylG.
36Rechtsmittelbelehrung:
37Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).