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1. Die Aufnahme der Ausbildungsförderung in § 188 Satz 1 VwGO aufgrund Zuordnung zur allgemeinen öffentlichen Fürsorge (Regelungszweck) prägt die Auslegung und Anwendung der Norm bei der Frage, ob ein Rechtsgebiet mit gewissem Bezug zu "Ausbildungen" oder zur "Ausbildungsförderung" gerichtskostenfrei ist.
2. Die Darlehensgewährung über die Deutsche Ausgleichsbank/KfW unter Absicherung einer Bundesgarantie, für deren Einstehen die Bundesrepublik Deutschland Zinsforderungen im Klagewege geltend macht, ist keine Angelegenheit der allgemeinen Fürsorge oder der Ausbildungsförderung. Streitigkeiten über solche Zinsforderungen haben keine Durchsetzung sozialer Ansprüche zum Gegenstand und sind daher nicht gerichtskostenfrei nach § 188 Satz 2 VwGO.
Die Erinnerung gegen den Kostenansatz des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen und die hierauf beruhende Kostenrechnung vom 9. Januar 2024 (Kassenzeichen 000 000 0) wird als unbegründet zurückgewiesen.
Gründe:
2Die Entscheidung ergeht durch die Kammer, ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter, weil der gesetzliche Einzelrichter nach § 66 Abs. 6 Sätze 1 und 2 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i.V.m. den Regelungen unter C. I. im kammerinternen Geschäftsverteilungsplan (Beschluss der 15. Kammer des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen gemäß § 4 VwGO i.V.m. § 21g Abs. 1 GVG über die Geschäftsverteilung der 15. Kammer für das Geschäftsjahr 2024) das Verfahren durch Beschluss vom 10. Juni 2024 wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache der Kammer übertragen hat.
3Die Erinnerung gegen den Kostenansatz ist zulässig (I.) aber nicht begründet (II.).
4I. Die gegen den Kostenansatz (Gerichtsgebührenrechnung vom 9. Januar 2024) in Höhe von 234,00 Euro im Schriftsatz vom 17. Mai 2024 erhobene Erinnerung der Klägerin und Erinnerungsführerin kann sich zwar nicht zulässigerweise gegen den Beschuss vom 8. Januar 2024 richten, mit dem der Berichterstatter den Streitwert gemäß § 52 Abs. 3 Satz 1, § 63 Abs. 1 Satz 1 GKG vorläufig auf 1.259,03 Euro festgesetzt hat. Denn dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 63 Abs. 1 Satz 2 GKG). Statthafte Einwendungen gegen den Kostenansatz sind lediglich solche, die eine Verletzung des Kostenrechts rügen.
5Vgl. BGH, Beschlüsse vom 20. September 2007 – IX ZB 35/07 –, juris Rn. 3, und vom 13. Februar 1992 – V ZR 112/90 –, juris Rn. 1; VG Aachen, Beschluss vom 23. Februar 2023 – 4 K 2744/22 –, juris Rn. 3; VG Trier, Beschluss vom 6. Juli 2015 – 5 K 797/14.TR –, juris Rn. 3.
6Die Kostengrundentscheidung kann nicht mit der Erinnerung gegen den Kostenansatz angefochten werden. Im Erinnerungsverfahren nach § 66 Abs. 1 GKG kann lediglich überprüft werden, ob die im Hauptsacheverfahren erfolgten Festlegungen kostenrechtlich richtig umgesetzt worden sind.
7Vgl. FG Köln, Beschluss vom 15. Januar 2015 – 10 Ko 3288/14 –, juris Rn. 10.
8Der Einwand, ein festgesetzter Streitwert sei zu Unrecht festgesetzt, ist im Erinnerungsverfahren grundsätzlich nicht statthaft.
9Vgl. VG Trier, Beschluss vom 6. Juli 2015 – 5 K 797/14.TR –, Rn. 3, juris; OLG Düsseldorf Beschluss vom 27. April 2017 – 10 WF 2/17, BeckRS 2017, 109626, Rn. 2.
10Die Kostengrundentscheidung ist im Erinnerungsverfahren über den Kostenansatz verbindlich und nicht nachzuprüfen.
11BGH, Beschluss vom 12. Juni 2015 – IX ZB 8/15 –, juris Rn. 2.
12Der Einwand der Klägerin und Erinnerungsführerin, das Gericht habe zu Unrecht einen vorläufigen Streitwert festgesetzt, weil das Verfahren gerichtskostenfrei nach § 188 Satz 2 VwGO sei, kann jedoch mit Blick auf das darin zu erkennende Rechtsschutzziel, von einer Kostenlast verschont zu bleiben, entsprechend § 88 VwGO dahingehend ausgelegt werden, sie wende gegen den Kostenansatz eine unrichtige Anwendung des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG ein.
13Vgl. Laube, in: Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, Kostenrecht, BeckOK, 45. Edition, Stand 1. April 2024, GKG § 66, Rn. 82.
14Dieser Einwand ist im Rahmen der Kostenansatzerinnerung statthaft. Denn auch ein Antrag auf Nichterhebung von Kosten, die bei richtiger Behandlung der Sache nicht entstanden wären (§ 21 Satz 1 GKG), ist als Kostenansatzerinnerung anzusehen, wenn – wie hier – die Kostenrechnung der Kostenschuldnerin bereits zugegangen ist.
15Vgl. BVerwG, Beschluss vom 23. November 2009 – 2 KSt 2.09 –, juris Rn. 5; OVG NRW, Beschluss vom 17. November 2023 – 6 E 718/23 –, juris Rn. 3.
16Hierbei ist die statthafte Einbringung des sachlich gegen die Richtigkeit des vorläufigen Streitwertbeschlusses gerichtete und an sich aus den vorstehenden Gründen ausgeschlossene Einwendung hinzunehmen. Denn § 21 Satz 1 GKG ist eine Regelung des Kostenrechts, deren Verletzung die Kostenschuldnerin durch die Kostenansatzerinnerung (§ 66 Abs. 1 GKG) geltend machen können muss (Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes – GG –).
17II. Die Kostenansatzerinnerung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg. Sie ist unbegründet. Von einer Erhebung der Kosten war nicht nach § 21 Satz 1 GKG abzusehen. Die auf dem vorläufigen Streitwertbeschluss beruhende Kostenerhebung stellt eine richtige Behandlung der Sache dar.
18Das vorliegende Hauptsacheverfahren ist nicht nach § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei. § 188 Satz 2 VwGO lautet,
19„Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden in den Verfahren dieser Art nicht erhoben; dies gilt nicht für Erstattungsstreitigkeiten zwischen Sozialleistungsträgern.“,
20und nimmt systematisch Bezug auf § 188 Satz 1 VwGO:
21„Die Sachgebiete in Angelegenheiten der Fürsorge mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, der Jugendhilfe, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden.“
22Damit kommt die Gerichtskostenfreiheit nur für Verfahren in Betracht, die Angelegenheiten der Fürsorge, mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes, die den Sozialgerichten zugewiesen sind (§ 51 Abs. 1 Nr. 6a des Sozialgerichtsgesetzes – SGG –), der Jugendhilfe, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung betreffen.
23Der Streitgegenstand im vorliegenden Hauptsacheverfahren (dazu unter 1.) fällt nicht darunter (dazu unter 2.).
241. Der Streitgegenstand eines verwaltungsgerichtlichen Verfahrens ist zweigliedrig zu bestimmen. Er richtet sich nach dem Antrag und dem zu seiner Begründung vorgetragenen Sachverhalt. Der Streitgegenstand ist identisch mit dem prozessualen Anspruch, der seinerseits durch die erstrebte, im Klageantrag zum Ausdruck zu bringende Rechtsfolge sowie den Klagegrund, nämlich den Sachverhalt, aus dem sich die Rechtsfolge ergeben soll, gekennzeichnet ist.
25Vgl. BVerwG, Urteile vom 14. November 2016 – 5 C 10.15 D –, juris Rn. 17, und vom 10. Mai 1994 – 9 C 501.93 –, juris Rn. 9, und Beschlüsse vom 8. Dezember 2021 – 5 B 1.21 –, juris Rn. 14, und vom 24. Oktober 2006 – 6 B 47.06 –, juris Rn. 13; OVG NRW, Beschluss vom 4. August 2010 – 2 A 796/09 –, Rn. 16 f., m.w.N.
26Die Klägerin begehrt mit ihrem in der Hauptsache angekündigten, rechtshängig gemachten (§ 90 VwGO) Klageantrag im Wege der Leistungsklage von der Beklagten die Zahlung von 1.259,03 Euro ausgerechneter Zinsen zuzüglich laufender Zinsen in Höhe des aktuellen Basiszinssatzes der Europäischen Zentralbank zuzüglich 5 v.H. aus 6.447,74 Euro seit dem 22. Dezember 2023. Sie stützt dieses Zahlungsbegehren auf den Lebenssachverhalt, die Beklagte habe einen sog. Bildungskredit in Anspruch genommen. Dieser Bildungskredit ist ein Darlehen, dass die Beklagte auf Antragstellung bei der Klägerin, nach deren Prüfung und Bewilligung durch die Deutsche Ausgleichsbank, nunmehr Kreditanstalt für Wiederaufbau (nachfolgend: KfW), erhalten hat. Für den Fall von Zahlungsausfällen in der Rückzahlungsphase hatte die Klägerin gegenüber der Deutschen Ausgleichsbank/KfW eine Bundesgarantie abgegeben. Mit Bewilligung des Bildungskredites durch die Klägerin hatte diese der Beklagtenseite in dem Bewilligungsbescheid vom 10. März 2011 unter Ziffer 7. die Verpflichtung aufgegeben, im Garantiefall den dem Bund zu erstattenden Betrag zu verzinsen (vgl. Beiakte Heft 1 Bl. 18).
27Für die weiteren Einzelheiten der allgemeinen Ausgestaltung des Bildungskredites wird auf die tatsächlichen Feststellungen des Verwaltungsgerichts Köln vom 25. Januar 2023,
28VG Köln, Urteil vom 25. Januar 2023 – 26 K 6414/22 –, juris Rn. 1 – 122,
29verwiesen.
30Diese Zinsforderung prägt den im vorliegenden Hauptsacheverfahren rechtshängigen prozessualen Anspruch als Teil des zweigliedrigen Streitgegenstands. Der ihn zudem ausfüllende Lebenssachverhalt ist geprägt durch die Bewilligung des Bildungskredites durch die Klägerin, die Rückzahlungsausfälle des Beklagten sowie den Eintritt des Garantiefalls aus der von der Klägerin gegenüber der darlehensgebenden Deutschen Ausgleichsbank/KfW übernommenen Bundesgarantie.
312. Die Regelung der Gerichtsgebührenfreiheit in § 188 Satz 2 VwGO erfasst die in § 188 Satz 1 VwGO enumerativ aufgezählten Angelegenheiten der allgemeinen Fürsorge. Dies gilt auch für die von der Klägerin für sich unzutreffend in Anspruch genommenen Angelegenheiten der Ausbildungsförderung. Dies folgt aus der Auslegung des § 188 VwGO, die das Bundesverwaltungsgericht bereits im Hinblick auf die Frage der Gerichtskostenfreiheit von Verfahren nach dem Wohngeldgesetz ausgebreitet hat (dazu unter a.). Die Art der vorliegenden Streitigkeit um Zinsforderungen aus dem Subventionsrecht unterfällt – trotz ihres entfernten Bezugs zur Ausbildungsförderung – nicht der Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 VwGO (dazu unter b.).
32a. § 188 Satz 1 VwGO erfasst solche den Verwaltungsgerichten zugewiesene Gesetzesmaterien von den Angelegenheiten der Fürsorge, die als Ausdruck staatlicher Fürsorge soziale Ansprüche vermitteln und bei denen nach der Annahme des Gesetzgebers typischerweise eine nach Einkommens- und Vermögensgrenzen zu bestimmende Bedürftigkeit besteht, die es rechtfertigt, die dadurch berechtigten Personen in gleicher Weise durch die Gerichtskostenfreiheit zu begünstigen, wie dies bei den in § 188 Satz 1 VwGO ausdrücklich genannten Gesetzesmaterien der Fall ist.
33Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2019 – 5 C 2.18 –, juris Rn. 45.
34Der Begriff der „Ausbildungsförderung“ in § 188 Satz 1 VwGO ist mit den gesetzgeberischen Erwägungen in die Norm aufgenommen worden, die weiteren dort genannten Angelegenheiten unter dem Oberbegriff der „Angelegenheiten der Fürsorge“ zu ergänzen. Denn § 188 VwGO ist nach seinem Wortlaut, der Systematik und Historie von dem Regelungszweck getragen, den Rechtsschutz zur Durchsetzung von sozialen Ansprüchen in Regelungsbereichen der staatlichen Fürsorge, in denen mittellose oder minderbemittelte Kläger häufiger vorkommen, unabhängig von den (finanziellen) Verhältnissen der in einem Einzelfall an einer Rechtsstreitigkeit Beteiligten zu gewähren.
35Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2019 – 5 C 2.18 –, juris Rn. 43 und 45.
36Nach dem Wortsinn der Vorschrift ist der Begriff der Angelegenheiten der Fürsorge in der Weise fachsprachlich geprägt, dass er sich als Querschnittsbegriff nicht nur auf ein bestimmtes (Leistungs-) Gesetz, sondern auf die Normenkomplexe bezieht, welche die öffentliche Fürsorge in einem sozialstaatlichen Sinne zum Gegenstand haben. Zu den Leistungen der öffentlichen Fürsorge sind zwar traditionell insbesondere die Leistungen zu zählen, die – wie die Sozialhilfe – der Sicherung der Lebensgrundlagen bzw. des Existenzminimums und damit der Gewährleistung eines der Menschenwürde genügenden Daseins dienen; der Begriff ist jedoch fachsprachlich nicht darauf beschränkt, sondern erstreckt sich jedenfalls im Kontext der Regelung über die Gerichtskostenfreiheit auf Fürsorgeleistungen in einem weiteren Sinne, mit denen der Gesetzgeber auf bestimmte Bedarfslagen reagiert und deren Gewährung er typischerweise von bestimmten Einkommens- und Vermögensgrenzen abhängig macht.
37Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2019 – 5 C 2.18 –, juris Rn. 38; Goss, in: Gärditz, VwGO, 2. Aufl. 2018, § 188 VwGO Rn. 4.
38Die durch Artikel 4 § 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften vom 20. August 1975 (BGBl. 1975 I S. 2189) verkündete ehemalige Fassung von § 188 Satz 1 VwGO,
39„Die Sachgebiete der Sozialhilfe, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge, der Schwerbehindertenfürsorge sowie der Ausbildungsförderung sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden“, BGBl. 1975 I S. 2189 (2229),
40geht hinsichtlich der Ausbildungsförderung auf den „Bericht und Antrag des Rechtsausschusses (6. Ausschuß) zu dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften — Drucksache 7/2016 —“ vom 19. Februar 1975 (BT-Drs. 7/3243) zurück.
41Vgl. BT-Drs. 7/3243, S. 91.
42In dem Entwurf des Gesetzes zur Änderung des Gerichtskostengesetzes, des Gesetzes über Kosten der Gerichtsvollzieher, der Bundesgebührenordnung für Rechtsanwälte und anderer Vorschriften vom 22. April 1974 (dort noch Artikel 4 § 1 Nr. 4),
43„Die Sachgebiete der Sozialhilfe, der Jugendhilfe, der Kriegsopferfürsorge sowie der Schwerbeschädigtenfürsorge sollen in einer Kammer oder in einem Senat zusammengefaßt werden.", (BT-Drs. 7/2016, S. 45),
44war die Ausbildungsförderung noch nicht enthalten.
45Ausweislich der Begründung sollte das Sachgebiet der Ausbildungsförderung eingefügt werden, weil dies nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 9. Oktober 1973 (FamRZ 1974, 224) unter den Begriff der allgemeinen öffentlichen Fürsorge falle, der in dem (bis dahin) geltenden Wortlaut des § 188 Satz 1 VwGO verwendet werde.
46Vgl. BT-Drs. 7/3243, S. 12.
47Die Aufnahme der Ausbildungsförderung in § 188 Satz 1 VwGO aufgrund Zuordnung zur allgemeinen öffentlichen Fürsorge prägt die Auslegung und Anwendung der Norm in Anknüpfung an den Regelungszweck, die Sachgebiete der allgemeinen öffentlichen Fürsorge gerichtsgebührenfrei zu stellen.
48Der vorangestellte Begriff der Angelegenheiten der Fürsorge (mit Ausnahme der Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes) greift den tradierten Begriffsinhalt der Fürsorge im weit verstandenen Sinne auf. Darunter fallen zwar nach der Gesetzesbegründung „insbesondere finanzielle, wirtschaftliche oder gesundheitliche Leistungen, die dem Hilfsbedürftigen ein Leben ermöglichen, das der Menschenwürde entspricht“ (BT-Drs. 15/3867 S. 4). Das in dieser Formulierung vorangestellte Wort „insbesondere“ deutet nach Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht jedoch darauf hin, dass der Anwendungsbereich des § 188 Satz 1 VwGO über die damit in erster Linie umschriebenen Leistungen zur Sicherung des Existenzminimums hinausgeht. Insgesamt spricht nach dem Bundesverwaltungsgericht die Wiedereinführung des weiten Begriffs der – die Angelegenheiten der Sozialhilfe und des Asylbewerberleistungsgesetzes ausdrücklich ausnehmenden und deshalb darüber hinausgehenden – Angelegenheiten der Fürsorge dafür, dass damit alle Sachgebiete erfasst werden sollen, in denen Leistungen mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung vorgesehen sind.
49Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2019 – 5 C 2.18 –, juris Rn. 41, Beschluss vom 20. April 2011 – 6 C 10.10 –, juris Rn. 3.
50Der vorangestellte Begriff der Angelegenheiten der Fürsorge verweist – anders als der früher maßgebliche Begriff „Sachgebiete“ in § 188 Satz 1 VwGO a.F. – nicht mehr auf ein bestimmtes Gesetzeswerk, sondern erfasst alle in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallenden Sachgebiete, die Fürsorgemaßnahmen im weiteren Sinne zum Gegenstand haben, die nicht schon unter eines der im Folgenden aufgezählten Sachgebiete fallen. Dazu gehören insbesondere Sachgebiete, in denen Leistungen mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung vorgesehen sind.
51Vgl. BVerwG, Beschluss vom 20. April 2011 – 6 C 10.10 –, juris Rn. 3; VG Berlin, Beschluss vom 25. Januar 2007 – 14 KE 219.06, 9 A 209.06 –, juris Rn. 4.
52Die Zwecksetzung der Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO lässt sich nach dem Bundesverwaltungsgericht dahin umschreiben, dass diese der Durchsetzung der sozialen Rechtsansprüche dienen und die Chancengleichheit zwischen den Recht suchenden Hilfebedürftigen und den Behörden ermöglichen soll.
53Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2019 – 5 C 2.18 –, juris Rn. 45.
54Diesem Regelungszweck hat die Auslegung von § 188 VwGO, der eine Ausnahme von dem Grundsatz der Gerichtsgebührenpflicht für die Inanspruchnahme gerichtlichen Rechtsschutzes statuiert, maßgebend Rechnung zu tragen. Allein wegen ihrer Eigenschaft als Ausnahmevorschrift ist die Norm nicht eng auszulegen, sondern entsprechend ihrem Sinn und Zweck. Auch die Interpretation von „Ausnahmevorschriften“ folgt den allgemeinen Auslegungsgrundsätzen; auch diese Vorschriften sind, je nach der ihnen innewohnenden Zweckrichtung, einer einschränkenden oder ausdehnenden Auslegung zugänglich.
55Vgl. BVerwG, Urteil vom 7. November 1995 – 9 C 73.95 –, juris Rn. 24; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 11. Juli 2023 – 15 K 128/22 –, juris Rn. 42.
56Dementsprechend ist aus dem Regelungszweck eine Weiterung des Anwendungsbereichs der Norm im Hinblick auf nicht explizit erwähnte Angelegenheiten mit fürsorgerischer Zweckrichtung, wie dem Wohngeldrecht, abgeleitet worden.
57Vgl. BVerwG, Urteil vom 23. April 2019 – 5 C 2.18 –, juris.
58Dennoch bringt der dargestellte Regelungszweck zugleich eine Schärfung der Abgrenzung zu nicht erfassten Angelegenheiten mit sich. Angelegenheiten ohne fürsorgerischer Zweckrichtung, die nicht von der Durchsetzung sozialer Ansprüche getragen sind, in denen unabhängig von Einkommens- oder Vermögenslagen des Einzelnen über öffentliche finanzielle Leistungen gestritten wird, unterfallen nicht der Gerichtskostenfreiheit von § 188 VwGO.
59Systematisch wird dies durch die Herausnahme der Streitigkeiten um Erstattungsansprüche unterschiedlicher Sozialträger (§ 188 Satz 2 Halbs. 2 VwGO) durch den Gesetzgeber belegt, wenngleich die Erstattungsfragen auslösenden Sachverhalte in Angelegenheiten der Fürsorge fußen. Für die staatlich finanzierten Leistungsträger kann in Bezug auf Erstattungsstreitigkeiten untereinander keine dem sozialstaatlichen Gesetzeszweck entsprechende Kostenhürde als potentielles wirtschaftliches Prozesshindernis angenommen werden.
60Vgl. VG Chemnitz, Beschluss vom 31. August 2017 – 4 K 3943/16 –, juris Rn. 3.
61b. Die Art der vorliegenden Streitigkeit um Zinsforderungen aus dem Subventionsrecht unterfällt – trotz ihres entfernten Bezugs zur Ausbildungsförderung – nicht der Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO.
62Die Darlehensgewährung über die Deutsche Ausgleichsbank/KfW unter Absicherung einer Bundesgarantie, für deren Einstehen die Klägerin vorliegend Zinsforderungen im Klagewege geltend macht, ist keine Angelegenheit der allgemeinen Fürsorge oder der Ausbildungsförderung. Die Angelegenheit hat keine Durchsetzung sozialer Ansprüche zum Gegenstand. Dies gilt auch für die Abwehr von Ansprüchen oder hoheitlichen Maßnahmen aus dem Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und den Darlehensnehmern in Folge der Bundesgarantie.
63A.A. VG Köln, Urteil vom 25. Januar 2023 – 26 K 6089/22 –, juris Rn. 212.
64Die Klägerin führt für ihre entgegenstehende Auffassung ohne weitere Begründung die vorstehende anders gerichtete erstinstanzliche Entscheidung an und erwähnt weitere angebliche erstinstanzliche Entscheidungen, ohne diese zu bezeichnen. Ihr darauf im Wesentlichen gestützter Vortrag, wenn Klageverfahren von Darlehensnehmern im Zusammenhang mit dem Bildungskredit gerichtskostenfrei seien, müsste dies im Umkehrschluss auch für die von ihr betriebenen vorliegenden Verfahren gelten, überzeugte nur dann, wenn die Gerichtskostenfreiheit für Streitigkeiten (Angelegenheiten) im Zusammenhang mit dem Bildungskredit zutreffend unter den Begriff der Ausbildungsförderung gefasst wäre.
65Dies ist nach Auffassung der Kammer nicht der Fall. Die Klägerin geht von einer unzutreffenden Prämisse für die Anwendung des Umkehrschlusses aus. Der von dem Oberbegriff der allgemeinen Fürsorge geprägte Begriff der Ausbildungsförderung verlangt einen inneren Zusammenhang mit dem fürsorgerechtlichen Begriffskern der einkommens- und vermögensabhängigen „Förderung“ von Auszubildenden unter Anrechnung von Einkommen und Vermögen des Auszubildenden sowie Einkommen seines Ehegatten oder Lebenspartners und seiner Eltern in dieser Reihenfolge (vgl. § 11 BAföG). Das Ausbildungsförderungsrecht im hier maßgeblichen Kontext regelt die Ausbildungsförderung als Sozialleistung, die an die Bedürftigkeit des Auszubildenden anknüpft (Bedürftigkeitsprinzip).
66Vgl. Kuznik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 21 BAföG (Stand: 19.12.2023), Rn. 16, m.w.N.
67Aus dem Bedürftigkeitsprinzip folgt, dass die Ausbildungsförderung zur Deckung u.a. des Lebensunterhalts gemäß § 1 BAföG nachrangig geleistet wird, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen (Subsidiaritätsprinzip).
68BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 15. September 1986 – 1 BvR 363/86 –, FamRZ 1987, 901 (902); vgl. Kuznik a.a.O. Rn. 17.
69Diese sozialen Kernelemente der Bedürftigkeitsprüfung im Rahmen der Fürsorgeleistungen der Ausbildungsförderung, deren Gewährung nach der gesetzgeberischen Konzeption typischerweise von bestimmten Einkommens- (§§ 21 ff. BAföG) und Vermögensgrenzen (§§ 26 ff. BAföG) abhängt, als Grund für die Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 Halbs. 1 VwGO sind für Streitigkeiten um Rückzahlungen sowie Einstandspflichten wegen der Bundesgarantie sowie für Zinsforderungen der Klägerin aus dem Rechtsverhältnis zwischen der Klägerin und dem Beklagten aufgrund des Bewilligungsbescheids für einen Bildungskredit als Darlehen – wie grundsätzlich in allen Streitigkeiten zwischen der Klägerin und dem Darlehensnehmer aufgrund des Bildungskreditprogramms über die Bundesgarantie – ohne Bedeutung.
70Die Vergabe (Bewilligung) eines Bildungskredites als staatliche Subvention war unabhängig von Einkommens- oder Vermögensgrenzen der Darlehensnehmer. Eine für Sozialansprüche charakteristische Bedürftigkeitsprüfung fand nicht statt.
71Zu keiner anderen Beurteilung führt die von der Klägerin angeführte Zweckbestimmung in den Förderbestimmungen,
72„Die Kredite dienen bei nicht nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) geförderten Auszubildenden der Sicherung und Beschleunigung der Ausbildung, bei geförderten Auszubildenden der Finanzierung von außergewöhnlichem, nicht durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz (BAföG) erfasstem Aufwand.“ (Programm für die Vergabe von Bildungskrediten, Förderbestimmungen, 315 -42506/1, Bonn, den 22.01.2001, § 1 Satz 2 [Gerichtsakte Bl. 9]) sowie Programm für die Vergabe von Bildungskrediten, Förderbestimmungen vom 1. April 2009, § 1 Satz 2 [Gerichtsakte Bl. 17]).
73die trotz der sprachlichen Anknüpfung an das Bundesausbildungsförderungsgesetz inhaltlich keinen Bezug dazu haben. Im Gegenteil wirken sie ohne sachliche Fundierung „gegriffen“, denn der Gesetzgeber geht bei dem Ausbildungsförderungsrecht grundsätzlich davon aus, den Bedarf des Auszubildenden – im Massenverfahren der Ausbildungsförderung zulässig pauschaliert – gesetzlich erfasst zu haben (§§ 12 ff. BAföG) und sieht für nicht erfasste besondere Ausbildungskosten des Auszubildenden sowie sonstige unbillige Härten ausdrückliche Freibetragstatbestände vor (vgl. § 23 Abs. 5 BAföG, § 25 Abs. 6 BAföG). Die Beurteilung der Zweckbestimmung als „gegriffen“ wird dadurch belegt, dass die Förderbestimmungen eine Prüfung des benannten außergewöhnlichen, nicht durch das Bundesausbildungsförderungsgesetz erfassten Aufwands nicht vorsehen.
74III. Das vorliegende Verfahren ist gemäß § 66 Abs. 8 GKG gebührenfrei, wobei nach dieser Norm auch keine Kosten erstattet werden, so dass eine Kostenentscheidung entfällt.
75VG Trier, Beschluss vom 6. Juli 2015 – 5 K 797/14.TR –, juris Rn. 16.
76IV. Die Beschwerde war wegen der grundsätzlichen Bedeutung der zur Entscheidung stehenden Frage in dem Übertragungsbeschluss vom 10. Juni 2024 zuzulassen (§ 66 Abs. 2 Satz 2 GKG).
77Rechtsmittelbelehrung:
78Gegen diesen Beschluss steht den Beteiligten innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, zu.
79Die Beschwerde ist schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen. Über sie entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
80Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
81Im Beschwerdeverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.