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Die Frage, ob es sich bei der Bauakte in Gänze um eine Sammlung personenbezogener Daten handelt, kann dahinstehen, da eine Ausnahme nach § 9 Abs. 1 Hs. 2 IFG NRW vorliegt.
Ein Anspruch auf Akteneinsicht in die Bauakte eines Nachbarn besteht nach den Vorschriften des IFG jedenfalls dann, wenn ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Information glaubhaft gemacht wird. Dieses kann darin liegen, den Genehmigungsstatus vorhandener Anbauten auf dem Nachbargründstück zu überprüfen, und zu prüfen, ob ein Anspruch auf bauordnungsrechtliches Einschreiten besteht.
Eine inzidente Prüfung dahingehend, ob das geplante (bauordnungsrechtliche) Vorgehen im Einzelnen Aussicht auf Erfolg hat, ist im Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1, Hs. 2 Buchstabe e) IFG NRW nicht vorzunehmen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist, dass der Anspruch schlüssig behauptet ist.
Die Beklagte wird verpflichtet, dem Kläger Akteneinsicht in die Teile der Bauakte des Grundstücks mit der postalischen Anschrift C.-straße N02, N01 R., zu gewähren, soweit diese den Genehmigungszustand der Anbauten an das Bestandsgebäude zur Grundstücksseite des Klägers zum Gegenstand haben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand
2Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks mit der postalischen Anschrift C.-straße N03, N01 R.. Er begehrt Akteneinsicht in die Bauakte des östlich von seinem Grundstück gelegenen Grundstücks der Beigeladenen mit der postalischen Anschrift C.-straße N02, N01 R., um die baurechtliche Genehmigungslage der das ursprüngliche Haus erweiternden Anbauten, insbesondere des Terrassenanbaus, im Hinblick auf mögliche nachbarrechtliche Abwehransprüche zu prüfen.
3Nachdem der Vater des Klägers, zugleich Nachbar der Beigeladenen, Einsicht in die Bauakte über ihr Nachbargrundstück begehrt hatte, die Beigeladenen dem widersprochen hatten und die Beklagte mitgeteilt hatte, nur der Eigentümer könne nachbarschützende Rechte geltend machen, wandte sich der Kläger mit anwaltlichem Schreiben vom 29. Oktober 2021 an die Beklagte. Er verlangte Einsicht in die Grundstücks-/Bauakte des Grundstücks mit der postalischen Anschrift C.-straße N02, N01 R..
4Mit Schreiben vom 2. März 2022 erklärte der Kläger, er habe Anhaltspunkte für den Zustand des Nachbargrundstückes mitgeteilt. Es sei davon auszugehen, dass die Anbauten im hinteren Bereich des Hauses nicht baugenehmigungskonform erfolgt seien bzw. für diese keine Baugenehmigung vorliege. Aufgrund der nachbarrechtlichen Einwirkung auf sein Grundstück habe er ein Akteneinsichtsrecht aus dem IFG NRW. Persönliche Daten könnten geschwärzt werden. In der Folgezeit wiederholte der Kläger sein Akteneinsichtsgesuch.
5Mit E-Mail vom 28. März 2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, nach dem IFG NRW bestehe lediglich ein Anspruch auf einzelne Informationen, jedoch kein Recht auf Akteneinsicht.
6Der Kläger hat am 25. Mai 2022 die vorliegende Klage erhoben, mit welcher er sein Begehren auf Akteneinsicht weiterverfolgt.
7Zur Begründung seiner Klage macht der Kläger geltend, er versuche seit über zehn Jahren Informationen über die Legalisierung der Anbauten der Beigeladenen bzw. deren Rechtsvorgängern zu erhalten. Hierbei gehe es insbesondere um die Akteneinsicht bezüglich etwaiger erteilter Baugenehmigungen des Nachbargrundstücks. Er gehe davon aus, dass auf dem Grundstück mit der postalischen Anschrift C.-straße N02, N01 R., mit Duldung der Beklagten entsprechende bauliche Anlagen installiert worden seien, für die grundsätzlich Baugenehmigungen notwendig seien. Hierbei gehe es insbesondere um den im Jahre 1996 gestellten Bauantrag der Rechtsvorgänger der Beigeladenen. Die entsprechenden Baukörper, insbesondere der Terrassenanbau, löse entsprechende nachbarrechtliche Spannungen aus. Der Kläger habe zwar Unterschriften unter entsprechenden Plänen geleistet, gleichwohl gehe er davon aus, dass die tatsächliche Errichtung des Anbaus nicht konform mit der Baugenehmigung erfolgt sei. Im Übrigen nehme er an, die seinerzeit erteilte Baugenehmigung sei rechtswidrig ergangen. Der Baukörper des Terrassenanbaus sei über die Baugrenze hinausgebaut worden, dies dürfte nicht genehmigungsfähig sein. Er wolle den Genehmigungsstatus des aktuell vorhandenen Anbaus in Erfahrung bringen. Ihm gehe es nicht um personenbezogene Daten, sondern um bauordnungs- und bauplanungsrechtliche Fakten, die durch die Baugenehmigung zum Ausdruck kämen. Personenbezogene Daten könnten geschwärzt werden. Daher sei ein Ausnahmetatbestand, der das Informationsinteresse des Klägers hindern könnte, nicht ersichtlich. Er habe ein Interesse daran, Auskunft über die Tätigkeit der Bauordnungsbehörde und der Aufsichtsbehörde zu erlangen. Da es nach Mitteilung der Beklagten ein Bauantragsverfahren gäbe, bestehe ein (auch) juristisches Interesse daran, Einblick in die Verwaltungsvorgänge zu nehmen. Er habe einen Anspruch, die gesamte Bauakte einzusehen, um nachvollziehen zu können, inwieweit der illegale Zustand nicht entsprechend sanktioniert bzw. bearbeitet werde. Für ihn sei der aktuelle Zustand nicht hinnehmbar, da es weder eine Ordnungsverfügung noch ein ordnungsbehördliches Einschreiten seitens der Behörde gebe. Nicht erklärlich sei, warum der Zustand des Gebäudes über zehn Jahre nicht bearbeitet werde bzw., dass gegen den illegalen Zustand kein ordnungsbehördliches Einschreiten erfolge. Sein Anspruch auf Auskunft begründe sich nach dem Informationsfreiheitsgesetz und darüber hinaus aufgrund der Verletzung nachbarrechtlicher Normen.
8Der Kläger beantragt schriftsätzlich,
9die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger Akteneinsicht in die Teile der Bauakte des Grundstücks mit der postalischen Anschrift C.-straße N02, N01 R., zu gewähren, soweit diese den Genehmigungszustand der Anbauten an das Bestandsgebäude zur Grundstücksseite des Klägers zum Gegenstand hat.
10Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
11die Klage abzuweisen.
12Der Kläger habe keinen Anspruch nach § 1 Abs. 1 IFG NRW auf (beschränkte) Einsicht in die Bauakte des Nachbargrundstücks der Beigeladenen. Dadurch würden personenbezogenen Daten der betroffenen Eigentümer des Nachbargrundstücks offenbart. Er habe einen begründeten Verdacht von möglichen Gefahren für wichtige Rechtsgüter nicht dargelegt. Soweit es ihm um den Genehmigungsstatus sämtlicher Anbauten an das ursprüngliche Bestandsgebäude auf dem Grundstück der Beigeladenen gehe, könne mitgeteilt werden, dass es für den Anbau weder eine Baugenehmigung noch eine förmliche Duldung gebe. Für den seit Jahren errichteten Terrassenanbau laufe derzeit bei dem Bereich Stadtplanung und Bauordnung noch ein Antragsverfahren der neuen Grundstückseigentümer, der Beigeladenen. Soweit es dem Kläger grundsätzlich darum gehe, dass die Beklagte gegen den Bestand auf dem Nachbargrundstück vorgehe, rechtfertige dies nicht sein streitgegenständliches Begehren. Sofern die Versuche der Beigeladenen, den Komplex zu legalisieren, in einer Baugenehmigung mündeten, werde der Kläger entsprechend den Vorschriften der BauO NRW beteiligt werden. Bislang sei dieses Stadium aber noch nicht erreicht.
13Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt.
14Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung und durch den Berichterstatter gemäß §§ 101 Abs.2, 87a Abs. 2 und Abs. 3 VwGO erteilt.
15Entscheidungsgründe
16Mit Einverständnis der Beteiligten ergeht die Entscheidung durch den Berichterstatter (§ 87a Abs. 2 und 3 der Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –) und ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
17Der Antrag des Klägers war gemäß § 88 VwGO dahingehend auszulegen, dass er dem im Verwaltungsverfahren sowie im gerichtlichen Verfahren geäußerten Begehren des Klägers entspricht, Akteneinsicht in die Teile der Bauakte des Grundstücks mit der postalischen Anschrift C.-straße N02, N01 R., zu erhalten, die erforderlich sind, um den rechtlichen Genehmigungsstand der auf dem Nachbargrundstück befindlichen Anbauten an das Bestandsgebäude zur Grundstücksseite des Klägers zu beurteilen.
18Die so verstandene Klage hat Erfolg. Sie ist zulässig und begründet.
19I. Der Verwaltungsrechtsweg ist gemäß § 40 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 VwGO eröffnet. Danach ist der Verwaltungsrechtsweg in allen öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nicht verfassungsrechtlicher Art gegeben.
20Ob eine Streitigkeit öffentlich-rechtlicher Art ist, richtet sich nach der Rechtsnatur der Rechtsnormen, die das Rechtsverhältnis prägen, aus dem der geltend gemachte Anspruch hergeleitet wird. Entscheidend ist die wahre Natur des Anspruchs, wie er sich nach dem Sachvortrag des Klägers darstellt, und nicht, ob dieser sich auf eine zivilrechtliche oder eine öffentlich-rechtliche Anspruchsgrundlage beruft.
21Vgl. Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 10. Juli 1989 – GmS-OGB 1.88 –, juris Rn. 8; BVerwG, Beschlüsse vom 19. Oktober 2022 – 1 B 65.22 –, juris Rn. 5, und vom 26. Mai 2020 – 10 B 1.20 –, juris Rn. 6.
22Der Kläger stützt seinen Informationszugangsanspruch auf § 4 Abs. 1 des Gesetzes über die Freiheit des Zugangs zu Informationen für das Land Nordrhein-Westfalen (Informationsfreiheitsgesetz Nordrhein-Westfalen – IFG NRW –), der Träger öffentlicher Aufgaben berechtigt und verpflichtet. Streitigkeiten wie die vorliegende, in der die Beteiligten um den Zugang zu Informationen auf Grundlage des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen streiten, sind öffentlich-rechtliche Streitigkeiten.
23Vgl. OVG NRW, Urteil vom 24. November 2015 – 8 A 1032/14 –, juris Rn. 30; Beschlüsse vom 26. August 2009 – 8 E 1044/09 –, juris Rn. 6 ff., und vom 8. Mai 2002 – 21 E 349/02 –, juris Rn. 3; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 15. Juni 2020 – 20 K 11540/17 –, juris Rn. 22 f.
24II. Die unter dem 25. Mai 2022 erhobene Klage ist zulässig.
25Die auf Informationszugang gerichtete Klage ist als Verpflichtungsklage (§ 42 Abs. 1 Var. 2 VwGO) statthaft.
26Vgl. OVG NRW, Urteile vom 6. Oktober 2022 – 15 A 593/20 –, juris Rn. 29, vom 6. Oktober 2022 – 15 A 760/20 –, juris Rn. 28, vom 17. November 2020 – 15 A 4409/18 –, juris Rn. 43, und vom 17. Mai 2006 – 8 A 1642/05 –, juris Rn. 55; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. Februar 2020 – 20 K 4062/18 –, juris Rn. 44.
27Der Kläger ist zudem klagebefugt (§ 42 Abs. 2 VwGO), weil der geltend gemachte Anspruch möglich erscheint. Ein Vorverfahren nach § 68 VwGO war nicht durchzuführen (§ 68 Abs. 1 Satz 2 Var. 1 VwGO i.V.m. § 110 Abs. 1 Sätze 1 und 2 des Gesetzes über die Justiz im Land Nordrhein-Westfalen (Justizgesetz Nordrhein-Westfalen – JustG NRW –).
28Die gerichtliche Geltendmachung von Auskunftsansprüchen setzt grundsätzlich voraus, dass der Antragsteller sein Auskunftsbegehren zuvor bei der auskunftspflichtigen Stelle geltend gemacht hat. Die gebotene behördliche Vorbefassung als Ausprägung des Grundsatzes der Gewaltenteilung und Voraussetzung des Bedürfnisses, gerichtlichen Rechtsschutz in Anspruch zu nehmen, verlangt dabei über die vorprozessuale Einschaltung der Behörde hinaus, dass ein bei der Verwaltung ohne Erfolg angebrachtes und das anschließend gerichtlich geltend gemachte Auskunftsbegehren auf inhaltlich kongruente Fragestellungen zielen. Umformulierungen bzw. Erläuterungen des Sinngehalts einer im gerichtlichen Verfahren zur Entscheidung gestellten Frage dürfen deshalb den thematischen Kern der zuvor gegenüber der Verwaltung gestellten Anfrage nicht modifizieren.
29Vgl. BVerwG, Beschluss vom 26. Oktober 2017 – 6 VR 1.17 –, juris Rn. 9; OVG NRW, Urteile vom 10. September 2019 – 15 A 2751/15 –, juris Rn. 57, und vom 20. September 2018 – 15 A 2752/15 –, juris Rn. 87.
30Eine solche Modifikation der ursprünglichen Anträge liegt nach den obigen Ausführungen nicht vor. Das ursprüngliche Auskunftsbegehren und die nunmehr formulierten Klageanträge zielen vielmehr auf denselben thematischen Kern.
31III. Die Klage ist begründet.
32Dem Kläger steht in dem für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ein Anspruch auf Akteneinsicht in die Teile der Bauakte des Grundstücks der Kläger zu, soweit diese den Genehmigungszustand der Anbauten an das Bestandsgebäude zur Grundstücksseite des Klägers zum Gegenstand hat, § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO.
331. Anspruchsgrundlage für den vom Kläger geäußerten Anspruch, Einsicht in die Bauakte des Grundstücks mit der postalischen Anschrift C.-straße N02, N01 R., zu erhalten, ist § 4 Abs. 1 IFG NRW.
342. Die Anspruchsvoraussetzungen der §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 IFG NRW sind gegeben.
35Nach § 4 Abs. 1 IFG NRW hat jede natürliche Person nach Maßgabe dieses Gesetzes gegenüber den in § 2 IFG NRW genannten Stellen Anspruch auf Zugang zu den bei der Stelle vorhandenen amtlichen Informationen.
36Der Kläger ist danach als natürliche Person grundsätzlich anspruchsberechtigt. Die Beklagte ist als Gemeinde und damit als öffentliche Stelle nach § 2 Abs. 1 IFG NRW grundsätzlich informationspflichtig. Auch handelt es sich bei der zu dem Grundstück mit der postalischen Anschrift C.-straße N02, N01 R., geführten Bauakte um amtliche Informationen i.S.d. § 3 IFG NRW, da hierzu alle Informationen zählen, die bei der Erfüllung amtlicher Tätigkeit gewonnen und verarbeitet werden. Hierzu zählen auch solche, die die Behörde zu einem amtlichen Zweck, wie etwa zur Prüfung der Erteilung einer Baugenehmigung, erhält.
37Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 8. März 2021 – 20 K 4117/19 –, juris Rn. 35.
38Den gemäß § 5 Abs. 1 IFG NRW erforderlichen Antrag hat der Kläger bei der Beklagten mit Schreiben vom 29. Oktober 2021 gestellt.
39Im vorliegenden Fall sind auch keine besonderen Rechtsvorschriften über den Informationszugang i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 1 IFG NRW, die den Vorschriften des Informationsfreiheitsgesetzes Nordrhein-Westfalen vorgehen, ersichtlich.
40Vgl. hierzu ausführlich: VG Gelsenkirchen, Urteil vom 8. März 2021 – 20 K 4117/19 –, juris Rn. 39.
41Hinsichtlich der Art und Weise der Informationsgewährung normiert § 5 Abs. 1 Satz 5 IFG NRW den Grundsatz, dass der Antragsteller die Art des Informationszuganges festlegt. Dies ist vorliegend erfolgt. Der Kläger hat wiederholt mitgeteilt, dass er Akteneinsicht begehrt.
42Vgl. zur Art und Weise der Informationsgewährung allgemein: Schwartmann in Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 45. Edition (Stand: 1. August 2024), § 5 IFG NRW Rn. 8 ff.
433. Dem begehrten Informationszugang steht auch nicht der Ausschlussgrund des § 9 Abs. 1 IFG NRW entgegen.
44Nach § 9 Abs. 1 IFG NRW ist der Antrag auf Informationszugang abzulehnen, soweit durch das Bekanntwerden der Information personenbezogene Daten offenbart werden, es sei denn, ein Ausnahmetatbestand nach § 9 Abs. 1 Buchstaben a) bis e) IFG NRW liegt vor. Dies ist der Fall, wenn a) die betroffene Person eingewilligt hat oder b) die Offenbarung durch ein Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes erlaubt ist oder c) die Offenbarung zur Abwehr erheblicher Nachteile für das Allgemeinwohl oder von Gefahren für Leben, Gesundheit, persönliche Freiheit oder sonstiger schwerwiegender Beeinträchtigungen der Rechte Einzelner geboten ist oder d) die Einholung der Einwilligung der betroffenen Person nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist und es offensichtlich ist, dass die Offenbarung im Interesse der betroffenen Person liegt, oder e) die Antragstellerin oder der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Informationen geltend macht und überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Person der Offenbarung nicht entgegenstehen.
45Der Begriff der personenbezogenen Daten in § 9 Abs. 1 Hs. 1 IFG NRW entspricht dem im Datenschutzrecht verwendeten, der heute Art. 4 Nr. 1 der Datenschutzgrundverordnung (DS-GVO) zu entnehmen ist. Art. 4 Nr. 1 DS-GVO übernimmt dabei seinerseits im Wesentlichen die bereits zuvor in Art. 2 Buchstabe a) der Richtlinie 95/46/EG enthaltene Begriffsdefinition.
46Nach Art. 4 Nr. 1 DS-GVO sind unter „personenbezogenen Daten“ alle Informationen zu verstehen, die sich auf eine identifizierte oder identifizierbare natürliche Person beziehen; als identifizierbar wird eine natürliche Person angesehen, die direkt oder indirekt, insbesondere mittels Zuordnung zu einer Kennung wie einem Namen, zu einer Kennnummer, zu Standortdaten, zu einer Online-Kennung oder zu einem oder mehreren besonderen Merkmalen, die Ausdruck der physischen, physiologischen, genetischen, psychischen, wirtschaftlichen, kulturellen oder sozialen Identität dieser natürlichen Person sind, identifiziert werden kann.
47Der Begriff ist nach der Rechtsprechung dabei nicht auf sensible oder private Informationen beschränkt, sondern umfasst potenziell alle Arten von Informationen sowohl objektiver als auch subjektiver Natur in Form von Stellungnahmen oder Beurteilungen unter der Voraussetzung, dass es sich um Informationen „über“ die in Rede stehende natürliche Person handelt. Die letztgenannte Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Information auf Grund ihres Inhalts, ihres Zwecks oder ihrer Auswirkungen mit einer bestimmten Person verknüpft ist.
48Vgl. EuGH, Urteil vom 20. Dezember 2017 – C-434/16 –, juris Rn. 34; BVerwG, Urteil vom 30. November 2022 – 6 C 10.21 –, juris Rn. 18.
49Entsprechend diesem weiten Begriffsverständnis dürften in Bauakten personenbezogene Daten enthalten sein. Ob zudem auch die gesamte Bauakte in Gänze als Sammlung personenbezogener Daten anzusehen ist,
50vgl. insoweit: VG Gelsenkirchen, Urteil vom 8. März 2021 – 20 K 4117/19 –, juris Rn. 59 ff.; unter Verweis auf VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 10 S 3000/18 –, juris Rn. 35 f.,
51kann hier dahinstehen. Denn das klägerische Informationsbegehren ist im vorliegenden Fall nicht auf die Offenbarung der gesamten Bauakte gerichtet, sondern ausschließlich auf die Teile, die für den rechtlichen Genehmigungs(zu)stand der auf dem Nachbargrundstück befindlichen Anbauten an das Bestandsgebäude zur Grundstückseite des Klägers von Bedeutung sind.
52Ob es sich – der oben genannten Rechtsprechung des VGH Baden-Württemberg folgend – bei diesen den vorliegenden Informationsanspruch betreffenden Unterlagen – insbesondere bei den Lageplänen und Bauzeichnungen – um personenbezogene Daten im Sinne des § 9 Abs. 1 Hs. 1 IFG NRW handelt, kann offen bleiben. Sollte dies zu bejahen sein, können personenbezogene Daten im Fall der einzelnen, in § 9 Abs. 1 Hs. 2 IFG NRW benannten Ausnahmen zugänglich gemacht werden können.
53Ein solcher Ausnahmefall liegt hier vor.
54Zwar haben die Beigeladenen nicht in die Informationserteilung eingewilligt (§ 9 Abs. 1 Hs. 2 Buchstabe a) IFG NRW). Jedoch ist die Informationserteilung an den Kläger nach § 9 Abs. 1 Hs. 2 Buchstabe e) IFG NRW trotz der möglichen Preisgabe personenbezogener Daten ausnahmsweise zulässig. Nach dieser Regelung dürfen personenbezogene Daten offenbart werden, wenn die Antragstellerin oder der Antragsteller ein rechtliches Interesse an der begehrten Information geltend macht und überwiegende schutzwürdige Belange der Person der Offenbarung nicht entgegenstehen.
55Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Kläger macht ein rechtliches Interesse an der Kenntnis der begehrten Information geltend (vgl. hierzu a.) und überwiegende schutzwürdige Belange der Beigeladenen stehen der Offenbarung nicht entgegen (vgl. hierzu b.).
56a. Ein rechtliches Interesse in diesem Sinne erfordert, dass ein unmittelbarer Zusammenhang mit Rechtsverhältnissen des Auskunftsbegehrenden besteht. Die Kenntnis der Daten muss für ihn zur Verfolgung von Rechten oder zur Abwehr von Ansprüchen erforderlich sein.
57Vgl. hierzu und zum Folgenden OVG NRW, Beschlüsse vom 6. Februar 2019 – 15 E 1026/18 –, juris Rn. 49 f., und vom 7. November 2019 – 15 E 863/19 –, juris Rn. 19 ff.
58Das rechtliche Interesse ist mit anderen Worten nur ein solches Interesse, das dem Antragsteller eine qualifizierte Rechtsposition verschafft. Das Geltendmachen eines nur wirtschaftlichen oder gegebenenfalls ideellen Interesses reicht damit nicht aus. Der Antragsteller muss ein ihm zustehendes subjektives Recht geltend machen können, in dessen Zusammenhang er die Informationserteilung begehrt.
59Vgl. Pabst in Gersdorf/Paal, BeckOK Informations- und Medienrecht, 45. Edition (Stand: 1. Mai 2022), § 9 IFG NRW Rn. 24.
60Ein solches Interesse kann auch und gerade mit Blick auf die Einsichtnahme in Bauakten eines Nachbargrundstücks etwa dann gegeben sein, wenn der jeweilige Antragsteller eine – weder mutwillige noch offensichtlich aussichtslose – zivilrechtliche (Nachbar-) Klage bereits erhoben hat oder diese nach entsprechender anwaltlicher Prüfung noch beabsichtigt und hierbei auf die Informationen aus der Bauakte angewiesen ist.
61Vgl. hierzu etwa VG Köln, Urteil vom 25. November 2005 – 27 K 6171/03 –, juris Rn. 53 ff. (zivilrechtliche Nachbarklage zur Klärung des Umfangs einer Grunddienstbarkeit); vgl. zum Ganzen auch VG Aachen, Urteil vom 28. November 2012 – 8 K 2366/10 –, juris Rn. 46 ff. (zum rechtlichen Interesse des Eigentümers hinsichtlich der Einsichtnahme in die Bestandteile einer Grundstücksentwässerungsakte, die bereits in der Zeit der Voreigentümerschaft angefallen sind).
62Hinsichtlich der Darlegungsanforderungen ist zu beachten, dass § 9 Abs. 1, Hs. 2 Buchstabe e) IFG NRW nicht die Glaubhaftmachung eines rechtlichen Interesses an den begehrten personenbezogenen Daten erfordert, jedoch ist eine Geltendmachung des rechtlichen Interesses im Sinne einer nachvollziehbaren „schlüssigen“ Behauptung erforderlich.
63Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 8. März 2021 – 20 K 4117/19 –, juris Rn. 97.
64Dies zugrunde gelegt, kann der Kläger sich vorliegend auf ein in diesem Sinne zu verstehendes ihm zur Seite stehendes subjektives Recht berufen. Er hat sowohl im Rahmen des vorliegenden gerichtlichen Verfahrens wie auch im Rahmen des Verwaltungsverfahrens mitgeteilt, Ziel seines Akteneinsichtsgesuchs sei es, grundsätzlich den Genehmigungsstatus der aktuell vorhandenen Anbauten zu erfahren und zu überprüfen, ob die derzeitige Sachlage von dem genehmigten Zustand abweiche. Durch die Akteneinsicht habe er bzw. sein Prozessbevollmächtigter die Möglichkeit, zu prüfen, ob ein Anspruch auf bauordnungsrechtliches Einschreiten möglicherweise bestehen könnte.
65Ein solcher aus § 58 Abs. 2 BauO NRW folgender Anspruch auf bauordnungsrechtliches Einschreiten scheint vorliegend jedenfalls nicht von vorn herein ausgeschlossen.
66Ein Anspruch des Nachbarn auf bauordnungsbehördliches Einschreiten setzt voraus, dass das angegriffene Vorhaben nicht durch eine bestandskräftige Baugenehmigung gedeckt ist, das Vorhaben den klagenden Nachbarn in seinen Rechten verletzt, und das behördliche Ermessen im Sinne eines Einschreitens reduziert ist.
67Vgl. OVG NRW, Urteil vom 10. Mai 2019 – 7 A 1271/17 –, juris Rn. 29.
68Mit dem von ihm gestellten Antrag begehrt der Kläger, die notwendigen Informationen zu erhalten, um das Bestehen eines solchen Anspruchs prüfen zu können.
69Insbesondere würde der Kläger durch die in dem tenorierten Umfang zu gewährende Akteneinsicht erfahren, ob und wenn ja in welchem Umfang die auf dem Grundstück der Beigeladenen vorhandenen Anbauten tatsächlich genehmigt wurden.
70Dies ist für ihn bereits deshalb von Bedeutung, da ein Anspruch auf baubehördliches Einschreiten des Klägers ausscheidet, soweit die vorhandenen Anbauten genehmigt wurden.
71Vgl. OVG NRW, Urteil vom 27. Oktober 2023 – 7 A 1354/21 –, juris Rn. 32.
72In diesem Fall könnte er lediglich gerichtlich im Wege einer (Dritt-)Anfechtungsklage gegen eine bereits erteilte Baugenehmigung vorgehen.
73Darüber hinaus trägt die begehrte Akteneinsicht grundsätzlich zur Klärung der Frage bei, ob er durch die vorhandenen Anbauten in drittschützenden Normen verletzt ist. In Betracht käme vorliegend etwa ein Verstoß gegen die abstandsrechtlichen Vorschriften, vgl. § 6 BauO NRW oder gegen das bauplanungsrechtliche Gebot der Rücksichtnahme im Zusammenhang mit dem Verlust des Doppelhauscharakters.
74Sollte sich ein solcher Verstoß feststellen lassen, erscheint ein Anspruch des Klägers auf bauordnungsrechtliches Einschreiten jedenfalls möglich.
75Eine inzidente Prüfung dahingehend, ob das vom Kläger geplante (bauordnungsrechtliche) Vorgehen im Einzelnen Aussicht auf Erfolg hat, ist im Anwendungsbereich des § 9 Abs. 1, Hs. 2 Buchstabe e) IFG NRW durch das erkennende Gericht nicht vorzunehmen. Ausreichend, aber auch erforderlich ist nach den vorgenannten Maßstäben, dass der Anspruch schlüssig behauptet ist.
76Vgl. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 8. März 2021 – 20 K 4117/19 –, juris Rn. 116.
77Dies ist hier der Fall. Sollten sich die Anbauten als nicht genehmigt herausstellen, wären sie formell illegal. In diesem Fall hätte die Beklagte die Möglichkeit, bauordnungsrechtlich in Form einer Nutzungsuntersagung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 82 Satz 2 BauO NRW 2018 einzuschreiten. Sollten sich die Anbauten zudem auch als materiell illegal erweisen, käme zudem der Erlass einer Beseitigungsverfügung gemäß § 58 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. § 82 Abs. 1 Satz 1 BauO NRW 2018 in Betracht. Angesichts der Lage sowie der Größe der Anbauten erscheint dies jedenfalls nicht gänzlich ausgeschlossen.
78b. Hinsichtlich der begehrten Informationen stehen schutzwürdige Belange der betroffenen Person(en), d.h. hier der Beigeladenen, der Offenbarung nicht entgegen.
79Solche schutzwürdigen Belange können nach der Systematik der Regelungen im Informationsfreiheitsgesetz NRW lediglich Belange der Betroffenen sein, die über ihr Recht auf informationelle Selbstbestimmung hinausgehen, da dieses Recht bereits zum grundsätzlichen Ausschluss der Informationsweitergabe führte.
80Vgl. VG Köln, Urteil vom 25. November 2005 – 27 K 6171/03 –, juris Rn. 65.
81Solche schutzwürdigen Belange sind von den Beigeladenen weder vorgetragen worden noch erkennbar. Die Angaben, die für die Genehmigungssituation der Anbauten auf dem Nachbargrundstück relevant sind, berühren den Schutz personenbezogener Daten und das verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrecht der Beigeladenen nur am Rand. Die gegenüber dem Kläger offen zu legenden Angaben treffen nicht nur keine Aussage zu dem persönlichen Lebensbereich Einzelner (Privat- oder Intimsphäre), sie unterliegen auch keinen spezifischen Vertraulichkeitspflichten oder einem Geheimnisschutz.
82Vgl. hier ausführlich VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2020 – 10 S 3000/18 –, juris Rn. 40 ff. (hinsichtlich der Angaben in einer Bauakte, die für die Statik der Gebäude relevant sind).
83Diese Einschätzung teilen offensichtlich die Beigeladenen selbst. Ihren eigenen Angaben in dem Erörterungstermin vom 30. Oktober 2024 zufolge hätten sie zunächst ihr Einverständnis mit einer Einsicht des Klägers in die Bauakten erklärt. Erst nach der dritten Anfrage hätten sie ihr Einverständnis nicht mehr erteilt.
84IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Beigeladenen haben keinen Antrag gestellt und sich damit keinem eigenen Kostenrisiko ausgesetzt. Daher sind ihre außergerichtlichen Kosten nicht erstattungsfähig (vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO).
85V. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711, 108 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
86Rechtsmittelbelehrung:
87Innerhalb eines Monats nach Zustellung dieses Urteils kann bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen schriftlich beantragt werden, dass das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster die Berufung zulässt. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen.
88Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster schriftlich einzureichen.
89Auf die ab dem 1. Januar 2022 unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
90Der Antrag ist zu stellen und zu begründen durch einen Rechtsanwalt oder einen Rechtslehrer an einer staatlichen oder staatlich anerkannten Hochschule eines Mitgliedstaates der Europäischen Union, eines anderen Vertragsstaates des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum oder der Schweiz, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, oder eine diesen gleichgestellte Person als Bevollmächtigten. Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse können sich auch durch eigene Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt oder durch Beschäftigte mit Befähigung zum Richteramt anderer Behörden oder juristischer Personen des öffentlichen Rechts einschließlich der von ihnen zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben gebildeten Zusammenschlüsse vertreten lassen. Auf die besonderen Regelungen in § 67 Abs. 4 Sätze 7 und 8 VwGO wird hingewiesen.