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1. Die aufschiebende Wirkung der unter dem Aktenzeichen 14 K 5325/24 erhobenen Klage gegen die Allgemeinverfügungen der Antragsgegnerin durch Aufstellen der verkehrsrechtlichen Anordnungen in Form der Schilder Z 209, Z 209-10, VZ1022 und VZ 1026-32 am Ende der Huyssenallee im Kreuzungsbereich Friedrichstraße/Hohenzollernstraße/ Huyssenallee/ Rüttenscheider Straße in Essen i.V. mit der verkehrsrechtlichen Anordnung vom 9. Oktober 2024, wonach nur Radfahrern und dem Linienverkehr das Geradesausfahren in die Rüttenscheider Straße gestattet ist, wird angeordnet.
Der Antragsgegnerin wird aufgegeben, die am Ende der Huyssenallee im Kreuzungsbereich Friedrichstraße/Hohenzollern-straße/Huyssenallee/Rüttenscheider Straße aufgestellten Verkehrszeichen, die die verkehrsrechtliche Anordnung vom 9. Oktober 2024 umsetzen nebst entsprechendem Vorwegweiser zu entfernen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
2. Der Streitwert wird auf 2.500,- Euro festgesetzt.
Gründe
2Der aus dem Tenor ersichtliche sinngemäß gestellte Antrag hat Erfolg.
3Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der gegen die Allgemeinverfügung i.V. mit der verkehrsrechtlichen Anordnung der Antragsgegnerin vom 9. Oktober 2024 erhobenen Klage ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.
4Die Antragstellerin ist insbesondere in entsprechender Anwendung von § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt. Für die Antragsbefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO genügt es, dass nach dem Vorbringen der Antragstellerin eine Verletzung ihrer Rechte möglich erscheint. An der Antragsbefugnis fehlt es nur dann, wenn die von der Antragstellerin geltend gemachte Rechtsposition offensichtlich und eindeutig nach keiner Betrachtungsweise bestehen oder ihr zustehen kann. Für den Adressaten eines belastenden Verwaltungsakts bedeutet dies stets die Bejahung der Antragsbefugnis, weil zumindest eine Verletzung der allgemeinen Freiheitsgewährleistung nach Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht kommt.
5Vgl. BVerwG, Urteile vom 21. August 2003 -3 C 15.03-, juris und vom 29. April 2020 - 7 C 29.18 -, juris.
6Ein Verkehrsteilnehmer kann als eine Verletzung seiner Rechte geltend machen, die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen für eine auch ihn treffende Verkehrsbeschränkung nach § 45 Abs. 1 StVO seien nicht gegeben. Was die behördliche Ermessensausübung betrifft, kann er allerdings nur verlangen, dass seine eigenen Interessen ohne Rechtsfehler abgewogen werden mit den Interessen der Allgemeinheit und anderer Betroffener, die für die Einführung der Verkehrsbeschränkung sprechen.
7Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1993 -11 C 35.92-, juris.
8Verkehrsteilnehmer ist dabei nicht nur derjenige, der sich im Straßenverkehr bewegt, sondern z.B. auch der Halter eines am Straßenrand geparkten Fahrzeugs.
9Vgl. BVerwG, Urteil vom 11. Dezember 1996 -11 C 15.95-, juris.
10Dies gilt auch für eine juristische Person. Da eine solche rechtsfähig ist, kann sie ebenso wie eine natürliche Person von durch Verkehrszeichen getroffenen Anordnungen in ihrem Rechtskreis betroffen sein. Der Umstand, dass eine juristische Person sich natürlicher Personen bedienen muss, um handlungsfähig zu sein, und auch für die Wahrnehmung von Verkehrszeichen notwendigerweise auf natürliche Personen angewiesen ist, ändert nichts daran, dass auf diesem Wege getroffene Anordnungen geeignet sind, ihr gegenüber Rechtswirkungen zu erzeugen. Ihre Rechtsfähigkeit setzt im Gegenteil geradezu voraus, dass sie das ihr zurechenbare Verhalten ihrer Organe, Vertreter und deren Hilfspersonen gegen sich gelten lassen muss.
11Vgl. BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 2006 - 3 B 181.05 -, juris, OVG NW, Beschluss vom 29. September 2021 -8 B 188/21-, juris.
12Ob juristische Personen und Personengesellschaften, die über Fahrzeuge verfügen und/oder in deren Interesse ihre Organe, Vertreter und Hilfspersonen am Straßenverkehr teilnehmen, natürlichen Personen insoweit unmittelbar gleichzustellen sind,
13in diese Richtung BayVGH, Beschluss vom 27. September 2005 –1 B 01.918- n.v.; Beschluss vom 27. September 2005 ‑11 B 01.918 – juris; BVerwG, Beschluss vom 12. Juni 2006 – 3 B 181.05 – NVwZ 2006, 1072, juris,
14kann letztlich offenbleiben.
15Ebenso OVG NW, Beschluss vom 7.Februar 2023 –8 A 2916/21– juris, Bay. VGH, Urteil vom 24. Juli 2024 -11 B 23.589-, juris.
16Denn die angegriffene verkehrsrechtliche Anordnung ist dazu geeignet, die Antragstellerin als juristische Person des Privatrechts jedenfalls in ihrem Grundrecht der Berufs- bzw. Gewerbefreiheit aus Art. 12 GG zu tangieren, da das hier in Rede stehende Abbiegegebot mit einem einhergehenden Geradeausfahrverbot in die Rüttenscheider Straße unmittelbar in die Dispostionsfreiheit der Fahrzeuge bzw. der Fahrzeugführer der Antragstellerin, ihrer Mitarbeiter, Zulieferer und Kunden eingreift, die von der Huyssenallee aus nördlicher Richtung kommend nunmehr nicht unerhebliche Umwege z.B. über die vielbefahrene Bismarck-, Hohenzollern-, sowie die Folkwang- oder die Wittering- und Baumstraße in Kauf nehmen müssen.
17Vgl. zu der Problematik BVerwG, Urteil vom 6. Mai 2015 –6 C 11.14– BVerwGE 152, 122, juris. BVerwG, Urteil vom 15. Dezember 2011 – 3 C 40.10 – NJW 2012, 1608, juris; Bay. VGH, Urteil vom 24. Juli 2024 -11 B 23.589-, juris.
18vgl. auch Sauthoff, Öffentliche Straßen, 3. Aufl. 2020, Rn. 1119; Steiner in MüKoStVR, 1. Aufl. 2016, § 45 StVO Rn. 8;
19Im Übrigen berührt das Geradeausfahrtverbot die Antragstellerin auch unabhängig davon, ob es diese als Verkehrsteilnehmerin und Adressatin unmittelbar trifft, möglicherweise in ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit,
20vgl. Jarass in Jarass/Pieroth, GG, 18. Aufl. 2024, Art. 2 Rn. 8; BVerfG, Beschluss vom 25. Januar 1984 –1 BvR 272/81– BVerfGE 66, 116/130,
21da das Verbot in die unternehmerische Freiheit der Antragstellerin eingreift.
22Damit erscheint nicht nur ein Eingriff in Art. 12 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1 GG möglich, sondern auch in die Rechte der Klägerin aus § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 StVO. Greift staatliches Handeln in den Schutzbereich eines Grundrechts ein, ist im Zweifel den einschlägigen Normen des einfachen Rechts ein subjektiv-rechtlicher Gehalt zuzuerkennen.
23Vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 42 Rn. 90; BVerfG, Beschluss vom 5.Februar 1963 –2 BvR 21/60– BVerfGE 15, 275, juris; Beschluss vom 18. Juni 1997 –2 BvR 483/95– BVerfGE 96, 100, juris.
24Insoweit kann die Antragstellerin – wie ein Verkehrsteilnehmer – einwenden, die rechtssatzmäßigen Voraussetzungen der Normen seien nicht erfüllt bzw. ihre eigenen Belange seien bei der behördlichen Ermessensausübung rechtsfehlerhaft mit den für die Anordnung sprechenden Belangen abgewogen worden.
25Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. Januar 1993 - 11 C 35.92 - juris VG Köln, Urteil vom 25. September 2012 -18 K 4164/11- juris. Bay. VGH, Urteil vom 24. Juli 2024 -11 B 23.589-, juris.
26Nach alledem ist nach dem Vorbringen der Antragstellerin nicht in einem ihre Antragsbefugnis analog § 42 Abs. 2 VwGO ausschließenden Sinne offensichtlich, dass diese durch die angefochtene verkehrsregelnde Anordnung nicht ihren subjektiven Rechten verletzt sein kann, was für die Antragsbefugnis ausreicht. Von dieser Antragsbefugnis als besonderem Rechtsschutzerfordernis zum Ausschluss der Popularklage ist die der Begründetheit zuzuordnenden Frage zu unterscheiden, ob letztlich eine Aufhebung der Anordnung in Betracht kommt, weil eine Rechtsverletzung der Antragstellerin tatsächlich gegeben ist.
27Vgl. dazu Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, § 113 Rn. 11; Riese in Schoch/Schneider, Verwaltungsrecht, Stand Januar 2024, § 113 VwGO Rn. 15.
28Der Antrag ist auch im Übrigen zulässig. Die Antragstellerin, die sich frühzeitig mit Schriftsatz vom 23. Februar 2024 gegen die Regelung gewandt hat, hat die Klage auch vor Ablauf der hier maßgeblichen Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung –VwGO–, welche mit der ersten Möglichkeit der Antragstellerin, die Verkehrsregelung nach ihrer Aufstellung Ende Oktober 2024 wahrzunehmen zu laufen begann, erhoben.
29Der Antrag ist auch begründet.
30Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Var. 1 VwGO kann das Verwaltungsgericht die aufschiebende Wirkung einer Klage ganz oder teilweise anordnen, wenn deren aufschiebende Wirkung - wie hier - entsprechend § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 VwGO ausgeschlossen ist. Der von dem Gesetzgeber in diesen Fällen angenommene Vorrang des öffentlichen Vollziehungsinteresses besteht dann nicht, wenn sich der angegriffene Verwaltungsakt im Rahmen der vorzunehmenden summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig erweist.
31Die auf der Huyssenallee aufgestellten Verkehrszeichen, welche als Allgemeinverfügung die die verkehrsrechtliche Anordnung der Antragsgegnerin vom 9. Oktober 2024 umsetzen, stellen sich im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung bei der im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes gebotenen summarischen Prüfung als offensichtlich rechtswidrig dar.
32Die den Verkehrszeichen zu Grunde liegende verkehrsrechtliche Anordnung kann allein auf § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 1 und 3 StVO als Rechtsgrundlage gestützt werden.
33Zwar kann nach § 45 Abs. 1 b) Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO die Straßenverkehrsbehörde dem Grunde nach auch notwendige Anordnungen zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung treffen und hierdurch ermächtigt werden, gemeindliche Verkehrskonzepte zu fördern. Ob deren Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen,
34vgl. insoweit Wolf in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 45 StVO (Stand: 1. Dezember 2021), Rn. 40 m.w.N.,
35kann jedoch dahinstehen, da sich die Antragsgegnerin weder im Verwaltungsverfahren bzw. im Rahmen der gemeindlichen Entscheidungsfindung noch in der (undatierten) Antragserwiderung ansatzweise auf § 45 Abs. 1 b) Satz 1 Nr. 5 Alt. 2 StVO gestützt hat.
36Entgegen dem erstmaligen Vortrag der Antragstellerin im Rahmen des Eilverfahrens mit Hinweis auf § 45 Abs. 1, Abs. 9 StVO, wonach in einem mehrjährigen Planungs- und Abwägungsprozess erkannt worden sei, dass die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung für einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf nicht ausreichen und verkehrsregelnde Maßnahmen durch Verkehrszeichen zwingend erforderlich seien, kann die Antragstellerin die straßenverkehrsrechtliche Anordnung darauf nicht stützen.
37Nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO können die Straßenverkehrsbehörden die Benutzung bestimmter Straßen oder Straßenstrecken aus Gründen der Sicherheit und Ordnung des Verkehrs beschränken oder verbieten.
38Der Erlass einer verkehrsregelnden Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO setzt eine konkrete Gefahr für die Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs voraus. Dafür bedarf es allerdings nicht des Nachweises, dass sich ein Schadensfall bereits realisiert hat; es genügt, dass irgendwann in überschaubarer Zukunft mit hinreichender Wahrscheinlichkeit Schadensfälle eintreten können. Dies beurteilt sich danach, ob die konkrete Situation an einer bestimmten Stelle oder Strecke einer Straße die Befürchtung nahelegt, dass die zu bekämpfende Gefahrenlage eintritt; die Annahme einer die Anordnung nach § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO rechtfertigenden konkreten Gefahr ist also nicht ausgeschlossen, wenn zu bestimmten Zeiten der Eintritt eines Schadens unwahrscheinlich sein mag.
39Vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Dezember 1979 - 7 C 46.78 - juris; OVG Münster, Beschluss vom 1. Februar 2023 - 8 A 3251/21 - juris.
40Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit und Ordnung umfasst dabei unter anderem die Einhaltung der Normen der Straßenverkehrsordnung, die ihrerseits die Zielsetzung hat, die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu schützen. Das Schutzgut der Sicherheit des Verkehrs bezieht sich auf die Vermeidung von Schäden für Personen und Sachen im Zusammenhang mit der Teilnahme am Straßenverkehr. Das Schutzgut der Ordnung des Verkehrs bezieht sich auf einen Zustand, in dem die Leichtigkeit und Flüssigkeit des fließenden wie ruhenden Verkehrs gewährleistet ist.
41Vgl. VG Köln, Urteil vom 11. Februar 2022 - 18 K 7110/20 - n.v.; VG Köln, Beschluss vom 20. August 2024 -18 L 1279/24, juris.
42Nach § 45 Abs. 9 Satz 1 StVO sind Verkehrszeichen und Verkehrseinrichtungen ferner nur dort anzuordnen, wo dies aufgrund der besonderen Umstände zwingend erforderlich ist. Aus Wortlaut und Systematik der Vorschriften ergibt sich, dass § 45 Abs. 9 StVO die allgemeine Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO zwar modifiziert und konkretisiert, aber nicht ersetzt. Die Vorschrift zielt dabei darauf ab, die allgemeinen Verhaltensvorschriften im Straßenverkehr im Bewusstsein der Verkehrsteilnehmer aufzuwerten und die "Subsidiarität der Verkehrszeichenanordnung" zu verdeutlichen. "Zwingend erforderlich" ist ein Verkehrszeichen unter Berücksichtigung dieses Regelungszwecks und des Wortlauts der Vorschriften nur dann, wenn es die zur Gefahrenabwehr unbedingt erforderliche und allein in Betracht kommende Maßnahme ist. Das ist nicht der Fall, wenn die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung mit hinreichender Wahrscheinlichkeit einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf gewährleisten. Das Aufstellen von Verkehrszeichen hat damit Ausnahmecharakter.
43Vgl. VG Würzburg, Urteil vom - W 6 K 21.318 - juris Rn. 23; VG München, Urteil vom 8. Juli 2014 - M 23 K 13.3214 – juris; VG Köln, Beschluss vom 20. August 2024 -18 L 1279/24, juris.
44Nach der (weiter) qualifizierten Voraussetzung des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO dürfen Beschränkungen und Verbote des fließenden Verkehrs gar nur angeordnet werden, wenn auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse eine Gefahrenlage besteht, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung näher benannter Rechtsgüter erheblich übersteigt. Dabei gilt die Qualifikation gemäß § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 2 StVO zwar nicht für die Anordnung von Fahrradstraßen.
45Vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 1. Februar 2023 - 8 A 3251/21 - juris.
46Eine entsprechende Fahrradstraßenanordnung (Z 244.1) ist vorliegend aber nicht einschlägig. Denn die Rüttenscheider Straße ist bereits seit 2020 als Fahrradstraße ausgewiesen. Es kann vorliegend dahinstehen, ob ein Abbiegegebot auch nachträglich die Anordnung einer Fahrradstraße flankieren oder ergänzen kann, denn die Fahrradstraße auf der Rüttenscheider Straße beginnt erst etwa ca. 100 Meter südlich der Kreuzung mit der Hohenzollernstraße ab der Einmündung zur Baumstraße. Mithin verhindert die streitgegenständliche Anordnung nicht einmal unmittelbar das Befahren einer Fahrradstraße durch Kraftfahrzeuge.
47Die Geltung der Qualifizierung des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO wird auch nicht durch die Regelung des § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 7 i.V. mit Abs. 1 Satz 2 Nummer 6 2. Halbsatz StVO ausgeschlossen, da die getroffenen Maßnahmen nicht als Probemaßnahmen i.S. dieser Regelung, sondern auf Dauer im Rahmen der Umsetzung eines Gesamtkonzepts erfolgt sind. Als „Pilotprojekt“ war in den Beratungen der Antragsgegnerin allenfalls die Installation eines dynamischen Parkleitsystems mit Parkversuchen zur besseren Nutzung von Lieferzonen angedacht (vgl. Antrag der CDU/Grüne vom 10. November 2021 an den Ausschuss für Verkehr und Mobilität.; Niederschrift Nr. 12 des Rates der Stadt Essen vom 22.2.2022). Ebenso wenig ist der qualifizierte Tatbestand des § 45 Abs. 9 Satz 3 nach § 45 Abs. 10 Nr. 2 StVO ausgeschlossen, wonach Absatz 9 nicht für Anordnungen nach Abs. 1 Satz 2 Nummer 7 StVO gilt. Denn auch diese Ausnahme ist zweifelsohne nicht einschlägig, da es sich nicht um eine Anordnung zur Verbesserung des Schutzes der Umwelt oder zum Schutze der Gesundheit oder zur Unterstützung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung handelt. Den vorliegenden Unterlagen und Begründungen ist ein solch konkretes Ansinnen nicht zu entnehmen und entsprechend ist auch darauf in der Antragserwiderung nicht abgestellt worden. Soweit der Oberbürgermeister der Antragsgegnerin in seinem Schreiben an die Antragstellerin vom 28. März 2024 erwähnt hat, dass die Antragsgegnerin mit den Maßnahmen der vorliegenden Planung u.a. in dem Abbiegeverbot eine Reduzierung der Schadstoff – und CO2-Emissionen sieht, folgt aus diesem schlichten Schreiben auch wegen der Pauschalität der Ausführung keine Anordnung i.S. der o.g. Regelung, zumal nach den Ausführungen mit der Maßnahme vorrangig die Stärkung der Nutzung des Fahrrades zugunsten des Kraftfahrzeuges beabsichtigt sein soll und dies als Baustein zur Stärkung des Umweltverbundes bei der Verkehrsmittelwahl angesehen wird. Im Übrigen ist nicht plausibel, wie die streitgegenständliche Abbiegeregelung, die weiterhin mit einer Zufahrt auf die Rüttenscheider Straße aus nördlicher, westlicher sowie östlicher Richtung und mit entsprechenden Ausweichverkehren einhergeht sowie als sog. „unechte Einbahnstraße“ in beide Richtungen auch diese Verkehre weiterhin zulässt, einer Reduzierung von Schadstoffen dienen könnte.
48Wenn sich die Straßenverkehrsbehörde für die Anbringung eines Verkehrszeichens entscheidet, hat sie vor Erlass einer auf § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO gestützten verkehrsrechtlichen Anordnung eine besondere Darlegungslast und sie ist vor Erlass zur Prüfung der objektiven Gefahrenlage für die öffentliche Sicherheit und Ordnung verpflichtet.
49Vgl. VG Würzburg, Urteil vom - W 6 K 21.318 - juris; VG München, Urteil vom 8. Juli 2014 -M 23 K 13.3214- juris.
50Insoweit obliegt es ihr, die für das Vorliegen eines besonderen Gefährdungspotenzials sprechenden Gründe darzulegen und gegebenenfalls anhand von Tatsachenmaterial zu dokumentieren.
51Vgl. VG Saarlouis, Urteil vom 25. April 2013 - 10 K 422/12 - juris.
52Gemessen hieran ist eine objektive Gefahrenlage für die Sicherheit und Ordnung des Straßenverkehrs von der Antragsgegnerin nicht im Ansatz dargelegt. Weder aus der Aktendokumentation noch aus ihrem Vorbringen im Rahmen der Antragserwiderung ist ersichtlich, dass die Maßnahme aus Gründen der Sicherheit oder Ordnung des Verkehrs erforderlich ist und aus diesem Grund angeordnet wurde. Die schlichte Ausführung im Rahmen der Antragserwiderung, dass die allgemeinen und besonderen Verhaltensregeln der Straßenverkehrsordnung für einen sicheren und geordneten Verkehrsablauf nicht ausreichten und verkehrsregelnde Maßnahmen durch Verkehrszeichen zwingend erforderlich seien, beschränkt sich auf eine banale Behauptung mit Wiederholung des Gesetzestextes. Den Beratungsunterlagen für bzw. in den Gremien der Antragsgegnerin zu der beabsichtigten Gesamtmaßnahme ist lediglich zu entnehmen, dass eine Verbesserung der Rahmenbedingungen und der Verkehrssicherheit für den Radverkehr auf der Fahrradstraße Rüttenscheider Straße (Antrag von CDU/Grüne vom 26. Januar 2022 an den Ausschuss für Verkehr und Mobilität) angestrebt und auch zum Gegenstand des interfraktionellen Arbeitskreises „Verkehrsberatung Rüttenscheider Straße“ gemacht sowie Gegenstand der Begutachtung/Verkehrsuntersuchung durch die „Planersocietät“ wurde. Irgendwelche Unfallstatistiken vor bzw. auf der Fahrradstraße bzw. Gefährdungsprognosen mit Veränderung von bestehenden und zu erwartenden Nutzungsfrequenzen sind an keiner Stelle zu finden. Allein in der Vorlage der Antragsgegnerin für den Ausschuss Verkehr und Mobilität vom 12. Oktober 2023, mit dem die „Variante 3c+1a“ vorgeschlagen wurde, ist die Rede davon, dass sowohl aus Sicht des Radverkehrs, des Lieferverkehrs als auch des Kraftfahrzeugverkehrs „meist als unbefriedigend beschrieben“ werde und die Ansprüche an eine Fahrradstraße derzeit nicht erfüllt würden, wobei die Unfallkommission inzwischen vier Unfallhäufungsstellen an der Rüttenscheider Straße führe. Dieser rudimentäre allgemeine Hinweis auf Unfallgeschehen ohne Ermittlung bzw. Darlegung hinsichtlich der tatsächlichen relevanten verkehrlichen Verhältnisse mit Blick auf die Unfallursachen und ein den Radverkehr gefährdendes Verkehrsaufkommen kann die streitgegenständliche Verkehrsregelung im konkreten Fall nicht ansatzweise begründen. Erst Recht nicht vor dem Hintergrund, dass ein Befahren der Straße weiterhin in beide Richtungen sowie von allen Seiten möglich bleibt und eine Reduzierung des Durchgangsverkehrs mit einhergehendem Quell- und Lieferverkehr schon nicht dargelegt ist und wohl auch nicht zu erwarten sein dürfte.
53Ist vorliegend schon die Voraussetzung des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO nicht erfüllt, liegt erst Recht nicht die qualifizierten Voraussetzungen des § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO, nämlich eine Gefahrenlage mit Berücksichtigung besonderer örtlichen Verhältnisse vor, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung näher benannter Rechtsgüter erheblich übersteigt.
54Unabhängig davon, dass schon die tatbestandlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, leidet die verkehrsrechtliche Anordnung auch an Ermessensfehlern. Maßnahmen im Regelungsbereich des § 45 Abs. 1 Satz 1, Abs. 9 StVO stehen im Ermessen der zuständigen Behörde. Die Ausübung des durch § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO vermittelten straßenverkehrsbehördlichen Ermessens ist gerichtlich nur eingeschränkt zu überprüfen. Das Gericht prüft insoweit gemäß § 114 Satz 1 VwGO lediglich, ob die straßenverkehrsrechtliche Anordnung deshalb rechtswidrig ist, weil die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten sind oder von dem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist.
55Die behördliche Ermessensentscheidung überprüft das Gericht anhand der Begründung des Verwaltungsakts, vgl. § 39 Abs. 1 Satz 3 VwVfG NRW.
56Vgl. eingehend: Schuler-Harms, in: Schoch/Schneider, VwVfG, 4. EL November 2023, § 39 Rn. 66 f.
57Bei einer grundsätzlich nicht formgebundenen Allgemeinverfügung ist jedoch nicht erforderlich, dass die Allgemeinverfügung selbst eine Begründung enthält, § 39 Abs. 2 Nr. 5 VwVfG NRW.
58Vgl. VG Köln, Beschluss vom 14. September 2023 - 18 L 1738/23 - juris unter Bezugnahme auf Koehl, in: NK-GVR, 3. Aufl. 2021, StVO § 45 Rn. 10; VG Köln, Urteil vom 1. März 2024 - 18 K 671/23 – juris.
59Insoweit genügt es, dass die Ermessensbetätigung der Straßenverkehrsbehörde für den Adressaten und das Gericht auf andere Weise nachvollziehbar erscheint und entsprechend dokumentiert wird. Regelmäßig wird die Dokumentation der Ermessenserwägungen im Verwaltungsvorgang erfolgen.
60Vgl. Riese, in: Schoch/Schneider, 44. EL März 2023, VwGO § 114 Rn. 47; VG Köln, Beschlüsse vom 14. September 2023 - 18 L 1738/23 -; 18 L 1279/24, juris.
61Gegebenenfalls kann seitens der Behörde auch anderweitig belegt werden, welche Erwägungen der verkehrsrechtlichen Anordnung zu Grunde liegen. Denn insoweit gilt, dass für Inhalt und Umfang der Begründung von Verwaltungsentscheidungen keine allgemeinen Maßstäbe existieren. Es kommt auf die Besonderheiten des jeweiligen Rechtsgebiets und die Umstände des Einzelfalls an.
62Vgl. BVerwG, Beschluss vom 27. Juni 1990 -7 B 93.90-, m.w.N. juris.
63Diese Maßstäbe zugrunde gelegt fehlt es an sämtlichen Ermessenserwägungen der Antragsgegnerin auf der Grundlage der von ihr aus Gründen der Sicherheit benannten Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 StVO. Eine Betätigung ihres Ermessens zu Fragen der Sicherheit des Straßenverkehrs für die Anordnung ist im Rahmen des Verwaltungsverfahrens nicht erkennbar geworden. Vielmehr scheint es vorrangig darum gegangen zu sein, den „deutlich zu vielen Autoverkehr“ irgendwie zu beschränken um die Attraktivität und Aufenthaltsqualität der Rüttenscheider Straße zu steigern (Protokoll der Ratssitzung vom 9. November 2023, S. 2). Nicht in den Blick genommen und in Ermessenserwägungen einbezogen worden sind Belange der unmittelbaren Anlieger z.B. zur Frage der zeitnahen und vertretbaren Erreichbarkeit von (Geschäfts-)Grundstücken oder die Belastung der Anlieger in den umliegenden Straßen mit einhergehenden Fahrverzögerungen anlässlich der neuen Verkehrsführung. Dies obgleich in der Ratssitzung am 29. November 2023 eine noch größere Verkehrsbelastung durch einen stattfindenden Verdrängungsprozess in die Seitenstraßen ausdrücklich kritisiert und darauf auch hingewiesen wurde, dass es keinerlei Datenbasis über die Auswirkungen der geplanten neuen Verkehrsführung auf das Verkehrsaufkommen in den umliegenden Straßen gebe und auch Regelungen für den notwendigen Lieferverkehr fehlten oder unzureichend berücksichtigt seien (Protokoll der Ratssitzung vom 9. November 2023, S. 3). Nicht erkennbar ist auch, dass Alternativen erwogen worden sind, z.B. auch Anliegern wie der Antragstellerin ebenso wie dem Linienverkehr aus nördlicher Richtung kommend die Weiterfahrt in die Rüttenscheider Straße zu gestatten oder diese zumindest zu bestimmten Zeiten zu erlauben.
64Die Aufhebung der Vollziehung der bereits erfolgten verkehrsrechtlichen Anordnung ergibt sich aus § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO, wobei das die Fahrrichtung vorgebende Hinweisschild, das keine Allgemeinverfügung darstellt, einzubeziehen war.
65Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
66Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.A. Ziffer 46.15 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, wonach eine verkehrsregelnde Anordnung mit dem Auffangwert von 5.000,00 Euro zu bemessen ist. Im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes war die Hälfte dieses Betrags (Ziffer 1.5 Satz 1 Halbsatz 1 des Streitwertkatalogs) anzusetzen.
67Rechtsmittelbelehrung:
68Gegen den Beschluss zu 1. steht den Beteiligten die Beschwerde an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen in Münster zu.
69Die Beschwerde ist innerhalb von zwei Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen. Sie ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung ist, sofern sie nicht bereits mit der Beschwerde vorgelegt worden ist, beim Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen. Sie muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Das Oberverwaltungsgericht prüft nur die dargelegten Gründe.
70Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
71Im Beschwerdeverfahren gegen den Beschluss zu 1. muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für die Einlegung der Beschwerde. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.
72Gegen den Beschluss zu 2. findet innerhalb von sechs Monaten, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt oder das Verfahren sich anderweitig erledigt hat, Beschwerde statt, wenn der Wert des Beschwerdegegenstandes 200 Euro übersteigt.
73Die Beschwerde ist schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, einzulegen. Über sie entscheidet das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, falls das beschließende Gericht ihr nicht abhilft.
74Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.