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1.Zur Frage, ob einem wegen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat verurteilten Straftäter in Tadschikistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit eine gegen Art. 3 EMRK verstoßende Behandlung droht und deshalb ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG besteht (hier bejaht).
2.Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverwaltungsgerichts ist in diplomatischen Zusicherungen unter be-stimmten Voraussetzungen ein geeignetes Instrument zur Ausräumung der Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung selbst bei Staaten zu sehen, in denen systematisch gefoltert und misshandelt wird.
3.Welche konkreten Anforderungen an eine solche Zusicherung zu stellen sind, lässt sich nicht abstrakt beantworten, sondern hängt insbesondere von den Bedingungen im Abschiebezielstaat und dem konkreten Inhalt der Zusicherung ab.
4.Der Beachtlichkeit einer Zusicherung steht nicht zwangsläufig entgegen, dass es sich hierbei nicht um eine zwischen Ministerien und Botschaften ausgetauschte "Verbalnote", sondern "nur" um eine Erklärung eines Behördenleiters (hier des tadschikischen Generalstaatsanwalts) gegenüber der Deutschen Botschaft handelt (wie BVerwG, Urteil vom 27. März 2018 - 1 A 5.17 -, juris Rn. 60).
Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, wird das Verfahren eingestellt. Im Übrigen wird die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 00.00.0000 verpflichtet, zugunsten des Klägers festzustellen, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 des Aufenthaltsgesetzes hinsichtlich Tadschikistans vorliegt.
Die Kosten des Verfahrens, für das Gerichtskosten nicht erhoben werden, tragen der Kläger zu zwei Dritteln und die Beklagte zu einem Drittel.
Das Urteil ist wegen der Kostenentscheidung vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Vollstreckungsschuldner darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Tatbestand:
2Der am 00.00.0000 in E. (Tadschikistan) geborene Kläger ist tadschikischer Volks- und Staatsangehöriger islamischen Glaubens. Er reiste am 00.00.0000 in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 00.00.0000 einen Asylantrag.
3Durch Bescheid vom 00.00.0000 erkannte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) dem Kläger die Flüchtlingseigenschaft nach § 60 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz a. F. zu.
4Der Kläger wurde in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß §§ 129a, 129b des Strafgesetzbuches – StGB – am 00.00.0000 festgenommen und befand sich seitdem aufgrund entsprechender Anordnung des Ermittlungsrichters in Untersuchungshaft.
5Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof teilte in dieser Sache der Botschaft der Republik Tadschikistan unter dem 00.00.0000 nach Art. 36 des Wiener Übereinkommens über die konsularischen Beziehungen die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens und die Inhaftierung fünf tadschikischer Staatsangehöriger mit. Weitere Auskünfte erteilte er nicht, da sämtliche Beschuldigten nach Belehrung über ihre Rechte aus dem Wiener Übereinkommen ausdrücklich gebeten hätten, das Konsulat der Republik Tadschikistan nicht von ihrer Festnahme zu benachrichtigen.
6Der Generalbundesanwalt erhob am 00.00.0000 Anklage gegen den Kläger und weitere Tatbeteiligte wegen der Beteiligung als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, deren Zwecke und deren Tätigkeit darauf gerichtet sind, Mord (§ 211 StGB), Totschlag (§ 212 StGB) und Kriegsverbrechen (§§ 8, 9, 10, 11 und 12 Völkerstrafgesetzbuch) zu begehen.
7Unter dem 00.00.0000 leitete das Bundesamt ein Verfahren zur Aufhebung des Flüchtlingsschutzes ein.
8Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte den Kläger mit Urteil vom 00.00.0000 (Az. ABC) neben weiteren Angeklagten wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung nach §§ 129a und 129b StGB zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten. Es stellte fest, dass sich die Angeklagten mit weiteren tadschikischstämmigen Beschuldigten in Deutschland einer Zelle der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat (IS) angeschlossen hatten. Angetrieben von ihrer radikalislamischen Gesinnung hatten sie das Ziel verfolgt, den Jihad mit Mitteln des bewaffneten Kampfes auf Seiten des IS aufzunehmen. Der Kläger hatte sich bereits im Vorfeld der Zellengründung ab Januar 2018 durch seine Beteiligung am Online-Propagandanetzwerk der IS-Provinz Khorasan (ISIS-K) durch den Betrieb von Telegram-Gruppenchats im Auftrag eines in Afghanistan aufhältigen IS-Mitglieds in die terroristische Vereinigung IS eingegliedert. Er hatte im Februar 2018 Propaganda des IS in einem Zello-Kanal des Online-Netzwerkes der IS-Provinz Khorasan veröffentlicht. Er hatte im Auftrag führender IS-Mitglieder aus der IS-Provinz Khorasan beginnend ab Ende Februar 2018 Zello-Kanäle des IS verwaltet und betreut. Außerdem hatte er ab April 2018 mit einem führenden IS-Mitglied eine Applikation für Mobiltelefone, mittels derer er die Ideologie des IS unter tadschikischsprachigen Muslimen verbreitete, programmiert und diese u. a. durch die Möglichkeit, Geld mittels eines russischen Zahlungsdienstleisters zu spenden, weiterentwickelt. Anfang Dezember 2018 hatte er ein künftiges Mitglied der IS-Zelle rekrutiert, indem er in einem Gespräch für den Plan der Gruppe geworben hatte, auf Seiten des IS die tadschikische Regierung mit Waffengewalt zu bekämpfen. Gemeinsam mit weiteren Angeklagten hatte er sich am 16. Januar 2019 an simulierten Kampfübungen der Zelle für den bewaffneten Jihad des IS bei einem Paintball-Training beteiligt. Der Kläger hatte mit weiteren Angeklagten am 3. März 2019 an einem persönlichen Treffen der Zelle zur Abstimmung des weiteren Vorgehens bei der Vorbereitung jihadistischer Anschläge teilgenommen. Im Ergebnis hatte sich die Auffassung durchgesetzt, jihadistische Anschläge für den IS zunächst in Deutschland zu verüben und daneben weiter die Teilnahme am bewaffneten Kampf des IS in Tadschikistan vorzubereiten. Der Kläger hatte mit einem weiteren Angeklagten in Umsetzung dieser Planung mit Vorbereitungen für einen jihadistischen Sprengstoffanschlag in Deutschland begonnen, indem sie sich Anfang März 2019 u.a. für Angriffe aus der Luft über das Erlernen von Drachen- und Gleitschirmfliegen informiert hatten.
9Das Bundesamt hörte den Kläger mit Schreiben vom 14. Juli 2022 zum beabsichtigten Widerruf der Flüchtlingseigenschaft an.
10Durch Bescheid vom 00.00.0000 widerrief das Bundesamt die mit Bescheid vom 00.00.0000 zuerkannte Flüchtlingseigenschaft (Ziffer 1.), erkannte den subsidiären Schutzstatus nicht zu (Ziffer 2.) und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 Aufenthaltsgesetz – AufenthG – nicht vorliegen (Ziffer 3.) Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, die Flüchtlingseigenschaft sei gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 Asylgesetz – AsylG – zu widerrufen. Der Ausschlusstatbestand gemäß § 3 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 i. V. m. § 3 Abs. 2 Satz 2 AsylG sei erfüllt. Aus schwerwiegenden Gründen sei die Annahme gerechtfertigt, dass der Kläger den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt habe. Die hier maßgeblichen Ziele und Grundsätze der Vereinten Nationen seien in der Präambel und den Artikeln 1 und 2 der Charta der Vereinten Nationen dargelegt. Sie kämen auch in Resolutionen des UN-Sicherheitsrates zum Ausdruck. Danach stünden insbesondere Handlungen, Methoden und Praktiken des Terrorismus, die Finanzierung und Planung terroristischer Handlungen sowie die Anstiftung dazu in Widerspruch zu den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen. Aus der Anklageschrift des Generalbundesanwalts ergebe sich die Zuwiderhandlung des Klägers. Er sei insbesondere in die Strukturen des Islamischen Staates eingebunden, habe eine Zelle in Deutschland gegründet und Kontakt zu hochrangigen IS-Kadern gehabt. Er habe über das Online-Netz der IS-Provinz Khorasan die Propaganda des IS verbreitet und Spenden gesammelt. Zudem habe er neue Mitglieder akquiriert und Anschläge vorbereitet. Der IS werde von der Bundesregierung offiziell als terroristische Vereinigung eingestuft und sei seit dem 14. September 2014 verboten. Die erforderliche individuelle Verantwortung des Klägers ergebe sich aus seinen Tätigkeiten und Unterstützungsleistungen, die das OLG Düsseldorf in seinem Urteil vom 00.00.0000 festgestellt habe. Mit diesen habe er den Zielen und Grundsätzen der Vereinten Nationen zuwidergehandelt, und zwar nicht als einfaches Mitglied, sondern als solches, dem von zwei IS-Führungspo-sitionen IS-ideologische Aufgaben mit besonderen Verantwortungsbereichen übertragen worden seien. Damit sei der Kläger auch nach § 4 Abs. 2 AsylG von der Gewährung des subsidiären Schutzes ausgeschlossen. Ein Abschiebungsverbot liege ebenfalls nicht vor. Es sei nicht ersichtlich, dass ihm eine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur versursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung drohe. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in Tadschikistan führten nicht zu der Annahme, dass bei Abschiebung eine Verletzung von Art. 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention – EMRK – vorliege. Dem Kläger drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben, die zur Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 7 AufenthG führe.
11Der Kläger hat am 6. Januar 2023 Klage erhoben.
12Das Bundesamt hat unter dem 00.00.0000 das Auswärtige Amt gebeten, eine diplomatische Zusicherung von der Republik Tadschikistan einzuholen.
13Das Auswärtige Amt hat unter dem 00.00.0000 eine Verbalnote an die Botschaft der Republik Tadschikistan übersandt. In dieser hat es die Identität des Klägers sowie dessen strafrechtliche Verurteilung wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat mitgeteilt. Weiter hat es ausgeführt, es sei aufgrund der begangenen Straftaten mit erneuter Strafverfolgung in Tadschikistan zu rechnen. Nach Erkenntnissen der Bundesrepublik Deutschland liege in der Republik Tadschikistan ein Haftbefehl vor, der die Festnahme und Inhaftierung des Klägers bei einer Rückkehr nahelege. Es hat die Republik Tadschikistan gebeten, zuzusichern, (1.) dass der Kläger durch die Polizei und andere Sicherheitskräfte keiner Folter oder sonstiger unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werde, (2.) dass im Falle freiheitsentziehender Maßnahmen gegen den Kläger durch staatliche Stellen sämtliche Verfahrensgarantien und Anforderungen an die Behandlung und Unterbringung Inhaftierter aus dem Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe und aus dem Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte beachtet würden, (3.) dass dem Kläger ein Rechtsbeistand nicht verwehrt werde und ein Rechtsbeistand auch während einer möglichen Inhaftierung jederzeit freien Zugang erhalte und (4.) dass Nichtregierungsorganisationen im Fall einer Inhaftierung ein Besuchsrecht zum Zweck der Prüfung der Einhaltung dieser Zusicherung eingeräumt werde.
14Mit Verbalnote vom 00.00.0000 an die Botschaft der Republik Tadschikistan hat das Auswärtige Amt an die noch unbeantwortete Verbalnote erinnert.
15Das Gericht hat die Beklagte gemäß § 87b Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung– VwGO – aufgefordert, bis zum 26. Juli 2024 schriftlich alle Tatsachen anzugeben und Beweismittel zu bezeichnen sowie Urkunden oder andere bewegliche Sachen vorzulegen und elektronische Dokumente zu übermitteln, die aktuell im vorliegenden Klageverfahren Berücksichtigung finden sollen, und es über die sich aus § 87b Abs. 3 VwGO ergebenden Folgen hingewiesen. Mit Verfügung vom 29. Juli 2024 hat es auf Antrag der Beklagten diese Frist bis zum 2. August 2024 verlängert.
16Die Beklagte hat mit Schriftsatz vom 00.00.0000 eine von der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Tadschikistan an die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland vorab digital übermittelte Zusicherung in Auszügen wiedergegeben. Mit Schriftsatz vom 00.00.0000 hat sie eine unter dem 00.00.0000 erstellte Zusicherung des Generalstaatsanwalts der Republik Tadschikistan übersandt.
17Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger vor: Zu den im Schreiben des Generalbundesanwalts vom 00.00.0000 genannten fünf tadschikischen Staatsangehörigen gehöre auch der Mitverurteilte XYZ. Dieser sei unmittelbar nach seiner Abschiebung von tadschikischen Behörden wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen Terrorvereinigung verurteilt worden. Trotz des Schweigens des Generalbundesanwalts zur Identität der Festgenommenen hätten die tadschikischen Behörden nähere Kenntnisse über die verurteilten Personen. Es sei anzunehmen, dass die Abschiebung des Klägers der Republik Tadschikistan angekündigt und er von deutschen Beamten begleitet werde, so dass die tadschikischen Behörden schon aufgrund der äußeren Umstände auf den Kläger aufmerksam würden. Die zunächst vorgetragene und sodann überreichte Zusicherung sei nach § 87b Abs. 3 VwGO wegen der Überschreitung der Frist und nicht ausreichender Entschuldigung der Verspätung zurückzuweisen. In der Sache enthalte sie keine Garantien zu den Haftbedingungen in Tadschikistan. Ihm drohe bereits aufgrund der Haftbedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Ihm drohe aufgrund der Ausführungen in der Zusicherung bei einer Überstellung eine erneute strafrechtliche Verurteilung. Diese Doppelbestrafung verstoße gegen den Grundsatz des „ne bis in idem“. Ihm stehe daher ein Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG zu.
18Der Kläger hat ursprünglich beantragt, den Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 00.00.0000 aufzuheben, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, ihm den subsidiären Schutz nach § 4 AsylG zuzuerkennen, hilfsweise die Beklagte zu verpflichten, festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf Tadschikistan bestehen.
19Nachdem er die Klage zurückgenommen hat, soweit sie sich auf die Ziffern 1.) und 2.) im angefochtenen Bescheid vom 00.00.0000 erstreckt, beantragt er nunmehr schriftsätzlich und sinngemäß,
20die Beklagte unter Aufhebung von Ziffer 3. des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 00.00.0000 zu verpflichten, festzustellen, dass in seiner Person Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 oder Abs. 7 Satz 1 AufenthG im Hinblick auf Tadschikistan bestehen.
21Die Beklagte beantragt,
22die Klage abzuweisen.
23Zur Begründung führt sie aus: Unter Berücksichtigung der abgegebenen Zusicherung könne davon ausgegangen werden, dass dem Kläger nach seiner Rückkehr nach Tadschikistan nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Gefahren im Sinne des Art. 3 EMRK drohten. Die Zusicherung sei konkret in Bezug auf den Kläger erteilt worden. Auch wenn sie von der Generalstaatsanwaltschaft verfasst worden sei, sei sie im Namen des gesamten Staates übermittelt worden. Es könne grundsätzlich und auch hier davon ausgegangen werden, dass ihr Inhalt intern mit den zuständigen Ministerien oder anderen Behörden abgestimmt sei. Der Fall des Klägers sei der erste, in dem die Bundesrepublik Deutschland diplomatische Zusicherungen der Republik Tadschikistan angefragt und erhalten habe. Erfahrungswerte zur Verlässlichkeit dieser Zusicherungen könnten daher nicht vorliegen. Es lägen gerade keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die Republik Tadschikistan nicht strikt an diese halten werde. Dagegen spreche schon die besondere Bedeutung gerade dieser ersten Zusicherung. Würde das Vertrauen enttäuscht, hätte dies unweigerlich nachhaltige Störungen der Beziehung beider Staaten zur Folge. Den neuen Stellenwert, den Zentralasien für Deutschland besitze, verdeutliche das 5+1-Gipfeltreffen mit Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Kirgistan, das auf Einladung des Bundeskanzlers im September 2023 in Berlin stattgefunden habe. Die Zusicherung garantiere durch den Passus „The Tajik side guarantees that after the final decision on the cases is made, the Federal Republic of Germany side will be provided with additional Information“ ein Monitoring durch die Bundesrepublik Deutschland. Von dem Inhalt der diplomatischen Zusicherung sei auch die Gewährleistung des Rechts auf Verteidigung und eines ungehinderten Zugangs des Klägers zu Verfahrensbevollmächtigten erfasst. Hinsichtlich einer dem Kläger im Falle seiner Abschiebung etwaig drohenden erneuten Bestrafung bestehe kein Verbot der Doppelbestrafung.
24Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
25Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie die beigezogenen Akten des Generalbundesanwalts Bezug genommen.
26Entscheidungsgründe:
27Die Entscheidung ergeht im Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (§ 101 Abs. 2 VwGO).
28A.Soweit der Kläger die Klage zurückgenommen hat, ist das Verfahren einzustellen (§ 92 Abs. 3 VwGO).
29B.Im Übrigen ist die Klage zulässig und begründet.
30Ziffer 3. des Bescheids des Bundesamtes vom 00.00.0000 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungshindernisses nach § 60 Abs. 5 AufenthG (§ 113 Abs. 1, Abs. 5 VwGO). Ein Ausländer darf danach nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 4. November 1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (BGBl. 1952 II S. 685) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist.
31I.Dies ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) wegen der Unvereinbarkeit mit Art. 3 EMRK insbesondere dann der Fall, wenn stichhaltige Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene im Falle seiner Abschiebung der ernsthaften Gefahr der Todesstrafe, der Folter oder der unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung ausgesetzt wäre.
32Eine Verletzung von Art. 3 EMRK setzt die tatsächliche Gefahr der Folter oder unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung voraus. Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, dessen Rechtsprechung zu den Kriterien einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK besondere Bedeutung zukommt,
33vgl. BVerwG, Beschluss vom 13. Februar 2019 – 1 B 2.19 –, juris Rn. 6; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 14. Oktober 2004 – 2 BvR 1481/04 –, juris Rn. 38,
34muss eine ausreichende reale Gefahr bestehen, die nicht nur auf bloßen Spekulationen beruht, denen eine hinreichende Tatsachengrundlage fehlt. Die tatsächliche Gefahr einer Art. 3 EMRK zuwiderlaufenden Behandlung muss aufgrund aller Umstände des Falles ernsthaft bestehen und darf nicht hypothetisch sein.
35Vgl. EGMR, Urteile vom 28. Juni 2011 – Nr. 8319/07 und Nr. 11449/07, Sufi and Elmi/Vereinigtes Königreich – Rn. 212 ff., vom 27. Mai 2008 – Nr. 26565/05, N./Vereinigtes Königreich – Rn. 34 ff. und vom 6. Februar 2001 – Nr. 44599/98, Bensaid/Vereinigtes Königreich – Rn. 36 ff., jeweils zitiert nach juris.
36Der Prognosemaßstab der tatsächlichen Gefahr entspricht dem der beachtlichen Wahrscheinlichkeit.
37Vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2022– BVerwG 1 C 10.21 –, juris Rn. 13 m. w. N.
38Für die Entscheidung, ob eine bestimmte Form der Misshandlung als Folter einzustufen ist, muss die Unterscheidung berücksichtigt werden, die Art. 3 EMRK zwischen Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung macht. Diese Unterscheidung ist in der Konvention vorgesehen, um das besondere Stigma der Folter vorsätzlichen Misshandlungen vorzubehalten, die starke und grausame Leiden verursachen. Zur Schwere der Behandlung kommt der Gesichtspunkt des verfolgten Ziels hinzu. Das Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe definiert Folter daher als vorsätzliche Zufügung von großen Schmerzen oder Leiden, um unter anderem Aussagen zu erhalten, zu bestrafen oder einzuschüchtern.
39Vgl. EGMR, Urteil vom 13. Dezember 2012 – Nr. 39630/09, El-Masri/Mazedonien –, juris Rn. 197.
40Eine Misshandlung muss ein Mindestmaß an Schwere erreichen, um die Voraussetzungen des Art. 3 EMRK zu erfüllen. Die Beurteilung dieses Mindestmaßes ist relativ und hängt von allen Umständen des Einzelfalls ab, wie die Dauer der Behandlung und ihre physischen und psychischen Wirkungen und manchmal das Geschlecht, das Alter und der Gesundheitszustand des Opfers. Eine Behandlung ist unmenschlich, wenn sie vorsätzlich und ohne Unterbrechung über Stunden zugefügt wurde und entweder körperliche Verletzungen oder intensives physisches oder psychisches Leid verursacht hat. Erniedrigend ist eine Behandlung, wenn sie eine Person demütigt oder erniedrigt, es an Achtung für ihre Menschenwürde fehlen lässt oder sie herabsetzt oder in ihr Gefühle der Angst, Beklemmung oder Unterlegenheit erweckt, geeignet, den moralischen oder körperlichen Widerstand zu brechen.
41Vgl. EGMR, Urteil vom 21. Januar 2011 – Nr. 30696/09 –, NVwZ 2011, 413, Rn. 219 f.
42Eine unmenschliche Behandlung liegt vor, wenn einer Person vorsätzlich schwere psychische oder physische Qualen oder Leiden von außergewöhnlicher Intensität oder Dauer zugefügt werden, die mit den allgemeinen Geboten der Menschlichkeit schlechthin unvereinbar sind, ohne dass der Eingriff die Intensität erreicht, die die Folter kennzeichnet. Eine erniedrigende Behandlung liegt vor, wenn die Behandlung Gefühle der Angst, des Schmerzes oder der Minderwertigkeit erweckt, die geeignet sind, das Opfer zu demütigen bzw. zu entwürdigen und möglicherweise seinen psychischen oder moralischen Widerstand zu brechen
43Vgl. EGMR, Urteil vom 26. Oktober 2000 – Nr. 30210/96 –, NJW 2001, 2694, Rn. 92.
44II.Bei zusammenfassender Würdigung der durch die ausgewerteten Erkenntnisquellen vermittelten Umstände besteht eine beachtliche Wahrscheinlichkeit dafür, dass dem Kläger bei einer – hypothetischen – Abschiebung nach Tadschikistan dort Folter sowie eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung droht.
451.Die tadschikische Regierung ist in großer Sorge vor radikalislamischen Einflüssen in ihrem Land. Auch wenn die Verfassung weltanschauliche Neutralität und Religionsfreiheit gewährt, schränkt die Regierung in der Praxis jedoch diese im Namen der nationalen Sicherheit stark ein, kontrolliert alle Glaubensgemeinschaften und verfolgt rigoros vor allem tatsächliche oder angebliche salafistische Aktivitäten. Die Herausforderung durch islamischen Extremismus und terroristische Organisationen, vor die sich viele zentralasiatische Staaten gestellt sehen, ist in Tadschikistan besonders spürbar, zumal die Stabilität des Landes keinesfalls gefestigt ist. Auch nach dem offiziellen Ende des Bürgerkriegs stellt der Missbrauch von Religion und islamischer Extremismus für das Land eine existenzielle Herausforderung dar. Die hohe Zahl tadschikischer Kämpfer in den Reihen von ISIS/DAESH und ihrer Rückkehr in die Region ist tatsächlich eine Bedrohung für das Land, wird aber von der Regierung auch instrumentalisiert als Vorwand für Kontrolle und Unterdrückung von Glaubensausübung.
46Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S. 11 f.; Counter Extremism Project (CEP), Tajikistan: Extremism and Terrorism.
47Durch die Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat sich die Bedrohungslage für Tadschikistan – mit seiner weitgehend ungesicherten 1400 km langen Grenze zu Afghanistan – dramatisch verändert. Tadschikistan fürchtet die Einflüsse radikal-islamischer Ideologien, ein Übergreifen terroristisch-islamischer Gruppen sowie Flüchtlingsströme aus Afghanistan. Die militanten islamistischen Aktivitäten im Norden Afghanistans, jenseits der durchlässigen Grenze, stellen eine zentrale Bedrohung dar, insbesondere wenn der afghanische Konflikt auf Zentralasien übergreift.
48Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S. 16; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tadschikistan, Gesamtaktualisierung am 8. August 2022, S. 9 f.
49Staatliche Repressionen gegen bestimmte Personen wegen ihrer politischen Überzeugung sind nicht selten. Diese dienen primär dazu, präventiv möglichen Gefahren für den Machterhalt entgegenzuwirken. Deutliche Repressionen gibt es aus Sorge vor Radikalisierung auch gegen echte oder vermeintliche Vertreter extremistischer Strömungen des Islams, vor allem gegen Salafisten.
50Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S 8.
51Die Repressionen gegenüber politischen Aktivisten können eskaliert werden: Sie beginnen mit Beobachtungen, Abhören, telefonischen Warnanrufen des Staatlichen Komitees für Nationale Sicherheit (GKNB), Einbestellungen zu Verhören, setzen sich gelegentlich in gewaltsamen Übergriffen durch staatlich beauftragte „Unbekannte“, in Festnahmen und Anklagen auf zweifelhafter Grundlage fort und enden schlimmstenfalls in Verurteilungen zu teilweise langen Haftstrafen.
52Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S. 8.
53Eine Strafverfolgungs- und Strafzumessungspraxis, die sich nach Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe oder politischer Überzeugung richtet, ist zwar nicht festzustellen. Ausnahmen betreffen jedoch Täter, die als religiös extremistisch eingestuft oder wegen ihrer politischen Tätigkeit verfolgt werden. Nicht verifizierbaren Medienberichten zufolge wurden Anhänger des Islamischen Staates wegen Schwenkens der IS-Flagge zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Als für den Machterhalt gefährlich eingestufte politische Oppositionelle wurden zum Teil hinter verschlossenen Türen und häufig unter falschen Anschuldigungen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
54Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S. 12.
55Eine förmliche Verweigerung des Rechtsschutzes ist nicht bekannt. Als extremistisch und – potenziell – terroristisch eingestufte Personen laufen jedoch Gefahr, zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden. Die Justiz arbeitet in dieser Hinsicht eng mit den Sicherheitsdiensten zusammen. Obwohl alle Prozesse öffentlich sind, sieht das Gesetz die Möglichkeit von Geheimprozessen vor, wenn die nationale Sicherheit betroffen ist. Fälle, in denen der Vorwurf des „Extremismus“ erhoben wird, fallen in diese Kategorie, sodass die meisten Prozesse gegen Menschenrechtsaktivisten unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Rechtsanwälte sind wegen der ihnen selbst drohenden Gefahren immer weniger bereit, politisch heikle Fälle zu übernehmen.
56Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S. 12; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tadschikistan, Gesamtaktualisierung am 8. August 2022, S. 11.
57Zu den bedeutendsten Menschenrechtsverletzungen gehören: Rechtswidrige oder willkürliche Tötungen durch Gefängnisbehörden; erzwungenes Verschwindenlassen durch die Regierung in Absprache mit ausländischen Regierungen; Folter und Misshandlung von Gefangenen durch Sicherheitskräfte; willkürliche Inhaftierung; harte und lebensbedrohliche Haftbedingungen politischer Gefangener; willkürliche oder unrechtmäßige Eingriffe in die Privatsphäre sowie erhebliche Probleme mit der Unabhängigkeit der Justiz.
58Vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tadschikistan, Gesamtaktualisierung am 8. August 2022, S. 16.
59Insgesamt sind die Haftbedingungen nach Berichten internationaler Menschenrechtsorganisationen wie Human Rights Watch katastrophal (überfüllte Einrichtungen, schlechte Hygienebedingungen, unzureichende Gesundheitsversorgung). Es liegen auch Berichte über Misshandlungen und Folter durch Wachpersonal und darüber vor, dass die Haftbedingungen für politische Straftäter noch schlechter seien als für „normale“ Strafgefangene, vor allem zu Beginn der Haftzeit. Im November 2018 wurde ein Gefangenenaufstand in Khudjand brutal niedergeschlagen mit mindestens zwanzig (wahrscheinlich mehr als fünfzig) Todesopfern. Mindestens 14 Gefangene starben im Juli 2019 unter verdächtigen Umständen während eines Gefangenentransportes.
60Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2021, S. 10, und Stand November 2023, S. 18.
61Im Mai 2019 gab es in Vahdat, sechs Meilen östlich der Hauptstadt E. , mindestens 29 Tote bei einer Revolte in einem Gefängnis, in welchem vor allem ehemalige IS-Kämpfer inhaftiert waren. Die Regierung machte die Terrormiliz Islamischer Staat verantwortlich. Das tadschikische Justizministerium teilte mit, dass der Aufstand am späten Sonntag ausgebrochen sei, als mit Messern bewaffnete Militante drei Bedienstete und fünf Mitgefangene töteten. Anschließend zündeten die Militanten das Gefängniskrankenhaus an, nahmen mehrere Häftlinge als Geiseln und versuchten, sich einen Weg nach draußen zu erkämpfen. Nach Angaben des Ministeriums töteten Sicherheitskräfte im Kampf um die Wiederherstellung der Ordnung im Gefängnis 24 Militante. Das Gefängnis beherbergt 1500 Insassen.
62Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2021, S. 10; The Guardian, Dozens killed in riot at Tajikistan prison holding ISIS militants, 20. Mai 2019.
63Auch wenn Tadschikistan unter anderem die Anti-Folter-Konvention CAT (Convention against Torture and Other Cruel and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment) vom 11. Januar 1995 ratifziert hat und die Verfassung die Anwendung von Folter verbietet, kommt diese in Tadschikistan vor.
64Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2021, S. 14, und Stand November 2023, S. 17; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tadschikistan, Gesamtaktualisierung am 8. August 2022, S. 13
65Die „Koalition gegen Folter“, eine lokale NRO, hat 2020 37 Fälle dokumentiert, die vermutlich nicht die Gesamtheit aller Fälle erfasst. Menschenunwürdige Behandlung kommt vor allem unmittelbar nach der Festnahme und während der Untersuchungshaft in den Untersuchungsgefängnissen, sog. CISO, zur Erzwingung von Geständnissen vor, aber auch in den Streitkräften. Sie reicht von grober Behandlung bis zur Misshandlung mit Todesfolge. Laut IKRK ist Folter in Tadschikistan derzeit nicht als systematisch zu betrachten, die Regierung möchte sie bekämpfen.
66Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S. 17 f.
67Auch laut den abschließenden Beobachtungen des UN-Menschenrechtsaus-schusses (OHCHR) von 2019 gab es Berichte über Schläge, Folter und andere Formen der Nötigung, um bei Verhören Geständnisse zu erzwingen.
68Vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tadschikistan, Gesamtaktualisierung am 8. August 2022, S. 13.
69Tadschikistan ermöglichte durch Änderung der Strafgesetze 2015 den Behörden, tadschikische ausländische terroristische Kämpfer (Foreign Terrorist Fighters – FTFs) zu begnadigen, die freiwillig aus dem Irak oder Syrien zurückkehren, Reue für ihre Taten bekunden und sich von Verbindungen zur ausländischen militanten Gruppen lossagen.
70Vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tadschikistan, Gesamtaktualisierung am 8. August 2022, S. 9.
71Insbesondere aus den Konfliktgebieten zurückkehrende Frauen und Kinder erhalten vom tadschikischen Staat Unterstützung. Tadschikistan unterstützt weiterhin die rund 84 Kinder von FTFs, die 2019 aus dem Irak zurückgeführt wurden. Tadschikistan hat selten Frauen verhaftet, die aus Konfliktgebieten wie Afghanistan, Syrien und dem Irak zurückgeführt wurden, und versucht stattdessen, sie wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
72Vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tadschikistan, Gesamtaktualisierung am 8. August 2022, S. 38; United States Department of State, Country Reports on Terrorism 2020: Tajikistan, 16. Dezember 2021; Radio Liberty/Radio Free Europe, Tajik IS Widows Say They’re Paying For Their Husbands‘ Actions, But Courts Aren’t Convinced, 16. Januar 2022.
73Gruppen, die die Regierung als extremistisch einstuft, unterwirft sie jedoch weiterhin strengen Beschränkungen und inhaftiert sie, auch aufgrund der politischen und religiösen Meinungsäußerung und der Aktivitäten dieser Gruppen.
74Vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tadschikistan, Gesamtaktualisierung am 8. August 2022, S. 9.
75Im Jahr 2015 erhielten wenige Personen, die als ehemalige Kämpfer oder Anwerber identifiziert werden konnten, Gefängnisstrafen.
76Vgl. Bulan Institute for Peace Innovations, The Repatriation, Rehabilitation and Reintegration of Women and Children from Syria and Iraq, The Experiences of Kazakhstan, Kyrgyzstan, Tajikistan and Uzbekistan, Report – June 2021, S. 17 f.; Radio Liberty/Radio Free Europe, Tajikistan prepares to repatriate families of Islamic State fighters form camps in Syria, 10. Dezember 2020.
77Auch gibt es Berichte darüber, dass tadschikische Gerichte mindestens fünf Frauen – die Ehefrauen mutmaßlicher IS-Kämpfer – wegen terroristischer Vorwürfe zu Gefängnisstrafen zwischen 12 und 14 Jahren verurteilt haben.
78Vgl. Radio Liberty/Radio Free Europe, Tajik IS Widows Say They’re Paying For Their Husbands‘ Actions, But Courts Aren’t Convinced, 16. Januar 2022.
79Das Middle East Institute berichtet, dass im Jahr 2018 ein ehemaliger Kämpfer des IS durch den tadschikischen Geheimdienst in der Ukraine entführt und in Tadschikistan inhaftiert wurde.
80Vgl. Middle East Institute, The Challenge of Foreign Fighters: Repatriating and Prosecuting ISIS Detainees, 27. Januar 2021.
81Das United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) hat in Zusammenarbeit mit der Gefängnisbehörde des Justizministeriums der Republik die Umsetzung des Programms zur Inhaftierung rückkehrender FTFs eingeleitet. Ein Teil des länderspezifischen Arbeitsplans ist die Umsetzung gezielter Rehabilitationsprogramme.
82Vgl. Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tadschikistan, Gesamtaktualisierung am 8. August 2022, S. 38; United States Department of State, Country Reports on Terrorism 2020: Tajikistan, 16. Dezember 2021.
83Nach eigenen Angaben soll das Programm die Fähigkeit der Republik Tadschikistan verbessern, Bedrohungen durch ausländische terroristische Kämpfer (FTFs) durch technische Hilfe für Strafverfolgungs-, Strafvollzugs- und Justizbehörden zu bewältigen und dadurch die Zusammenarbeit der Partner bei der Rückführung ihrer inhaftierten FTF-Staatsangehörigen zu fördern. UNODC ist bestrebt, die Kapazitäten der Republik Tadschikistan zur Bewältigung und Eindämmung der Bedrohung durch Terroristen- und FTF-Häftlinge zu verbessern, indem es internationale Best Practices für Strafvollzugsmaßnahmen nutzt, darunter Klassifizierung und Fallmanagement, Schmuggelkontrolle, Zugangskontrolle zwischen Zellen und Gefängnisgebäuden sowie die Entwicklung von Aufnahmeprozessen. Das Programm wird auf der Umsetzung internationaler Verpflichtungen aufbauen, die durch die Annahme der Resolution 2396 (2017) eingegangen wurden, im Einklang mit den UN-Mindeststandardre-geln für die Behandlung von Gefangenen (Nelson-Mandela-Regeln), dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechtsgesetzen, sofern anwendbar und im Einklang mit dem einschlägigen Völkerrecht.
84Vgl. United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC), UNODC and Prison Service of Tajikistan co-operate to adress Foreign Terrorist Fighters Threats in Prison.
852.Die anzustellende Gefahrenprognose führt zu dem Ergebnis, dass dem Kläger in Tadschikistan mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit Folter sowie unmenschliche und erniedrigende Behandlung droht.
86Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass der Kläger bei einer Rückführung als wegen der mitgliedschaftlichen Beteiligung an der terroristischen Vereinigung Islamischer Staat verurteilter Straftäter von den tadschikischen Sicherheitsbehörden identifiziert werden wird. Aufgrund der Verbalnote vom 00.00.0000 ist den tadschikischen Sicherheitsbehörden sowohl die Identität des Klägers als auch der Gegenstand seiner Verurteilung bekannt. Ebenfalls lässt sich für die tadschikischen Behörden aus der Höhe der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und acht Monaten auch abschätzen, von welchem Gewicht die begangene Straftat ist.
87Der tadschikische Staat beobachtet nach den vorliegenden Erkenntnissen regierungsfeindliche Betätigungen sehr genau. Rückkehrer werden einer intensiven Befragung unterzogen. Dabei droht dem Kläger eine Befragung, die auch Folter beinhaltet. Es ist vor dem Hintergrund der großen Furcht vor islamistischen Einflüssen in Tadschikistan davon auszugehen, dass Formen der Folter dabei nicht nur zur Erpressung von Geständnissen Anwendung finden, sondern auch, um an Informationen zum IS und insbesondere zu den Führungspersonen dessen zentralasiatischen Ablegers ISIS-K zu gelangen. Für ein besonderes Interesse des tadschikischen Staates an der Person des Klägers und seinen Informationen spricht nicht nur dessen Mitgliedschaft im IS, sondern insbesondere auch dessen Kontakte zu hochrangigen IS-Führungskadern in der von dem IS ausgerufenen Provinz Khorasan. Dies gilt erst recht, da zu den Plänen der Zelle, der auch der Kläger angehörte, insbesondere ein mit Waffengewalt herbeizuführender Sturz der tadschikischen Regierung gehörte.
88Dem Kläger droht wegen einer mangels erkennbarer Reue tatsächlich, jedenfalls aber von der tadschikischen Regierung unterstellt, fortbestehenden radikalislamischen Gesinnung – trotz Verbüßung der Strafe in Deutschland – eine Verurteilung zu einer langjährigen weiteren Haftstrafe. Nach den nicht weiter erläuterten Angaben des Auswärtigen Amtes in dessen Verbalnote vom 00.00.0000 besteht nach dort vorliegenden Erkenntnissen bereits ein Haftbefehl gegen den Kläger. Ferner ergibt sich aus der Zusicherung der tadschikischen Generalstaatsanwaltschaft vom 00.00.0000 die Bitte, zu erwägen, den Kläger nach Tadschikistan zu überstellen, damit er seine in Deutschland angetretene Strafhaft dort in einer Haftanstalt fortsetzt.
89Der Anspruch des Klägers auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes folgt nicht bereits aus einer bei einer weiteren Verurteilung zu einer – vom Kläger befürchteten – Freiheitsstrafe von 15 Jahren möglichen Doppelbestrafung, die sich zwar als in hohem Maße hart, jedoch wegen der Schwere der vom Kläger verübten Straftat noch nicht als unerträglich hart und unter jedem Gesichtspunkt unangemessen darstellen würde.
90Vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Mai 2023 – 1 VR 1.23 –, juris Rn. 92 m. w. N.
91Die dem Kläger konkret drohenden Haftbedingungen erfordern jedoch die Feststellung eines Abschiebungsverbotes nach § 60 Abs. 5 AufenthG. Nach den zuvor geschilderten Berichten sind die Haftbedingungen gerade für politisch missliebige Personen besonders hart. Folter kommt insbesondere in den ersten Monaten der Haft vor. Zudem droht dem Kläger bei Zugrundelegung dieser Berichte selbst ein „Verschwindenlassen“, etwa durch eine gewaltsame Tötung während der Haft, oder auf andere Weise, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit.
92Es ist nicht zu erwarten, dass dem Kläger eine der seit dem Jahr 2015 möglichen Amnestien für ehemalige FTFs zugute kommt. Unabhängig davon, dass seine Rückkehr nach Tadschikistan nicht freiwillig erfolgen dürfte, ist es nicht beachtlich wahrscheinlich, dass die tadschikischen Behörden ihn begnadigen, sondern dass sie ihn vielmehr weiterhin als extremistisch einstufen werden. Seine Beteiligung am IS ist nicht mit der eines „normalen“ Kämpfers in den Konfliktregionen vergleichbar, sondern geht über diese hinaus. Seine Beteiligung zeichnet sich dadurch aus, dass er Kontakte zu hochrangigen IS-Mitgliedern pflegte, selbst die Ausrichtung der Terrorzelle beeinflusste, ein weiteres Mitglied anwarb und mit dem Sturz der tadschikischen Regierung ein Ziel verfolgte, das sich unmittelbar gegen den tadschikischen Staat richtete.
93Diese Prognose ändert sich auch nicht aufgrund der von der Beklagten zum Verfahren gereichten Zusicherung der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Tadschikistan vom 00.00.0000.
94Offenbleiben kann insoweit, ob das Gericht nach seinem Ermessen die Zusicherung vom 00.00.0000 gemäß § 87b Abs. 3 VwGO trotz bereits zuvor erfolgten Ablaufs der der Beklagten gesetzten und bereits einmal verlängerten Frist berücksichtigen darf. Denn die Zusicherung führt im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung nicht dazu, dass die Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung unter die Schwelle der beachtlichen Wahrscheinlichkeit gesunken wäre.
95Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und des Bundesverwaltungsgerichts ist in diplomatischen Zusicherungen unter bestimmten Voraussetzungen ein geeignetes Instrument zur Ausräumung der Gefahr einer Art. 3 EMRK widersprechenden Behandlung selbst bei Staaten zu sehen, in denen systematisch gefoltert und misshandelt wird.
96Vgl. EGMR, Urteil vom 17. Januar 2012– Nr. 8139/09, Othman/Vereinigtes Königreich –, NVwZ 2013, 487 Rn. 188 f.; BVerwG, Beschluss vom 19. September 2017 – 1 VR 8.17 –, juris, Rn. 54 - 58.
97Bei der Prüfung, ob ein Betroffener tatsächlich Gefahr läuft, in dem Bestimmungsland misshandelt zu werden, setzt sich der EGMR sowohl mit der allgemeinen Lage in dem Land als auch mit den besonderen Verhältnissen des Betroffenen auseinander. Wenn das Bestimmungsland Zusagen gemacht hat, sind sie ein wichtiger Gesichtspunkt, der berücksichtigt werden muss. Sie reichen aber allein nicht aus, angemessen gegen die Gefahr von Misshandlungen zu schützen. Es muss vielmehr geprüft werden, ob sie in der Praxis eine ausreichende Garantie für den Schutz des Betroffenen vor der Gefahr von Misshandlungen bieten. Das Gewicht solcher Zusagen des Bestimmungslandes hängt in jedem einzelnen Fall von den zur maßgebenden Zeit gegebenen Verhältnissen ab. Bei der Beurteilung der praktischen Auswirkungen solcher Zusagen und ihres Gewichts ist die erste Frage, ob die allgemeine Menschenrechtslage im Bestimmungsland es allgemein ausschließt, Zusagen jeglicher Art zu berücksichtigen. Es wird allerdings nur selten der Fall sein, dass Zusagen wegen der allgemeinen Menschenrechtslage überhaupt kein Gewicht beigemessen werden kann.
98Vgl. EGMR, Urteil vom 17. Januar 2012– Nr. 8139/09, Othman/Vereinigtes Königreich –, NVwZ 2013, 487 Rn. 188 f.
99Dass eine Zusicherung tadschikischer Behörden generell unbeachtet bleiben müsse, ist weder vorgetragen noch sonst auf der Grundlage der dem Gericht vorliegenden Erkenntnismittel ersichtlich. Nach diesen ist – wie ausgeführt – Folter in Tadschikistan nicht als systematisch zu erachten. Die Bemühungen der tadschikischen Regierung zur Bekämpfung der Folter sind jedenfalls erkennbar. Die Republik Tadschikistan hat die Anti-Folter-Konvention CAT (Convention against Torture and Other Cruel and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment) vom 11. Januar 1995 ratifziert. Des Weiteren versucht die Republik Tadschikistan mit internationaler Hilfe, etwa rückkehrende IS-Kämpfer nach rechtsstaatlichen Maßstäben wieder in die Gesellschaft zu integrieren.
100Sofern nicht anzunehmen ist, dass Zusicherungen eines Staates generell kein Gewicht beizumessen ist, ist nach der Rechtsprechung des EGMR im Allgemeinen zunächst festzustellen, welches Gewicht die Zusagen haben, und dann, ob sie unter Berücksichtigung der Praxis in dem Bestimmungsland verlässlich sind.
101Vgl. EGMR, Urteil vom 17. Januar 2012– Nr. 8139/09, Othman/Vereinigtes Königreich –, NVwZ 2013, 487 Rn. 188 f.
102Welche konkreten Anforderungen an eine solche Zusicherung zu stellen sind, lässt sich nicht abstrakt beantworten, sondern hängt insbesondere von den Bedingungen im Abschiebezielstaat und dem konkreten Inhalt der Zusicherung ab. Wie die Zusicherung auszulegen ist und ob sie jeweils bestehenden Bedenken Rechnung trägt, ist unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles festzustellen. Es ist anhand dieser Maßstäbe zu prüfen, ob die Zusicherung die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK und Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz – GG – wirksam ausschließt und insbesondere den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Anforderungen entspricht.
103Vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Juli 2017– 2 BvR 1487/17 –, juris Rn. 49.
104Dabei berücksichtigt der EGMR u. a. die Gesichtspunkte, ob der Wortlaut der Zusagen mitgeteilt wurde, ob die Zusagen genau oder allgemein und vage sind, wer die Zusagen gegeben hat und ob diese Person das Bestimmungsland verpflichten kann, ob, wenn die Zusagen von der Zentralregierung des Bestimmungslands gemacht worden sind, erwartet werden kann, dass die örtlichen Behörden sie einhalten, ob die Zusagen eine Behandlung betreffen, die im Bestimmungsland rechtmäßig oder unrechtmäßig ist, ob die Zusagen von einem Konventionsstaat gemacht wurden, den Gesichtspunkt der Dauer und Bedeutung der bilateralen Beziehungen zwischen dem abschiebenden Staat und dem Bestimmungsland und ob dieses Land bisher ähnliche Zusagen eingehalten hat, des Weiteren, ob die Einhaltung der Zusagen auf diplomatischem Wege oder über andere Bewachungsmechanismen objektiv geprüft werden kann, einschließlich des unverzüglichen Zugangs zu einem Anwalt, ob es ein wirksames Schutzsystem gegen Folter in dem Bestimmungsland gibt und ob der Staat bereit ist, mit internationalen Überwachungsorganen einschließlich internationaler Menschenrechtsorganisationen zusammenzuarbeiten, bei Foltervorwürfen zu ermitteln und die Verantwortlichen zu bestrafen, ob der Betroffene früher im Bestimmungsland misshandelt wurde und ob die Verlässlichkeit der Zusagen von den Gerichten des abschiebenden Konventionsstaates geprüft wurde.
105Vgl. EGMR, Urteil vom 17. Januar 2012 – Nr. 8139/09, Othman/Vereinigtes Königreich – NVwZ 2013, 487 Rn. 188 f. m. w. N.
106Es ist von Verfassungs wegen erforderlich, dass die einzuholende Zusicherung mit spezifischen Garantien verbunden ist, die eine Überprüfung der (eventuellen) Haftbedingungen des Klägers im Falle von dessen Inhaftierung und insbesondere den ungehinderten Zugang zu seinen Prozessbevollmächtigten erlaubt; dies muss sich auf eine Inhaftierung sowohl durch die Polizei als auch durch den Geheimdienst beziehen.
107BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24. Juli 2017– 2 BvR 1487/17 –, juris Rn. 50.
108Gemessen an diesen Maßstäben ist die von der tadschikischen Generalstaatsanwaltschaft abgegebene Zusicherung vom 00.00.0000 nicht geeignet, die beachtliche Gefahr der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung des Klägers auszuräumen.
109Der Beachtlichkeit der Zusicherung steht zwar nicht zwangsläufig entgegen, dass es sich hierbei nicht um eine zwischen Ministerien und Botschaften ausgetauschte „Verbalnote“, sondern „nur“ um eine Erklärung eines tadschikischen Behördenleiters gegenüber der Deutschen Botschaft in Tadschikistan handelt. Welche Schlussfolgerungen bei der Risikobewertung aus einer derartigen Erklärung zu ziehen sind und ob und in welchem Umfang eine dem Abschiebezielstaat zuzurechnende Erklärung die Gefahr eines Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sowie Art. 3 EMRK verringert und mit der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zu vereinbaren ist, lässt sich nicht abstrakt beantworten, sondern ist anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalls festzustellen.
110Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 2018 – 1 A 5.17 –, Rn. 60.
111Soweit in Teilen der Rechtsprechung auch Zusicherungen durch eine Generalstaatsanwaltschaft für ausreichend erachtet worden sind, der Gefahr von Verstößen gegen Art. 3 EMRK wirksam zu begegnen,
112vgl. zu einer Zusicherung betreffend die Abschiebung in die Russische Föderation: VG Frankfurt (Oder), Urteil vom 27. April 2022 – VG 6 K 873/17.A –, juris,
113können diese Bewertungen schon deshalb nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragen werden, weil es sich um Zusicherungen aus anderen Herkunftsstaaten handelte, in denen insbesondere die Staatsorganisation, aber auch weitere tatsächliche Verhältnisse, jeweils auf eigene Weise gestaltet sind. Hinzu kommt, dass nach den vorstehenden Maßstäben in jedem Einzelfall individuell zu bewerten ist, ob die Zusicherung die Gefahr eines Verstoßes wirksam ausräumen kann.
114Es ist jedoch nicht mit ausreichender Sicherheit erkennbar, dass eine von der Generalstaatsanwaltschaft abgegebene Erklärung sämtliche Sicherheitsbehörden der Republik Tadschikistan einschließlich sämtlicher an der Strafverfolgung und-vollstreckung beteiligten Stellen wirksam verpflichtet.
115Die für eine Inhaftierung und Vernehmung des Klägers in Betracht kommenden Sicherheitsbehörden sind u.a. das Innenministerium (MWD), die Polizei (Miliz) und das Staatliche Komitee für nationale Sicherheit (GKNB). Formal sind diese Behörden organisatorisch getrennt, wobei auch die Zuständigkeiten nicht immer klar abgegrenzt sind. Das GKNB hat die Funktionen eines Inlands- und Auslandsnachrichtendienstes sowie die Zuständigkeit des Grenzschutzes inne und wird in politisch sensiblen Fällen neben der Antikorruptionsbehörde tätig. Da das GKNB jedoch über eine eigene Strafverfolgungskompetenz verfügt, gibt es eine Überlappung von Polizei- und Nachrichtendiensttätigkeit.
116Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S. 7 f.
117So mag die Generalstaatsanwaltschaft die Polizeibehörden wirksam binden können. In Bezug auf das Innenministerium erscheint dies jedoch bereits nicht zweifelsfrei und ist insbesondere in Bezug auf das GKNB nicht erkennbar. Gerade vor dem Hintergrund der Verurteilung als islamistischer Extremist ist mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass der Kläger vom für politische Fälle zuständigen GKNB festgenommen, befragt und inhaftiert wird. Auf die Geheimdienste – wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert – erstreckt sich die Zusicherung aber gerade nicht ausdrücklich.
118Zudem bleibt die Zusicherung auch inhaltlich sowohl hinter den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte und vom Bundesverfassungsgericht formulierten inhaltlichen Anforderungen als auch hinter dem durch das Auswärtige Amt mit dessen Verbalnote vom 00.00.0000 – erkennbar unter Berücksichtigung dieser Rechtsprechung – erbetenen Gehalt zurück.
119Es wird lediglich in allgemein gehaltener Form garantiert, dass u.a. der Kläger nicht gefoltert wird und keiner grausamen, unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung oder Bestrafung unterworfen wird.
120Hinsichtlich der geforderten spezifischen Garantien hat die Zusicherung allerdings kein ausreichendes Gewicht. Ihr Inhalt genügt den vorstehend dargelegten Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung nicht.
121So wird zwar ausgeführt, dass der Kläger nach seinem Transfer nach Tadschikistan mit allen Schutzrechten („with all protection rights“) ausgestattet werde. Um welche Schutzrechte oder Garantien es sich hierbei handeln soll, wird nicht weiter ausgeführt. Es folgen allgemeine Wiedergaben der Gesetzeslage zur Aussetzung der Todesstrafe in Tadschikistan.
122Vgl. zur Aussetzung der Todesstrafe insoweit auch Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S. 18.
123Die Erklärung enthält keine ausdrücklichen Garantien für die Behandlung während der zu erwartenden Inhaftierung des Klägers. Es finden sich – obwohl vom Auswärtigen Amt in dessen Verbalnote erbeten – keine Zusicherungen zu menschenwürdigen Haftbedingungen. Auch eine – ebenfalls ausdrücklich erbetene – objektive Überprüfung der Haftbedingungen durch deutsche Beamte oder Nichtregierungsorganisationen enthält die Zusicherung nicht. Gerade vor dem Hintergrund der berichteten Vorfälle von Folter und willkürlichem Verschwindenlassen während der Untersuchungshaft und bei späterer Strafhaft wäre eine solche Garantie jedoch unerlässlich gewesen.
124Im Hinblick auf das Recht einer jederzeitigen Konsultation eines Rechtsanwalts bleibt die Zusicherung hinter den an sie zu stellenden Anforderungen zurück. Zwar wird in der Erklärung grundsätzlich das Recht auf einen Anwalt genannt („will be granted with all protection richts, as well as lawyer“). In welchen Verfahrensstadien und in welcher konkreten Ausgestaltung dieses Recht dem Kläger gewährt werden soll, wird nicht konkretisiert. Es fehlt insbesondere eine Zusage dergestalt, dass Anwälte auch während einer Inhaftierung jederzeit Zugang zum Kläger haben. Das Recht ungehinderte Verteidigerkonsultation erscheint vor dem Hintergrund der Erkenntnislage zur Republik Tadschikistan unwahrscheinlich. In politisch heiklen Fällen ist effektiver Rechtsschutz nicht gegeben, da die verteidigenden Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte Gefahr laufen, unter Vorwänden selbst der Strafverfolgung unterzogen zu werden. Rechtsanwälte sind wegen der ihnen selbst drohenden Gefahren immer weniger bereit, politisch heikle Fälle – zu denen auch der Fall des Klägers zu zählenist – zu übernehmen.
125Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S. 7, 12; Österreichisches Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation, Tadschikistan, Gesamtaktualisierung am 8. August 2022, S. 11.
126Schließlich fehlt es an einer Garantieerklärung, dass die Einhaltung der Zusagen auf diplomatischem Wege oder über andere Mechanismen objektiv geprüft werden kann. Diesem Umstand ist auch deshalb erhebliche Bedeutung beizumessen, weil eine solche Garantieerklärung mit der Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 00.00.0000 unter Ziffer 4. ausdrücklich erbeten worden war. Sie ist nicht mit hinreichender Vertrauenswürdigkeit in der Formulierung „The Tajik side guarantees that after the final decision on the cases is made, the Federal Republic of Germany side will be provided with additional information.“ zu erblicken. Diese Formulierung lässt offen, welche Verfahren gemeint sein sollen, nach deren bestandskräftigem Abschluss weitere Informationen geteilt werden. Jedenfalls aber fehlt es an der Zusicherung eines objektiven Kontrollmechanismus, da nicht hinreichend deutlich wird, welche Information und von wem geteilt werden.
127Ein hinreichender Kontrollmechanismus ist nicht deshalb entbehrlich, weil nach der Auskunftslage ohnehin bereits eine funktionstüchtige Instanz zur Folterprävention bestünde.
128Vgl. BVerwG, Urteil vom 27. März 2018 – 1 A 5.17 –, juris Rn. 65 ff. in Bezug auf Algerien und Beschluss vom 30. August 2017 – 1 VR 5.17 –, juris Rn. 58 in Bezug auf Tunesien.
129Ein wirksames System gegen Folter zeichnet sich in Tadschikistan – wie ausgeführt – nicht ab. Insbesondere ist entgegen der Auffassung der Beklagten nicht festzustellen, der Gefahr der Folter stehe der Umstand entgegen, dass sich folternde Personen damit selbst in Gefahr einer Strafverfolgung brächten. Zwar ist es der „Koalition gegen Folter“, einer lokalen Nichtregierungsorganisation, erstmals im Jahr 2018 gelungen, ein Strafverfahren gegen den Willen der Staatsanwaltschaft zu erzwingen, welches aber bis ins Jahr 2023 noch nicht abgeschlossen war. Auch hat es in den letzten Jahren zwar Strafverfolgung gegen Folternde gegeben; sie wurden allerdings häufig rasch amnestiert.
130Vgl. Auswärtiges Amt, Bericht über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Tadschikistan, Stand November 2023, S. 17 f.
131Eine – Verlässlichkeit gewährende – geübte Praxis von diplomatischen Zusicherungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik Tadschikistan ist schon deshalb nicht festzustellen, weil es sich nach dem unbestrittenen Vortrag der Beklagten um den ersten Fall einer solchen Zusicherung einer tadschikischen Behörde handelt. Die Auffassung der Beklagten, gerade aufgrund dieses Umstandes könne mit erhöhter Wahrscheinlichkeit erwartet werden, dass die Republik Tadschikistan die abgegebene Zusicherung einhalten wird, teilt die Kammer nicht. Konkrete, eine solche Erwartung stützende, Umstände sind nicht ersichtlich. Auch dem von der Beklagten zum Verfahren gereichten Bericht des Deutschen Instituts für Internationale Politik und Sicherheit der Stiftung Wissenschaft und Politik,
132vgl. SWP-Aktuell, Nr. 30, Juni 2024, Deutsche Zentralasienpolitik nach der „Zeitenwende“,
133sind keine konkreten Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass sämtliche tadschikischen Behörden einschließlich des Geheimdienstes sich schon aufgrund eines erheblichen Eigeninteresses an gedeihlichen bilateralen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland bzw. zur Europäischen Union an die abgegebenen Zusagen halten werden. Dort wird zwar ausgeführt, den neuen Stellenwert, den Zentralasien für Deutschland besitze, verdeutliche das 5+1-Gipfeltreffen mit Kasachstan, Usbekistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Kirgistan, das auf Einladung des Bundeskanzlers Olaf Scholz im September 2023 in Berlin stattgefunden habe. Handlungsfelder dieses Dialogs seien Wirtschaft, Energie, natürliche Ressourcen, regionale Zusammenarbeit und Resilienz, Umwelt und Klima sowie zwischengesellschaftliche bzw. zwischenmenschliche Kontakte gewesen.
134Vgl. SWP-Aktuell, Nr. 30, Juni 2024, Deutsche Zentralasienpolitik nach der „Zeitenwende“, S. 1 f.
135Damit sind aber primär deutsche Interessen beschrieben. Der Bericht schließt mit der Handlungsempfehlung, realistische Ziele zu formulieren und von überzogenen Erwartungen Abstand zu nehmen. Den Kurs der zentralasiatischen Staatslenker bestimmten der Einfluss Russlands und Chinas und der autoritäre Charakter der politischen Systeme. Die Gestaltungsmöglichkeiten Deutschlands und der EU in Zentralasien seien begrenzt, auch weil politische und finanzielle Ressourcen auf europäischer Seite an Limits stießen. Hinzu komme die Vielzahl an Akteuren, die in Zentralasien präsent seien und auf politische Entscheidungen Einfluss nähmen.
136Vgl. SWP-Aktuell, Nr. 30, Juni 2024, Deutsche Zentralasienpolitik nach der „Zeitenwende“, S. 6 f.
137Dies spricht aber weder für eine erhöhte Bedeutung deutscher bzw. westeuropäischer Werte wie der Beachtung der Menschenrechte noch für ein erhebliches, alle staatlichen Stellen einschließlich des Geheimdienstes leitendes Eigeninteresse, die staatlichen Beziehungen zu Deutschland durch penible Einhaltung der abgegebenen Garantien zu befördern. Gegen ein solches Eigeninteresse spricht im Übrigen auch, dass die abgegebene Zusicherung deutlich hinter den mit der Verbalnote des Auswärtigen Amtes vom 00.00.0000 erbetenen, erkennbar an den Anforderungen der höchstrichterlichen Rechtsprechung orientierten, Garantien zurückbleibt.
138C.Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2 VwGO, § 83b AsylG. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 11, 709 Satz 2, 711 Zivilprozessordnung. Der Gegenstandswert richtet sich nach § 30 Abs. 1 Rechtsanwaltsvergütungsgesetz.
139Rechtsmittelbelehrung:
140Gegen dieses Urteil steht den Beteiligten die Berufung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Aegidiikirchplatz 5, 48143 Münster, zu, wenn sie von diesem zugelassen wird. Die Berufung ist nur zuzulassen, wenn
1411. die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat,
1422. das Urteil von einer Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts, des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder
1433. ein in § 138 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO – bezeichneter Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt.
144Die Zulassung der Berufung ist bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, Bahnhofsvorplatz 3, 45879 Gelsenkirchen, innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich zu beantragen. In dem Antrag, der das angefochtene Urteil bezeichnen muss, sind die Gründe, aus denen die Berufung zuzulassen ist, darzulegen.
145Auf die unter anderem für Rechtsanwälte, Behörden und juristische Personen des öffentlichen Rechts geltende Pflicht zur Übermittlung von Schriftstücken als elektronisches Dokument nach Maßgabe der §§ 55a, 55d VwGO und der Verordnung über die technischen Rahmenbedingungen des elektronischen Rechtsverkehrs und über das besondere elektronische Behördenpostfach (Elektronischer-Rechtsverkehr-Verordnung – ERVV –) wird hingewiesen.
146Im Berufungsverfahren muss sich jeder Beteiligte durch einen Prozessbevollmächtigten vertreten lassen. Dies gilt auch für den Antrag auf Zulassung der Berufung. Der Kreis der als Prozessbevollmächtigte zugelassenen Personen und Organisationen bestimmt sich nach § 67 Abs. 4 VwGO.