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Die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 28. Juli 2021 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des auf Grund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Die Klägerin ist Apothekerin und Inhaberin einer Apothekenbetriebserlaubnis nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes über das Apothekenwesen (ApoG) für die J.-Apotheke (R.-straße 23 in M.) als Hauptapotheke und der O.-Apotheke (H.-straße in M.) als Filialapotheke. Diese Erlaubnis wurde ihr am 4. September 2017 erteilt. Darüber hinaus erteilte ihr der Beklagte am 4. September 2017 die Erlaubnis zum Betrieb eines Großhandels gemäß § 52 a des Arzneimittelgesetzes (AMG):
3„Großhandelserlaubnis
4Frau I.
5geboren am N02 in M.
6wird gemäß § 52 a Abs. 1 Arzneimittelgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 12. Dezember 2005 (BGBl. I S. 3394), in der derzeit gültigen Fassung, die Erlaubnis zum Großhandel mit Humanarzneimitteln iSd. § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG, Testsera oder Testantigenen
7unter der Firma der Apotheke „J.-Apotheke“ in
8M. in der Betriebsstätte R.-straße 23 in M.
9erteilt. Die Erlaubnis erstreckt sich auf die in den vorliegenden Bauplänen ausgewiesenen Räume.“
10Der Großhandelsbetrieb der Klägerin wird unter derselben Adresse wie der Apothekenbetrieb der J.-Apotheke von der Klägerin betrieben. In räumlicher Hinsicht ist der Großhandel jedoch von dem Apothekenbetrieb abgetrennt. In dem der Großhandelserlaubnis zugehörigen Bauplan sind zwei mit „Großhandel“ und „Anlieferung Großhandel“ bezeichnete Räume aufgeführt, die außerhalb der farblich markierten Betriebsräume der Apotheke liegen. Sowohl der Großhandel für Arzneimittel unter der Firmierung der J.-Apotheke, die J.-Apotheke als auch die O.-Apotheke sind als eigenständige Gewerbe angemeldet.
11Anlässlich einer am 28. April 2021 durchgeführten Inspektion in den Räumlichkeiten des Großhandels fiel Mitarbeitern des Beklagten auf, dass die Klägerin unter der Firmierung der J.-Apotheke und der O.-Apotheke bei mehreren pharmazeutischen Unternehmen Arzneimittel erworben hatte. Auf den eingesehenen Lieferscheinen und Rechnungen der liefernden Hersteller standen als Adressaten die J.-Apotheke und die O.-Apotheke (Inh. I.) ohne ausdrücklichen Hinweis auf eine Großhandelserlaubnis der Klägerin. Nur auf den Rechnungen des Großhandels der Klägerin an deren Kunden, andere Großhandelsbetriebe, war der Hinweis auf die Großhandelserlaubnis vorhanden. Über eine Abgabe der Arzneimittel von der J.-Apotheke oder der O.-Apotheke an den Großhandel der Klägerin fanden sich bei der Inspektion keine Dokumente. Bei der Inspektion fanden die Mitarbeiter des Beklagten zudem Warenkartons, die jeweils entweder an die O.-Apotheke oder die J.-Apotheke adressiert worden waren.
12Der Beklagte kontaktierte im Nachgang zur Inspektion die Überwachungsbehörden der pharmazeutischen Unternehmen, die in den von der Klägerin vorgelegten Geschäftsvorgängen als Lieferanten angegeben waren. Die Auskünfte der Überwachungsbehörden ergaben, dass Grundlage der Lieferungen an die J.-Apotheke und die O.-Apotheke jeweils die Betriebserlaubnis vom 4. September 2017 für die Haupt- bzw. Filialapotheke gewesen war. Die Lieferanten gaben an, dass die Auslieferungen an die Apotheken erfolgt seien. Der Großhandel der J.-Apotheke sei nicht beliefert worden. Der Beklagte kam auf Grundlage dieser Auskünfte zu dem Ergebnis, dass die an die beiden Apotheken gelieferten Arzneimittel von der Klägerin an den eigenen Großhandel und von diesem an andere Großhändler abgegeben worden sein mussten.
13Der Beklagte erließ – nach erfolgter Anhörung - am 21. Juli 2021 eine mündliche Anordnung gegenüber der Klägerin, mit der er dieser ab sofort die Abgabe von Arzneimitteln, die mit der Erlaubnis zum Betreiben der J.-Apotheke gemäß § 1 Abs. 2 ApoG erworben wurden, an ihren eigenen Großhandel unter der Firma der Apotheke J.-Apotheke in M. sowie an andere Großhandelsbetriebe untersagte (Ziffer 1). Darüber hinaus ordnete der Beklagte die sofortige Vollziehung der Untersagungsverfügung an (Ziffer 2) und drohte der Klägerin der Kläger für den Fall der Zuwiderhandlung gegen die Untersagungsverfügung ein Zwangsgeld in Höhe von 5.000,00 € an (Ziffer 3).
14Mit schriftlicher Ordnungsverfügung vom 28. Juli 2021 bestätigte der Beklagte die mündliche Anordnung vom 21. Juli 2021 gegenüber der Klägerin. Zur Begründung führte der Beklagte aus: Nach § 69 Abs. 1 AMG sei er befugt, die zur Beseitigung festgestellter Verstöße notwendigen Anordnungen zu erlassen. Nach § 69 Abs. 1 Nr. 7 AMG könne er insbesondere das Inverkehrbringen von Arzneimitteln oder Wirkstoffen untersagen, wenn die erforderliche Erlaubnis zum Betreiben eines Großhandels nach § 52 a AMG nicht vorliege. Nach § 52 a Abs. 1 Satz 1 AMG bedürfe einer Erlaubnis, wer Großhandel mit Arzneimitteln im Sinne des § 2 Abs. 1 oder Abs. 2 Nr. 1 AMG betreibe. Unter Großhandel sei nach § 4 Abs. 22 AMG jede berufs- oder gewerbsmäßige zum Zwecke des Handeltreibens ausgeübte Tätigkeit, die in der Beschaffung, der Lagerung, der Abgabe oder Ausfuhr von Arzneimitteln bestünde, zu verstehen, mit Ausnahme der Abgabe von Arzneimitteln an andere Verbraucher als Ärzte, Zahnärzte, Tierärzte oder Krankenhäuser. Die Klägerin habe auf Grundlage ihrer Apothekenbetriebserlaubnis nach § 1 Abs. 2 ApoG über die J.-Apotheke Arzneimittel bestellt, die sie dann an ihren eigenen Großhandel abgeben habe. Damit habe sie einen erlaubnispflichtigen Großhandel betrieben, der ihr jedoch nicht gestattet sei. Die J.-Apotheke habe keine Erlaubnis nach § 52 a Abs. 1 AMG. Sie dürfe nach § 1 Abs. 2 ApoG Arzneimittel nur im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebes abgeben. Hierzu gehöre neben der Abgabe an den Endverbraucher nur die Abgabe an Ärzte und Krankenhäuser sowie Retouren an den beliefernden Großhandel (§ 52 a Abs. 7 AMG, 17 Abs. 6 c Nr. 1 der Verordnung über den Betrieb von Apotheken (ApBetrO)). Die Untersagung sei auch verhältnismäßig. Das legitime Ziel der Untersagung bestehe darin, im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung von Mensch und Tier für die Sicherheit im Verkehr mit Arzneimitteln, insbesondere für die Qualität, Wirksamkeit und Unbedenklichkeit von Arzneimitteln zu sorgen. Die Untersagungsverfügung sei hierzu geeignet, da es der Klägerin hierdurch nicht mehr möglich sei, Arzneimittel der Apotheke an einen Großhandel abzugeben. Dadurch werde verhindert, dass unberechtigterweise ein erlaubnispflichtiger Großhandel betrieben werde und Vertriebswege nicht korrekt eingehalten würden. Sie sei auch erforderlich, da ein milderes Mittel nicht ersichtlich sei. Die Untersagungsverfügung verpflichte lediglich zur Einhaltung der ohnehin geltenden gesetzlichen Regelungen. Die Verfügung sei auch angemessen. Es bestehe bei fehlerhaften Vertriebswegen und durch das unberechtigte Betreiben von erlaubnispflichtigem Großhandel die Gefahr, dass gefälschte Arzneimittel oder gefälschte Wirkstoffe hergestellt oder in den Verkehr gebracht würden oder dass in sonst einer Weise mit ihnen gehandelt werden würde.
15Die Klägerin hat am 23. August 2021 die vorliegende Klage erhoben.
16Sie führt aus: Die Untersagungsverfügung sei rechtswidrig und verletze sie in ihren Rechten. Mit der Untersagungsverfügung werde ihr ein Verhalten untersagt, dass ihr rechtlich ausdrücklich erlaubt sei. Sie sei – in einer Person – sowohl Inhaberin einer Apothekenbetriebserlaubnis gemäß § 1 Abs. 2 ApoG als auch einer Großhandelserlaubnis gemäß § 52 a AMG. Sie erwerbe kraft der Erlaubnis zum Betrieb der J.-Apotheke und der O.-Apotheke Arzneimittel und veräußere diese kraft ihrer Erlaubnis zum Großhandel weiter.
17Soweit der Beklagte ihr untersage, die durch die Apotheke eingekauften Arzneimittel an den von ihr selbst betriebenen Großhandel abzugeben, sei noch nicht einmal der Tatbestand der Abgabe i.S.d. § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AMG erfüllt. Eine Abgabe setze nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 17 AMG einen Wechsel der Verfügungsgewalt voraus. Ein solcher Wechsel der Verfügungsgewalt finde hier jedoch nicht statt. Sie kaufe Arzneimittel über ihre Apotheke und verkaufe diese über ihren Großhandel. Bei der von ihr betriebenen Apotheke und dem von ihr betriebenen Großhandel handele es sich nicht um zwei unterschiedliche Gewerbebetriebe. Der Großhandel, der ihr unter der Firma der Apotheke J.-Apotheke erlaubt sei, sei Teil des Gewerbebetriebes Apotheke. Anders als der Beklagte meine, führe sie keine zwei voneinander separierten Unternehmen oder Betriebe. Eine solche Trennung sehe das Gesetz in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a ApBetrO nicht vor. Hiernach sei ausreichend, wenn ein Apothekenleiter – wie vorliegend sie – seinen Apothekenbetrieb von den für andere gewerbliche Tätigkeiten genutzte Räume durch Wände oder Türen abtrenne. Eine organisatorische oder betriebswirtschaftliche Trennung von Apotheken- und Großhandelsbetrieb lasse sich dem Gesetz gerade nicht entnehmen. Indem der Gesetzgeber in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a ApBetrO das Gebot räumlicher Abtrennung dergestalt formuliert habe, dass er einerseits auf „anderweitig gewerblich oder beruflich genutzte Räume“ und andererseits auf „Tätigkeiten, für die der Apothekenleiter über eine Erlaubnis nach § 52 a des Arzneimittelgesetzes verfügt“ abstelle, folge, dass es sich bei der Großhandelsaktivität des Apothekers um eine Tätigkeit handele, die zum Apothekenbetrieb zähle und gerade keine anderweitige gewerbliche oder berufliche Tätigkeit darstelle. Eine Initiative des Bundesrates aus 2019, mit der eine gesetzliche Regelung zur strikten Trennung von pharmazeutischem Großhandel und Apotheke sowie des Verbots der Schaffung eines namensgleichen Großhandels verfolgt wurde, sei erfolglos geblieben. Derzeit sei eine strikte Trennung von Apotheke und Großhandel von Gesetzes wegen nicht vorgeschrieben. Der Beklagte konstruiere daher (künstlich) eine Abgabe-Handlung zwischen der Apotheke und dem Großhandel, die es im Ergebnis nicht gebe.
18Sofern der Beklagte mit der Untersagungsverfügung darüber hinaus die Abgabe an andere Arzneimittelgroßhändler untersage, sei dies ebenso ungerechtfertigt. Sie sei Inhaberin einer Großhandelserlaubnis gemäß § 52 a AMG und dürfe Waren an andere Arzneimittelgroßhändler abgeben. Ein solcher Großhandel sei ihr ausdrücklich erlaubt worden. Die ihr erteilte Großhandelserlaubnis sei nicht beschränkt. Sie enthalte insbesondere keine Einschränkung dahingehend, dass sie, die Klägerin, in Ausübung ihrer Tätigkeit als Inhaberin einer Apothekenbetriebserlaubnis keinen Großhandel ausüben dürfe.
19Auch die Ausführungen des Beklagten zur Verhältnismäßigkeit seien defizitär. Eine sachverhaltsbezogene Begründung sei hier nicht ersichtlich. Vielmehr stelle der Beklagte nur floskelhaft Befürchtungen auf. Die Befürchtung eines unberechtigten Betreibens des Großhandels sei durch nichts gerechtfertigt, da sie im Besitz einer entsprechenden Erlaubnis sei.
20Die Klägerin beantragt,
21die Ordnungsverfügung des Beklagten vom 28. Juli 2021 aufzuheben.
22Der Beklagte beantragt,
23die Klage abzuweisen.
24Hierzu trägt er vor: Die Ordnungsverfügung sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Zwar sei die Klägerin sowohl Inhaberin einer Apothekenbetriebserlaubnis als auch einer Großhandelserlaubnis. Ihre Verfahrensweise, Arzneimittel unter Nutzung ihrer Apothekenbetriebserlaubnis (hinsichtlich der J.-Apotheke) zu erwerben und dann an ihren eigenen Großhandel und an andere Großhändler weiterzugeben, sei von den ihr erteilten Erlaubnissen jedoch nicht gedeckt.
25Bei der Apotheke und dem Großhandel handele es sich um zwei getrennt voneinander ausgeübte gewerbliche Tätigkeiten. Das Gesetz sehe in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a ApBetrO die Verpflichtung vor, gewerblich oder beruflich genutzte Räume, für die der Apothekenleiter einer Erlaubnis nach § 52 a AMG bedürfe, von den Apothekenbetriebsräumen abzutrennen. Nach teleologischer Auslegung könne diese Vorschrift nur den Zweck haben, dass eine Vermischung der Tätigkeiten ausgeschlossen werden solle. Damit diesem Zweck Genüge getan werde, müsse insbesondere eine organisatorische Trennung (d.h. eine Trennung des Warenflusses) zwischen Großhandel und Apothekenbetrieb bestehen. Durch die Erteilung einer Erlaubnis zum Betrieb der Apotheke und die Erteilung einer Großhandelserlaubnis habe der Klägerin bewusst sein müssen, dass es sich bei der Apotheke und dem Großhandel um zwei unterschiedliche Betriebsteile handele.
26Die Abgabe von Arzneimitteln, die sie über ihre Apotheke bezogen habe, an ihren eigenen Großhandel und an andere Großhändler stelle eine Großhandelstätigkeit dar. Es sei keine bloße Weitergabe im Rahmen des üblichen Apothekenbetriebs, die die Klägerin nach § 1 Abs. 2 ApoG kraft ihrer Apothekenbetriebserlaubnis vornehmen könne (§ 52 a Abs. 7 AMG). Die Apotheken seien gem. § 43 AMG nur zur Abgabe apothekenpflichtiger Arzneimittel an den Endverbraucher berechtigt. Die Abgabe von Arzneimitteln durch die Apotheke an einen Großhändler sei weder nach § 47 AMG noch nach der ApBetrO gestattet. Auch § 7 b der Verordnung über den Großhandel und die Arzneimittelvermittlung (AM-HandelsV) sehe nur vor, dass die Apotheke sog. Retouren an den Großhändler zurücksenden dürfe. Im Umkehrschluss ergebe sich, dass die Weitergabe der von der J.-Apotheke erworbenen Arzneimitteln an den Großhandel der Klägerin und andere Großhändler eine Großhandelstätigkeit darstelle (§ 4 Abs. 22 AMG), die der Erlaubnis nach § 52 a Abs. 1 AMG bedurft hätte.
27Einer konkreten Gefahr bedürfe es für den Erlass der Untersagungsverfügung nicht. § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AMG normiere einen abstrakten Gefährdungstatbestand, der schon vorliege, wenn Großhandel mit Arzneimitteln ohne die erforderliche Erlaubnis nach § 52 a AMG erfolge. Das Vorliegen einer konkreten Gefahr sei kein Tatbestandsmerkmal, sondern nur auf Ermessensseite zu berücksichtigen, wobei das Fehlen einer solchen konkreten Gefahr durch den Adressaten nachzuweisen sei.
28Der Beklagte hat im Januar 2022 Strafanzeige gegen die Klägerin bei der Staatsanwaltschaft K. erstattet. Unter dem 6. Dezember 2022 hat die Staatsanwaltschaft K. das Ermittlungsverfahren im Hinblick auf den Ausgang des verwaltungsgerichtlichen Verfahren vorläufig gemäß § 154 d Satz 1 der Strafprozessordnung eingestellt.
29Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.
30E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:
31Die Klage ist zulässig und begründet.
32Die angefochtene Ordnungsverfügung des Beklagten vom 28. Juli 2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO).
33Ziffer 1 der Ordnungsverfügung lässt sich nicht auf § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AMG stützen.
34Nach § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AMG können die zuständigen Behörden das Inverkehrbringen von Arzneimitteln untersagen, wenn die erforderliche Erlaubnis zum Betreiben eines Großhandels nach § 52 a AMG nicht vorliegt.
35Schon die tatbestandlichen Voraussetzungen dieser Ermächtigungsgrundlage liegen nicht vor.
36(1) Dies gilt zunächst, soweit der Beklagte der Klägerin die Abgabe von Arzneimitteln, die sie über die J.-Apotheke erworben hat, an ihren eigenen Großhandel untersagt. Denn insofern fehlt es bereits an einem „Inverkehrbringen“ der Arzneimittel.
37Nach der Legaldefinition des § 4 Abs. 17 AMG ist das Inverkehrbringen das Vorrätighalten zum Verkauf oder zu sonstiger Abgabe, das Feilhalten, das Feilbieten und die Abgabe an andere. Zentraler Begriff ist mithin der der Abgabe.
38Abgabe ist die Einräumung der Verfügungsgewalt an einen anderen durch körperliche Überlassung des betreffenden Gegenstandes. Gemeint ist ein rein tatsächlicher Vorgang.
39Vgl. speziell zu § 4 Abs. 17 AMG: BGH A&R 2014, 36; OLG Stuttgart DAZ 1967, 443; Kloesel/Cyran, Arzneimittelrecht, 3. Aufl. 2022, § 4 Anm. 57 m.w.N.; Rehmann, AMG, 5. Aufl. 2020, § 4 Rn. 19, beck-online; Kügel/Krüger in: Kügel/Müller/Hofmann, AMG, 3. Aufl. 2022, § 4 Rn. 147.
40Mit der Weitergabe von Arzneimitteln, die die Klägerin über die J.-Apotheke unter Berufung auf ihre Apothekenbetriebserlaubnis gemäß § 1 Abs. 2 ApoG erwirbt, an ihren eigenen Großhandel räumt sie indes gerade nicht einem anderen die Verfügungsgewalt über die Arzneimittel ein. Die Klägerin ist sowohl im Zeitpunkt des Erwerbs der Arzneimittel – in Funktion als Apothekenbetriebsinhaberin – als auch im Zeitpunkt der Weitergabe dieser Arzneimittel an den eigenen, von ihr selbst betriebenen Großhandel – in Funktion als Großhändlerin – Inhaberin der tatsächlichen Verfügungsgewalt. Durch die Weiterleitung der Arzneimittel von der Apotheke an den eigenen Großhandel der Klägerin findet kein Wechsel des die tatsächliche Verfügungsgewalt innehabenden Rechtssubjekts statt. Die Arzneimittel bleiben vielmehr zu jedem Zeitpunkt in der Verfügungsgewalt der Klägerin. An dieser Personenidentität ändert auch die räumliche Trennung zwischen J.-Apotheke und Großhandel nichts. Die Klägerin hat die Verfügungsgewalt über beide Räumlichkeiten.
41Der Vortrag des Beklagten führt zu keinem anderen Ergebnis:
42Zwar stellen die Apotheke und der Großhandel – wie die Auskünfte aus dem Gewerberegister vom 10. und 13. August 2021 zeigen – zwei Gewerbe dar (vgl. § 14 Abs. 1 der Gewerbeordnung). Auch sind der Klägerin zwei Erlaubnisse – zum Betrieb der Apotheke sowie zum Betrieb des Großhandels – erteilt worden. Diese Umstände ändern jedoch nichts daran, dass die Klägerin die vollumfängliche Verfügungsgewalt über beide Gewerbe ausübt und ein Wechsel des die Verfügungsgewalt innehabenden Rechtssubjekts daher nicht stattfindet.
43Ob das in § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a ApBetrO normierte Raumtrennungsgebot teleologisch dahingehend auszulegen ist, dass es eine strikte Trennung der Warenströme zwischen Apotheke und Großhandel gebietet, kann dahinstehen. Selbst wenn dies der Fall wäre, würde dies nichts daran ändern, dass das (dann möglicherweise rechtswidrige) Weitergeben von Ware aus der Apotheke in den eigenen Großhandel keine Abgabe darstellt. Denn die Verfügungsgewalt der Klägerin ändert sich nicht.
44(2) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AMG liegen auch nicht vor, soweit der Beklagte der Klägerin die Abgabe von Arzneimitteln, die sie über die J.-Apotheke bezogen hat, an andere Großhändler untersagt.
45Zwar liegt in dieser Konstellation ein „Inverkehrbringen“ vor. Wenn die Klägerin Arzneimittel, die sie über ihre Apotheke erworben hat, an andere Großhändler verkauft, findet eine Abgabe statt. Sie verliert hierdurch die (tatsächliche) Verfügungsgewalt. Diese geht auf den jeweiligen Großhändler über.
46Die weiteren tatbestandlichen Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AMG sind indes nicht gegeben. Denn die Klägerin betreibt keinen erlaubnispflichtigen Großhandel ohne die gemäß § 52 a Abs. 1 Satz 1 AMG erforderliche Großhandelserlaubnis.
47Sie ist zum Verkauf von Arzneimitteln an andere Großhändler auf Grundlage der ihr am 4. September 2017 erteilten Großhandelserlaubnis gem. § 52 a Abs. 1 Satz 1 AMG unter der Firma der Apotheke J.-Apotheke berechtigt. Auf die (rechtmäßige) Herkunft der gehandelten Arzneimittel kommt es bei § 69 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 AMG nicht an. Es kommt nur darauf an, ob die Klägerin über die notwendige Erlaubnis nach § 52 a Abs. 1 Satz 1 AMG verfügt. Dies ist hier der Fall.
48Die Untersagungsverfügung des Beklagten erweist sich auch unter Heranziehung der Generalklausel des § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG nicht als rechtmäßig. Hiernach kann die zuständige Behörde die zur Beseitigung festgestellter Verstöße und die zur Verhütung künftiger Verstöße notwendigen Anordnungen treffen.
49Der Tatbestand auch dieser Ermächtigungsgrundlage ist jedoch nicht erfüllt.
50(1) Dies gilt zunächst, soweit der Beklagte der Klägerin die Abgabe von Arzneimitteln, die sie über die J.-Apotheke erworben hat, an ihren eigenen Großhandel untersagt. Denn es fehlt insofern an einem festgestellten bzw. zu befürchtenden „Verstoß“. „Verstoß“ i.S.d. § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG meint nur einen Verstoß gegen arzneimittelrechtliche Bestimmungen.
51Vgl. Rehmann, AMG, 5. Aufl. 2020, § 69 Rn. 2.
52Eine konkrete arzneimittelrechtliche Rechtsnorm, mit der das Handeln der Klägerin kollidiert bzw. kollidieren könnte, ist jedoch nicht ersichtlich.
53Der Umstand, dass die Klägerin in einer Person sowohl Apothekenbetreiberin als auch Großhandelsinhaberin ist, begründet keinen arzneimittelrechtlichen Verstoß. Es existiert keine Vorschrift, die die Ausübung beider Gewerbe verbietet. Im Gegenteil. Dass Gesetz sieht diese Konstellation sogar vor: In § 1 Abs. 2 ApBetrO heißt es, dass die – für Apotheken geltende - Apothekenbetriebsordnung auf den Apothekenbetrieb insoweit keine Anwendung findet, als eine Erlaubnis nach § 13, §§ 52 a oder 72 AMG erteilt worden ist. Der Verordnungsgeber geht daher selbst davon aus, dass sich Apothekenbetrieb und Großhandelserlaubnis nach § 52 a AMG nicht ausschließen. Apothekenbetriebserlaubnis und Großhandelserlaubnis können nebeneinanderstehen. Eine Initiative des Bundesrates zur strikten Trennung von Apothekenbetrieb und Großhandel ist fruchtlos verlaufen.
54Vgl. zur Initiative des Bundesrates: BRat.-Drs. 53/19 vom 15. März 2019, S. 31.; zur Antwort der Bundesregierung: BTag.-Drs. 19/8753 vom 27. März 2019, S. 103.
55Es liegt auch kein Verstoß gegen § 4 a Abs. 1 AM-HandelsV vor. Hiernach dürfen Arzneimittel nur von zur Abgabe von Arzneimitteln berechtigten Betrieben erworben werden. Ein Großhändler darf Arzneimittel nicht von einer Apotheke erwerben, sondern nur vom Hersteller oder einem anderen Großhändler. Gegen diese Vorschrift verstößt die Klägerin jedoch nicht. Genauso wenig, wie die Klägerin die Arzneimittel im Sinne des § 69 Abs. 1 Satz 2 AMG durch die Weiterleitung von ihrer Apotheke an den eigenen Großhandel „inverkehrbringt“, „erwirbt“ sie diese als Großhandelsinhaberin von ihrer eigenen Apotheke. Denn die Klägerin erlangt schon in dem Moment, in dem die Hersteller die Arzneimittel bei ihrer Apotheke abliefern, Verfügungsgewalt über diese. Wenn sie diese nun aus der Apotheke entnimmt und in den Großhandel überträgt, wechselt die Verfügungsgewalt nicht; diese bleibt bei der Klägerin. Das Erwerben ist insofern nur Spiegelbild des Inverkehrbringens.
56In Betracht kommen könnte vorliegend ein Verstoß gegen das Raumtrennungsgebot aus § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 a ApBetrO. Diese Norm sieht die Trennung von Apothekenräumlichkeiten und Großhandelsräumlichkeiten vor. Demnach ist die Klägerin verpflichtet, bei Großhandelsaktivitäten – ausschließlich – die Räume des Großhandels zu verwenden. Möglicherweise findet, wenn über die J.-Apotheke bezogene Ware von vornherein zum Weiterverkauf über den eigenen Großhandel bestimmt ist, schon in den Räumlichkeiten der J.-Apotheke Großhandel statt. Ein derartiger Verstoß rechtfertigte indes nicht die Untersagung der Abgabe der Arzneimittel an den eigenen Großhandel. Im Gegenteil: Das was die Ordnungsverfügung der Klägerin untersagt, konterkariert das Ziel der o.g. Vorschrift. Die Arzneimittel, die durch den Großhandel verkauft werden, sollen ja gerade in den Großhandelsräumlichkeiten gelagert werden.
57In Betracht kommen könnte ferner ein Verstoß gegen die in § 52 a Abs. 8 AMG normierte Pflicht zur genauen Benennung aller zum Großhandelsbetrieb gehörenden Betriebsstätten. Möglicherweise findet – wie zuvor ausgeführt -, wenn über die J.-Apotheke bezogene Ware von vornherein zum Weiterverkauf über den eigenen Großhandel bestimmt ist, schon in den Räumlichkeiten der J.-Apotheke Großhandel statt. Die Räumlichkeiten der J.-Apotheke müssten dann gemeldet werden. Jedenfalls würde ein solcher Verstoß aber nicht die Untersagung der Abgabe von Arzneimitteln an den eigenen Großhandel rechtfertigen. Gerechtfertigt wäre allenfalls eine Anordnung, dass die Klägerin die unterbliebene Meldung nachholt.
58In Betracht kommen könnte auch ein Verstoß gegen die Verpflichtung zur Durchführung einer sog. „Due-Diligence-Prüfung“ gemäß Kapitel 5.2 der Leitlinien vom 5. November 2013 für die gute Vertriebspraxis von Humanarzneimitteln – 2013/C 343/01. Hiernach sollte ein Großhändler, der ein neues Vertragsverhältnis mit einem neuen Zulieferer eingeht, eine Due-Diligence-Prüfung durchführen, um Eignung, Kompetenz und Zuverlässigkeit der anderen Partei zu bewerten. Ob die Klägerin letztlich hiergegen verstoßen hat, kann jedoch dahinstehen. Denn selbst einen solchen Verstoß unterstellt, rechtfertigte dieser nicht die von dem Beklagten angeordnete Untersagung der Abgabe an den eigenen Großhandel. Gerechtfertigt wäre allenfalls eine Anordnung, dass die Klägerin eine solche „Due-Diligence-Prüfung“ bei ihren Zulieferern durchzuführen hat.
59Sofern der Beklagte schließlich darauf abstellt, die Klägerin verschaffe sich einen Vorteil, weil sie die Arzneimittel zu günstigeren Preisen als Apothekerin einkaufe, um sie dann mit größerem Gewinn als Großhändlerin zu verkaufen, begründet dies keinen arzneimittelrechtlichen Verstoß.
60Hierbei handelt es sich – wenn überhaupt – um einen Verstoß gegen zivilrechtliche/wettbewerbsrechtliche/strafrechtliche Vorschriften, die zu schützen jedoch nicht Zielrichtung des § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG ist.
61(2) Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 69 Abs. 1 Satz 1 AMG liegen auch nicht vor, soweit der Beklagte der Klägerin die Abgabe von Arzneimitteln durch den eigenen Großhandel an andere Großhändler untersagt. Auch hier fehlt es an einem (zu befürchtenden) Verstoß gegen eine arzneimittelrechtliche Bestimmung.
62Das der Klägerin untersagte Weitergeben von über die J.-Apotheke erworbenen Arzneimitteln an andere Großhändler ist – wie bereits ausgeführt – auf Grundlage der ihr erteilten Großhandelserlaubnis gemäß § 52 a Abs. 1 Satz 1 AMG rechtmäßig (s.o.).
63Nach den vorstehenden Erwägungen erweist sich auch die in Ziffer 3 der Ordnungsverfügung angeordnete Zwangsgeldandrohung – gestützt auf §§ 55 Abs. 1, 57 Abs. 1 Nr. 2, § 60, 63 des Verwaltungsvollstreckungsgesetzes NRW – als rechtswidrig; auch sie verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
64Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
65Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 und § 711 der Zivilprozessordnung.
66Die Berufung wird gemäß §§ 124 a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Die Rechtssache ist, soweit ersichtlich, noch nicht Gegenstand der verwaltungsgerichtlichen Rechtsprechung gewesen. Sie ist auch über den Einzelfall hinaus bedeutsam.
67Rechtsmittelbelehrung
68Gegen dieses Urteil kann innerhalb eines Monats nach Zustellung bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen (Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen oder Postfach 10 01 55, 45801 Gelsenkirchen) schriftlich Berufung eingelegt werden. Die Berufung muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
69Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Mün-ster schriftlich einzureichen. Die Begründungsfrist kann auf einen vor ihrem Ablauf gestellten Antrag von dem Vorsitzenden des Senats verlängert werden. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe).
70Die Berufung ist einzulegen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.
71B e s c h l u s s :
72Der Streitwert wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.
73G r ü n d e :
74Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 52 Abs. 2 des Gerichtskostengesetzes.
75Rechtsmittelbelehrung
76Gegen diesen Beschluss findet Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
77Die Beschwerde ist bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle oder als elektronisches Dokument, letzteres nach Maßgabe des § 55a der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische