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Die an der Riphausstraße in Waltrop durch Zeichen 274 angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h wird aufgehoben.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des beizutreibenden Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand:
2Der Kläger wohnt in der N -straße in Waltrop und befährt regelmäßig die Riphausstraße in Waltrop. Er wendet sich gegen die auf der Riphausstraße eingerichtete Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h.
3Die Riphausstraße hat den Charakter einer Allee mit zwei jeweils einspurigen und durch einen breiten, mit Bäumen bepflanzten Mittelstreifen getrennten Richtungsfahrbahnen. Sie verläuft geradlinig von Norden nach Süden. Am Fahrbahnrand und auf dem Mittelstreifen befinden sich im Straßenverlauf wechselnd sowohl in Längsrichtung als auch schräg angeordnete Parkboxen. Auf der in nördliche Richtung verlaufenden Fahrbahn ist zwischen der Fahrbahn und den Parkboxen ein Fahrradstreifen auf der Fahrbahn markiert. In südlicher Richtung verläuft der rot gepflasterte Radweg zwischen dem Gehweg und den Parkboxen. Die Fahrbahnbreite lässt sich auf dem Luftbild des Geoportals NRW für jede Fahrtrichtung mit etwas mehr als drei Metern bestimmen.
4Nach den unstreitigen Feststellungen der Beklagten handelt es sich um eine Wohnstraße überwiegend mit Mehrfamilienhäusern, Geschäften, Gastronomie, einer Kirche und einem Frei- und Hallenbad sowie Ein-/Ausgängen zum Stadtpark.Die durchschnittliche Verkehrsbelastung lag nach den ebenfalls unstreitigen Feststellungen der Beklagten bei einer Erhebung im Jahr 2018 pro Richtungsfahrbahn bei rund 2.400 bis 2.800 Fahrzeugen am Tag.
5Nachdem in Politik und Verwaltung bereits in früheren Jahren über eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Riphausstraße nachgedacht wurde, beantragte die Ratsfraktion Bündnis 90/Grüne in der Sitzung des Ausschusses für öffentliche Ordnung und Bürgerservice am 22. März 2022 die Einrichtung einer Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h.
6In der Begründung dieses Antrags heißt es,
7„Wir wollen präventiv handeln, bevor es zu schlimmeren Unfällen kommt.“
8Wegen des Alleecharakters der Riphausstraße seien Radfahrer und Kinder schlecht zu sehen. Durch schräg parkende Autos bestehe ein erhöhtes Gefahrenpotential beim Ausparken. Als erwünschter Nebeneffekt der Geschwindigkeitsbeschränkung sei eine Lärmminderung zu erwarten. Es gebe zudem Beschwerden von Anwohnern über zu schnell fahrende Autos und LKW. Die Beschränkung helfe präventiv Unfälle zu vermeiden.
9In der Sitzungsvorlage 2020-2025/0423 für die Ausschusssitzung am 22. März 2022 wird zum Sachverhalt ausgeführt, die Unfalllage sei laut Stellungnahme der Polizei unauffällig. Auch gebe es keine Beschwerdelage über regelmäßige Geschwindigkeitsüberschreitungen. Das allgemeine Tempolimit von 50 km/h werde im Mittel eingehalten.
10Aufgrund der Örtlichkeit spreche aus Sicht der Polizei nichts gegen eine Herabsetzung auf 30 km/h, dies dürfte sich allgemein positiv auf die Verkehrssicherheit auswirken. Die Akzeptanz einer Reduzierung auf 30 km/h dürfte aufgrund des Verkehrsverhaltens (keine Geschwindigkeitsüberschreitungen) und der örtlichen Verhältnisse zu erwarten sein.
11Bereits in einer Stellungnahme vom 30. April 2021 teilte die zuständige Polizeibehörde mit, wenn eine Tempo 30 Regelung vorgesehen sei, sei dies nur dann sinnvoll, wenn die Parkboxen quer zur Fahrbahn eingerichtet würden, da sonst der Fahrbahnquerschnitt zu breit sei. Gegen die Beschränkung der Geschwindigkeit auf 30 km/ sei nichts einzuwenden, sie sei aber auch nicht zwingend erforderlich. Im Jahr 2020 sei dort durch die Polizei die Geschwindigkeit zwei Mal kontrolliert worden, ohne dass Auffälligkeiten oder Hinweise auf überhöhte oder nicht angepasste Geschwindigkeiten bekannt geworden seien.
12Im Zeitraum vom 2018 bis Mai 2022 erfasste die Polizei 12 meldepflichtige Unfälle. Bei keinem dieser Verkehrsunfälle waren die Geschwindigkeit oder schlechte Sichtverhältnisse ursächlich, sondern es handelte sich überwiegend um Unfälle beim Ein- oder Ausparken mit Fahrerflucht sowie Stürze von Radfahrern auf dem Radweg ohne Beteiligung des fließenden Verkehrs. In einem Fall kam es aufgrund einer Vorfahrtmissachtung zu einem Zusammenstoß.
13Der Rat der Beklagten beschloss am 7. April 2022 entsprechend der Vorlage für die Ausschusssitzung vom 22. März 2022 für eine Testphase von 6 Monaten die Geschwindigkeit auf der Riphausstraße auf 30 km/h herabzusetzen. Der Beschluss enthält konkrete Vorgaben für Auswertung der Testphase durch Polizei und Verwaltung. Neben der tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeit und Unfallhäufigkeit sollte für die Bewertung der Testphase auch die mögliche Veränderung der Lärmsituation als Kriterium herangezogen werden.
14Mit E-Mail vom 10. April 2022 wandte sich der Kläger an die Beklagte und machte Einwendungen gegen die Geschwindigkeitsbeschränkung geltend.
15In seiner Sitzung am 17. Mai 2022 beschloss der Ausschuss für öffentliche Ordnung und Bürgerservice die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h unmittelbar anzuordnen, da die Riphausstraße nunmehr aufgrund von Straßenbaustellen auf anderen Straßen als Umleitungsstrecke genutzt werde. Dies lasse einen gesteigerten LKW-Verkehr erwarten, der zu zusätzlichen Gefahren für den Straßenverkehr führe.
16Am 18. Mai 2022 ordnete die Beklagte für die Riphausstraße in beiden Fahrtrichtungen die Beschränkung der Höchstgeschwindigkeit auf 30 km/h an. Zur Begründungwurde ausgeführt, die Vollsperrung der Borker Straße (bis ca. Ende 2022) sowie der Kreuzungsumbau Berliner-/ Lehmstraße (bis ca. Ende Sept. 2022 führten zu einer erheblichen Mehrbelastung der Riphausstraße. Zusammen mit den dortigen örtlichen Gegebenheiten (Unübersichtlichkeit, rückwärtiges Ausparken in den fließenden Verkehr…) liege eine konkrete Gefährdungslage vor, die es erforderlich machen würde, ab sofort bis zum Abschluss der Bauvorhaben Tempo 30 anzuordnen.
17Mit Schreiben vom 17. Mai 2022 erläuterte die Beklagte dem Kläger die Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung auch mit Hinweis auf die nunmehrige Nutzung als Umleitungsstrecke. In dem Schreiben heißt es:
18„Aufgrund dieser verkehrsregelnden Maßnahmen, zusätzlich aber auch wegen der Unübersichtlichkeit der Fahrbahn im Bereich der schräg zur Fahrbahn parkenden Fahrzeuge, des Weiteren wegen der auf dem Mittelstreifen parkenden Fahrzeuge, welche sich durch den dortigen Baumbewuchs nur erschwerend rückwärts ausparkend in den fließenden Verkehr einordnen können, des Schulbusverkehrs welcher Schüler*innen zum Schulschwimmen zum Bürgerbad bringt, oder aber Schüler*innen mit dem Fahrrad oder zu Fuß dort hinfahren/-gehen, ebenso wie durch den Fußgängerquerungsverkehr liegt nunmehr aufgrund des erhöhten Verkehrsaufkommens eine konkrete Gefährdungslage vor, die. es erforderlich macht, auch ohne eine Erprobungsphase gemäß 45 Abs. 1 i.V.m. § 45 Abs. 1 S. 3 StVO Tempo 30 auf der Riphausstraße anzuordnen.“
19Der Kläger wandte sich mit Schreiben vom 29. Mai 2022 erneut gegen die Geschwindigkeitsbeschränkung und kündigte an klagen zu wollen, falls die Anordnung unbefristet getroffen werde.
20Mit Schreiben vom 7. Juni 2022 teilte die Beklagte dem Kläger mit, es handele sich um eine befristete Anordnung während der Bauarbeiten. Ergänzend wurde ausgeführt:
21„Die Verkehrssituation wurde u.a. unter Auswertung der Unfalllage ausgiebig untersucht, die Anordnung im Einvernehmen mit der Polizei und dem Straßenbaulastträger erteilt. Bisher ist geplant, dass sich eine ebenfalls zeitlich befristete Erprobungsphase direkt nach Abschluss der oben genannten Bauvorhaben anschließen soll, so dass auch unter Normalbedingungen Verkehrsdaten erhoben werden können.“
22In der Folgezeit beobachtete die Polizei sowohl das Unfallgeschehen, als auch die Einhaltung der Geschwindigkeitsbeschränkung.
23In einer der Beklagten zur Verfügung gestellten Aufstellung werden von Februar bis Mai 2022 sechs Unfälle aufgeführt. In vier Fällen (mit anschließender Unfallflucht oder unter Alkoholeinfluss) wurden beim Rangieren im ruhenden Verkehr Fahrzeuge beschädigt. In einem Fall kam es aufgrund eines Fahrfehlers beim Wenden zu einem Unfall zwischen einem Lkw und einem Pkw und in einem Fall stürzte ein Radfahrer ohne Fremdbeteiligung auf dem Radweg.
24Nachdem die Beschränkung durch Aufstellen der Schilder im Mai 2022 bekannt gemacht war, ereigneten sich bis Ende April 2023 auf der Riphausstraße sieben durch die Polizei erfasste Unfälle. In einem Fall stürzte ein Radfahrer ohne Fremdeinwirkung. Drei Unfälle betrafen die Beschädigung geparkter Pkw mit anschließender Unfallflucht. Ein Unfall wurde durch einen Fehler beim Wenden verursacht, ein weiterer beim Abbiegen von der Riphausstraße aufgrund einer Blendung des Fahrers durch die tiefstehende Sonne.
25Die zulässige Höchstgeschwindigkeit, die vor der Geschwindigkeitsbeschränkung weitgehend eingehalten wurde, reduzierte sich nach der Geschwindigkeitsbeschränkung von 49 bis 50 km/h auf 38 bis 40 km/h.
26Am 17. November 2022 beriet der Ausschuss für öffentliche Ordnung über die Fortsetzung der Geschwindigkeitsbeschränkung im Rahmen einer Erprobung. Zur Begründung führte der Ausschuss u.a. aus:
27„Die Gesamtbetrachtung ergab, dass die tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten entsprechend der Geschwindigkeitsreduzierung, im Verhältnis gesehen, gesunken sind und die Anzahl der Fahrzeuge sich um durchschnittlich 500 Fahrzeuge täglich durch die zusätzlichen Umleitungsverkehre erhöht hat (s. Tabelle Anlage 1). lm laufenden Jahr 2022 ereigneten sich bisher insgesamt 7 meldepflichtige Unfälle (sechs vor der Geschwindigkeitsreduzierung, einer danach); Stand: Sept. 2022.“
28Der Ausschuss beschloss, die zulässige Höchstgeschwindigkeit nach Abschluss der Bauvorhaben vorläufig weiterhin auf 30 km/h zu begrenzen. Die Verlängerung sollte für sechs Monate unter Normalbedingungen (ohne zusätzliche Umleitungsverkehre) gelten. Danach sollte erneut beraten werden.
29Am 23. November 2022 ordnete die Beklagte die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h befristet bis Juni 2023 an.
30Im April 2023 befasste sich der Rat der Stadt Waltrop sich mit Möglichkeiten und politischen Initiativen, generell Tempo 30 im Stadtgebiet einzuführen und verwies die Frage einer dauerhaften Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung auf der Riphausstraße an den Ausschuss für öffentliche Ordnung. In der Vorlage für die Ausschusssitzung am 1. Juni 2023 (2020-2025/0682) heißt es u.a.:
31„Die Gesamtbetrachtung ergab, dass die tatsächlich gefahrenen Geschwindigkeiten nach Einführung der Temporeduzierung im Mittel um ca. 10 km/h gesunken sind. Die Anzahl der Fahrzeuge hat sich durch die zusätzlichen Umleitungsverkehre zunächst um durchschnittlich 500 Fahrzeuge täglich erhöht und nach Beendigung der Baustellen um ca. 700 Fahrzeuge täglich reduziert, also im Vorher- Nachher-Vergleich (Tempo 50 - Tempo 30) um ca. 200 Fahrzeuge täglich verringert. Seit Jan. 2022 ereigneten sich auf der Riphausstraße bisher insgesamt 11 meldepflichtige Unfälle [sechs vor der Geschwindigkeitsreduzierung, fünf danach, Stand 15.05.23].“
32Die Beklagte ordnete schließlich am 15. Juni 2023 die Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h dauerhaft an. Zur Begründung der Anordnung führte sie aus:
33„Aufgrund der besonderen Lage, den örtlichen Verhältnissen (insbesondere dem gefährlichen rückwärtigen Ausparken bei mangelnder Sicht) und der Gesamtsituation ist nach Abwägung aller Interessen eine konkrete Gefahrenlage festgestellt, die eine Anordnung von Tempo 30 rechtfertigt. Die Verkehrszeichen 274 StVO (30 km/h) sind in der Örtlichkeit noch aus der Testphase vorhanden und können an den betreffenden Stellen verbleiben.“
34Der Kläger hat am 10. Mai 2023 die vorliegende Klage erhoben. Zur Begründung führt er aus, dass er die Riphausstraße täglich, manchmal auch mehrmals täglich nutze.
35Er halte die Anordnung –die Aufstellung der Schilder seien am 18. Mai 2022 erfolgt- allein für ideologisch begründet und sachlich nicht gerechtfertigt. Eine qualifizierte Gefahrenlage im Sinne des § 45 Abs. 9 StVO liege nicht vor.
36Sämtliche zur Begründung vorgetragenen Argumente seien vorgeschoben. Bei der Riphausstraße handele es sich nicht um einen Schulweg. Für Radfahrer seien auf beiden Seiten der Straße eigene Wege vorhanden. Keiner der herangezogenen Unfälle habe mit der gefahrenen Geschwindigkeit zu tun. Alle Unfälle hätten sich bei Schrittgeschwindigkeit ereignet; es handele sich um Unfälle beim Rangieren/Einparken/Ausparken oder Radfahrer seien einfach ohne Fremdeinwirkung vom Rad gestürzt. Die Straße sei kein Unfallschwerpunkt, auch erhebliche Geschwindigkeitsübertretungen seien nicht festgestellt worden. Die Richtungsfahrbahnen der Straße seien baulich getrennt, ein Unfall beim Wenden auf der Fahrbahn sei daher ausgeschlossen. Die Parksituation entspreche der allgemeinen Situation auf zahllosen Straßen in Deutschland und stelle keine Besonderheit der örtlichen Gegebenheiten dar.
37Der Kläger beantragt,
38die an der Riphausstraße in Waltrop durch Zeichen 274 angeordnete Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h aufzuheben.
39Die Beklagte beantragt,
40die Klage abzuweisen.
41Zur Begründung wiederholt sie die im Verwaltungsverfahren bereits vorgetragenen Argumente.
42Ergänzend führt sie aus, mit ihrem Alleecharakter erscheine die Straße schmal, besonders durch das Schrägparken auf der Westseite. Die Sichtbeziehungen seien durch Bäume stark eingeschränkt, so dass querende Fußgänger oder Radfahrer übersehen werden könnten. Querungen fänden punktuell im gesamten Verlauf der Straße statt. Die Baumallee löse außerdem durch den Schattenwurf mit teils extremen Lichtwechsel (Flackern) eine zusätzliche negative Einwirkung auf Verkehrsteilnehmer aus.
43Ebenfalls fänden Querungen auch vom und zum Grünstreifen in der Mitte statt, wo sich Stellplätze befinden, sowie Überquerungen zur anderen Straßenseite oder z.B. zwischen Lohbuschstraße und Stadtpark, wo eine Radwegverbindung ohne gesicherte Querungsmöglichkeit über die Riphausstraße ausgewiesen sei. Ein Fußgängerüberweg befinde sich nur in Höhe des Frei- und Allwetterbades.
44Während der Nutzung der Riphausstraße als Umleitungsstrecke sei die Geschwindigkeitsbeschränkung neben den örtlichen Gegebenheiten durch die Zunahme des Verkehrs und der Steigerung des Lkw-Anteils erforderlich gewesen. Die zeitlich begrenzte Geschwindigkeitsbeschränkung während des Probebetriebs belaste den Kläger als allgemeinen Verkehrsteilnehmer nur in geringem Umfang. Insoweit überwiege der Schutz der körperlichen Unversehrtheit der übrigen Verkehrsteilnehmer nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG – bereits die allgemeine Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) des Klägers.
45Neben der allgemeinen Gefahrenlage durch die örtlichen Gegebenheiten, sei in der Vergangenheit geprüft worden, ob es Alternativen zu einer Geschwindigkeitsbeschränkung gebe.
46Eine komplette Umgestaltung des Straßenraumes einschließlich Umbau der Parkstände in eine sichere Längsaufstellung (ggf. mit Erweiterung der Baumscheiben) sei aus Kostengründen nicht realisierbar und habe deshalb verworfen werden müssen. Aufgrund der Beibehaltung der vorhandenen Schrägparkstände bestehe eine Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der zu schützenden Rechtsgüter erheblich übersteige.
47Bei einem Ortstermin der zuständigen Straßenverkehrsbehörde am 14. Juni 2023 habe sich erneut der Eindruck einer bestehenden Gefahrenlage vor Ort aufgrund der besonderen örtlichen Gegebenheiten bestätigt.
48Entscheidungsgründe:
49Die Klage ist zulässig und begründet.
50Die Klage ist zulässig, insbesondere ist die Klagebefugnis gegeben. Der Kläger macht plausibel geltend, die Straße regelmäßig zu nutzen und aus dem Verwaltungsvorgang ergibt sich, dass er sich frühzeitig gegen die Regelung gewandt hat. Zudem hat er die Klage vor Ablauf der hier maßgeblichen Jahresfrist des § 58 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO –, welche mit der ersten Möglichkeit des Klägers, die Verkehrsregelung wahrzunehmen zu laufen begann, erhoben.
51Bei der Verkehrsregelung durch Verkehrszeichen nach § 45 StVO handelt es sich nach allgemeiner und in der obergerichtlichen Rechtsprechung anerkannter Auffassung um Dauerverwaltungsakte. Sie sind durch die Verwaltung ständig darauf zu kontrollieren, ob die Voraussetzungen für ihren Erlass (noch) vorliegen. Daraus folgt, dass der maßgebliche Zeitpunkt für eine gerichtliche Rechtskontrolle im Rahmen einer Anfechtungsklage der Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung ist.
52Die im Mai 2023 durch das Aufstellen der Verkehrszeichen als Allgemeinverfügung bekanntgemachte Geschwindigkeitsbeschränkung stellt sich zur Überzeugung des Gerichts (§ 108 VwGO) zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung als rechtswidrig dar, da die Voraussetzungen des § 45 StVO für eine Beschränkung des fließenden Verkehrs gegenwärtig nicht erfüllt sind. Dies beeinträchtigt den Kläger als Nutzer der Riphausstraße auch in seinen Rechten als Verkehrsteilnehmer.
53Es kann deshalb dahinstehen, ob schon die erste Anordnung der Beschränkung am 18. Mai 2022 aufgrund der zusätzlichen Verkehrsbelastung durch die Umleitungsstrecke rechtmäßig auf die Rechtsgrundlage § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 1 StVO gestützt werden konnte.
54Ebenso kann dahinstehen ob die nachfolgende Anordnung vom 23. November 2022, die Geschwindigkeit für die Dauer von sechs Monaten auf der Grundlage des § 45 Abs. 1 Nr. 6 i.V.m. Abs. 9 Satz 4 Nr. 7 StVO auf 30 Km/h herabzusetzen rechtmäßig war, denn seit dem 15. Juni 2023 wurde die Geschwindigkeitsbeschränkung durch die Beklagte dauerhaft angeordnet.
55Rechtsgrundlage für diese Anordnung ist vorliegend allein § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 1 und 3 StVO.
56§ 45 Abs. 1c StVO (Tempo 30 Zone) wurde durch die Beklagte ausdrücklich nicht herangezogen und wäre auch nicht einschlägig, da die Voraussetzungen für die Einbeziehung der Riphausstraße in eine solche, in den umliegenden Straßen bestehende, Zone nicht erfüllt sind, da die Riphausstraße u.a. über Radwege und eine Lichtzeichenanlage verfügt.
57Die Voraussetzungen der Sonderregelungen des § 45 Abs. 1a bis 1e StVO zur Beschränkung des fließenden Verkehrs liegen ebenfalls nicht vor.
58Die Einschränkungen zur Beschränkung des fließenden Verkehrs in § 45 Abs. 9 Satz 3 StVO werden vorliegend auch nicht durch Satz 4 der Bestimmung ausgeschlossen.
59In der aktuell geltenden Fassung des § 45 Abs. 9 Satz 4 Nr. 6 StVO wird zwar abweichend von Abs. 9 Satz 3 die Möglichkeit für eine Geschwindigkeitsbeschränkung auf 30 km/h auch auf Straßen des überörtlichen Verkehrs (Bundes-, Landes- und Kreisstraßen) oder auf weiteren Vorfahrtstraßen (Zeichen 306) ermöglicht. Diese Möglichkeit kommt aber nur in Betracht, wenn die Beschränkung im unmittelbaren Bereich von an diesen Straßen gelegenen Kindergärten, Kindertagesstätten, allgemeinbildenden Schulen, Förderschulen, Alten- und Pflegeheimen oder Krankenhäusern erfolgt. Das ist hier unstreitig nicht der Fall. Die Beklagte hat die Beschränkung unabhängig vom Vorhandensein derartiger Einrichtungen für den gesamten Verlauf der Riphausstraße angeordnet.
60Die Voraussetzungen der Ermächtigungsgrundlage des § 45 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 9 Satz 1 und 3 StVO sind nicht erfüllt, denn entgegen der in der Begründung der Anordnung und der Klageerwiderung geäußerten Auffassung der Beklagten besteht auf Grund der besonderen örtlichen Verhältnisse keine Gefahrenlage, die das allgemeine Risiko einer Beeinträchtigung der in den vorstehenden Absätzen genannten Rechtsgüter erheblich übersteigt.
61Anhaltspunkte für eine solche, die allgemeinen Gefahren des Straßenverkehrs erheblich übersteigende Gefahrenlage ergeben sich weder aus den vor der Anordnung der Beschränkung getroffenen Feststellungen der Polizei und der Beklagten, noch aus den nach der Anordnung erhobenen Daten zu Geschwindigkeit und Unfallzahlen.
62Die in der Begründung hervorgehobenen Gefahren, nämlich das rückwärtige Ausparken aus schräg zur Fahrbahn angeordnete Parkboxen, wobei die Sicht durch Bäume teilweise eingeschränkt werde und der Querungsverkehr von Fußgängern, stellen grundsätzlich normale Situationen im städtischen Alltagsverkehr dar, die jedem Autofahrer bereits aus der praktischen Ausbildung in der Fahrschule sowie der regelmäßigen Teilnahme am Straßenverkehr vertraut sind.
63Allein, dass beim Ausparken, insbesondere in der hier beschriebenen örtlichen Situation, besondere Aufmerksamkeit erforderlich ist, rechtfertigt noch nicht die Annahme einer die allgemeinen Gefahren des Straßenverkehrs erheblich übersteigende Gefahrenlage.
64Hierbei ist neben den von der Beklagten in der Begründung ihrer Anordnung angeführten Gefahrenmomente auf der anderen Seite zu berücksichtigen, dass die Riphausstraße auch über räumlich durch den Mittelstreifen getrennte Fahrbahnen in einer Breite von jeweils mindestens drei Metern verfügt und die Straße ohne Kurven von Nord nach Süd verläuft. Durch die räumliche Trennung des Fahrradverkehrs von der Fahrbahn – in nördliche Richtung ist der Radweg durch Fahrbahnmarkierungen abgetrennt, in südlicher Richtung verläuft er farblich abgegrenzt auf dem Niveau des Gehwegs – ist die Verkehrssituation im fließenden Verkehr als übersichtlich einzustufen.
65Da die örtlichen Gegebenheiten zwischen den Beteiligten unstreitig ist und der Kammer neben den Luftbildern des Geodatenservers- NRW,
66https://www.tim-online.nrw.de/tim-online2/; Kachelname: 32390_5720, Bildflugdatum 06.04.2024, letzter Abruf 28. Oktober 2024,
67und den Bildern aus google-street-view,
68https://www.google.de/maps/@51.6254705,7.4122723,3a,75y,16.86h,86.28t/data=!3m7!1e1!3m5!1soGPisjplX25_KOS6DZJXUA!2e0!6shttps:%2F%2Fstreetviewpixels-pa.googleapis.com%2Fv1%2Fthumbnail%3Fcb_client%3Dmaps_sv.tactile%26w%3D900%26h%3D600%26pitch%3D3.722638055726094%26panoid%3DoGPisjplX25_KOS6DZJXUA%26yaw%3D16.8595735492519!7i16384!8i8192?coh=205410&entry=ttu&g_ep=EgoyMDI0MTAyMy4wIKXMDSoASAFQAw%3D%3D, aufgenommen Juni 2023, zuletzt abgerufen 28.10.2024,
69auch die von der Beklagten mit der Klageerwiderung übermittelten Lichtbilder zur Verfügung standen, konnte sich die Kammer auch ohne die Durchführung eines Ortstermins einen Eindruck von den örtlichen Gegebenheiten machen und ihrer Entscheidungsfindung zu Grunde legen.
70Auch die Verkehrsbelastung der Riphausstraße bietet keinen Anhalt für eine die normalen Gefahren des Straßenverkehrs erheblich übersteigende Gefahrenlage. Die von der Beklagten zu verschiedenen Zeitpunkten ermittelten Belastungszahlen liegen deutlich unter den in den durch die Beklagte zur Bewertung der Verkehrsbelastung herangezogenen Richtlinien für die Anlage von Stadtstraßen (RASt 06). Dort werden für Wohn-, Sammel- bzw. Quartiersstraßen Orientierungswerte der Kfz-Verkehrsbelastungen in einer Größenordnung zwischen 400 bis 800 bzw. 1.000 Kfz in der stärkst belasteten Spitzenstunde genannt. Für Verbindungs- und Hauptverkehrsstraßen liegt der Orientierungswert bei 800 bis über 2.600 Kfz in der stärkst belasteten Spitzenstunde.
71Nach den Feststellungen der Beklagten lag die durchschnittliche Verkehrsstärke Ende 2018 auf der Ostseite der Straße bei 2.400 und auf der Westseite bei knapp 2.800 Fahrzeugen täglich und damit weit unterhalb der Werte, welche RASt 06 zu für Wohn- und Verbindungs- bzw. Hauptverkehrsstraßen Grunde legt. In der Phase, als die Riphausstraße als Umleitungsstrecke genutzt wurde, war dieser Wert zwar erhöht. Er hat sich aber nach den Feststellungen der Beklagten nun auf einem Wert unterhalb der vorherigen Belastung eingependelt. Dies mag seine Ursache unter anderem darin haben, dass nach der übereinstimmenden Vermutung der Beteiligten in der mündlichen Verhandlung seit der Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung ein Teil des aus Osten über die Dortmunder Straße kommende Verkehr zur „Vermeidung“ der Ampelkreuzung an der Einmündung der Riphausstraße bereits vorher in die parallel östlich verlaufende Adamsstraße nach Norden abbiegt, da sich nunmehr die dort als Zonenbeschränkung angeordnete Höchstgeschwindigkeit von 30 km/h nicht mehr als Nachteil gegenüber der Nutzung der Riphausstraße darstellt.
72Jedenfalls ist festzustellen, dass die Riphausstraße in der Gesamtschau eine gut ausgebaute, und übersichtliche Straße mit einem mäßigen Verkehrsaufkommen ist.
73Die Tatsache, dass die örtlichen Gegebenheiten keine die allgemeinen Gefahren des Straßenverkehrs erheblich übersteigende Gefährdung begründen wird auch durch die von der Beklagten erhobenen Unfallzahlen gestützt.
74Keiner der von der Polizei erfassten Unfälle hatte als Ursache die Geschwindigkeit oder die von der Beklagten beschriebenen Situation beim Ausparken aus den schräg angeordneten Parkboxen. Überwiegend handelte es sich soweit Radfahrer beteiligt waren um Alleinunfälle ohne Beteiligung des fließenden Kfz-Verkehrs oder um die Beschädigung parkender Fahrzeuge mit anschließender Unfallflucht oder um Unfälle unter Alkoholeinfluss. Die wenigen Unfälle im fließenden Verkehr fanden vor und nach der Anordnung der Geschwindigkeitsbeschränkung in ungefähr gleicher Anzahl statt.
75Unfälle mit querenden Fußgängern wurden überhaupt nicht erfasst.
76Es ist daher nicht ersichtlich, dass die gefahrene Geschwindigkeit eine die allgemeinen Verkehrsgefahren erheblich übersteigende Gefahrenlage begründet, oder – worauf die Polizei bereits 2020 hinwies – die Absenkung der Geschwindigkeit aufgrund einer solchen Gefahrenlage zwingend geboten wäre.
77Der Umstand, dass eine Herabsetzung der Geschwindigkeit auf 30 km/h sich nach dem derzeitigen Erkenntnisstand günstig auf die Vermeidung von Unfällen und auf die Unfallfolgen für die Unfallbeteiligten auswirken kann, ist ein möglicherweise politisch zu verfolgendes Argument für die Herabsetzung der innerörtlich durch die Straßenverkehrsordnung zugelassenen Höchstgeschwindigkeit. Die zum Entscheidungserheblichen Zeitpunkt gültige Rechtslage ermöglicht den zuständigen Behörden – hier der Beklagten – eine solche Beschränkung des fließenden Verkehrs aber nur unter den oben dargestellten Voraussetzungen, die – wie dargelegt – vorliegend nicht erfüllt sind.
78Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
79Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.
80Rechtsmittelbelehrung:
81Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
821. ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils bestehen,
832. die Rechtssache besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten aufweist,
843. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
854. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
865. ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann.
87Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils schriftlich bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, zu beantragen. Der Antrag muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, schriftlich einzureichen.
88Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
89Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.