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1. Die in der Selbstüberwachungsverordnung Abwasser (SüwVO Abw) von dem Verordnungsgeber verwendeten Begriffe sind im Streitfall einer Auslegung unter Heranziehung der herkömmlichen Auslegungsmethoden zugänglich.2. Der Begriff „das gesamte Netz“ in Anlage 1 Ziff. 1 SüwVO Abw ist unter Anwendung der herkömmlichen Auslegungsmethoden so zu bestimmen, dass tatsächlich 100 Prozent überprüft werden müssen und nicht nur beinahe 100 Prozent oder etwa bloß 75 Prozent.3. Einer aus tatsächlichen Gründen nur eingeschränkten Überprüfbarkeit kann der Betreiber des Kanalisationsnetzes mit einem Antrag nach § 6 Satz 2 SüwVO Abw auf Verringerung des Umfangs der Selbstüberwachung begegnen.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand:
2Der Kläger wendet sich gegen die Aufhebung des Festsetzungsbescheids über die Befreiung von der Entrichtung einer Abwasserabgabe sowie gegen die Festsetzung einer Abwasserabgabe in Höhe von 9.693,36 Euro durch den Beklagten.
3Die Stadt K. betreibt unter der Gemeindekennzahl/-schlüsselzahl 966004 ein gemeindliches Kanalnetz, zu dem die Kanalisationsnetze 008, 032, 033, 034 und 035 gehören. An das Kanalisationsnetz 966004/034 sind 2.257 Einwohner angeschlossen. Der Kläger ist wegen einer entsprechenden verbandsrechtlichen Zuweisung für die Niederschlagswasserbehandlung in diesem Gebiet zuständig. Im Gemeindegebiet wurde eine Überprüfung des Zustandes der Kanäle durchgeführt. Bis zum 31. Dezember 2020 wurde das Kanalisationsnetz mit der Nummer 034 zu 100 Prozent überprüft. Die Kanalisationsnetze 008, 032, 033 und 035 wurden jedoch jeweils nicht vollständig überprüft, sodass im gesamten gemeindlichen Gebiet eine Überprüfungsquote von 96 Prozent erreicht wurde. Nach Angaben des Klägers konnten die Kanalisationsnetze 008, 032, 033 und 035 aufgrund schlechter Erreichbarkeit, Überbauungen und beziehungsweise oder durchgängig hoher Wasserstände nicht vollständig befahren werden. Die Kanalisationsnetze 033, 034 und 035 leiten das Niederschlagswasser in dieselbe Abwasserbehandlungsanlage ein, nämlich die Kläranlage L..
4Am 18. März 2021 stellte der Kläger einen Antrag auf Befreiung von der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2020 für die Kanalisationsnetze 008, 032, 033, 034 und 035. Hierbei kreuzte er in dem Antragsformular „Vereinfachte Abgabeerklärung der Niederschlagspauschale für öffentliche Kanalisationsnetze“ für jedes der Kanalisationsnetze das Feld „Regeln der Technik erfüllt“ an. Ausweislich des Antragsformulars sind die Regeln der Technik der Runderlass „Anforderungen an die öffentliche Niederschlagsentwässerung im Mischverfahren“ vom 3. Januar 1995 beziehungsweise der Runderlass „Anforderungen an die Niederschlagsentwässerung im Trennverfahren“ vom 26. Mai 2004, der Runderlass „Anforderungen an den Betrieb und die Unterhaltung von Kanalisationsnetzen“ vom 3. Januar 1995 und die Selbstüberwachungsverordnung Abwasser (SüwVO Abw) vom 17. Oktober 2013. Für die weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 13 des Verwaltungsvorgangs (Beiakte Heft 1) Bezug genommen. Diesem Antrag entsprechend ist im „Prüfvermerk Mischsystem“ für die Kanalisationsnetze 966004/033 bis 035 unter Ziffer 2 das Feld „erfüllt: Selbstüberwachungsverordnung Abwasser vom 17.10.2013“ mit „ja“ angekreuzt. Für die weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 14 f. des Verwaltungsvorgangs (Beiakte Heft 1) Bezug genommen. Mit Schreiben vom 24. August 2021 übersandte der Kläger die „Neu-/Änderungserklärung für Mischkanalisation“ zum Antrag auf Befreiung von der Abwasserabgabe hinsichtlich des Kanalisationsnetzes 034. Hierin kreuzte er unter Ziffer 7.1 das Feld „Sind Überwachungsumfang und -häufigkeit gemäß der Anlage 1 zur SüwVO Abw oder nach den Anweisungen für Selbstüberwachung eingehalten?“ mit „ja“ an (vg. Beiakte Heft 1 Bl. 5).
5Mit Bescheid vom 9. Februar 2022 setzte der Beklagte für das Veranlagungsjahr 2020 und die Kanalisationsnetze 966004/033 bis 966004/035 keine Abwasserabgaben fest und gab die Begründung bei, die Voraussetzungen des § 8 Abs. 2 AbwAG NR seien erfüllt.
6Anlässlich des Antragsverfahrens zur Befreiung von der Abwasserabgabe für das Netz 966004/032 für das Jahr 2021 fiel bei dem Beklagten auf, dass bis zum 31. Dezember 2020 nicht das gesamte gemeindliche Kanalnetz überprüft wurde, sondern die Untersuchungsquote lediglich 96 Prozent betrug. Mit Schreiben der Bezirksregierung G. an die Stadt K. vom 14. November 2022 (vgl. Beiakte Heft 1 Bl. 17 f.) und in einem anschließenden Gespräch am 29. November 2022 (vgl. Beiakte Heft 1 Bl. 19 f.) teilte der Beklagte der Gemeinde mit, diese Diskrepanz sei nunmehr bekannt geworden und könne Auswirkungen auf die Befreiung von der Abwasserabgabe für das Veranlagungsjahr 2020 haben.
7Mit Bescheid vom 8. Dezember 2022 hob der Beklagte die mit Bescheid vom 9. Februar 2022 erteilte Befreiung auf. Mit Festsetzungsbescheid vom selben Tag setzte er für das Kanalisationsnetz 966004/034 eine Abwasserabgabe in Höhe von 9.693,36 Euro für das Veranlagungsjahr 2020 fest. Die Aufhebung des Befreiungsbescheids vom 9. Februar 2022 begründete er damit, dass die Voraussetzungen für die Abgabefreiheit tatsächlich nicht vorgelegen hätten. Die Kanäle seien nicht zu 100 Prozent bis zum 31. Dezember 2020 überprüft worden. Die Vorgaben der SüwVO Abw seien daher, entgegen der Erklärung des Klägers, nicht gewahrt. Die Prüfung der Regenwasserkanäle sei auf einer Strecke von 1,91 km sowie der Mischwasserkanäle auf einer Strecke von 3,66 km nicht erfolgt. Die Aufhebung stützte der Beklagte auf § 17 Nr. 1 lit. f AbwAG NRW i. V. m. § 130 AO. Für die weiteren Einzelheiten wird auf Blatt 23 f. des Verwaltungsvorgangs (Beiakte Heft 1) Bezug genommen. Den Festsetzungsbescheid vom 8. Dezember 2022 stützte der Beklagte auf §§ 1, 2, 9 Abs. 1 bis 4, 10 Abs. 3, Abs. 4, 11 und 12 AbwAG i. V. m. §§ 1, 3, 5 Abs. 5, 8 Abs. 2 bis 6, 11 und 12 AbwAG NRW. Ausweislich der als Anlage 1 dem Bescheid beigefügten Berechnungsmethode multiplizierte er die Zahl der angeschlossenen Gemeindemitglieder mit 0,12 und dieses Ergebnis, also 270,84, sodann mit 35,79. Die Festsetzung begründete er weiter damit, die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Abwasserabgabe lägen nicht vor, da die Folgeerfassung des Zustands der Kanäle nicht vollständig bis zum 31. Dezember 2020 erfolgt sei. Beide Bescheide wurden dem Kläger am 12. Dezember 2022 zugestellt.
8Am 12. Januar 2023 hat der Kläger die vorliegende Klage gegen beide Bescheide vom 8. Dezember 2022 erhoben. Zu deren Begründung trägt er vor, die Aufhebung der Befreiung von der Entrichtung der Abwasserabgabe und die Festsetzung der Abgabe in Höhe von 9.693,36 Euro seien rechtswidrig und verletzten ihn in seinen Rechten. Der Aufhebungsbescheid sei bereits wegen Ermessensnichtgebrauchs rechtswidrig. Zudem bezeichne er die Ermächtigungsgrundlage nicht konkret genug. Der maßgebliche Absatz des § 130 AO sei nicht genannt. An der Rechtswidrigkeit des Aufhebungsbescheids nähme der Festsetzungsbescheid vom 8. Dezember 2022 teil. Der wirksame und bestandskräftige Festsetzungsbescheid über die Befreiung von der Abwasserabgabe stehe einer Neufestsetzung entgegen. Weiter entfalte die gegen den Aufhebungsbescheid erhobene Klage aufschiebende Wirkung. Diese sei nicht nach § 12a AbwAG entfallen. Bereits aus diesem Grund habe keine erneute Festsetzung erfolgen können. Überdies habe er einen Anspruch auf Befreiung von der Abwasserabgabe nach § 8 Abs. 2 AbwAG NRW. Für die Erfüllung der Voraussetzungen müssten insbesondere nicht 100 Prozent der gemeindlichen Kanalisationsnetze überprüft werden. Bereits nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SüwVO Abw i.V.m. Anlage 1 Ziffer 1 der SüwVO Abw müssten jährlich nur 5 Prozent überprüft werden, innerhalb von 15 Jahren also 75 Prozent. Der Begriff „gesamte Netz“ im Sinne von Anlage 1 Ziffer 1 der SüwVO Abw meine nicht 100 Prozent des Netzes, sondern fordere eine Überwachung nur insoweit, als ein verhältnismäßiger Vollzug der Überprüfung möglich sei. Hierbei gelte der Maßstab der Zumutbarkeit. Zudem sei die Lenkungsfunktion des AbwAG zu beachten. Der Anreiz der Abgabenbefreiung könne nur dann greifen und zum Gewässerschutz beitragen, wenn die Überprüfungsverpflichtungen auf ein zumutbares und mögliches Maß begrenzt würden. Die vorliegend erreichte Überprüfungsquote von 96 Prozent sei daher ausreichend. Des Weiteren sei jedenfalls die Aufhebung der Befreiung von der Abwasserabgabe hinsichtlich des Kanalisationsnetzes 034 rechtswidrig, da dieses vollständig überprüft worden sei. Die vom Beklagten durchgeführte Gesamtbetrachtung aller gemeindliche Kanäle sei unzulässig. Vielmehr habe eine gesonderte Betrachtung der einzelnen, durch eine Nummer spezifizierten Kanalisationsnetze zu erfolgen. Dies ergebe sich unter anderem aus dem Aufbau des Antragsformulars auf Befreiung von der Abgabe, da dort für jedes Kanalisationsnetz einzeln angegeben werden müsse, ob die Regeln der Technik erfüllt seien. Auch eine Auslegung des Begriffes des Kanalisationsnetzes dahingehend, dass dies das gesamte Netz der Gemeinde erfasse, sei aufgrund verschiedener Definitionen, insbesondere derjenigen in § 1 Abs. 2 SüwVO Abw, nicht möglich.
9Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß (§ 88 VwGO),
10die dem Kläger am 12. Dezember 2022 zugestellten Bescheide des Beklagten vom 8. Dezember 2022 (Az.: 00./00000 und 00/00000) aufzuheben.
11Der Beklagte beantragt,
12die Klage abzuweisen.
13Der Beklagte ist der Ansicht, für eine Befreiung von der Entrichtung der Abwasserabgabe sei eine Überprüfung von 100 Prozent sämtlicher Kanäle des Gemeindegebiets erforderlich. Das einzelne Kanalisationsnetz, hier also das Kanalisationsnetz 034, könne nicht isoliert betrachtet werden. Vielmehr müsse das gesamte Kanalnetz der Gemeinde zu 100 Prozent befahren und überprüft worden seien, um eine Befreiung hinsichtlich des einzelnen Kanalisationsnetzes zu erteilen. Der Begriff des Kanalisationsnetzes beziehe sich im Rahmen der SüwVO Abw auf das gesamte Netz der Gemeinde. Zur Bestimmung des Begriffs des Kanalisationsnetzes sei auch Ziffer 1.3 des Runderlasses des Ministeriums für Umwelt, Raumordnung und Landwirtschaft „Anforderungen an die öffentliche Niederschlagsentwässerung im Mischverfahren“ heranzuziehen. Der Begriff der „Kanäle“ in Anlage 1 Ziffer 1 der SüwVO Abw meine die Gesamtkanallänge einer Gemeinde. Dies ergebe sich aus dem Sinn und Zweck der SüwVO Abw, da die jährliche Überprüfung von jeweils 5 Prozent eines jeden Kanalisationsnetzes nicht praktikabel wäre. Zudem führten erschwerte Umstände bei der Überprüfung nicht zu einer automatischen Verringerung des Überprüfungsumfangs. Vielmehr hätte der Kläger, sofern eine solche tatsächlich nur eingeschränkte Überprüfbarkeit gegeben sei, nach § 6 Satz 2 SüwVO Abw eine Verringerung des Umfangs der Selbstüberwachung beantragen beziehungsweise auf einen Antrag durch die Gemeinde K. hinwirken müssen.
14Die Beteiligten haben das vorliegende Verfahren als sog. „Leitverfahren“ für eine erhebliche Anzahl weiterer vor der Kammer anhängiger Streitverfahren benannt und schriftsätzlich – der Kläger mit Schriftsatz vom 17. September 2024 und der Beklagte mit Schriftsatz vom 24. September 2024 – ihr Einverständnis mit einer Entscheidung durch den Berichterstatter ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung erklärt.
15Für die weiteren Einzelheiten wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte, des beigezogenen Verwaltungsvorgangs sowie auf Blatt 44 bis 68 der beigezogenen Gerichtsakte des erkennenden Gerichts 15 K 97/23 Bezug genommen.
16Entscheidungsgründe:
17Das Gericht entscheidet durch den Berichterstatter ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung (§§ 87a Abs. 2 und 3, 101 Abs. 2 VwGO). Die Beteiligten haben hierzu ihr Einverständnis erklärt.
18Die in objektiver Klagehäufung (§ 44 VwGO) zulässigen, gegen den Aufhebungsbescheid vom 8. Dezember 2022 (dazu unter I.) und den Festsetzungsbescheid vom 8. Dezember 2022, jeweils am 12. Dezember 2022 bekannt gegeben, gerichteten Anfechtungsklagen (II.) sind unbegründet.
19I. Der Aufhebungsbescheid vom 8. Dezember 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
20Ermächtigungsgrundlage für die Aufhebung des befreienden Festsetzungsbescheids ist § 17 Nr. 1 lit. f) des Nordrhein-westfälischen Gesetzes zur Ausführung des Abwasserabgabengesetzes (Abwasserabgabengesetz Nordrhein-Westfalen - AbwAG NRW -) i.V.m. § 130 Abs. 2 Nr. 3 der Abgabenordnung (AO).
211. Der Bescheid ist formell rechtmäßig.
22Für die Rücknahme des befreienden Bescheids ist die Beklagte als diejenige Behörde zuständig, die für den Erlass des befreienden Festsetzungsbescheids zuständig war.
23Der Bescheid wahrt die erforderliche Form. Die unterbliebene Zitierung eines konkreten Absatzes des § 130 AO vermag nicht die Ansicht zu tragen, eine hinreichende Begründung nach § 17 Nr. 1 lit. f) AbwAG NRW i.V.m. § 121 AO fehle.
24Zwar umfasst das Begründungserfordernis nach § 121 AO in der Regel auch, die angewandte Rechtsgrundlage im Bescheid anzugeben. Dies dient dem Zweck, dem betroffenen Bürger eine effektive Rechtsverteidigung zu ermöglichen.
25Vgl. Vorbeck, in: König, Abgabenordnung, 5. Aufl. 2024, AO § 121 Rn. 2.
26Allerdings ist gemäß § 121 Abs. 1 AO eine Begründung nur insoweit erforderlich, wie dies zum Verständnis des Verwaltungsakts erforderlich ist. Zum Verständnis erforderlich sind alle Angaben tatsächlicher und rechtlicher Art, die dem Betroffenen die Überprüfung der Rechtmäßigkeit ermöglichen. Muss sich dem Adressaten aus seiner Kenntnis der Umstände des Einzelfalls die Begründung aufdrängen, ist eine diesbezüglich fehlende ausdrückliche Begründung unter Berücksichtigung des § 121 Abs. 2 Nr. 2 AO unschädlich.
27Vgl. Vorbeck, in: König, Abgabenordnung, 5. Aufl. 2024, AO § 121 Rn. 7.
28Ob beziehungsweise inwieweit eine Begründung zum Verständnis erforderlich ist, ist im Einzelfall jeweils nach dem individuellen Empfängerhorizont und der Verständnisfähigkeit der von dem Verwaltungsakt Betroffenen zu entscheiden.
29Vgl. Vorbeck, in: König, Abgabenordnung, 5. Aufl. 2024, AO § 121 Rn. 6.
30Vorliegend richtet sich der angefochtene Verwaltungsakt an eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und betrifft einen Kernbereich ihrer abgabenrechtlichen Aufgaben. Dem Kläger kommt gegenüber dem durchschnittlichen Bürger eine in rechtlicher Hinsicht erhöhte Verständnisfähigkeit zu. Die Begründungsanforderungen im Hinblick auf eine effektive Rechtsverteidigung des Adressaten sind daher grundsätzlich weniger streng. Überdies ist im Blick zu halten, dass der Beklagte vorliegend nicht gänzlich von der Angabe einer Rechtsgrundlage abgesehen hat. Vielmehr ist lediglich eine norminterne Konkretisierung der Rechtsgrundlage hinsichtlich des Absatzes und der angewandten Ziffer unterblieben. Durch die beigefügte Begründung in tatsächlicher Hinsicht war es dem Kläger im Lichte seiner Sachkunde möglich, ausreichend auf die konkret angewandte Grundlage schließen zu können. Der Beklagte gab als Begründung an, der befreiende Festsetzungsbescheid werde aufgehoben, da die Voraussetzungen für die Befreiung entgegen den von dem Kläger getätigten Angaben nicht erfüllt gewesen seien.
312. Der an den Voraussetzungen des § 130 Abs. 2 Nr. 3 AO i.V.m. § 17 Nr. 1 lit. f AbwAG NRW zu messende Bescheid erweist sich als materiell rechtmäßig.
32Der ursprünglich von der – nach den §§ 2 Abs. 1 Satz 1, 9 Abs. 1 des Gesetzes über Abgaben für das Einleiten von Abwasser in Gewässer (Abwasserabgabengesetz - AbwAG -) bestehenden sowie i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 3 AbwAG NRW i.V.m. § 52 Abs. 2 des Wassergesetzes für das Land Nordrhein-Westfalen (Landeswassergesetz - LWG -) auf den Kläger übertragenen – Pflicht zur Entrichtung der Abwasserabgabe befreiende Festsetzungsbescheid vom 9. Februar 2022 stellt einen begünstigenden Verwaltungsakt dar, der am materiellen Recht gemessen rechtswidrig ist. Die Voraussetzungen für eine Befreiung von der Abgabenpflicht nach § 8 Abs. 2 AbwAG NRW für die Einleitung von Niederschlagswasser durch eine öffentliche Kanalisation im Gemeindegebiet der Gemeinde K. liegen nicht vor.
332.1. Nach § 8 Abs. 2 AbwAG NRW bleibt die Einleitung von Niederschlagswasser im Sinne von § 7 AbwAG auf Antrag abgabefrei, wenn die nummerisch gefassten kumulativ notwenigen Bedingungen erfüllt sind, dass
34die Anlagen zur Beseitigung des Niederschlagswassers und deren Betrieb den Voraussetzungen des § 57 Abs. 1 Nr. 3 und des § 60 des Wasserhaushaltsgesetzes (WHG) entsprechen; solange und soweit die Bundesregierung von deren Ermächtigung zum Erlass einer Rechtsverordnung gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 5 des WHG keinen Gebrauch gemacht hat, müssen die Anlagen den nach Maßgabe des LWG eingeführten Regeln der Technik für die Trenn- und Mischkanalisation entsprechen (Nr. 1),
die Einleitung des mit Niederschlagswasser vermischten Abwassers hinsichtlich der in der Anlage zu § 3 des AbwAG genannten Parameter den Mindestanforderungen nach § 57 Abs. 1 Nr. 1 des WHG entsprechen wird (Nr. 2) und
eine Selbstüberwachung nach Maßgabe der §§ 2, 3, 5 Abs. 1, 6 Satz 2 der Selbstüberwachungsverordnung Abwasser vom 17. Oktober 2013 (GV. NRW. S. 602) - SüwVO Abw - in der jeweils geltenden Fassung erfolgt (Nr. 3).
Vorliegend ist die für einen Befreiungsanspruch notwendige Bedingung des § 8 Abs. 2 Nr. 3 AbwAG NRW nicht erfüllt.
39Die Selbstüberwachung nach Maßgabe der §§ 2, 3, 5 Abs. 1, § 6 S. 2 SüwVO Abw ist nicht in hinreichendem Maße erfolgt. Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SüwVO Abw hat der Betreiber eines Kanalisationsnetzes die Kanalisationsnetze auf Zustand und Funktionsfähigkeit selbst zu überwachen. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 SüwVO Abw ergeben sich die zu beobachtenden Einrichtungen, der Prüfungsumfang und die Häufigkeit der Prüfung aus der Anlage 1 zur SüwVO Abw. Nach Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw hat bei Kanälen, einschließlich der Einbindungen der Anschlusskanäle, eine „Prüfung des Zustandes nach Abschluss der Ersterfassung (01.01.2006 bis 31.12.2020 und danach alle 15 Jahre)“ zu erfolgen. Für die Häufigkeit dieser Prüfung ist vorgegeben, dass „jährlich fünf Prozent der Kanäle, das gesamte Netz aber alle 15 Jahre“ zu überprüfen sind.
402.1.1. Die vom Verordnungsgeber in der Rechtsverordnung verwendeten Begriffe sind, anders als der Kläger meint, im Streitfall einer Auslegung unter Heranziehung der herkömmlichen Auslegungsmethoden zugänglich. Bei der Rechtsverordnung handelt es sich normativ nicht um ein technisches Regelwerk handeln, wie etwa in bestimmten Bereichen des Umwelt- und Technikrechts bestimmten Privaten kraft größerer Sachnähe die Befugnis übertragen ist, Anforderungen an die regelhafte Anlagenausgestaltung zu konkretisieren. Ebenso handelt es sich nicht um technische Regeln auf Erlassebene, denen als Verwaltungsvorschriften ohnehin eine Bindungswirkung gegenüber den Gerichten lediglich in Fällen normativ vorgesehener Konkretisierungsfunktionen zukommen kann. Die Selbstüberwachungsverordnung Abwasser ist eine Rechtsverordnung, dies dürfte entscheidend sein.
41Die in Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw enthaltenen Maßgaben sind nicht eingehalten. Der Kläger hat lediglich etwa 96 Prozent des gesamten Netzes in der vorgegebenen Zeit bis zum 31. Dezember 2020 überprüft.
42Der Begriff des „gesamten Netzes“ ist unter Anwendung der herkömmlichen Auslegungsmetoden so zu bestimmen, dass tatsächlich 100 Prozent überprüft werden müssen und nicht nur beinahe 100 Prozent oder etwa – wie der Kläger auch vorbringt – bloß 75 Prozent.
43Vgl. VG Minden, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 11 K 1683/08 – juris Rn. 14 f.
44Zwar trifft der Vortrag des Klägers, bei einer jährlichen Untersuchungsquote von exakt fünf Prozent seien nach 15 Jahren lediglich 75 Prozent überprüft, rechnerisch zu. Diese Vorgehensweise zur Bestimmung des Inhalts des Begriffs „das gesamte Netz“ in Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw vermag jedoch keine hinreichende Stütze in den gesetzlichen Auslegungsmethoden zu finden, wie deren nähere Beleuchtung zeigt:
45Der zur (quantitativen) Regelung der Anforderungen an die Häufigkeit der Selbstüberwachung in Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw („jährlich fünf Prozent der Kanäle, das gesamte Netz aber alle 15 Jahre“) durch den Verordnungsgeber gewählte Wortlaut verdeutlicht, dass der Begriff „das gesamte Netz“ mehr erfasst als die schlichte Summe von jährlich addierten fünf Prozent über einen Zeitraum von 15 Jahren. Durch den Gebrauch der Konjunktion „aber“ zur sprachlichen Verbindung der quantitativen Maßgabe „jährlich fünf Prozent der Kanäle,“ mit dem weiteren Satzteil „das gesamte Netz aber alle 15 Jahre“ stellt diese beiden Satzteile in einen Gegensatz. Die Wortbedeutung des verwendeten Wortes „aber“ lässt sich auch durch die Synonyme „indes“ oder „jedoch“ beschreiben. Diese grammatikalische Auslegung stellt den Regelungsinhalt von Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw als grundsätzlich erforderliche quantitative Überprüfung von (zwar nur) fünf Prozent in einem einzelnen Jahr dar, um für dieses jeweilige Jahr den Mindestanforderungen gerecht zu werden. Indes („aber“) ist „das gesamte Netz“ der Kanäle innerhalb von jeweils 15 Jahren vollständig zu überprüfen. Mit der vorstehend als zweiten Satzteil dargestellten Regelung ist nach dem Normwortlaut grammatikalisch sichergestellt, dass die Überprüfung von jährlich fünf Prozent zwar eine notwendige Bedingung der rechtskonformen Selbstüberwachung für die jährliche Betrachtungsweise ist, für den Betrachtungszeitraum von 15 Jahren jedoch keine hinreichende Bedingung. Diese ist grammatikalisch gegenübergestellt („aber“) mehr, weil sie „das gesamte Netz“ umfasst.
46Der Normzweck der SüwVO Abw steht einer Auslegung des Begriffs „das gesamte Netz“ entgegen, die 75 Prozent des Netzes als Gesamtheit der Kanäle verstünde. Die SüwVO Abw dient der umfassenden Selbstüberwachung zur effektiven Verringerung der Schadstoffeinleitung in Gewässer. Dieser Zweck wird bei einer Überwachung von nur drei Vierteln des Kanalnetzes nicht effektiv erfüllt.
47Eine teleologische Reduktion anhand des Zumutbarkeitsmaßstabs, die nach dem Vorbringen des Klägers dazu führen solle, die hiesige Überprüfung von 96 Prozent des Netzes als Gesamtheit des Netzes aufzufassen, ist nicht angezeigt. Hierzu ist zunächst zu sehen, dass es zwar nicht fernliegend ist, denjenigen Betreibern bzw. Abwasserabgabepflichtigen, deren Netz teilweise nur schwer oder überhaupt nicht erreichbar ist, und die folglich praktisch keine einhundertprozentige Überprüfung des gesamten Netzes erreichen können, eine normzweckgemäße Entlastung nicht zu verwehren, solange das tatsächlich erreichbare Netz alle 15 Jahre vollständig überprüft wird. Einem Abgabenpflichtigen, der seine Überwachungspflicht im Rahmen des tatsächlich Möglichen vollständig erfüllt, ist die Möglichkeit einzuräumen, eine Befreiung von der Abwasserabgabepflicht zu erlangen. Dies entspricht dem Normzweck, für den Kreis dieser Abgabepflichtigen den Anreiz zur Selbstüberwachung aufrechtzuerhalten. Hierzu bedarf es jedoch keiner teleologischen Reduktion von Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw hinsichtlich des Begriffs „das gesamte Netz“. Eine planwidrige Regelungslücke ist nicht festzustellen. Der Verordnungsgeber hatte diese tatsächliche Problematik im Blick und zu ihrer rechtlichen Regelung in § 6 Satz 1 und Satz 2 SüwVO Abw die Möglichkeit geschaffen, auf Antrag eine Verringerung des Umfangs der Selbstüberwachung zu erwirken. § 8 Abs. 2 Nr. 3 AbwAG NRW verweist auf § 6 Satz 2 SüwVO Abw. Nach dieser Regelung kann die zuständige Wasserbehörde den Umfang der Selbstüberwachung verringern.
48Die Gemeinde K. als Betreiberin der Kanäle hat einen solchen Antrag nicht gestellt. Der Kläger als abwasserabgabepflichtiger sondergesetzlicher Abwasserverband hat jedenfalls bisher weder dargelegt, auf die Gemeinde K. eingewirkt zu haben, einen solchen Antrag zu stellen, noch, dass die Gemeinde K. sich geweigert habe, einen solchen Antrag zu stellen. Die Auswirkungen einer solchen Konstellation auf die Abgabepflicht des Klägers kann daher vorliegend offenbleiben. Überdies sind die in der Klageschrift vom 15. Februar 2023 auf Seite 2 vorgetragenen tatsächlichen Umstände nicht nur ihrer Art nach solche, die der Gemeinde im maßgeblichen Überprüfungszeitraum bekannt waren. Der Kläger bezieht sich selbst auf deren Angaben.
49Der Lenkungszweck des Abwasserabgabenrechtes kann entgegen der Ansicht des Klägers nicht mit Erfolg bemüht werden, den Begriff „das gesamte Netz“ in Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw dahin auszulegen, dass er auch eine Überprüfung von 96 Prozent der Kanäle erfasse.
50Wenngleich in der Literatur darauf hingewiesen wird, dass die Abwasserabgabe ihre Funktion als finanzrechtliches Instrument, ökonomisch unterstützend für das wasserrechtliche Ordnungsrecht habe,
51vgl. Köhler/Meyer, AbwAG, 2. Aufl. 2006, Einl. Rn. 41,
52strebt das der Selbstüberwachungsverordnung Abwasser zu Grunde liegende Abwasserabgabenrecht in erster Linie an, die Einleitung von Abwasser in oberirdische Gewässer, Küstengewässer oder in das Grundwasser zu vermeiden,
53vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Oktober 1997 – 8 C 26.96 –, juris Rn. 15, zum AbwAG; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 15. März 2024 – 15 K 269/19 –, UA S. 22,
54bzw. die Schadstoffbelastung der Gewässer zurückzudrängen.
55Vgl. Köhler/Meyer, AbwAG, 2. Aufl. 2006, Einl. Rn. 42.
56Die auf Effizienz angelegte Anreizregulierung im Abwasserabgabenrecht vermag keine teleologische Reduktion des Begriffs „das gesamte Netz“ in der Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw zu tragen, die eine Überwachungsleistung durch Abgabenbefreiung honoriert, wenngleich sie hinter einer effizienten Überwachung zurückbleibt. Mit anderen Worten: Der Verordnungsgeber hat die Anreizregulierung des Abwasserabgabenrechts dahingehend konkretisiert, dass – vorbehaltlich einer Umfangreduzierung nach § 6 Satz 2 SüwVO Abw – alle 15 Jahre das gesamte Netz überprüft wird. Hierin geht die Lenkungsfunktion der Abwasserabgabe auf. Für eine (weitere) Reduzierung dieses geregelten Überprüfungsumfangs lässt sich aus dem dargestellten Regelungszweck nichts ableiten.
57Des Weiteren ist im Rahmen der Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw keine isolierte Betrachtung des Kanalisationsnetzes mit der Ziffer 034 möglich. Die Befreiung eines einzelnen Kanalisationsnetzes ist nur möglich, wenn hierfür die oben genannten Voraussetzungen vorliegen. Dies umfasst das Erfordernis, dass „das gesamte Netz“ überprüft sein muss. Dieser Begriff sowie der Begriff der „Kanäle“ in Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw erfasst die Gesamtkanallänge des Gemeindegebiets als technisch-physische Einrichtung. Hingegen ist hiervon nicht ein einzelnes, bloß verwaltungstechnisch „gebildetes“ und durch eine Ziffer individualisiertes Kanalisationsnetz erfasst. Im vorliegenden Fall sind damit die Kanalisationsnetze mit den Ziffern 008, 032, 033, 034 und 035 die „Kanäle“ der Gemeinde i.S.v. Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw, deren vollständige Überprüfung zum 15-Jahresstichstag eine notwendige Bedingung für die begehrte Abwasserabgabenbefreiung ist.
58Unabhängig davon, dass für die Auslegungen von Rechtsbegriffen die sie enthaltenen Normen sowie die Materialien über die Vorgänge der Normsetzung maßgeblich sind, an denen die herkömmlichen Auslegungsmethoden ansetzen, und nicht die Normanwendung durch die Exekutive, belegen die verwaltungsseitig bereitgestellten Antragsunterlagen kein anderes Verständnis. Der Aufbau des Antragsformulars für die Beantragung der Befreiung von der Abgabepflicht lässt – entgegen des Vortrags des Klägers – nicht den Rückschluss zu, das Kanalisationsnetz 034 sei das „gesamte Netz“ im Sinne von § 2 Abs. 1 i.V.m. Anlage 1 Ziff. 1 SüwVO Abw und als solches unabhängig von den anderen bezifferten Kanalisationsnetzen befreiungsfähig. Zwar werden in dem Antragsformular „Vereinfachte Abgabeerklärung der Niederschlagspauschale für öffentliche Kanalisationsnetze“ die „Kanalisationsnetze“ je einzeln mit ihrer zugewiesenen Nummer aufgeführt. Allerdings waren sämtliche Kanalisationsnetze der Gemeinde K. gemeinsam in einem Antrag aufzuführen, was wiederum nahelegt, dass das Gesamtnetz einer Gemeinde auch aus Verwaltungssicht entscheidungserheblich ist und nicht das einzelne bezifferte Kanalisationsnetz.
59Insbesondere aus der SüwVO Abw selbst ergibt sich demgegenüber systematisch, dass mit dem Begriff der „Kanäle“ und dem Begriff „das gesamte Netz“ die Gesamtheit der Kanäle einer Gemeinde gemeint ist. Der sich aus Anlage 1 Ziff. 1 SüwVO Abw ergebende Prüfungsumfang und deren Häufigkeit beziehen sich ausweislich § 2 Abs. 1 Satz 1 SüwVO Abw auf „Kanalisationsnetze“, deren Zustand und Funktionsfähigkeit nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 SüwVO Abw zu überwachen sind. Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 SüwVO Abw sind Kanalisationsnetze für die öffentliche Abwasserbeseitigung Einrichtungen, die der Abwasserentsorgung der Allgemeinheit dienen. Gemäß § 1 Abs. 2 Satz 2 SüwVO Abw müssen diese Einrichtungen in Erfüllung der Abwasserbeseitigungspflicht dazu dienen, das Abwasser von Grundstücken eines festgelegten Gebietes zu sammeln und fortzuleiten.
60Auf diese Regelung in § 1 Abs. 2 SüwVO Abw kann zur Begriffsbestimmung des Kanalisationsnetzes zurückgegriffen werden. Zwar ist dem Kläger zuzugeben, dass § 8 Abs. 2 Nr. 3 AbwAG NRW nicht auf § 1 Abs. 2 SüwVO Abw verweist. Jedoch ist mangels anderer Hinweise davon auszugehen, dass der Verordnungsgeber den ebenfalls in § 2 SüwVO Abw verwendeten Begriff des Kanalisationsnetzes innerhalb des Regelwerks der Selbstüberwachungsverordnung Abwasser mit einem einheitlichen Begriffsverständnis verwendet. Dies erlaubt, für die Konkretisierung und Bestimmung des in § 2 SüwVO Abw verwendeten Begriffs auf § 1 Abs. 2 SüwVO Abw zurückzugreifen.
61Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SüwVO Abw hat der Betreiber eines Kanalisationsnetzes die „Kanalisationsnetze“ zu überwachen. Der Normtext verwendet hier ausdrücklich den Plural. Nach dem Wortlaut erfasst die Überwachungspflicht des Betreibers demnach alle seine Kanalisationsnetze. Der Normwortlaut stellt gerade nicht auf die Überprüfung lediglich einzelner Kanalisationsnetze oder eines Anteils der Gesamtheit an Kanalisationsnetzen ab. In der regelungswerkinneren und zugleich normübergreifenden Systematik der Selbstüberwachungsverordnung Abwasser erscheint nur folgerichtig, den Begriff „Kanäle“ beziehungsweise „das gesamte Netz“ in Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw, in der diese Überprüfungspflicht konkretisiert wird, auf die Gesamtheit der „Kanalisationsnetze“ des Betreibers zu beziehen und nicht nur auf ein einzelnes Kanalisationsnetz. Im anderen Fall verringerte sich die von § 2 Abs. 1 Satz 1 SüwVO Abw angeordnete umfangreiche Prüfpflicht in Anlage 1 Ziff. 1 der SüwVO Abw, ohne hierfür einen Anhalt in der Konkretisierungsregelung zu finden. Eine dahingehende Erwägung kann dem Verordnungsgeber nicht still beigelegt werden.
62Die vorstehende Auslegung findet eine weitere Stütze in § 2 Abs. 1 Satz 1 SüwVO Abw, weil die Norm auf die Kanalisationsnetze des „Betreibers“ abstellt. Handelt es sich bei dem Betreiber, wie herkömmlicherweise bei öffentlicher Kanalisation (vgl. § 9 Gemeindeordnung NRW), um eine Gemeinde, so erfasst § 2 Abs. 1 Satz 1 SüwVO Abw mangels Einschränkung alle Kanalisationsnetze der Gemeinde. Vorliegend erfasst die Überprüfungspflicht danach alle Kanalisationsnetze im Gemeindegebiet der Gemeinde K.. Die getrennte Betrachtung einzelner Kanalisationsnetze des Betreibers findet im Wortlaut der Norm keine Stütze.
63Der Regelungszweck der SüwVO Abw stützt diese Auslegung. Nur ein Überwachungsumfang bzgl. sämtlicher Kanalisationsnetze eines Gemeindegebiets gewährleistet eine umfassende Überprüfung des Zustands und der Funktionsfähigkeit des gemeindeweiten Kanalnetzes und mithin eine sichere und möglichst schadstoffmindernde Abwassereinleitung. Die SüwVO Abw ist ein wichtiges Instrument, um nachteilige Stoffeinträge in das Gewässer zu verhindern oder zumindest zu minimieren.
64Vgl. Spillecke, 1. Aufl. 2022, Landeswassergesetz NRW, § 59 Rn. 8.
65Damit verträgt sich nicht, jeweils einzelne verwaltungstechnisch gebildete und bezifferte „Kanalisationsnetze“ einer Gemeinde zu betrachten, da dies zu der Aufspaltung eines zusammenhängenden gemeindlichen Kanalnetzes führt. Das abwasserabgabenrechtliche Gebot einer effektiven Überwachung steht einer solchen Auftrennung entgegen.
662.1.2. Hiervon zu unterscheiden dürften die – gegebenenfalls an anderer Stelle entscheidungserheblichen – Fälle technisch vollständig nicht in einem tatsächlichen Zusammenhang stehenden Kanalisationsanlagen innerhalb eines Gemeindegebietes sein, wenn sie in unterschiedliche Abwasserbehandlungsanlagen einleiten; zumal wenn sie hinsichtlich der Abgabenpflicht verschiedenen Abwasserverbänden zugewiesen sind. In diesen Fällen könnte – ohne dies wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit im vorliegenden Verfahren abschließend ausführen zu müssen – eine teleologische Reduzierung des Begriffs „das gesamte Netz“ in Betracht kommen, weil der Normzweck der Anreizregulierung für den Abwasserabgabepflichtigen an die Einleitung in Abwasserbehandlungsanlagen anknüpft und der Begriff des „Netzes“ eine physische Verbindung der Kanäle und Sonderbauwerke erfordern dürfte. Voneinander getrennte in keinerlei technischem Zusammenhang miteinander stehende und in verschiedene Abwasserbehandlungsanlagen einleitende Kanalisationsnetze einer Gemeinde dürften nach dem Normzweck als unterschiedliche/voneinander unabhängige gesamte Netze anzusehen sein. Insoweit könnte Anlage 1 Ziff. 1 SüwVO Abw teleologisch zu reduzieren sein.
67Systematisch korrespondierte dies mit der Verrechnungsmöglichkeit von Investitionen für die Errichtung von Abwasserbehandlungsanlagen in § 8 Abs. 6 Satz 1 AbwAG NRW mit der für das Einleiten von Niederschlagswasser aus dem Kanalisationsnetz in diese Abwasserbehandlungsanlage geschuldeten Abgabe. Dies betrifft die von der Reinigungsleistung erfassten an die Abwasserbehandlungsanlage angeschlossenen Kanalisationsnetze.
68Ein solcher Fall liegt hier jedoch nicht vor. Zwar leiten die Kanalisationsnetze 008 und 032 in andere Abwasserbehandlungsanlagen ein (008 in die KA B. und 032 in die KA T.. Allerdings leiten die Kanalisationsnetze 033 und 035 in dieselbe Abwasserbehandlungsanlage ein, wie das streitbefangene Kanalisationsnetz 034, in die KA L. (vgl. Anlage 1, Vereinfachte Abgabeerklärung der Niederschlagspauschale für öffentliche Kanalisationsnetze).
692.1.3. Für den hier zu beurteilenden Fall ist der Auffassung des Klägers, eine isolierte Betrachtung der in einer Gemeinde verwaltungstechnisch gebildeter Kanalisationsnetze entspräche eher dem Lenkungszweck des Abwasserabgabenrechts, nicht beizutreten. Im Gegenteil kann die getrennte Betrachtung einzelner Kanalisationsnetze des Kanalnetzes innerhalb einer Gemeinde im Extremfall zu der Situation führen, dass ein einzelnes Kanalisationsnetz zu 100 Prozent überprüft wird und andere, insbesondere kleinere, Kanalisationsnetze nicht, etwa, wenn sich dies finanziell kaum rentiert. Eine Befreiung von der Abgabepflicht für das eine überprüfte Kanalisationsnetz, obwohl die Abwasserbeseitigung auf der gemeindlichen Ebene über ein zusammenhängendes Netz im Übrigen teilweise ohne jegliche Überwachung der Funktionsfähigkeit bliebe, wäre nicht zweckwahrend. Dies gilt gerade, wenn die einzelnen Kanalisationsnetze in dieselbe Abwasserbehandlungsanlage einleiten, wie vorliegend etwa die Kanalisationsnetze 033, 034 und 035. Für eine echte Anreizwirkung der Selbstüberwachung und um gleichzeitig den Gewässerschutz zu achten, ist auf das gesamte Kanalnetz einer Gemeinde abzustellen; jedenfalls insoweit, wie die Kanalisationsnetze in dieselbe Abwasseranlage einleiten (s.o. unter 2.1.2. zu einer normzweckorientierten Ausnahme).
70Grundsätzlich ist für die Überprüfung kleiner Kanalisationsnetze ein effektiver Anreiz nur gesetzt, wenn sich eine unterlassene Überwachung für den Betreiber finanziell spürbar auswirkt, d.h. Auswirkungen auf die Befreiung anderer Kanalisationsnetze des Gemeindegebiets hat. Soweit eine Überprüfung von Teilen des Kanalnetzes unzumutbar sein sollte, besteht in diesen Fällen weiterhin die Möglichkeit, eine Verringerung des Überprüfungsumfangs nach § 6 Satz 2 SüwVO Abw zu beantragen.
71Hinzu kommt, dass die Prüfungshäufigkeit nach Anlage 1 Ziff. 1 SüwVO Abw bei einer Rechtsfolgenbetrachtung nicht auf ein einzelnes Kanalisationsnetz ausgelegt ist, sondern auf die Gesamtkanallänge eines gemeindlichen Netzes. Die Anforderung, jährlich fünf Prozent „der Kanäle“ zu überprüfen, erwiese sich nicht als praxistauglich, stellte man auf die einzelnen Kanalisationsnetze ab. In diesem Fall wäre ein jedes Kanalisationsnetz jedes Jahr abschnittweise zu prüfen. Eine solche nicht praktikabel erscheinende Rechtsfolge kann dem Verordnungsgeber nicht als gewollt unterstellt werden. Näher liegt, eine sukzessive Überprüfung des gesamten Netzes über 15 Jahre, mit einer jährlichen Mindestquote, zuzulassen, zum Ende des Gesamtzeitraums jedoch eine vollständige Gesamtüberprüfung zu fordern.
72Eine andere Bewertung folgt nicht aus dem vom Kläger angeführten Auszug aus dem Urteil des VG Aachen vom 21. November 2022 – 7 K 3078/20 –, UA S. 21. Die zitierte Passage,
73„So erfolgte für die Stadt [...] nicht nur die Netzanzeige für das Kanalisationsnetz 002, welches hier streitbefangen ist, sondern für insgesamt sieben Kanalisationsnetze. Würde für jedes Regenüberlaufbecken oder Sonderbauwerk ein Antragsverfahren durchgeführt werden müssen, würde sich der ohnehin erhebliche Prüfungsaufwand für alle Beteiligten vervielfachen“, (vgl. Gerichtsakte Bl. 48, klägerischer Schriftsatz vom 30. Mai 2023, Seite 3 von 3),
74stellt zunächst lediglich eine Subsumtionserwägung dar, auf die für die Bildung von Rechtsmaßstäben nicht zurückgegriffen werden kann. Zudem schließt sie an die Maßgabe an, der Genuss einer Befreiung von der Abwasserabgabe sei,
75„nur demjenigen zu gewähren, der mit größtmöglichem zumutbaren Aufwand sowohl bei der Vermeidung von Schadstoffeinleitungen als auch hinsichtlich der Gewässerverträglichkeit seiner Einleitungen vorgeht und dies für sämtliche Anlagen tut, mit denen er Niederschlagswasser einleitet“ (Unterstreichungen nur hier, vgl. Urteil des VG Aachen vom 21. November 2022 – 7 K 3078/20 – UA S. 21, Anlage B 1 zum Schriftsatz vom 4. Mai 2023, GA 15 K 97/23, Bl. 64).
76Hieraus lässt sich gerade nicht schließen, jedes Kanalisationsnetz sei isoliert zu betrachten, ohne dass es auf das gemeindliche Gesamtkanalnetz ankäme. Zwar kann ein einzelnes Kanalisationsnetz befreit werden. Dies kann indes nur erfolgen, wenn die entsprechenden gesetzlichen Voraussetzungen vorliegen, also die vollständige Überprüfung des gemeindlichen Netzes. In dem vorerwähnten Urteil des Verwaltungsgerichts Aachen kommt gerade zum Ausdruck, dass auch Sonderbauwerke und Regenüberlaufbecken – als Bauwerke der Kanalisation (vgl. § 4 Abs. 1 Satz 3 SüwVO Abw) – zu einem Kanalisationsnetz gehören und deshalb für sie kein eigenes Antragsverfahren durchzuführen ist. Die Überprüfungspflicht für Sonderbauwerke folgt aus § 2 Abs. 1 SüwVO Abw i.V.m. Anlage 1 SüwVO Abw.
77Bereits der Begriff „das gesamte Kanalnetz“ in der Vorgängerregel in Anlage 1 Ziff. 1 SüwV Kan zur Regelung der Überwachungshäufigkeit von „jährlich 10% der Kanäle, d. h. das gesamte Kanalnetz innerhalb von 10 Jahren“ wurde im Sinne des Gemeindenetzes ausgelegt.
78Vgl. VG Minden, Urteil vom 17. Dezember 2008 – 11 K 1683/08 –; VG Köln, Urteil vom 12. August 2003 – 14 K 273/01 –.
792.2. Der Kläger hat den Festsetzungsbescheid durch in wesentlicher Beziehung unrichtige Angaben erwirkt.
80Dies ist der Fall, wenn die Angaben in objektiver Hinsicht unrichtig und entscheidungserheblich waren. Eine unlautere Absicht ist hierfür nicht erforderlich.
81Vgl. Rüsken, in: Klein AO, 17. Aufl. 2023, § 130 Rn. 51.
82Der Kläger hat in dem Antrag auf Befreiung von der Abwasserabgabe vom 19. März 2021 für die Kanalisationsnetze 008, 032, 033, 034 und 035 jeweils das Feld „Regeln der Technik erfüllt“ mit „ja“ angekreuzt. Die hiermit in Bezug genommen, über § 8 Abs. 2 Nr. 3 AbwAG NRW zur notwendigen Bedingung für eine Abgabenbefreiung erhobenen, Anforderungen der SüwVO Abw waren indes nicht erfüllt. Das gesamte Kanalnetz der Gemeinde im Sinne von Anlage 1 Ziff. 1 SüwVO Abw war nicht bis zum 31. Dezember 2020 überprüft worden.
83Die Frist nach § 130 Abs. 3 AO ist gewahrt. Hiernach ist die Rücknahme nur innerhalb eines Jahres seit dem Zeitpunkt der Kenntnisnahme zulässig, wenn die Finanzbehörde von Tatsachen Kenntnis erlangt, welche die Rücknahme eines begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsaktes rechtfertigen. Der Beklagte als zuständige Behörde erhielt erst nach dem Antrag des Klägers auf Befreiung für das Kalenderjahr 2021, also nach dem 28. September 2022, Kenntnis von der Unrichtigkeit der Angabe über die Überprüfung der Kanäle. Bei Erlass des Rücknahmebescheids am 8. Dezember 2022 beziehungsweise dessen Zustellung am 12. Dezember 2022 war die Jahresfrist nicht verstrichen.
842.3. Die Rücknahme stellt eine ordnungsgemäß angeordnete Rechtsfolge dar. Ermessensfehler (§ 114 Satz 1 VwGO) im vorliegenden Maßstab des intendierten Ermessens sind nicht festzustellen. Ein außergewöhnlicher Sonderfall, der die Prüfung schutzwürdiger Interessen des Klägers erforderte, ist nicht anzunehmen. Der Einwand des Klägers, es habe sich um eine unklare Rechtslage gehandelt, stellt keinen solchen Sonderfall dar. Zum einen können nur tatsächliche Umstände einen solchen Sonderfall tragen. Zum anderen hatte die Rechtsprechung bereits ausgeführt, dass bei der Entscheidung über die Befreiung von der Abwasserabgabe auf die Überprüfung des gesamten gemeindlichen Netzes abzustellen ist.
85Vgl. VG Köln, Urteil vom 12. August 2003 – 14 K 273/01 –.
86II. Der Festsetzungsbescheid vom 8. Dezember 2022, dem die §§ 1, 2, 9 Abs. 1 bis Abs. 4, 10 Abs. 3, Abs. 4, 11, 12 AbwAG i. V. m. §§ 1, 3, 5 Abs. 5, 8 Abs. 2 bis Abs. 6, 11, 12 AbwAG NRW als Rechtsgrundlagen zugrunde liegen, ist ebenso rechtmäßig.
87Der Bescheid, gegen den in formeller Hinsicht keine Bedenken bestehen, ist materiell rechtmäßig.
88Die nach § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO gegebene aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage gegen den Rücknahmebescheid hat der Abgabenfestsetzung nicht entgegengestanden. Sie führt lediglich dazu, dass der angefochtene Verwaltungsakt vorläufig nicht vollzogen werden darf.
89Vgl. VG Düsseldorf, Urteil vom 27. Februar 2024 – 3 K 8182/23 –, juris Rn 57.
90Die Wirksamkeit des angefochtenen Verwaltungsakts wird nicht gehemmt, sondern dessen Vollziehbarkeit.
91Vgl. BVerwG, Urteile vom 17. August 1995 – 3 C 17.94 –, juris Rn. 32, und vom 21. Juni 1961 – VIII C 398.59 –, juris Rn. 28 ff.
92Bei rechtsgestaltenden Verwaltungsakten, wie dem vorliegenden Rücknahmebescheid, haben wegen der Vollziehbarkeitshemmung vor allem vollziehbare Nebenfolgen zu unterbleiben.
93Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. Juni 1961 – VIII C 398.59 –, juris Rn. 30; Schoch, in: Schoch/Schneider VwGO, Stand: 45. EL Januar 2024, § 80 Rn. 91
94Die Gestaltungswirkung des Verwaltungsakts bleibt unberührt.
95Vgl. Schoch, in: Schoch/Schneider VwGO, Stand: 45. EL Januar 2024, § 80 Rn. 96.
96Die gehemmte Vollziehung eines Verwaltungsakts meint die einseitige Durchsetzung der im Bescheid getroffenen Regelung mit hoheitlichen Mitteln, etwa im Wege der Verwaltungsvollstreckung.
97BVerwG, Urteil vom 20. November 2008 – 3 C 13.08 –, juris Rn. 8.
98Der trotz aufschiebender Wirkung der gegen ihn gerichteten Klage wirksam bleibende Rücknahmebescheid vom 8. Dezember 2022 ist demnach an die Stelle des aufgehobenen Festsetzungsbescheids vom 9. Februar 2022 getreten, durch den der Kläger von seiner Abwasserabgabenpflicht befreit wurde. Die Festsetzung der neuen Abgabe stellt keine vollziehbare Nebenfolge beziehungsweise keine Folgemaßnahme dar, sondern die Konkretisierung der gesetzlichen Abgabepflicht auf einen konkreten Betrag, der durch die vormalige Befreiung auf 0,00 Euro festgesetzt war.
99Die Festsetzung ist ein weiterer Teil der „Rückabwicklung“ der zu Unrecht ergangenen Befreiung und damit eine eigenständige weitere Regelung und nicht die Vollziehung der Rücknahme.
100Vgl. BVerwG, Urteil vom 17. August 1995 – 3 C 17.94 –, juris Rn. 34 ff., wonach ein Zinsbescheid nicht die Vollziehung eines angefochtenen Beihilfenrückforderungsbescheids ist.
101Der Beklagte hätte die vorliegend angefochtene, konkretisierte Festsetzung der Abwasserabgabe i.H.v. 9.693,36 Euro ebenso mit der Aufhebung des befreienden Festsetzungsbescheids in einem Bescheid verbunden verfügen dürfen.
102Der Tatbestand der Rechtsgrundlage ist erfüllt. Der Kläger ist abgabepflichtig. Gegen die Abgabenhöhe ist weder etwas vorgetragen noch sonst ersichtlich.
103III. Die Kostenentscheidung beruht zu Lasten des unterlegenen Klägers auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 2 und 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2, 108 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung.
104IV. Die Berufung war gemäß §§ 124 Abs. 2 Nr. 3, 124a Abs. 1 VwGO zuzulassen, weil der Rechtssache grundsätzliche Bedeutung zukommt. Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine im Berufungsverfahren klärungsbedürftige und für die Entscheidung dieses Verfahrens erhebliche Rechts- oder Tatsachenfrage aufwirft, deren Beantwortung über den konkreten Fall hinaus wesentliche Bedeutung für die einheitliche Anwendung oder Weiterentwicklung des Rechts hat.
105OVG NRW, Beschluss vom 8. Dezember 2009 – 9 A 604/09 –, juris Rn. 5.
106Die vorstehend behandelte Rechtsfrage zur Auslegung der Selbstüberwachungsverordnung Abwasser ist entscheidungserheblich für den vorliegend klägerseits erhobenen Anspruch auf Befreiung von der Abwasserabgabe und hat Bedeutung über den Einzelfall hinaus. Der Kammer liegen mittlerweile über 100 Verfahren mit – jedenfalls auch – dieser Rechtsfrage zur Entscheidung vor.
107Rechtsmittelbelehrung:
108Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster zu.
109Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen und muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
110Die Berufung ist innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten sowie die im Einzelnen anzuführenden Gründe der Anfechtung (Berufungsgründe). Die Begründung ist, wenn sie nicht zugleich mit der Einlegung der Berufung erfolgt, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
111Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
112Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.