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1. Die Begrenzung der "Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis" i.S.v. § 23 Abs. 3 BAföG auf Einkommen, das dem Auszubildenden praktisch zwangsläufig durch und für die Ausbildung zufließt also nicht das Ergebnis besonderer zusätzlicher Anstrengungen ist, die Anerkennung durch einen Freibetrag verdienen könnten, stellt rechtstechnisch eine teleologische Reduktion von § 23 Abs. 3 BAföG dar, dessen Regelungsinhalt in Fällen, die der Normwortlaut zwar erfasste, wegen der Unvereinbarkeit der Rechtsfolge mit dem Normzweck nicht zur Anwendung gelangt.
2. Für die freibetragslose Anrechnung ist nicht notwendige Bedingung, dass die Ausbil-dungsvergütung der Ausbildungsstätte zugerechnet werden kann, gleichsam von ihr geleistet wird (a.A. Sächsisches OVG, Urteil vom 27. November 2013 - 1 A 237/13 - ).
3. § 23 Abs. 3 BAföG ist von dem Normzweck getragen, dasjenige Einkommen des Auszubildenden ohne Freibetrag auf seinen Bedarf anzurechnen, das er aus einer Tätigkeit erzielt, die er im Rahmen seiner Ausbildung zwangsläufig ableisten muss, weil sie im Ausbildungsplan vorgesehen bzw. notwendige Bedingung für den Abschluss der Ausbildung ist.
4. Die nach § 23 Abs. 3 BAföG voll auf den gesetzlichen Bedarf anzurechnende Ver-gütung aus einem Ausbildungsverhältnis kann nicht nach § 23 Abs. 5 BAföG vollständig oder teilweise anrechnungsfrei gestellt werden.
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Die Beteiligten streiten um die Anrechnung von Einkommen des Klägers auf seinen gesetzlichen Bedarf der Ausbildungsförderung.
3Der Kläger studiert Vollzeit in der Fachrichtung Mechatronik (Bachelor) an der Fachhochschule Q. in Z.. Am 10. August 2022 stellte er einen Folgeantrag auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum von September 2022 bis August 2023. Das Wintersemester 2022/2023 war ausweislich der vorgelegten Bescheinigung nach § 9 BAföG vom 29. Juli 2022 sein siebtes Fachsemester bei zehn Semestern Regelstudienzeit. Er gab an, seine Einkommensverhältnisse hätten sich im Vergleich zum vorherigen Bewilligungszeitraum, für den er 3.600 Euro Bruttoeinnahmen aus bestehenden oder ruhenden Arbeitsverhältnissen, Gelegenheitsarbeiten, Ferien- bzw. Minijobs mitgeteilt hatte, nicht verändert.
4Mit Bescheid vom 29. September 2022 bewilligte der Beklagte dem Kläger Ausbildungsförderung für den Bewilligungszeitraum September 2022 bis August 2023 in Höhe von 241 Euro monatlich. Das von ihm angegebene Einkommen (200 Euro monatlich, abzüglich 43,20 Euro Sozialpauschale) blieb anrechnungsfrei. Von dem elterlichen Einkommen rechnete der Beklagte 305,80 Euro auf den gesetzlichen Bedarf des Klägers von 546,65 Euro an. Nach Mitteilung über den Schulbesuch eines weiteren Geschwisters des Klägers bewilligte der Beklagte ihm durch Änderungsbescheid vom 28. Oktober 2022 für den vorerwähnten Bewilligungszeitraum Ausbildungsförderung in Höhe von 436 Euro. Auf den gesetzlichen Bedarf des Klägers i.H.v. 546,65 Euro rechnete er 110,97 Euro vom Einkommen der Eltern an.
5Mit Schreiben vom 27. Juni 2023 teilte der Kläger mit, er werde ab dem 28. Juni 2023 eine 22-wöchige Praxisphase im Rahmen seines Studiums bei der Fa. T. GmbH absolvieren. Er habe dazu seinen Studiengang gewechselt, wodurch sich die Studienzeit verlängere. Die Studiengänge seien identisch mit der Ausnahme, dass es sich bei der Praxisphase um ein Pflichtpraktikum handele. Die Vergütung für die Praxisphase liege bei brutto 2.700 Euro pro Monat.
6Mit Bescheid vom 13. Juli 2023 hob der Beklagte entgegenstehende frühere Bescheide auf und bewilligte dem Kläger für den Bewilligungszeitraum September 2022 bis August 2023 Ausbildungsförderung in Höhe von 145 Euro. Auf den gesetzlichen Bedarf des Klägers i.H.v. 546,65 Euro rechnete er 110,97 Euro Einkommen der Eltern und 290,73 Euro eigenes Einkommen an. Er forderte die Erstattung einer Überzahlung in Höhe von 3.201,00 Euro.
7Hiergegen legte der Kläger am 27. Juli 2023 Widerspruch mit Schreiben vom 23. Juli 2023 ein. Er trug zur Begründung vor, die Einnahmen aus der Vergütung der T. GmbH müssten anrechnungsfrei bleiben. Er sei entgegen § 24 SGB X nicht angehört worden. Zudem stehe einer Rückforderung entgegen, dass der Beklagte den Bewilligungsbescheid vom 28. Oktober 2022 nicht zurückgenommen habe.
8Unter dem 17. August 2023 wies der Beklagte den Kläger darauf hin, der Widerspruch sei unbegründet. Für die Anrechnung des Einkommens des Auszubildenden sei dessen Einkommen im Bewilligungszeitraum maßgebend. Die Berechnung sei zutreffend erfolgt. Der Beklagte bat um Mitteilung, ob der Widerspruch aufrechterhalten bleibe oder „zurückgezogen“ werde. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt des Schreibens vom 17. August 2023 Bezug genommen (Beiakte 1, Bl. 231 f.).
9Hierauf meldete sich die Prozessbevollmächtigte des Klägers bei dem Beklagten unter Vollmachtvorlage, bat um Akteneinsicht und teilte nach erhaltener Akteneinsicht unter dem 10. November 2023 mit, der Widerspruch bleibe aufrechterhalten. Das Einkommen aus der Tätigkeit bei der T. GmbH sei nicht nach § 23 Abs. 3 BAföG voll anzurechnen. Zudem liege eine unbillige Härte vor. Sollte dem Widerspruch nicht abgeholfen werde, bitte der Kläger um Stundung.
10Mit Schreiben vom 8. Dezember 2023 teilte der Beklagte dem Kläger über dessen Prozessbevollmächtigte mit, „dass dem Widerspruch nicht abgeholfen werden kann“. Die Vergütung aus dem Pflichtpraktikum sei nach § 23 Abs. 3 BAföG auf den Bedarf anzurechnen. Laut Studienverlaufsplan sei das Pflichtpraktikum, in den Studiengang integriert. Als Anlage übersandte es ein Anschreiben für ein Stundungsverfahren.
11Hiergegen hat der Kläger am 15. Januar 2024 die vorliegende Klage vor dem Verwaltungsgericht Arnsberg erhoben. Zur Begründung trägt er vor, bei seiner Tätigkeit für die T. GmbH habe es sich weder um ein Praxissemester noch um ein Pflichtpraktikum im Sinne des § 23 Abs. 3 BAföG gehandelt. Zum einen betrage die Dauer eines Semesters sechs Monate, seine „Praxisphase“ hingegen lediglich fünf Monate. Während der praktischen Tätigkeit habe er sich auf den Abschluss seines Studiums vorbereitet. Um die Tätigkeit habe er sich selbst bemüht. An dem Arbeitsergebnis habe ein Interesse der T. GmbH bestanden. Er habe Arbeitstätigkeiten ausgeführt, obwohl sie weit überwiegend mit seiner Bachelor-Arbeit zu tun hätten. Hätte er seine Bachelor-Arbeit außerhalb dieses unternehmerischen Kontextes verfasst, wären (damit) solche Arbeitsanstrengungen nicht verbunden gewesen. Die Absolvierung der Praxisphase auf der Grundlage einer vergüteten Tätigkeit außerhalb der Hochschule sei daher kein notwendiger Bestandteil einer erfolgreichen Verfolgung des angestrebten Abschlussziels gewesen. Die angewandte Regelung des § 23 Abs. 3 BAföG bedeute für ihn ferner eine unbillige Härte. Er werde durch die Anrechnung der vollen Vergütung schlechter behandelt als wenn er ein Studium mit sechs Semestern abgeschlossen hätte. Zudem liege eine unbillige Härte liegt vor, da er im Bewilligungszeitraum neben dem angegebenen Einkommen aus einem Minijob kein weiteres Einkommen erzielt habe. Weiter könne die Regelung in § 22 BAföG verfassungswidrig sein, da eine rückwirkende Anrechnung vorgenommen werde für Zeiträume, in denen Bedürftigkeit bestanden habe. Vielmehr müsste es auf das sogenannte Zuflussprinzip ankommen, welches auch im Rahmen der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts/Bürgergeldes angewendet werde. Dies wiederum bedeute, erst ab dem Moment des Zuflusses von Einkommen bzw. Vermögen dürfe eine Anrechnung stattfinden, da auch erst in diesem Moment die Bedürftigkeit des Leistungsempfängers – zumindest zum Teil – entfiele. Eine derartige Ungleichbehandlung sei weder geboten noch verhältnismäßig.
12Der Kläger beantragt schriftsätzlich sinngemäß (§ 88 VwGO),
13den Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 13. Juli 2023 (Förderungsnummer °°°-°°°°°°°°°) und den Nichtabhilfebescheid vom 8. Dezember 2023 aufzuheben.
14Der Beklagte beantragt schriftsätzlich,
15die Klage abzuweisen.
16Das beklagte Amt für Ausbildungsförderung trägt zu Begründung vor, die Klage dürfte bereits unzulässig sein, weil das Vorverfahren nicht abgeschlossen sei. Bei seinem Schreiben vom 8. Dezember 2023 handele es sich nicht um einen Widerspruchsbescheid im Sinne des § 73 VwGO. Das vorgenannte Schreiben sei nicht als Widerspruchsbescheid bezeichnet, enthalte keinen den Ausgangsbescheid benennenden und den Widerspruch wortwörtlich zurückweisenden Entscheidungstenor. Zudem fehle eine Kostenentscheidung, eine Rechtsbehelfsbelehrung, sowie eine förmliche Zustellung. In der Sache vertieft das beklagte Amt für Ausbildungsförderung seine Ausführungen aus dem angefochtenen Bescheid. Maßgeblich für die Anwendung des § 23 Abs. 3 BAföG sei nicht, ob der jeweilige Auszubildende in der Praxisphase ausschließlich gearbeitet oder sich auch auf den Abschluss des Studiums vorbereitet habe. Es komme allein darauf an, ob die Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis bezogen werde oder nicht. Der Kläger habe den Studiengang im Fachbereich Mechatronik gewählt, wodurch er zur Durchführung der Praxisphase verpflichtet gewesen sei. Die Absolvierung einer vorgeschriebenen Praxisphase stelle keine besondere zusätzliche Anstrengung dar, sodass die daraus resultierende Vergütung anzurechnen sei. Aus welchen Gründen er sich für einen Wechsel in den Studiengang entschieden habe, wirke sich nicht auf die Anrechnung der Vergütung aus. Das im Bewilligungszeitraum erzielte Gesamteinkommen des Klägers sei ohne Rücksicht auf den Zeitpunkt seines Zuflusses durch gleichmäßige Aufteilung auf den Bedarf eines jeden Kalendermonats des Bewilligungszeitraumes anzurechnen. § 22 BAföG sei nicht verfassungswidrig. Mit § 22 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 BAföG bezwecke der Gesetzgeber eine möglichst enge Abstimmung zwischen dem anzurechnenden Einkommen des Auszubildenden und der Förderleistungen, um auf die im Voraus schwerlich bis kaum exakt zu prognostizierenden Änderungen der Einkommensverhältnisse eines Auszubildenden reagieren und zugleich den Nachrang der Ausbildungsförderung absichern zu können. Die Abstellung auf einen Durchschnittsbetrag habe für die Auszubildenden den Vorteil, dass die nach § 23 BAföG zustehenden Freibeträge nicht allein in Monaten mit Einkommensbezug, sondern in jedem Monat zum Abzug gelangten, sodass sich keineswegs nur Nachteile ergäben. Dem Gesetzgeber stehe bei der Ausgestaltung der Sozialsysteme ein Gestaltungsspielraum zu. Eine unterschiedliche Regelung erscheine hinsichtlich des Einkommens geboten, da die Auszubildenden eine Ausbildung betreiben, welche die Arbeitskraft voll in Anspruch nehme und daher vornehmlich mit schwankenden Einnahmen zu rechnen sei, während Bürgergeldempfänger nicht einer derartigen Auslastung der Arbeitskraft gegenüberstünden.
17Das Verwaltungsgericht Arnsberg hat sich durch Beschluss vom 24. Januar 2024 für örtlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit gemäß § 83 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung in Verbindung mit § 17a Abs. 2 Satz 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes an das nach § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO, § 17 Nr. 4 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (Justizgesetz Nordrhein-Westfalen – JustG NRW) für den Bezirk der kreisfreien Stadt S., in dem der Beklagte seinen Sitz hat, zuständige Verwaltungsgericht Gelsenkirchen verwiesen.
18Die Kammer hat den Rechtsstreit nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss vom 24. Januar 2024 dem Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen. Die Beteiligten – der Kläger mit Schriftsatz vom 22. April 2024 und das beklagte Amt für Ausbildungsförderung mit Schriftsatz vom 15. Mai 2024 – haben ihr Einverständnis zur Entscheidung ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung mitgeteilt. Für die weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und des beigezogenen Verwaltungsvorgangs Bezug genommen.
19Entscheidungsgründe:
20Die Entscheidung ergeht gemäß § 6 Abs. 1 Satz 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) durch den Einzelrichter und gemäß § 101 Abs. 2 VwGO im Einverständnis der Beteiligten ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung.
21Die Klage ist zwar zulässig (I.), aber unbegründet (II.).
22I. Der Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg wegen der örtlichen Zuständigkeit entfaltet Bindungswirkung für das erkennende Gericht (§ 83 Satz 2 VwGO i.V.m. entsprechend § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG).
23Vgl. BVerwG, Beschluss vom 8. April 2024 – 6 AV 1.24 –, juris Rn. 9; Riese, in: Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Band VwGO, 44. EL März 2023, VwGO § 83 Rn. 16; Wöckel, in: Eyermann, 16. Auflage 2022, VwGO § 83 Rn. 12.
24Mit Rücksicht auf den Zweck der Vorschrift, den Kläger nicht zum Opfer eines Zuständigkeitsstreits zwischen den Gerichten zu machen, sondern den Fortgang des Verfahrens zu fördern, tritt die Bindungswirkung auch dann ein, wenn die Verweisung sachlich unrichtig gewesen sein sollte.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 15. März 1988 – 1 A 23/85 – NJW 1988, 2752, zu § 83 VwGO a.F.
26Die gesetzliche Bindungswirkung eines gemäß § 83 Satz 2 VwGO unanfechtbaren Verweisungsbeschlusses kann allenfalls bei extremen Rechtsverstößen durchbrochen werden, etwa, wenn sich die Verweisung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist. Hiervon kann aber nur dann ausgegangen werden, wenn der gerichtliche Verweisungsbeschluss bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich unhaltbar ist.
27BVerwG, Beschluss vom 8. April 2024 – 6 AV 1.24 –, juris Rn. 10, m.w.N.
28Unter Berücksichtigung dieser Vorgaben kann dahinstehen, ob der auf § 52 Nr. 3 Satz 1 VwGO gestützte Verweisungsbeschluss des Verwaltungsgerichts Arnsberg nicht prozessrechtskonform ist (vgl. § 52 Nr. 3 Sätze 2 und 3, Nr. 5 VwGO, § 1 Abs. 3 Nr. 5 Studierendenwerksgesetz NRW), denn ein derartig extremer Rechtsverstoß, der angesichts der hohen Hürden für die Annahme richterlicher Willkür nur ausnahmsweise in Betracht kommt, ist dem Gericht nicht vorzuwerfen.
29§ 68 Abs. 1 VwGO steht der Zulässigkeit der Klage entgegen dem Vorbringen des Beklagten nicht entgegenstehen. Das danach durchzuführende Vorverfahren (§ 110 Abs. 2 Nr. 3 Buchst. b) JustG NRW) war durchgeführt. Das Schreiben des beklagten Amts für Ausbildungsförderung vom 8. Dezember 2023 stellt einen Widerspruchsbescheid dar. Darin teilt es mit, dem Widerspruch könne nicht abgeholfen werden. Dieser feststellenden Bestimmung der handelnden Behörde im vorliegenden Einzelfall (vgl. § 35 Satz 1 VwVfG NRW) kommt Regelungswirkung zu, dem Widerspruch gegen den angegriffenen Ausgangsbescheid nicht abzuhelfen. Insbesondere im gegebenen Zusammenhang, in dem das beklagte Amt für Ausbildungsförderung den Kläger bereits gefragt hatte, ob er an seinem Widerspruch festhalte (Schreiben vom 17. August 2023, Verwaltungsvorgang als Beiakte Heft 1, Bl. 231f.), war dies entsprechend §§ 133, 157 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) so zu verstehen, dass der Widerspruch abschlägig beschieden worden sei. Die fehlende Kostenentscheidung und Rechtsbehelfsbelehrung sowie die unterbliebene Zustellung ändern an dem Inhalt der vorgenannten Regelungswirkung in der Sache nichts. Ohne Kostenentscheidung hat lediglich der Beklagte seinen Erstattungsanspruch noch nicht verfügt. Die fehlende Rechtsbehelfsbelehrung sowie unterbliebene Zustellung können sich hinsichtlich der Klagefrist auswirken (§ 58 Abs. 2 VwGO), aber stehen einer Auslegung des Schreibens vom 8. Dezember 2023 als Widerspruchsbescheid nicht entgegen. Für den Kläger war im gegebenen Zusammenhang nicht erkennbar, dass noch ein anderer/weiterer förmlicher Bescheid über sein Abhilfebegehren ergehen sollte, den er abzuwarten habe. An der verfügten Nichtabhilfe ist der Beklagte ungeachtet der formalen Mängel festzuhalten. Im Streitfall ist maßgeblich, was die Behörde inhaltlich verfügt hat, nicht wie sie es benennt.
30II. Der Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid vom 13. Juli 2023 und der Nichtabhilfebescheid vom 8. Dezember 2023 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Er hat für den Bewilligungszeitraum von September 2022 bis August 2023 keinen weitergehenden Anspruch auf Bewilligung von Ausbildungsförderung für sein Studium in der Fachrichtung Mechatronik (Bachelor) an der Fachhochschule Q. in Z..
31Der angefochtene Aufhebungs- und Rückforderungsbescheid findet seine Rechtsgrundlage in § 20 Abs. 1 Nr. 3 BAföG. Haben die Voraussetzungen für die Leistung von Ausbildungsförderung an keinem Tage des Kalendermonats vorgelegen, für den sie gezahlt worden ist, so ist – außer in den Fällen der §§ 44 bis 50 des Zehnten Buches Sozialgesetzbuch (SGB X) – insoweit der Bewilligungsbescheid aufzuheben und der Förderungsbetrag zu erstatten, als der Auszubildende Einkommen im Sinne des § 21 BAföG erzielt hat, das bei der Bewilligung der Ausbildungsförderung nicht berücksichtigt worden ist, wobei Regelanpassungen gesetzlicher Renten und Versorgungsbezüge hierbei außer Betracht bleiben (§ 20 Abs. 1 Nr. 3 BAföG).
32Formell ist gegen den angefochtenen Bescheid nichts zu erinnern. Die von dem Kläger vermisste Anhörung (§ 24 Abs. 1 SGB X) konnte unterbleiben, weil – abgesehen von der Rechtsfolgenanwendung der §§ 21, 22 Abs. 2 und 23 Abs. 3 BAföG – von seinen tatsächlichen Angaben, die er in seiner Mitteilung über die Vergütung für die verpflichtende Praxisphase gemacht hat, nicht zu seinen Ungunsten abgewichen wurde (§ 24 Abs. 2 Nr. 3 SGB X) und die einkommensabhängigen Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz den geänderten Verhältnissen angepasst wurden (§ 24 Abs. 2 Nr. 5 SGB X).
33Der angefochtene Bescheid ist auch materiell rechtmäßig. Der Anspruch des Klägers auf Bewilligung von Ausbildungsförderung dem Grunde nach für den streitbefangenen Bewilligungszeitraum steht nicht in Streit, sondern dessen Höhe. Dies betrifft wegen des nach den Vorgaben des § 22 Abs. 2 BAföG auf den gesamten Bewilligungszeitraum ohne Freibetrag (§ 23 Abs. 3 BAföG) anzurechnenden Einkommens aus der Tätigkeit bei der T. GmbH den von dem Aufhebungsbescheid erfassten Bewilligungszeitraum.
34Zunächst ist anlässlich des Klagevortrags klarzustellen, dass Einkommen des Auszubildenden grundsätzlich auf seinen gesetzlichen Bedarf nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz anzurechnen ist, wenn auch unter Ansatz der Freibeträge nach § 23 Abs. 1 BAföG. Eine vollständige Außerachtlassung des monatlichen Verdienstes des Klägers i.H.v. 2.700,00 Euro während der Praxisphase kommt daher bereits von Gesetzes wegen nicht in Betracht. Als Sozialleistung knüpft die Ausbildungsförderung an die Bedürftigkeit an (Bedürftigkeitsprinzip). Die Ausbildungsförderung sichert nicht das Existenzminimum der Auszubildenden, sondern soll die Teilhabe bedürftiger Auszubildenden an den staatlich zur Verfügung gestellten Ausbildungsplätzen ermöglichen.
35Vgl. BVerwG, Vorlagebeschluss vom 20. Mai 2021 – 5 C 11.18 –, juris Rn. 16 ff.; Kuznik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 21 BAföG, Stand: 19. Dezember 2023, Rn. 16.
36Aus dem Bedürftigkeitsprinzip folgt, dass die Ausbildungsförderung zur Deckung u.a. des Lebensunterhalts gemäß § 1 BAföG nachrangig geleistet wird, wenn dem Auszubildenden die für seinen Lebensunterhalt und seine Ausbildung erforderlichen Mittel anderweitig nicht zur Verfügung stehen (Subsidiaritätsprinzip).
37Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15. September 1986 – 1 BvR 363/86 – FamRZ 1987, 901 (902); Kuznik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 21 BAföG, Stand: 19. Dezember 2023, Rn. 17.
38Der Kläger hat Einkommen im Sinne des § 21 BAföG erzielt, das bei der Bewilligung der Ausbildungsförderung nicht berücksichtigt worden und dessen Anrechnung sich nach den § 23 Abs. 3, § 22 Abs. 2 BAföG richtet.
39Die während der Praxisphase von dem Kläger bezogene Vergütung der Firma T. GmbH für die von ihm dort abgeleistete 22-wöchige verpflichtende Praxisphase war nicht unter Berücksichtigung der Freibeträge des § 23 Abs. 1 BAföG, sondern vollständig auf den gesetzlichen Bedarf anzurechnen. Hierfür spricht der Regelungszweck von § 23 BAföG (dazu unter 1.) sowie die vorliegende Ausgestaltung der Praxisphase (dazu unter 2.). Ein Härtefall ist nicht anzuerkennen (dazu unter 3.). Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der maßgeblichen Regelungen bestehen nicht (dazu unter 4.). Berechnungsfehler in Anwendung des § 22 Abs. 2 BAföG sind weder vorgetragen noch ersichtlich (dazu unter 5.)
401. § 23 Abs. 3 BAföG bestimmt abweichend von § 23 Abs. 1 und 2 BAföG die Vollanrechnung der Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis, soweit sie Einkommen im Sinne von § 21 BAföG ist. Hierbei handelt es sich um Mittel, die dem Auszubildenden gerade durch die Ausbildung zufließen und somit kein Ergebnis zusätzlicher, besonderer Anstrengung sind. Dieses Einkommen wird ohne Freibetrag voll auf den Bedarf angerechnet. § 23 Abs. 3 BAföG dient dem Subsidiaritätsprinzip der Ausbildungsförderung aus öffentlichen Mitteln und ist mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar. Die Vollanrechnungsregelung in § 23 Abs. 3 BAföG erfasst dasjenige Einkommen, das dem Auszubildenden als Gegenleistung für diejenige Tätigkeit zufließt, für die er Ausbildungsförderung erhält oder die er nach dem Ausbildungsplan ableisten muss, um das Ausbildungsziel zu erreichen.
41Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. November 2000 – 7 S 608/00 –, juris Rn. 3. m.w.N.; Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 50. Lfg, Nov. 2022, § 23 Rn. 31.
42Um eine Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis handelt es sich, wenn das Einkommen dem Auszubildenden praktisch zwangsläufig durch und für die Ausbildung zufließt also nicht das Ergebnis besonderer zusätzlicher Anstrengungen ist, die Anerkennung durch einen Freibetrag verdienen könnten.
43Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 7. Dezember 2015 – 4 PA 251/15 – juris Rn. 3; Sächsisches OVG, Urteil vom 27. November 2013 – 1 A 237/13 –, juris Rn. 41; OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Februar 2011 – 7 A 11082/10 –, juris Rn. 20; VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. November 2000 – 7 S 608/00 –, juris Rn. 3.
44Nach dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht kommt die freibetragslose Vollanrechnung einer Vergütung, die für ein Praktikum erzielt wird, das im Rahmen einer Ausbildung absolviert wird, allenfalls dann nach § 23 Abs. 3 BAföG in Betracht, wenn es sich um ein im Sinne von § 2 Abs. 4 Satz 1, Abs. 5 Satz 2 BAföG gefordertes Praktikum handelt (Pflichtpraktikum im Rahmen des Ausbildungsverhältnisses). Nur dann fließe die Praktikumsvergütung dem Auszubildenden praktisch zwangsläufig durch und für die Ausbildung zu. Hingegen flössen die Einkünfte für freiwillige Praktika dem Auszubildenden nicht praktisch zwangsläufig durch und für die Ausbildung zu. Sie seien vielmehr das Ergebnis seiner besonderen zusätzlichen Anstrengungen und stellten keine Ausbildungsvergütung im Sinne von § 23 Abs. 3 BAföG dar. Das gelte auch für ein über die in Ausbildungsbestimmungen geforderte Zeit hinaus als freiwilliges Praktikum fortgesetztes Praktikum. Die Praktikumsvergütung, die dem Auszubildenden für die freiwillige Periode des Praktikums zufließe, sei dann nur nach Abzug der Freibeträge auf den Bedarf anzurechnen.
45Vgl. OVG Lüneburg, Beschluss vom 7. Dezember 2015 – 4 PA 251/15 –, juris Rn. 3.
46Rechtstechnisch stellt dies eine teleologische Reduktion von § 23 Abs. 3 BAföG dar, dessen Regelungsinhalt in Fällen, die der Normwortlaut zwar erfasste, wegen der Unvereinbarkeit der Rechtsfolge mit dem Normzweck nicht zur Anwendung gelangt.
47Vgl. Kuznik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 23 BAföG, Stand: 6. Februar 2024, Rn. 45.
48Entgegen einer in der Rechtsprechung aufgeworfenen Erwägung,
49Sächsisches OVG, Urteil vom 27. November 2013 – 1 A 237/13 –, juris Rn. 42,
50ist für die freibetragslose Anrechnung nicht notwendige Bedingung, ob die Ausbildungsvergütung der Ausbildungsstätte zugerechnet werden kann, gleichsam von ihr geleistet wird. Wer die Vergütung leistet, ist unerheblich.
51Vgl. Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 50. Lfg, Nov. 2022, § 23 Rn. 31.
52Der Wortlaut „aus einem Ausbildungsverhältnis“ (nicht: „im Zusammenhang mit einer Ausbildung“) trägt hierfür entgegen der vorstehenden Erwägung nichts aus. Denn bereits die erste Fassung des § 23 Abs. 3 BAföG, benannte die Vergütung „aus einem Praktikantenverhältnis […]“ (BGBl. 1971 I S. 1409 (1414)). Eine Praktikumsvergütung wird in der Regel von der Praktikumsstelle geleistet und nicht von der Ausbildungsstätte, außer beide sind identisch. Damit übereinstimmend verstand der Gesetzgeber den Normwortlaut „aus dem Praktikantenverhältnis“ im Sinne von „im Rahmen des“ Ausbildungsverhältnisses. Dies belegt die entsprechende Begründung zur Erweiterung des Anwendungsbereichs im 2. BAföG-ÄndG („[…] Vergütungen, die der Auszubildende im Rahmen einer schulischen Ausbildung erhält, […]“).
53BT-Drs. 7/2098, S. 21.
54Soweit darüber hinaus in der Rechtsprechung die Frage aufgeworfen wurde, ob § 23 Abs. 3 BAföG weiter die Prüfung erfordere, ob der Zweck der Tätigkeit, für die der Auszubildende die streitige Vergütung erhalten hat, sich nicht in der weiteren und abschließenden Ausbildung des Klägers erschöpft hat, wenn die Arbeitsleistung bspw. darüber hinausgehend auch den unternehmerischen Interessen seiner Arbeitgeberin gedient hat, indem sich diese von der erfolgreichen Durchführung eines Arbeitsprojekts einen jedenfalls potentiellen wirtschaftlichen Nutzwert versprochen hat,
55vgl. OVG NRW, Beschluss vom 18. Juni 2019 – 12 E 638/18 –, juris Rn. 10,
56vermag das Gericht diese Anforderung weder im Wortlaut noch im Normzweck von § 23 Abs. 3 BAföG zu verorten.
57Der Wortlaut stellt auf die „Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis“ ab, nicht auf eine Vergütung aus dem Ausbildungsverhältnis für eine Tätigkeit mit einem potentiellen wirtschaftlichen Nutzwert für die Anstellungsstelle.
58Bereits in der Ursprungsfassung, als § 23 Abs. 3 BAföG die Vollanrechnung der „Vergütung aus einem Praktikantenverhältnis“ vorsah (BGBl. 1971 I S. 1409 (1414)),
59vgl. BT-Drs. VI/1975 S. 9 (Entwurf eines Bundesausbildungsförderungsgesetzes),
60war die Vergütung aus dem Ausbildungsverhältnis gemeint.
61Vgl. BT-Drs. VI/1975 S. 32.
62Mit Art. 1 Nr. 21 Buchst. a) des Zweiten Gesetzes zur Änderung des Bundesausbildungsförderungsgesetzes (2. BAföGÄndG) vom 31. Juli 1997 (BGBl. 1974 I S. 1649) nahm der Gesetzgeber dies in den Wortlaut auf und ersetzte das Wort „Praktikantenverhältnis“ durch das Wort „Ausbildungsverhältnis“ in § 23 Abs. 3 BAföG.
63Im Entwurf des 2. BAföGÄndG (dort noch Art. 1 Nr. 20 Buchst. b)) begründete der Gesetzgeber die Wortlautänderung ausdrücklich mit einer Erweiterung des Anwendungsbereichs, weil sich der Begriff des Praktikantenverhältnisses in der Praxis als zu eng erwiesen habe:
64„auch Vergütungen, die der Auszubildende im Rahmen einer schulischen Ausbildung erhält, sollen - entsprechend auch der Regelung im Arbeitsförderungsgesetz - voll auf den Bedarf angerechnet werden (BT-Drs. 7/2098, S. 21).
65Damit vollzog er die extensive Anwendung der Regelungen für „Praktikantenverhältnisse“ in § 23 Abs. 3 BAföG a.F. auf „alle Ausbildungsvergütungen“ in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nach,
66vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1981 – 5 C 58.79 –, juris Rn. 26,
67das festgestellt hatte, die Norm – § 23 Abs. 3 BAföG a.F. wie der damalig geltende § 14 Abs. 3 AföG – gehe davon aus, dass dem Auszubildenden ein im Rahmen der Ausbildungsförderung zu berücksichtigender Bedarf in dem Maße nicht entstehe, in dem er eine Vergütung für Arbeitsleistungen erhalte, die er im Rahmen einer seiner Ausbildung dienenden praktischen Tätigkeit erbringe.
68Vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 1981 – 5 C 58.79 –, juris Rn. 21.
69Die Regelung ist daher von dem Normzweck getragen, dasjenige Einkommen des Auszubildenden ohne Freibetrag auf seinen Bedarf anzurechnen, das er aus einer Tätigkeit erzielt, die er im Rahmen seiner Ausbildung zwangsläufig ableisten muss, weil sie im Ausbildungsplan vorgesehen bzw. notwendige Bedingung für den Abschluss der Ausbildung ist. Die Subsidiarität der Ausbildungsförderung verlangt in diesen Fällen eine freibetragslose Anrechnung der Ausbildungsvergütung. Insoweit entsteht ihm kein Bedarf.
70Vgl. Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 50. Lfg, Nov. 2022, § 23 Rn. 31.
71In diesen Fällen ist sein Bedarf während der Ausbildung gerade wegen Einkommen aus mit der Ausbildung im vorgesehenen Zusammenhang stehenden Tätigkeiten gesichert und die Ausbildung nicht aus finanziellen Gründen gefährdet. Eine besondere Leistung des Auszubildenden über das Notwendige hinaus kann nicht deshalb angenommen werden, weil der Empfänger seiner Leistungen im Rahmen der in der Ausbildung notwendig abzuleistenden Tätigkeit deren Früchte später weiterverwertet oder dies möglich erscheint. Darauf kommt es ausbildungsförderungsrechtlich nicht an. Zum einen stellt das Ausbildungsförderungsrecht an keiner anderen Stelle auf eine spätere Verwertbarkeit von Ausbildungsleistungen durch Dritte ab. Zum andern widerspräche die anderenfalls notwendige Einzelfallbeurteilung des „überschießenden Nutzens“ von Praktika-, Projekt-, Abschlussarbeitsleistungen der mit den Anrechnungsvorschriften bezweckten Verwaltungsvereinfachung im Massenverfahren des Ausbildungsförderungsrechts. Letztlich ist unternehmerisch jede Arbeitsleistung von Nutzen für den Arbeitgeber. Deshalb vergütet er sie und nutzt die Ergebnisse der Leistungserbringung. Dies ist der Regelfall. Von einer hiervon abweichenden Vergütung für Tätigkeiten, die für den Leistungsempfänger ohne Nutzen sind, kann die Rechtsauslegung zur Bildung von Fallgruppen nicht ausgehen. Der Gesetzgeber hat in den vorerwähnten Erwägungen zur Normsetzung eine solche Unterscheidung nicht angestellt. In der den § 23 Abs. 3 BAföG tragenden Gedanken der Zweckidentität der Förderung,
72vgl. OVG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 17. Februar 2011 – 7 A 11082/10 –, juris Rn. 20; Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 50. Lfg, Nov. 2022, § 23 Rn. 31,
73findet eine solche Unterscheidung keine Stütze.
742. Die vorliegend als Gegenleistung für die streitige Vergütung (Einkommen i.S.v. § 21 BAföG) abgeleistete Praxisphase bei der T. GmbH stellt eine Tätigkeit dar, die nach dem Ausbildungsplan abzuleisten ist, um das Ausbildungsziel zu erreichen.
75Dies folgt aus der hierfür maßgeblichen Fachprüfungsordnung. § 14 Abs. 1 der Fachprüfungsordnung für die Bachelorstudiengänge Automotive (AM) Fertigungstechnik (FT) Kunststofftechnik (KT) Mechatronik (MT) und Produktentwicklung/Konstruktion (PK) an der Fachhochschule Q. Standort Z. vom 20. Juni 2017. Die Regelung lautet: „Bezugnehmend auf die Regelungen in § 25 RPO sind die Studierenden der Studiengänge AM, FT, KT, MT, PK verpflichtet im Rahmen des siebensemestrigen Studiengangs eine Praxisphase zu absolvieren. Diese dauert in der Regel 22 Wochen und wird planmäßig in der zweiten Hälfte des sechsten und der ersten Hälfte des siebten Fachsemesters absolviert.“
76Vgl. https://www.fh-swf.de/media/neu_np/hv_2/downloads_der_studiengangsseiten/fb_m_1/gemeinsame_dateien/FPO_Bachelor_MB_Z._2017.pdf (zuletzt abgerufen am 22. Mai 2024).
77Dementsprechend hat der Kläger selbst die Praxisphase in seinem Widerspruch vom 23. Juli 2023 zutreffend als verpflichtend bezeichnet („22-wöchige verpflichtende Praxisphase im Rahmen meines Studiums bei der Firma T. GmbH“). Ob die T. GmbH besondere eigene Interessen an der von ihm ausgeübten Tätigkeit hat, ist für Auslegung und Anwendung des § 23 Abs. 3 BAföG wie dargelegt unbeachtlich. Nachvollziehbar ist die Enttäuschung des Klägers, wegen der erhaltenen Vergütung für die Praxisphase Leistungen nach dem Bundesausbildungsförderungsgesetz zurückzahlen zu sollen. Hierbei ist jedoch die vorstehend dargestellte grundsätzliche Subsidiarität von Ausbildungsförderungsleistungen im Umfang der gesetzlichen Regelungen gegenüber eigenem Einkommen zu erkennen. Ein Anspruch auf Ausbildungsförderungen besteht nicht, weil ein Auszubildender eine Ausbildung betreibt, sondern nur in dem Umfang der gesetzlich vorgegebenen Bedarfe, wenn der Auszubildende diese und damit seine Existenz während der Ausbildung ansonsten nicht sichern könnte, so dass die Ausbildung gefährdet wäre. Ausbildungsförderung ist eine aus öffentlichen Mitteln geleistete Sozialleistung.
783. Auf die Härtefallregelung des § 23 Abs. 5 BAföG kann der Kläger sich nicht mit Erfolg berufen. Dies folgt bereits aus der Gesetzessystematik: Die nach § 23 Abs. 3 BAföG voll auf den gesetzlichen Bedarf anzurechnende Vergütung aus einem Ausbildungsverhältnis kann nicht nach § 23 Abs. 5 BAföG vollständig oder teilweise anrechnungsfrei gestellt werden. Der insoweit eindeutige Wortlaut des § 23 Abs. 5 BAföG erwähnt lediglich § 23 Abs. 1 und Abs. 4 BAföG.
79Vgl. Ramsauer/Stallbaum/Knoop, BAföG, 8. Auflage, 2024, § 23 Rn. 43; Kuznik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 23 BAföG, Stand: 6. Februar 2024, Rn. 63; Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 50. Lfg, Nov. 2022, § 23 Rn. 49 („zusätzlich zu den Freibeträgen nach den Abs. 1 und IV Nr. 1“).
80Unabhängig davon kann eine unbillige Härte i.S.v. § 23 Abs. 5 BAföG nur auf besonderen Ausbildungskosten beruhen, die nicht schon durch den gesetzlichen Bedarf (§ 11 Abs. 1 BAföG, „Ausbildungsförderung wird für […] die Ausbildung geleistet“) gedeckt sind.
81Vgl. Ramsauer/Stallbaum/Knoop, BAföG, 8. Auflage, 2024, § 23 Rn. 44; Kuznik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 23 BAföG, Stand: 6. Februar 2024, Rn. 65; Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 50. Lfg, Nov. 2022, § 23 Rn. 49.
82Besondere Ausbildungskosten des Klägers stehen aber nicht in Streit.
83Weiter wäre ein Härtefallantrag nach dem Wortlaut des § 23 Abs. 5 BAföG vor dem Ende des Bewilligungszeitraums zu stellen gewesen. Ein nach Ablauf des Bewilligungszeitraums gestellter Härtefallantrag nach § 23 Abs. 5 BAföG ist ausgeschlossen.
84Vgl. OVG NRW, Beschluss vom 15. Juli 2010 – 12 A 391/09 – juris Rn. 7; Hartmann, in: Rothe/Blanke, BAföG, 5. Aufl., 50. Lfg, Nov. 2022, § 23 Rn. 56.
854. Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der maßgeblichen Normen bestehen nicht. Zunächst ist § 23 Abs. 3 BAföG mit Art 3 Abs. 1 GG vereinbar.
86Vgl. VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 22. November 2000 – 7 S 608/00 –, juris Rn. 3, m.w.N.
87Zudem bestehen keine Zweifel an der Verfassungsgemäßheit der Anrechnungsvorgaben für das Einkommen des Auszubildenden in § 22 Abs. 2 BAföG. Danach wird auf den Bedarf jedes Kalendermonats des Bewilligungszeitraums der Betrag angerechnet, der sich ergibt, wenn das Gesamteinkommen durch die Zahl der Kalendermonate des Bewilligungszeitraums geteilt wird.
88Das beklagte Amt für Ausbildungsförderung hat zutreffend auf die Befugnis des Gesetzgebers hingewiesen, die Einkommensanrechnung im Ausbildungsförderungsrecht generalisierend und pauschalierend in den Grenzen der verfassungsrechtlichen Maßgaben zu regeln. Die notwendige Verwaltungsvereinfachung im Massenverfahren der Ausbildungsförderung rechtfertigt einzelne Benachteiligungen, insbesondere solange in atypischen Einzelfällen Korrekturmöglichkeiten durch Härtefallregelungen bestehen.
89Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 15. September 1986 – 1 BvR 363/86 –, FamRZ 1987, 901; BVerwG, Urteil vom 23. Februar 2010 – 5 C 2.09 –, juris Rn. 33; zur grundsätzlichen Pauschalisierungsbefugnis betreffend § 21 BAföG.
90Durch die in § 22 Abs. 2 BAföG vorgesehene gleichmäßige Verteilung des Einkommens auf die Monate des Bewilligungszeitraums erhält der Antragsteller eine monatlich gleichbleibende Ausbildungsförderung, auch wenn die Höhe seines anrechenbaren Einkommens monatlichen Schwankungen unterliegt. Die innerhalb eines Bewilligungszeitraums dadurch möglichen Unterschiede der zur Deckung seines Lebensunterhalts vorgesehenen Finanzkraft muss er im Rahmen seiner privaten Haushaltsführung selbstständig ausgleichen. Dies ist der zulässigen Pauschalisierung im Massenverfahren der Ausbildungsförderung geschuldet.
91Vgl. Kuznik in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Auflage, § 22 BAföG, Stand: 15. April 2023, Rn. 35.
92Das eher pauschale Vorbringen des Klägers, eine Ungleichbehandlung sei darin zu sehen, dass in anderen sozialrechtlichen Sachgebieten auf das Zuflussprinzip abgestellt werde, § 22 Abs. 2 BAföG hingegen eine anteilige Anrechnung auf jeden Monat des Bewilligungszeitraums vorschreibe, setzt dem nichts Durchgreifendes entgegen. Die Annahme eines Gleichheitsverstoßes scheitert schon an der Vergleichsgruppenbildung. Die Sachgebiete des Sozialleistungsrechts unterliegen den jeweiligen Besonderheiten der Leistungsempfänger. Innerhalb einer solchen Empfängergruppe mag eine gleichheitssatzrelevante Vergleichsgruppe anzunehmen sein, nicht jedoch ohne Weiteres über die Grenzen der einzelnen Sachgebiete hinweg.
935. Berechnungsfehler des beklagten Amts für Ausbildungsförderung bei der Vollanrechnung der vom Kläger erhaltenen Vergütung der T. GmbH für die 22-wöchige verpflichtende Praxisphase sind weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
94IV. Die Kostenentscheidung folgt zu Lasten des mit der Klage unterlegenen Klägers aus § 154 Abs. 1, § 188 Satz 2 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 und 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2, 108 Abs. 1 Satz 1 der Zivilprozessordnung.
95Rechtsmittelbelehrung:
96Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
971. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
982. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
993. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
1004. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
1015. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
102Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
103Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
104Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.